Willibald Alexis Ruhe ist die erste Bürgerpflicht Vaterländischer Roman 1. Kapitel. Die Kindesmörderin Erstes Kapitel. Die Kindesmörderin. »Und darum eben,« schloß der Geheimrath. In seiner ganzen Würde hatte er sich erhoben und gesprochen. Charlotte hatte ihn nie so gesehen. Der Zorn strömte über die Lippen, bis vor dem Redefluß des Kindermädchens die allzeit fertige Zunge verstummte. Sie war erschrocken zurückgetreten, bis sie sich selbst verwundert an der Thüre fand; aber der Geheimrath schritt noch in der Stube auf und ab. Charlotte hatte leise zu weinen angefangen: »Aber Herr Geheimrath, um solche Kleinigkeit!« »Eine Kleinigkeit, die Angst besorgter Eltern um ihre Kinder! – Fünf Stunden von Hause fort ohne eine Sterbenssylbe mir zurückzulassen, und die Kleinen mitgenommen, ohne um Erlaubniß zu fragen!« »Herr Geheimrath,« schluchzte sie, »haben nie nach gefragt, ich weiß auch gar nicht warum jetzt!« »Schweige Sie!« fuhr der Hausherr fort. »Sie hat kein Einsehen, keine Moralität. Sie mißbraucht meine Güte. Sie muß aus meinem Hause. Es haben sich schon Viele gewundert, daß ich Sie noch behielt. Aber Sie schlägt mit Ihrer Unverschämtheit den Boden aus dem Faß. Versteht Sie mich! Ein Glück noch, daß wir vom Viertelkommissar erfuhren, daß Sie zur Excekution hinaus war, wir hätten sonst gar nicht gewusst, wo Sie geblieben war.« »Wenn das die selige Frau Geheimräthin wüsste,« schluchzte das Mädchen, »das war eine seelensgute Frau. Und wie oft hat sie gesagt: wenn wir nicht wären, mein Mann kümmert sich gar nicht um die Kinder. Ja das hat sie gesagt, nicht einmal , hundertmal . Und haben Herr Geheimrath jetzt auch nur einmal nach den Kindern gefragt? Das eben aber sagten die selige Frau Geheimräthin: er hat kein Herz für sie! und es war eine Frau, so sanft wie die himmlische Güte, und viel zu gut für diese Welt, und wer nur ihre stillen Thränen gesehen hat, die sie Nachts vergoß, und darum nahm der liebe Gott sie zu sich, und sie würde sich im Sarge umdrehen, wenn sie wüsste, daß der Herr Geheimrath mir darum solchen Affront anthun.« Charlotte musste die schwache Seite des Hausherrn kennen. Er wandte sich um, und fuhr mit dem Taschentuche über das Auge, ob, um eine Thräne abzuwischen oder die Verlegenheit zu verbergen, laß ich ungesagt. An der Wand hing das Bild der Verewigten, in sehr abgeblassten Wasserfarben gemalt, ein eben so abgeblasster Immortellenkranz darum. Darunter hing eine andere Schilderei, eine Urne, mit einer Trauerweide. Ein Genius senkte eine Fackel. Das Bild war auf Pappe gezogen, und wenn man näher hinzusah, bemerkte man, daß in der Urne ein Medaillon angebracht war, in welchem einige blonde Haare zu einem Namenszuge sich verschlangen. Der Geheimrath nahm es heraus und drückte es an seine Lippen. »O du Unvergessliche!« sagte er, noch einmal mit dem Tuch über die Augen fahrend. Sein Zorn war gewichen; in weicherem Tone fuhr er fort: »Aber Charlotte, wie oft habe ich Ihr gesagt, Sie soll mich nicht daran erinnern. Ein Mann in meiner Stellung darf sich nicht den Gefühlen hingeben. Aber Sie weiß das wohl, Sie braucht mich nur an die selige Gute zu erinnern, so tritt mir's in die Augen. Sie führt sich auf, als wenn Sie die Hausfrau wäre – und ist doch nur eine – Sie ist eine –« Dem Geheimrath war jetzt wirklich etwas in die Augen getreten, was er daraus fortzuwischen suchte, und darüber in Heftigkeit gerieth. Es war der dicke Staub aus der Schilderei, als er das Medaillon mit Gewalt wieder in seine Umfassung zu drücken bemüht war. Je mehr er im Aerger darauf schlug, so dichter puderte es ihm ums Gesicht. »Aus dem Haus muß Sie, daß Sie's weiß,« schloß er, mit den Augen beschäftigt, aus denen jetzt wirkliche Thränen, aber der Rührung, sich pressten. »Ja, Herr Geheimrath, das werde ich auch, sobald Sie es befehlen,« sagte Charlotte, die ihrerseits die Ruhe wieder gewonnen hatte. »Denn ich kenne meine Schuldigkeit. Aber erst werde ich vors Hallesche Thor gehen, aufs Grab der seligen Frau Geheimräthin, und die Kinder nehme ich mit. Da werde ich mit ihnen weinen, und sie sollen die kleinen Hände falten und ihre Mutter bitten, daß sie ihnen einen lieben Engel vom Himmel schickt, der sie in Schutz nimmt. Denn wissen Sie noch, Herr Geheimrath, wie die selige Frau Geheimräthin auf dem Todtenbette lagen! Kreideweiß das Gesicht! Ach Jesus, was wird aus meinen Kindern! ja das hat sie gesagt!« »Charlotte!« sagte der Geheimrath, »Sie weiß, daß ich meine selige Frau innigst geliebt habe, aber die Welt gehört den Lebendigen, sagt der Dichter, und die Todten soll man ruhen lassen.« »Die selige Frau Geheimräthin sollen wohl Ruhe haben, wenn sie aus dem Grabe sehen, wie's hier oben zugeht! Die Frau Geheimräthin, Ihre Schwägerin, kommt auch nicht so oft ins Haus. Aber ich werde mich wohl hüten, und mir die Zunge verbrennen wie damals und sagen was ich denke. Aber was die selige Frau Geheimräthin denkt, wenn die Geheimräthin Schwägerin den Kleinen Zuckerbrod bringt und sie über den Kopf streichelt, das weiß ich.« »Meine Schwägerin ist eine sehr respektable Frau, Charlotte.« »I Herr Jesus, wer redet denn auch gegen sie? Aber den Blick vergeß ich nicht, auf ihrem Todtenbett, wie die selige Frau zurückschauderte: Ach wie sieht sie die Kinder an! sagten sie, nämlich die Frau Geheimräthin auf dem Todtenbett. Und so riß sie die Kinder an sich und dann sagte sie: Ach sie hat so spitze Finger!« »Das waren Visionen, sie war im hitzigen Fieber.« »Aber die Frau Geheimräthin Schwägerin verknifften ordentlich den Mund und sagten: Mein Gott, als ob ich mich um die Bälger risse! Und dann sagte die Sterbende, und da war sie nicht mehr im Fieber: die Charlotte, die hat wenigstens ein weiches Herz! – und da hatte die Selige recht, und ich habe die Kinder lieb gehabt, als wenn's meine eigenen wären, und wenn's nicht die Kinder wären, i da wäre ich ja schon längst aus dem Hause, wo man so mit mir umgeht.« Dem Geheimrath schien unangenehm zu Muthe zu werden, da Charlotte in einen Thränenstrom ausbrach, der nicht mehr zu stillen schien. »Es war ja auch nicht so gemeint,« sagte er endlich, – »Sie soll ja nicht auf der Stelle fort, ich meinte nur –« »Es werden sich schon Andere finden, – o das weiß ich, – ich weiß auch wer. Und wenn die Selige das von oben sieht, wie die Schwägerin mit ihren spitzen Fingern die Kleinen liebkost, dann wird sie Nachts vor des Geheimraths Bette treten, und was sie ihn dann fragen wird –« »Halte Sie doch das Mau –! Charlotte – liebe Charlotte, Sie ist echauffirt.« Das Kindermädchen war echauffirt, es ließ sich nicht in Abrede stellen. Es waren auch Gründe dafür. Aber der Geheimrath liebte nichts Echauffirtes, nämlich wenn es ihn in seiner Ruhe inkommodirte. Er suchte sie zu beruhigen; er erklärte die Kündigung für eine Aufwallung, ein Echauffement. Indem er sagte, solche Dinge müsse man bei kaltem Blute überlegen, schob er den Stein des Anstoßes etwas weiter auf den Weg. Da schien ein Friede geschlossen, wenigstens ein Waffenstillstand; Charlotte weinte nur noch still, der Geheimrath seufzte und mochte wieder an Anderes denken, als er sich erkundigte, was denn die Kinder machten? Gleich darauf fiel ihm noch etwas anderes ein. »Aber, Charlotte, sage Sie, wie kam Sie nur darauf, und mit den Kindern! vors Thor zu laufen, dahin! Eine Hinrichtung ist ein unmoralisches Vergnügen, habe ich Ihr das nicht oft vorgestellt, es ist gegen die Humanität, ein Schauspiel, woran nur der rohe Pöbel Vergnügen finden kann.« »Sie haben schon ganz Recht, Herr Geheimrath, aber Sie hätten die Person sehen sollen, die Marianne; ganz schlooseweiß war sie, vom Kopf bis zum Fuß, und wie sie die Augen niederschlug, die Hände hielt sie so vor sich gefaltet! Und der Herr Prediger saß neben ihr, und noch oben sprach er mit ihr, und dann küsste sie ihm die Hand und knixte noch einmal vorher gegen uns Alle. Und die vornehmsten Herren in Thränen. Ach Herr Geheimrath, es war Ihnen etwas, ich sage Ihnen, es ging einem durch Mark und Bein, und Manche dachten, ach wenn du doch auch so sterben könntest, so den Herrn Prediger neben sich und ganz weiß, und Blumen, und die Putzmacherin, Mamsell Guichard an der Stechbahn, hatte ihr ein Tuch mit Spitzen geschenkt und die vornehmsten Personen weinten. Und ich habe sie auch gekannt die Marianne, und eyedem war sie keine schlechte Person.« »Sie hat mir davon erzählt. Aber nun ist sie eine Kindesmörderin.« »Und das ist schlecht von ihr, Herr Geheimrath; das wird auch kein Mensch abstreiten. Und wir haben's ihr alle vorhergesagt. An solchen Kerl sich zu hängen! Er war noch nicht einmal königlicher Stallknecht, da konnte er noch lange dienen. Und wenn er's geworden, ob er sie dann geheirathet hätte! Wenn's denn doch einmal sein sollte, wär's nur ein anständiger Herr gewesen, sagte ihre Tante. Der hätte doch fürs Kind bezahlt, und wenn er nicht wollte, da ist das Stadtgericht! Das weiß ich ja von meiner Cousine. Heirathen oder bezahlen! sagten der Herr Präsident. Da hat er auch gezahlt jeden Ersten, der Herr Hoflackirer, und wenn's bis zum Dritten nicht da war, auf der Stelle Exekution, jeden Monat. Beim zweiten hat er sich gar nicht erst verklagen lassen. Gleich gezahlt, o 's ist ein sehr reputirlicher Herr, das muß man ihm nachsagen, und wenn's dritte kommt, wer weiß, ob sie dann nicht schon unter der Haube ist. Denn seine Alte wird's ja nicht mehr lange machen, die hat er nur mit dem Geschäft geheirathet. Und warum sollte er sie nicht ins Haus nehmen? Ist ja sein purer Profit. Er kommt viel wohlfeiler fort, als wenn er Alimente zahlen muß. Aber ein Begräbniß wird er seiner Alten ausrichten – na, da könnte sich mancher Geheimrath schämen. Nein, das muß man ihm nachsagen, lumpen lässt sich der Herr Hoflackirer nicht; ist ein sehr reputabler Herr. – Und, wie gesagt, hübsch war die Marianne, so blaß und schön, und das Kind, blutroth hat's wie 'ne Schnur um den Hals gehabt.« »Und meine Kinder hat sie mitgenommen. Die unschuldigen Würmer! Sie Person Sie!« »Aber Herr Geheimrath, ich weiß auch nicht, wie Sie mir vorkommen. Es ist ja nur, daß die Kinder es einmal gesehen haben. Das ist ja fürs ganze Leben. So was kriegen sie nicht wieder zu sehen. Es soll ja kein Mensch mehr hingerichtet werden.« »Wer hat Ihr das wieder vorgeschwatzt?« »Sie können's mir ganz gewiß glauben, Herr Geheimrath. Das ist die letzte Hinrichtung, hat der König gesagt. Und sie haben ihn beinah zwingen müssen, daß er nur die Feder in die Hand nahm. Die junge schöne Königin hat geweint. Und da hat er sie gefragt: Aber Louise, warum weinst Du denn? Denn unter sich sagen sie immer du! und es kommt Einer zum Andern, ohne daß die Kammerherren anklopfen und sie melden, und darüber ist die Hofmarschallin, die alte Gräfin Voß, ganz aufgebracht. Aber das thut nun nichts. Es wird Alles noch ganz anders werden, sagen sie; und gar nicht wie beim Dicken. Die Livreen werden auch anders. Und alle Menschen sollen Brüder sein, und alle Frauenzimmer Schwestern ...« Der Geheimrath intonirte, wie durch eine Erinnerung geweckt, plötzlich das Lied, indem er mit den Fingern auf dem Knie den Takt schlug: »Wir Menschen sind ja alle Brüder. Vereinigt durch ein heilig Band, Du Schwester mit dem Leinwandmieder, Du Bruder mit dem Ordensband!« Das Kindermädchen warf einen schlauen Blick: »Gestern hinterm Gitterfenster auf dem Hofe – da sangen's Herr Geheimrath viel lauter.« Die Erwähnung schien dem Geheimrath unangenehm: »Das versteht Sie nicht. Es ist allerdings gegen die Humanität, einen Menschen ums Leben zu bringen. Aber, wie gesagt, das versteht Sie noch nicht, und das ist nur unter uns, und wie sollten wir denn die Spitzbuben los werden und die atrocen Menschen. Laß Sie sich also so was nicht einbilden, und die Königin –« »Ja, Herr Geheimrath, die Königin, das weiß ich expreß von Jemand, der es weiß, vom Commissar die Köchin, die hat beim Doktor, der die Hoflakaien kurirt, vorher gedient, und da hat sie's von der Mamsell, die beim Hofmarschall ist, mit eigenen Ohren gehört, zum König hat sie's gesagt, die Königin, sie könnte ihm ja keinen Kuß geben, weil seine Hände voll Blut wären, und nur diesmal, hat er gesagt, hätte er's thun müssen, weil's eine Kindesmörderin wäre, nämlich von wegen des Beispiels, weil's sonst Alle thäten. Aber dann soll Keiner mehr geköpft werden, und dies ist das letzte Mal, und darum verdienten's wohl die Kinder, daß ich sie hinführte, denn es soll auch gar kein Blut mehr fließen, und kein Krieg mehr sein, auf der ganzen Welt nicht, und der König hat's gesagt.« »Aber sage Sie mal, Sie ist doch eine vernünftige Person« – der Hausherr war aufgestanden, um ihr zu beweisen, daß sie diesmal unvernünftig sei. Das ist überall eine schwierige Aufgabe, wo die Person, welcher man es beweisen will, sich für vernünftig hält. Sie musste überdem eine gute Royalistin sein; denn auf die Vorstellung des Geheimrathes, daß so etwas gar nicht in des Königs Macht stehe, ja nicht in des Kaisers, auch nicht in der Macht des großen Feldherrn und Konsuls der Franzosen, erklärte sie, wozu denn ein König wäre, wenn er das nicht mal könne! Der König könne aber noch weit mehr, wenn er nur wolle; es gäbe aber Personen, die viel klüger sein wollten, als der König, und alles besser wissen und machen, und sie wisse auch, was sie gehört, und könnte manches sagen was Mancher nicht gern hörte. Und wer nur gestern Abend sein Ohr aufgehabt hätte im hintersten Hofe und unterm Gitterfenster gehorcht, was die Gefangenen gesungen. Davon könnte manches Vögelchen Lieder singen, die Manchermann gar hässlich klingen würden! »Sie unverschämtes – ich glaube gar, Sie hat getrunken!« »Ich getrunken! Habe ich das um den Herrn Geheimrath verdient, als ich gestern Abend gar nicht sah, wie Sie die Treppe herauskamen, die kleine Hintertreppe, und nicht wussten, wo die Thür war? Ich getrunken! Ein Glas Weißbier setzten mir der Herr Wachtmeister von Prinz Louis-Dragonern vor, und das trank ich, der Kinder wegen, denn wir waren außer Athem, weil die Leute so grausam drängten, und so hob der Herr Wachtmeister die Kinder über die Lyceumshecke, und ich quetschte mich durch die Hecke, und da sagte der Wachtmeister, ich sollte erst einen Pomeranzen mit ihm über die Lippen nehmen, weil ich so echauffirt wäre. Das kann der Wirth im blauen Himmel bezeugen; der sagte, wir zerträten ihm seine Hecke und er war betrunken. Aber wo wären wir alle, und die lieben Kinder, die schrien, daß es ein Gotts Erbarmen war; aber der Wachtmeister gab's dem Wirth, daß er mäuschenstill ward. Ich hätt's nicht gerathen, mit dem anzufangen. Er hat die Rheincampagne mitgemacht und trägt noch eine Kugel in der Schulter, Alles für seinen König! sagt er, und wenn Friede bleibt, kriegt er eine Civilanstellung.« Es war eine Veränderung in dem Geheimrath vorgegangen. Von Zorn keine Spur mehr in seinem Gesichte, als er aus der emaillirten Dose ein lange Prise Spaniol nahm, und mit dem Battisttuch den Tabak, der sich ausgestreut, von den Kleidungsstücken abklopfte, und »Ja, ja, so geht's in der Welt!« sagte. Man sah, zwischen Beiden hatte ein langer Verkehr eine Verständigung hervorgebracht, die gewissermaßen in hieroglyphischen Ausdrücken sich Luft machte. Und Jeder verstand den Andern. Offenbar war er an etwas erinnert worden, was er nicht liebte, und ebenso offenbar, daß Charlotte auf einen andern Gegenstand übergesprungen war, entweder, um ihm die Verlegenheit abzukürzen, oder weil dieser Gegenstand für sie einen Zweck hatte. Und doch schien der Geheimrath nicht recht zu wissen, was er sagen sollte, indem er mit einem Finger um den andern ein Rad schlug. »Ja, sieht Sie, Charlotte,« sagte er, »wer das wüsste, ob Friede bleibt, oder's wieder losgeht. – Und hat Sie auch das bedacht, ein Kavallerist riecht immer nach dem Stall« – wollte er sagen, oder hatte es gesagt – 2. Kapitel. Die Geheimräthin mit den spitzen Fingern Zweites Kapitel. Die Geheimräthin mit den spitzen Fingern. – Als die Seitenthür aufging, und die Geheimräthin Schwägerin hereinrauschte. Rauschte, sage ich, denn ihr hellseidenes Kleid, obgleich die Schleppe abgeschnitten, bauschte noch immer in reichen Falten hinter ihr. »Ich hoffe doch nicht zu derangiren,« sagte die Dame, als der Geheimrath in einiger Verlegenheit aufsprang, und die Spanioldose auf die Erde fiel. Wenn sich Charlotte in Verlegenheit gefühlt, fand sie Gelegenheit, sie zu verbergen, indem sie die Dose auflangte, und mit dem zusammengefegten Tabak in der Schürze das Zimmer verließ. »Wie kann meine theure Frau Schwägerin mich überraschen!« sagte der Ueberraschte. »Die Ueberraschung ist nicht ganz meine Schuld, denn der Herr Schwager hörten in dem konfidentiellen Gespräch, was ich zu meinem Bedauern stören musste, nicht mein Klopfen. Da musste ich endlich, ohne auf die Invitation zu warten, eintreten, denn ich liebe nicht das Lauschen.« Er drückte in verbindlicher Weise ihre Finger an die Lippen und führte sie auf das Canap é. Ob die Finger besonders spitz waren, kann ich für jetzt nicht sagen, denn sie waren in Tricothandschuhen versteckt, und während die eine Hand an den Lippen des Geheimraths ruhte, umfasste die andere den Fächer, um das Spiel zu beginnen, was bei einer Konversation auf dem Canapé nothwendig ist. Aber das ganze Gesicht war, was man spitz nennt. Vielleicht hätte man auch die kleine Gestalt der Dame so nennen mögen, indeß war ein Etwas darin, entweder nenne ich es Anmuth oder Elasticität, was diesen Eindruck verwischte, Alabasterarbeit hätte ein Dichter oder Künstler gesagt, der erst der Hauch des Gedankens oder Gefühls Farbe und Bewegung giebt. Weder jung noch alt, weder schön, noch eigentlich hübsch, konnten doch ihre dunkeln kleinen beweglichen Augen, wenn sie aus den blonden Augenbrauen besondere Blicke schossen, anziehen. Es war schwer zu sagen, wovon diese Blicke sprachen, ob von Verstand, Gefühl, Sinnlichkeit, ob sie stachen, suchten, lockten, ob sie aus einer beglückten oder zerissenen Brust kamen. Sie konnten einen sehr verschiedenen Glanz annehmen, nur nicht den der ursprünglichen Wahrheit, jenen Glanz, der auf den ersten Blick einnimmt und überzeugt. Man sah in diesen Augen, daß sich die Gedanken und Gefühle erst sammeln mussten, um ihrem Blick den Ausdruck zu geben, den sie wollte. Es war überhaupt etwas Besonderes in der Frau; es lag in ihrem Wesen Ruhe und Unruhe. Man konnte sie in diesem Augenblick für sehr bedeutend, im nächsten für ein gewöhnliches Weib halten. Ihre Kleidung war einfach aber gesucht; zwischen der zu Grabe getragenen Rokokomode und dem griechischen Ideal, das Mode geworden. Kurze eng anschmiegende Aermel, ein weit ausgeschnitten Kleid mit kurzer Taille, die eine rosaseidne Schärpe noch mehr hervorhob, aber ein Ueberwurf um die Schultern und die langen Handschuhe suchten die Entfaltung der griechischen Nacktheit wieder zu verbergen. Der Geheimrath entschuldigte sich wegen seiner Toilette. Er hatte Ursache. Die Geheimräthin sagte lächelnd, sie hätte für dieses Aeußerliche keinen Sinn. Aber während er seine Füße in den Pantoffeln zu verstecken suchte, ohne sich doch der Bemerkung enthalten zu können, daß er sich von ihnen nicht trennen könne, weil sie noch von seiner seligen Frau gestickt wären, verbarg die Geheimräthin keineswegs ihre sehr zierlichen Füße auf dem Schemel, als sie mit der sanften, fast süßen Stimme, durch die nur zuweilen ein seiner, schneidender Ton fuhr, sagte: »Man muß gestehen, daß der Herr Schwager die Treue gegen die selige Geheimräthin bis zum Exceß kultiviren.« »Und wie geht es denn meinem theuern Bruder, dem Geheimrath?« seufzte er. »Wir haben uns so lange nicht gesehen. Ach Gott, wir Geschäftsmänner!« »Er ist in seinen Büchern vergraben.« »Er kultivirt nicht das Leben,« fiel der Hausherr ein. »Ich hatte immer gehofft, daß eine so spirituelle Frau ihm einen Elan geben würde.« » Passons là-dessus, « sagte die Geheimräthin, mit einer eigenthümlichen Bewegung des Fächers. »Ich begreife freilich zuweilen nicht, warum eigentlich die Männer auf der Welt sind, die sich nichts aus ihr machen. Aber ich bin gewissermaßen in seinem Auftrage hier.« »Von einem Gelehrten wie er weiß ich diese Attention zu schätzen. Warum musste er aber neulich wieder ablehnen? Zu einer einfachen Suppe, à la fortune du pot, ein Paar gute Freunde nur.« »Lupinus sagt, er verdirbt sich bei Ihnen immer den Magen.« »Scherz, Scherz! Spanische Suppen kann ich freilich nicht vorsetzen, auch ist mein Malaga, mein Hochheimer, kein Falerner. Nichts als was ein armer Mann bieten kann. Müssen uns alle nach der Decke strecken, aber herzlich gegeben und – gut gekocht.« »Wenn Ihre Charlotte will, kocht sie trefflich,« sagte die Geheimräthin mit einem jener Blicke, von denen wir sprachen – »Sie werden sich schwer von ihr trennen können,« setzte sie langsam hinzu. »Sie wer den sich vielleicht nie von ihr trennen wollen.« Der Blick und die Beobachtung hatten für den Geheimrath etwas, was ihn aus seiner Ruhe brachte. »Liebste Schwägerin, in meiner Lage – in meinen Dienstverhältnissen, begreifen Sie, muß ich dann und wann kleine Diners arrangiren – man muß sich Freunde – man muß die Gönner warm halten. Einer hilft dem Andern. Es geht einmal nicht anders.« »Das begreife ich vollkommen,« sagte die Schwägerin mit dem gedehnteren Tone, »aber zu Ihren Diners bestellen Sie ja die Schüsseln beim Koch Corsika.« »Das wohl, in der Regel wenigstens, – indessen –« »Essen Sie auch gern zu Hause gut. Und damit Sie immer gut gekocht bekommen, ist Ihnen darum zu thun, daß Charlotte immer bei guter Laune ist. Der Kalkul ist richtig, nur verdenken Sie es Ihrer Familie nicht, wenn sie einen andern macht –« »Welchen, meine verehrteste Schwägerin?« » Mon beau-frère, « sagte die Geheimräthin, mit dem Fächer einige kurze bedeutungsvolle Schläge durch die Luft führend, »die Familie hofft, daß Sie ihr nicht den Chagrin anthun werden, die Person zu heirathen.« Der Geheimrath wurde roth, aber nicht sehr, er klatschte mit beiden flachen Händen auf die Kniee und seufzte: »Ja – man wird doch auch mit jedem Jahr älter. Und eine Pflege wie ich sie nur wünschen kann.« »Herr Geheimrath, aber eine Mesalliance!« » Mais, ma belle soeur! Adam war unser Aller Vater. Neulich am Klavier, ich hätte meine Schwester embrassiren mögen, Sie sangen es zu allerliebst: Als Adam grub und Eva spann Wer war denn da – der erste Geheimrath?« Er begleitete es durch ein angenehmes Gelächter. »Es ist also vollkommener Ernst!« »Ernst, theuerste Schwägerin! Ich hielt' es für einen deliciösen Scherz, wenn es von der Kanzel stürzte: Der königliche Herr Geheimrath Lupinus mit der ehrsamen Jungfrau Charlotte Philippine, Katharine, Tochter des ehrbaren –, was weiß ich, wer ihr Vater war, wenn sie einen hat. Ma belle soeur, wie hätten sie die Köpfe zusammen gesteckt, wie wären sie aus dem Dom gestürzt! Diese Gruppen unter den Pappeln, Nachmittags die Kaffeeklatsche. Und nun denken Sie sich, Schwägerin, Charlotte und ich im Wagen und unsre Vorfahrvisiten! Vierzehn Tage kein ander Gespräch. Und das Hochzeitmenuett! Sanft gebannt – an ihre Hand – durchs Leben – schweben!« Die Dame war sehr ruhig geworden: » Mais, mon beau-frère, warum haben Sie es aufgegeben?« » Mon Dieu, wer sagt Ihnen, daß ich es aufgab!« »Ein witziger Einfall, über den man nachdenkt, ist keiner mehr.« »Es geht doch nichts über einen sublimen Verstand. Ich werde mich hüten, sie zu heirathen.« »Ich bin jetzt ganz getröstet, wenn Sie es thun. Wirklich, lieber Schwager. Die Person hat gute Eigenschaften und Ihre Erziehung –« »Wenn ich sie heirathe, ist die Erziehung aus,« zischelte er ihr laut ins Ohr. »Sobald der Hochmuthsteufel in sie schießt, kocht sie nicht mehr, pflegt mich nicht mehr. Kurzum sie ist nicht mehr was sie ist, und darum müsste mich ja der – Excus! wenn ich meine gute Charlotte aufgäbe, um eine schlechte Geheimräthin draus zu machen. – Man wirft so gemüthliche Redensarten hin, möglich, es könnte sein – wenn nur nicht das und das wäre, wünscht ihr den besten Mann, aber klopft ihr auf die Schulter, sich nicht zu übereilen, es würde sich wohl noch alles anders und besser finden, als Mancher denkt. Et caetera. « Nach einer Pause, während sie auf ihre spitzen Finger gesehn, sagte die Geheimräthin: »Aber die Person ist auch klug. Sie merkt es. Lieber Schwager, kein Mann ist so klug, daß nicht eine Frau, die er beständig um sich hat, ihm die schwache Stunde abmerkt. Schlingen sind nun einmal die Waffen unserer Schwäche; es ist in der Natur. Entweder entschließen Sie sich und heirathen sie, oder brechen Sie schnell.« »Das kann ich nicht, c'est absolument impossible! 'S ist wahr, Corsika kocht gut, 's kocht keiner so in Berlin. Das heißt en general – mais –! Was hilft mir das, wenn die Gäste fortgehen und sagen: es war alles recht fein, aber man weiß von nichts besonderm zu sprechen, nichts hat einen Eindruck hinterlassen. Das ist gleichsam ein verlorener Tag. In der Charlotte, verzeihen Sie mir, ist ein Genie. 'S ist nicht zu leugnen, Manches verdirbt sie, aber plötzlich mit einem Elan hat sie eine Komposition gefunden, parbleu! Erinnern Sie sich noch des Rebhühnerfricassés mit farcirten Trüffeln! Da war doch nur eine Stimme. Noch acht Tage drauf, als wir bei Excellenz Schulenburg-Kehnert am Tisch saßen, sprach Lombard davon. Sein Koch hat's versucht, der Englische Gesandte auch, es schickten noch mehrere ihre Köche. Warten Sie – ça ne fait rien. Es hat's Keiner rausgekriegt. Und wär's auch nur um Lombards Willen. Es war ein glücklicher Tag, als er mir beim Abschied die Hand drückte. Ich weiß es, Lombard hat viele Feinde, aber in der Freundschaft und – und in gewissen Ideen hat er eine gewisse constance, persévérance. Man kann wohl sagen, 's ist ein Mann von einem nobeln Esprit, ein Mann comme il faut. « »Schade, daß Lombard verreist ist,« sagte die Geheimräthin, »ich meine schade für Sie.« Es war wieder ein so eigener Ton, eiskalt und bitter wie der Blick, der den Geheimrath traf – und sie brach so scharf ab, daß die Wärme und Gemüthlichkeit, welche die Erinnerung der Trüffeln und Rebhühner angeregt, plötzlich gedämpft war. »Mein Gott, belle soeur, Sie kommen –« »Von meinem Mann geschickt. Was ist denn das mit den Gefangenen in der Vogtei, und den eingeschmissenen Fensterscheiben? Mein Mann hofft, daß Sie dabei außer dem Spiele sind.« Wir wissen, daß diese Erinnerung für den Geheimrath zu den unangenehmen gehörte. Die Rosenlinien der Freude verzogen sich auf seinem Gesicht in graue Runzeln. Er schlug auch etwas die Augen nieder. » Ma belle-soeur wissen, daß ich immer ein Herz habe für die Leiden der Menschheit. Was an mir ist, thue ich, um das Schicksal der armen Gefangenen zu erleichtern.« »Sie sollen unerhörte Freiheiten genießen. Neulich bei Präsident Kircheisen ward behauptet, sie kämen Abends frei zusammen und spielten Hazardspiele, ja Einer hielte förmlich Bank.« »Um die Humanität zu fördern drücke ich ein Auge zu. Die inneren Thüren lassen sie sich zuweilen aufschließen. Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei, und unter Gottes Himmel sind wir Alle –« »Und zwischen den Mauern der Vogtei!« fiel die Geheimräthin ein. »Gestern Abend –« »Sehn Sie, theuerste Schwägerin, da hatte ich eine rechte Freude. Sie schickten eine Deputation an mich mit der Bitte, ihnen eine kleine, gewissermaßen religiöse Celebration zu gestatten. Da morgen, als heute, ein menschliches Mitwesen, eine irrende Schwester, gewaltsam aus dieser Welt gerissen werden sollte, wollten sie den Abend nicht ohne stille, ich möchte sagen sympathetische Betrachtung hingehen lassen. Ich war wirklich gerührt über dieses Zeichen edler Empfindung unter meinen Kindern, wie ich sie gern nenne.« »Sie waren also selbst bei dem – sogenannten Festin?« »Sie erzeigten mir die Ehre mich einzuladen. Ach, aber so bescheiden. Und ich versichere Sie, ich fand eine Stimmung, die einer Kirche Ehre gemacht. Und die Arrangements so sinnreich und einfach. Der Regimentsquartiermeister, der bei der Lichtenau da im Marmorpalais als Dekorateur und Maschinist gearbeitet hatte – ein unglücklicher Mensch, er mag geirrt haben, wer irrt nicht! – konnte um lumpige 10,000 Thaler die Quittungen nicht aufweisen! Lieber Gott, wenn man für Alles Quittungen verlangte, was zur Zeit der Comteß Lichtenau ausgegeben ist! Ein charmanter Mann sonst, sage ich Ihnen, von so philosophischer Ruhe. – Das kleine Zimmer war griechisch drapirt, et aussi un peu gothique. Hinten ein Opferaltar; in Spiritus brannten die Flammen empor zu dem Triangel, aus welchem das Auge der Allwissenheit auf uns herabblickte. Der Rendant vom Salzsteueramt –« »Der in Hamburg ergriffen ward, als er sich einschiffen wollte?« »Ein Opfer der Mißverständnisse. Er hatte die beste Absicht, von London aus den kleinen Irrthum auszugleichen, – sonst ein Mann von Charakter, sublimen Ideen, ist auch Maçon. In einem weißen Talar, eine Binde um die Stirn, hielt er eine Rede; ich wünschte, Sie hätten sie gehört; wie ließ er die irrende Schwester beten! Ach aber, wie das kleine Kind, das der Mutter voraufgegangen, die Arme ausbreitete und im Namen der Allmacht sprach: Mutter, Dir ist vergeben! die Seligen warten auf Dich! – da blieb kein Auge trocken.« »Und nachher haben sie getrunken?« »Die Gesellschaft hatte einige Flaschen besorgt. Das Herz schloß sich unwillkürlich auf. Man durfte sich doch nicht lumpen lassen. Ich ließ ein Dutzend Hochheimer bringen. Ich sage Ihnen, diese Empfindungen, die sich da aufschlossen! Da war doch kein böser Gedanke, nichts als die reinste, allgemeine Menschenliebe, und wäre nicht der verlorene Mensch, der Sohn des Geheimraths Bovillard, dazwischen gekommen, so wäre auch alles ganz gut abgelaufen.« »Lässt ihn der Vater noch immer einsperren?« »Nein, er sitzt jetzt wegen des letzten Skandals mit dem Gensdarmerie-Offizier. Dieser Taugenichts verdirbt mir eigentlich die Harmonie in meiner Gesellschaft. Indessen man hat doch Rücksichten wegen des Vaters.« »Gewiß, und sehr ernste.« »Und unser Hofrath Süßring, Sie kennen den exzentrischen Kopf. – Bös ist er nicht, nur wenn er etwas im Kopfe hat. Ich vergaß Ihnen zu sagen, man war so froh geworden, man sah das Opferfeuer brennen. Man wollte sich daran wärmen. Man machte den Vorschlag, an der Flamme das Getränk der Freiheit zu brauen, das aromatische der Engländer, das unser Schiller so herrlich besungen hat – Vier Elemente, innig gesellt!« »Man kochte eine Bowle Punsch, das weiß ich auch, und sehr starken.« »Süßring, der eigentlich in Glatz sitzen soll, aber er ist kränklich und kann die freie Bergluft nicht vertragen. Belle-soeur wissen ja, durch welche Konnexionen – und er ist auch eigentlich unschuldig. Es war nur der Punsch. Sprang er plötzlich auf den Tisch –« »Und hielt eine seiner bekannten republikanischen Reden.« »Es sollten keine Kerker und Festungen mehr sein, die Eisenstäbe sollte man zerbrechen und die Schwerter auch, und als er das Lied sang und wir einfielen: Allen Sündern soll vergeben Und die Hölle nicht mehr sein!« »Da schmissen sie mit den Gläsern die Fenster ein.« »Nein, da sprang Bovillard erst auf den Tisch. Den eigentlichen Zusammenhang weiß ich wirklich nicht mehr, aber in seiner Barocksprache rief der tolle junge Mensch: wenn wir die Hölle zerstörten, wo wir denn bleiben wollten! Nun, ich sage Ihnen, einen Gallimathias plein de romantique, daß uns Hören und Sehen verging.« »Ich glaube Ihnen wirklich, daß Sie beides nicht mehr konnten.« »Durch die Unart dieses einen einzigen Menschen ward uns ein Abend gestört – meine Schwester, das Menschenleben ist nicht reich an solchen Abenden voll Harmonie der Seelen. Und der Mond stand draußen und schien so friedlich durchs Gitterfenster.« »Der Mond wird auch vermuthlich stehen geblieben sein,« sagte die Geheimräthin aufstehend, »wo blieben denn aber der Herr Schwager?« Sie machte Miene zum Gehen und er beugte sich, um wieder ihre Hand an die Lippen zu führen: » Homo sum, nil humani a me alienum puto, sagt Terenz, theuerste Schwägerin. Fragen Sie meinen Bruder, was das heißt. Im Uebrigen – abgeschüttelt!« »Meinen Sie, Geheimrath? In der Stadt ist man anderer Meinung. Man spricht davon, daß Sie die Ihnen obliegende surveillance über die Gefangenen schlecht beobachtet.« »Man hat schon viel über mich gesprochen. Qu'importe! « »Wenn man aber auch bei Hofe davon spricht. Auch im Palais. Auch wenn der König entrüstet ist. Auch wenn Kabinetsrath Beyme auf der Stelle an den Justizminister schreiben müssen, daß die Sache untersucht wird. Herr Schwager, es ist kein Spaß, warum ich hier bin, es handelt sich um Ihre Existenz.« Der Geheimrath war zusammengefahren wie die Sinnpflanze bei der menschlichen Berührung. Sein Gesicht war blaß, seine Vollmondswangen schienen wie welk herabgesunken. Er öffnete die Lippen und wollte sprechen, aber die Zähne, die in eine unwillkürliche Berührung geriethen, stammelten nur die Formel: »Mein allerdurchlauchtigster König, mein allergnädigster König und Herr!« »Ist eine Natur, die wir Alle eigentlich noch nicht kennen, aber in gewissen Dingen hat er sich außerordentlich streng gezeigt.« So sagte die Geheimräthin Schwägerin, die ruhig vor dem Zerknickten stand. Der Geheimrath stammelte noch etwas von geheimen Feinden, und nachdem er einige Schritte gethan, fiel er auf seinen Armsessel. »Von Feinden weiß ich nichts,« sagte die Schwägerin, »im Gegentheil, Sie haben sich viele Freunde durch Ihre Diners gemacht, und es trifft sich nur sehr unglücklich, daß Lombard nach Frankreich ist. Aber sich in den Sorgenstuhl zu werfen, ist nicht Zeit, mon beau-frère! Ihre Freunde können wenig, Sie müssen selbst etwas thun, und auf der Stelle. Ihr Zopf ist noch gut, die Frisur passirt für den Abend. Werfen Sie sich in Ihr Habillement.« »Mein Gott, doch nicht zu Seiner Majestät!« rief er aufspringend und rang die Hände. »Auch nicht zum Justizminister. Ich rathe Ihnen auch nicht, Haugwitz zu inkommodiren. Aber zu Bovillard müssen Sie. Schnell, schnell, Herr Geheimrath. Er vertritt Lombard beim Minister Mein Mann hat schon etwas vorgearbeitet.« »Zu Bovillard! ja, zu Bovillard! Aber, mein Gott, was wird er sagen!« »Wenn Sie von seinem Sohne sprechen, wenn Sie auf ihn die Schuld schieben wollen, würden Sie alles verderben. Sie müssen ihn ganz ignoriren. Verstehen Sie mich; diese Schonung kann nur den Vater gewinnen, denn Vater bleibt er. Daß er von ihm erfahren soll, überlassen Sie Andern. Sie exkulpiren sich nur für sich. Das Wie überlaß ich Ihrem Genie, wie Sie jetzt Ihrer Toilette.« Sie war hinausgerauscht und der Geheimrath wankte nach seinem Kleiderschrank. 3. Kapitel. Eine Heimfahrt Drittes Kapitel. Eine Heimfahrt. Die Geheimräthin stieg die Hintertreppe hinab, auf der sie gekommen. Sie ging langsam, oft, schien es, in Gedanken versinkend. Auf dem Podest blieb sie stehen, von wo man einen Blick durch ein Wandfenster in die Küche hat. Charlotte spielte mit den Kindern, oder vielmehr die Kinder spielten mit Charlotte. Sie zupften sie vom Herde fort. Malwine wollte ihr etwas ins Ohr sagen, derweil kletterte das Fritzchen heimlich auf den Herd und schüttete die Salzmetze in die Kasserolle. Malwine fing plötzlich an zu lachen und ätschte das Mädchen aus, Fritzchen war mit einem Satz vom Herde auf ihrem Rücken und umschlang ihren Nacken mit den Armen. Sie sträubte sich, schimpfte und suchte den Alp los zu werden, die Kinder tobten, sie schlug. Eine charmante Erziehungsscene, dachte die Geheimräthin und unwillkürlich entschlüpfte es ihren Lippen: »Es wäre eigentlich nicht so übel, wenn der liebe Gott die Kinder zu sich nähme!« »Warum den inkommodiren!« sagte eine Stimme dicht hinter ihr. Ein Fremder, in seinen Mantel geschlungen, der vom Regen triefte, stand auf der Stufe neben ihr. Sie hatte ihn nicht bemerkt, als er vom Hofe die Treppe heraufkam. Auch erlaubten ihr die hereinbrechende Dunkelheit und der Mantelkragen nicht, das Gesicht zu sehen, als er im Vorbeigehen den Hut lüftete. Es lag etwas Unheimliches für sie in der Begegnung. Wer lässt sich gern in seinen Gedanken belauschen. »Wenn nur keine schädliche Substanz in dem Gefäß war,« setzte der Fremde hinzu. »Wie meinen Sie das?« »Der Muthwille der Kinder könnte unschuldige Personen in Verdacht bringen.« »Das einzige Unglück wäre doch nur, daß er heut Abend eine versalzene Suppe auf den Tisch bekommt,« bemerkte die Geheimräthin, die, schnell zu sich gekommen, ihre Unruhe nicht merken ließ. »So treffe ich den Geheimrath zu Hause, was mir sehr angenehm ist,« entgegnete der Fremde, noch einmal den Hut anfassend, um die Treppe hinaufzusteigen. »Dies ist nicht der eigentliche Weg zu ihm,« konnte die Geheimräthin sich nicht enthalten zu bemerken. »Auf der Vordertreppe begegnen Sie der Bedienung, um sich melden zu lassen.« »Meine Botschaft kommt wohl gelegener über die Hintertreppe.« »Auch wenn er zu Hause wäre, zweifle ich, daß ihm überhaupt Besuch gelegen kommt, da er selbst im Begriff ist, einen zu machen.« »Ich weiß es,« entgegnete der Fremde, »und wenn auch nicht mein Besuch, wird ihm doch mein Rath nicht ungelegen kommen. Ich habe die Ehre, mich der Frau Geheimräthin gehorsamst zu empfehlen!« »Seltsam!« sprach die Geheimräthin für sich, als der Fremde mit sichern, leichten Schritten die Treppe hinaufgestiegen war. »Er kennt mich. Wer ist er? Er kommt gewiß in der Angelegenheit – was kann er aber für Rath bringen!« »An der Hofthür stürzte ihr ein gewaltiger Platzregen entgegen. Ihre Kutsche hielt auf der Straße vor der Hausthür. Sie überlegte, ob sie einen Versuch machen sollte, durch die wahrscheinlich schon verschlossenen Bureaus sich einen trockneren Weg nach dem großen Hausflur zu suchen, als ihr Bedienter mit einem Regenschirm ihr entgegen trat. Auf ihr Befremden darüber, da sie beim Ausfahren keinen mitgenommen, antwortete der Diener, der fremde Herr, welcher eben durchgegangen, habe ihm den seinen zurückgelassen, mit der Bemerkung, ihn für die Frau Geheimräthin zu benutzen, damit sie über den Hof in ihren Wagen könne.« »Kennt Er den Herrn?« fragte sie beim Einsteigen. »Ich habe ihn nie gesehen.« »Seltsam!« wiederholte die Geheimräthin nachdenkend. Nicht alle Gedanken drücken sich auf dem Spiegel des Gesichts aus, und in einer dunklen Kutsche, nur erhellt von einem ungewissen Laternenlicht, wenn der Regen gegen die Fenster schlägt, lässt sich auf diesem Spiegel noch weniger lesen. Dem Dichter ist es indeß zuweilen vergönnt, eine andere Sonde in die Brust zu senken, wie er ja auch Geister und Träume citirt, wo er der Vermittler zwischen dem Reich des Unsichtbaren und des Sichtbaren bedarf. Sie sann dem Fremden nach. Seine äußeren Umrisse waren ihr verwischt, nur war es ein blasses Gesicht mit scharfen, tiefliegenden Augen, dessen konnte sie sich entsinnen. Sie hatte ihn noch nie gesehen. Doch es waren damals viele Fremden in Berlin; auch hatte der Ton seiner Stimme etwas Ausländisches. Aber was wollte er bei ihrem Schwager? Wirklich einen guten Rath geben? Wenn auch der Geheimrath nicht eben persönliche Feinde hatte waren doch Viele, die auf sein einträgliches Amt lauerten. Weshalb sollte sich ein Fremder gedrungen fühlen, gerade ihrem Schwager zu helfen! Aber sie vertiefte sich im Aufzählen, wer wohl ihm auf den Dienst lauern könnte, bis ein leises Gelächter aus ihren feinen Lippen brach. Die Geheimräthin fragte sich, woher denn ihr eigener Antheil an dem Geschick des Geheimrathes kam? – Achtete sie ihn? liebte sie ihn? Oder weil er der Bruder ihres Mannes war? Was war ihr ihr Mann? – Ein Mann, der sich in seiner Bücherstube vergrub, wo die Welt umher für ihn lachte! Man hätte jetzt eine Röthe sehen können über ihr blasses Gesicht steigen. Und um eine solche Familie Sorge und Anstrengung, darum Intriguen, damit eines ihrer Mitglieder nicht zu Schaden komme! Sie kam sich selbst in dem Augenblick so ordinair vor. Die Kutsche hielt vor ihrem Hause. Der Diener öffnete den Schlag. Er schien aus ihren Mienen ihre Bestimmung lesen zu wollen. Sie warf einen Blick auf die erleuchteten Fenster: »Herr Geheimrath erwarten Frau Geheimräthin zum Piquet.« – Sie hatte schon einen Fuß auf dem Tritt und blieb einen kurzen Augenblick stehen, als thue der Regen, der in unverminderter Heftigkeit fiel, ihr wohl, dann warf sie sich in den Wagen zurück und befahl: »In die Komödie!« Die Stadt war noch immer aufgeregt von dem Schauspiel am Mittage. Es war seit lange keine Hinrichtung vorgefallen. Die Heimgekehrten kamen erst jetzt aus den Schenken zurück, es gab mancherlei Unruhe, kleine Aufläufe, Verhaftungen. Der Kutscher zog es, der tobenden Menschenschwärme wegen, vor, durch eine der Quergassen zu fahren, welche herrschaftliche Equipagen sonst vermeiden. Auch hier stopften sich die Fuhrwerke, und die Dame hatte Gelegenheit, durch die Kutschenfenster ein Schauspiel zu betrachten, was Frauen ihres Standes sonst nicht aufsuchen – an den hell erleuchteten und grell drapirten Fenstern der kleinen Häuser die Schönheiten, welche sich den Vorübergehenden zur Schau stellen. Sie schlug die Augen nicht nieder und wandte den Blick nicht ab. Sie fühlte auch kein Mitleid mit den armen Geschöpfen: Sie schlürfen des Lebens Gluth in vollen Zügen, aus einem Taumel in den andern gestürzt, kaum dazwischen erwachend, bis sie verwelken und man sie fortwirft. Und das ist unser Aller Loos – ob früher, ob später? Was kommt es darauf an. Wer nur sagen kann: er hat sein Leben genossen! Das Komödienhaus war nicht gefüllt. Die Geheimräthin saß allein in ihrer Loge. Ihr schien das Haus dunkel. Es war nicht dunkler als gewöhnlich. Die Talglichter, die der Lampenputzer vor den Augen des Publikums ansteckte, duldeten auch keinen entfernten Vergleich mit dem Glanz der Theater von heut. Man sah wohl damals schärfer, denn man sah mehr, aber das Licht kam aus der Darstellung, versichern uns Die, welche aus jener Zeit das deutsche Theater kennen. Für die Geheimräthin aber blieb es dunkel, obgleich Fleck als Odoardo seine ganze adlige Kraft entfaltete, die spätere Händel-Schütz als Orsina das Publikum entzückte. Lessings Meisterwerk schien ihr an einem Etwas zu lahmen, das sie sich nicht erklären konnte; der jungen Schauspielerin, welche die Emilie zum ersten Male gab, hätte sie nachhelfen mögen. Wenn sie sich Rechenschaft gab, war es aber nicht die Schauspielerin, sondern sie hätte ihrer Rolle, ihrem Charakter eine andere Richtung geben mögen. Ihre Phantasie beschäftigte sich, eine welche andere Rolle Emilie spielen können, selbst glücklich und beglückend, glänzend und Glanz um sich verbreitend, wenn sie den Pulsen folgte, die für den Prinzen schlugen. Eine welche andere Herrschaft über ihn blühte ihr als der stolzen Orsina, vermöge ihres Liebreizes, ihrer geistigen Vorzüge. Sie hatte es in ihrer Macht, auch dieses Prinzen Wankelmuth zu fesseln, und Tausende, ein ganzes Land glucklich zu machen. Und alles das vernichtet ein plumper Dolchstoß, der alle unglücklich macht und – die Thörin bat selbst darum! Die Geheimräthin war gewohnt, in ihrer Loge Besuche zu empfangen. Entweder zeigte sich heut kein Bekannter, oder sie hielten sich entfernt. In einer Loge gegenüber, wo eine neu angekommene Schauspielerin von Ruf saß, hörte das Klappern der Logenthür nicht auf. Ihr war diese Störung unangenehm, das Schauspiel fing an sie zu langweilen. Sie besann sich, daß sie zwar die Einladung zu einer Gesellschaft heut Abend nicht angenommen, aber auch nicht abgelehnt hatte. Sie hatte nur gesagt, sie fürchte einer Migraine wegen nicht erscheinen zu können. Sie hatte, oder wollte jetzt keine Migraine haben und verließ die Loge. Der Bediente hielt schon im Korridor ihre Enveloppe bereit. »Er zittert ja.« Sie hätte kaum nöthig gehabt, sich nach dem Grund zu erkundigen, der Bediente war ja noch in denselben ganz durchnässten Kleidern, in welchen er auf dem langen Doppelwege aufgestanden. Der zugigte Korridor hinter den Logen war nicht geeignet, die Naßkälte zu vertreiben. Johann sagte, das Fieber sei noch immer nicht ganz fort. Die Geheimräthin erwiderte nicht unfreundlich, er müsste endlich etwas dazu thun. Der Regen goß noch immer in Strömen, als sie wieder in die Kutsche stieg und Johann hinten auf. Der arme Mensch! dachte die Geheimräthin. Seltsam, daß es so sein muß! Es musste so sein; über diesen Damm kam sie nicht hinweg, ja sie lächelte über den närrischen Gedanken, daß sie Johann auffordern könnte, sich in den Wagen zu setzen. Aber sie dachte über die Zukunft des Menschen nach. Er litt nicht vom Regen, sondern an einer inneren Krankheit, deren gelegentliche Ausbrüche nur in Fieberanfällen sich zeigten. Sie glaubte etwas von der Arzneikunde zu verstehen und den Schluß ziehen zu dürfen, daß er nie vollständig genesen werde. Was wird nun aus solchem Menschen? Eine Zeitlang hält man es noch mit ihm aus. Wenn er aber immer wieder zurückfällt, muß man ihn entlassen. Dann findet er wohl noch einen Dienst. Aber auf wie lange? Die neuen Herrschaften werden nicht so lange Geduld mit ihm haben. Er wandert ins Krankenhaus, vielleicht ins Spital, vielleicht auf die Gasse. Und wäre es ihm nicht besser, wenn er durch einen Blutsturz, eine radikale Erkältung ein rasches Ende fände? Er ist auch eine verfehlte Existenz! Sie schauderte und verfiel in ein Sinnen, dem die Ausdrücke fehlten, bis der Wagen vor dem erleuchteten Hause hielt. 4. Kapitel. Hier politisch, dort poetisch Viertes Kapitel. Hier politisch, dort poetisch. Der Eintritt der Geheimräthin in die Gesellschaft erregte einen allgemeinen Aufstand; es schien ein froher. Man hatte sie nicht mehr erwartet. Die Wirthin und einige Damen embrassirten sie; die älteren Herren bemühten sich, ihr die Hand zu küssen: »Nein das ist hübsch und liebenswürdig von Ihnen, uns doch noch zu überraschen!« – »Es wäre ein halber verlorener Abend gewesen ohne die Frau Geheimräthin,« sagte der Wirth. Ein Dritter: »Je später der Abend, so schöner die Gäste.« Es war eine ansehnliche, aber etwas bunte Gesellschaft, vielleicht eine, wo die Wirthe auch solche Verwandte und Bekannte gebeten haben, welche sonst sagen konnten: »Zu so etwas werden wir nicht eingeladen!« Die Geheimräthin war von der zuvorkommendsten Freundlichkeit. Man konnte auf den ersten Blick annehmen, daß sie, wenn nicht an Stand und Vermögen, doch von Natur und Bildung von feinerer Art, ein Wesen war, was man so gewöhnlich ein höheres nennt, wenn es in Kreise tritt, die sich ihrer Gewöhnlichkeit bewusst sind. Der Neid, den es hervorruft, zeigt sich in der Regel erst dann, wenn dies vornehme Wesen seine Eigenschaften geltend machen will. Dies war bei der Geheimräthin nicht der Fall. Sie konnte nicht liebenswürdiger, bescheidener, gewissermaßen harmonischer zur Gesellschaft auftreten; sie bedauerte so sehr den Aufstand, den sie erregt. »Aber warum ist Ihr lieber Mann nicht mitgekommen? Wir sind ihm zwar unendlich verbunden, daß er sich entschlossen, unsere Frau Geheimräthin uns zu gönnen, aber es wäre doch hübsch gewesen, wenn er sich selbst entschlossen. Das hätte erst unsere Freude vollkommen gemacht.« »Sie thun meinem Manne Unrecht,« entgegnete die Angekommene. »Wenn es nach ihm gegangen, wäre ich längst hier. Er kann es nicht sehen, wenn ich ein Vergnügen seinetwegen entbehre. Aber liebe Frau Geheimräthin,« – die Wirthin nämlich war auch eine Geheimräthin – »Sie glauben nicht, wie er jetzt mit Arbeiten überhäuft ist, und ich sehe mit wahrer Angst, wie er sich dabei anstrengt, daß sein Kopfleiden wieder heraustritt. So machte ich mir ein Gewissen daraus, ihn heut zu verlassen. Aber er hatte keine Ruhe. Wir wollten Piquet spielen; da legte er mit dem freundlichen Blicke, dem man nicht widerstehen kann, die Karten weg, streichelte mir über die Backe und sagte: Liebe Ulrike, ich werde viel mehr Ruhe haben, wenn ich Dich in heiterer, lieber Gesellschaft weiß. Du musst Dich aufheitern nur um meinetwillen. Da kann man denn nicht widerstehen.« »Man muß gestehen, unsere Frau Geheimräthin Lupinus ist das Muster einer Hausfrau,« sagte der Wirth, »und diese Ehe eine exemplarische. Man wird nicht viele in Berlin so finden.« »Mit Ausnahme jedoch!« sagte die Geheimräthin Wirthin, und die Geheimräthin Gast schlang sanft den Arm um ihre Schulter: »Ich kenne eine Ausnahme. Was unsere Ehe betrifft, so möchte ich ihr nur darin einen kleinen Vorzug beimessen, daß wir uns so innig verstehen, ohne es auszusprechen. Wir gehen eigentlich Jeder seinen eigenen Weg, was gewiß zu Mißdeutungen Anlaß giebt, aber Jeder fühlt für den Andern mit, er verfolgt ihn still in den Gedanken, Jeder ist unsichtbar beim Andern. Wir wissen oft nicht, woher diese Sympathie kommt, doch sie ist da. So in diesem Augenblick. Das Vergnügen, in dieser liebenswürdigen Gesellschaft zu sein, ist mir gestört, weil ich weiß, mein Mann hat nicht die Augen geschlossen und ruht nicht, wie er mir versprach, im Lehnstuhl aus, sondern er hat wieder seine Folianten vorgenommen, er vergleicht zwei alte Handschriften, er bückt sich über, er drückt die Feder, während der Angstschweiß ihm von der Stirne träuft, weil er sich die Abweichung einer Lesart nicht erklären kann. Ich sehe das Alles so deutlich vor mir, wie den Pique-As in Ihrer Hand –« Sie fuhr sich leicht über die Stirn und erschrak über den Eindruck, den ihre Rede gemacht. Dabei kam ihr zu Sinn, daß die Gesellschaft ja durch sie vom Spieltisch zurückgehalten werde. Sie bat um Entschuldigung wegen ihrer unzeitigen Herzenseröffnung. »Was kann eine schöne Seele Schöneres thun, als Andere ihre Empfindungen mitempfinden lassen,« lispelte eine Seele, die sich wohl selbst für schön hielt. »Nennen Sie es lieber eine Schwäche,« schüttelte die Geheimräthin den Kopf. »Die Welt will nicht, daß wir uns geben, wie wir sind, und die Welt hat im Grunde Recht.« Nun aber hatte sie auch keine Ruhe, als bis die Herrschaften sich niedergesetzt. Ein heiteres Vergnügen zu stören, erschien ihr immer wie eine Todsünde. Sie hatte Recht. Wer die Karte zur Whistpartie in der Hand hält, lässt sich ungern stören, am wenigsten durch Hergensergüsse einer schönen Seele. Einige hatten die Geheimräthin schon immer für eine Clairvoyante gehalten; die Clairvoyance war in der Mode. Andere meinten, sie sei nur von einer außerordentlich reizbaren nervösen Complexion. Man bedauerte sie, es gab wohl auch Andere, die sie darum beneideten. Hier lobte man sie, wie schonend sie das Verhältniß zu ihrem Ehemann darzustellen wisse, da Jedermann bekannt sei, ein wie eigensinniger Stubengelehrter der Geheimrath wäre. Sie sei gewissermaßen eine Märtyrerin ihres feinen Sentiments. Er bereite und gönne ihr kein Vergnügen, was sie sich nicht abstehle. Eine Andere rief: »Und wie unrecht von ihm, denn von ihr kommt doch das Geld!« Es war eine glänzende Gesellschaft aus den höheren Kreisen des mittleren Lebens. Aber man muß an eine Gesellschaft aus dem Anfang dieses Jahrhunderts ebensowenig den Maßstab des Glanzes von heut legen, als an die Komödienhäuser von damals den unserer Theater. Der Vergleich geht vielleicht noch weiter. Die Kleiderstoffe und Geschirre waren kostbarer, gediegener und dauerhaltiger, aber im künstlichen Ausbeuten und geschickten Zerlegen des Stoffes, damit jeder Theil seine Wirkung, erhalte, haben wir es weiter gebracht. Trifft das vielleicht auch auf die Unterhaltung zu? – Aber gar keinen Vergleich duldeten die Räumlichkeiten. Unsere Bürgerhäuser werden Paläste. Diese hohen Räume, die gewaltigen Fenster und Flügelthüren, welche den Zimmern die Wände stehlen, fand man zu Anfang dieses Jahrhunderts nur in den wenigen aristokratischen Häusern der nenen Stadt. Die vornehmen Bürgerhäuser in den Vierteln der Friedrichsstadt aus Friedrichs Zeit haben zum Theil anspruchsvolle Fa ç aden, im Innern ist alles klein und zugemessen. Die niedrigen Zimmer liefen eines in das andere; dennoch blieb der Wohnung etwas wohnliches, weil Flügelthüren und Fenster nicht die Räume unnatürlich verkürzten und der Mensch Platz für sich und seine Sachen an den Wänden fand, und trauliche Winkel, sich zu verlieren. Wovon man sich unterhielt? – Wer fasst die zückenden Irrlichter zusammen, die von Mund zu Munde hüpfen. Und in einer gemischten Gesellschaft! Hier politisch, dort poetisch, Regelrecht wie ein Lineal, Philosophisch und Aesthetisch Krümmend hier sich wie der Aal, Sprudelnd wie der Dampf vom Theetisch, Aber überall trivial. hat ein späterer Dichter sie beschrieben. Ob die Geheimräthin sie auch so fand? Sie wechselte oft die Gruppen. Hier der ewige Streit, ob Goethe oder Schiller ein größerer Dichter, sei? In diesen Kreisen war es längst entschieden. Welcher Mann von Bildung hätte zarten Lippen widersprochen, welche dem Dichter, der gesungen: Ehret die Frauen, sie flechten und weben Himmlische Rosen ins irdische Leben. den Preis zuerkannten! Es war nur seltsam, daß der Streit trotz der Entscheidung, immer wieder von Neuem aufgeworfen werden konnte. Eine Geheimräthin – es war aber eine dritte Geheimräthin – stellte sogar die Behauptung auf, während jede Seite in Schiller wenigstens ein nobles Sentiment enthalte, wisse sie keine einzige Sentenz in Goethe, welche die Seele rührt und erhebt. Dies fand doch Widerspruch, und man citirte aus der Iphigenie die Verse: Wehe dem, der fern von Eltern und Geschwistern, Ein einsam Leben führt, ihm zehrt der Gram Das nächste Glück von seinen Lippen weg. Ihm schwärmen abwärts immer die Gedanken Nach seines Vaters Hallen, wo die Sonne Zuerst den Himmel vor ihm aufschloß, wo Sich Mitgeborne spielend fest und fester Mit sanften Banden aneinander knüpften. Ein junger Mann mit blassem, ernstem aber etwas eingefallenem Gesicht recitirte die Verse mit Ausdruck. Man schwieg eine Weile. Als die Geheimräthin sie schön fand, drückten Alle ihre Bewunderung aus. Eine Dame hatte bis da geglaubt, sie rührten von Schiller her, sie hatte die Erhabenheit des Gefühls Goethe nicht zugetraut. Doch bemerkte sie, die Verse ründeten sich nicht so wie bei Schiller, und bei aller Schönheit fehle ihnen der schmeichelhafte Klang des Gefühls. »Aber er liegt in unserer Seele, und fühlt das Weh, das uns in der einsamen Brust verzehrt,« hatte die Geheimräthin gesagt, als sie sich abwandte. Man schien sich zu fragen, was sie damit meine? Ein alter Hofrath antwortete seiner etwas schwerhörigen Nachbarin: »Sie ist eine Adlige von Geburt, und mag's nun doch nicht recht verschnupfen, daß sie einen Bürgerlichen geheirathet hat. Darum hält sie wohl das von ›seines Vaters Hallen‹ auf sich anzüglich. Aber Schloß Wustenau stand schon 1762 sub hasta und sie ist auch gar nicht mal drin geboren; sie bildet sich's nur ein.« – Die Dame, vor Kurzem erst nach Berlin gekommen, war zufällig selbst eine adlige Offiziersdame, was der Hofrath vermuthlich nicht gewusst. »Wenn er ihr ein Sort gemacht hätte,« erwiderte sie, »das passirt wohl, aber wie ich höre, ist das Vermögen von ihr, et voilà qui est bien curieux. « – »Ja meine gnädige Frau,« erklärte der Hofrath, »als sie ihn heirathete, war sie ein blutarmes Fräulein, man hielt's für ein großes Glück, daß sie ihn kriegte. Erst nachher machte sie die große Erbschaft.« – »Ah! c'est ça,« sagte die gnädige Frau, und sagte nichts weiter. »Wie kommt es, daß man den Einsiedler einmal in Gesellschaft sieht,« sagte die Geheimräthin im Vorübergehen zu dem jungen Manne der die Verse gesprochen. »Und noch mehr, wie kommt es, daß Sie Goethe noch für werth achten, ihn auswendig zu lernen? Wer so in transcendentalen Regionen der neuen Poesie schwebt, gäbe auf die alten Dichter, dachte ich, nichts mehr. Aber nehmen Sie sich in Acht, daß mein Mann nichts davon erfährt, Herr van Asten! Für ihn, wie Sie wissen, sind ja schon Goethe und Schiller Neuerer.« Ohne eine Antwort abzuwarten, war sie vorübergeschwebt. In einem Kreise, wo man über Politik sprach, stritten sie sich, wer ein größerer Feldherr gewesen; Moreau oder Napoleon Bonaparte? Die Parteien standen scharf gesondert. Der Geheimräthin kam das sonderbar vor; den Grund wusste sie sich nicht recht anzugeben. Das Gespräch ward ihr langweilig. Es gab aber noch einen andern Gegenstand. Man berührte ihn nicht in ihrer Gegenwart. Die Geheimräthin sah nicht allein in die Ferne, sie konnte auch dahin hören. Sie wusste genau, was gesprochen wurde, und daß sie, ihr Mann, dessen Bruder, das fatale Ereigniß der vorigen Nacht, den Stoff abgab. Vielleicht, daß sie eben darum die Gesellschaft besucht hatte, um zu zeigen, daß sie ohne Besorgniß war, oder – darüber hinweg. Aber es gefiel ihr nicht länger, daß das Gespräch verstummte, wo sie sich näherte. Wer spielt gern die Vogelscheuche! Bei einer Whistpartie fehlte durch einen Zufall der vierte Mann. Sie zeigte sich bereitwillig, die Karte zu übernehmen. Man erkannte das ganze Opfer, welches sie brachte. Sie versicherte, wenn sie durch ihr schlechtes Spiel das Vergnügen ihrer Mitspieler störe, so sei ihre Schuld doch nicht so groß als ihre Genugthuung, in so angenehmer Gesellschaft eine Stunde zu verbringen. Das Spiel prosperirte in der That nicht durch ihren Eintritt, aber wie die Mücken um den hellsten Lichtschein, sammelte sich um diesen Tisch die ambulirende Gesellschaft. Wer fühlte sich nicht geehrt der Geheimräthin Rath zu geben, die bei ihren Fragen vielleicht mehr Unschlüssigkeit verrieth, als in ihrem Charakter lag. Und wie liebenswürdig nahm sie ihn hin. »Sie ist die charmanteste Frau!« flüsterten die Andern. Die Geheimräthin zankte auch nicht um die Points. »So aufgeräumt, Herr v. Dohleneck?« sagte sie, die Karten prämelirend, zu einem Kavallerieoffizier, der sich neben ihr etwas brüsk auf einen Stuhl warf, den ein Civilist eben für eine junge Frau hingestellt zu haben schien. Die Dame warf dem Offizier einen bösen Blick zu, den er aber nicht bemerkte, oder bemerken wollte, und der Civilist beeilte sich, ihr einen andern Stuhl hinzusetzen, den sie aber nicht annahm, sondern ins Nebenzimmer eilte. »Sie irrten sich,« sagte die Dame, »ich wollte mich gar nicht setzen, ich suchte meinen Mann.« Möglich, daß nur zwei Augen, vermittelst einer vorgehaltenen Lorgnette, diesen Auftritt bemerkt, der wie ein Lüftchen über den Wasserspiegel der Societät hinkräuselte, um am Ufer zu verschwinden. Aber am Ufer trieb und wühlte das Lüftchen weiter im aufgelockerten Sande. Der ihn bemerkte, war ein Herr etwas über die mittleren Jahre hinaus, welcher eben eingetreten war und mit der Lorgnette die Gesellschaft erst zu mustern schien, ehe er sich ihr zeigte. Wir werden ihn näher kennen lernen. Der sich auf den Stuhl warf, war – nur ein Abdruck von Hunderten oder von Tausenden. Das wohlgeformte, volle Modell eines Kriegsgottes, den man vielleicht hätte schön nennen können, wenn die Ueberfülle der Gesundheit und Kraft in dem beinahe sechsfüßigen Körper etwas mehr Elasticität, und das volle rothe Gesicht unter den blonden Haaren und dem blonden Stutzbart weniger Sorglosigkeit und weniger Gutmüthigkeit verrathen hätte. Er war ein Mann, der seinen Mann stand, aber der militärische Grimm, der auch den Mann herausfordert, welcher Miene macht, nicht stehen zu wollen, fehlte ihm. »'S ist um sich todt zu lachen, wenn Federfuchser über Dinge schwatzen, die nicht in ihren Büchern stehn.« »Besser todt lachen, als todt ärgern, lieber Rittmeister!« bemerkte die Geheimräthin. »Was hat Sie denn in die Rage gebracht?« Der Offizier kam aus der politisirenden Ecke. »Stellen Sie sich vor, schöne Frau, der Professor da, oder was er ist, Sie kennen ihn ja wohl« – er zeigte auf den jungen Mann von vorhin, jedoch mehr durch ein Augenblinzeln, indem er sich den Schnurrbart strich – »der junge Herr meint, wenn's mit den Franzosen los geht, wäre es doch sehr zweifelhaft, wer Sieger bleibt.« Man blickte verwundert und halb erschrocken auf den Redner oder auf die glücklicherweise entfernte Gestalt des Mannes in Rede. »Na, auf Ehre, 's ist wahr,« setzte der Offizier hinzu. »Er raisonnirt von Bonaparte's Genie als Feldherr; nun, das mag er haben, wir lassen's ihm. Und 's wäre auch zweifelhaft, ob selbst Friedrichs Genie im Stande wäre, ihm überall zu pariren, wie er Daun und Laudon gethan. Nu, darüber kann man nur lachen. Aber als ich ihn fragte, was er denn zu unserer Armee meinte, wissen Sie, was er sagte –« »Es ist mir etwas ganz Neues, daß Herr van Asten sich mit Politik beschäftigt.« »Ich dachte, er würde nach der Rheincampagne retiriren, da hätte ich ihm mit 'ner Antwort gedient. Nein, er sagte, hören Sie, ich hab's des Spaßes wegen behalten: uns stehe ein Heer gegenüber, das aus dem jugendlichen Volksbewusstsein stets neue Kräfte schöpft, wie der heidnische Riese, ich weiß nicht, wie der Kerl heißt, der zu jedem neuen Kampfe seine Mutter Erde küsste. Ob wir denn mit unsern geschlossenen Phalangen von altem Ruhme, aber ohne den Genius, der ewig zeugt, uns getrauten eine Kraft zu werfen, die ewig neu wächst? Ich sage Ihnen, es war zum Bersten. Gut, daß keiner meiner Kameraden es gehört. Ich sagte ihm nur: Mein lieber Herr, wer die Erde küsst, macht sich das Maul schmutzig, und hol' mich Der und Jener, wenn wir unseren Soldaten nicht die Propreté eingefuchtelt haben.« Der Verlegenheit, über die Rede zu lächeln oder sich zu äußern, wurden die Zuhörer durch den Wirth überhoben, der plötzlich mit einer Stimme, die eher auf die Kanzel als an den Whisttisch gehörte, laut sprach: »Aber, meine verehrte Herren und Damen, Gott sei Dank, daß wir der Beantwortung dieser Frage durch die Weisheit unserer Staatsmänner überhoben sind, welche es nicht dahin kommen lassen werden, daß der Degen des großen Friedrich aus der Gruft geholt wird, um mit dem Degen des großen Mannes sich zu kreuzen, und die es nicht dulden werden, daß die beiden ruhmwürdigen und erleuchteten Nationen in andern Streit gerathen, als den, aus welchem für die Civilisation die schönsten Früchte entspringen. Wozu also dieser Dispüt, der uns nichts angeht? Die weisen und humanen Männer, denen unsere Regierung anvertraut ist, werden immer für unser Bestes sorgen, und was sie ersinnen, ist gut und wird zu unsrer Aller Ruhe beitragen.« 5. Kapitel. Der vornehme Gast Fünftes Kapitel. Der vornehme Gast. Der Grund dieser seltsamen Anrede war, daß der Wirth in dem Augenblicke den Gast in der Thür bemerkt hatte, welcher vorhin mit der Lorgnette die Gesellschaft musterte und jetzt mit einer raschen Vorwärtsbewegung den nächsten Gruppen zueilte. Und doch schien er, als der Geheimrath Bovillard ihn im Vorübergehen mit einem freundlichen Händedruck begrüßte, von dieser unerwarteten Gegenwart nicht wenig überrascht und erschreckt. » Mesdames – Messieurs !« sagte der wirkliche Geheimrath mit einer verbindlichen Neigung gegen den Spieltisch, »ich hoffe, daß sich Niemand derangiren lässt,« und war durch die nächste Gruppe, auch durch eine zweite und dritte, ohne sich um die Personen zu kümmern, geeilt, bis er die Wirthin fand, deren Hand er an die Lippen führte, und seine verspätete Erscheinung mit vielen schmeichlerischen Worten und einer höchst wichtigen Konferenz entschuldigte. Es war ein Funke in die Gesellschaft gefahren, die zu ermatten anfing; und der Funke hatte gezündet. Einen liebenswürdigeren, einen freundlicheren Mann, als diesen vornehmen Gast, konnte man sich nicht denken. Wie wusste er Jedem, der ihm vorgestellt ward, etwas Angenehmes zu sagen, wie wandte er sich mit Theilnahme und Herablassung zu ganz unbedeutenden Personen. Für Jeden hatte er ein verbindliches Wort. Die Tasse in der einen Hand, den Biscuit in der andern, wie gerieth er plötzlich ins Feuer und erzählte mit hinreißender Lebendigkeit irgend ein gleichgültiges Ereigniß, das er am Hofe erlebt. Der subalterne Zuhörerkreis war in Entzücken über die Vertraulichkeit eines so hochgestellten Mannes. Ebenso plötzlich konnte er freilich einen Andern am Arm ergreifen, und ohne sich zu kümmern um Die, welche er eben an seine Fersen gebannt und um sich als Trabanten gezaubert, ihn mit einem: à propos wissen Sie schon? beiseit ziehen. Er flüsterte ihm etwas ins Ohr, er setzte die Tasse fort, die Hand vor dem Munde sprach er noch leiser, aber mit faunischem Lächeln; nein, er lächelte nicht mehr, er lachte, er kicherte, wenn sich das für einen wirklichen Geheimrath geschickt hätte. Der Andere natürlich lächelte auch, er lachte, er versuchte zu kichern. Die Lorgnette am Auge, und das Gesicht halb über die Schulter gewandt, konnte man glauben, daß er nach dem Gegenstande suche, den sein beißender Witz eben getroffen. Aber er lorgnettirte nur ein hübsches Gesicht und sprach seine Admiration aus, daß die Kleine, die er nannte, sich so ausgewachsen; er hätte es nicht erwartet. Wenn man ihm bescheiden bemerkte, daß er die Personen verwechsele, fand er sich nicht in Verlegenheit, sondern stellte das Paradoxon auf: die Liebe solle zwar nicht wechseln, aber alle wahre Liebe bestände aus Verwechseln: »Unsere Phantasie schafft sich ein Ideal. Das lieben wir. Je öfter wir nun in einer beauté dies Ideal wiederzufinden glauben, um so glücklicher sind wir, und um so mehr Andere beglücken wir. Nicht wahr, Herr Geheimrath, die Fabel vom Amphitryo ist das Chef d'Oeuvre in der Mythologie?« Der in den Kreis getretene Geheimrath war nicht allein ein ernsthafter Mann, sondern er stand auf einer amtlichen Stufe die der eines wirklichen sehr nahe kam. Es hatte sich die Nachricht in der Gesellschaft verbreitet, daß ein Kourier, der heut Nachmittag wichtige Nachrichten gebracht, den Geheimrath so lange zurückgehalten. Er glaubte ein Recht zu haben, sich bei diesem danach zu erkundigen. »Bester Freund,« sagte letzterer in der Fensternische, wohin sie sich zurückgezogen, »wann verging ein Tag, wo nicht ein Kourier an einen Minister kam, und wenn ich ihre Wichtigkeit, nämlich unserer Minister, danach abwägen sollte, so wüsste ich wirklich nicht, wo vor Respekt bleiben. – Aber Gott weiß, mich hat nie danach gelüstet, ihre Geheimnisse früher zu erfahren, als sie an den Tag kamen. Denn was hilft mir's, ob der Kurfürst von Hessen seiner jüngsten Maitresse einen so kostbaren Hut geschenkt hat, daß die nächstältere darüber in einen Wuthkrampf verfallen ist. Oder wenn die Fetzen des heiligen Römischen Reichs sich darüber streiten, ob der Professor Fichte ein Deist ist oder keiner? Und diese Bagatellen, Sie glauben nicht, wie man uns damit überschüttet. Diese Geschichte mit« .... ... er flüsterte einen Namen, »Sie kennen sie doch? der halbe Mulatte aus Holland, – wie hieß er doch gleich! – ließ ihm auf dem Sopha zwei Rollen, jede mit hundert Friedrichsd'or, zurück. Als unser Freund es sah, rief er ihn zurück: Sie haben etwas vergessen! Unterstehen Sie sich nicht, mir noch einmal vor die Augen zu treten. Konnte der Graf nobler handeln? – Eine Woche darauf kommt der Baron, der in Batavia, wie Sie wissen, einmal Gouverneur war, zu ihm, und fragt ihn, ob er nicht seine Schimmel verkaufen wolle! Sie erinnern sich doch der Wagenschimmel? Blind und lahm, ein wahrer Scandal, ein Spott der Kutscher. Unser Freund sagt Nein. Wie kommen Sie darauf? Excellenz, sagt Der, ich zahle jeden Preis. Ich muß sie haben. Ein verrückter Lord hat seinen Sinn darauf gesetzt, ein Achtgespann gerade von solchen Thieren zu besitzen. Einem Thoren und Nabob kommt es nicht aufs Geld an. Ich habe alle Roßtäuscher in der Provinz in Acquisition gesetzt; sie können mir nur fünf auftreiben, und mir geht dadurch ein großer Gewinn verloren. Ich sähe es daher als eine große Gefälligkeit von Ew. Exellenz an, wenn Sie mir zu Hülfe kämen. – Ich bin kein Kaufmann, sagte unser Freund, weiß keinen Preis zu setzen, lassen wir die Sache fallen. – Der Baron überschlägt sich: Hundertfünfzig Friedrichsd'or für jedes kann ich geben, Summa dreihundert, Zug um Zug. Mein Kutscher wartet unten. Unser Freund sah ihn ernst an: Man soll auch zuweilen den Narren gefällig sein; aber Ihnen soll der Reukauf frei bleiben. – Nun gesteh' ich Ihnen zu, der Schinder gab nicht zwanzig Thaler für beide Bestien, – nun, wir haben es Alle verstanden, es war ein Witz, nichts als ein Witz! Aber können sie glauben, liebster Geheimrath, wie man uns bombardirt mit anonymen Denunciationen. Wir sollten Lärm schlagen, dem Könige die Sache hinterbringen. Soll man sich um solche Bagatellen die Finger verbrennen! Beyme schmunzelte neulich: Ich hätte die Pferde wohl nicht verkauft, aber Sie wissen doch, der Pferdehandel unterliegt andern Gesetzen, als die im Landrecht stehen. Darin soll der Bruder dem Bruder nicht trauen. Und, ich bitte Sie, der König hat für andre Dinge zu sorgen. Haugwitz sagte: sollen wir etwa darum Einen verlieren, der sich nicht um Politik kümmert. Sehen Sie, liebster Geheimrath, je weniger wir sind, die sich um die Dinge nach außen kümmern, um so besser wird alles gehen.« Der Geheimrath wusste nun wenigstens, daß Bovillard ihm nicht sagen wollte, was er wusste. Doch wusste er darum noch nicht, ob er etwas wusste. Seltsam derselbe vornehme Mann ging gleich darauf mit einem angesehenen Kaufmann aus der Brüderstraße Arm in Arm durch die Zimmer, und wenn wir recht gehört, vertraute er demselben, was er dem Geheimrath nicht für gut gefunden, mitzutheilen: »Sie kennen meine Amtspflicht, aber einem Freunde, wie Ihnen, kann ich die Versicherung geben, unsere Sachen stehen gut. Phantasten, unpraktische Köpfe, Schwärmer, die an Krieg denken! Idealisten, liebster Splittgerber! Vor denen müssen wir uns vor allem hüten. Es taucht jetzt hier solche Klasse von jungen Strudelköpfen auf, die von Deutschland, deutschem Wesen, deutscher Sprache, Art, sprechen. Man kann darüber lachen, aber man muß Achtung geben. Die Ideen können viel Unheil in der Welt anrichten. Erinnern Sie sich an Frankreich! Da ist hier der junge Professor Fichte! O, es sind ihrer mehrere. Ein sublimer Kopf – aber sie sehen den Wald vor den Bäumen nicht. Auf das Praktische, auf das, was uns Noth thut, den Sinn gerichtet! Das Hemde ist uns näher als der Rock. Der Kaufmann ist eigentlich der wahre Philosoph für die Welt. Er weiß, was uns Noth thut. Sie geben mir Recht, lieber Splittgerber. Wenn wir ein Trauerjahr vor uns haben, werden Sie nicht Cochenille verschreiben. Das heilige Römische Reich, als es existirte, brauchte freilich vielerlei Nürnberger Waare, unter anderm auch einen Kaiser. Brauchen wir das? Wir sind das Reich du grand Frédéric! Sie werden mir darin Recht geben. Eine Weltkatastrophe hat alle Verhältnisse umgeworfen. Was sind Nationalitäten? – Irrlichter! Laterna-Magicabilder! Wenn man eine anders gefärbte Glasscheibe vorschiebt, sehen sie anders aus. Wie Preußen sich selbst gefunden hat in seinem großen Könige, so haben die Franzosen sich in Bonaparte gefunden. Wie Friedrich das Genie der Franzosen erkannte, erkennt Napoleon den Genius der in unserer Monarchie lebt. Sie glauben garnicht, wie man uns erkannt! Wir sind, wie bestimmt von dem Geist über dem Sternenzelt, brüderlich, Hand in Hand im Völkerbunde neben einander zu schreiten. Und da wollen Querköpfe eine tudesque Idee dazwischen schieben. Ich bitte Sie, ich wiederhole es, was sind Nationalitäten? Fragen Sie, wenn Sie Pfeffer kaufen, von wem Sie ihn kaufen? Der billigste Verkäufer ist der beste, Und wenn Sie verkaufen, wer den höchsten Preis dafür zahlt, der ist der beste Käufer: nicht, ob er Italiener ist, Franzos oder Russe.« Dem Kaufmann aus der Brüderstraße schien der Ideengang des Staatsmannes denn doch nicht ganz geläufig. Er handelte nicht mit Pfeffer: »Herr Geheimrath beliebten von einem Kourier zu sprechen –« Bovillard legte die Hand auf seinen Arm und mäßigte die Stimme: »Nur Ihnen, und unter dem Siegel des tiefsten Geheimnisses.« Bovillards Gesicht glänzte – »alle Mißverständnisse gehoben, alle Schwierigkeiten ausgeglichen, der König und unser Vaterland können sich glücklich schätzen, daß sie Diplomaten haben, welche es verstehen, Krieg zu führen ohne den Degen zu ziehen.« An der Thürpfoste gelehnt, lorgnettirte der Geheimrath noch einmal ins Zimmer, nur stand neben ihm nicht mehr der Kaufmann aus der Brüderstraße, sondern ein Herr mit dem Kammerherrnschlüssel und einem Krückstock. » Parbleu, comme elle est belle – et bête! N'est-ce pas? « Die Bemerkung galt der Dame, welcher der Rittmeister vorher den Stuhl vor der Nase fortgenommen. Eine fast junonische Gestalt, aber mit ausdruckslosem Gesicht, stand sie in der Mitte des andern Zimmers – zufällig allein. »Ist denn Niemand da, ihr die Cour zu machen?« »Hier!« sagte der Kammerherr, mit verächtlichem Blick sich umsehend. »Wir befinden uns allerdings in einer etwas gemischten Gesellschaft. N'en parlons pas! Wer ist denn sonst ihr Amoroso?« »Wissen Sie denn nicht, Bovillard,« sagte der Kammerherr verwundert, »sie ist ohne Passionen.« » Tant mieux! so müsste man sie ihr einjagen. Ich bitte Sie, Kammerherr, sehen Sie diese Formen an! Vielleicht ein Tugenddrache! Liebt sie ihren Mann?« »Sie sind sechs oder acht Jahre verheirathet.« »Der Baron spielt, sie stellt sich neben ihn!« »Um eine Position zu haben.« »Wie sie den Arm aufhebt! Sehen Sie – sehen Sie, ganz die Attitüde der Lichtenau! Die Lichtenau war auch nicht immer, was sie ist –« »Sie wollten sagen, was sie war.« »Wäre die Lichtenau nicht in Paris erzogen worden – Sehen Sie jetzt wieder – täuschend! Aus der Baronin kann etwas werden.« »Nur keine Lichtenau,« seufzte der Kammerherr. »Diese Zeiten sind vorüber.« » Les temps changent, mais pas les hommes. Mon cher baron, die Welt ist rund, et tout ça reviendra. Aber das Leben entflieht, die Jugend verblüht, es wäre wirklich ein mildthätiges Werk, die schöne Frau verliebt zu machen. Schaffen Sie mir einen Gegenstand, ich unternehme es.« »Ich will Prinz Louis noch einmal aufmerksam machen; er scheint aber nicht darauf zu reflectiren.« »Was, Prinzen! Den ersten besten, es gilt ja nur die Gaben der schönen Frau an den Mann bringen. Wir wollen sie etwas ins Gebet nehmen, und sehen, wo in der Conversation der Stahl den Feuerstein berührt.« Als sie sich der Thür näherten, schwenkte indeß der Geheimrath, den Kammerherrn unterfassend, schnell wieder zurück. Die Dame in Rede stand hinter dem Stuhle ihres Gatten, und diesem gegenüber saß unsere Bekannte, welche uns in diese Gesellschaft geführt. »Ein Andermal!« sagte Bovillard leis' zu seinem Begleiter. »Da sitzt die Geheimräthin.« »Die Lupinus! – Sind Sie Feinde, oder – es ist doch keine alte Liaison?« »Bewahre mich der Gottseibeiuns. Ich weiß nicht, die Frau hat für mich etwas – je ne sais quoi. Lombard lacht mich immer aus. Aber wer kann für Sympathieen und Antipathieen?« »Sie ist eine gescheidte Frau.« »Gewiß, aber heut muß ich doppelt ihre Distance wünschen. Habe mich zwei Mal vor ihrem Schwager verleugnen lassen. Was diese verdammten Kindesmörderinnen für Anhängsel haben!« 6. Kapitel. Der späte Gast Sechstes Kapitel. Der späte Gast. Zwei Sonnen vertragen sich nicht am Himmel. Der Spieltisch, an dem die Geheimräthin Lupinus saß, war sehr einsam geworden! die Vögel, die nach dem Licht flackerten, blieben aus, seit das Licht des wirklichen Geheimrathes durch die Zimmer flackerte. »Aber meine beste Frau Geheimräthin!« rief ihr Partner, der Ehemann der schönen Frau, »wir hätten die Trics gewiß gemacht, wenn –« »Die schönen Augen der Frau Baronin haben mich geblendet, – Sie haben da eine Hülfe bei sich, Baron, die eigentlich unerlaubt ist.« Die Geheimräthin war am Geben. Sie vergab sich. Es war der Augenblick, wo sie den wirklichen zur Thür hereinblicken und sich rasch wieder entfernen sah. »Die Frau Geheimräthin sind wohl unpässlich,« bemerkte die schöne Frau. »Ich! meine liebe Baronin? – Ach nein. Die Seele muß immer Herr sein über den Körper. Das sagt mein guter Lupinus so oft. Dadurch erhält er sich in seinen anstrengenden Arbeiten. Und ich –« Sie hatte sich wieder vergeben. Die andern Partner sahen sich verlegen an. Der Baron zeigte die Karten seiner Frau: »Jammerschade, daß man solches Spiel fortwerfen muß.« Die Lupinus hielt sich das Taschentuch aus Gesicht: »Es ist nichts, nur ein heftiges Herzklopfen, es wird gleich vorüber sein. Wirklich, liebe Baronin,« sagte sie zu dieser, welche von Hoffmannstropfen gesprochen – »der Schmerz ist gar nichts, wenn nur der Verdruß nicht wäre, daß mein Unwohlsein die Gesellschaft stört. – Sehen Sie, jetzt habe ich nicht vergeben. Was ist Atout, wenn ich fragen darf? Coeur oder Pique? Es flimmert mir nur vor den Augen.« – »Frau Geheimräthin haben kein Atout mehr.« Sechs Augen starrten die Spielerin in gläserner Verwirrung an. Die schöne Baronin öffnete ihre Lippen weiter als nöthig war, um ihre Perlenzähne bewundern zu lassen. Die Spielerin hatte noch eine Hand voll Trumpf. Stumm hatte die Geheimräthin die Karten niedergelegt. »Sie sind ein Engel voll Güte,« sagte sie zur Baronin, als diese die Karten nahm. »Und nun um Gotteswillen kein Derangement.« Sie entschlüpfte – nur um einen Augenblick sich zu erholen. »Ein Glas Wasser wird es thun.« Aber die Wirthin betraf sie, als sie ihr Umschlagetuch nahm, um fortzugehen. »Liebste Geheimräthin, Sie werden uns das nicht anthun. Ich führe Sie in die Schlafstube, ein halb Stündchen Ruhe, ich kenne ja Ihre Seelenstärke, und Sie haben sich erholt, wenn Sie uns gut sind.« »Beste Geheimräthin,« erwiderte die Lupinus, »ich erkenne Ihre himmlische Güte, aber glauben Sie mir, die Luft erdrückt mich.« »Im Speisesaal ist sie ganz anders. Es ist gedeckt. Wir warten nur auf den interessanten Fremden, den Legationsrath v. Wandel, Sie haben doch schon von ihm gehört, er ist sehr begütert in Thüringen. Mein Mann sagt, ein Mann von eminenten Gaben. Ich hatte es mir so hübsch vorgestellt, er sollte Sie zu Tisch führen. Wo konnte ich ihm eine geistreichere Nachbarin verschaffen. Er ist nur zu einer Audienz bei Prinz Louis Ferdinand ganz plötzlich beschieden, aber er muß den Augenblick hier sein.« »Ich einen Mann von Geist unterhalten! Sie spotten meiner. Ach aber es ist nicht das. – Mein armer Mann – er sitzt noch bei der Studirlampe – ich sehe ihn wieder, verzeihen Sie, theuerste Freundin, es presst mich, es sprengt mir die Brust – ja, mir ist, als wenn jetzt ein großes Unglück zu Hause geschähe. Nicht mir, meines guten Mannes wegen verzeihen Sie die Störung.« »Es ist recht schade, daß die Frau Geheimräthin an Visionen leidet,« bemerkte die Hofräthin am Spieltisch, der man die Zufriedenheit ansah, daß die Baronin die Karten übernommen hatte. »Es ist doch mit dem Nervensystem etwas Singuläres. Und es stört mancherlei.« » C'est le temps! « bemerkte Bovillard, der inzwischen hinzugetreten. » Un peu mystique, un peu clair-obscur, un peu clairvoyance et un peu de vérité, voilà tout. Es ist wie mit dem Schnupfen. Man glaubt ihn los zu sein, da kommt er wieder.« »Herr Jemine,« rief die Baronin, als sie ausspielen sollte. »Ich kann ja nicht, ich habe meinem Manne seine Karten gesehen.« Das sah Jeder ein. Die Hofräthin öffnete vor Schreck den Mund, fast wie vorhin die junonische Frau. Die Partie war wirklich zerstört. Da übernahm der wirkliche Geheimrath die Karten. Er blieb der Gott des Abends. Man sprach noch nach Wochen in den Kreisen von der Liebenswürdigkeit dieses Staatsmannes. – Er ist später gestürzt; die Hofräthin hielt fest am Glauben. Sie versicherte noch nach langen Jahren, es sei nur die schwärzeste Kabale, die einen solchen Mann stürzen können. Unten im Hausflur wartete Johann. Er zitterte noch immer. Indem er der Geheimräthin die Enveloppe umgab, ging die Hausthür auf, ein verspäteter Gast trat ein. Als er den Mantel abwarf und seinem Diener Anweisungen wegen des Abholens gab, erkannte sie in ihm den Fremden, dem sie vorhin auf der Hintertreppe begegnet war. Die Blässe seines Gesichts war durch die schwarze, seine Hoftracht nicht gemindert. Ein Mann in mittleren Jahren und stattlicher Figur, stieg er leicht mit den Bewegungen vornehmer Sicherheit die Treppe hinauf. Ein Ordensband und Kreuz schien unter der Halsbinde versteckt. Ein Band am Knopfloch deutete auf ein anderes Ehrenzeichen. Der Fremde hatte die Geheimräthin, die im Schatten der aufgehenden Thür stand, nicht gesehen. Einen Augenblick schien sie im Zweifel, ob sie nicht umkehren solle. Sie fühlte sich wieder wohl. Die frische Luft im Flur hatte wahrscheinlich gut gewirkt. Aber – es schickte sich nicht. Sie saß im Wagen. Die Thür schlug zu. Sie lehnte sich in die Ecke und – weinte. Weil es sich nicht schickte! – Darum? – »Und das heißt leben,« fuhr sie auf, »unter diesen langweiligen, nüchternen, abgeschmackten Puppen wandeln, sich kleiden, sprechen, die Gefühle und Gedanken zusammenhalten, damit ja nichts entschlüpft, was sich nicht schickt. Und darum leben wir!« Der Herr Geheimrath sind noch auf, hörte sie, im Hause angelangt, aber Sie haben befohlen, es soll Sie Niemand stören, Sie sind in einer wichtigen Untersuchung. Zum ersten Mal, seit wie langer Zeit! fühlte die Geheimräthin ein Verlangen, ihren Mann zu sehen. Er war doch etwas anders, als die Larven in der Gesellschaft. Er liebte die Menschen in seinen Büchern; im Vergleich mit Jenen war er ein freier Mann, denn von dem Gesetz des Sichschickens, was diese tyrannisirte, hatte er sich losgemacht. Hatte er doch auch, als sie vor langen Jahren nach Italien reisten, geschwärmt, wie er es konnte, wenn nicht für Kunst und Natur, doch in dem reichen Trümmerlande für die Wege, welche Horaz geschildert, für die Ruinen, welche die Sage nach ihm nennt. Das waren nun längst vergangene Dinge. Die Geheimräthin schwärmte nicht mehr für Italien. Sie wäre einmal gern nach London oder Paris gereist; jetzt auch vielleicht nicht mehr. Berlin war ihr unausstehlich, aber sie wusste nicht, wohin sich wünschen. Sie wollte ihren Mann sehen, irgend etwas mit ihm sprechen, was sie nicht an die Gesellschaft erinnerte. Vielleicht traf sie doch auf einen Ton, wo ihre Seelen zusammenklangen. Er sah nicht auf, als sie eintrat. Er hörte auch nicht die leis geöffnete Thüre, nicht das Rauschen ihres Kleides. Den Lichtschirm vor den Augen, die Feder im Munde, saß er zwischen zwei Folianten, in denen seine Finger als Zeichen lagen, um die Varianten in jedem Augenblick aufschlagen zu kennen, und seine Augen flogen von der einen zur andern Stelle. Sie trat näher; auch da keine Regung. Mit unterschränkten Armen betrachtete sie ihn. – Ist das ein Mensch oder eine Pagode? – Sie schritt langsam im Kreis um ihn, ohne sich zu sehr Mühe zu geben leis aufzutreten; aber die mit Heu dicht unterstopfte Decke verrieth sie nicht. In einem Moment war es ihr, als ob sie auflachen müsse; im nächsten, als müssten die Thränen ihr aus den Augen stürzen. Sollte sie ihn anreden? Das hieße einen Nachtwandler aus seinem Traum aufrufen. Erst als sie sich wandte, um hinauszugehen, wehte er mit der Hand. Es war als ob instinktartig eine Ahnung ihn überkommen, daß ein Wesen in der Nähe sei, das ihn stören könnte. Leise hatte sie die Thür wieder zugedrückt. Durch das Flurfenster schien der Mond auf die Rumpelkammer, durch die der Weg nach ihrem Schlafzimmer führte. Die wunderlichen Ecken und Spitzen der alten Möbeln starrten sie im Mondenlicht eigenthümlich an. Es überfuhr sie ein Schauer, sie lachte, um sich Luft zu machen, hell auf. Aus den Winkelu schien es ihr zu antworten. Die Jungfer hatte die Nachtlampe in ihrer Schlafstube hingestellt. Der Geheimräthin war es zu dunkel. Sie musste die Kerzen auf dem Armleuchter anzünden. Sie war beim Entkleiden ungehalten, sie behauptete, die Jungfer verfahre mit Absicht ungeschickt. Sogar entfuhr der sanften Frau der Vorwurf: sie steche sie aus Bosheit. Die Jungfer weinte. Die Geheimräthin hielt ihr eine ernste Vorhaltung, ob das ein Grund sei, um Thränen zu vergießen? Sie erinnerte sie an die vielen leidenden Kreaturen, denen der Schöpfer nicht einmal eine Stimme gegeben, um zu klagen. Wenn Jeder klagen wollte, was ihn drückte, ob es in der Welt vor Gewimmer und Thränen auszuhalten sei! Die Geheimräthin fragte sie mit Würde, ob sie glaube, daß die armen Mädchen mehr litten als die vornehmen Damen, die ihre Schmerzen verhalten müssten? Sie ermahnte sie zur Duldung, zum Gehorsam, zur Tugend, und entließ sie. Die moralische Vorhaltung schien auf die Predigerin selbst keine Rückwirkung geübt zu haben. Sie saß entkleidet an ihrem Bett, das Gesicht im Ellenbogen gestützt, und starrte in die Lichtschnuppen der Kerze. Da fiel ihr Auge, den Lichtstrahlen folgend, auf ein Spinnengewebe am Winkel der Zimmerdecke. Es war Freitag. Das Reinigungsgeschäft sollte erst am Sonnabend erfolgen. Die dicke Spinne, die sie heut nicht zum ersten Male bemerkt, lag schlafend in der Mitte des Raubnetzes, das sie ausgespannt, gesättigt und erschlafft, schien es, von dem Mordgeschäft, worauf die todten Fliegen im Netz deuteten. Die Geheimräthin stand auf und nahm den Armleuchter. Ihre Augen waren scharf, ihr Arm aber reichte nicht bis an die Decke. Ein Kitzel, die Nemesis zu spielen, überkam sie. Die Bäume im Hofe, vom Winde bewegt, schlugen gegen das Fenster. Das war doch keine warnende Stimme! Es war ja kein Unrecht, ein solches mörderisches Ungeziefer zu vertilgen, das selbst seine Netze ausspannt zur Vertilgung seiner Mitgeschöpfe. Sie holte einen Stuhl. Auch der war zu niedrig. Sie schleppte mit Anstrengung einen Tisch heran. Warum that sie es mit angehaltenem Athem, warum bemühte sie sich, ja kein Geräusch zu machen? Warum schlich sie auf den Zehen, da sie schon in bloßen Füßen ging? Warum pochte ihr Herz, als sie auf den Stuhl und vom Stuhl auf den Tisch stieg? Die Spinne regte sich nicht. Nur das Gewebe schaukelte etwas, wie eine Hängematte vom Hauch des Lichtes angeregt. Draußen rauschten wieder die Aeste. Hätten sie die Spinne geweckt, vielleicht hätte die Geheimräthin sie geschont. Was schonen! Morgen vollbrachte es der Besen der Magd. Wer ihr ins Gesicht gesehen, wie die Augen glänzten, die Lippen sich krampfhaft verzogen! Jetzt war's geschehen. Ein Knistern. Die Spinne, zusammenglühend, schien sich einmal zu krümmen, dann flackerte das Netz in leichten Flammen auf und der verkohlende Körper schwebte nieder. Die Geheimräthin schloß, krampfhaft zurückfahrend, die Augen, als sie einen heftigen Schmerz empfand. Die schief gehaltene Kerze hatte einen heißen Wachstropfen auf ihren bloßen Fuß gespritzt. Die Aeste rauschten zum dritten Mal. Es war der Grabesgesang. »Die hat ausgelitten! Sie empfindet keinen Schmerz mehr! Und wie leicht und schnell!« sagte die Geheimräthin. Ihr Fuß musste ja noch morgen bei der zarten Komplexion ihres Körpers empfindlich schmerzen. Jetzt aber schmerzte er sie nicht. Sie empfand ein Wohlbehagen, das der Empfindung eines Rausches verwandt war. Sie hatte eine Kreatur, die doch zum Tod verdammt war, rascher aus der Welt geschafft, als es morgen der stumpfe Besen der gefühllosen Magd gethan hätte. Und im Schlaf! Sie hatte ihr einen seligen Tod bereitet. Sie suchte noch mehr Spinnen; aber im Zimmer war keine mehr zu entdecken. Dagegen hingen an den Wänden unzählige Fliegen, die der regnerische Tag hineingetrieben. Noch vorsichtiger schlich sie auf den Zehen heran, und es glückte ihr, die erste, zweite, auch eine dritte durch das schnell angehaltene Licht zu tödten. Morgen würden sie langsam, unter furchtbaren Qualen am Fliegenstock verenden; jetzt im Lichtschein, im Taumel, waren sie einen Augenblick erwacht und verglüht. So musste auch Semele in einem Moment glückselig und todt sein, angeleuchtet von Zeus' Lichtglanz und verbrannt von der Wonne – dachte die Geheimräthin. Aber nicht alle Fliegen wollten diesen seligen Tod sterben. Als sie der einen die Flügel angesengt, und das Insect summend aufflog, löste sich allmälig der Schwarm von den Wänden. Sie summten um das Licht, um ihren Kopf, und die Geheimräthin stand wieder athemlos in der Mitte des Zimmers, mit dem freien Arm die aufgestörten Thiere abwehrend. In dem Augenblick war ihr nicht wohl zu Muthe. Die Thiere wurden so groß und schwarz und mit feurigen Augen; sie kamen ihr wie die Erynnien vor. In dem Augenblick wünschte sie, sie hätte nicht angefangen. Sie wollte das Licht auslöschen, sich ins Bett vergraben und die Decke über den Kopf ziehen, aber sie fürchtete sich ohne Licht. Da hörte sie die Stimme ihres Mannes, der draußen die Thüre öffnete: »Johann, ich will zu Bett gehen.« Aber Johann hörte nicht, auch nicht auf den wiederholten, verstärkten Ruf. Johann hatte sich auf ihr Geheiß zu Bett gelegt, um zu schwitzen. Es war ihr lieb, daß Johann nicht hörte; er schlief also wahrscheinlich. »Dem thut es mehr Noth,« dachte sie, »und Lupinus kann sich selbst helfen.« Der Geheimrath schlug brummend die Thür zu, und musste sich wohl selbst geholfen haben. Sie hörte nichts mehr. Auch die Fliegen hatten sich wieder zur Ruhe begeben. Aber nach einer Weile schellte sie nach der Jungfer. Sie schellte immer stärker und die Jungfer musste aus dem Bette. Als sie ins Zimmer kam, war die Geheimräthin eigentlich in Verlegenheit. Sie wusste nicht, warum sie nach ihr verlangt. »Befehlen Frau Geheimräthin vielleicht Cremor Tartari? Oder soll ich Kamillenthee kochen?« »Nein, mir ist ganz wohl,« sagte die Geheimräthin. Aber im nächsten Augenblick sagte sie, morgen früh solle zum Hofrath Heym geschickt werden: »Und ganz früh. Hört Sie, Lisette. Damit Sie ihn noch zu Hause treffen. Und ich ließe ihn dringend ersuchen, mich zu besuchen, ehe er zur Prinzeß Ferdinand fährt. Die hält ihn immer so lange auf. Ja, hört Sie, es soll ihm recht dringend gemacht werden, denn ich fühle, ich werde sehr krank werden. Und er kann auch für den Johann gleich ein Recept verschreiben, die Sache muß doch endlich zu Ende kommen.« Wenn ängstliche Träume ein Zeichen der Ungesundheit sind, musste die Geheimräthin sehr krank sein. Es waren nicht mehr Fliegen und Spinnen, sondern lauter Marionetten, die ihr keine Ruhe ließen. Da kam der fieberkranke, blasse Johann und sprang mit zusammengehaltenen Beinen und fragte sie, ob es nun nicht bald mit ihm zu Ende ginge? Dann füllte sich die Schlafstube mit der ganzen Gesellschaft vom vorigen Abend, lauter Gliederpuppen, die an Drähten vom Schornstein aus geführt wurden. Sie tanzte und das Holz klappte unangenehm. Wenn sie am Bette vorbeikamen, gähnten sie und fragten: ob es nicht bald Schlafenszeit wäre? Gern hätte die Geheimräthin gesehen, wer den Draht führte, aber sie konnte, wie sie auch sich anstrengte, den Kopf nicht in den Schornstein zwängen, und wenn es ihr einmal gelang, schoß eine neue Figur herunter und schreckte sie zurück. Dazu klappte ihr Mann als Pantaleone immerfort durch die Stube, und hauchte sich in die Hände und sagte, ihn fröre, und wer ihn nur heiß machen könne! Da rief eine Stimme aus dem Schornstein, deren sie sich nicht entsann, aber gehört hatte sie dieselbe schon ein Mal: Wenn's weiter nichts ist, man braucht ja nur alle die Puppen zu verbrennen, das giebt ein gutes Kaminfeuer. Und dann war es ihr, als ob alles um sie her verbrenne. Sie gerieth in Angst, daß sie mit verbrennen könne und hüllte sich in ihr Bette, bis eine wohlthätige Transpiration ihrer Natur zu Hülfe kam, und sie in einen tiefen, ruhigen Schlaf einhüllte, der so lange andauerte, daß sie erst aufwachte, als das freundliche Gesicht des Hofrath Heym mit den durchdringenden blauen Augen sie anschaute und er mit seiner etwas kreischenden Stimme ihr den Morgengruß bot: »Na, da leben Sie ja noch, Frau Geheimräthin; hab' ich doch wirklich nicht anders geglaubt, wie das Mädchen reinstürzte, als Sie wären schon maustodt.« 7. Kapitel. Der Staatsmann Siebentes Kapitel. Der Staatsmann. Wir führen unsere Leser in die Wohnung und die Geschäftszimmer des vornehmen Mannes, dessen flüchtige Bekanntschaft wir in der Gesellschaft gemacht. In seinem Hause, unter seinen Untergebenen, war der wirkliche Geheimrath ein anderer Mann. Man könnte sagen, er sei um einige Zoll gewachsen; der von den vielen huldreichen Verbeugungen gekrümmte Rücken war hier gerade geworden. Er war aber um deswillen kein großer und auch kein gerader Mann. Im Vorzimmer warteten Expectanten. Die trüben Mienen verriethen, daß nicht Jeder Hoffnung hatte, vorgelassen zu werder. Sie wandten sich an die durchpassirenden Beamten. Wie viele große Männer hätte ein Neuling da zu entdecken geglaubt, wenn sie freundlich zuhörten, sich an der Binde zupften oder die Schultern zuckten. Und doch waren es nur Schreiber und Boten. Ob einer von ihnen sich in den Winkel ziehen und zu einer vertraulicheren Verständigung hinreißen ließ, will ich nicht verrathen haben. Das Zimmer, wo der Geheimrath empfing, war geräumig, halb mit Aktentischen und Repositorien, halb mit den Bequemlichkeiten und dem Luxus eines reichen Lebens ausgestattet. Auf den Fauteuils und kleinen Tischen lagen zerstreut in elegantem Einband die neusten Werke der französischen Literatur. Am Ende des Aktentisches saß ein jüngerer Rath, in den eingegangenen Schriftstücken blätternd und sie zum Vortrag ordnend. Im entfernteren Winkel stand der Geheimrath und hatte einer Dame Audienz ertheilt, die sich sehr bescheiden in der Ecke zwischen Fenster und Hinterthür hielt. Es war eine Tapetenthür, durch welche sie auch vermuthlich der Kammerdiener eingelassen, denn nach Beendigung der Audienz schlich sie durch diese Thür hinaus. Ihre vielen Ringe, eine Garderobe, aus den kostbarsten und auffällig modernen Stücken, und der prachtvolle Shawl darum schienen ihr eher ein Anrecht aus einen Platz auf dem Sopha zu geben, wenn nicht die Haltung der sehr wohlbeleibten Frau verrathen hätte, daß die Hülle nicht recht zum Körper, oder der Körper zur Hülle sich schickte. Einem Psychologen hätte vielleicht schon ein Blick auf ihre groben Füße angezeigt, daß die feine Kleidung ihr nicht angeboren war. Wer ihr aber ins Gesicht sah, wo trotz aller Sanftmuth und Glätte die ursprüngliche Gemeinheit sich nicht verbergen konnte, begriff, warum der Geheimrath in einer Art ihr Audienz gab, wie es in der Regel auch ein noch vornehmerer Mann keiner Dame gegenüber übers Herz bringen würde. Er stand, die Hände in den Seitentaschen, halb seitswärts, halb ihr den Rücken kehrend, wodurch sie freilich Gelegenheit gewann, ihr Anliegen auf dem nächsten Wege ihm ins Ohr zu flüstern. Sie sprach leise. Er hatte mehrmals den Kopf geschüttelt. Dann sprach er, gleichfalls mit gedämpfter Stimme: »Gedulden Sie sich also bis Lombard kommt; er kann die Sache allein arrangiren. Und bis dahin hüten Sie sich, daß keine Klage einläuft. Keinen Skandal! In dem Fall wollen wir die Sache schon hinhalten.« Die Supplikantin verbeugte sich tief. Er klopfte ihr freundlich auf die Schultern. Sie wollte ihm die Hand küssen. Das litt er nicht. Der junge Rath las von einem Zettel den Namen der nächst zur Audienz aufgeschriebenen Person. Der Geheimrath machte eine Bewegung mit der Hand und warf sich, die Beine übereinander, aufs Sopha, ein Zeichen, daß er sich erholen wolle; vielleicht glaubte der Vortragende darin eines für sich zu erkennen, daß Bovillard sich über die vorige Audienz auszulassen Lust hatte. »Was wollte denn die Schubitz?« fragte er, zwischen den Papieren kramend. »Eine Eingabe von ihr ist nicht da.« »Man will sie in der Behrenstraße nicht länger dulden. Sie soll ihr Haus verlegen – in eine minder anständige Straße,« setzte der Geheimrath mit sarkastischer Miene hinzu. »Wer will denn das, wenn ich fragen darf?« »Erinnern Sie sich, was le grand Frédéric dem alten Spalding antwortete? Der beklagte sich auch über eine Nachbarschaft, die ihn in seinen Meditationen störte, und Friedrich schrieb nur auf den Rand des Memorials: Mon cher Spalding, ni vous ni moi .... pourquoi donc gêner d'autres .... Unter Friedrich hätte die Behrenstraße petitioniren können, bis sie aschgrau ward.« »Auch unter –« der Rath verschluckte es, denn der Geheimrath unterbrach ihn. »Das muß man Wöllnern lassen. Er wusste christlich ein Auge zuzudrücken, wenn – es die Schwäche seines Nächsten galt.« Er betonte die letzten Worte. Der junge Rath hatte vorhin die Aufforderung zum Lächeln übersehen. Er lächelte jetzt. »Aber wer kann es sein?« »Wer! Wer? Mon cher! Haugwitz vielleicht, oder Lucchesini, Schulenburg, oder Beyme, der Cato Censorinus. Vielleicht ist auch Prinz Louis Ferdinands sittliches Gefühl beleidigt.« Der Geheimrath gefiel sich so, daß er aufstand und mehrmals durch die Stube schritt: »Ja, ja, es hat sich so manches in Preußen geändert.« »Und wird noch manches anders werden,« setzte der Rath hinzu. »Gewiß, wenn man uns in Ruhe lässt, wenn man verständig denkt und handelt; wenn man auf die Kläffer nicht hört, wenn, wenn – was liegt noch vor, lieber Rath?« »Herr Geheimrath ließen gestern fallen, daß Ihnen eine Notiz im Hamburger Unpartheiischen, bezüglich auf Lombards Depesche, nicht unangenehm wäre. Wir wurden unterbrochen. Meine Feder und mein Wille stehen zu ihrer Disposition.« Bovillard setzte sich halb auf den Tisch, indem er vertraulich den Arm auf die Schulter des Rathes legte; die Runzeln seines Gesichtes verzogen sich in ein wohlgefälliges Lächeln: »Mich hat seit lange kein Brief so erquickt!« »Lombard muß Wichtiges berichtet haben,« bemerkte der Beamte. »Nach den Aeußerungen des Herrn Geheimraths gestern zu mehreren Geschäftsmännern herrscht unter den Kaufleuten eine sehr frohe Stimmung.« »Dürfte ich Ihnen den Brief zeigen! Bonaparte hat ihn empfangen nicht wie einen Abgesandten, sondern wie einen alten lieben Bekannten, den er endlich von Angesicht zu Angesicht sieht. Er saß auf dem Sopha und las. Was denken Sie? Den Ossian. Nachdem er Lombard die Hand gereicht, recitirte er ihm eine Stelle voll der tiefsten Empfindung für Menschenwohl. Er fragte ihn, ob er Ossians Gefühle theile? Lombard war nicht ganz vertraut, da las er ihm selbst die Scene vor, wo Malvine im Mondenschein über das Schlachtfeld eilt, und süße Betrachtungen ausgießt darüber, daß Mord und Schlachten die Geschicke der Menschheit reguliren. Bonaparte schlug das Buch zu und wandte sich schnell ab, um seine eigene Bewegung zu verbergen. Und diesen Mann gefallen sich unsere Fanatiker einen Blutmenschen zu nennen! Wer gebietet der Parteienwuth! Das warf auch Bonaparte im Gespräch hin. Sire, erwiderte Lombard, Europa kennt den Sieger des 18ten Brumaire. Der Kaiser schüttelte mit gesenktem Blick den Kopf: Ach, das war für die Straßen von Paris, für Frankreich vielleicht, aber der Genius muß noch geboren werden, der Europa wieder in seine Fugen richtet. Lombard citirte eine Stelle aus einer Schrift des jungen Ancillon. Napoleon schien sie zu kennen, aber mit einem schlauen Augenaufschlag fiel er ein: Mich dünkt, der Sinn ist weit schlagender in den Worten ausgedrückt, – Und was citirte er? Eine Stelle aus einem von Lombards Trait é' s« »Sollte Bonaparte Lombards Schriften gelesen haben?« rief der junge Rath mit einem ungläubigen Lächeln. »Dieselbe Frage stellte Lombard, natürlich nur mit andern Worten, und sein Gesicht mag auch dabei geglänzt haben, denn, wir wollen es nicht leugnen, er ist etwas eitel. Eitel sind wir Alle, lieber Fuchsius. Napoleon sah ihn mit seinen schönen klugen Augen vielsagend an, und griff dann nach einem Buche, das neben ihm auf dem Tische lag. Es war Pariser Druck und Band, Sie werden es sehen. Kaum, daß er darin geblättert, schlug er eine Seite auf und reichte sie dem Gesandten. Es war Lombards Dictum. Unverdiente Ehre, wenn mich ein französischer Schrifsteller citirt hat. – Sie sind es ja selbst, lächelte Napoleon und wies ihn auf den Titel. Kurzum, es waren Lombards Trait é' s, in einer Pariser Ausgabe, prachtvoll gedruckt. Und mit einem Wort, es kam heraus: Der Kaiser hat Lombards Abhandlungen, weil sie ihm so sehr zusagen, in einer Prachtausgabe für sich und seine vertrauten Freunde drucken lassen. Napoleon Bonaparte, sage ich Ihnen, der Genius des Jahrhunderts, kann sich von Lombards Schriften nicht trennen, er führt sie mit sich in seinem Feld-Necessaire, er blättert täglich, er findet Zerstreuung, Erholung, Erquickung darin, wenn die Sorgen ihn drücken. Mit französischer Artigkeit bat er ihn um Entschuldigung wegen des Nachdrucks, den er in seinem Reiche streng bestrafen würde, denn jeder Arbeiter müsse die Früchte seiner Arbeit genießen können. Aber die deutsche Typographie sei noch so weit zurück, es thue seinen Augen wehe, einen schönen Gedanken grob auf deutschem Papier zu sehen. Ach, fügte er hinzu, was könnte aus Deutschland, ich meine aus Ihrem Preußen werden, wenn ein Genius die Industrie belebte! Lombard erwiderte in galanter Weise die Artigkeit: er fühle sich in seinem Interesse durch den Nachdruck so lädirt, daß er auf eine große Entschädigung Anspruch mache. Er fordere nicht weniger als das Exemplar, welches durch des Kaisers Hand geweiht sei. Ich gebe es ungern, es ist mir lieb geworden, sagte der Kaiser, aber Sie sind im Recht, und nun ist es nicht mehr meines. Er hatte rasch seinen Namen mit einer verbindlichen Zeile hinein geschrieben.« Der Geheimrath war nach dem verschlossenen Schrank geeilt, von wo er einen in saubere Hüllen verschlossenen Band holte, und auf dem Tische enthüllte: »Lombard hat ihn voraus geschickt. Doch das ist nur für uns. Um Himmels Willen davon keine Mittheilungen. – Da ist sein Name. Schöne, feste Züge, der Charakter des Genius. Ex ungue leonem. – Hier ist auch mein Bericht, den Lombard die Güte hatte in seinem Traité aufzunehmen, mit abgedruckt.« Der Geheimrath umhüllte das Buch wieder mit einer Geschickslichkeit, die einem Buchbinder Ehre gemacht, und stellte es auf einen Ort zurück: »Was sagen Sie nun. Ist der Mann, wie seine enragirten Feinde ihn uns darstellen wollen?« »Das sind allerdings überraschende Kombinationen.« »Sie haben an eine Atrappe gedacht. Sehen Sie, wie Sie sich durch Ihr Vorurtheil täuschen ließen. Ueberhaupt, da war nichts Affektirtes in Bonaparte's Benehmen, nichts von der Herablassung eines Emporkömmlings. Er verhandelte mit unserm Freunde wie der Gleiche mit dem Gleichen. Lombard wollte diplomatisch Schritt um Schritt mit seinen Missionen herausrücken. Napoleon unterbrach ihn rasch: Ich bin Frankreich, die Welt fängt an es zu erkennen, und Sie sind Preußen, die Welt erkennt es noch nicht, aber ich. Ueberlassen wir doch das Anderen, sich untereinander zu täuschen, setzte er mit dem durchdringend freundlichen Blicke hinzu. – Das bleibt natürlich unter uns, und Lombard that natürlich das Seinige, dagegen zu protestiren und auf seine untergeordnete Stellung zu weisen. – Wie Sie wollen, sagte Napoleon lächelnd, ich nehme die Menschen wie sie sind, respektire aber auch den Schein, den sie hervorzukehren für nöthig halten. – Und nun floß das Gespräch anmuthig hin, wie zwischen Zweien, die, wie Schiller sagt, auf der Menschheit Höhen stehen, und parteilos und affektlos das Getriebe tief unter sich betrachten.« »Und bei dem Gespräche blieb es?« »Lombard kann nicht genug sein Entzücken über den reichen Geist ausdrücken. Er schüttete seine Anschauungen über die Weltverhältnisse wie eine Fee aus ihrem Füllhorn. Unser Freund sagt, er hat in dieser einen Stunde viel gelernt.« »Dazu ward er indeß nicht hingeschickt. – Und noch gar keine positiven Resultate?« »Wir können ganz beruhigt sein. Bonaparte hegt eine Achtung vor Preußen, die mich wirklich überrascht hat. Wenn er von Friedrich spricht – nun das versteht sich von einem Genius, wie seiner von selbst. Er malte seine Schlachten; als er die von Hochkirch schilderte, gerieth er in eine wahre Begeisterung: Die gewonnenen Schlachten wolle er dem großen Todten lassen, rief er aus, aber er gebe drei seiner eigenen Siege für den Rückzug von Hochkirch.« »Lombards Mission war aber doch nicht eigentlich, sich Unterricht über den siebenjährigen Krieg geben zu lassen?« »Spötter! wissen Sie, was Napoleon über den Baseler Frieden sagte?« »Die erste Wunde unserer Ehre!« seufzte der Rath. »Das gab er selbst zu. Erkennen Sie die Größe des Mannes. Aber nach diesem Frieden sei es Preußens Aufgabe gewesen, die demarkirten Theile von Deutschland, die unter seinem Schutz gegeben waren, sich zu unterwerfen. Ein kleines Unrecht, rief er, kann in der Politik nur gut gemacht werden durch ein großes Unrecht. Was wäre Preußen jetzt, es stände da, eine europäische Macht, die nicht nöthig hätte, Sie, mein lieber Lombard, zu mir zu schicken, um mich zu sondiren. Es wäre an mir gewesen, zu Ihnen zu schicken, ich hätte aber freilich schwer einen Lombard gefunden. Er that einige Schritte im Zimmer auf und ab. Aber es thut nichts, hub er wieder an. Preußen ist ohnedem was es ist. Der Genius Friedrichs schwebt über ihm, und die Fittiche seines Adlers rauschen stark genug, daß sich so leicht kein Feind heranwagt.« »Und weiter berichtet Lombard nichts?« »Sie bleiben ein ungläubiger Thomas. Der Kaiser ist nicht allein weit entfernt von einer feindlichen Absicht, sondern eine innige Verbindung mit uns wäre sein Wunsch. Wohl verstanden, eine Alliance, welche die Zügel der Welt in die Hand nimmt. Civilisation, Kultur, wahre Aufklärung, das Glück des Menschengeschlechts und ewiger Friede wären ihr Ziel. Wer zwingt ihn denn immerfort, das Schwert wieder zu ziehen, als die Manövres des Herrn Pitt, der jetzt Oesterreich, jetzt Neapel, nun Rußland, Schweden, und die Kleinen, warum nicht auch Spanien und die ganze Welt aufhetzt. Was sind diese Subsidien, die das monopolisirende England verschwenderisch auswirft, als das Blutgeld, womit es den Ruin der Länder erkauft, die sich verführen lassen? England wäre es recht, wenn der ganze Kontinent zur Wüste würde, wenn er nur damit der Markt wird, wo die Bettelvölker, um ihre Blöße zu kleiden, seine schlechtesten Waaren kaufen müssen. Das ist sein Ziel, und jedesmal, wenn Bonaparte seinen Degen gegen einen neuen Feind ziehen muß, thut er es mit Seufzen; er weiß, er kriegt nicht gegen die armen Neapolitaner, Hessen und Schwaben, die sind nur die Schlachtopfer; seine eigentlichen Gegner, die reichen Kaufleute an der Themse, sitzen ruhig hinter ihren Wollsäcken und trinken ihren Ostindischen Thee, derweil die mit ihren Taschengeldern zu ihrem Vergnügen, zu ihrer Spekulation erkauften Völker in die französischen Kanonen getrieben werden. Darum ist sein Grimm gegen Pitt und die Andern unbeschreiblich. Wenn ihm die Landung gelänge, wenn er England seinen Degen ins Herz bohrte, so würde er vielleicht der Blutmensch, den man aus ihm macht. Aber seine Vernunft regelt seine Begierden. Seine Pläne sind andre. Könnte er den ganzen Kontinent mit einem Netz gegen die fremde Waare umspannen, daß kein Ballen ihrer Manufacte eindringt, könnte er den Gewerbfleiß unter den Kontinentalen anstacheln, daß wir gezwungen würden für uns selbst zu erfinden und zu schaffen, könnte er die Brtten aushungern, daß sie sich den Tod essen an ihren Schlauderwaaren, dann hätte er gesiegt, wie er wünscht, nicht für sich, für die ganze europäische Menschheit. Dann würde wir alle reiche, glückliche, selbstständige Völker. Aber er allein, ein wie großes Genie auch, kann das nicht. Er braucht einen Bundesgenossen. Rußland kann es nicht sein, Oesterreich ist des Gedankens nicht fähig, Preußen allein steht auf der Höhe der Civilisation und Intelligenz, mit Preußen Hand in Hand könnte er den Weltgedanken ausführen. Begreifen Sie nun, warum es in seinem Interesse ist mit uns Freund zu bleiben?« »Lombard hat die Propositionen zur Alliance vermuthlich schon in der Tasche?« »Bonaparte kennt uns, und darum giebt er fast die Hoffnung auf. Er kennt die Hindernisse. Ich versichere Sie, mit erschreckender Genauigkeit kennt er die Coterien an unserem Hofe, er weiß, was bei der Radziwill, in den Kreisen der Prinzeß Wilhelm über ihn gesprochen, wie er titulirt wird. Er weiß die Ausdrücke, das Treiben in den Umgebungen des Prinzen Louis Ferdinand auf ein Haar, ja er liest die Gedanken, die der Prinz unterdrücken muß. Die Discourse in unsern Wachtstuben, die freien Unterhaltungen unsrer Garde du Corps liegen aufgezeichnet in seinen Akten. Soll ihm das Vertrauen und Hoffnung auf uns einflößen?« Der Rath war ernsthaft geworden. »Das ist schlimm. Man sagt, seine Spione kosten ihm viel. Preußen soll ihm überhaupt viel kosten, und das ist noch schlimmer.« »Ich sage Ihnen, jene Phantasten und Gelehrten sind Bagatell; diese sogenannte Kriegspartei aber wird uns ruiniren. Die bohrt und drängt und stürmt, bis ein Mal der Widerstand der wahren Staatsmänner zu schwach wird, und das gute Herz des Königs nach giebt.« »Und wir ständen allein,« fiel der Rath ein. » Prenez garde, mon cher, das auszusprechen. Man muß diesen Fanatikern gegenüber vorsichtig sein. Es freut mich, daß Sie den Wahn nicht theilen, als wären wir allein stark genug, gegen den Strom zu schwimmen. Doch besser, daß man dies für sich behält. Um so mehr, als, denken Sie, auch Napoleon zweifelt. Wie hübsch er das auffasst. Ich bin ja nicht so thöricht, sagte er zu Lombard, um nicht zu wissen, daß, wenn Preußen bei Valmy, Pirmasens, wenn es am Rhein ernstlich gewollt hätte, Frankreich nicht mein Frankreich, und ich nicht ich wäre. Das ist nun allerdings zu viel Artigkeit, indessen ersehen Sie daraus, wie hoch er auch unsre Armee schätzt. Ich weiß, sagte er, Ihres Königs Herz schlägt für Menschen- und Völkerglück, wie nur meines, aber ich würdige vollkommen seine Lage, er ist jung, befangen, zu gewissenhaft, er weiß sich nicht zu helfen zwischen den guten und bösen Rathgebern. Zu viel Blutsbande verknüpfen ihn mit den Ungestümen, Rasenden, und man kann sich keines Augenblicks versehen, daß nicht eine Mine auffliegt und die Feinde der Humanität siegen.« »Und wird Mortier Hannover räumen?« fragte der Rath mit scharfer Betonung. »Wird die Sperrung der Weser- und Elbemündungen, worauf Preußen bestehen muß, aufgehoben werden? Unser Handel geht zu Grunde, wenn das nicht geschieht. Das ist schlimm, aber es giebt Schimmeres. Wir verfeinden uns England. Das ist aber noch nicht das Schlimmste. Ganz Deutschland blickt sehnsüchtig und erwartend auf Preußen, als die einzige Macht, die ungebrochen da steht, frei noch von Frankreichs Einfluß, als die einzige Macht, welche die Ehre des Vaterlandes retten, der übermüthigen Gewaltthat eine Schranke entgegensetzen kann. Wenn wir diese Aufgabe nicht erfüllen, nicht rettend einschreiten, attestiren wir unsere Ohnmacht, und wir laden die Schmach auf uns, daß eine Koalition fremder Mächte, die nicht ausbleiben kann, diese Aufgabe übernimmt. Ich wiederhole nur, was die Tausende täglich sagen, die man Biedermänner nennt, mich selbst, wie sich versteht, jedes Urtheils begebend.« »So!« sagte der Geheimrath gedehnt. »Diese Biedermänner werden sich gedulden müssen, bis Lombard aus Brüssel zurück ist. Die Spezialitäten seines Auftrages wird er mündlich Sr. Majestät vortragen.« Die Geschichte und auch die Memoiren der Zeit erzählen nichts von diesem Gespräch und dem, was es hervorrief; der Dichtung aber ist es erlaubt, auch aus der Tradition zu schöpfen, wo sie noch die Worte lebendiger Zeugen belauscht hat, die es glaubten. Was einmal geglaubt ward, ist ein Faktum, das auch der Geschichte angehört. Uebrigens mag der Geheimrath Bovillard Verhandlungen und Gespräche anders aufgefasst haben, als die, welche gesprochen und verhandelt hatten; er war ein Mann von lebhafter Imagination. »Und der Artikel für den Hamburger Korrespondenten?« sagte nach einer Weile der Rath Fuchsius. »Sie werden das selbst am besten kombiniren. Ihre feine Feder weiß die Fäden zu verschlingen, daß man nicht ahnt, woher es kommt. De haut en bas etwas, mit einem gelinden Achselzucken die kriegerischen Herren behandelt. Es versteht sich, die hohen Personen, die ich nannte, bleiben unverwähnt, auch die Generale, namentlich Rüchel, Blücher. Nur mit der höchsten Distinttion von ihnen gesprochen! Zu ihrer Einsicht habe das Publikum die feste Zuversicht, daß sie die verderblichen Rathschläge von des Königs Ohr abhalten würden. Die Seitenhiebe werden Sie eben so geschickt appliciren. Es bleibt, wie gesagt, ganz Ihrem Ermessen überlassen. Es ist Ihr Dafürhalten.« »Dann bleiben nur die Gensd'armerie-Offiziere übrig.« »Mit diesen Herren komm' ich nicht gern in Konflikt. Man begegnet sich doch täglich in Gesellschaften.« »So könnten nur die deutschen Gelehrten, die Romantiker, die Zielscheibe sein.« »Ganz richtig.« »Die Herr Geheimrath für unschädlich erklärt!« »Sie verführen die Anderen mit ihren abstracten Ideen. Ja, setzen Sie es recht ins Licht, die Lächerlichkeit dieser Theoretiker, die sich einbilden, über Dinge mitsprechen zu können, von denen sie nichts verstehen. Geben Sie's ihnen recht stark, legen Sie auch Napoleon einige pikante Phrasen in den Mund über die deutsche Ideologen. Sie wären das einzige Hinderniß des Friedens, nach dem alle Welt sich sehnt. Ich weiß, sie sind es nicht. Darauf kommt es aber nicht an. Sie schlägt man, die Kriegspartei meint man. Die Herren vom Miliär erfreut es inniglich, wenn man gegen die Professoren- und Schreiberweisheit loszieht. Sie schlucken die Invectiven mit Heißhunger herunter und merken nicht, daß es Schläge für sie selbst waren. – A propos, wenn Sie auch einige scharfe Seitenhiebe gegen den Herrn von Stein geschickt anbringen könnten –« »Rechnen Herr Geheimrath den Freiherrn zu den Ideologen, zu den Romantikern oder der Kriegspartei?« » Qu'importe! « »Viele richten ihre Blicke gerade jetzt auf ihn.« »Um so schlimmer, der Mann wäre im Stande –« Der Geheimrath hielt plötzlich, wie durch eine Erinnerung gestört, inne. Ein Secretair unterbrach das Gespräch in einem Augenblick, wo der Geheimrath selbst im Begriff stand, es zu enden, vielleicht, weil ihm Gedanken aufstiegen, für die Fuchsius ihm nicht der geeignete Vertraute schien. »Ich kann heut Niemand mehr empfangen,« rief er dem Sekeretair zu: »Mein Gott, wenn man doch wüsste, wie ich überlaufen bin. Ich kann mich doch nicht verdoppeln und verdreifachen.« Der Sekretär nannte einen Namen. Das Gesicht des Wirklichen verzog sich merklich in die Länge. »Diesmal werden Herr Geheimrath ihn wohl nicht abweisen können,« sagte der Rath. »Sie ließen ihn durch mich auf diese Stunde bescheiden.« Aufgähnend und mit einer französische Phrase fand sich der Geheimrath in sein Schicksal. Der Rath beurlaubte sich, das nächste Gespräch wurde wohl – besser ohne Zeugen geführt. 8. Kapitel. Der wirkliche und der nichtwirkliche Geheimrath Achtes Kapitel. Der wirkliche und der nichtwirkliche Geheimrath. Auch Lupinus war ein anderer in seinem Hause, als – wir ihn hier wieder sehen. Die süßesten Falten glätteten sein volles Gesicht und die Glätte ging über die sanft gepuderte Stirn bis an den Schopf. Lächelnd der Mund, das Auge, den Hut in der Hand, hatte er an der Thür seine respektvolle Verbeugung gemacht, um, den Dreiecker an die Brust gedrückt, mit einer Bewegung, welche an die der Maus erinnern konnte, auf den Wirklichen zu sich in Bewegung zu setzen: »Mein theuerster Gönner!« Der Wirkliche hatte die Bewegung vorausgesehen und vor dem Händedruck, der ihm drohte, sich hinter einem Lehnstuhl verschanzt, den er mit der Linken fasste und bewegte, um sich gelegentlich darauf zu stützen, während er mit der Rechten sich auch gelegentlich bewegte. Der Wirkliche schien während dieses Auftritts um einen Kopf größer als der andere Geheimrath. Ob er es war, lass' ich ungesagt: »Mein Herr Geheimrath, ich hatte nicht erwartet, daß wir uns so begegnen sollten.« Lupinus war um einen Schritt zurückgeprallt. Den Hut noch fester an die Brust drückend, verneigte er sich noch tiefer: »Mein Herr Geheimrath, wer hat keine Feinde!« »Um das kurz abzuschneiden, von Ihren Feinden weiß ich nichts, aber ich weiß doch Alles. Ich bin nicht Ihr Richter, das wissen Sie. Wie Sie sich vor dem weiß brennen wollen, ist Ihre Sache, zu mir kommen Sie aus andern Gründen. Einem Advokaten muß man Alles sagen.« »Soll ich sagen, daß mich diese edle Gesinnung überrascht? Nein! Iustice et humanité, voilà le patrimoine de la famille de Bovillard! Si mon ami Bovillard est mon advocat, je suis l'homme le plus heureux. « »Herr, rasen Sie! Von Ihrer Kassation ist die Rede! Um des Himmels Willen, plagte Sie denn der Teufel! Lauern uns denn nicht genug auf den Dienst, wissen Sie nicht, wie man uns auf die Finger sieht, wie man die unschuldigsten Handlungen verdächtigt, und Sie müssen uns mit solchen Stänkereien kommen! Herr Geheimrath, Sie verdienten ja schon darum –« »Meine Intentionen waren die reinsten von der Welt –« »Zum Geier mit Ihren Intentionen. Wissen Sie, wie der König die Lippen biß, wie die Königin blaß ward, wie ein Jemand, den ich nicht nennen will, die Achseln zuckte und zu Ihrer Majestät flüsterte: das sind die Freunde des Herrn Lombard! wie Seine Majestät, die Hände auf dem Rücken, stumm durchs Zimmer gingen: das muß anders werden! – heißt das Ordnung! Das nennt man Humanität, daß man Gottes Ordnung umkehrt und die Verbrecher Saufgelage feiern lässt. – Es muß, es soll anders werden! schlossen Seine Majestät. Beyme hat ihn noch nie so gesehen. Die Kabinetsordre an den Justizminister war ihm noch nicht stark genug, er musste sie umschreiben. Was sagen Sie nun?« Lupinus wusste nichts zu sagen. Er kaute mit den trockenen Lippen und rieb mechanisch die Hände über den Hut, bis der Wirkliche ihm zu Hülfe kam: »Erleichtern Sie Ihr Herz und schenken mir reinen Wein, aber verstehen Sie, ganz reinen, und bis auf den Grund.« Ob der Wein ganz rein war, lassen wir auf sich beruhen. Es war so ziemlich derselbe, den wir in Lupinus' Gespräch mit seiner Schwägerin gekostet. Nur blieb der tolle Sohn des Geheimraths aus dem Spiele. Der Zuhörer, welcher besonders am Schluß aufmerksam den Kopf wiegte, schien einigermaßen befriedigt, denn er sagte, als der Andere zu Ende war: »Können Sie nun mit gutem Gewissen behaupten, daß Sie nichts hinzugethan, noch davon genommen haben: ich meine, daß, wenn Sie vor dem Richter stehen, Sie ebenfalls nichts mehr, noch weniger aussagen wür den?« »Wir sind Menschen, Herr Geheimrath, wir sind alle Menschen, und unser Loos ist irren.« »Beamte sind aber eine besondere Klasse von Menschen, die nicht irren sollen; sonst jagt man sie fort.« »Seine Majestät der König kennt gewiß meine Loyalität.« »Der Hochselige kannte sie freilich durch Herrn Rietz. Ich möchte Ihnen nicht rathen, sich darauf zu berufen. Ueberhaupt scheinen mir Ihre Erinnerungen und Kenntnisse etwas antediluvianischer Art. Wenn man ein Beamter ist Ihres Ranges, die gebildete Gesellschaft besucht, ist erste Pflicht, daß man sich um die Verhältnisse und Ansichten kümmert. Vielleicht liegt das in Ihrer Familie –« »Herr Geheimrath meinen, meinen Bruder in der Jägerstraße. Ja, um die Dehors kümmert er sich allerdings wenig. Sollte er sich vielleicht bei irgend einer Gelegenheit einen Verstoß haben zu Schulden kommen lassen! Gott, er hat ein gewissermaßen kindliches Gemüth, er kann kein Wasser trüben. Aber Gelehrte – Gelehrte, mein theuerster Gönner, ach, der Vers ist wie auf ihn gemacht: Er weiß, wie man in Rom gegessen Und zu Athen sich gab den Kuß; Darüber hat er ganz vergessen, Wie man die Gabel halten muß. Wie oft habe ich freundschaftlich mit dem Trefflichen gesprochen, daß er sich doch etwas in die Verhältnisse schicken möchte.« »Hätten Sie sich die Predigt doch lieber selbst gehalten!« fiel der Wirkliche wieder verdrießlich ein. »Mein Herr Geheimrath, es ist ganz unbegreiflich, wie Sie die Veränderungen übersehen haben, die sich in unsern Sitten zutrugen. Ja, ja, in unsern Sitten! Sehen Sie denn nicht ein, daß und wie sich alles geändert hat. Ein junger tugendhafter König ist unser Staatsoberhaupt, eine ebenso tugendhafte und sittsame junge Königin an seiner Seite. Ihr Haushalt ist ein wahres Exempel von Moralität, von wirklich rührender Häuslichkeit. Fühlen Sie denn nicht, wie dies Beispiel schon auf das Publikum einwirkt? Anfangs war man etwas frappirt, man verstand es nicht, daß es dauern könne, man sah mehr darin ein idyllisches Schauspiel. Manche fürchteten sogar, daß die Königliche Autorität verlieren würde, ohne Gold und Silberapparat. Aber es war anders. Wird dieser König weniger geliebt, als der höchstselige? Ja, ich wage zu behaupten, der große Friedrich ward nicht so venerirt. Wenn dieser jugendliche Monarch mit zwei Rappen, die schöne Königin an seiner Seite, durch die Linden kutschirt, wie schlagen alle Herzen! Hören Sie die Bemerkungen der Leute. Das sind Symptome, mein Lieber, auf die man achten muß. Bemerken Sie denn nicht, wie die Dinge in Berlin schon jetzt ein anderes Ansehen gewinnen? Man muß sich fügen, mein Lieber, man muß mit dem Strome schwimmen, man muß sich kleiden wie die Andern, wenn uns auch die Mode nicht gefällt. Ou voulez-vous être un original, qui ne se désoriginalisera jamais? Glauben Sie mir, es gefällt Manchem am Hofe nicht, ich muß manche Klage hören, aber man fügt sich. Manche Liaisons sind stadtkundig, wer hatte bisher Arges daran, aber – man genirt sich jetzt, man fährt nicht mehr zusammen in den Thiergarten. Ich könnte Ihnen – aber n'en parlons pas à propos – man sagt mir, Sie besuchen noch immer das Haus der Schubitz.« Der Nichtwirkliche blickte ihn verwundert an. »Mein hochverehrtester Gönner, auch das« – Offenbar wollte er, was man nennt mit etwas herausplatzen, vielleicht aus der Defensive in die Offensive übergehen, aber rasch sich besinnend, fuhr er in dem vorigen süß flötenden Tone fort: »Wenn ich sagen dürfte, wie anständig es dort hergeht! Ich kann betheuern, daß alles Unmoralische davon entfernt ist. In den untern Zimmern versammelt sich abendlich, gelegentlich eine Gesellschaft von frohen Menschen. Man trinkt Thee, man lässt sich eine Bowle brauen; in heitern Gesprächen vergehen die Stunden. Wie mancher Geschäftsmann, erdrückt von der Last des Tages, der keine Familie hat, oder in ihrem Kreise nicht das rechte Soulagement findet, sucht die Zerstreuung, die nothwendige Erholung, um sich wieder zu erfrischen für die Sorgen und die Arbeit des nächsten Tages. Der Staat fordert von uns ungeheure Opfer, er muß uns doch auch etwas Erholung gönnen. Einige machen auch ein Spielchen, die Räume sind so gemüthlich und hell. Muß man denn immer Arges denken! Diese leichten anmuthigen Kinder der Natur – ich will im entferntesten nicht für ihre vertu sonst einstehen – aber in diesen Reunions, wenn doch auch nur einmal etwas Unsittliches vorgefallen wäre! Hüpfende Gazellen, Hebes mit der rauchenden Schaale, mischen sie sich in das Gespräch, man hält sie fest, wenn sie entschlüpfen wollen, man richtet Fragen an sie, und freut sich ihrer schalkhaften Antworten. Sie wissen oft den Nagel auf den Kopf zu treffen. Ich will auch nicht dafür einstehen, daß man nicht einmal, überrascht von einer naiven Antwort, den losen Schalk auf den Schooß zieht, und ihn dafür mit einem Kuß auf die Lippen belohnt oder bestraft. Aber, wie gesagt, il n'y a rien là d'immoral, Monsieur le conseiller! Man findet immer achtungswerthe Gesellschaft, die höchstachtungswertheste zuweilen. – Herr Geheimrath würden erstaunen, wenn Sie hörten, welche Equipagen vor dem Hause halten – oft die ganze Behrenstraße hinauf bis zur Friedrichsstraße. Man trifft sich auch mit den Künstlern, den Genies unserer Stadt. Wie oft hat Herr Friedrich Gentz seine brillantesten Gedanken in diesen Kreisen zuerst saillant ausgespritzt. Da ist der berühmte Bildhauer, das Genie, – wie heißt er doch gleich – der macht Studien zum Basrelief für das neue Schauspielhaus. Der tiefsinnige Herr Adam Müller, ce génie mystique, las den Damen aus seinen Schriften vor, s'il m'est permis de m'exprimer ainsi, pour les convertir. Reine psychologische Studien! Der Herr Hofrath Hirt versichert, bei den Bewegungen der einen Nymphe würde er doch immer erinnert an ein pompejanisches Wandgemälde, was der Lichtenau so gefallen hatte, er hat es im Marmorpalais contrefeien müssen. Da sagte auch neulich Fleck – doch das erinnern sich Herr Geheimrath, – von der Auguste könnte die Schick agiren lernen, wenn sie die Dido singt. Enfin, je vous assure, mon génie protecteur, on n'y va que pour faire ses études artistiques, philosophiques, psychologiques – « » Et physiologiques, « unterbrach Bovillard. »Und was studirten Sie, Herr Geheimrath?« »Menschenkenntniß, Herr Geheimrath. Lernt man in der Schwäche sich nicht selbst am besten kennen?« »Das will ich gelten lassen. Darum schickte ein gewisser Jemand auch wohl seine Pantoffeln in das Haus.« Der Geheimrath senkte den Blick: »So viel mir bekannt, sind diese schon vor Monaten wieder abgeholt.« »Das ist sehr klug von dem Jemand gehandelt. Denn, merken Sie noch etwas, eine Polizeiordre ist unter der Feder, in diesen Häusern soll künftig eine Präsenzliste geführt werden. Wer aus- und eingehet, muß seinen Namen einschreiben. An jedem Morgen wird der Polizeipräsident wissen, wer sie besucht hat, und die Beamten werden höheren Orts gemeldet.« Die beiden Geheimräthe sahen sich unwillkürlich mit einem wunderbaren Blicke an. Es entstand eine Pause. Eine vertraulichere Stimmung schien zwischen dem Wirklichen und dem Nichtwirklichen eingetreten, als jener nach einem kurzen Ambuliren seine verschanzte Stellung im Stich lassend, sich mit überkreuzten Beinen auf das Sopha setzte. Der Nichtwirkliche nahm bescheiden in der andern Ecke Platz. »Und dann, warum müssen Sie mit jeder Schürze auf der Straße Konversation anfangen, und jedes hübsche Dienstmädchen in die Backen kneifen?« » Mon Dieu, auch das ein Verbrechen, wenn das Herz uns treibt, unsere Mitmenschen zu uns zu erheben! Je vous proteste, ce n'est rien que l'inspiration d'un coeur humain. « »Genialität, mon ami! Ces beaux temps sont passées. Sie werden mich gewiß nicht zu den Rigorosen rechnen, aber man muß doch auch mit einem gewissen Ernst, der unserer Stellung und unserm Alter ziemt, die Verhältnisse betrachten. Es musste anders werden. Das sittliche Gefühl des jungen Monarchen war durch so viel Affröses verletzt. Man hätte sich nicht wundern dürfen, wenn er selbst mit rigoroser Strenge dazwischen fuhr. Aber in seiner milden, bescheidenen Weise zieht er es vor, nur durch sein Beispiel zu wirken. Und es ist überraschend, wie es schon gewirkt hat. Wie menagiren sich jetzt die Damen am Hofe! Hört man noch das disgustirende Geplauder von sonst! Ein Wort, ein strafender Blick der Königin, und wie der Nebel bei Sonnenschein wird es rein – die chocquirenden Konfidenzen verstummen. Kennen Sie die alte Voß wieder? Ganz die Airs einer würdigen Matrone! Wenn es auch noch nicht überall einklingt, so macht man doch Efforts. Selbst Comteß Laura, geht sie wohl noch so ausgeschnitten wie sonst? Und wenn man auch noch die Redouten in Bergers Saal besucht, mit welcher Decenz geschieht es. Da kennt Keine die Andere, so tief maskirt! Ihre Wagen lassen sie schon an der Ecke der Dorotheenstraße zurück. Nein, die Progressen in der öffentlichen Moral sind unverkennbar. Und die Minister! Was kann denn erhebender sein, als wie der unsere den Glanz des Weltmannes von sich abgestreift hat, und wie ein Patriarch unter den Seinen lebt. Die Frau Ministerin, wenn sie das schlichte Häubchen auf dem Kopf, die Schürze vor, als Hausfrau in Küch' und Keller waltet! Ein Fremder könnte glauben, daß er in eine gewöhnliche Bürgerwirthschaft geräth. Ein herzlicher Händedruck würde ihn begrüßen, ein Trunk Bier steht immer auf dem Tische.« – »Trinken Excellenz jetzt Bier?« fiel Lupinus rasch ein. – »Wahrscheinlich von dem, was mein Freund, der Hofrath Fredersdorf in Spandow braut. Ein treffliches Bier, aber sollte es ganz nach Excellenz Geschmack sein?« »Das thut wohl nichts zur Sache. Ich meinte nur –« »Vielleicht nur des Magens wegen – Excellenz leiden an Indigestionen – da würde ein bitteres Magenbier, zum Exempel das Zerbster – der Magen eines Ministers ist etwas kostbares für das Land – ich habe da eine gute Quelle. Meinen Herr Geheimrath vielleicht, daß Excellenz es nicht ungütig nehmen würden, wenn ich mir erlaubte, ein Fässchen –« »Sorgen Sie lieber für Ihren eigenen Magen,« sagte Bovillard aufstehend, »denn Sie haben viel Verdorbenes gut zu machen!« Aber der Alp auf der Brust des Geheimrath Lupinus schien sich doch allmälig gelöst zu haben, als er die Theilnahme seines Gönners bemerkte. Die Sache war nicht durch einen Scherz zu beseitigen. Man sprach auch von einem Dritten, der seine Vermittlung schon angeboten. »Wenn man dem nur ganz trauen kann,« sagte Lupinus. Der Wirkliche lächelte leichthin: »Das zu prüfen ist meine Sache. Ihre: Anstand, Ernst, Moralität zu zeigen – und vorsichtig zu sein. Denn mir ist gar nichts darum zu thun, daß Sie mit blauem Auge davonkommen und durch eine Hinterthür schlüpfen, sondern Ihre Ehre soll ganz fleckenlos dastehen. Verstehen Sie mich, mein Herr Geheimrath? Es handelt sich um Ihre vollkommene Rechtfertigung, weil unser Interesse damit zusammenhängt. Verstehen Sie mich! Wissen Sie auch, daß der Justizminister schon einen Kandidaten für Ihren Posten in petto hat?« »Womit habe ich das verdient!« Beinahe entfiel ihm der Hut, als er mit der Hand über die Stirn fuhr. »Das machen Sie mit sich selbst aus. Dann kann ich Ihnen auch nicht verbergen, daß das Verhältniß mit Ihrer Köchin Seine Majestät choquirt. Sie thäten besser, sie wegzuschicken, oder wieder zu heirathen.« »Wenn ich die Ungnade Seiner Majestät damit abwenden könnte – mein Gott, ich bin ja zu allem bereit – jeden Augenblick.« »Warten Sie's doch noch ab,« – entgegnete der Wirkliche, wirklich von diesem Zeichen der Devotion überrascht. »Es kann sich manches wieder ändern. Ueberhaupt müssen wir warten,« setzte er hinzu, »denn ich besinne mich, daß der Minister morgen wegen des Geburtstags Seiner Majestät nicht zu sprechen ist.« Mit etwas erleichtertem Herzen nahm Lupinus seinen Rückzug. Bovillard schien schon einer Reihe anderer Gedanken gefolgt, als er, die Hand an der Thür, ihm ein à propos nachrief: »A propos, wissen Sie nicht, was aus der Jenny geworden ist!« Lupinus, halb schon aus der Thür, war im Augenblick zurückgeschnellt, und mit derselben Elasticität verklärte sich sein Gesicht zu einem Ausdruck, der das grade Gegenstück zu dem während dieser peinlichen Unterhaltung war. Es war die allmächtige Natur, welche die Folterbande gesprengt hatte. »Die ging ja nach Leipzig – nach dem Vorfall –« »Das weiß ich. Aber von da?« »Man sagte, nach Paris. Ah! ces souvenirs! « Der Geheimrath von der Vogtei küsste seine Finger. »Wie eine Gazelle,« sagte der Wirkliche. »Und eine Taille!« » Quand elle pirouettait autor d'elle-même – «. » En petit comité viel ravissanter, als hinter den Lampen. Diese Grazie!« »Augen wie eine étincelle. « » Et sont esprit! « »Witzig! Sie konnte fünf Mann todt machen.« » Et ses délicieux petits pieds! Erinnern sich Herr Geheimrath noch an jenen Abend, wie sie auf den Tisch sprang?« – » N'en parlons pas! « Bovillard wehrte mit der Hand. Mit einem eigentümlichen Blick setzte er hinzu. » Mon cher conseiller, c'est à vous taire – et surtout à présent! « » A moi! « Lupinus senkte die Augen, die Hand auf der Brust. » D'ailleurs ces souvenirs dureront plus que ma vie. « »Ja, sie hat manche Erinnerungen hinterlassen,« schmunzelte Bovillard. »Und man kann sie ordentlich historisch verfolgen,« setzte der Andere hinzu. »So was kommt doch nicht wieder. Sind Herr Geheimrath nicht auch der Meinung, es verschlechtert sich Alles in der Welt.« »Es kann aber auch Einiges besser werden,« sagte Bovillard. Noch einmal rief er dem Scheidenden nach: »Also, un peu plus de morale et – de modération. « 9. Kapitel. Der dritte August Neuntes Kapitel. Der dritte August. Der dritte August fing in Berlin an ein Feiertag zu werden. Die Bürger freuten sich, daß sie einen guten König hatten. Sie hatten lange keinen guten König gehabt; denn der alte Fritz war wohl ein großer König, aber er war ein Fürst gewesen, den eine tiefe Kluft des Respekts von seinem Volk trennte. Es verehrte, es bewunderte ihn, aber den Bürger schauerte, wenn er dachte, daß er mit ihm auf einer Diele, unter einem Dache stehen sollte. Der Müller von Sanssouci war ein einzelner Mann. Und zuletzt war der alte Fritz sehr alt geworden und grämlich, und seine Kaffeeriecher drangen in die Häuser und die Hütten. Wenn er durch die Linden ritt auf seinem alten Schimmel, liefen ihm die Kinder nach und schrieen und waren glücklich, wenn sie die Sohle seines Stiefels, den Saum seines Rockes anfassen konnten, auch leuchtete sein Auge noch immer groß und durchdringend, und die Bürger erstarrten in Ehrfurcht vor dem großen Könige, aber Liebe hat der matte Strahl des großen Auges nicht mehr geweckt. Und als der große Mann im Sterben lag, durchschauerte es auch wohl die guten Bürger, daß so ein großer Mann wie der kleinste unter ihnen von dieser Welt scheiden müsse. Aber an seine großen Schlachten und, was noch größer, seine Thaten für den Staat, und daß er die Seele dieses Staates gewesen, und ob eine andre Seele und welche in diesen verlassenen Körper fahren werde, daran dachten sie nicht. Den guten Bürgern fiel es überhaupt nicht ein, daß der Staat ein Leib sei, der eine Seele braucht. Sie dachten vielmehr – ganz still – wenn der Alte todt ist, hören die Kaffeeriecher auf, und vielleicht auch die Tabaksregie. Unter diesen Gefühlen der guten Bürger, die man später die Gutgesinnten nannte, entschlief der größte Mann seines Jahrhunderts. Wenn er's gewusst, vielleicht hätte sein letzter Seufzer geklungen: das hatte ich nicht verdient! Und darum jubelten die guten Bürger dem neuen, gütigen Könige entgegen, der auch wirklich die Kaffeeriecher fortjagte, aber später und sehr bald ward er kein guter König. – Er starb in seinem Marmorpalais am heiligen See, einsamer als der große Friedrich in Sanssouci. Die Kluft war noch tiefer geworden zwischen dem Könige und dem Volke. Und nun hatte man wirklich einen guten König. Durch viele Jahre war er derselbe geblieben; es war Friede im Lande, keine Kaffeeriecher, den Tabak kaufte man zu müßigen Preisen, die Geisterbanner und Frömmler waren fortgeschickt, Handel und Gewerbe blühten, die Soldaten waren zwar noch Soldaten, aber man konnte sich ja vor ihnen hüten, und der König und die schöne Königin fuhren so bürgerlich geschmückt, so herzlich und zutraulich durchs Volk. Keine Läufer, selten ein Vorreiter, oft in einer einfachen zweispännigen Kutsche. Das Volk fing an, diese Annäherung zu verstehen und zu würdigen, und – es liebte seinen König. Darum war bald der dritte August, des Königs Geburtstag, ein Feiertag geworden. Sie gingen vors Thor, in die Schenkgärten, sie strömten aufs Land, in die Dörfer, die glücklichen Familien, welche die Sorgen abwerfen konnten, um einen sorgenfreien Tag unter Gottes freiem Himmel zu feiern. Auf dem Hochplateau, südlich von Berlin, lag damals ein ländliches Dorf mit hohen schönen, dicht umwipfelten Bäumen, mit moosbewachsenen Schilfdächern und einer alten gothischen Kirche von Granitquadern. Nur eine halbe Meile von der Stadt, versank doch das Dorf fast unter den hohen Kornfeldern, wo die Aehre im Lehmboden üppig wucherte. Von all dem ist nur die Kirche von Granit geblieben, einst eine Besitzung der Tempelherrn, von denen das Dorf den Namen trägt. Diese sind vor alten Zeiten schon von der märkischen, und von der Erde überhaupt verschwunden, und das Feuer, das ihre Edelsten verschlang, hat auch allmälig die schönen Linden und Ulmen der Dorfstraße versengt und die Schilfdächer der Häuser verzehrt. Heut sieht das Dorf aus wie eine mit Bäumen untersprengte Stadt. Aber auf den üppigen Rasen, unter den prachtvollen Baumreihen war zu unsrer Zeit noch ein Spielplatz für ländliche Lust, wie man ihn nur wünschen mochte. Wo konnte man freiere Luft athmen, wo, hingestreckt im Grün, dem Spiel des Laubes, dem Gesang der Vögel ungestörter lauschen! Wo wölbte sich ein prächtigeres Dach von Aesten, um den Mittagstisch darunter aufzuschlagen! Noch prangten die Dörfer um die Stadt nicht mit blauen und goldenen Wirthshausschildern, noch lauerten die Kellner nicht am Eingang der Gitter mit der Speisekarte. Die Schenke war eine Trinkstube und Kegelbahn, weiter nichts, die Familien kehrten bei den Bauern ein, die sie vom Markte kannten. Und noch strömte nicht Alles hinaus, was an Sonn- und Feiertagen die Werkstätte schließt, um das Geräusch der Straßen draußen durch neuen Lärm in ersetzen und den Staub, den sie hinter sich gelassen, durch wilde Spiele wieder aufzuwühlen. Es war eine Pilgerfahrt der Familien. Sie brachten eine sonntägliche Stimmung mit. Man hatte sie lang' vorher besprochen. Man freute sich, einmal unter Gottes freiem Himmel einen Tag zu feiern. Wie Wenige waren gereist und hatten schönere Gegenden gesehen, und wie Viele hatten die Dichter gelesen und konnten auswendig ihre Lieder zum Preise der schönen Natur. Auch wer das Theater besuchte, was damals in den gebildeten Mittelständen viel häufiger geschah als jetzt, hörte und sah, wenn er es glauben wollte, daß die Menschen in den Dörfern andere und bessere wären, als die in der Stadt, weil sie Gott und seiner Natur näher sind. Wenn auch nicht bei den Schäfern, doch in der Hütte, die der Fliederstrauch überschattet, sollte der Friede und das Glück des Lebens zu suchen sein. Bei aller Blasirtheit der vornehmen Welt konnte sie dieser Stimmung durch Spott nicht wehren, ja sie erwehrte sich selbst ihrer nicht. Man musste idyllisch sein. Wir sehen eine solche glückliche Familie den langen, beschwerlichen Weg hinaus wandern. Sie steigen über den Sand des Templower Berges, dann suchen sie den festeren Fußsteig, der neben der durchwühlten Straße, fast baumlos nach dem Dorfe führt. Die Sonne brennt am wolkenlosen Himmel, und ihre Schritte sind nicht leicht; außer der Sonntagsstimmung bringen sie ja in Körben und Pompaduren mit, was zur Erheiterung dieser Stimmung dienen soll. Oft muß der Familienvater das Taschentuch herausziehen, um den Schweiß zu trocknen und oft hält er still und sieht, ob die Andern nachkommen. Da verstummt wohl das Gespräch, aber sie bleiben heiter. Unter den schattigen Ulmen, welche die Avenue des Dorfes bilden, hält endlich die Mutter und setzt ihren Beutel nieder, während der Vater sich umsieht: »Aber wo ist denn Adelheid?« – »Ach du mein,« ruft die Mutter, »da trägt das Kind doch den schweren Korb der Jette. Hab' ich's ihr nicht verboten?« Die Adelheid aber hüpft heran und setzt den Korb zu ihren Füßen nieder: »Mütterchen, er war gar nicht schwer.« Die Gluthröthe, die ihr Gesicht überzieht, straft sie Lügen. Sie steht einen Augenblick athemlos. »Aber englisches Mädchen, wie konntest Du das thun!« Der Vater schüttelte den Kopf. Aber als ihre Röthe verschwindet, weist die Tochter auf das Mädchen, das noch röther gefärbt herankeucht: »Die Jette konnte ja nicht mehr.« Der Vater murmelte: »Dafür ist sie im Dienst,« doch es schien ihm nicht Ernst; er klopfte die Tochter auf die leuchtenden Schultern: »Knüpfe Dein Tuch zu, Du bist echauffirt, und wir sind gleich im Dorf.« Der Wind wehte in die alten Ulmen, als wollte er die kleine Disharmonie weghauchen; die Jette nimmt wieder den schweren Korb auf die Hüfte und im Schatten der Bäume geht der Zug munter weiter. Nun fängt der Festtag an. Die Hunde klaffen, als sie das leichte Gitterthor in der Lyciumhecke geöffnet. Adelheid kennt sie, und sie kennen Adelheid; sie streichelt sie und sie wedeln zu ihren Füßen. Aber es ist tiefstill im Gehöft. Die Flurthür ist nicht verschlossen, doch auch im Innern des Hauses kein menschliches Wesen. Nur der graue Kater springt über den Herd, und im Zimmer schnattert der Staar in seinem Käfig, indeß die Wanduhr monoton tickt. – Ach sie sind Alle auf dem Felde! Und das Feld ist weit. – Dadurch scheint die Lustbarkeit gestört. Soll man die Jette wieder im Sonnenbrande hinausschicken? Nein, der graue Kater, der vor den Eindringlingen durch die angelehnte Kammerthür entflohen ist, zeigt ihnen ein anderes Auskunftmittel. Da liegt ja die alte Großmutter im Bette. Sie ist schon etwas närrisch und kann kaum mehr sprechen, aber Adelheid hat es ja neulich zu Pfingsten verstanden, ihr Töne und Verständniß zu entlocken. Ja, die Alte liegt noch da, stumpfsinnig lächelt sie, wie zu allem, auch den Eintretenden zu, ihre Anrede ist ihr nichts anderes, als das Ticken der Uhr. Aber sie gafft Adelheids Gesicht an, ihr Grinsen wird zum Lächeln; sie muß sich neben sie setzen, sie streichelt ihre Locken mit der dürren Hand und wie durch die Berührung allmälig elektrisirt, kommen Töne hervor, minder kreischend. Es leuchtet auch etwas wie Besinnung im Auge. Sie verständigen sich, ein Wort, ein Blick und sie wissen, daß die Hausfrau im Kuhstall ist. Bald fährt Frau Brösike vom Melken auf, denn ein seltsames Kikeriki schallt ihr aus der Wandluke. »Wetter! Wo kommen denn die Hühner her!« und als sie sich umwendet, blitzen ihr zwei wunderblaue Augen entgegen unter einer blonden Lockenfülle, und die kirschrothen Lippen öffnen sich, um zwei Reihen Perlenzähne zu zeigen und ein: »Angeführt mit Löschpapier, Frau Brösike!« ihr zuzurufen. »I, so soll doch!« ruft die Bäuerin und lässt den Melkeimer fallen, aber ihre Ueberraschung ist keine unangenehme: »Ach, die seelenhübsche Mamsell Adelheid vom Gensd'armenmarkt!« Auf dem Hofe aber hat eine andere Ueberraschung Platz gegriffen, die nicht so angenehmen Eindruck hinterlässt. Das Dienstmädchen hatte eben vom Schöpfbrunnen den vollen Eimer an die durstigen Lippen gesetzt, als eine heftige Ohrfeige, die aus der Luft zu schwirren schien, ihre brennenden Backen noch röther machte. Der Eimer schnellte aus ihrer Hand, und das Wasser, das sie nicht trinken sollte, überschüttete sie aus den Lüften. »Es geht doch nichts über die Unvernunft solcher Leute. Zu trinken wenn sie erhitzt sind!« – Das Mädchen weint, aber sie beklagt sich nicht. Der Hausherr hat das Recht. Auch die Hausfrau widerspricht nicht: nur flüstert sie ihrem Alten zu: »Alter! Solchen Leuten schadet es nicht. Das liebe Vieh trinkt auch, wenn es Lust hat und frägt nicht, ob's die Doktoren verboten haben.« Nun ist alles helle Thätigkeit inner und außer dem Hause. Jeder hilft mit, denn mitarbeiten an der Herrichtung der Tafel zum Mittagstisch, ist ein Theil der Freude. Jeder, nur der Vater nicht. Ihm wird der erste Schemel unter die Linde gesetzt, daß er in Ruhe seine Pfeife rauchen kann. Die Bäuerin will dem Herrn Kriegsrath selbst die Kohle bringen, aber Adelheid nimmt ihr die Zange ab. Und nachdem er mit dem Finger nachgestopft, und einige Züge versucht, kräuselte es sanft aus dem Meerschaumkopf, und aus den Lippen schießen Rauchwirbel regelmäßig hervor. Die Pfeife zieht, alles ist in Ordnung, der Vater nicht freundlich der Tochter zu, und sie flieht vergnügt ins Haus. Was soll man zuerst ergreifen! Die Bäuerin eilt aus Heck, auf den kleinen Hügel, und pfeift durch die hohle Hand nach dem Felde. Sie mussten es wohl gehört haben, denn bald wimmelt es von kleinen Semmelköpfen in Flur und Küche, die ihr zur Hand sind. Da knarrt der Ziehbrunnen, das Reisig prasselt auf dem Herde, bald lodern und knallen auch die Scheite frischen Holzes, die der älteste Knab' noch eben im Hofe gespalten, und die Mutter aus der Stadt packt in der Stube aus den Körben und Beuteln und vertheilt und bespricht mit der Hausfrau. Aber eben so schnell tragen die Knaben und die Magd Tisch, Schemel und Bänke aufs Grüne unter die Linde. Es fügt und schichtet sich, wenn auch nicht ganz regelrecht. Wie kann ein winklich gezimmerter Tisch grad auf der Erde stehen, die ja rund ist! Das Tischtuch fliegt hinauf, die irdenen Schüsseln und Teller halten es fest, wenn ein Luftzug die Zipfel überschlagen will, und die Schüsseln füllen sich schon, nicht vom Reis, der noch über dem Feuer siedet, aber von den Lindenblüthen, die der Zephyr von den Zweigen schüttelt. Es war ein goldiger Tag. Die Hitze war nicht gering, aber auf den Körper des Familienvaters, der ausruhen sollte von der Arbeit einer Woche, schien sie wie ein Balsam sich zu senken. Seine Frau zog sich einen Schemel neben ihn. Drinnen war alles geordnet, sie konnte es den andern überlassen, und den Strickstrumpf vorholen, um auch der Ruhe zu pflegen. »Es hat Dich aufgeheitert. Du warst heut Morgen anders,« sagte sie; »noch als wir zum Thor hinausgingen, sahst Du vor Dich hin, daß ich wunders dachte, was es wäre.« »Und Du eiltest so aus dem Thor, daß ich auch dachte, wunders was es wäre.« Sie ließ den Strickstrumpf sinken: »Ja, sieh mal, ich hätte es nicht gern gehabt, wenn uns Einer begegnet wäre. Denn eigentlich, es ist doch nicht, was sich für uns schickt, ich meine nämlich für Dich. Ja, als Du noch Subalterner warst – aber nun, und wer weiß, was Du noch wirst, da der Justizminister es mit Dir so gut meint.« Der Ehemann blies einen langen Dampf in die Luft und ließ die Pfeife am Fuße ruhen: »Das ist nicht immer ein Glück. – Schickt sich Gottes Natur nur für die Subalternen, für die Vornehmen aber nicht?« »Wie Du wieder bist, Mann! Ist nicht Gottes Natur auch in den Zelten und im Hofjäger? – Ins Freie raus ist recht hübsch, ja, und ich sage gar nichts dagegen, aber so zu Fuß mit Sack und Pack! – Das schickt sich doch nicht mehr.« Er war bei guter Laune: »Nächstes Mal wollen wir einen Wagen nehmen.« Sie nahm die gute Laune wahr: »Es ist mir auch schon recht, daß Du lieber hier raus wolltest, als nach Charlottenburg, denn da sind immer unterwegs die Soldaten und die Gensd'armenoffiziere flankiren in den Gärten nach hübschen Gesichtern, und Du hast schon recht, hier heraus kommen sie nicht geritten, weil's zu sandig ist und die vornehmen Equipagen nicht herfahren, aber sieh mal, unsre Kinder werden doch jetzt größer, besonders die Adelheid – Was siehst Du denn so besonders dahin?« »Ich freue mich, daß die Adelheid so groß geworden ist.« »Ist Dir sonst was Besonderes?« »Ja, ich habe Lust nach was Besonderm,« nickte er, »denn ich bin durstig.« Die Erklärung des Besonderen schwebte schon heran. Adelheid kam aus dem Kruge mit einem Glase Weißbier. Wer ein Glas Weißbier, das berliner große Glas, welches in der populären Sprache nicht mit Unrecht eine Stange heißt, gesehen hat, wie der Schaum, wenn es gut eingegossen, noch einige Zoll über den Rand steht, und der Porzellandeckel mit seinem Knopf am Rande des Glases schweben muß; – und wer die Unebenheit des Weges und die Entfernung erwägt vom Kruge bis zur Linde, der konnte sich über Adelheids Geschicklichkeit wundern, ein Künstler aber würde sich gefreut haben, mit welcher Grazie sie das Glas trug. Die schönen Formen des Mädchens entwickelten sich bei jedem Schritt, und mit jedem trat sie, zuerst vorsichtig ausschreitend, sicherer auf. Als sie aber, die Anhöhe unterm Baume hinaufsteigend, das Glas mit beiden Armen erhob und dem Vater zulächelte, glich sie doch dem Meisterwerk eines griechischen Meißels, der Hebe, die den Göttern die Schaale reicht. »Daß Dir's gut bekommt, Papachen!« Der Vater setzte an und leerte ein gutes Viertel in einem Zuge. Er reichte es der Tochter, weil sie als Botenlohn das nächste Recht habe. Sie nippte und reichte das Glas der Mutter. »Ich mag nichts,« die Mutter musste ja stricken. »Alte, trinke. Schluck runter, was Dich verdrießt.« Sie durstete auch. Sie wollte nur gezwungen nippen, aber sie trank. – Den Unmuth hatte sie nicht ganz hinuntergeschluckt, als sie das Glas zurückgab. »Die Adelheid in den Krug zu schicken! Das ging wohl an, so lange sie die Flechten im Nacken trug. Und weißt Du denn, ob nicht Soldaten im Kruge sind!« Der dritte August, oder die warme Sonne, oder das Spiel des Lindenlaubs musste auf der Brust des Kriegsraths das Erz geschmolzen haben. Er fuhr die Frau nicht an, worauf sie doch gefasst war, er sagte nicht, sie solle sich um das bekümmern, was sie anginge, – er gab ihr Recht. Aussprach er es nicht, aber er zupfte der Lieblingstochter am Ohr: »Die Clara soll das Glas nachher zurückbringen und das Pfand einlösen.« »Vater, es sind im Krug keine Soldaten. Aber den alten Major Rittgarten traf ich da mit dem steifen Beine. – Der lässt Dir sagen, nach Tisch will er uns auf eine Tasse Kaffee besuchen. Er freute sich, mich zu sehen, und freut sich noch mehr, mit Dir ein halb Stündchen zu plaudern.« »Ich will gar nichts damit gesagt haben, Alter, daß Du durstig warst und mal einen guten Trunk Dir machen wolltest,« sagte die Frau, als die Tochter fortgehüpft war, »auch meinethalben mochtest Du sie schicken, aber thue doch die Augen auf; sie wächst ja aus den Kleidern raus, und wir thun noch immer, als ob sie ein Kind wäre.« »Ist geboren in der Nacht, wo der Gensd'armenthurm einstürzte,« sagte der Kriegsrath. »Das vergißt sich nicht und lässt sich leicht ausrechnen.« »Nun ja, siehst Du, für uns kann sie immer noch ein Kind sein, aber was sollen die Leute draußen sagen! Die kurzen Röckchen, das passt doch wirklich nicht mehr.« Nach einer kurzen Pause sagte der Vater: »Soll andere Kleider bekommen, hab's schon in meinem Etat mir zurecht gelegt.« In solcher nachgiebigen Laune war er seit Jahren nicht gewesen. Ein Eisen muß man schmieden, so lange es heiß ist. »Sie spricht auch noch manchmal wie ein Kind.« »Ist Dir das wieder nicht Recht? Soll ich das auch anders machen?« »Du nicht, Alter, nein, aber die Erziehung. Die Nähschule und die andere, nun ja, so lange ging es. aber wir sind doch nun was anderes. Das Bischen Französisch, das ist ja gar nichts. Sieh mal des Inspektors Töchter, die über uns wohnen, wie parliren die schon! Und wovon sprechen sie nicht, wenn sie in Gesellschaft sind, von römischer Geschichte und Bonaparte und Afrika, und von dem Dichter Schiller wissen Dir die Tischlertöchter drüben ganze Gedichte auswendig. Mir ist da oft zu Muthe, als müsste ich mich verkriechen, weil ich davon nichts gelernt. Nun, ich bin eine alte Frau, oder werde's doch werden, aber um die Adelheid thut's mir oft in der Seele weh, wenn sie so gar nicht mitsprechen kann. Nicht einmal einen Roman hat sie gelesen und ein einziges Mal ist sie in der Komödie gewesen. Gott sei Dank, sie hat Mutterwitz, daß sie's ihnen geben kann, und darum behält sie Respekt. Aber, lieber Mann, französisch muh sie lernen und ein Bischen auf dem Klavier klimpern und vor allem tanzen.« Der Vater passte drei Mal heftig, und schlug sich auf den Schenkel: »Tanzen soll sie nicht lernen! Und Romane und französisch parliren und klimpern auch nicht. Daß Dich! Ich werf's zum Fenster hinaus, wenn ich was attrapire. Und – in die Tanzschule schicke ich sie absolut nicht.« Sie ließ ihn sich erholen: »Da hast Du auch ganz recht, Alter,« hub sie, ihre Maschen zählend, wieder an, »und sie wird schon ohnedem tanzen lernen, denn sie hat ein Geschick dazu, und wenn sie nur erst in einem guten Hause ist. Aber sie wird doch älter und ein Mal wird sie heirathen müssen. Der Sohn vom Hofbronceur, der möchte sie gern haben. Die Eltern sind reich. Nun ja, wenn Du sie dem geben willst, da braucht sie nicht mehr zu lernen.« Der Vater schwieg wieder: »Sie konnte ihn ja nie leiden.« »Und weißt Du, was die Jette sagt? Sie hätte doch bei vielen Herrschaften gedient. Aber eine solche Mamsell wäre ihr noch nicht vorgekommen. Die stäche manches Fräulein aus; auch manche Gräfin hätte nicht so seine Art. Du bist doch nun einmal Kriegsrath, und wir müssen in Gesellschaften. Sollen wir die Adelheid immer zu Haus einschließen? Du siehst es freilich nicht, wie sie zu uns rauf gaffen, wenn sie am Fenster strickt, und ich hab's Dir nicht sagen wollen, vom Bäcker nebenan, oben auf dem Boden, kann man in unsere Schlafstube sehen. Da steigen die jungen Herren vom Kammergericht, die Referendare, die beim Bäcker wohnen, hinauf und sehen runter, wenn wir Licht anmachen. Seit ich's weiß, darum hab' ich Dir die dicken Vorhänge abgeschwatzt. Aber willst Du sie immer behüten?« Der Kriegsrath antwortete nicht. »Du hast schon ganz recht. Wenn wir sie in Gesellschaft führen, da wird's ein großes Gaffen geben, und die Herren werden um sie schwenzeln. Aber ich weiß doch nicht Alter, ob sie da besser dran ist, wenn sie nicht französisch kann und nicht Klavier spielen, und wenn die Leute endlich merken, sie ist ein Gänschen, mit der kann man schon was aufstellen, oder, –« Der Kriegsrath war aufgestanden. Die Pfeife stellte er an den Baum, seine Frau nahm er unter den Arm. Sie gingen unter den Linden langsam auf und ab, und er klopfte ihr auf den Arm: »Du bist schon eine kluge Frau.« Sie hatte gesiegt. Sie waren einig, daß Adelheid eine Erziehung erhalten müsse, um in der Welt aufzutreten. Weniger einig waren sie über das wie? »Davon ein ander Mal,« sagte der Kriegsrath. Aber sie hielt plötzlich inne und sah ihn groß an: »Alter, dahinter steckt noch was andres. Gestern Abend kamst Du nachdenklich nach Haus und Du fragtest nach der Pfeife und hieltest sie schon zwischen den Beinen und heute Morgen auch, Alter, da ist was los. Sonst hättest Du auch nicht so schnell nachgegeben.« Der Kriegsrath sah seine Frau scharf an, aber nicht unfreundlich: »Christine, es ist was los, – eigentlich soll man Frauen so was nicht sagen, bis es gewiß ist, aber ich weiß, Du plauderst nicht. Der Geheimrath Lupinus von der Voigtei –« »Wird kassirt,« fiel sie ein, »weil die Gefangenen die Fensterscheiben eingeschlagen haben.« »Es ist möglich, daß er sein Amt verliert, oder seine Entlassung nehmen muß,« korrigirte der Kriegsrath. »In diesem Falle gedenkt seine Excellenz, der Herr Justizminister –« »Dir – Dir, Mann!« rief sie verwundert. »Siehst Du wohl, was Konnexionen machen! Ich weiß es von mehr als Einem, wie Dir der Herr Justizminister gewogen sind.« »Ich verdanke ihm meine Stellung, das weiß ich. Eigentlich wäre das nun nicht meines Amtes, noch ist's meine Karriere; aber Excellenz haben die gute Meinung von mir, daß ich der rechte Mann wäre, um dort die Zucht und Ordnung herzustellen.« »Und Du nimmst sie doch an?« »Still!« gebot ein fast drohender Blick. »Die Sache mit Lupinus ist noch nicht entschieden. Und wenn, soll ich mir wieder neue Neider und Feinde machen? Denn wie Viele, Würdigere, würden um mich zurückgesetzt!« Die Frau Kriegsräthin wusste sehr viele Gründe, warum er annehmen müsse; sie wusste, daß er ganz zu dem Posten befähigt sei, denn daran zweifeln, hieße ja an der Autorität seines hohen Vorgesetzten zweifeln, der werde es doch am besten wissen, wozu er tauge. Und um die Andern kümmere sie sich gar nicht. »Und,« schloß sie, »Du würdest dann auch Geheimer –« Sie erschrak und verschluckte das Wort. »Aber –« Aber einig wurden sie doch. Die Adelheid sollte französisch lernen, und ein Lehrer im Hause angenommen werden, für Geographie und Geschichte und was sonst so nöthig ist, damit man nicht dumm in der Gesellschaft ist. Dazu gab der Vater die Einwilligung. Klavierspielen – auch das – aber Aesthetik! Ja, Gellert und auch Bürger und vor allem der treffliche Gleim! Er konnte alle seine Preußenlieder auswendig. – »Mann! Mann!« sagte die Mutter, »da lächeln sie über uns. Sie sprechen immer nur über Schiller und Goethe und Tiedge! Die muß sie kennen lernen.« Gegen Schiller hatte der Kriegsrath nichts einzuwenden; die Königin liebte diesen Dichter, und er hatte erfahren, daß auch der König sich einmal günstig über ihn geäußert. Und Goethe ließ er passiren, sein Götz von Berlichingen hatte ihm wunderbar ums Herzl geklungen. »Solche eiserne Hand thäte unserer Zeit noth!« Aber Tiedge, der sollte ja extravagante Ideen, und die ganze junge Schule unsittliche Grundsätze predigen. Darüber wusste die Mutter nicht Auskunft zu geben, sie hatte nur gehört, daß er ein frommes und himmlisches Gedicht geschrieben, was Orania heißt, und ein anderes, was die Verkehrte Welt heißt. Das wäre nicht so gut; dafür wäre er aber der Verfasser von sehr hübschen und moralischen Kindermärchen. Im Uebrigen, meinte sie, was sich für junge Mädchen schickt, werde wohl der Lehrer am besten wissen. Damit war auch der Vater einverstanden, auch daß Adelheid in bessere Gesellschaft gebracht werden sollte. Nur über die Familien, wo man sie einführen sollte, war man in Streit. Endlich schloß der Vater: »Meinethalben, wo Du willst, denn Du kennst die Frauen besser als ich; nur nicht, wo sie Romane findet und Offiziere.« 10. Kapitel. Die alte Zeit Zehntes Kapitel. Die alte Zeit. Mit einem Schlag auf die Schulter, rief eine Stimme hinter ihm: »Und warum keine Offiziere, alter Schwede! – Willst am Ende auch mit mir nicht mehr umgehen? Meinst, ich könnte Deine Tochter verführen! So seid Ihr Menschen am grünen Tisch und hinter den Büchern, lasst Euch einen Schreck vom ersten Besten einblasen und weil Ihr nicht die Augen aufzuschlagen wagt, um dem Ding in's Gesicht zu sehen, vermeint Ihr, es sei Wunder was. Ich sage Dir, wer nicht der Gefahr entgegen geht, der ist schon halb verloren. Was wäre Preußen, wenn wir abgewartet hätten, bis die Oesterreicher und die Franzosen und Russen den siebenjährigen Krieg anfingen? Daß wir nicht die Hände in den Schoß legten, daß wir nicht abwarteten, bis der liebe Gott es so schickte, daß wir in ihr Gespinnst drein schlugen, eh's zum Netze ward, das hat uns Glück gegeben, uns stark gemacht und groß. Wäre der alte Fritz ein Duckmäuser gewesen, und hätte gewartet und gelauert, bis die Anderen angegriffen, dann hätte der liebe Gott ihm auch nicht beigestanden, und was aus unserm Preußen geworden, das weiß der Teufel.« Ein herzlicher Händeschlag folgte dem Schulterschlag. Auch mit der Frau Kriegsräthin: »Reden Sie meinem Manne nur ein Bischen ins Gewissen rein, Herr Major, 's thut zuweilen Noth, wenn er gar zu zipp ist. Sonst ist's ein guter Mann. Und zu Tisch bleiben Sie doch unser lieber Gast? Es wird gleich angerichtet.« »Dante schönstens, Frau Kriegsräthin, habe meinen Speckeierkuchen schon im Kruge verzehrt, aber ein Gläschen Wein, da ich so was im Korbe flimmern sehe, und auf des Königs Gesundheit, das schlägt ein guter Soldat und Unterthan niemals aus.« Der Invalide konnte doch nicht lange stehen, zum einen Schemel unter der Linde war ein zweiter gerückt, und als die Wirthin sich empfahl, um in der Küche nachzusehen, dampften schon zwei Pfeifen. »Es kann doch nicht Dein Ernst sein,« sagte der Kriegsrath. »Denn wer kennt besser unsere Offiziere als Du!« »Freilich kenne ich sie, ich habe sie jedoch auch gekannt, als sie noch andere waren. Aber das weiß ich auch, je mehr Ihr Euch von ihnen zurückzieht, um so schlimmer wird's. Auch die Soldaten waren nicht so arg, als Friedrichs Auge noch über sie wachte. Doch das thut's nicht allein. Wenn Ihr nicht vor ihrem Anblick liefet und die Thüren zuschlügt, wo einer nur von fern sich blicken lässt, wenn Ihr ihnen offen entgegenträtet, ein ernst Wort mit ihnen sprächet, so würdet Ihr manches anders finden, als Ihr denket. Sie sind auch Menschen, aber wenn Ihr sie nur als Vogelscheuche betrachtet, das macht sie wild und boshaft.« »Aber Du giebst mir doch recht, daß man ein junges Frauenzimmer vor den Offizieren wahren muß. Vor allem eines, das noch unerfahren ist?« »Da schlägst Du Dich selbst. Ein junges Frauenzimmer, das sich zu benehmen weiß, läuft weit weniger Gefahr, als eins, das schon vor Schrecken aufschreiet, wenn's einen Federbusch sieht, weil die Mama ihm gesagt, es soll sich davor in Acht nehmen, wie vor einem Raubthiere. Denn das sind unsere jungen Offiziere, wenn's auch nicht mehr dieselben, doch nicht. Ich sag's grad heraus, Ihr Herren von der Feder und die anderen, Ihr habt sie verderben helfen. Warum macht Ihr ihnen überall Platz und weicht vor ihnen zurück, wo Ihr's nicht nöthig hattet. Ist's nicht eine Schande, wenn ein alter Kriegsrath oder ein ehrenwerther Kaufmann mit grauem Haar vor einem Lieutenant oder gar einem Fähnrich ausweicht? Wo steht's denn geschrieben, daß es so sein soll? Wenn Ihr ihnen nicht immer das Feld ließet, und das Maul schlösset, sondern grab 'raus den jungen Herrchen die Wahrheit sagtet, nun je Einer oder der andere würde ein Mal anlaufen, aber im Ganzen würde es anders, wenn sie wüssten, daß sie unter den Civilisten auch ihren Mann fänden. Darum dominiren jetzt die Uniformen, wo sie mit den Fracks zusammen kommen, und die trennen sich immer mehr, die doch bestimmt sind, zusammen zu halten als Brüder und Glieder eines Volkes.« »Es ist seltsam, einen alten Offizier so reden zu hören.« »Es war nicht alles gut unter dem großen König, aber es war anders. Sein Auge war ein Etwas, was das träge Blut in Bewegung brachte. Es war überall, wenn er auch nicht zugegen war. Man stellte sich vor, wenn man etwas that oder unterließ, daß der König es gesehen haben könnte, man fragte sich, was er wohl dazu gesagt, wie er geurtheilt hätte, und das gab eine Disziplin, die kein Kommando macht. Er war ungerecht. O ja, er ist es oft gewesen. Aber wer von ihm litt, der setzte einen Stolz darin, daß er litt; er dachte sich, eigentlich weiß es wohl Friedrich jetzt, daß er dir unrecht gethan, aber er kann's oder mag's nicht ändern, um der Autorität willen, oder aus Eigensinn. Das Gefühl that dann wohl, wie das pour le mérite -Kreuz auf der Brust. Man litt um seinen König und durch seinen König, und der König weiß es auch, und trägt vielleicht noch schwerer daran.« »Den Orden trägst Du auch.« »Den, daß ich ein Bürgerlicher war. Ein Leiden lässt sich schon tragen, was viele Hunderte mit uns tragen.« »Bei Torgau war es ja wohl!« »Da fiel der Major, der mein Regiment kommandirte, und schon der dritte, der mir vorgezogen war. Fiel auf den ersten Schuß. Ich kommandirte, es war nun mal kein Anderer da, und nahm das Fichtenwäldchen. Die Herren gratulirten mir schon: diesmal komme ich doch nicht zu früh, Herr Major? sagte der alte Ziethen, der an mir vorüber ritt. Kam doch zu früh. Der junge Kapitän – was soll ich in meinem Groll einen Ehrenmann nennen! – der noch Page beim König war kurz vor Ausbruch des Krieges, ward Major auf dem Schlachtfeld, und erhielt nachher als Obrist das Regiment, hatte es gewiß verdient, und was konnte er dafür, daß die Uebermacht auf ihn fiel und ihn aus der Schanze trieb. Friedrich wusste es, hatte ihn vom Pferde stürzen sehen, überreiten und wieder aufsitzen; so war er blutend und zu den Seinen zurückgekehrt.« »Jedermann giebt Dir das Zeugniß, daß Du es auch verdient hattest, Rittgarten. Ich habe viele brave Offiziere gesprochen.« »Wer sagt denn, daß es Friedrich nicht auch dachte. Aber er hatte mich zwei Mal übergangen. Wenn er es nun zum dritten Mal anders machte, strafte er sich ja selbst. So wird der König gedacht haben, und darum avancirte ich nicht auf dem Schlachtfeld und erhielt nicht das Regiment. Er ließ mich nachmalen fragen, ob ich nicht ein paar Freibataillons kommandiren wolle, die sich damals über der Elbe bildeten; und hatte wohl die Absicht, daß ich dann avanciren sollte. Ich ließ gehorsamst mich bedanken für die gnädige Attention, mein ganzes Leben aber wäre regulär gewesen, und so möcht' ich's auch gern zu Ende bringen. Da hat Friedrich gelacht, ich weiß es, und hat gesagt! ›Der ist ein Starrkopf, so soll er's haben!‹ – Siehst Du, das war so viel für mich als ein Orden! – Nachher hat er mich wohl vergessen. Aber ich habe noch einen Orden von ihm.« »Du!« »Es war sein Sterbejahr. Mir ahnte es. Da hatte ich keine Ruhe mehr. Wenn ich ihn noch einmal sehen könnte! Hatte längst meinen Abschied, wie Du weißt. Jetzt war ich Major, ein Invalidenmajor. Reiste nach Potsdam und ging nach Sanssouci hinaus. Das Glück wollte mir wohl. Ein alter Kammerdiener, den ich kannte, ließ mich auf die Terasse. Es war ein sonniger, schöner Nachmittag, wie heut; nur noch schöner, es spielte so was wie Duft in den Orangenbäumen, die Sperlinge zwitscherten. Der König saß an der offenen Glasthür in seinem Lehnstuhl, den Pelz übergedeckt. Sie wollten ihn zum letzten Mal die Luft dieser Erde recht frisch kosten lassen. Vor sich sah er nun, was er geschaffen hatte, und darüber hinaus den blauen Himmel, den der liebe Gott geschaffen hat. Die Kieferwälder in der Ferne bewegten sich. Mir war's, als hätte ich beten mögen. Und ich muß auch wohl die Hände gefaltet haben. Wollte stehen bleiben da in dem Winkel, wo die Hunde begraben liegen. Da klopfte der Wachthabende, der's mir wohl ansah an dem blauen Ueberrock, daß ich auch Soldat gewesen – oder hatte es ihm der Kammerdiener gesagt? – er klopfte mir leis auf die Schulter: ›Gehen Sie nur immer vor, und sehen sich Ihren König noch einmal au, er schläft fest. Wer weiß, ob er wieder erwacht.‹ Er stieß mich sanft vor. – Das war ein eigen Gefühl. Mir klopfte das Herz, wie da ich zum ersten Mal ins Feuer kam; aber zugleich war mir so ruhig, so sonntäglich zu Muth. – Nun stand ich vor ihm, nicht zehn Schritt entfernt, die Sonne wollte hinter die Bäume sinken. Gott weiß, was ich dachte! Einmal war's mir, als würde er, wenn sie sinke, auch die Augen schließen, und dann würde es Nacht werden, und Alles, was er geschaffen, mit ihm untersinken. – Und das Gesicht des Schlafenden! – Was lag darin! Herr du mein Gott, was konnte Einer darin lesen! Die Lippen bewegten sich ganz leise, als spräche er im Traume. Nun schlug er plötzlich das große Auge auf. Er sah mich. Ich stand wie eingewurzelt, den Hut presste ich in der Hand, und hätte mögen in die Erde versinken. Da öffnete er die Lippen: ›Ihn kenne ich auch – bei Torgau – vergeß er mich nicht‹ Sah mich wohl, wie auch im Traum, der vor ihm gaukelte, denn er schloß sie wieder. Nur die Finger machten eine leise Bewegung. War's ein Wink für mich, oder was war es? Da hub das Glockenspiel in Potsdam an, die Sonne war hinter die Bäume gesunken, der Schatten fiel auf den großen König, und ich weiß nicht mehr, wie ich fortkam.« Der alte Major hatte etwas mit dem Finger am Auge zu thun; der Kriegsrath ebenfalls. Es entstand eine Pause. Auch schienen ihre Pfeifen in Unordnung gerathen, denn beide Herren zogen sehr eifrig, und benutzten den Rest der Pause dazu, dicke Wolken in die Luft zu blasen. Und dann war alles wieder in Ordnung. »Einem außerordentlichen Manne muß man schon Manches nachsehen,« hub der Major an, »was man einem gewöhnlichen Menschen nicht verziehe. Dafür ist er ein großer Mann. Und wenn Friedrich heut lebte, so würde er wohl anders urtheilen, und nicht noch weinen, daß ein Bürgerlicher nur unter den Husaren gut ist, nur unter der Artillerie zum Offizier taugt. – Und daß er dem jungen Herrn, der sein Page gewesen, mein Regiment gab, daran hat er ganz recht gethan, oder meinst Du anders? Ist er nicht ein General geworden, der dem Staat Ehre gebracht hat? Warum ward der Bonaparte ein großer Feldherr, warum hat er um sich eine Schule guter Generale? Weil er's mit der Anciennität nicht genau nimmt, weil er die Tüchtigen sich herausgreift, wo er sie findet, weil er auf dem Schlachtfelde avanciren lässt, wie's ihm grade zu Muth ist. Da ist Salz, da ist Blut im Heere, er fragt nicht nach Glauben und Herkommen und alten Ansprüchen. Jeder hat Aussicht, daß er's bis zum General bringt, und noch weiter, wenn er seine Schuldigkeit thut, oder noch mehr. Wenn das nicht gute Soldaten machen muß! Fort mit den Steifen und Alten, in die Magazine und in den Train; vorwärts mit den Jungen!« Der Kriegsrath sah ihn verwundert an: »Damit tadelst Du ja Friedrich; er that es nicht.« »Der alte Fritz wusste, was sich schickte und was er brauchte. Er hatte es mit einem Daun zu thun, und seine Ziethen und Seidlitze wusste er wohl zu brauchen, wo andere Feinde sich zeigten. Und wie ich Dir sagte, es war sein Auge, seine Presence, die das Blut wieder umrührte, wo es stockig ward. Seitdem ist's schrecklich stockig geworden, sonst wären wir nicht im Lehm festgeklebt in der Champagne, und seit dem Baseler Frieden ist's noch ärger.« Der alte Major wollte noch mehr sagen, aber er that's nicht mit Worten, er klopfte mit dem Meerschaumkopf so stark gegen seinen hohen Stiefel, daß die Pfeife ausging. Es war auch nicht mehr Zeit zum Rauchen und zur Konversation, die Magd trug, begleitet von den jubelnden Kleinen, die rauchende Schüssel Milchreis auf den Tisch. Clara sprach das Gebet, und die Mutter streute einen Staubregen von Zimmt und Zucker über die Schüssel. Ein Ah! der Verwunderung und Freude ging durch den Kreis der Kleinen: »Das ist ein Sonntag! Das ist Festtag!« Sie blickten den Major verwundert an, nicht einmal Milchreis mit Zucker und Zimmt wollte er genießen! Als die Bauerfrau mit beiden Armen einen Napf mit dampfenden Kartoffeln in der Schaale auf den Tisch trug, die, aufgesprungen, ihre würzige weiße Fülle entfalteten, ward das Ah! noch lauter. Aber wie erschrocken blickten sie auf den Vater, als dieser plötzlich die Hand auf die Schüssel legte: »Halt, Kinder! Ist es denn schon polizeilich erlaubt? Mich dünkt, das ist erst vom fünfzehnten August ab.« Die Bäuerin gab die Versicherung, sie dürften jetzt schon vom ersten August ab frische Kartoffeln zu Markte bringen, und sie meinte, es werde künftig noch früher erlaubt werden, weil die Kultur fortschreite. »Dann schreiten wir doch in einem Ding fort!« sagte lächelnd der Major. »Hab's mir auch so gedacht, wenn ich bedenke, wie sie jetzt die Kriege führen. Ach, die Küchenwagen, die wir mitschleppen mussten, und die Magazine, die der große Friedrich anlegte! Das kostete ein Heidengeld, und ein Fuhrwesen! Der Bonaparte bestellt seine Magazine in Feindes Land, ohne daß es ihm einen Groschen kostet, und eher fängt er den Krieg nicht an, als bis sie fertig sind.« »Wie meinst Du das?« »Er lässt nicht früher ausmarschiren, als bis die Kartoffeln reif werden. Da finden seine Soldaten ihre Magazine überall auf dem Felde. Aber sie buddeln und kochen sie auch im Juli, ja, wenn sie Hunger haben, schon im Juni. Kriegsrath! nicht wahr, das ist abscheulich, so gegen die Polizeiordnung zu handeln, wenn man hungert.« »Ich finde es nur einem guten Patrioten kontrair, Herr Obristwachtmeister, wenn man immer den Feind im Munde hat und ihn lobt.« »Was, Feind! Kriegsrath! Er ist unser Alliirter, bedenke das Landrecht, da steht was von Landesverrath drin, wenn man gegen alliirte Mächte raisonnirt. Und ein wie großmüthiger Alliirter! Fordert nichts von uns, sie sagen, er schickt sogar recht viel ins Land. Und rings um uns her stäubt er und fegt, und macht uns los von anderen lästigen Alliancen, bis wir mutterseelenallein auf der Welt dastehen. Da wird er uns dann aus Herz fallen und drücken: Du liebes Preußen, nun hindert mich nichts mehr Dir zu sagen, wie ich Dich so recht herzinnig und ganz besonders geliebt habe!« Der Frau Kriegsräthin ward bange bei dem Gespräch. Sie verstand es nicht, aber der Instinkt sagte ihr, es sei anders gemeint, als gesprochen, und sie sah eine häßliche Falte auf der Stirn ihres Mannes. Da sah sie auch plötzlich die Bienen, die sie übrigens viel früher hätte sehen können, denn sie summten unverschämt um Gläser und Teller: »Jemine, Herr Obristwachtmeister, da ist sie in Ihrem Glase. Schütten Sie aus, das ganze Glas – frisch zu – Sie müssen mit reinem Wein des Königs Gesundheit trinken.« »Der schöne alte Franzwein!« sagte der Major, als er das Gläschen auf die Erde tröpfeln ließ. »Der gährte gewiß schon im Faß, als ich bei Roßbach die Schärpe verdiente.« Er hielt plötzlich inne, als er die Wespe mit dem Finger hinausgeworfen. »Alter Freund! ein frisch Glas auf den jungen König, aber jetzt stoß an mit dem Restchen: daß Preußen noch einmal ein Roßbach erlebt!« Es war die Versöhnung. Der Kriegsrath verstand es, er fuhr aber so heftig gegen das Glas des Majors, daß es einen Sprung bekam: »Thut nichts! Ein neues Roßbach, wenn ich's auch nicht erlebe.« Um nicht aus einem gesprungenen Glase des Königs Gesundheit zu trinken, musste ein neues herbeigeschafft werden. Dazu kamen andere Unterbrechungen. Die Jette trug lachend eine verhüllte Schüssel auf. Die Mutter hob das Tuch, und als die Kirschkuchen sichtbar wurden, war die Ordnung am Tische nicht mehr zu erhalten. »Gieb ihnen die Kuchen und laß sie laufen,« sagte der Vater, »sie haben doch keine Geduld mehr, und stören uns nur.« Dazu erschallte Trompeten- und Paukenmusik von einem Dorfende. Es war lebhafter im Dorfe geworden, Equipagen fuhren vor, aus der Schenke tönte militärische Musik! »Mein alter Dessauer!« sagte der Major. »Verzeihung, meine Freunde, wenn ich da zu meinen alten Kameraden muß.« »Aber vorerst das Glas auf den König, Alter.« Der Major erhob sich. Er sammelte sich zu einem Spruch, indem er in die Wipfel sah. Es strahlte nicht mehr das Gold der Mittagssonne im Laube. Eine schwarze Wolke fuhr gerade über den Horizont. Es war sehr heiß, der helle Schweiß perlte ihm auf der Stirn. Indem er ihn abtrocknete, verweilte er an den Augen. Er mußte auch da etwas zu trocknen haben. »Du helle Sonne, die Du auf ihn schienst, den Einzigen, Herr Gott, wenn Du untergesunken wärst mit dem Licht seiner Augen, und es wäre wirklich Nacht geworden. –« Er sprach's mit feierlicher, aber zitternder Stimme; es war nicht, was er sprechen wollte. Darum hielt er wohl inne, das Glas in seiner Hand zitterte. Der Kriegsrath sah ihn ängstlich an, die Kriegsräthin nach der Flasche, ob er zu viel getrunken. Da schmetterte heiter und lustig das Reiterlied aus dem Kruge. Er fuhr fort: »Nein – nein – es wird wieder Tag werden. Das alles kann nicht untergegangen sein – es kann nicht, es kann nicht. Es schläft nur eine Weile. Und wir werden aufwachen, und andere Augen werden strahlen. Unser junger, lieber, bürgerfreundlicher König, meine Freunde, daß die Sonne Preußens vor ihm aufgehe, daß sein Auge hell aufgehe, das Gute vom Bösen zu unterscheiden, daß sein Sinn sich kräftige und stählern werde gegen die Rathschläge der Weichherzigen, der Schmeichler und Bösen, unser guter junger König soll leben hoch in aller Preußen Herzen.« Man stieß an, und die Gläser klangen auch ziemlich hell, aber die innere Bewegung des Invaliden hatte sich den Andern mitgetheilt, es war kein fröhlicher Gläserklang, wo man den Becher mit vollem Herzen anstößt. Auch ward es laut im Dorfe; eine spanische Reitermusik mischte schon ihre bizarren Töne mit den schmetternd kecken des Dessauer Marsches. So ward eine kleine Disharmonie. Der Major nahm kurz mit einem Händedruck Abschied, die Bäuerin deckte rasch den Tisch ab. Es konnte ein Gewitter kommen, und es war eine Reiterbande im Dorf. Man musste sich vorsehen. Im Staube sah man auch schon eine bunte Fahne schwingen, und ein Reiter im sogenannten spanischen Kostüm ritt mit einem Trompeter durch das Dorf, in gebrochenem Deutsch zu einem nie gesehenen Schauspiel, expreß zu Ehren Sr. Majestät des Königs einladend, und umwogt von einer zahllosen Menge großer und kleiner Zuschauer trottete ein Kameel heran, einen Affen mit rother Jacke auf dem Sattel, und ein Bär in Ketten marschirte hinterher, zum unendlichen Jubel der Jugend, dann und wann sich aufrichtend und im Kreise sich wirbelnd. 11. Kapitel. Die Frau Obristin Elftes Kapitel. Die Frau Obristin. »Herr Gott, wo sind die Kinder!« Kaum aber war der Angstruf heraus, als die Verschwundenen schon unter den Bäumen zum Vorschein kamen; doch nicht allein. Eine fremde Dame führte Clara an der Hand, zwei junge Mädchen die andern beiden Kinder dem Tische der Familie zu. »Da sind gewiß die lieben Eltern,« rief schon von fern eine Dame halb im Reisekleide, aber doch in einer sehr geschmackvollen Toilette. »Entschuldigen Sie nur, meine Herrschaften, daß ich mich so unangemeldet eindränge. Aber die englischen Kleinen gingen mir ans Herz, und ich weiß, was ein Mutterherz leidet, wenn es in Angst ist um seine Kinder. Da, liebe Kleinen, sind Eure Eltern. Habt sie nun auch recht lieb, und lauft ihnen nie mehr fort.« »Mein Gott, was ist es!« rief die Kriegsräthin. Die fremde Dame gab eine Erklärung, die wir kurz zusammenfassen. Sie war von einer Reise mit ihren Nichten zurückgekehrt und hatte am Eingange des Dorfes die ihr schon sonst bekannte Reiterbande getroffen. Um nicht mit solchen Menschen zusammen zu kommen und auch des gräßlichen Staubes wegen, war sie ausgestiegen und auf einem Fußwege durch die Felder ins Dorf gegangen, aber sie traf doch wieder auf der Dorfstraße die Gesellschaft und hatte mitten im Gedränge der Zuschauer die allerliebsten Kinder, die offenbar von guten Eltern waren, bemerkt. Da war es ihr wie durch's Herz geschossen, daß die Kleinen sich verlieren und den Reitern nachlaufen könnten, und einer der Reiter hatte die Clara gefragt, ob sie zu ihm auf's Pferd wollte, und da hätte sie es für Gewissenspflicht gehalten, das Kind an sich zu reißen und die anderen auch, um sie nach ihren Eltern zu fragen, und da sie's erfahren, hätte sie dem lieben Gott gedankt, daß sie noch zu rechter Zeit hinzugekommen, um die Kinder vor der Gefahr zu retten und ihren lieben Angehörigen zuzuführen. Die Kleinen aber schienen anderer Ansicht. Der jüngste Knabe namentlich zankte mit dem hübschen jungen Mädchen, welches ihn an der Hand noch immer festhielt und schrie, er wollte zu den Affen. Der Kriegsrath hatte sich von seinem Schreck erholt und freute sich, daß es nichts weiter auf sich habe. »Ach, mein sehr geehrter Herr, den ich noch nicht die Ehre habe zu kennen,« sagte die Dame, »aber gewiß sind Sie ein Patriot, denn das sehe ich an den Weingläsern, und wer unseres guten Königs Geburtstag trinkt, den erlauben Sie mir schon, daß ich ihn als meinen Freund ansehe. Aber Sie meinen, das hätte nichts auf sich! Die Reiter stehlen ja die Kinder wie die Raben. Man kann sich vor ihnen nicht genug in Acht nehmen. O du mein Gott, ich könnte Ihnen davon Geschichten erzählen, daß einem das Haar zu Berge steht. Sehen Sie, ich fuhr mit meinen Nichten nach Leipzig, damit sie ihren Vater sehen sollten. Wir haben ihn nicht mehr getroffen. Nun, das schadet nichts, der Wille war doch gut, und Leipzig ist eine schöne Stadt, und zur Messe. Sie hätten die Freude der Kinder sehen sollen bei den tausend bunten schönen Sachen. Na, ich gönnte sie den armen Dingern. Und als wir zurückfuhren, brach ein Rad am Wagen. Ich sagte zum Kutscher, der sonst ein recht verständiger Mensch ist, i, kann er's nicht zusammenbinden, daß wir noch nach Berlin kommen vor Königs Geburtstag? Er sagte partout nein. Der Wagen müsste zum Schmied, wir riskirten sonst, auf der Landstraße liegen zu bleiben. Nun können Sie denken, das wollte ich doch auch nicht, drei einzelne Frauenspersonen, und so kamen wir in das Dorf drüben, wie heißt es doch gleich, wo die Schmiede ist. Ja, da hieß es, machen könnte er ihn, aber nicht vor heute früh, und wir hätten auf der Streu liegen müssen in der Schenke, unter all dem Bauernvolk in der Wirthsstube. Nun, Sie können meinen Schreck denken, wenn nicht der Herr Prediger davon gehört und der invitirte uns in sein Haus. Sage ich Ihnen, war das ein charmanter Mann, und sagte: ›Unglücklichen helfen ist Christenpflicht!‹ Und die Frau Predigerin und ihre Töchter. Es ward uns heut Morgen recht schwer, uns von ihnen zu trennen, und die Töchter und meine Nichten, die konnten gar nicht von einander los und haben Brüderschaft getrunken. Im Himbeersaft nämlich. Gott bewahre, daß Sie denken sollten in Wein! Die Herren Prediger auf dem Lande haben auch wohl immer einen Weinkeller! Lieber Gott, sie sind recht schlecht gestellt. Ja, wenn man so über alle Ungerechtigkeit in der Welt machdenken wollte! Aber ein Mann wie ein Mann Gottes! An den Augen sah er uns alles ab. Und wie wir heut schon im Wagen saßen, brachten sie der Jülli und der Caroline die Vergißmeinnichtsträuße, die sie am Herzen tragen. Sage ich doch, man findet in der Welt überall gute Menschen, und wo man gute Menschen findet, ist die Welt gut. Wir werden uns auch wiedersehen, und vielleicht sehr bald. Denn der Herr Prediger hat vom Könige eine Vokation nach Berlin. Der König hat ihn mal predigen gehört, wo war es doch, – auf einem Schlosse, und hat gesagt: das ist ein Mann, der zum Herzen predigt, solche Prediger möchte ich in meiner Residenz haben, die nicht das Wort Gottes auslegen, wie's ihnen gefällt, sondern wie's in der Bibel steht. Ja, wir haben schon einen frommen König, der alle Menschen glücklich machen will, und der vorige hatte auch ein frommes Gemüth, wer ihn nur gekannt hatte, und das sind eigentlich neidische und schlechte Gemüther, die ihn schlecht machen. Mein König ist mein König, und das sage ich grade raus, wer das nicht sagt, der ist nicht mein Mann. Sehen Sie, mein Herr Geheimrath oder was Sie sind –« »Kriegsrath,« sagte der Kriegsrath. »O, Sie werden auch noch Geheimrath werden, das sehe ich Ihnen an der Stirne an. Also, mein Herr Kriegsrath, sind Sie nicht auch der Meinung, daß die jetzigen jungen Leute gar nicht mehr sind wie sonst? Nein, was raisonniren sie, und Alles wollen sie besser wissen. Ich bin eine gute Royalistin, ich liebe meinen König und sein Haus, und wer das nicht thut, der kann mir zu Hause bleiben. Da waren wir doch ein Herz und eine Seele, der Herr Prediger und ich, alle Obrigkeit kommt von Gott, und wenn er nach Berlin kommt, wird er bei mir logiren. Und wie gern wäre ich gestern schon rein gefahren, denn man richtet doch gern sein Haus ein zu solchem Festtage. Nun schadet es aber nicht. Wir tranken schon gestern bei Predigers auf seine Gesundheit und nun ward mir wieder das Glück, unter solcher charmanten, lieben Familie diesen schönsten Festtag für jeden Preußen zuzubringen.« Der Kriegsrath war anfänglich nicht ganz gut gestimmt; diese Stimmung war überwunden. Er pfropfte die letzte Flasche auf: »Erlauben Sie mir auch, meine verehrte Madame, ehe der Kaffee kommt, mit Ihnen anzustoßen auf die Gesundheit Seiner Majestät.« »Mein Herr Kriegsrath sind die Gütigkeit selbst. Wie sollte ich das ausschlagen.« »Wenn ich auch nicht die Ehre habe, Sie zu kennen, wird es mir doch zur Ehre gereichen, mit einer solchen Patriotin ein Gläschen zu leeren.« »Obristin Malchen,« sagte die Dame, »Mein Mann ist in holländischen Diensten und steht in Batavia. Ein grausam heißes Land, er wird aber heut hierher denken. Ach, er ist ein Patriot.« »Und doch in fremden Diensten?« »Ja sehen Sie, Verehrtester Herr Kriegsrath, da ließe sich mancherlei von sagen. Er war auch in preußischen Diensten ehedem, aber Sie glauben nicht, was draußen die preußischen Militärs in Respekt stehen. Und unsre Disziplin, und der große Friedrich. Wenns heißt, der hat unter ihm gedient! Nu, lieber Gott, Schwächen haben wir Alle, da werden mir Herr Kriegsrath Recht geben, aber sonst ist er – und hat mir erst voriges Jahr ein rothseiden Umschlagetuch geschickt, wag die Mamlucken oder Malayen weben, ich sage Ihnen, von Berlin rede ich gar nicht, aber auch in Leipzig hat's kein Mensch für möglich gehalten.« »Die gnädige Frau werden uns doch die Ehre auf eine Schaale Kaffee erzeigen,« sagte die Kriegsräthin, die wohl Lust hatte, das rothe Umschlagetuch zu sehen, aber es war tief im Wagen verpackt. Der Kaffee dampfte in der großen braunen Bunzlauer Kanne, wie sie vom Feuer gekommen, auf dem Tisch, aber die Kinder dampften auch – vor Ungeduld. Die Beckenmusik dröhnte verführerisch aus dem Kruge herüber, und die Kleinen blickten erwartungsvoll bald auf den Vater, bald auf die Mutter. »Das ist ein Kaffee, so schön, wie nur mein Mann ihn mir mal geschickt hat, direkt aus Batavia,« sagte die Obristin. »Die Cichorien sind auch aus Herrn Rimpler seiner Fabrik,« sagte die Mutter. Aber die Kleinen wurden weder vom batavischen Kaffee, noch von den Cichorien aus Herrn Rimplers Fabrik gelockt. Der kleine Junge schrie vielmehr: »Ich will zu den Affen!« Die Mutter warf einen fragenden Blick auf den Vater. Die Frau Obristin fing ihn auf: »Um Gottes Willen, Sie werden doch nicht!« Der Kriegsrath meinte: ob denn in einem bevölkerten Orte, und wo so viel anständige Leute beisammen, Gefahr sei? und die Mutter setzte hinzu: wenn sie die Kinder an der Hand führten? »Meine allerbeste Frau Kriegsräthin, erlauben Sie mir zu sagen, ich weiß davon. Solche Bande ist ärger als der Gott sei bei uns. Die stibitzen ihnen die Kinder vor den Augen weg und Sie merken es nicht. Hinter die Ecke, ein Pechpflaster schnell aufs Gesicht, und dann, wenn sie's in der Scheune haben, beschmieren sie's, und färben's und ziehn ihm Lumpen an, und in einer Viertelstunde kennt's die eigene Mutter nicht wieder. Ja, was ich Ihnen sagen wollte, im Dorfe beim Herrn Prediger, da hatte der Oberst der gottvergessenen Bande einer Wittwe Sohn, ein hübsches Kind, gefragt, ob er nicht mit ihnen wollte, er sollte eine bunte Jacke kriegen und auch immer auf dem Pferde sitzen, und der Junge hatte Lust, aber sie haben ihn gottsjämmerlich geprügelt, der Schulz und die Bauern, da ist ihm die Lust vergangen. Solche Bande sind ja gar keine Christenmenschen nicht, das sind Zigeuner und Juden und Spanier, und wo kriegten sie denn ihre Leute her, wenn sie nicht Christenkinder stählen! Eltern können gar nicht genug vorsichtig sein, denn Sie glauben nicht, wie sie die Kinder maltraitiren. Hungern lassen sie die Kleinen und dursten und Schläge kriegen sie, daß Gott im Himmel sich erbarmen müsste, und ihre Glieder werden gereckt, daß sie die Purzelbäume schießen lernen. Und Nachts, mit Respekt zu melden, sperren sie sie in den Stall zu den Affen und Kameelen, wo eine Unreinlichkeit ist, die erschrecklich ist. Nein, für Reinlichkeit bin ich, das ist die erste Tugend, und erhält den Körper gesund. Wer reinlich ist und seine Mitmenschen liebt und den Armen Almosen giebt, der ist ein guter Mensch und Gott wohlgefällig, das sage ich oft meinen Nichten. Aber wie die Bären werden sie abgerichtet, und lernen Vater und Mutter vergessen. Wenn ich so einen armen Jungen sehe oben krabbeln an der Stange wie 'ne Fliege an der Decke, nein, meine Herrschaften, sagen Sie, was Sie wollen, das kann ich nicht ansehn, das heißt ja die unsterbliche Seele verlieren, und was mich nur wundert, ist, daß die Könige solche Seelenverkäufer dulden. Die müssten mir alle auf die Festung und ins Zuchthans, und mit der Peitsche aus dem Lande gepeitscht, denn es sind alles Ausländer und Spione.« »Ist's die Möglichkeit!« sagte die Mutter, die es kalt überrieselte. »Nun bitte ich Sie, allerbeste Frau Kriegsräthin, wenn Sie einmal so einen Pajazzo sehen, wenn er auf dem Strick springt und die Fahne schwenkt, und Sie erkennten, daß er Ihr kleiner Theodor wäre, alles andere ist ja gar nichts, pure Spielerei, gegen eine solche Empfindung. O du mein himmlischer Vater, wer möchte eine solche Mutter sein!« Die Kriegsräthin nahm ihren Knaben von der Hand des jungen Mädchens auf den Schooß: »Lieber Theodor, das wirst Du mir nie anthun!« Der Junge aber schrie nach wie vor, er wolle zu den Affen. »Und mit den Jungens ginge es noch,« fuhr die Frau Obristin fort, »aber bei der Bande ist auch ein Frauenzimmer, eine ganz hübsche junge Person, ungefähr so groß, wie – ich habe doch die Ehre, Ihr Fräulein Tochter vor mir zu sehen.« »Wir sind nicht von Adel,« sagte der Kriegsrath. »Meine Tochter Adelheid!« »Nein, du mein himmlischer Vater, wenn ich dächte, daß so ein himmlisches Mädchen mit den Bären tanzen sollte und dem Vieh einen Kuß geben! Und dann springt sie aufs Pferd, in Hosen und Stiefelchen, und reitet, nicht sitzend, sondern sie steht, und in Carri è re, die Zügel so in der Hand, und die Röcke flattern nur so. Nein, wie die Polizei das zugeben kann! Das, erlauben Sie mir, ist ganz unweiblich.« Darm waren Vater und Mutter einig. Auch darin, daß man nicht zu den Seiltänzern gehen sollte, worüber aber nicht allein die Kleinen unglücklich, sondern auch die Nichten der Obristin nicht ganz zufrieden waren. Jene suchte die Obristin durch Zuckerbrode zu beschwichtigen, die sie aus dem Pompadour holte, und erklärte, sie hätte sie für artige Kinder aus Leipzig mitgebracht. Karoline schien aber gar nicht zu begreifen, warum sie das hübsche Schauspiel nicht mit ansehen solle, und auch die ernstere Julie sah die chère tante verwundert an, warum sie grad heut so strenge war. » Mes chères nièces, « sagte sie, »weil man nicht weiß, wen man im Gedränge findet. Wer wird immer nach Vergnügungen aus sein, wenn die Eltern sagen, daß es sich nicht schickt! Da seht Euch die Mamsell Kriegsräthin an, und nehmt Euch an der ein Muster. Sie sähe auch gern die Reiter springen, aber wo fällt's ihr ein, darum zu bitten; sie sieht, daß ihre lieben Eltern es für unanständig halten. Ja, die Predigerstöchter stürzten mit Euch nach der Schenke, das sind gute Mädchen, aber wilde Hummeln. Nein, Mamsell Adelheid ist ein sittsam Kind, wie es sein muß, die ihren Eltern Freude macht. Der könnt Ihr Vieles absehn. Seht nur, wie sie ganz roth wird. Ach, wenn Ihr auch noch so roth werden könntet!« Die Mädchen senkten die Köpfe. Adelheid war schnell zwischen beide gesprungen und umfasste sie traulich, sie sollten nicht darauf hören. Die Tante scherze nur. Sie selbst wäre auch manchmal eine wilde Hummel und würde auch recht gern die Seiltänzer sehen, aber es wäre auch sonst viel hübsches im Dorf und im Freien, was sie zusammen besehen könnten, und sie hoffte, daß sie noch hier bleiben, und die Tante ihnen erlaube, mit ihr spazieren zu gehen. Dabei könnten sie plaudern, singen, Blumen pflücken und Kränze winden. Vor allem aber würde sie sich freuen, wenn sie ihr von Leipzig erzählen wollten und den tausend schönen Sachen, die sie da gesehen. Das wären alles Wunderdinge für sie, denn sie sei noch mit keinem Fuß aus Berlin gewesen. Papa und Mama hätten wohl davon gesprochen, einmal eine Reise nach Potsdam zu machen, aber es sei immer etwas dazwischen gekommen, und sie glaube auch gar nicht, daß es noch dahin kommen werde, denn der Gedanke sei doch gar zu schön. Die Obristin sagte, Mamsell Adelheid sei ein prächtiges Mädchen und ihre Eltern würden viele Freude an ihr erleben, und um der guten Gesellschaft willen, wolle sie noch bis Abend bleiben; dann hoffte sie, die beiden Familien könnten Compagnie machen in ihrem Wagen. Die Kriegsräthin, der das längere Beisammensein mit einer so vornehmen Dame natürlich nur schmeichelhaft war, fand sich doch etwas dadurch in Verlegenheit, von der wir nachher reden wollen. Einstweilen riß die Obristin sie daraus, die aufstand, um die Jugend, wie sie sagte, eine Strecke zu begleiten. Sie wollte die Spiele der Kinder arrangiren, damit sie nichts Unschickliches trieben, und zusehen, ob die Gegend auch sicher wäre. Der Lärm und die Menschenmenge hatte sich aber nach dem andern Theil des Dorfes gezogen. Die Kinder fanden bald auf den grünen Rainen den herrlichsten Platz zu ihren Spielen, denen die freundliche Obristin rathgebend zusah, bis es ihr zu heiß ward, die drei jungen Mädchen aber verloren sich in den hohen Kornfeldern. 12. Kapitel. Schwanenjungfrauen Zwölftes Kapitel. Schwanenjungfrauen. In den hohen Kornfeldern wuchs nicht überall Korn. Der ebene Boden wird noch jetzt durch viele Vertiefungen unterbrochen, ehemals waren es Seen, dann wurden es Moräste; seit die Cultur vorgerückt sind es nur noch Tümpel geblieben. Doch ladet ein heller klarer Wasserspiegel wohl zum Baden ein. Der Bauer, der Dich trifft, warnt Dich aber, denn der Sage nach sind einige dieser trichterförmig sich senkenden Löcher unergründlich. Außerdem gab es ehemals eine Britzer Haide, ein übelberüchtigter Wald, dessen Buschwerk gesprenkelt in die Kornfelder hinein wuchs. Und endlich schnitten viele Wege und Fußsteige durch diese Felder. Das Auge aus der Ferne sah nichts von den Unterbrechungen, es dünkte ihm eine unermeßliche goldene Aehrenfläche, darin die Korblumen und der rothe Mohn über die Einsamkeit klagten. An einem dieser kleinen Seen lag auf dem grünen abschüssigen Rande ein junger Mann auf dem Rücken hingestreckt. Er hatte sich gebadet. Ob das Wasser unergründlich, danach hatte er nicht gefragt, es auch wohl nicht untersucht; er war ein guter Schwimmer, der sich im Wasser nach Lust getummelt. Er ruhte jetzt von der Anstrengung und um die Kühle abzuwarten, vielleicht auch um sich mit der Einsamkeit zu unterhalten. Nach der Wasserseite zu verbarg ihn ein großer Hagebuttenstrauch. Die Hände unterm Kopf sah er dem Zuge der Wolken nach, der Flucht der Vögel; vielleicht horchte er auch auf die Lieder, welche die rauschenden Aehren ihm sangen. Ein Geräusch, was sich näherte, störte ihn auf. Den Fahr- oder Reitweg, der in einer Krümmung eine Seite des Tümpelrandes berührte, hatte er beim Herkommen durch die Felder nicht bemerkt. Ein schaumbedecktes Pferd schoß aus dem Aehrenfelde. Noch zwei Sätze und es konnte sich auf dem abschüssigen Rande nicht mehr halten und stürzte sich und den Reiter in die Tiefe. Dieser sah die Gefahr nicht, er ließ dem Roß die Zügel; der Instinkt des Thieres bewahrte beide. Im Augenblick, wo es galt, bäumte es und warf den Reiter ab, oder er gleitete aus Sattel und Bügel, die er längst verloren, denn er strauchelte nur etwas und stand gleich wieder auf seinen Füßen. Vielleicht aus seinem Traum erwachend, denn ohne sich um das Pferd zu kümmern, das seinen eigenen Weg suchte, stand er und hielt sich mit den Händen das Gesicht. Entweder ein Rasender oder ein Betrunkener, hatte der Liegende geschlossen, denn durchgegangen war das Pferd nicht. Es war ein ihm wohlbekannter friedfertiger Gaul aus dem Stall eines Pferdeverleihers. Der Reiter hatte nachlässig, aber sicher gesessen, und die blutenden Seiten des Thieres verriethen deutlich genug die Behandlung, welche es außer sich gebracht. Walter war an dieser Gesellschaft gar nichts gelegen, aber die seltsame Stellung des Ankömmlings fiel ihm auf. Durch die Hände schielte er auf das Wasser und seine dunklen Augen glänzten seltsam. »Plagt Dich – – wenn Du's bist?« Er hatte die Hand auf die Schulter des Reiters gelegt. Dieser war nicht sehr erschrocken, als er sich umsah und den Andern erkannte: »Vielleicht – eigentlich aber nicht. Ich dachte nur an ein Bad. – So aus dem Gluthofen in die kühle Tiefe.« »Was hier dasselbe wäre!« entgegnete der zuerst Dagewesene, und fasste heftig seinen Arm. »Kommst Du aus dem Gefängniß, Louis? Ward'st Du heut entlassen?« »Um meine Freiheit zu genießen, jagte ich den Gaul fast todt, und ward selbst wieder unfrei und matt wie eine Fliege. Und wenn ich wieder aufflattere, steht doch tausend gegen eins, daß ich wieder gegen etwas anstoße. Wär's nun nicht ein wunderschönes Ende, um gar keinen Anstoß mehr zu geben, wenn ich, erhitzt, durstend, an eines Felsens Rand in der Mittagssonne eine Flasche Champagner auf einen Zug ausstürzte und dann kopfüber ins Meer! – Uebrigens gebe ich Dir mein Wort, es war kein Ernst, wenigstens hätte ich mir eine andere Pfütze ausgesucht. 'S war nur ein aufsteigender Gedanke.« »Aber keine Lerche, die in den Aether steigt,« sagte Walter, als Beide sich auf dem Rasen gelagert. Der Ankömmling sog, hingestreckt, die Luft ein. »Nur nichts vom Aether in diesem Schwefeldampfe,« sagte er nach einer Weile. »Wenn die Welt bestimmt wäre unterzugehen, ich glaube nicht mehr, daß es in Feuer oder Wasser geschieht, sondern Gott Vater läßt sie ersticken in den Dünsten ihrer eigenen Gemeinheit. Es wäre eigentlich ein recht passendes Ende für sie.« »Mitgebrachte Gefängnißgedanken!« »Grillen, Schrullen oder Ungeziefer, wenn Du willst, denn als ein vernünftiger Mensch glaubst Du doch nicht, daß ich in dieser Societät eximirter Lumpen einen Gedanken aufgefangen hätte. Ja, hätten sie mich an eine Karre geschmiedet, unter den Baugefangenen giebt's vielleicht noch Menschen.« »Du solltest ins Gebirge, Dich baden in der Morgenluft, im Felsbach – Du solltest auf lange Zeit aus der Stadt.« »Alles Selbsttäuschung, Betrug, Walter! Freilich wenn Tieck uns Abends in dem verschlossenen halbdunkeln Kämmerchen seine Märchen vorlas, mochte ich den Waldduft herunter schlürfen, der Nixe mit den langen Haaren um den Nacken fallen, und die Allmutter Natur an meine Brust pressen; aber in natura ist's anders. – Bin ich nicht umhergestürmt! Die Sohlen habe ich mir abgelaufen, aber keine Nixe, nicht mal eine Hexe gefunden. Beim Morgenroth rufst Du Ah, und findest Dich in Odenstimmung, und Abends wirst Du empfindsam und könntest Matthisson mit seinem Zopf an die Brust drücken. Alles Illusionen! Sei redlich gegen Dich selbst. – Die Wahrheit sucht man doch, wo die Sonne am höchsten steht, und ich habe sie gesucht, rechtschaffen. Schlürfte alle Aussichten und meine Ansichten wurden immer enger. Am Ende kamen mir die zackigen Felsen da hinter Dresden, die wir Beide einmal bewunderten, nicht anders vor, als die gepuderten Köpfe unserer Kriegsräthe. Und mehr haben sie anch nicht zu schaffen mit dem Weltgeist, als daß sie roth werden im Morgenlicht und Abends Schatten werfen. Roth werden können unsere Puderköpfe freilich nicht mehr, aber wenn sie uns im Lichte stehen kann man sie wegschuppfen. Diese verfluchten todten Felsen bleiben aber immer stehen. Nein, Theuerster, die Romantik in Ehren, die Menschen bleiben doch wenigstens Puppen, mit denen man Schach spielen kann.« »Wenn wir nur stiegen könnten! Wenigstens so hoch wie die Lerche.« »Und ich möchte sie immer mit dem Pustrohr runter blasen. Da fliegt das Biest hinauf, schmettert uns Wunderklänge vor und kommt doch nie weiter als ins leere Blaue. – Ja, Walter, wenn man's recht besieht, kommen wir auch noch zum Schluß, daß die Natur nicht mehr ist als eine alte Vettel, Morgens und Abends geschminkt. Und weil sie sich bei Tage nicht besehen lassen will, sticht und brennt die Sonne.« »Nur daß die Schminke immer frisch bleibt, heut wie am Tag der Schöpfung.« »Wer sagt Dir das! Es hat Keiner gelebt, als Gott Vater auf den Einfall kam, diesen Spielball Erde zu erschaffen, und in das Uhrwerk Universum zu schleudern, damit er zu Ehre des Höchsten seinen Parademarsch um die Sonne kreist.« Der Ankömmling zog mechanisch die Gräser und Kräuter, die seine Hand ablangte, mit der Wurzel aus. »Suchst Du nach der Alraunwurzel?« »Könnte ich sie finden! Den allertiefsten Schmerz aus der Tiefe herausziehen, vielleicht würden uns die andern Schmerzen dann wie Bagatellen erscheinen.« »Der tiefste Schmerz müsste doch tödten. Darum verbarg ihn die Natur. Was wühlen wir denn nun tiefer und tiefer –« »Und spielen nicht lieber am Bach mit Vergißmeinnicht und Veilchen! Nicht wahr, das ist viel gescheiter. Wollen wir nicht etwa nach Halberstadt zum Vater Gleim, im Freundschaftstempel uns gegenseitig anräuchern und anfingen, Du mein Anakreon, ich Dein Tibull?« »Der höchste Schmerz wäre Selbstvernichtung, und zum Selbstmord schuf uns nicht die Natur!« rief Walter, ohne auf den Spott des Freundes zu achten. Louis hatte sich aufgerichtet und verbarg wieder das Gesicht in beiden Händen: »Ein Stück von der Alraunwurzel zog ich doch schon raus. – Wenn ich nur wüßte, ob dieser Wunsch Sünde wäre?« »Welcher?« »Wäre meine Mutter keine tugendhafte Frau gewesen!« Es folgte eine Pause: »Dein Vater ist nicht schlimmer als Tausende.« »Ist das ein Trost, daß ich eine Partikel bin von einer Partikel aus der allgemeinen Erbärmlichkeit.« »Er läßt Dir Freiheit.« »Er läßt aller Wett die Freiheit, so niederträchtig zu sein, wie sie Lust hat, damit er nicht schamroth zu werden braucht.« »Das ist ein hartes Wort,« dachte Walter, und auch Louis mußte es denken, denn er war rasch aufgesprungen und reichte dem Freunde die Hand: »Adieu!« Walter umfasste seinen Arm, er wollte ihn in der Aufgeregtheit nicht von sich lassen: »Du verwünschest Dich selbst. Ich bin nicht zum Moralprediger geboren, aber – Du warst es zu besserem.« »Was kann man denn besseres thun in dieser Gesellschaft, als sich selbst verwüsten! Trinken, und wenn man erwacht, wieder trinken. Sind nicht alle Edleren dazu bei uns verdammt? Tadelst Du den Prinzen, daß er den Schaumbecher nicht von der Lippe läßt, daß er wenigstens den Jammer nicht mit ansehen will, wo er nicht helfen darf? Lieber doch berauscht untertauchen und rasch, als nüchtern zusehen, wie wir Zoll für Zoll im Morast versinken. Oder wo ist denn die Kraft, die nach Besserem ringt, wo nur ernster Wille? Der gute, zahme, bescheidene da, der sich nicht mehr ganz von den Schlechten von ehemals will leiten lassen, aber auch nicht ganz mit ihnen zu brechen wagt? Die beschrankte, duckmäuserige Tugend, die sich den Himmel malt an ihre vier Wände, aber der Himmel draußen ist ihr zu frisch und kühl. Sturmwind ringsum, nur aufspannen, nur zusteuern brauchten wir, und mit vollen Segeln triebe das Kriegsschiff – prost Mahlzeit! Man kettet das Steuer an, umwickelt die Ruder und lavirt. Das ist eine berauschende Kunst. Soll ich mich auch anlernen lassen? Bei wem? Bei meinem Vater? Staatsdienst! Herrliche Menschenbestimmung! Dein Vater predigt es Dir ja wohl auch täglich: lass Dich anstellen. Wollen wir uns polnische Krongüter schenken lassen? Die sind schon weggeschnappt. Wollen wir mit den Juden und Domainenräthen die Guter taxiren und Hypotheken verschreiben, die ihren Werth im Monde haben? 'S ist auch schon zu viel drin gepfuscht. Lieferanten für die Armee, aber es giebt keinen Krieg! Oder uns üben, solche süßgänseschmalz-honigduftenden Cabinets-und Humanitätsdecrete schreiben, die beweisen, daß Gott, der König, seine Minister und Regierungsräthe alles mit Weisheit und Verstand gemacht haben? Himmel und Hölle! wem nun anderes Blut in den Adern pulst! – Die schönen Verse, die hochedlen Charaktere des großen Dichters auf der Menschheithöhen! Schlugen wir ihnen nicht oft in mitternächtlicher Lust den Schädel ein und sahen, daß es nur Masken waren! Gieb, zeig, schenke mir was, wofür ich mich begeistern, was ich ans warme Herz drücken kann, wofür es in Flammen aufschlägt, wofür ich mich in die Schanze oder in den Tod stürze. Fähndrich Pistol ist mein Philosoph, wenn er die Welt doch noch für eine Auster hält. Leider fehlt aber das Schwert jetzt sie zu öffnen. Lass' mich rasen.« »Ich hätte gar nichts dagegen, wenn Du ein rasender Roland würdest und Dich einmal zum Tollwerden verliebtest. Du bedarfst einer Radikalkur.« Louis Bovillard lachte: »In diese Mücken! – Schaffe mir was anderes. Schaffe mir ein Vaterland. Das, das! Vielleicht war ich ein anderer!« Er spuckte, und ohne sich noch einmal umzudrehen ging er sein Pferd suchen, das gemüthlich im Kornfelde seinen verzehrenden Meditationen nachhing. »Ein Vaterland!« wiederholte Walter. Es war ein Funken, der viele Gedanken zündete, aber es waren nicht die Gedanken, um die er heut die Einsamkeit gesucht. Er stand mit unterschlagenen Armen, seine Augen schienen die Würmer im Grase zu verfolgen, und er hörte nicht, wie sein Freund zurückgekehrt war, diesmal den Gaul am Halfter, und ihn vorsichtig um den Rand des Sees führte. Er hörte erst, als Louis seinen Namen rief: »Was sinnst Du? Bei Dir hat die Romantik noch nicht einmal ganz durchgeschlagen, während ich sie abschüttele. Du weißt den Zerbino auswendig, und ich wette, Du schwärmst wieder für den Kieferbusch drüben auf dem Sandhügel.« »Und warum nicht? Tieck hat Unrecht, wenn er die Lust schilt, die sich auch aus dem Unbedeutenden Nahrung sucht. Gerade das führt uns zur Vaterlandsliebe, die Du suchst. Aber was führt Dich zurück?« »Der Anblick einiger Herren von der Gensd'armerie, die mein scharfes Auge vom Gaule aus in der Ferne entdeckte. Um nicht ihnen zu begegnen, stieg ich ab, und will mich durch einen Fußsteig schlängeln. Auch auf die Gefahr hin, daß der Bauer uns pfändet. Nun, bewunderst Du nicht meine Vernunft?« »Wenn ich nicht wüsste, daß Du bei nächster Gelegenheit doch wieder mit ihnen zusammenstößest.« »Das ist mein Fatum. Konnte Mercutio für seine Natur?« »Wenigstens spielt wieder Humor auf Deiner Stirn.« »Und in Deinen Augen glänzt ein Gedicht.« »Ich habe das Versmachen verschworen. Du weißt es.« »Aber, Walter, in solcher Natur! Ich müsste Dich ja nicht kennen. Ein tiefer See mit romantischen Ufern! Vielleicht kommen die Schwanenjungfrauen angeflogen, entkleiden sich, ihre Schleier hängen sie an die Hagebutten. Husch hast Du einen weggestohlen, und erwartest als frommer Siedler im Korn die Schöne, die als mediceische Venus um Gottes Willen um ein Stückchen Bekleidung bittet.« »Wir irrrten darin, das wir das Wunderbare immer in der Ferne suchten: Willst Du immer weiter schweifen, Sieh' das Gute liegt so nah! Lerne nur das Glück ergreifen, Denn das Glück ist immer da.« »Wie schon Goethes anderer guter Mann, der nach Schätzen gräbt: Und froh ist, wenn er Regenwürmer findet.« »Wer den Sinn für sie mitbringt, dem schwebt ihr Geist entgegen auch vom Thautropfen, der am Grashalm hängt, er wiegt sich in den Aehren, über die der Wind hinspielt.« »Er glitzert auch im Mistkäfer, warum gähnt er nicht auch in dem Frosch, der da unvernünftig weit über der Mummel das Maul aufsperrt. Sieh ihn an, welche tiefe Weisheitssprüche die Padde krächzt. – Und welche Weisheit bläht sich eben auf Deiner Brust. Es muß heraus, ich sehe es, und Du brauchst einen Zuhörer. Frisch losgelegt! Gleichviel, ob die Naturandacht als Predigt oder als Rhapsodie rausbricht. Die Gensd'armen sind noch im weiten Felde. Heraus denn, ein verschluckter Gedanke ist Gift.« Walter van Asten schien wirklich nur der Aufforderung zu bedürfen, den Gedankenstrom, der in ihm arbeitete, auszugießen: »Weil wir zu viel tranken, und seine üblen Wirkungen empfanden, sollen wir darum den Wein selbst ausgießen? Sollen wir zur Nüchternheit, zur Korrektheit zurückkehren? Thut der Gärtner recht, der lauter exotische Gewächse in seinem Garten ziehen wollte, und sie kamen nur zum Theil oder verkrüppelt fort, der darum alle ausreutet, und meint, der Boden tauge nur zu Kartoffeln? Legen wir doch das Geständnis ab, daß wir im Uebermuth, gelangweilt, und aus Verdruß über die ekle Schaalheit der Poesie, wie sie getrieben wird, uns in kecker Laune oft auf den Kopf stellten, und vom Publikum verlangten, es solle es mit uns thun. Wir fanden Anhänger und es ging eine Weile, wie alles Neue. Nun finden sie die Stellung unbequem. Ist das zu verwundern? Sollen wir aber alles darum als Visionen fahren lassen, was wir in der Begeisterung, in dem seeligen Rausche sahen? Hörten wir die Wälder, die Bäche nicht anders rauschen, als der Prediger in Werneuchen, blieben uns nicht andere Anschauungen in Natur und Kunst zurück, nicht die Schauer der Ahnung, das Wesen der Wunder, welche die Welt erfüllen? Wir kommen nicht fort ohne den Glauben daran, auch wenn wir uns mathematisch beweisen, daß es keine Hexenmeister giebt und keine Gespenster um die Grüfte schweben. Haben wir nicht Geister citirt, von denen unsere Väter nichts wussten? Wie anders, lebensfrisch schauen uns jetzt die Alten an, als die Philologen mit den Perrücken sie sahen? Lebt nicht der brittische Riese unter uns, ein geharnischter Geist, der unsere Theatermis è re zertritt! Citirten wir nicht Dante, nicht Calderon aus seinem vergessenen Grabe? Diese können sie nie wieder todt machen, sie werden leben, und noch vieles mit ihnen, und wir mit Stolz sagen, wir wurden ihre zweiten Väter!« »Das ist alles recht schön,« entgegnete Louis. »Wenn die Geister nur Mark und Bein bekämen, wenn sie unseren Geheimräthen und Ministern einen Rippenstoß geben könnten, und einen Feuerhauch durch die Seelen unserer Philister jagen. Da es aber nicht ist, bin ich doch der Meinung Deines Gärtners, daß unser Boden nur zu Kartoffeln taugt. Sind sie nicht ein herrliches vaterländisches Gewächs, und Vetter Michel ein dito Mensch? Er grämt sich nicht, er schämt sich nicht, erträgt Fußtritte und Prügel wie der Esel, wenn er nur Kartoffeln hat, und item: Sag' mir nichts von gutem Boden, Nichts vom Magdeburger Land, Selig ruhen uns're Todten In dem leichten kühlen Sand.« »Vaterländisch!« fuhr Walter auf. »Und hat die Schule nicht gerade auch unsere eigensten, zertretenen, vergessenen Schätze deutscher Vorzeit aus dem Staub und Rost ans Licht gezogen? Was kannten wir davon! Einzelne Aeolsharfentöne der Minnesänger. Ging nicht eine deutsche Urwelt uns auf im Nibelungenliede? Du lächelst weil die Thoren lachen. Wir erfuhren, unser Volk hat gelebt, wie die Griechen durch die Iliade wussten, daß sie gelebt, daß ihre Väter groß und herrlich waren, ehe es eine Geschichte gab. Das wussten wir nun auch, daß Krimhilden und Siegfriede, daß Günther und Hagen unserer Geschichte voran gingen. O welchen Born der Sage die Romantik uns erschloß! Jetzt verstehen wir erst, nicht aus den nüchternen Chronisten, welch ein Volk wir waren unter den Hohenstaufen. Im alten Kyffhäuser schläft nur der Kaiser seiner Herrlichkeit, und die Raben krächzen um seine Trümmer, und die Geister warten auf seine Erweckung. Das, Louis, hat uns die Romantik enthüllt, der Du einen Fußtritt geben willst, weil sie nur Trugbilder zeigt, und Du willst Realitäten. Was hatten die Juden mehr von Palästina als ein Traumbild? Das Traumbild weckte einen Moses. Laß einen Moses erweckt sein, und wir haben wieder ein deutsches Volk, eine deutsche Herrlichkeit. – Vielleicht, daß wir's darin versahen,« schloß der Aufgeregte, »wir machten aus der ungeheuren Sage nur für uns ein Spielzeug; aber Andere mögen nach uns kommen, die unserm Volke diese gewaltigen Bilder anders hinhalten, einen kolossalen Spiegel vor dem unsere Erbärmlichkeit erschrickt – und sie können sich ermannen, können besser werden, wenn –« »Wenn ein Moses geboren wird!« fiel Louis ein, drückte rasch Waltern die Hand und riß sein Pferd in den Fußsteig. »Da liegt es!« tönte noch seine Stimme aus dem Korn. »Einen Moses! Nur ein Moses! Die Juden und die Ziegelstreicherknechte sind immer da.« Walter lag wieder in der Hagebutte. »Wenn er einen anderen Vater hätte, ein anderes Vaterland!« Waren das nicht Streiflichter des ewigen Schmerzes, für den es keine Heilung giebt? Waller starrte auf den Wasserspiegel. Auch die Frösche lagen wie matt von der Hitze auf den breiten Blättern der Wasserlilie, regungslos. »Ein Moses!« Wo sollte der Moses herkommen, wenn auch über den Wassern nicht mehr der Athem Gottes schwebte? Wenn die Verstockung auf dem Element, das die Erde umgürtet, sich niedersenkt? Nein, es war nur die schwüle Luft. Die Augen fielen ihm zu, und die Natur übte ihren beschwichtigenden Zauber über die finsteren Gedanken. Die Falten verzogen sich um seine Brauen, der Mund fing wieder an zu lächeln, und man konnte denken, daß Traumbilder aus einer glückseligen Welt um seine Schläfen spielten. Waren das auch Erscheinungen seiner Phantasie, die blühenden Mädchenköpfe im Korn? Schossen Elfen auf zwischen den Aehren? Der Hagebuttenstrauch im Korn, der grüne Rain, der die Felder trennt, ist ja ihr Spielplatz. Hier führen sie Reigentänze, hier stampfen ihre zierlichen Füßchen die Ringelkreise, die der Landmann am Morgen findet, und der Abendthau fiel noch auf frisches Gras. Aber schnell, wenn ein Späherauge sie entdeckt, verschrumpfen sie, hängen sich an den Ginsterstrauch, sie klettern in die Hagebutte. Der Wind scheint in den Blättern und Zweigen zu spielen, aber es sind ihre leichten Körper, die sich daran schaukeln. Diese verschwanden nicht. Die Eine, eine schmächtige Brünette von dunkeln, aber etwas umflorten Augen, mit einem getrübten Blick. Die rothen Mohnblumen, die ihre losen Blätter im schwarzen Haar flattern ließen, passten zu der Gestalt, dem melancholischen Gesicht. Eine Else, die den Einen unwiderstehlich anziehen mochte, den Andern zurückstoßen. Die andere, kleinere, rundliche, ein nußbraunes Mädchen, mit Schelmengrübchen um die Wangen und lachenden Schelmenaugen; wie wohl stand ihr der Kranz von Kornblumen, Aehren und Mohn im Haar. Aber die Dritte, die Elfenkönigin, Wie frei schaute ihr blaues Auge, blau wie die Kornblumen, blau wie der Himmel, aus der freien Stirn. Wie leicht bewegte sie sich, wie anders athmete sie die Luft ein; nicht als gehöre die Welt ihr, aber als nehme sie freudig ihren Tribut hin von Licht und Luft, von Farbe und Athem. Und wie hatten die andern, das konnte sie nicht selbst gethan haben, die Felder geplündert, um die eine auszustatten! Ein dichter Kornblumenkranz war auf ihr blondes Lockenhaar gedrückt, und eine Mohnblume, aber keine rothe, die hätte nicht hierher gepasst, eine seltene volle weiße, glänzte als Diamant über ihrer Stirn. Eine andere Guirlande von Kornblumen hing wie eine Schärpe um ihren Nacken, und auch den Abwurf des Kleides hatten sie mit allen bunten Blumen, die als scheckiges Unkraut zwischen den Aehren blühen, besetzt. Eine Hochzeit mit der Natur? So traten die Elfen aus dem Korn auf den kleinen freien grünen Platz, drüben am Rande. »Ach wie hübsch!« rief die Königin. »Da ist Wasser!« und breitete die Arme aus, indem sie sich Luft nach der Brust fächelte. Das nußbraune Mädchen umfasste sie plötzlich und ergriff die Hand der Brünette: »Fass' sie an, hier wollen wir tanzen – Ringel-Ringel-Rosenkranz.« Die Elfen schwebten im Ringeltanz bis es ihnen zu heiß ward. Sie lagerten sich auf den Abhang, die Königin in der Mitte. Sie scherzten und plauderten wie neckische Kinder. »Ich muß mich eigentlich schämen,« sagte die Königin, »wie habt Ihr mich ausgeputzt, und ich bin's doch nicht werth.« »Schäme Dich nicht!« sagte die schmächtige Else mit dem schwarzen Haar, die ganz auf dem Boden ausgegossen lag, und drückte die Hand der Königin an ihre Lippen. »Herr Gott,« rief die Königin, »Du küssest mir die Hand, und ich glaube gar Du weinst.« Sie zog erschrocken die Hand zurück. Die Nußbraune lachte auf: »Die Jülli ist immer närrisch, und ich bin immer lustig. So sind wir, wir bleiben aber doch gute Freunde. Nicht wahr?« »So wollen wir's alle drei sein,« sagte die Königin. »Ich komme mir nur so dumm unter Euch vor, Ihr seid in Leipzig gewesen. Das will mir gar nicht aus dem Kopf. Und Euer Onkel ist ein Offizier und gar in Indien. So was hätte ich in meinem Leben nicht geträumt.« Die Schwarzbraune schüttelte den Kopf: »Der ist nicht mein Onkel.« »Na, meiner auch nicht,« lachte die Nußbraune. Die Elfenkönigin bat die Gespielinnen nun, ihr Wort zu halten und ihr recht viel, so viel sie könnten, von Leipzig zu erzählen. Die Nußbraune hatte auch Lust dazu, nur brachte sie die Herrlichkeiten, die sie gesehen, etwas konfus heraus, und man wusste oft nicht, ob sie von den Menschen oder von den Waaren sprach. Aber Alles war herrlich dort gewesen, die Affen und die Seiltänzer, die Komödianten und die Buden auf den Straßen. Ueber die Griechen und polnischen Juden und die Türken hätte sie sich bucklicht lachen mögen, und vor ihren langen Bärten hätte sie sich zuerst grausam gefürchtet, aber dann hätte sie gesehen, daß es alle reiche und generöse Herren wären, mancher hätte mit den Dukaten um sich geworfen, wie mit Zahlpfennigen, und alle hätten gesagt, solche gute Messe hätten sie lange nicht erlebt und sie wünschten alle ihre Lebtage auf der Leipziger Messe zu sein. Die Schwarzbraune senkte ihren Kopf: »Mir ist's hier viel lieber. Hier ist's hübsch.« »Wenn man nur Gesellschaft hätte!« rief die Nußbraune. Ein stummer Blick der anderen schien sie zu strafen. Auch die Königin sah sie verwundert an und sagte: »Sind wir uns nicht genug? Wir plaudern ja so allerliebst zusammen; wenn's nur nicht so heiß wäre!« »Wir könnten uns baden!« rief plötzlich die Muntere. »Ja baden, baden! Kinder, das ist prächtig!« Der Gedanke zückte wie ein Blitz. Der Ort war so still und einsam, ein tiefer Kessel, geschützt durch einen Rand von über Manneshöhe, und darüber stand noch wie eine Ringmauer das Aehrenfeld. Wo sollte da ein Lauscherblick herkommen? Selbst die Vögel flogen nicht mehr. Im Strauche regten sich die Blätter, die Kornähren wiegten sich durch ihre Schwere. Die Karoline war plötzlich aufgeschnellt und machte eine Bewegung, als wolle sie mit einem Ruck ihre Kleider abwerfen. Jülli, die Schwarzbraune, sah fragend auf die Elfenkönigin, ob sie Lust habe? – Lust hatte sie wohl, aber – aber sie machte die Bemerkung, man wisse ja nicht, ob das Wasser nicht zu tief sei? Darauf wandte Karoline ein, sie wollten am Rande bleiben, und es zuerst versuchen. Adelheid erröthete jetzt, sie fühlte, daß sie nicht ganz die Wahrheit gesagt, sie wusste nicht und zweifelte sogar, ob ihre Eltern es erlauben würden. Jülli sagte: »So lassen wir es lieber; wer weiß, ob es chère tante auch recht ist!« »Wer wird denn ma chère tante fragen, wenn sie nicht bei ist!« lachte Karoline, aber der Blick, den ihr Jülli zuwarf, schien sie doch unschlüssig zu machen. Man unterhandelte und kam überein, daß man sich nur die Strümpfe ausziehen wolle, und ein wenig die Füße baden, das gebe Erfrischung für den ganzen Leib, und sei auch gar nicht gefährlich. Die Füße sich waschen, ohne die Eltern zu fragen, sei doch wohl erlaubt, dachte Adelheid. Nur ihren kleinen Bruder hatte die Mutter einmal geohrfeigt, als er sich beim Regen die Strümpfe ausgezogen und durch den ausgetretenen Rinnstein gewatet war. Die Züchtigung hatte er indeß ausdrücklich nur erhalten, weil das die Straßenjungen thäten, weil es sich in einer Stadt nicht schicke, und weil der Rinnstein ein schmutziges Wasser sei. Diese drei Gründe griffen ja hier nicht Platz. Die Strümpfe und Schuhe flogen auf den Rasen und sechs zierliche Füße plätscherten im Wasser. Die Mädchen fassten sich an, um die Kühlung gemeinschaftlich zu genießen. Karoline zog die Anderen unmerklich etwas weiter: »Hier können wir bis am Knie stehen, ach das thut wohl!« – »Herr Gott, Karoline, was willst Du?« rief Jülli, die sah, daß Karoline Miene machte, ihre Kleider abzustreifen und aufs Ufer zu werfen. – »Ich bin ja vom Kietz in Spandau, ich ertrinke nicht.« In dem Augenblicke fuhr ein Ton durch die Luft. War's das Gekreisch eines Reihers, war's ein Pfeifen, der Warnungsruf einer menschlichen Stimme? Erschrocken sahen die Mädchen sich um, das war ein Moment. Im nächsten waren sie es, die laut aufschrieen, und, mit einem Sprunge am Ufer, nach Schuh und Strümpfen griffen. Ein dritter Moment: ein helles Gelächter vieler Männerstimmen, Säbel klirrten in der Scheide, Pferde wieherten. Mehrere Cavallerieoffiziere preschten durch den Feldweg und Einer rief: »Hussei, richtig gesehen! Badende Mädchen; da wollen wir helfen!« Zwei machten Miene vom Roß zu springen, während der vorderste sich zwischen Rand und Kornfeld einen Weg zu bahnen suchte, ohne dabei besonders auf die Aehren Acht zu haben. Aber das Pferd scheute vor einer Unebenheit, und die Elfen gewannen den Vorsprung. Sie kletterten, sprangen, schwebten in athemloser Hast um den Rand des Sees, nach einem Ausweg suchend. Der, auf dem sie gekommen, war ihnen schon durch den Reiter versperrt. Sie fanden ihn in der Nähe des Hagebuttenstrauches. Den Lauscher hinter dem Busche hatten sie nicht entdeckt, aber die Unordnung in den schwankenden Aehren verrieth noch lange die Richtung, in der sie verschwunden waren. »Echappirt!« rief der vorderste Reiter, die Terrainschwierigkeiten als guter Cavallerist erwägend, und ließ den Daumen und Mittelfinger in die Luft knallen. »Wollen wir schwenken, nachpreschen, Dohleneck?« fragte der Zweite. »Müssten ein ganzes Kornfeld niederreiten,« sagte der Rittmeister, »und das käme wieder zu des Königs Ohren. Ihr wisst, wie er die Bauern protegirt.« »Jammerschade!« Der Zweite schlug. vor, abzusitzen, die Pferde anzubinden, und ihnen zu Fuß nachzueilen. »Die sind fix wie der Wind.« »Aber barfuß. Die Füßchen würden ihnen doch zu weh thun, so über Stock und Block. Und werden sie mit blanken Beinen ins Dorf laufen zu Papa und Mama? Irgendwo im Korn verpusten sie sich und ziehen die Strümpfe an, da attrapiren wir sie, und probiren, ob sie die Strumpfbänder nicht zu fest binden. Das ist schädlich, sagt Hufeland.« Der Rittmeister strich den Bart und sagte: »Meine Maxime sei, nie was suchen, aber die Ueberraschung hinnehmen. Das ist soldatisch. Und wenn wir sie bei nahe besehen, wer weiß, ob wir uns nicht schämen, ihnen nachgelaufen zu sein.« Hexen wären es nicht, meinte der Zweite, und der Dritte: er müsse die eine schon gesehen haben; auch die andere kam ihm bekannt vor, aber er wusste nicht, wo sie hinbringen. Man beschloß endlich, beim Rückwege durchs Dorf zu reiten, wo man sie doch wohl wieder zu Gesicht kriegen wird. Sie sprengten fort. – Es war still wie vorher. »War's ein Traum?« dachte Walter, der sich hinter dem Strauch aufrichtete und über die Stirn fuhr. Die eingeknickten Aehren sprachen dagegen. Unfern von der Stelle, wo er gelegen, lagen Kornblumen, die sich von einem Strauß aufgelöst. »Das hatte sie an der Brust.« Er raffte die Blumen rasch auf. An einer halb geknickten Aehre flatterte ein blauseidenes Strumpfband. »Das hatte sie verloren.« Er ergriff es und schlang es um die Kornblumen zum Bouquet. »Und die Thoren wollen sagen, es gebe keine Romantik!« Er blieb zaudernd stehen. Sollte er auch ins Dorf? »Die Erscheinung war so schön, warum denn die Wirklichkeit aufsuchen, welche in einem Augenblick vielleicht den ganzen Zauber löst.« Dazu erinnerte er sich, daß er dem Geheimrath Lupinus versprochen, ihm bei der Collationirung zweier Manuskripte heute Abend zu helfen. Und Lupinus hatte gesagt, daß er ihm einige Privatstunden verschaffen zu können hoffe. Walter schlug vergnügt den Rückweg ein. Er war es, der bei Annäherung der Reiter das Warnungszeichen aus dem Busche gegeben, welches die jungen Mädchen vor einer Scene bewahrt, in der er unmöglich den stillen Lauscher spielen durfte. Aber welche Rolle hätte er spielen sollen! 13. Kapitel. Das Gewitter Dreizehntes Kapitel. Das Gewitter. Auch die Sonne hat Flecken, und auch in der glücklichsten Ehe giebt es Familienscenen. »Ach, daß ein so schöner Tag so ausgehen muß!« seufzte die Hofräthin, aber der Kriegsrath blieb unerbittlich. Es war doch wie vom Himmel gefügt, daß sie mit einer so vornehmen, liebenswürdigen und freundlichen Dame Bekanntschaft gemacht. Die Herzensgüte sah man ihr an den Augen ab. Was konnte ihre Tochter davon profitiren! Sie war ganz gewiß, daß die Obristin Adelheid zu sich einladen würde, und wer weiß, wenn die Nichten mit ihr Freundschaft schlössen, ob sie nicht an ihren Privatstunden Theil nehmen könnte. Ja, es wäre wohl möglich, daß die Obristin ihre Tochter ins Haus nähme, in Pension wollte sie gar nicht sagen, denn sie hätte wohl bemerkt, mit welchem Wohlgefallen sie die Adelheid immer angesehen. Und alle diese Vortheile und Aussichten wolle er muthwillig von sich stoßen. Und warum? »Weil wir keine Equipage halten können,« recapitulirte der Kriegsrath. »Wie Du auch bist, Mann! Wer redet denn davon. Aber den Christian von der Brösike könnten wir heimlich in die Stadt schicken, daß er uns eine Lohnkutsche holt von Herrn Verdrieß, dem Fuhrmann, er wohnt ja gleich am Halleschen Thor. Für einen Groschen thut's der Junge, ach er thut's umsonst aus Plaisir, daß er zurückkutschiren kann. Dann fährt der Kutscher vor, wir kommen mit Anstand in die Stadt zurück, und sie denken, es ist unser Wagen.« »Sie sollen nichts denken, was nicht wahr ist.« »Alter, verstehe mich nur, 's ist ja auch nicht darum, daß wir was scheinen, was wir nicht sind. Für'nen Registrator schickte sich's auch, aber – wenn Du nun Geheimrath wirst!« »Kommt Zeit, kommt Rath.« »Und bis dahin kommst Du ins Gerede, und wirst am Ende gar nicht Geheimrath.« »Dann bleibe ich Kriegsrath.« »Und Deine Tochter bleibt sitzen. Sie kommt ins Gerede. Wenn wir nun mit Sack und Pack unter'm Arm trotten, liebster, bester Mann, und die Obristin kommt gerollt in der schönen Equipage, und die Adelheid trägt wohl gar wieder den Korb – ach, wird sie denken, das sind solche Leute! Und Du bist's, der das Glück Deiner Kinder verscherzt hat, aus Eigensinn!« »Da können wir ja gleich die Obristin fragen.« Sie kam. Und ehe noch das Wort: »Du wirst doch nicht?« von ihren Lippen war, musste die arme Frau hören, was sie doch nicht von einem Manne, der auf Reputation hält, für möglich gehalten. Er musste entweder sehr bös, oder bei sehr guter Laune sein. »Ach Du meine Güte!« rief die Obristin. »Liebe Frau Kriegsräthin, mein Mann war auch nicht immer Obrist. Und ich habe auch nicht immer den Mantel von Sammet getragen. Ein Korb am Arm, auch ein großer Korb, ist keine Schande; wenn man sich nur nicht mit Jedem abgiebt, der gelaufen kommt, da kann man auch im blauen Kattunspencer ein honetter Mensch sein. Es ist schon recht, daß man auf Distinktion hält, und ich halte gewiß darauf, davon können Ihnen meine Niecen was erzählen; aber pfui, wenn man darum einen Menschen nicht ästimiren wollte, wenn er nicht mit Vieren fährt! Ich könnte Ihnen von Prinzen erzählen, haben den Stall voll Kutschenpferde und gehen zu Fuß aus, im Surtout bis über die Ohren zugeknöpft, und wenn sie anklopfen, man hört das gleich raus. So treten sie in die Hütten der Armuth, und wie Mancher, der hungert, wird von ihnen satt. Strecke Jeder sich nach seiner Decke, das ist meine Maxime. Wer seine Nebenmenschen nicht achtet, den achte ich auch nicht. Meine liebe Frau Kriegsräthin, was ist aller Glanz dieser Erde! Eitelkeit, sagt der Herr Prediger, und wer solide handelt, der kommt noch am besten fort in diesem irdischen Jammerthal. Und wenn ich nur Platz hätte in meinem Wagen, mein Gott, ich würde es mir ja zur größten Ehre rechnen, wenn ich eine so solide Familie mitnehmen könnte. Einen Platz haben wir noch, der stuckert aber so sehr. Und als wir Abschied nahmen, so legte der Herr Prediger die Hand auf meine Schultern und sagte: ›Eigentlich wollte ich bei Keinem einkehren in dieser gottlosen Stadt; aber Sie sind eine rechtschaffene, solide Frau, Frau Obristin, zu Ihnen komme ich, bis ich mir ein Quartier gemiethet habe‹. Na, den Herrn Prediger sollen Sie kennen lernen, wenn Sie mir die Ehre erzeigen, auf eine Schale Kaffee. In seiner Jugend hat er in Leipzig studirt, da haben wir geplaudert von – ich sage Ihnen, ein charmanter Mann.« Der Kriegsrath seufzte: »Ach Leipzig! Sie wissen nicht, was mich das gekostet hat.« »Ja 's ist theures Pflaster, und gar in der Messe. Na, das freut mich aber, daß Herr Kriegsrath auch da waren.« »Mich gar nicht, liebe Frau Obristin,« sagte der Kriegsrath, der gemüthlich seine Pfeife ausklopfte. »Es kostet mich meine Karriere. Ich ließ mich, da ich in Halle studirte, verführen, mit andern meiner älteren Kommilitonen einmal nach Leipzig hinüber zu reiten. Nur einen Tag; am nächsten kehrten wir zurück. Als mein Vater es erfuhr, bekam ich einen Brief. Das war ein Brief, nicht mit Dinte, mit Feuer geschrieben und Pech und Schwefel darauf! Der verlorne Sohn in der Bibel wird keinen solchen Brief erhalten haben, sonst wäre er nicht verloren gegangen. Ich musste auf der Stelle zurück. Da standen schon die Pedelle, vom Rektor geschickt, und brachten mich auf die Post, und der Herr Postverwalter hatte mir einen Platz bestellt, neben dem Schirrmeister, daß er auf mich Acht habe. Und als ich nun ins elterliche Haus kam! Meine arme Mutter in Thränen und meine Schwestern! Acht Tage ward ich in eine Kammer gesperrt, fast bei Wasser und Brod und musste die Psalmen auswendig lernen. Aber das war noch gar nichts dagegen, wie mein Vater mir da am achten Tage selbst die Thür öffnete, und mich so mit untergeschlagenen Armen ansah, ein Blick, daß mir das Herz im Leibe zu Stein ward, und mir ankündigte, daß es nun mit meinem Studiren aus sei. Nun versuche, Du ungerathener Sohn, sprach er, ob Du durch Dein ferneres Leben es wieder gut machen kannst, daß Du Deines Vaters Schweiß und Deiner Mutter und Schwester saure Händearbeit zu solchen Extravaganzen vergeudet hast. Der Bauerwagen stand vor der Thür, der mich in eine kleine Stadt brachte, wo ich als unterster Schreiber in einer Packkammer meine neue Carrierr anfangen musste. Sehn Sie, das kostet mich Leipzig!« Die Kriegsräthin war erstaunt, aber nicht ganz unzufrieden, daß ihr Mann durch die Obristin zu solchen vertraulichen Mittheilungen sich hinreißen ließ. Diese machte ihm ein Compliment: »wer weiß, wozu es gut gewesen. Die Studirten kämen oft nicht weiter, und wer klein anfinge, der hörte oft groß auf.« »Mein Vater war ein strenger Mann, aber ein braver Mann, und er hatte Recht,« sagte der Kriegsrath. »Denn meine Eltern mussten sich's schwer verdienen, daß sie nur durchkamen. Und was hatte ich in Leipzig zu suchen!« Das gefiel der Kriegsräthin wieder nicht, daß er zu erzählen anfing, wie knapp es in seinem älterlichen Hause zugegangen. Die Obristin horchte aber sehr theilnehmend. Jetzt kamen auch die jungen Mädchen zurück. Sie hatten unter sich ausgemacht, nichts von dem Abenteuer zu erwähnen. Jülli und Karoline sprangen, als wäre nichts vorgefallen, Adelheid ging langsamer und bückte sich oft. Schlug ihr das Gewissen, daß sie etwas nicht Erlaubtes gethan, oder daß sie darauf eingegangen, es zu verschweigen? Die Aufforderung, für das Abendessen zu sorgen, war ihr willkommen. Im Hause schlüpfte sie rasch in die dunkle Hinterkammer und setzte den Fuß auf den Schemel, um mit einigen Flachsfäden aus dem Spinnrocken den Strumpf fest zu binden. War es die alte Wanduhr oder ihr Herz, das so laut schlug? Ein heiseres Gelächter schallte plötzlich hinter ihr. Die Alte hatte sich aufgerichtet und stierte sie mit dem unheimlichen Gesichtsausdruck an: »Verloren – Strumpfband verloren! – hi! hi! hi! Das bedeutet was. – Der's fand, wird sich freuen. Hi, hi, hi!« – Das junge Mädchen floh, wie vor dem Spottgesang böser Geister. Die Satte mit dicker Milch fand kein so frohes Publikum um sich versammelt, als der Milchreis zu Mittag. Die Kinder waren müde, die jungen Mädchen in Gedanken, die Aelteren hatten sich ausgesprochen. Alle drückte die Schwüle des Tages, der zum Abend geworden. Aus dem Kruge schallte Tanzmusik. Reiter gallopirten auf dem Fahrwege heran, es waren Gensd'armerieoffiziere. Sie hielten plötzlich an, und lorgnettirten die Gesellschaft. Mit einem hässlichen Gelächter gab der eine ein Zeichen. Die Frauen schrieen, sie glaubten, die Reiter wollten den Tisch umreiten; sie ritten nur um den Tisch, einer hinter dem andern im Kreise, oft so nahe, daß die Pferde die Stuhllehnen berührten. Die Kriegsräthin ward blaß vor Schreck, der Kriegsrath vor Unwillen, die jungen Mädchen senkten die Köpfe, die Kinder waren ängstlich vor den Pferden. Die Obristin fasste den Arm des Kriegsraths unter dem Tisch und flüsterte ihm zu: »es sind junge Leute.« Die jungen Leute aber beugten sich seltsam im Sattel, sie warfen Kußhände zu mit den Fingern, mit beiden Händen, sie miauten, schnalzten, krähten. Endlich waren sie wie der Sturmwind verschwunden, nachdem sie ein: »Auf Wiedersehen, allerliebste Engelchen!« der Gesellschaft zugerufen. Der Schemel hinter ihm fiel auf die Erde, als der Kriegsrath aufsprang und der Aufbruch war damit gemacht. »Gerechter Gott!« rief er, den Stock auf die Erde stampfend, »wann wird das endlich mal ein Ende nehmen! Giebt's denn keinen Fleck auf der Erde, wo man seine Tochter ruhig hinführen kann! Giebt's denn Niemand, der dem Könige das sagt, denn er ist gütig und gerecht.« Die Frau Kriegsräthin wehrte still die Obristin ab, die beruhigende Worte auf der Lippe hatte, von Jugend und Tugend. »Um Gottes Willen, Frau Obristin, jetzt keine Sylbe, sonst bricht es los.« Es schien aber schon jetzt loszubrechen, wenn auch nicht in Worten, als er den Hut aufstülpte, den Rock zuknöpfte und rief: »Nun marsch nach Haus!« Wir sehen die Familie auf dem Marsche. Es hatte Jeder seine eigenen Gedanken, darum war es heut Abend so still als es an manchem laut gewesen. Vergnügt war eigentlich nur die Kriegsräthin. Sie baute Schlösser in die Zukunft, und war ihr Wunsch nicht erfüllt, als ihr Mann der Obristin die Hand gedrückt und gesagt hatte: »Sie sind eine brave und praktische Frau. Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben.« Eigentlich war das etwas unschicklich zu einer so vornehmen Frau gesprochen, aber sie hatte es nicht übel genommen. Sie hatte die Hoffnung auf nähere Bekanntschaft ausgesprochen, aber nicht in der ordinären Weise, daß sie gleich zum Kaffee gebeten, sondern sie hatte gesagt, das würde sich ja schon alles finden und der liebe Gott es fügen, daß die zusammen kämen, die zusammen gehörten. Aber beim Abschied – denn sie wollte noch am Krug vorfahren und einen Blick hinein thun, weil sie Freunde ihres Mannes unter den Offizieren zu sehen geglaubt – hatte sie noch von dem rothen Umschlagtuch aus Malaya ein Wort fallen lassen, und daß sie nur wünsche, daß die Mamsell Adelheid es einmal um die Schulter nehme. Das Tuch würde ihr doppelt lieb sein, wenn es dem englischen Kinde gut stände. Der Weg ward so schwer, die Luft so drückend. Die Kinder waren müde. Nur der Kriegsrath schritt stramm voran. Da ging ein Lüftchen durch die Ulmen, aber kein erfrischendes; es war der Vorbote eines nahenden Sturmes. Vom Templower Berge kamen dicke Gewitterwolken. »Wenn uns das noch träfe!« sagte die Kriegsräthin. Es fielen die ersten Tropfen, einzelne, aber sehr schwere. »Herr Jesus, Mann, ob's nicht besser wäre, wenn wir umkehren ins Dorf? Die Stadt erreichen wir nicht mehr.« – Der Kriegsrath wies schweigend mit dem Stock zurück: »Ich kehre nicht um.« Hinter ihnen war die dunkle Wetterwand aufgestiegen, von Blitzen schon durchzuckt und am sternenflimmernden Horizont näherte sich die Wand den beiden Wolken. »Wenn das zusammenstößt!« – »Wenn das uns träfe.« – »Es trifft uns schon!« Der erste Donner rollte dumpf über die Fläche. Der zweite, dritte war schon näher. Jetzt tröpfelte es nicht mehr, es prasselte. »Unter die Bäume! Dicht unter die Bäume!« rief die Mutter. Die Bäume halfen wenig, und bald hatten sie die letzte der breitwipfligen Ulmen erreicht, von wo ab das freie, weite Bachfeld vor ihnen lag, und kein Schutz vor dem Regen, der nicht mehr strömte, es schoß und goß. Sie standen unter der letzten Ulme, die dicht um ihren Stamm noch ein Wetterdach vor dem Wolkenbruch von oben gewährte, aber nicht vor dem Regen, den der Wind heranschlug. Sie standen auf den vom Erdreich losgespülten Wurzeln, um nicht im puren Wasser zu stehen, das schon über den Boden wallte; Jette hatte sich im Gehen Strümpfe und Schuhe abgestreift, ihr Sonntagszeug nicht zu verderben. Die Frauen schürzten ihre Kleider; schickte es sich aber auch für sie, die Schuhe auszuziehen? – »Die Kinder aufgenommen!« rief der Vater. Jette hatte den Kleinsten auf die Schulter gepackt, Adelheid dafür den von ländlichen Einkäufen schweren Korb aufgenommen. Der Vater wollte die Clara aufheben, das Wasser, das aus seinem dreieckigen Hute, wie aus einer Rinne goß, überschüttete das Kind. Das dritte nahmen sie zwischen sich. Es waren furchtbare Minuten. Das Wasser klatschte, mit blauen Blitzstrahlen gemischt, auf die Erde, vor ihnen nur ein wellender Spiegel vom Winde gepeitscht. Ein Todtenschweigen, nur durch das Gewimmer der Mutter einmal unterbrochen: »Und alles das, um acht Groschen zu sparen. Du rechnest auch nicht, was die verdorbenen Kleider werth sind!« Die Antwort des Vaters übertäubte ein Aufschrei aus Aller Munde. Der Regen von den höher gelegenen Feldern zur Rechten ergoß sich in einen Graben, der in der Regel ganz trocken und verschüttet war. Das aufschwellende Wasser brach den Damm und wühlte, ein breiter Bach, den Fußsteg auf, dicht vor der Ulme, und ein immer tieferer und rauschender Strom schnitt der Familie den Weg nach der Stadt ab. »Seht nicht in die Blitze, das verdirbt die Augen!« rief der Vater. »Wenn's nur nicht so gräßlich donnerte!« jammerte die Magd. »Und unsere besten Sonntagskleider sind hin!« – »Uns erwartet ein trocknes Haus und warme Betten,« sagte der Vater. »Denk' Dir unsere armen Soldaten im Kriege, die haben kein Haus und keinen Mantel.« – »Aber ihre Monturen muß der König bezahlen,« entgegnete die Kriegsräthin. »Wer bezahlt der Adelheid das neue Kleid? Und wenns sie's Fieber kriegt!« – »O Gott, wir gehen alle unter,« schluchzte wieder die Magd, als ein stärkster Donnerschlag dicht über der Erde hinzurollen schien. »Wär' ich doch nie in den Dienst gegangen!« Da schien das stärkste Gewitter sich entladen zu haben. Die zusammengekeilten Wolken brachen. Es rauschte noch vom Himmel und er schien sein blaues Licht niederzugießen, aber man hörte auch schon wieder die Bäume rauschen und der Donner ward dumpfer. Man hörte auch einen Wagen. Die Pferde stampften im Wasser. Es war die Obristin mit ihren Nichten. Ein heller, lang andauernder Blitz – ein Schrei der Freude und des Schreckens. Hätte die Frau Kriegsräthin doch mögen in die Erde versinken, als der Kutscher hielt. Ach es war weder Zeit, sich zu schämen, noch Toilette zu machen. Die gute Obristin hätte so gern Alle mitgenommen! Was an Platz war in der Kutsche, sie sollten nur kommandiren; die Kleinen wollten sie schon auf den Schooß nehmen. »Mann, um Gottes Willen, Du wirst doch jetzt nicht Bedenklichkeiten machen!« Hinsichts der drei Kinder machte er auch keine, sie waren rasch hineingeschoben. Aber wer sollte den leeren Eckplatz einnehmen! Die Kriegsräthin hätte sich ja nimmermehr hineingedrängt. Sie war so stark und naß, und in solchem Aufzuge! »Väterchen Du,« rief Adelheid. Konnte er Mutter und Tochter allein in Nacht und Regen lassen? »Kommen Sie Adelheidchen, Sie erkälten sich ja ganz die Füßchen,« rief die Obristin. »Wenn für die Kinder gesorgt ist, für die Eltern sorgt der liebe Gott.« Der Kutscher entschied in letzter Instanz über alle Bedenklichkeiten. Er ließ mit einem »Donnerwetter, wenn's nicht bald wird!« die Peitsche knallen, und ich glaube, er hätte sein Wort gehalten. 14. Kapitel. Wie es im Hause aussieht Vierzehntes Kapitel. Wie es im Hause aussieht. Weshalb der Kriegsrath endlich nachgab, war, daß er in der Ferne die Gensd'armerieoffiziere gallopiren hörte. Aber die Wagenthür klappte noch in der Luft, sie hatten sich noch keinen Abschied zugerufen, als die Räder schon durch den fluthenden Gießbach rollten. Entweder wollte er die Wagenthür zuschlagen, oder war es, um seiner Tochter Anweisungen zu geben, weshalb der Vater nachstürzte. »Der Herr Kriegsrath ertrinken!« schrie die Jette; aus der Kutsche wehten sie, er möge zurückbleiben. »An den Tag werden wir lange denken!« entfuhr es dem Kriegsrath. Seine Frau drückte verstohlen seine Hand, er drückte sie wieder. »Und Mamsell Adelheid werden auch bald warm werden,« tröstete die Jette, »sie sitzen so eng zusammen.« Die Offiziere ritten vorüber, ohne von der Familie Notiz zu nehmen. Das Wasser war schon im Ablaufen und man versuchte die Passage. Sie gelang endlich nach der richtigen strategischen Maßregel, daß ein Fluß leichter an der Quelle als am Ausströmen zu forciren ist. Forcirt musste er aber doch werden; und man versank nicht allein im Moor und Wasser, sondern auch im trockenen Sande, da ein Platzregen in sandigen Gegenden das Eigene hat, daß er nur die Oberfläche durchnässt. Die Sterne schienen wieder auf einen langen sauren Weg. Der Kriegsrath ging, Arme und Stock auf dem Rücken, vorauf, er schien in die Sterne zu sehen. Auf dem Berge erwartete er Frau und Magd. Sie gingen eine Weile neben einander, ohne zu sprechen; ihre Gedanken schienen sich zu begegnen: »Wir kennen sie eigentlich nicht.« – »Wenn Du nur gefragt hättest, wo sie wohnt?« sagte nach einer Pause die Frau. »Aber die Adelheid weiß, wo wir wohnen, und sie ist ja kein Kind mehr.« Eine neue Pause. Sie näherten sich schon dem Thore: »Wenn wir sie nun nicht zu Hause finden!« Die Kriegsräthin hatte keine Antwort darauf. Es presste sie etwas auf der Brust. Sie strengte sich an, mit ihrem Manne Schritt zu halten. Da musste am Thor noch die Schildwacht ihnen Stillstand gebieten und der Thorschreiber den Korb der Jette untersuchen. Der Kriegsrath musste seine Börse ziehen, um einige Groschen Accise zu zahlen, und die Sohlen brannten ihnen unter den Füßen. Selbst über den schönen Stern in der Mitte des Platzes, der seine Strahlen von großen und kleinen Pflastersteinen ausgießt, eilten sie, ohne einen Blick dahin zu werfen, was der Jette unbegreiflich schien, denn es war doch die größte Merkwürdigkeit von Berlin, die jeder Handwerksbursche gesehen haben musste; sonst war er nicht in Berlin gewesen. Der schöne Stern ist längst verschwunden. Auf seinem Kernpunkt steht die Friedensgöttin, die man aufgerichtet, als der Friede anfing aufzuhören. Auf einer spitzen Säule flattert sie in die Luft, wie der Vogel, der mit einem Fuß auf der Dachfirste Posto gefasst, und sich umschaut, ob es drüben geheuer ist. Die große Friedrichsstraße war ihnen nie so lang vorgekommen; und doch eilten sie, daß der Kriegsräthin der Athem verging. Die Jette dachte mit dem schweren Korb: Ich bin doch auch ein Mensch! – An den Fenstern zählten sie die Lichter. Würden sie ihre Wohnung dunkel finden? »Wenn's um diese Ecke, das Haus da, hell ist,« sagte sich die Mutter, »dann finden wir's auch bei uns hell.« Einmal war es dunkel, dann wieder hell. Man muß an ein Orakel nicht zu oft dieselbe Frage stellen. Der Vater dachte an die Schwalben, die Schüsse gehört und Brannstgeruch gerochen, und mit gestreckten Flügeln schießen, ob sie ihr Nest noch finden. Aber er hatte keinen Schuß gehört, und keinen Brannstgeruch empfunden. Die Frau Kriegsräthin beruhigte sich auch: wie schrecklich hatte nicht die Obristin die Angst und das Unglück der armen Eltern gemalt, denen die Seiltänzer ihre Kinder stehlen. Beide sagten sich, sie wären beruhigt, aber Beider Herz klopfte, daß Jeder das des Andern hätte können schlagen hören, als sie um die letzte Ecke zum Gensd'armenmarkt bogen. – Zwei Herzen und ein Schlag, ein freudiges Ah! Ihre Fenster waren hell, sehr hell. – Die Hausthür offen. Die Magd des Wirthes kam ihnen entgegen: »Na, Gott sei Dank, daß Sie da sind. Die Mamsell und die Kinder haben sich schon zu Tode geängstigt.« – Auf der halben Treppe sprang ihnen Adelheid entgegen: »Ach, mein lieber Vater, meine liebe Mutter! Gott sei Dank.« – Der Vater drückte sie an seine Brust, die Mutter riß sie an sich. »Ach, und Ihr seid ganz durchnässt. Schnell, schnell, oben liegt Alles schon bereit.« Die Kleinen waren schon umgezogen in trocknen Kleidern. »Das hat Alles die Adelheid gethan!« – »Nicht alles, Mütterchen, die Jülli und die Karoline halfen, ach die gute Frau Obristin hat für uns gesorgt wie eine Mutter.« »Hat Euch im Wagen hergebracht?« »Und war auch so naß und müde von der Reise. Aber Gott bewahre! Anvertrautes Gut muß man eher zurückliefern, als man an seines denkt, sagte sie. Und Euer Vater ist ein guter Diener seines Königs. Und der König geht vor allem, und heut ist sein Geburtstag. Denkt Euch, als wir ausgestiegen waren, wollte sie die Kutsche zurückschicken, um Euch holen zu lassen. Aber der Kutscher war ein garstiger Mensch. Er fluchte, um solches Rackerzeug sollte er auch wohl noch seine Pferde ruiniren. Die gute Obristin wurde ganz erschrocken, und steckte ihm noch Geld zu, daß er nur ruhig wäre, denn es wäre ja des Königs Geburtstag und darauf sollte er trinken.« »Unverschämtes Volk!« rief der Kriegsrath, seinen Stock erhebend. »O, das ist noch nicht Alles,« sagte Adelheid, »kommt nur herein und seht!« Sie traten in das helle Zimmer. Eine Punschbowle dampfte über einem Kohlenbecken. »Das hat alles die Obristin für Euch besorgt, damit Euch die Erkältung nichts schadet. Die Karoline musste selbst zum Kaufmann, die Citronen und den Rum kaufen, und die Gustel unten kochte das Wasser, und dann erst gingen sie, und wollten nicht bleiben, um Euch nicht zu stören. Und so herzliche Grüße haben sie mir aufgetragen, daß ich sie gar nicht bestellen kann.« Mann und Frau saßen noch um Mitternacht am Tisch sich gegenüber, der Kriegsrath in seinem geblümten Schlafrock und Pantoffeln, die Kriegsräthin in ihrer Dormeuse. Die Kinder waren längst im Bett, die Bowle bis auf einen kleinen Rest geleert. Den goß der Kriegsrath, redlich theilend, in die Gläser: »Es wird zu viel, Alter!« sagte die Frau. »Wir müssen doch auf ihre Gesundheit anstoßen!« Der Mann setzte die Pfeife fort. »Mann, da sieht man, wie man sich täuschen kann.« »Aber 's ist gut, wenn man's wieder gut machen kann.« Gläser mit Punsch klingen nicht so hell wie mit Wein, aber die Herzen klangen. Der Kriegsrath ging sehr vergnügt, aber nicht so kerzengrad wie am Tage, nach seinem Bett. Die Kriegsräthin leerte noch den Rest ihres Glases im Stillen. Sie trank auf das Glück ihrer Familie und auf die Aussichten, die sich mit einem Male ihr so reich und wunderbar eröffneten. »Uns kommt alles unverhofft!« sagte sie und wischte eine Thräne der Rührung aus dem Auge. Im Bette hatten die Eheleute sich besprechen wollen, was sie thun müssten, um es der Obristin zu vergelten, Es hatten sich darüber Ansichtsverschiedenheiten gezeigt, die in Güte beigelegt werden sollten, aber man hörte bald nur eine vollkommene Harmonie – im Schnarchen. Die Gefühle der Dankbarkeit waren am andern Morgen nicht erloschen, aber etwas abgekühlt. Gestern wollte der Kriegsrath, sobald er aufgestanden, der Obristin seine Aufwartung machen. Heute fand die Frau, daß eine Visite so früh am Tage bei einer vornehmen Dame sich nicht schicke. Der Mann aber dachte, daß er ja ins Bureau müsse, und Herrendienst geht sogar dem Gottesdienst vor, sagen die Geschäftsmänner. Es war aber noch ein Grund, weshalb es nicht ging; sie wussten ja nicht, wo die Obristin wohnte. Wohnungsanzeiger gab es noch nicht. Der Kriegsrath wollte sich im Bureau danach erkundigen. Der Kriegsrath kam heute spät nach Hause. Seine Nachforschungen nach der Obristin waren nicht glücklich gewesen. Man glaubte wohl den Namen gehört zu haben, wusste aber nichts Gewisses. Uebrigens hatte das nichts Auffallendes, denn es hielten sich jetzt viele vornehme Familien aus der Fremde in Berlin auf. Da wäre eine russische Fürstin hier, und Damen und Herren vom höchsten Stande aus Frankreich und England, von denen man wohl wisse, daß sie andere Namen führten, als ihnen zukämen, aber die Polizei kümmere sich nicht um ihr Incognito, oder drücke ein Auge zu, weil sie mit dem Hofe und den Ministern ins Geheim verkehrten, damit andre Mächte nicht aufmerksam würden, und plötzlich würde aus Einem oder dem Andern, der in einer Winkelgasse wohnt, der außerordentliche Ambassadeur eines hohen Potentaten. Denn ganz Europa blickte jetzt erwartungsvoll auf Preußen, »und wie es sich jetzt entscheidet, das giebt den Ausschlag.« Die Kriegsräthin hatte mit sichtlicher Ungeduld, ihm auch etwas mitzutheilen, zugehört, aber die Nachricht schien sie einzuschüchtern: »Ach Gott, das wäre ja viel zu vornehm für uns!« »Die Allervornehmsten sind oft die Allerleutseligsten.« »Ja, und das war sie,« brach es heraus, »ihr Gesicht strahlte von Freude. Männchen, wir sind glücklicher gewesen als Du. Als wir eben dasaßen, die Adelheid und ich, und überlegten, was wir anziehen sollten, wenn wir sie besuchten, klingelte es, und wer trat ein? – Sie selbst. Wir waren Beide einig, daß wir uns nicht sehen lassen konnten, aber sie sagte, sie müsste uns sehen, und sie hätte die ganze Nacht keine Ruhe gehabt, ob's uns auch bekommen wäre? Ich sage Dir, nein, es war eine Liebenswürdigkeit, als wenn wir alte Freunde wären.« »Da seid Ihr gewiß schon heut zum Kaffee invitirt!« »Nein, das bedauerte sie eben so sehr, daß sie uns in den ersten Tagen nicht bei sich sehen könnte, denn sie hätte das Haus voll Unruhe gefunden. Nichts wäre gemacht, wie sie's bestellt und sie müsste Tapeten runter reißen lassen und Gott weiß was.« »Aber wo wohnt sie?« »Wir sollen's gar nicht wissen, bis sie in Ordnung ist. Aber bei uns wird sie ein Mal ansprechen und mit 'ner Tasse Kaffee verlieb nehmen. Doch ganz unter uns, wie wir sind, ohne Umstände, und wir sollten Niemand dazu bitten. Oder sie wird auch mal vorfahren und anfragen, ob einer von uns mit ihnen spazieren fahren will? Alter, weißt Du, sie meint, Du säßest zu viel, Du müsstest Dir mehr Bewegung machen. Solche gute Staatsdiener wie Du, müssten sich ihrem Könige erhalten, das wäre ihre Pflicht und Schuldigkeit, und sie hätte so viel zu Deinem Lobe gehört, was sie in der Seele erfreut, und sie wisse auch schon, daß Dein Avancement vor der Thür steht.« »Da hat sie zu viel gehört,« unterbrach der Kriegsrath und ging auf und ab. »Damit ist es vorbei. Ich hörte –« »Hat sie auch gehört, Du solltest Dir aber keine grauen Haare darum wachsen lassen. Ein vornehmer Graf aus Schwaben oder Schweiz, oder was er ist, der möchte den Geheimrath Lupinus aus der Patsche ziehen, und es soll ihm schon gelungen sein, daß er die andern Gefangenen dazu rum gekriegt eine Schrift zu unterschreiben, daß sie schuld wären und nicht er .« »Und im Grunde soll's mir auch lieb sein,« sagte der Kriegsrath, »von wegen seines Bruders in der Jägerstraße. Die Brüder Lupinus lieben sich zwar nicht sehr, es wäre aber doch immer hässlich, wenn es hieße, daß ich ihn aus dem Dienst verdrängt. – Und wegen des Lehrers habe ich auch heut mit dem Herrn Geheimrath gesprochen. – Er ist ein junger Mann, aber wir sollten uns daran nicht stoßen, sagte der Geheimrath. Er kennt ihn seit Jahren, und er hilft ihm bei seiner Bibliothek. Ein Mann von admirablen Kenntnissen, und treibe gerade das, was ein junges Mädchen braucht, um in den Gesellschaften nicht den Mund zuzuhalten. Und wir würden schon zufrieden sein. Er wird sich heute Nachmittag uns präsentiren.« Diese Erwartung gab in der stillen Häuslichkeit wieder einige Unruhe. Adelheid hatte die meiste Besorgniß, sie fürchtete das erste Examen, und daß sie der Lehrer doch gar zu dumm finden würde. Die Unruhe nahm mit Verlauf des Tages zu. »Die Adelheid stellt sich wirklich vor,« sagte die Mutter, »als würde er sie mit dem Lineal auf die Finger klopfen.« Endlich klingelte es, kurz vor der Dämmerstunde, der Lehrer trat ein. Den Eindruck, den er auf den Vater machte, war ein guter. Er hatte sich einen excentrischen jungen Mann gedacht, laut und viel sprechend, wie ihm die jungen Männer von der Schule geschildert worden, zu der er gehören sollte. Aber er war von bescheidenem, ernstem, gehaltenem Wesen. An seinem Benehmen sah man, daß er die Welt kannte. Seine Anrede war bestimmt, fest und kurz. Auch der Mutter mißfiel er nicht, aber die Frau Kriegsräthin glaubte sich doch einem solchen bloßen Privatlehrer gegenüber ein Air geben zu müssen, und sie fragte ihn, womit er seine Lektionen anzufangen denke? »Dazu gehört, daß ich meine künftige Schülerin kenne,« entgegnete er, die Handschuhe leicht in den Hut werfend, um den Stuhl einzunehmen, den der Vater ihm präsentirt. Aber die Schülerin präsentirte sich schon selbst. Adelheid, die bei seinem Eintritt abwärts gestanden, war unbefangen vorgetreten, und ohne die Vorstellung der Mutter abzuwarten, sprach sie, sich leicht neigend: »Ihre Schülerin ist schon hier, ich bin es.« Die Mutter wunderte sich über die plötzliche Dreistigkeit ihrer Tochter; aber sie bemerkte, daß der Lehrer erschrak. Er wich einen halben Schritt zurück und erröthete. Adelheid meinte später, die Mutter könne sich wohl getäuscht haben, da es schon anfing, dunkel zu werden. Als die Jette das Licht gebracht, setzte man sich, und Herr van Asten schien so unbefangen als beim Eintritt. Man sprach über dies und jenes, Tagesereignisse und Naturerscheinungen, man ward über die Stunden einig, über die Bedingungen war man es schon vorher durch den Geheimrath. Er hatte gar nicht examinirt und doch sagte er beim Abschied zur Mutter: er wisse nun genau, wo er anfangen solle. Adelheid nahm das Licht vom Tisch und leuchtete ihm hinaus. Vom Treppengeländer aus wünschte sie ihm eine gute Nacht. Die Mutter begriff ihre Tochter nicht; noch eben so bang und plötzlich so unbefangen. Adelheid erklärte, der Herr van Asten komme ihr gar nicht wie ein Lehrer vor, sondern wie ein gewöhnlicher Mensch. Er spräche ja so, daß ein Kind ihn verstehen könnte. – Das aber gerade machte die Mutter bedenklich, ob ihr Mann auch an den rechten gerathen. Sie hatte Achtung gegeben, ob er nicht einmal einen Dichter oder einen berühmten Schriftsteller citiren werde. Aber wenn sie das Gespräch darauf lenkte, brach er ab, oder vielmehr er lenkte es auf Dinge, die Jedem geläufig, und wenn nicht, gab er solche Erklärungen davon, daß sie Jedem verständlich wurden. Ein Lehrer muß doch da sein, um zu belehren, und doch wenigstens zuweilen in schönen Redensarten sprechen, dachte sie, die nicht Jedermann versteht, die aber so schön klingen, daß man neugierig wird und zum Lernen Lust bekommt. Ihr Mann meinte, wenn die Stunden anfingen, werde er wohl gelehrter sprechen. Die Kriegsräthin aber wollte ihre Freundin, die Obristin, bitten, einmal bei dem Unterricht zugegen zu sein, um ihr aufrichtig zu sagen, ob der neue Lehrer was tauge. Nur über eins war sie beruhigt. Bei diesem Manne war für ihre Tochter keine Gefahr, auch wenn sie einmal nicht in der Stunde zugegen wäre. Er war ja viel älter, als sie gedacht und blaß und hatte auch einige Pockennarben, und tanzen konnte er gewiß nicht. Sie meinte, es ginge ihm wohl kümmerlich, obschon sie sich entsann, daß er einen feinen Rock trug; und, um ihm etwas Gutes zu erzeigen, dachte sie daran, ihm einen Freitisch anzubieten. »Das würde sich nun nicht schicken,« sagte der Kriegsrath, der andern Tages von Erkundigungen heim kam, die er im Interesse seines Kindes eingezogen. Zuerst hatten ihn die gescheitesten Leute versichert, der Herr van Asten wisse mehr, als in tausend Büchern steht, aber er habe den Tik, daß er das Sprüchwort zu schanden machen wolle: der spricht ja wie ein Buch. Das wäre überhaupt jetzt Mode, daß die gelehrten Leute nicht merken lassen wollten, daß sie gelehrt wären. Aber weit mehr verwunderte sich die Kriegsräthin, als sie erfuhr, Herr van Asten habe einen angesehenen Vater, den Prinzipal des alten Handlungshauses in der Spandauer Straße. Weil er jedoch zu der jungen ästhetischen Schule halte, die man Romantiker nennt, habe er sich mit seinem Vater überworfen, und sei aus dessen Hause gezogen, und nehme keine Unterstützung von ihm an, sondern er habe sich vorgesetzt, sich selbst fortzuhelfen. So knapp es ihm gehe, schlage er sich durch, und es könne ihm Niemand etwas nachsagen, als daß er stolz sei und andere nicht in seine Angelegenheiten blicken lasse. Die Kriegsräthin sah den jungen Mann schon ganz anders an, als er zur ersten Stunde kam. Er hatte neben dem feinen Rock auch ein feines Wesen. Nur gefiel es ihr auch heute nicht, daß er die Adelheid so viel sprechen ließ und selbst wenig sprach. Sie nahm sich vor, nachher ihrer Tochter zu rügen, daß sie ihre Unwissenheit so blos gegeben, aber wie war sie verwundert, als van Asten sie beim Fortgehen versicherte, daß Adelheid weit mehr aus sich heraus wisse, als er geglaubt, und daß sie sich selbst am besten unterrichten werde. Der Lehrer brauche nur wenig hinzuzuthun. Und wie unbefangen reichte sie ihm beim Abschied die Hand: »Auf Wiedersehen, Herr van Asten!« Das schien der Mutter gegen den Respekt und nicht schicklich. Adelheid sah sie aber groß an: »Wenn ich ihm nun gut bin, soll es sich nicht schicken, daß ich ihm die Hand schüttele?« Die Stunden hatten ihren Fortgang und Adelheid reichte jedes Mal beim Abschied dem Lehrer die Hand, als an einem schönen Tage die Obristin mit ihren Nichten vorfuhr, und die Mutter oder die Adelheid auffordern ließ, mit ihnen einen kleinen Abstecher ins Freie zu machen. Die Kriegsräthin entschied auf der Stelle für Adelheid. Mutter und Tochter wechselten jetzt die Rollen, indem die letzte fragte, ob es sich auch schicke, während die erste sagte, wenn ihre Tochter ein Vergnügen habe, sei es als ob sie selbst es genossen, und was sie denn für Bedenken haben könne? Als Adelheid am Abend zurückkehrte, waren alle Bedenken verschwunden. In der Aufregung der Freude flossen ihre Lippen über. Liebenswürdiger konnten Nichten und Tante nicht sein. Wie anmuthig war die Unterhaltung geflossen während der Spazierfahrt, wie rasch der Wagen dahin gerollt durch den Thiergarten. Als sie nach Hause fuhren, hatten die Nichten sie so dringend gebeten, einen Augenblick bei ihnen hinaufzuspringen. Die Tante meinte, es sei noch nicht alles eingerichtet. Aber die Nichten sagten: » Chère tante, sie muß doch Dein rothes Shawl sehen.« Und oben die Zimmerchen, es war so niedlich und fein, wie sie es nie gesehen, man fühlte den Fußboden nicht, solche weichen Decken lagen, und Sophas an allen Wänden, und schwere bunte Gardinen machten die Stuben dunkel, daß sie vor der Zeit Licht anzünden mussten. Keine Talglichte, sondern eine Lampe mit gedämpftem Glase, die an der Decke hing. Da hätte das Zimmer erst wunderbar schön ausgesehen. Leider war der Schlüssel verlegt zum Kasten, wo das rothe Tuch lag, und die Tante hatte gemeint, sie müsse es zuerst ein Mal bei Tage sehen, weil die Farben bei Licht ganz andere würden. Auch war ein Besuch gerade eingetreten, ein vornehmer Herr, vor dem es doch nicht schicklich war, Toilette zu machen. Der Herr hatte ihr zuerst gar nicht sehr gefallen, er war klein und hüftenlahm, und ging an einem Stock, der ihm als Krücke diente. Auch sein geröthetes Gesicht mit vielen Pickeln war hässlich. Aber sie hätte auch da bald eingesehen, wie der Schein trügen kann. Er war ein Kammerherr vom Hofe, der Herr von St. Real, den sie schon nennen gehört, der eine gelegentliche Vorfuhrvisite bei der Obristin machte. Er war die Artigkeit selbst gegen die Damen und auch gegen sie. Er sprach so fein und verbindlich, wie sie noch keinen Herrn sprechen gehört, und schien alles zu wissen, denn er lächelte fein zu Allem, was sie sagte, und machte dann eine Bemerkung, woraus sie sah, daß er die Sache kannte. Sie hatte nie geglaubt, daß die vornehmen Herrn so freundlich gegen Bürgerliche wären. Er hatte sich erkundigt, ob sie Klavier spiele und singen könne, und was ihre Lektüre sei, was sie zuerst nicht verstanden. Dann hätte er ihre Eltern sehr gelobt, daß sie ihr keine Romane in die Hände gaben, denn das sei alles nicht wahr, was darin stehe und verwirre die Phantasie. »Und denkt Euch,« fuhr sie auf, »er kennt auch Herrn van Asten! Denn er fragte, bei wem ich Unterricht hätte? Und als ich ihn nannte, sagte er, er hätte von ihm gehört, daß er ein sehr verständiger junger Mann wäre. Und den Beweis sähe er jetzt vor Augen. Ich wurde roth. Aber er fuhr fort: das Gute kommt doch wohl nicht alles vom Lehrer, sondern das Beste von den Eltern. Ich war wie übergossen, als er Deinen Namen nannte, Väterchen, und in meiner Verlegenheit fragte ich ihn, ob er Dich denn kenne? Ich selbst habe nicht die Ehre, antwortete er, aber der Name Ihres Herrn Vaters ist bei Hofe wohl bekannt und sehr gut angeschrieben.« Sie sprang auf, und fiel dem Vater um den Hals: »Väterchen, man kennt Dich bei Hofe!« Die Mutter wischte eine Thräne aus dem Auge. Der Vater meinte, man müsse auch nicht alles glauben, was die Leute uns ins Gesicht sagen. Nachdem hatte sich der Kammerherr empfohlen, so höflich und fast respektvoll, daß sie sich wieder geschämt, denn gegen die Nichten war er gar nicht so fein. Er hoffe sie ein andermal wieder zu sehen, und die Obristin hatte gesagt, das solle nächstens geschehen, auf eine Tasse Chokolade, wenn ihre Wohnung erst ganz in Ordnung sei, und darauf war sie mit dem Kammerherrn fortgefahren in die Oper. Ein Bedienter sollte Adelheid nach Hause bringen, aber die Nichten hätten es sich nicht nehmen lassen, sie selbst zu begleiten. Der Rückweg sei nun nicht so angenehm gewesen, denn sie wären oft angesprochen worden von unverschämten jungen Männern. Aber die Nichten hätten sie schön zurecht gewiesen: »Schämen Sie sich nicht, anständige Damen zu attaquiren?« Da hätten die Herren gelacht, aber die Nichten hätten sie um Gottes Willen gebeten, es der Tante nicht wieder zu sagen, denn sie würde sehr böse sein, weil sie die Adelheid wie ihren Augapfel liebte, aber sie hätten es auch ja nur gethan, weil sie sie noch mehr lieb hätten. Die Adelheid hatte in ihrer Aufregung und in ihrer Freude, daß ihr Vater bei Hofe bekannt sei, das Haus und die Straße vergessen. So wusste man noch immer nicht, wo die Frau Obristin wohnte. 15. Kapitel. Auch eine Idylle Fünfzehntes Kapitel. Auch eine Idylle. Der Minister saß in seiner Laube. Die Laube hatte die Aussicht auf den sehr großen Garten, von dem nur der kleinere Theil von Gärtners Hand in Blumenbeete und Weingelände geordnet war. Auf durchschnittenen Wiesen weideten Kühe mit Schweizergeläut. Vor dem Minister stand ein Tisch mit Akten und Schreibzeug. Neben ihm saß die Frau Ministerin. Der Minister saß in einer hellen linnenen Jacke und groben Haus- oder Gartenschuhen. Das Aktenstück lag schon lange aufgeschlagen vor ihm, die Dinte in der Feder war eingetrocknet, und der Kanzleibote hinter der Laube wartete eine halbe Stunde auf die Unterschrift des Citissime – denn der Minister horchte, den Kopf im Arm, auf das Schweizergeläut. Die Ministerin, in einem so einfachen Hauskleide, daß man sie für eine einfache Bürgerfrau gehalten hätte, wenn nicht ihre Haube mit Brüsseler Spitzen besetzt gewesen, und ein Mullumwurf den bloßen Hals bedeckte, strickte eifrig. Sie strickte blauwollene Strümpfe, und erzog ihre Kleinen, die an der Laube spielten. Wenn sie sich mit Sand warfen, sollte sie den Streit schlichten, und doch dabei auch auf die älteste Tochter horchen, die auf ihrem Knie Vossens Louise ihr vorlesen musste. Das Kind kam mit den Hexametern selten zurecht und gähnte oft. Der Minister richtete respirirend den Blick aufwärts nach den reifenden Trauben am Laubendach. »Du hast wohl recht schwer zu arbeiten,« sagte die Ministerin. »Du solltest Dich schonen.« »Mir war es eben, als wäre ich noch in Florenz. So schwebten auch die Trauben von unserer Veranda. Und dieser Wiesenhauch! Als wehte es von Fiesole her, und der Arno plätscherte unter mir.« »Ich weiß nicht, ob mir nicht dieser Heugeruch lieber ist, als der Duft der Orangen. Ist es überhaupt Recht, daß Du so oft dahin zurückdenkst? Solche Vergleiche stören die Heiterkeit der Seele. Wir sind doch einmal in diesem Lande, es ist auch hier schön, und wir sind zufrieden und glücklich, und –« »Und,« fiel er ein, ihr die Hand reichend: »Süße heilige Natur Laß uns gehn auf deiner Spur, Leite uns an deiner Hand Wie ein Kind am Gängelband.« Die Ministerin accompagnirte die Stollberg'schen Verse durch eine stumme Lippenbewegung, indem sie andächtig in die Luft schaute. Dann zählte sie die Maschen, sie hatte eine verloren. Der Kanzleidiener räusperte sich umsonst. Das Ehepaar war in sein stilles Glück versunken, und in Betrachtungen, warum Leopold Stollberg katholisch geworden. Die Frau Ministerin wusste diesmal nicht, warum der Minister respirirend schwer den Blick nach den Trauben gerichtet, warum er das Citissime drei Mal durchlesen hatte, ohne zu wissen, was darin stand, warum er wie ein Träumer auf das Schweizergeläut hörte, kurz, warum er in der elegischen Stimmung war. Vor einer Stunde hätte man ihn in seinem Arbeitszimmer in einer ganz anderen gefunden. Eine Nachricht hatte ihn aus seiner Ruhe gebracht! Er hatte laut für sich gerufen: »Dann ist Alles aus! Dann gehen wir Alle unter!« Er hatte nach seinem Kammerdiener und Jäger geschellt: »Anspannen und ankleiden!« Er wollte an den Hof fahren, selbst der Majestät die dringendsten Vorstellungen zu Füßen legen. Er hatte schon die Hofbeinkleider an und der Kammerdiener nestelte die Schnallen, als er ihn wieder hinaus schickte; er wollte sich einen Augenblick ausruhen. Auf das Sopha sich niederlassend, löste er unwillkürlich die Bandschnalle. Es war so heiß! »Wozu sich denn auch persönlich den Aerger bereiten!« Es wäre doch möglich, daß er mit dem Könige aneinander gerieth. Das fruchtet ja zu nichts! Er konnte schriftlich seine Gründe aufsetzen, warum der Mann, dessen Name ihn so erschreckt, nicht zum Minister tauge. Er hatte wieder geklingelt, und der Kammerdiener ihn entkleiden müssen. »Und die Equipage, Excellenz?« – »Ausspannen!« Der Sekretär hatte die Schreibmaterialien zurecht legen müssen, der beste und fertigste Kopist in Bereitschaft stehen. Der Kopist hatte eine Stunde mit eingetauchter Feder bereit gestanden, es standen aber erst zwei und eine halbe Zeile auf dem Konzeptbogen. Der Minister saß auch gar nicht mehr am Schreibtisch, er saß zurückgelehnt auf dem Sopha. »Entweder es ist, oder es ist nicht,« dachte Seine Excellenz. »Wenn es nicht so ist, so ist es gut, wenn es ist, so ist es vielleicht auch gut,« – gähnte er, von der Hitze im Zimmer übermannt – »dann ist doch das Ende vom Liede, daß wir unsere Entlassung nehmen müssen.« Weshalb sich für diese Eventualität noch mit einem schwierigen und kitzlichen Memoire befassen, es kann der Griff in ein Wespennest werden, und an stechenden Insekten fehlte es ohnedies nicht. Eine unverschämte Bremse schwirrte unermüdlich um seine heiße Stirn. Der Sekretär hatte sich lächelnd von der Thür, an der er gelauscht, an sein Pult begeben, und der Kopist auch lächelnd seine Feder ausgewischt, als man den Minister endlich sah, mit dem Battisttuch sich Luft wedelnd, sich ins Freie zu begeben. Beim Durchgehen hatte er verordnet, die Akten ihm in die Laube zu tragen. Die stille Scene glücklicher Häuslichkeit, in welcher die Sorgen von vorhin schon verschwunden schienen, hatte aber noch einen Beobachter. Der Geheimrath Bovillard stand unfern von dem Eingang der Laube, den Hut im Arm und die Arme gekreuzt. Eine Pause benutzend, trat er mit einigem Geräusch vor. »Sie haben uns wohl belauscht, lieber Bovillard,« sagte die Ministerin. »Das ist nicht recht; wer zur Familie gehört, der muß nie zu stören fürchten.« Er wollte ihre Hand an die Lippen führen, sie zog sie unwillig zurück: »Wir sind Deutsche. Einen ehrlichen Handschlag.« »Ich bewundere Ihren Fleiß, Excellenz.« »Häusliche Angelegenheiten,« sagte die Excellenz, »gehen der Freundschaft vor. Halte mir mal Deinen Fuß her, lieber Christian.« Sie probirte den Strumpf am Fuße des Ministers. »Sie lächeln wohl über mich, Bovillard? Das genirt mich aber gar nicht. Ehe wir's uns versehen, kommt der Winter ins Haus, und da muß eine gute Hausfrau bei Zeiten gesorgt haben. Setzen Sie sich, und plaudern mit meinem Mann von Staats- und gelehrten Dingen, ich werde Sie nicht stören.« »Und keinen Handschlag für mich?« sagte der Minister, seine Hand über den Tisch ihm entgegenhaltend. »Frauendienst geht vor Herrendienst.« Der Geheimrath nahm mit anscheinender Behaglichkeit Platz auf dem Gartenschemel. Lieber hätte er in einem Fauteuil gesessen. »Ach, wer auch eine Frau hätte, die uns Strümpfe strickte!« »Ist Ihre Schuld, Bovillard. Warum haben Sie nicht wieder geheirathet?« »Wo jetzt Frauen finden, die wie Excellenz nur für das Glück ihres Mannes leben?« »Wenn man sie suchte, würde man sie schon finden.« »Alles will jetzt ästhetisch sein.« »Und Sie, wenn Sie eine Frau hätten, die Ihnen Strümpfe strickte, würden französische Spottverse auf sie machen. Im Ernst, Geheimrath, bessern Sie sich ein Bischen.« »Soll ich katholisch werden, wie Graf Stollberg? Wenn Excellenz befehlen tout à vos ordres. « »Pfui über den Spötter und Atheisten! Da sitzen Sie nun wieder mit dem Rücken gegen die Natur.« »Ich kann Excellenz doch nicht den Rücken kehren.« »Sinn für Häuslichkeit einem so eingefleischten Admirateur der französischen Literatur beizubringen, müssen wir wohl aufgeben, aber rührt Sie denn gar nicht die Natur, hat nie eine Nachtigall Sie ergriffen?« »Nein Excellenz! Aber ich hätte beinahe mal eine ergriffen. Sie flatterte nur wieder fort.« »Inkorrigibler Flattergeist! Sehen Sie, meine Angelique lass' ich Vossens Louise lesen und freue mich, wie das Kind immer mehr Sinn dafür bekommt.« »Ach, wer wieder ein Kind werden könnte!« »Und wer kein Staatsmann geworden wäre!« seufzte der Minister. »Ich war eigentlich zum Herrnhuter geboren. Warum musste man mich hinausreißen an die Höfe, ins Feld der Intriguen? Ich hätte ein Vater unter meinen Unterthanen gelebt, sie beglückend, selbst beglückt.« »Und nun beglücken Excellenz ein ganzes Volk. Voilà la différence. « »Das mich verunglimpft, weil ich – solche gute Freunde habe.« »Wer wollen uns Alle bessern, Excellenz! Diese Laube sei der Tempel der Tugend, wo wir ihr Gehorsam geloben, und die Frau Ministerin die erhabene Priesterin, welche unsere Schwüre empfängt.« »A propos,« hub die Ministerin an, »wissen Sie denn den Vorfall von gestern bei Hofe?« Der Geheimrath kannte ihn noch nicht. »Der König und die Königin hatten eine Landpartie verabredet nach Pichelswerder. Sie laden die alte Voß ein, daran Theil zu nehmen. Aber ganz ländlich heißt es. Wird das unserer lieben Gräfin auch anstehen? Sie fühlt sich unendlich geehrt, an einem Vergnügen Theil zu nehmen, was Ihro Majestäten nicht verschmähen, und in voller Galla rauscht sie die Treppen hinunter, worüber die Majestäten schon kaum ihre Lust zurückhalten. Denn mit Schrecken sieht die Gräfin die Mütze des Königs, und die Königin in dem Morgenrock, der ihr so reizend steht. Aber unten im Charlottenburger Hofe! Was steht vor der Thür? Ein Leiterwagen mit Stroh! – Sie fragt nach der königlichen Kutsche. – Dies ist sie, sagt der König, wir werden uns etwas behelfen müssen; ländlich, sittlich. Die alte Voß ist erstarrt, aber noch entsetzter, als sie sieht, wie der König die Königin hinaufhebt. Die anderen Hofdamen helfen sich selbst. Der König bietet endlich der alten Dame seine Dienste an, aber sie erklärt feierlich: so lange sie ihr Amt als Ober-Ceremonienmeisterin nicht verwirkt oder verloren werde und könne sie sich dazu nicht entschließen. Und, setzte sie hinzu, wenn ich auch so unglücklich wäre, darüber die Gnade Ihro Majestäten zu verlieren. – Der König sagte freundlich: Um des Himmels willen, liebe Voß, wenn Sie nicht mit wollen, bleiben Sie zurück, aber meine volle Gnade bleibt bei Ihnen. Und hinauf sprang er, und der Wagen rollte fort.« Der Geheimrath schnalzte auf: » Délicieux! die alte Voß allein am Thor, wie die Henne am Teich!« »Ich glaube, Komteß Laura,« fuhr die Ministerin fort, und zog ihren Strumpf – »ich glaube, die hat auch nicht sehr vergnügte Mienen auf dem Leiterwagen gemacht. Es ist erschrecklich, welche Airs sie sich giebt.« »Ich finde sie nicht mal schön,« sagte Bovillard am Halstuch zupfend. Er fand sie nicht schön, weil auf dem Gesicht der Ministerin etwas stand, was ihm sagte, daß die Ministerin eine solche Findung wünschte. »Sie fischt ihn auch nicht weg,« sprach der Minister. »Und wenn, meine weisen Herren –« fiel die Ministerin ein, »was hätten Sie gewonnen? Hat sie den Esprit, um ihn zu gouverniren? So wenig als die Fromm, die Pauline und die andern. Er ist zu impetuös. Ueberdies, erlauben Sie mir, ich finde es von so klugen Leuten unverantwortlich, eine solche Person in ihre Confidence zu ziehen.« »Der Minister meinte, sie hätte wohl neulich beim thé dansant zu scharf gesehen. Als Frau sei die Komteß ein gutmüthiges Geschöpf.« »Daß sie sich mir da vordrängte, will ich ihr vergeben haben,« sagte die Ministerin, »sie hat keinen Takt; aber ich bitte Sie, wenn auch Komteß Laura sich unterstehen will, das Mulltuch um den Hals zu binden, wie unsere tugendhafte Königin, so finde ich das rebutant, ja geradezu rebutant, meine Herren, und ich wenigstens mit meinem schwachen Verstande begreife nicht, wie man das hingehen lasien kann. Aber die Herren werden wohl Gründe dafür haben. – Die Herren haben auch zu sprechen, was ich nicht hören soll,« setzte sie, das Strickzeug weglegend, hinzu, »und ich will Sie nicht stören. Aber das sage ich Ihnen, ich bin keine Freundin von Intriguen. Schlicht und grad, damit kommt man am weitesten. Geben Sie es auf, den Prinzen einzufangen. Er bricht durch alle Ihre Netze. Und was hätten Sie am Ende gefangen? Er hat eine Partei, aber diese Partei wird nie ans Ruder kommen, so lange er und der König ihre Natur nicht changiren, und die klugen Herren klug handeln. Umstellen Sie Seine Majestät, seien Sie auf der Hut, daß keine zweifelhafte Person in seiner Nähe sich festnistet, lassen Sie ihm alle Extravaganzen des Prinzen zu Ohren kommen, auch immerhin seine genialen Streiche, die in einem gewissen Publikum so viele Bewunderer finden. Desto besser, der König kann nun einmal geniale Streiche nicht leiden. Das Uebrige macht sich dann schon von selbst.« Der Minister hatte seine Gemahlin umarmt: »Mir aus der Seele gesprochen. Nichts von Intriguen! Den geraden Weg.« Der Geheimrath und der Minister hatten allerdings ein Geschäft. »Excellenz hatten die Eingabe vor sich, wie ich zu sehen glaubte,« sagte der Geheimrath, als sie durch ein Weinspalier gingen, wo der Minister die Trauben mit Lust befühlte, und weit mehr Lust zu haben schien, ein naturhistorisches Gespräch zu führen, als über die Angelegenheit, um die der Begleiter gekommen war. »Und gelesen,« seufzte der Minister, als er nicht mehr ausweichen konnte. »Aber ich bitte Sie, Freund, Sie lasen sie doch auch.« »Ich finde die Angelegenheit sehr klar dargestellt.« »Ja, klarer kann es kaum sein, daß man die Gefangenen beschwatzt hat, etwas zu unterschreiben, was ein handgreifliches Märchen ist. Sie attestiren, daß sie unter sich, in der Freude ihres Herzens zur Vorfeier des königlichen Geburtstages einen ungebührlichen Lärm gemacht, daß sie dadurch den Voigt in ihr Gefängniß gelockt, daß sie die Thür hinter ihm verschlossen, und ihn gezwungen, an ihrem Gelage Theil zu nehmen, bis es ihm zu arg geworden. Ich bitte Sie, was konstatirt denn selbst aus dieser Erzählung! Selbst wenn die Fabel Wahrheit wäre, hat ein Mensch, der so wenig seine Autorität zu erhalten weiß, sein Amt verwirrt. – Wer ist dieser Herr von Wandel?« fragte er mit verändertem Tone. »Warum interessirt sich dieser Legationsrath so lebhaft für die Sache?« »Es ist nicht die erste, Excellenz.« »In die er sich mischt. Ich weiß es. Er tritt auf wie der ›Alte überall und nirgends.‹ Diese Geflissentlichkeit, sich in Dinge zu mischen, die ihn nichts angehen, gefällt mir nicht.« »Was kann er davon haben, daß Lupinus los kommt? – Excellenz halten ihn für einen Aventurier. Aber er spielt nicht, macht keinen übermäßigen Aufwand, er beschäftigt sich mit Naturwissenschaften.« »Darum kommt man wohl jetzt nach Berlin! Darum drängt man sich in alle Gesellschaften, macht den Affairirten, weiß um alle Secrets, macht sich bei Prinzen und Damen beliebt, spielt hier den Weisen, dort den Liebenswürdigen, und für uns Alle den Rätselhaften.« »Er ist ein Mann des Friedens,« lächelte Bovillard. »Aber unseres Friedens! Er ist zu klug, um zu schwärmen, also was will er? Ich liebe nicht die rätselhaften Menschen. Wäre er nur ein Kundschafter, ein Agent von Napoleon oder Kaiser Alexander, von wem es sei, gleich viel, ich wüsste mich mit ihm zu stellen, aber der Abgesandte einer unbekannten Puissance, der hat etwas – bleiben Sie mir mit ihm vom Leibe, ich gestehe, mir wird unwohl, wenn ich in das gläserne Gesicht sehe.« Bovillard lächelte nicht, er erlaubte sich zu lachen: »Excellenz! er ist ein Schwärmer. Zudem ein Philosoph. Er hat ein System. Männer mit Ideen pflegt keine Puissance zu Spionen zu wählen.« Der Einwand frappirte dem Minister: »Jedenfalls muß man mit solchen Menschen vorsichtig sein.« Er blieb am Ausgange der Weinallee stehen: »Bovillard, wozu denn der Embarras, um einen Menschen zu retten, der sein Schicksal verdient hat? Seine Diners sind doch, dünkt mich, zu ersetzen.« »Excellenz, ein Ring heraus und eine Kette ist entzwei. Seine Familienverbindungen!« »Man darf nicht schonen, wo es an den eigenen Ruf geht. Sie haben es nicht zu vertreten, aber ich, wenn es am Hofe heißt: das ist Einer von der Lombard'schen Klique! Gerade wenn wir ihn springen lassen, befestigen wir unsern Ruf.« »Er hat mir so aufrichtig Besserung gelobt.« Der Minister sah ihn mit kaum unterdrücktem Lächeln an. »Und dann der König! Es geht nicht, er ist diesmal selbst Partei.« »Ich weiß, ich weiß. – Indessen sollten Excellenz – ich meine, wenn Sie sich der Sache annehmen wollten, wenn Sie das Loos der armen Kinder des Geheimraths mit aller Ihrer Humanität erwögen, sollte es Excellenz nicht möglich sein, vor der königlichen Huld und Gnade die Sache in einem Lichte – aber – mein Gott, wie schön ist die Aussicht! Welch ein wunderbares Licht!« Sie waren aus dem Weingang ins Freie getreten, und der Geheimrath blieb wie versunken in der Anschauung stehen. Ein Eisen muß man schmieden, wenn es heiß ist, aber an eine Thür, die man verschlossen findet, nicht klopfen bis das Haus in Aufruhr geräth. Wenn man wartet, öffnet sie sich wohl von selbst. »In dieser Verdure glaubt man doch die Alpenfrische wieder zu sehen. Wie geschickt Excellenz die Stadtmauer da mit Gebüsch versteckt haben.« »Der Garten war sehr morastig, als ich das Grundstück kaufte, es war mein Vergnügen, das Wasser in Gräben zu leiten, die sich aber wie natürliche Bäche schlängeln. Hält man die schilfigte Krümmung dort wohl für gegraben?« Der Geheimrath fand, die Lorgnette im Auge, nichts als Natur: »Da auch Mummeln im Teich – ich wollte sagen in dem kleinen See. Il faut avouer, que c'est plus qu'imiter la nature. C'est la nature prise sur le fait. « Er wollte sich auf einen abgehauenen Baumstamm am Ufer des künstlichen Baches stellen, um sich im Wasser zu spiegeln. Der Minister hielt ihn am Rockschoß zurück; »Um Gottes Willen, er kippt über. Mein Gärtner hat ihn erst heute Morgen aus Treptow eingefahren.« »En vérité!« sagte der Geheimrath, »die Täuschung ist mir lieb, denn ich wollte schon mit Ihnen zürnen, einen solchen Kernbaum umzuhauen!« »Wo sollte ein Baum von solchen Dimensionen auf diesem Boden fortkommen,« entgegnete der Minister, über die Täuschung doch nicht ganz unzufrieden. »Wenn ich auf etwas mir zu Gute thue, ist es nächst meinem Weinbau, von dem Sie ja wohl schon gelesen haben werden,« setzte er lächelnd hinzu, »auf meine Kühe. Es ist holsteinische Zucht. Beyme will in Steglitz auch den Versuch machen, ich zweifle aber, daß sie ihm fortkommen. – Und mit welchen Vorurtheilen ich zu kämpfen hatte! Zwei Kuhhirten musste ich entlassen. Der eine hielt das Schweizergeläut den Kühen für schädlich! Wohin sehen Sie dort?« »Was ist das blendende Weiß da?« »Meinen Sie das Stückchen Stadtmauer, worauf die Sonne scheint? Der Theil ist neu geweißt.« »Sollt' ich mich so getäuscht haben! – Richtig! Sie springt da gerade über die Büsche. Wissen, Excellenz, es ist eine Thorheit – aber die Phantasie geht oft mit uns durch – in dem Augenblick dachte ich an Schnee. Man könne der Illusion zu Hülfe kommen. Ich meine –« Der Minister fiel ein, er sei kein Freund der Spielereien im Wörlitzer Styl: »die Natur und nichts als die Natur! Da hatte ich auch einen Wasserfall angelegt, ich habe aber die Steine wieder herausnehmen lassen. Man erreicht weder ihre Größe, noch ihre Einfachheit.« Der Geheimrath empfand in dem Augenblick eine unangenehme Berührung auf dem Rücken. Der Minister zuckte sogar schmerzlich zusammen, denn eins der Kieselsteinchen, mit denen beide beworfen wurden, hatte ihn in dem Nacken getroffen. 16. Kapitel. Von Urmenschen und großen Menschen im Schlafrock Sechszehntes Kapitel. Von Urmenschen und großen Menschen im Schlafrock. »Verfluchter Junge!« entschlüpfte es ihm, indem er sich umdrehend die Hand erhob. »Jean, oder warst Du es, Jacques! Du siehst doch, ich bin nicht allein.« Statt der Antwort flog ein neuer Steinhagel. Er kam aus den Aesten einer der Ulmen, die in einiger Entfernung durch ein seichtes Wasser von ihnen getrennt in einer Gruppe Buschwerk standen. Bovillards Lorgnette entdeckte in den Aesten einen der Knaben des Ministers, einen andern am Ufer als wilder Mann kostümirt. Dieser schrie, auf seine Keule gestützt, in unartikulirten Tönen, deren leicht verständlicher Sinn war, daß sie Riesen oder Waldmenschen wären, denen dieser Wald gehöre, und daß kein Fremdling aus der feigen, schwächlichen Menschenrace sich in ihr Territorium ungestraft verirren dürfe. »Da werden wir wohl unterhandeln müssen, lieber Bovillard.« »Ah, Dero Herren Söhne – spielen Ritter.« »Die Passion ist vorbei, sie wollen nichts als Menschen, Urmenschen sein. Na, Jean, Jacques, sagt, was wollt Ihr denn von uns?« »Jean! Jacques! Sind Ihnen Ihre Taufnamen Hugo und Busso nicht urmenschlich genug?« »Eine Passion meiner Frau.« Der Minister verneigte sich: »Also Ihr großmächtigen Herren der Insel und Gebietiger des Waldes, was fordert Ihr von uns armen Menschenkindern, damit wir unter Eurer Gnade einen ungehinderten Durchweg haben?« Während die Knaben dies »freche Ansinnen,« wie sie es nannten, in Ueberlegung ziehen wollten, und dazu der eine Waldmensch vom Baume herabrutschte, hatte Bovillard Zeit, die Insel zu betrachten, von deren Existenz er noch nichts wusste. Sie war sichtlich erst vor Kurzem gegraben, so wie die künstliche Höhle, aufgeschüttet von Erdreich, Aesten und Moos, mit rohem Tisch und Bänken, und ein schadhaftes Bärenfell, das am Eingang hing, verrieth an seiner Furnitur, daß es von irgend einem Liebhabertheater stammte. Der Riese, indem er den Blätterkranz auf der Stirn zurecht rückte, während der Andere das Bärenfell auf die Erde breitete und sich in malerischer Position hinwarf, stellte nun in einer schwulstigen Knabenrede an die jämmerlichen Wichte und elenden Kreaturen der Civilisation seine Forderungen und Vorstellungen: daß sie, die auf Lotterbetten lägen und den Gaumen kitzelten mit feinen Weinen und Speisen, ihnen, den Waldmenschen, die auf Wurzeln schliefen und von Eicheln lebten, ihr Trank das klare Quellwasser, ihr Becher die Hand, nicht einmal ihr letztes Asyl, die Waldwildniß gönnten. Wohl kennten sie, die Urmenschen, die Arglist ihrer Verfolger, die ihnen die Erde entrissen, und sie wilde Männer schalten, und daß sie nur kämen, um sie auszukundschaften und durch gleisnerische Worte zu betrügen. Eigentlich sollten sie nun zu ihrer Rettung die verrätherischen Spione der Kulturmenschen vernichten, aber die Waldmenschen wären großmüthiger, sie wollten ihre Hände nicht mit ihrem Blute besudeln, denn Allvater rausche in den Eichen über ihnen: Lasst sie noch diesmal laufen! Darum möchten sie noch diesmal laufen, mit geduckten Köpfen, die Hände auf dem Rücken, laufen, was sie könnten, denn wenn sie bis zwölf gezählt, würden sie Felsstücke auf ihre Schädel nachschleudern. »C'est bien joli!« sagte der Geheimrath und klopfte den Staub von den Füßen, als sie außer Athem die Büsche erreicht. »Ein prächtiger Junge!« »Aber wie kamen sie auf die Idee?« »Ganz ihre eigene. Das ist es eben, was mich freut. Auf einem Spaziergange im Thiergarten sprach meine Frau beim Anblick der Rousseau-Insel einige gefühlvolle Worte. Die Jungen schnappten es auf: wir mussten ihnen erklären, wer Rousseau gewesen, es kam dazu, daß sie vor Kurzem den Robinson gelesen – kurz die Jungen wollten als Einsiedler auf einer Insel leben. Sie glauben nicht, mit welchem Scharfsinn sie argumentirten. Wir riskirten, daß die Kinder uns eines Morgens fortliefen und nach der Rousseau-Insel wateten. Um den Skandal zu verhindern, ließ ich ihnen diese hier graben. Es gab eine angenehme Beschäftigung, und jetzt muß ich wirklich ihre Perseverance admiriren, mit der sie sich auf der Insel –« »Ennuyiren,« fiel der Geheimrath ein. Es trat eine Pause ein. Der Minister hub wieder an: »Ich gebe Ihnen zu, Bovillard, wir erscheinen als Kinder, indem wir dies unterstützen. Ich gebe Ihnen noch mehr zu, meine ganze in einer großen Stadt hervorgezauberte Ländlichkeit ist auch nur ein Kinderspiel; wer aber hielte es aus ohne ein Spiel der Phantasie! Nur darin ist der Unterschied, daß die Einen es wie ein joujou de la Normandie in die Hand nehmen, um es aufzurollen und wieder fallen zu lassen. Wir Andere vertiefen uns, glücklich wenn wir in dem Spiel uns selbst vergessen.« »Die Tiefe Ihres Sentiments, Excellenz, wird Ihnen Niemand abstreiten.« »Sagen Sie lieber Innigkeit, Zärtlichkeit, wie Sie wollen. Ich empfinde es tiefer als Viele, was uns Alle ermattet. Wie es um uns her grau ist, abgelebt aussieht, wie auf einem Stoppelfelde! Was ging nicht unter! Unsere Adelsherrlichkeit, unsere Schlösser und Burgen! Der Lüster unserer Salons! Das heilige Römische Reich folgte unserem Glauben an seine Herrlichkeit. Was ist unsere Philosophie, unsere Gelehrsamkeit, selbst unsere Poesie und Literatur, die kaum aufgeblühten, die kaum das Ausland zu observiren schien – ils sont passés ces jours de fête, denn selbst dem vergötterten Schiller zupfen die jungen Romantiker seine Schwanenfedern aus.« »Excellenz, ein anderer Mathisson! Elegieen auf die Ruinen einer verfallenen Welt!« »Durchrieselt uns nicht Alle das Gefühl eines inneren Zerfalls der Dinge! Unsere Kultur, unsere Industrie, Politik, vielleicht selbst unsere Population, alle zuweit getrieben, schmachten nach einer Rekreation.« Durch den Buschweg, den sie nach dem Hause einschlugen, kam ihnen der Kammerdiener mit einem verdeckten Korbe entgegen: »Ah, Rekreationen, die uns die Frau Ministerin schickt!« rief Bovillard, der hungrig geworden, und schlug die Serviette zurück. Die frischen Kirschkuchen und das Gelée in Gläsern blickten ihm nicht unangenehm entgegen, aber der Kammerdiener zog den Korb entschieden zurück: »Verzeihn Sie gnädiger Herr, das ist für die Herren Urmenschen auf der Insel. Ich habe mich etwas verspätet.« »Gedulden Sie sich etwas, lieber Bovillard. Für Ihren Geschmack sind doch nicht diese idyllschen Fruchtgenüsse. Aber ich will Ihnen eine allerliebste kleine Straßburgerin vorsetzen,« lächelte die Excellenz. »Wenn auch nicht ganz Unschuld, doch sehr pikant, und eben frisch angekommen.« »Die Damen bleiben doch die Blüthen der Natur,« entgegnete der Geheimrath, »ich meine aber die in der Mitte zwischen Gänseblumen und verwelkten Tulpen.« Bei einer Oeffnung der Büsche hatten die Spaziergänger einen Blick auf die Rückseite der sogenannten Insel. Der Kammerdiener hatte auf einer Stange den Erfrischungskorb hinüber gereicht. Die Urmenschen hielten es für naturgemäß, sich darum zu balgen. Der stärkere stemmte den Kopf gegen den Bauch des andern und hob ihn durch einen gymnastischen Schwung auf die Schultern. Bovillard lachte, der Minister glaubte eine Erklärung oder Entschuldigung geben zu müssen. Die Kinder glaubten nur, es den wilden Thieren nachthun zu müssen, wenn ihnen das Fressen vorgeworfen wird; übrigens liebten sie sich als Brüder und würden nachher schon gerecht theilen. »Ich lache nicht darüber, mir kam nur eine Szene bei Rietz in den Sinn.« »Bei Rietz,« wiederholte der Minister nachsinnend. Um des Geheimrathes Lippen schwebte ein faunisches Lächeln: »Excellenz werden sich vielleicht noch der Jenny erinnern. Sie sang uns da die Marseillaise entzückend schön. Während wir klatschten, rief sie mit einem Mal: ça ira! und mit einem Satz vom Stuhl auf den Tisch! Schenkt ein! rief das delicieuse Wesen, und nur auf einem Zeh schwebend, hob sie das schäumende Glas: Vive la liberté! Ohne einen Tropfen zu vergießen, trank sie's aus. Eine Grazie, wie eine Göttin, wie sie zwischen den Flaschen schwebte, das leichte Mousselinkleid in antiken Falten, den Rosazephyr um ihren Nacken, und ihr Teint von der Freude, vom Wein angeröthet. So tanzte sie, nein, es war kein Tanz, es war doch ein Hinsäuseln der ätherischen Freude über die Tafel. Kein Glas fiel um. Die ganze Gesellschaft außer sich, wir mussten ihre Füße küssen.« Der Minister hatte unwillkürlich den Kopf gesenkt. Bovillard fuhr fort: »Einer unserer verehrten Freunde, erinnere ich mich noch sehr wohl, war so benommen von olympischer Lust, daß er sich die Weste aufriß und das Füßchen an sein pochendes Herz drückte. Darüber verlor die Grazie das Uebergewicht, und ehe wir's uns versahen, umfasste er sie und trug sie fort.« Bovillard sah nicht, wie der Minister mit der Hand abwehrend winkte. »Wie die Najade sich schalkhaft sträubte, ihr Zephyr flatterte, eine Attitüde, Excellenz, ich wünschte, Sie hätten es sehen können. Das war doch ein Jubel, eine Admiration! ›Der Sabinerinnen Raub!‹ wie aus einem Munde scholl's. ›Ein leibhafter Johann von Bologna!‹« »Was öffnen Sie die Gräber der Vergangenheit, Bovillard! Ich ward ein schlichter Hausmann.« »War's denn was Böses?« »Eine Verirrung doch wohl, liebster Freund. Das müssen wir zugeben, aber die edelsten Empfindungen lagen zum Grunde. Es war mir oft so wie in der Brüdergemeinde. Aller Schein, aller Standesunterschied, das Drückende unsrer Verhältnisse sinkt wie ein Schleier. Der Bruder- und Schwesterkuß drückt das Siegel der Humanität, der edlen Gleichheit auf unsre Lippen, und nun fallen mit den Titeln alle beengenden Rücksichten fort. Man fühlt sich wieder in der Natur, dem Ursprünglichen näher gerückt, das Herz geht auf, man schließt es unwillkürlich weiter auf, vielleicht weiter als man sollte – aber es ist ja eben dieser Drang, der uns glücklich macht.« Der Geheimrath blieb einen Augenblick stehen: »Ich besorge, daß Excellenz an jenem Abend Ihr Herz zu weit aufgeschlossen haben. Die Jenny war ein pfiffiges Ding.« »Ich wüsste doch nicht –« »Das glaube ich gern. Der Champagner bei Rietz war immer première qualité. Aber erinnern sich Excellenz, daß damals die hannöversche Geschichte spielte – man schickte einen Courier nach, um eine gewisse Depesche coûte que coûte zurückzuholen. Die Jenny, wenn sie noch lebt, wird das freilich längst vergessen haben, aber –« »Wem könnt' ich sonst –« »Nicht Excellenz, aber die Jenny. Als sie nach Hause fuhren, stahl sich Lupinus zu ihr. Ich bin nicht bei ihrer Entrevue gewesen, noch habe ich, Gott bewahre, mein Ohr ans Schlüsselloch gelegt, aber ich weiß nur, daß auch sie von allen beengenden Rücksichten sich frei, sich wieder in der Natur fühlte, dem Ursprünglichen näher gerückt, daß sie ihr Herz auch aufschloß –« »Dem Lupinus, Pfui!« »Der Schwesterkuß drückte das Siegel der edlen Gleichheit Allen auf. Ich will auch nicht verschwören, daß nicht die undankbare Schelmin Ew. Excellenz etwas raillirt hat. Der Sillery hatte sie, wie gesagt, auch animirt, und statt die Mysterien der süßen Stunde in ihrer Brust zu verschließen, machte sie sich über den Minister lustig, der ihr zu Füßen gestürzt, ihre Knie umfasst, und geschworen hatte, vor solcher Huld und Grazie etwas Geheimes auf der Brust zu behalten, wäre Sünde. Wie die Sonne die Knospe entfalte, müsse das Herz sich erschließen vor der Schönheit. – Excellenz, solche Geschöpfe sind launenhaft, unberechenbar. Sie hatte sich vielleicht bei den politischen Herzensergießungen etwas ennuyirt. Nun musste sie gegen den ersten, besten, den sie sah, auch ihr Herz und ihr Lachen ausschütten. Wie gesagt, was die Jenny betrifft, sie hat alles ausgeschüttet, aber – ich weiß nur aus manchen gelegentlichen Redensarten, daß der Geheimrath manche dieser Reminiscenzen eingeschachtelt hat.« Es folgte eine lange Pause, in welcher im Minister Vielerlei vorging. Sie setzten sich auf eine beschattete Bank, mit der Aussicht auf einen Wiesenplan und das Haus. Ihr Gespräch war noch nicht zu Ende; das fühlte sich von beiden Seiten heraus, wenn gleich Jeder den Anfang zu machen scheute. Der Minister saß nachdenkend, den Kopf im Arm gestützt. »Bovillard,« hub er endlich an, »will Ihr Protegé sich rächen, vergessene Dinge ausplaudern, so trifft es nur mich! Was ist der Einzelne dem Staat gegenüber!« »Excellenz, auf der Goldwaage, auf der Lupinus zu leicht wiegt, müssten Viele springen.« »Und wer sagt ihnen, daß sie nicht springen werden, – wenn ein Changement eintritt.« Bovillard sah den Minister groß an: »Nach Lombards Depeschen! Die Radziwill hat sich vor Aerger krank melden lassen, die schöne Prinzeß Wilhelm schreitet wie eine heilige Katharina in stummem Zorn durch ihre Gemächer, die Garde du Corps – was weiß ich, was sie thun. Prinz Louis hat, glaube ich, ein Pferd todt geritten, und bei der Mamsell Rahel Levin ein Collegium Philosophikum aus Verzweiflung sich bestellt.« »Sind damit Ihre Novitäten zu Ende?« »Der Einfluß der auswärtigen Mächte ist damit paralysirt.« »Wer denkt an das! – Im Innern droht der Feind, Bovillard – Stein wird ins Ministerium treten.« »Der Freiherr von Stein!« »Stein vom Stein!« Der Geheimrath war ein Mann, der sich nicht leicht aus der Fassung bringen ließ. Der Minister konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, als er sein verlängertes Gesicht sah. »Wer hätte es noch vorgestern erwartet! Man hat dem Könige seine außerordentlichen Verdienste in Westphalen, seine Rechtschaffenheit, seinen graden Sinn, seine hohe Geburt unterbreitet, man hat –« »Wer?« »Ein guter Freund von uns, Bovillard. Wer anders als Beyme.« »Ist Beyme toll?« »Man sagt, er hätte zuweilen Gewissensskrupel, daß er sich uns so unbedingt anschließt.« »Die Schrullen vom Kammergericht. Was habe ich mir Mühe gegeben, ihn davon los zu bringen.« »Es ist mit den Juristen, wie mit Ihren Puppen und Vogelscheuchen, Bovillard. In der Regel sind sie trefflich zu nutzen, wenn man ihr Formelwesen sich zum Panzer ajustirt, wenn sie aber widerborstig werden, sind sie Stacheln in unserm Fleisch. Beyme hat den Vortrag an den König aufgesetzt.« »Und hinter ihm diktirte –? Wer, bester Freund, könnte unsere Aufmerksamkeit so getäuscht haben! Hardenberg?« »Wird ihn vielleicht nicht grade wünschen, aber noch mehr fürchten, daß er ihn zu fürchten scheinen könnte. Hardenberg ist ein Spekulant auf die Zukunft, der sich um deßwillen den Genuß der Gegenwart nicht will trüben lassen. Er möchte gern aus der Vogelperspektive die Dinge betrachten, um, wenn seine Zeit gekommen, auf seine Beute herabzuschießen. Daß die Zeit jetzt für ihn noch nicht da ist, sieht er ein.« »Aber wer in aller Welt steckt hinter Beyme?« »Wir müssen höher suchen. Einer sehr tugendhaften Frau am Hofe sind wir nicht tugendhaft genug, lieber Bovillard.« » Der wird der Hecht im Karpfenteich,« rief der Geheimrath. »Ja, wenn er hier agirt wie in seinem Westphalen! Ich bestreite durchaus nicht Steins Verdienste. O, er hat charmant administrirt, was Steine anbetrifft und Wege und Metalle. Nur mit den Menschen hat er eine eigenthümliche Art umzugehen.« »Der Herr Oberpräsident waren ja ein kleiner König von Westphalen.« »Und er wird sich hier nicht degradiren wollen. Ich sehe schon, wie er sein Bureau reformirt; das möchten wir ihm immerhin lassen, aber von seinem Finanz-Kastell aus wird er Invektiven, Aggressionen, Blitze nach allen Seiten schleudern. Der Hitzkopf kann nun einmal nicht aus seiner Natur.« »Mit dem feinen Ton unserer Societé ist's aus. Wie war der Brief an den Herzog von Nassau, an ein regierendes Haupt! Excellenz, ich weiß Geschichten von seiner Grobheit.« »Ich kenne sie auch und seinen Ungestüm. Er wird mit dem Könige selbst aneinander gerathen!« »Desto besser!« »Sagen Sie das nicht, Bovillard. Der König hält allerdings auf seine Würde. Es ist aber eben so möglich, daß er sich in seine Art fügt. Hat er sich einmal darin gefunden, eine gewisse Estime für seinen Charakter empfangen, und sieht er, daß das Staatsschiff so leidlich dabei fortsteuert, so kennen Sie ja des Monarchen Natur, die vor jeder durchgreifenden Aenderung eine Scheu hat. Selbst ihm unliebsame Personen lässt er in ihren Aemtern und am Ende gewöhnt er sich auch an das Toben seines Premiers; denn daß Stein das wird, wenn er erst einen Fußtritt im Ministerium hat, können Sie glauben.« »Was haben wir da zu thun?« fragte der Geheimrath aufspringend. Der Minister erhob sich langsam, es schien wie von einer schweren Sitzung. »Wir! Nichts, Bovillard, Wir fügen uns als Philosophen in das was nicht zu ändern ist. Mich persönlich kümmert es nicht. Bedarf der König meiner Dienste nicht mehr, so danke ich ihm aufrichtig für das mir so lange geschenkte Vertrauen und singe mit ebenso aufrichtigem Herzen mein: beatus ille, qui procul negotiis und die paterna rura sollen mir doppelt willkommen sein.« »Aber der Staat, Excellenz!« Der Minister sah ihn mit einem schlauen Blick unter den herabgezogenen Augenbrauen an: »I, der wird wohl auch ohne uns bestehen.« Es trat eine neue Pause ein; sie gingen langsam dem Hause zu. »Sie, und unsre Freunde allein thun mir leid. Er ist jeder Zoll ein Reichsfreiherr. Seiner Majestät Diener wird er empfinden lassen, daß ein Unterschied ist zwischen Dienern und Dienern. Er hat gar kein Hehl, daß er Lombard nicht leiden kann; ja, er hat eine recht reichsfreiherrliche Verachtung gegen den Sohn des Perrückenmachers.« »Da werden sich ja unsre kurmärkischen Edelleute die Hände reiben.« »Ich zweifle, ob ihnen mit dem Changement gedient ist. So ein ehemals Reichsunmittelbarer sieht mit einer eignen Verachtung auf unsre wendischen Krautjunker herab. Ich sage Ihnen, in dem Mann ist alles Aristokrat, und die Autorität, die er am Rhein verloren, muß er suchen, an der Havel wieder zu gewinnen. Von der Illusion lassen Sie ab, daß das Kabinet bleibt, was es war. Die Fiction, daß die bürgerlichen Herren Kabinetsräthe die Volkstribunen sind, wird er mit einem Hagelwetter auseinander treiben. Er kann sein gewesenes Deutschland auch als Preuße nicht vergessen, er wird eingreifen, durchgreifen, reformiren, bis – doch ich mache keine Ansprüche auf Clairvoyance. Aber, lieber Bovillard, Sie sehen ein, der Augenblick, wo Stein ans Ruder kommt, ist nicht angethan, um Ihren Geheimrath zu retabliren.« 17. Kapitel. Das Citissime Siebzehntes Kapitel. Das Citissime. »Scheint doch einem Staatsmann auch kein Augenblick ruhiger Naturgenuß vergönnt!« seufzte der Minister, als der Kanzleibote mit seinem Citissime ihnen wieder entgegenkam. – Zugleich meldete ein Diener den Kammerherrn von St. Real. Man hörte den Wagen in den Hof fahren. »Unterzeichnen Sie für mich, lieber Bovillard, hier gleich in der Laube. Im Auftrag, es wird genügen –« »In welcher Angelegenheit?« »Ich weiß es wirklich nicht. Der Kammerherr versprach mir im Vorüberfahren vom Palais anzusprechen, wenn etwas Neues passirt. Auf Wiedersehen im Pavillon – bei der Straßburgerin.« Der Geheimrath ließ die schon eingetauchte Feder fallen, als er einen Blick in die Reinschrift geworfen. Er durchlas sie mit gekniffenen Lippen – ein Bericht des Ministeriums auf Spezialanfrage im Belang des den Königlichen Geheimrath Lupinus betreffenden Amtsvergehens. Der Minister ertheilt sein Gutachten dahin, daß nach seinem besten Ermessen der Fall mit unnachsichtiger Strenge zu behandeln sei, und daß jede Schonung zum unverwindlichen Schaden des königlichen Dienstes ausschlagen müsse. Er drang selbst im Interesse des Staatsdienstes auf eine strenge Ahndung und augenblickliche Suspension des Angeschuldigten. Es war nicht in Bovillards Art, alles, was er unterschrieb, durchzulesen. Er las diese Schrift zwei Mal und murmelte: »Sieh da die Feder meines jungen Freundes. Nicht zu verkennen. Ei, ei, Herr von Fuchsius, wollen Sie sich schon so wichtig machen und unentbehrlich! Und auch diese feinen Anspielungen auf uns! Daran wollen wir uns gelegentlich erinnern.« Der Kanzleidiener hätte noch lange auf die Unterschrift warten müssen, wenn ihm der Geheimrath nicht die Weisung gab, die Sache bedürfe noch einer Regulirung mit Seiner Excellenz. Die Regulirung schien aber dem Geheimrath selbst einige Sorge zu machen, denn den Kopf im Arm, stierte er lange in die Luft, bis allmälig ein sardonisches Lächeln über seine Lippen spielte, und er mit einem ganz eigenthümlichen Blick ausrief: »Wenn es denn doch einmal sein muß, wollen wir es etwas gründlicher anfassen.« Er schrieb sehr schnell. Zwei Seiten waren gefüllt, mit Schmunzeln überlas er das Konzept: »hätte ich doch selbst kaum gedacht, daß der Mensch so verworfen ist!« Und dieser Schluß: ›Demnächst kann ich nicht umhin, es gerade in diesem Augenblick als eine dringendste Pflicht Eurer königlichen Majestät zu Füßen zu legen, die Angelegenheit nur von dem angegebenen höheren Gesichtspunkte zu betrachten, und den Rücksichten der Humanität und Gnade, denen höchst Ihr Herz so gern sich erschließt, diesmal nicht nachzugeben. Ja, ich muß für strengste Handhabung der Gerechtigkeit nicht allein im Interesse des allgemeinen Staatswohles und zur Erhaltung der Moralität unter Dero Dienern stimmen, sondern auch in spezieller Rücksicht auf die Männer und erprobten Staatsdiener, denen Eure Majestät Ihr Vertrauen besonders zuzuwenden geruht. Leider steht die betreffende pflichtvergessene Person durch entfernte Verwandtschafts-und frühere gesellschaftliche Bande mit einem oder einigen dieser gedachten Männer in einer gewissen Relation, und es ist gewissen ihrer Feinde und Neider eine willkommene Aufgabe, aus diesem zufälligen Annex Verdächtigungsgründe zu schöpfen, ich wiederhole es, gegen Männer, die der Verdacht nicht berühren kann, weil ihr Charakter und ihr Verdienst von Euer Majestät gewürdigt sind. Desto mehr wird es zur Pflicht, gerade im Interesse des Thrones, auch vor dem Publikum diese Männer zu schützen. Eure Majestät können ihnen keine willkommenere Rechtfertigung gewähren, als wenn Sie das Recht, und nur das Recht walten lassen. Was ist ein Staat ohne Moralität seiner Bürger, was eine Monarchie, wo der Beamte nicht in Unbescholtenheit und sittlicher Würde wenigstens nachzueifern strebt, dem erhabenen Exempel, welches sein Oberhaupt dem Lande und Volke täglich giebt.‹ »Wunderschön!« Es entfuhr unwillkürlich den Lippen des Geheimraths und er steckte das Konzept in die Brusttasche. »Die Excellenz wird sich wenigstens eingestehen müssen, daß sie Räthe um sich hat, die auf ihre Ideen einzugehen wissen. Das kann man auch dem Herrn von Stein unter die Nase halten.« Welcher Glanz leuchtete auf der Stirn des Ministers. St. Real stand hinter dem Lehnsessel und wiegte sich in Wohlbehagen, während der Hausherr auf und ab ging. Als er den Geheimrath eintreten sah, hielt er ihm die Hand entgegen: »Wissen Sie schon, Bovillard?« »Nichts, Excellenz, als daß Ihre Ansichten mich überführt haben.« »Lassen Sie sich's von St. Real sagen.« Er warf sich in den Fauteuil, überschlug die Beine und rieb die Hände. »Seine Majestät haben in Gnaden die Anstellung des Herrn von Stein abgelehnt.« »Stein wird nicht Finanzminister,« wiederholte der Minister. »Da fällt uns also ein Stein vom Herzen!« Bovillard's Bonmot, so leicht es war, fand empfängliche Herzen. Gut, daß kein Lauscherauge in den Pavillon drang. Es hätte Mienen, Bewegungen und Gesten gesehen, schwer verträglich mit der ministeriellen Autorität eines Großstaates. Nur der Geheimrath hatte rasch eine Flasche entkorkt, um ein Glas hinunterzustürzen, aber die Physiognomien erinnerten einen Augenblick an die faunischen Gesichter, welche Rubens' Pinsel so unvergleichlich auf die Leinwand warf. Belauschte Augenblicke der kanibalischen Natur im Menschen, die nun ewig geworden sind durch die Kunst. Wenn Jemandem, wem darf man es weniger verargen als einem Staatsmann, wenn er im unbelauschten Augenblick die geglättete Maske fallen lässt, um einmal wenigstens in der ursprünglichen sich vor sich selbst zu sehen. »Nun heraus! Wie war's?« rief der Geheimrath am Tische, indem er einen tief aushöhlenden Schnitt in die Leberpastete that. Ich vergaß zu sagen, daß man die Thüren vorher verschlossen, und auch noch die Gardinen vor die mit Weinreben fest umrankten Fenster gezogen, – der Kühlung wegen, hieß es. Es war allerdings ein sehr heißer Tag geworden! Vorher aber war der Haushofmeister auf besondere Ordre des Ministers selbst in die Keller gestiegen, und ein Korb mit Flaschen, staubig, kalkigt, mit Spinneweben umwoben, stand in Folge dessen am Tische. Auf demselben hatten sich aber neben der Straßburgerin noch Schüsseln des verschiedensten Inhalts aus verschiedenen Weltgegenden eingefunden, »ein Frühstück, wie's ein schlichter Mann guten Freunden eben vorsetzt, die nach dem Herzen sehen, nicht auf den Werth«, hatte der Minister gesagt. Was bedurfte es der Aufwartung unter ein paar traulich beisammensitzenden Freunden! Darum sollte Niemand gemeldet, Niemand eingelassen werden, und der gütige Wirth selbst nahm den Pfropfenzieher zur Hand. »Die Geschichte ist eigentlich sehr einfach,« sagte St. Real. »Gestern Abend war der König noch dafür gestimmt. So nahmen wir's wenigstens an. Sie mögen sich das Geflüster in den Vorzimmern denken, die Fragen, die man hören musste. Die Damen wollten wissen, ob der Herr von Stein noch ein junger Mann wäre? Ob er ein Haus mache? Ob er ästhetisch ist? Ob er lieber Jean Paul liest oder Lafontaine, und Schiller oder Goethe vorzieht? Die Herren steckten die Köpfe zusammen. Es wusste eigentlich Niemand, woher der Wind blies, denn, wenn man auch sagte, Beyme hat Lombards Abwesenheit benutzt, so erklärte das wieder nicht, warum Beyme gegen seinen Freund intriguiren sollte. Andere kalkulirten gar, die ganze Sache ginge von Lombard selbst aus, er wünsche solchen Mauerbrecher in des Königs Nähe, entweder um Andre damit aus dem Weg zu räumen, oder er wünsche, daß die höchste Person es einmal empfinde, wie unangenehm der Umgang mit einem deutschen Degenknopf ist.« »Thorheit!« sagte der Minister. »Und doch vielleicht nicht übel spekulirt.« »Nichts, meine Freunde,« entgegnete Jener, »lernt sich leichter an Höfen, als das Vergessen ehemaliger Freunde. Nur die Kränkungen vergisst man dort nie.« »Die alte Voß ließ für mich keinen Zweifel,« fuhr St. Real fort. »Sie rühmte gegen Komteß Laura die alte Familie der Stein; von Männern solcher Abkunft könne man sich versprechen, daß sie wieder die nöthigen Dehors auch an den Hof bringen werden.« »Charmant!« Man ließ bei Gläserklang die alte Voß leben. Der weiße, prickelnde Burgunder schärft die Zunge, man schärfte die Darstellung von Anekdoten, die Jeder kannte, aber Jeder gern wiederhörte, bis sie für den haut goût appretirt waren, und unter allen guten Eigenschaften ihnen nur eine abging, die Wahrheit. »Aber wir kommen von der Sache ab. Was erfuhren Sie von Ihr?« »Nicht mehr, als sie mich errathen ließ, und ich eigentlich schon wusste, daß die Königin dahinter steckte. Geben Sie nur Acht, flüsterte sie mir zu, wenn Ihro Majestät herauskommt.« »Und?« »Ihro Majestät kamen bald heraus.« »Und?« »S' ist doch eine wunderschöne Frau! Ihr schwarzes Atlaskleid rauschte über die Schwelle, und, war's Zufall oder Absicht, die Thüre klappte hinter ihr, daß mir's noch ins Ohr gellt. Die Oberlippe ein Bischen eingekniffen, Keinen von uns ansehend, raus war sie, und winkte nur der Berg, ihr zu folgen.« »Und das ist Alles?« »Mich dünkt, genug.« »Man kann sich täuschen.« »Meine Ohren, Excellenz, sind sehr scharf. Wenn ich im blauen Saal die Stiefeln Sr. Majestät im rothen Zimmer knarren höre, weiß ich, was die Glocke geschlagen hat.« »Ging also unruhig auf und ab?« »Wir sahen uns an und dankten Gott, daß nur ein Stein gefallen war.« »Er ist also?« »Ist! Bald kam Beyme heraus, dann auch Köckeritz. Beyme fragte nach der Berg. Da sie fort war, wandte er sich an die Voß und zuckte die Achseln: ›Madame, j'ai fait mon possible!‹ Zwischen den Zähnen murmelte er: ›ultra posse nemo obligatur.‹ Nachher schenkte uns Köckeritz reinen Wein ein.« »Excellenz,« rief Bovillard bei einer neuen Flasche, »dieser St. Peray ist gewiß reiner.« »Hatte die Radziwill zu stark urgirt, ein neuer Geniestreich des Prinzen ihn verdrossen?« Der Minister setzte hinzu: »Ehe ich die Motive nicht kenne, bezweifle ich doch das Faktum.« »Was bedarf es der Motive! Natur, rien que de la nature! Er hatte sich beschmeicheln lassen, unter Händedrücken das halbe Versprechen gegeben. Dann gereute es ihn. War schon gestern Abend umhergegangen, die Hände auf dem Rücken. Die Berg hatte ein Selbstgespräch belauscht: ›Man will mir auch meine Minister machen!‹ Leider hatte sie nicht mehr Gelegenheit, die Königin davon zu avertiren. Heute Morgen muß ihm ein Blatt in die Hände fallen, worin die Kindesmörderin eine irrende Schwester genannt wird, ein Opfer der gesellschaftlichen Verhältnisse. Es war mit etwas Emphase ihre Geschichte erzählt. Resultat: Sie waren aigrirt, sehr aigrirt. Ob die gelehrten Herren auch die expressen Worte Gottes fortkorrigiren wollten: Wer Menschenblut vergießt, dessen Blut soll wieder vergossen werden? Man antwortete, der Verfasser sei kein Gelehrter, sondern eines von den jungen Genies. – ›Die eine verkehrte Welt machen wollen!‹ brach es nun heraus. ›Will aber keine verkehrte Welt aus meinem Reiche machen; soll Alles in der Ordnung bleiben. Leute waren doch sonst mit mir zufrieden. Schöne Wirthschaft, würden die Herren Genies anfangen, alles auf den Kopf zu stellen. Kindermörderinnen am Ende noch belohnen!‹ Während sie sich nun noch so expektorirten, kommt Beyme zum Vortrag, der wirklich nichts davon wusste, und indem er die Gründe für Steins Anstellung resumirt, entfährt ihm unglücklicherweise der Ausdruck: vor seinem Genie würden auch die und die Vorurtheile sich beugen. Da war's um ihn geschehen! Der König sagte, er brauche keine Genies, er wolle keine Genies und – das Uebrige können Sie sich selbst erzählen.« Bovillard goß den Rest der zweiten Flasche in das Glas und erhob es: »Angestoßen, Freunde! Auf das Andenken der Kindesmörderin! Seelige verirrte Schwester, dieser Tropfen sei Dir geweiht, daß Du Preußen vor Ministern bewahrt hast, die Genies sind! – Was stiert Excellenz Christian ins Glas und trinkt nicht? Suchst Du im Wein nach einem untergegangenen Genie? Verlorne Mühe. Ertrunkenes lebt nicht wieder auf.« »Mir kommt nur der Gedanke,« sagte der Minister nach einer Pause, »ob eine Regierung denn überhaupt der Genies bedarf. Unser Minos vom Kammergericht fertigte neulich einen Bekannten, der ihm einen genialen Juristen für das Kollegium empfahl, mit den Worten ab: ›Ich brauche nur zwei für die knifflichen Sachen, für die andern sind Ochsen ausreichend.‹« »Ochsen mögen eine Weile die Tretmühle treiben, wie Exzellenz das selbst am besten wissen, im Uebrigen meine ich, daß Ochsen noch nie eine Mühle in Gang gebracht haben.« »Woran ging Josephs II. Schöpfung unter?« fuhr die Excellenz fort. »Und was meint Ihr, daß aus unserm Staat würde, wenn irgend ein Zufall Prinz Louis Ferdinand auf den Thron brächte?« Nach einer kleinen Pause hob der Geheimrath an, den Weinrest in seinem Glase schüttelnd: »Ich meine, zuerst würde er unsern verehrten Wirth zur Thür hinaus komplimentiren. Dann ging's an Lombard, Beyme, Lucchesini, an uns Alle. Es würde aufbrausen wie tausend auf ein Mal entkorkte Champagnerflaschen. Da man sie aber nicht alle auf ein Mal austrinken kann, würde der Wein bald schaal werden. Und wie er seiner Maitressen satt wird, würde er's auch der Genies. Dann kämen die unermüdlichen Geschöpfe dran, die man nun Zuträger nennen kann, oder Sykophanten, oder Gelegenheitsmacher, Kuppler, oder auch Ochsen, wie man will, die immer für neue Stoße in Wein, Ideen und Liebe sorgen. Diese bleiben endlich seine Gesellschaft, eben weil sie sich zur Thür hinauswerfen lassen und immer wieder kommen. Endlich gewöhnt man sich an sie, weil man ihrer bedarf, weil sie zu Allem zu brauchen, man verachtet sie, aber sie bleiben doch unser Umgang, weil sie immer gefällig, unsere Freunde, weil wir keine besseren finden, und schließlich – es blieb auch unter Louis Ferdinand Alles beim Alten. Christian, wir blieben auch!« Der Minister drohte mit dem Finger. »Ach was! wir sind unter uns. Wein und Wahrheit. Betrachten wir hier unseren würdigen Kammerherrn. Verzog er die Miene, ward er nur einmal roth, als ich von Kupplern sprach?« »St. Real kann ja nicht mehr roth werden.« »Excellenz! Dieser echte Philosoph beschämt uns. Sein purpurn Antlitz brennt, wenn er so viel Flaschen aussticht wie nur Fleck und der Prinz, nicht röther, als wenn er eine Tasse Thee nippt. Wenn wir wankend aufstehen, sagen sie: er hinkt ja immer. Er kennt die Liebe nicht mehr, aber sein liebebedürftiges Gemüth schafft sie für Andere. Wir kamen überein, daß er, ohne Schmeichelei, unter uns das Minimum von Verstand hat, aber wie weiß er den Ueberfluß an Mangel zu cachiren, daß Jemand, der jetzt durchs Fenster sähe, doch schwören könnte, er hätte die meiste Raison. Und, Excellenz, sehen Sie seine Lippen und Manchetten, er hat immer noch etwas in petto uns zu überraschen.« »Nein; er scheint mir melancholisch, weil er die Laura beim Prinzen nicht anbringen kann.« » A propos, St. Real, wie ist's mit der junonischen Gans?« »Aha, der schönen Eitelbach,« sagte der Minister. Der Kammerherr schüttelte den Kopf: »Geben Sie die Hoffnung auf, meine Herren. Königliche Hoheit exprimirten sich in drastischer Kürze: ich sollte die Tugend nicht der Versuchung aussetzen. Uebrigens wisse ich ja, daß Sie Gänsebraten nicht liebten.« Glich der muntere Frühstückstisch doch auch auf Augenblicke einem Secirtisch. Alle Qualitäten der schönen Frau wurden von Experten zergliedert und abgewogen, wobei der Witz die leichte Vergleichung mit den Ingredienzien der Pastete nicht verschmähte. Das Resultat war, daß man alles in ihr fand, nur keine Seele, keinen Verstand und keine Passionen. Ja es sei Hopfen und Malz verloren, erklärte der Kammerherr, ihr eine Inklination beizubringen. »Es ist nichts unmöglich,« trumpfte Bovillard. Der Minister bemerkte, daß seine Augen von einem eignen Feuer strahlten. Das könnte allerdings vom Weine sein, er goß schon die fünfte Flasche an, als er die Stimme erhob: »Jeder Humanitätsbürger hat die Pflicht das Seine zu thun zur Vervollkommnung des Menschengeschlechts, und ist ein Weib, meine Freunde, vollkommen, hat es eine andere Bestimmung als die Liebe! Seid Ihr denn Kannibalen, oder habt Ihr Herzen von Stein, daß Euch das schöne Weib nicht rührt, daß in ungeheurer Langenweile mit ihrer bête noire von Mann ihre Rosentage verträumt? Christian, und Sie, St. Real, waren unsere Vorfahren nicht Ritter, die ihre Lanze für die gefangene Schönheit einlegten? Und ist sie nicht gefangen, gleichviel ob von einem brutalen Ungeheuer, oder von einem Alp von Apathie! Welche Schätze liegen da wüst in dem schönen Tempel, und Ihr wollt zaudern Hand anzulegen! Nein, Ihr Ritter, Schatzgräber, Maurer, sinnt auf ein Zauberwort, das ihren Bann löst. Angefasst, gehämmert, Funken geschlagen bis wir das innere Feuer in der schönen Bildsäule entzündet! Seht doch den dicken Iffland auf der Scene, wenn er als Pygmalion Leben in seine Galathee schwatzt und klopft. Was, sollen wir ungeschickter sein? Gluth soll durch ihre Adern strömen, sterblich soll sie sich verlieben, interessant werden, rührend, sie soll uns Thränen entlocken! Kinder könnt Ihr Euch denn ein pikanteres Schauspiel vorstellen, als die Eitelbach in rasender Leidenschaft?« »Bovillard rast!« »Du willst sie doch nicht selbst in Dich verliebt machen?« sagte der Minister. »Nichts davon, es muß etwas ganz Absonderliches dabei sein.« Er zog den Rock aus und warf ihn auf die Erde. Auch das Halstuch folgte. Die Toilette des Ministers entsprach allerdings diesem Negligé, nur der Kammerherr blieb zugeknöpft. »Unser Geheimrath ist im Zustand der Divination.« »Etwas Frappantes,« rief Bovillard, »daß man drei Tage vor lautem Gelächter die Glocken nicht hört. – Wenn's irgend einen berühmten Kanzelredner gäbe –«. »Warum nicht gar!« »Du hast Recht! Da machte man sie zu einer Schwärmerin. Es muß gar keine Erklärung für die Neigung geben. Etwas Originelles, ein Flügelmann von der Garde oder ein Zwerg. Ein grundhässlicher Kerl, ein Bucklichter, ein Weiberfeind, ein Trunkenbold, ein Weiser. Wenn der alte Gundling noch lebte, oder Moses Mendelssohn.« »Ich schlage Johannes Müller vor.« »Er müsste sich doch auch in sie verlieben können.« »Und am Ende hieße es, sie hätte sich nur in seine Schweizergeschichte verliebt,« sagte der Minister, und mit niedergeschlagenen Augen flüsterte er: »Ich wüsste schon Jemand –« Das stille Gelächter, die verkniffenen Lippen, die blinzelnden Augen der Anderen bekundeten, daß der Minister verstanden war. In jovialen Kreisen solcher Freunde versteht man sich an Zeichen. Ein »Schade, schade!« ging wie der Hauch des Abendwindes über ein Aehrenfeld. »Da uns hier eine höhere Magie entgegenarbeitet, bescheide ich mich, wiewohl ich das Verdienstliche des Vorschlags vollkommen würdige,« schmunzelte Bovillard. St. Real schüttelte den Kopf: »Es kann doch nicht immer so dauern.« »Das Reich der Tugend! Hört den grauen Sünder, der es nicht mal von dem göttlichen Schiller weiß: Und die Tugend sie ist kein leerer Wahn. Sein Himmel hängt nicht voll Geigen, sondern voll lauter Pompadoure. Er ist ein Kryptokatholik, sein Heiligenkalender fängt an mit der Sanct Agnes Sorel und hört auf mit der heiligen Baranius.« »Bovillard merkt nicht, daß St. Real einen Einfall hat.« »Wenn wir den Witz ausgeschüttet, kraucht ihn immer einer an. Heraus damit! Sollten wir etwa Namen aufschreiben und würfeln? Auch das; ich parire jede Wette; wen das Loos trifft, in den will ich die Eitelbach verliebt machen.« Der Kammerherr spiegelte sich im Glase, das er dicht ans Gesicht hielt: »Herr von Bovillard, ich zweifle, wenn ich den nenne, der mir eben einfiel.« »Nenne den Namen, ich will ihn beschwören.« »Daß er davon läuft, das will ich glauben, er hat mehr Schulden als Haare auf dem Kopf.« »Nein, auch er soll kleben wie eine Klette. Und sie verliebt sein, wie – ein verliebter Maikäfer. Das ist das Einzige, was mir aus einer tollen Tragödie kleben blieb, aus der Iffland uns neulich Abends zum Jokus vorlas, von dem verrückten Kleist.« »Auch in den Herrn Rittmeister Stier von Dohleneck? Getrauen Sie sich auch mit dem eine Liaison zu Stande zu bringen?« Der Geheimrath sprang auf: »Was gilt die Wette?« »Bovillard, sein Sie nicht unsinnig,« sagte der Minister. »Ich frage, wer wettet!« fuhr der Erhitzte fort. »Aber dazu andern Wein, feurigern!« Er schleuderte das Glas hinter sich. »Vom Spanischen her, einen Pedro Ximenes! Die Eitelbach und Dohleneck, eine liaison tragique, eine liaison dangereuse, ein Turtelpärchen, was Ihr wollt! Wer hält die Wette, auf was es sei! Christian parire!« »Bovillard weiß nicht –« »Alles weiß ich, daß sie wie Katze und Hund sind, eine Aversion fühlen, eine gegenseitige Idiosynkrasie, die stadtkundig ist. Desto besser; je schwieriger die Aufgabe, so ehrenvoller der Succeß. Va-t-en, Christian, wettest Du?« »Meinethalben.« »Auf was? Nicht Geld, nicht Champagner, etwas Abnormes, was den Appetit reizt.« »Excellenz könnten eine Geliebte abtreten,« kicherte der Kammerherr. »Ich und eine Geliebte!« »So sinne etwas Sinnreiches aus, was Du gegen Dein Gewissen thust.« »Ich will Gentz' hinterlassene Schulden bezahlen.« » Accedo! Und ich eine Abhandlung schreiben zum Lobe des Herrn von Stein. Daß er uns unentbehrlich ist, laß ich drucken. Ein Schelm giebt nur was er kann. Ich habe mehr eingesetzt. Topp, eingeschlagen!« Der Kammerherr hielt seinen Arm dazwischen. »Wozu Krieg, meine Herren, Depensen, die keinen Vortheil bringen? Warum denn überhaupt eine Wette, warum nicht eine Allianz?« »Was meinst Du, Christian?« »Ich bin doch immer ein Mann des Friedens.« »Topp! Alle drei eingeschlagen, Männer des Friedens, einen Rütlibund! Wir Alle gemeinschaftlich an das Werk. Aber Theilung der Arbeit! Du nimmst den Rittmeister auf Dich und sträubt sich die Excellenz dagegen, wird der Kammerherr zum Dienstthuenden. Ich weiß schon meinen Helfershelfer für die Baronin, übrigens Jeder hilft dem Andern, und bei dem erhabenen Geiste, der aus diesen Flaschenmündungen noch duftet, geloben wir Todesverschwiegenheit.« Während sie sich die Hände reichten, klopfte es. »'S ist nichts; ein Hund schlug an die Thür,« beruhigte der Wirth. »Wer würde sich auch unterstehen, wenn wir in Staatsangelegenheiten beisammen, Excellenz zu stören! Oder ist's keine Staatsangelegenheit? Womit sollten wir uns amüsiren, da nun Friede bleibt? Das Leben muß einen Zweck haben. Auch die besten Kräfte ermatten ohne ein Ziel. Mit Hindernissen zu kämpfen ist unsere Bestimmung. Je schwieriger, um so elastischer streckt sich unser Geist. Darum, gerade im Staatsinteresse, wir müssen unsere Kräfte an subtilen Aufgaben üben, um zuverlässig zu sein in der Stunde, die da kommt.« Es klopfte wieder: »Laß die Geister pochen, wir antworten mit diesem Gläserklang. Auf den Amandus und die Amanda!« »Bravo, Einer, der da lieben soll und muß!« »Noch etwas: wenn etwa in Folge dieses schönen Seelenbundes ein Weltbürger das Licht der Welt erblicken sollte, so –« Ein klirrender Schall unterbrach sie. Es pochte Jemand mit Heftigkeit ans Fenster. »Es brennt!« Alle waren aufgesprungen. Der Kammerherr schien am festesten auf seiner Krücke zu stehen. Der Geheimrath machte eine Bewegung nach seinem Rocke, die damit endete, daß er auf den Stuhl zurücksank. Der Minister hatte seinen geschleudert, und mit der Hand am Tische, machte er die Geste des Riechens. Aber die wohlbekannte Stimme seines Privatsekretärs rief draußen: »Halten zu Gnaden, Excellenz, das Citissime! – Das Citissime, das Gutachten des Ministeriums an Seine Majestät den König. Herr Geheime Kabinetsrath Beyme haben schon zwei Expressen ge schickt. Heute Abend um sechs ist Vortrag bei Seiner Majestät; sämmtliche Gutachten der Ministerien sind in des Herrn Kabinetsraths Händen, nur unseres fehlt noch. Der Bote steht auf Kohlen.« Bovillard hatte mit einem glücklichen Griff seinen Rock erfasst und warf die Papiere auf den Tisch: »Da Excellenz – ein Bischen schmutzig. Schadet nichts, die Sache ist's auch. Unterschreibe –« »Zwei Papiere?« »Ist gleichgültig, er muß doch springen.« »Muß er absolut?« »Ist sehr gesund für sein Podagra.« Der Minister war in einen Sessel gesunken: »Muß er denn? Wir sitzen so fröhlich beisammen – und Stein kommt ja nicht.« »Hätt's beinahe vergessen! Mais, c'est bon! « »Wozu Rigorosität gegen einen Mitmenschen, der uns nichts gethan hat,« sprach St. Real. »Also Allen Sündern soll vergeben Und die Hölle nicht mehr sein.« »Bovillard, Ihnen fließt es ja von den Fingern. Da an der Ecke auf dem Schreibtisch, ein anderes Gutachten. Kurz nur. Wegen der Förmlichkeit weiß ja Beyme wie wir's halten. Trinken Sie ein Glas Champagner um sich aufzuheitern.« »Nicht nöthig Excellenz. Hier das Konzept, brauche nur ein paar Striche zu ändern.« Mit Sekretär und Bote war man in Ordnung, natürlich, nachdem man es einigermaßen mit der Toilette geworden, zwei Krystallflaschen mit frischem Brunnenwasser standen auf dem Tisch und der Geheimrath schrieb an der Ecke, während der Minister ein Gespräch mit dem Kammerherrn führte. St. Real hatte sichtlich am wenigsten von dem süßen Traubensaft genossen, oder es darin zu einer Virtuosität gebracht, daß man die Wirkungen nicht merkte. Der Minister hörte ihn, im Armstuhl zurückgesunken, mit einiger Anstrengung an, während der Kammerherr halb vor ihm stand, halb auf dem Tisch saß. Wir hören, da das Gespräch halb laut geführt wird, nur einiges heraus. »Malchen – Malchen? Der Name kommt mir bekannt vor.« »Erinnern sich Excellenz vielleicht des Waldkindes, das der Höchstselige auf einer Promenade finden musste?« »Das ist lange her – spielte sie nicht die Gurli? Die war freilich noch nicht geschrieben.« »Einer der hübschesten Züge von der Lichtenau; wie überhaupt es war doch eine seltene Frau. Der Höchstselige hatte die ersten Brustbeklemmungen, und empfand eine Sehnsucht nach etwas Natürlichem und Frischem. Die Gräfin wusste auf der Stelle Rath – Im rothen Frießröckchen, bis an die Kniee aufgeschürzt, barfuß huckte das Kind im Revier und pflückte Erdbeeren, ohne sich umzusehen. Der König winkte uns Stille zu, er wollte sie überraschen. Er fuhr sie an, was sie in dem Walde zu thun, und drohte sie zu pfänden, denn das sei verboten. Das Mädchen spielte prächtig. Zuerst erschrak sie und bedeckte ihr Körbchen, dann lag sie auf den Knieen, der gestrenge Herr möchte sie nur diesmal noch gehen lassen. Der König befahl ihr barsch, die Erdbeeren und den Korb zurückzulassen. Da stürzten ihr die Thränen aus den Augen und sie bat um Gottes Willen, die möchte er ihr lassen für ihre arme Mutter, sie wollte es lieber dem gnädigen Herrn Förster abarbeiten, was sie Schaden gethan. Das befremdete ihn doch von solchen Leuten. Isst denn Deine Mutter so gerne Erdbeeren? Und er sprach von Abkaufen. Die Kleine wehrte schnell mit der Hand: Nichts verkaufen! Meine Mutter hat mir aufgetragen, die schönsten und reifsten Erdbeeren zu sammeln. Alles für den guten Herrn König. – Den König! rief der König, wie kommt der dazu? Für den König werden wohl Andere denken und sorgen, die ihm näher stehen. – Das ist's eben, was Mutter sagt, fiel das Mädchen ein, die denken und sorgen nicht so für ihn, wie er's verdient, und er ist so sehr gut und jetzt krank. Die frischen Walderdbeeren werden ihn wenigstens einen Augenblick erquicken, und jeder Augenblick, der dem guten König eine Erquickung schafft, sagt Mutter, das ist ein gesegneter vor dem Herrn.« »Oh weh!« zuckte der Minister auf. »Da hätte er etwas merken können.« »Nein, Excellenz, er merkte nichts. Er drückte die Thräne aus dem Auge: Lichtenau, ich werde doch geliebt! Die Lichtenau hatte ihm etwas den Rücken gedreht.« »Richtig, ich sehe sie noch stehen.« »Und wischte auch am Auge. Er streichelte sie sanft am Arm, und sagte in seiner Herzensgüte: Das Kind versteht es nicht. Es sind Viele um den König, die für ihn sorgen und ihn lieb haben. – Wie das Kind ihn da groß und unschuldig ansah: Der König hat Jeden lieb, sagt Mutter, und das wäre ein schlechter Mensch, der nicht sein Alles für ihn giebt. – Er musste schnell weiter gehen, er fühlte sich erleichtert: Ich habe mal eine Stimme aus dem Volke gehört! Die Lichtenau sagte plötzlich: Ich wünschte, Eure Majestät hörten einmal die Stimme Ihres ganzen Volkes. – Ach die ist wohl anders! – Nein, Sire, sagte die Gräfin, das Tuch vor ihren gerötheten Augen. Ueberall dieselbe Liebe und Verehrung; nur uns traut man nicht zu, daß wir sie theilen. Es ist vielleicht recht gut so. – Ach es war ein kapitales Weib!« »Es brachte ihr auch die Schenkung ein von dem Gute – wie heißt es doch gleich – über das noch der Prozeß ist. Aber die Malchen, jetzt entsinne ich mich ihrer ganz deutlich. Ein anstelliges Ding, leichtsinnig, aber wohl zu leiden. War sie nicht schon früher zu den Genien gebraucht worden, auch in den Kinderballets?« »Und später bei den Geistererscheinungen. Sie war viel bei Bischofswerder und Hermes. Vielleicht erinnern sich Excellenz auch, daß sie nachher einen Unteroffizier von Larisch' Musketieren heirathete. Im Anfang ging's ihnen gut, aber der Mann trank, es gab Unrichtigkeiten mit dem Montirungsgeschäft im Lagerhause, die Frau konnte es nicht mehr ausgleichen, sie ward doch auch älter, und eines Nachts waren sie über Hals und Kopf verschwunden. Sonst ein braver Mann, auch sehr zu brauchen, und soll jetzt holländischer Werbeoffizier sein oder schon drüben in Ostindien. Genug, sie hat ihn avanciren lassen, was uns nichts angeht, und ist seit einigen Monaten als Frau Obristin in Berlin. Ich versichere, Excellenz, sie ist ein wahrer Trüffelhund.« Der Minister griff tief in seine Spanioldose: »Wenn nur keine Klagen bei der Polizei eingehen! Sie wissen nicht, lieber St. Real, was uns diese Bagatellen oben zu schaffen machen.« »Man sucht ihr ein gewisses Lüstre zu erhalten.« »Der Name der neuen Schönheit?« St. Real sprach leise ins Ohr des Ministers. »Wie gesagt, durchaus keine beauté du diable, eine wie gemacht, um auf die Dauer zu fesseln, und eine Fraicheur, Excellenz, wie er es liebt.« »Und ein halbes Kind?« »Weil sie noch nicht erzogen ist. Aber mit einem Elan, einer Vivacité für alle neue Eindrücke.« »Languissant?« » Au contraire, eher un peu romantique, etwas Spirituelles, soit disant Schwärmerisches. Es kommt nur darauf an, ihrer Phantasie eine Richtung zu geben.« »Hoffen Sie eine Maintenon oder eine Pompadour zu erziehen?« »Warum nicht eine La Balliere!« »Tugendhafte Maitressen helfen uns nichts. Uebrigens wünsche ich, daß Ihnen keinen Querstrich kommt.« Der Kammerherr drückte mit einiger Heftigkeit seine Krücke: »Das ist es eben. Zwar thun wir Alles, die Dehors zu beobachten, auch ist es nur ein ganz kleiner, höchst anständiger Societätskreis, der sich da zur Erholung zusammenfindet. Ganz anders als bei der Schubitz; un petit circle von Gewählten. Aber sie ist noch immer die alte; gutmüthig, leichtsinnig, unbesonnen zum Rasendwerden. Ihre Zunge geht mit ihr durch und um einen witzigen Einfall setzt sie ihre Existenz aufs Spiel. Habe ich das Wunderkind erst in einige Kreise entrückt, mag sie der Teufel holen, aber sie ist meine einzige Brücke jetzt. Stellen sich Excellenz vor, da hat sie den frommen Pfaffen, den Seine Majestät jetzt nach Berlin zieht, irgendwo auf einer Reise kennen gelernt, ihn zu sich invitirt, und jetzt hat sie die Unverschämtheit, ihn und seine Töchter bei sich einzulogiren. Bei sich in ihrem Hause! Ich erfuhr es erst beim Herfahren. Wenn das ruchbar wird, das giebt einen Skandal und ich zittere vor den Folgen.« »So eilen Sie, St. Real, den Ruf des frommen Mannes zu retten.« »Er ist gerettet!« rief Bovillard aufstehend, »da hören Sie nur den Schluß: ›Demnächst kann ich nicht umhin, es gerade in diesem Augenblick als eine dringendste Pflicht Eurer Königlichen Majestät zu Füßen zu legen, den Rücksichten der Humanität und Gnade, denen Ihr Herz so gern sich erschließt, auch diesmal nachzugeben. Ja ich muß darauf dringen, in spezieller Rücksicht auf die Männer und erprobten Staatsdiener, denen Eure Majestät Höchstihr Vertrauen besonders zuzuwenden geruht. Weil der unglückliche Mann, der vielleicht in einem Augenblick aus zu großer Güte des Herzens gegen den Buchstaben des Gesetzes gefehlt – was aber noch keineswegs ermittelt ist – mit einem oder einigen jener gedachten Männer in einer gewissen Relation gestanden, ist es eine willkommene Gelegenheit für deren Feinde und Neider, Verdächtigungsgründe auch gegen sie, diese Männer, zu schöpfen, die freilich über den Verdacht hinaus sind, weil ihr Charakter und ihr Verdienst von Eurer Majestät gewürdigt sind, die aber eben um ihrer Pflichttreue und dieser besondern Verdienste willen auch vor dem Publikum gerechtfertigt zu erscheinen Anspruch haben. Eure Majestät können ihnen keine willkommere Rechtfertigung gewähren, als indem Sie über die Anschuldigungen des Hasses und des Neides mit stummer Verachtung wegsehend, Ihre Gnade walten lassen.‹« »Bravo, bravo!« riefen die Zuhörer. »O es kommt noch besser, dieser Schluß muß sein Herz erweichen: ›Was ist ein Staat ohne Moralität seiner Bürger, was eine Monarchie, wo der Unterthan und der Beamte nicht in Unbescholtenheit und sittlicher Würde wenigstens nachzueifern strebt dem erhabenen Exempel, das sein Oberhaupt dem Lande und dem Volke täglich giebt!‹« »Bravissimo! Er ist gerettet!« Noch einmal wurden die Gläser gefüllt und erklangen auf den edlen Menschenfreund, der über die Kabale gesiegt. Das Konzept wanderte in die Kanzlei, wo man ein Citissime mit mehr Respekt behandelte und die Reinschrift kam, wie wir aus dem Erfolg annehmen, noch zur rechten Zeit an Ort und Stelle. Der Kammerherr woll te abfahren, der Minister aber L'hombre spielen. Der Kammerherr hatte Bedenken wegen des Predigers, alle Drei aber bedachten, daß man nach der Arbeit ausruhen muß. Erst in der Nacht wurden die Karten weggelegt. Der Minister und sein Geheimrath warfen sich in Surtouts um die Kühlung der Abendluft in den Straßen zu genießen. 18. Kapitel. Der rothe Shawl Achtzehntes Kapitel. Der rothe Shawl. Karoline kam aus der Seitenkammer und drückte die Thür leise zu: »Er ist eingeschlafen.« »Wenn er nur nicht aufwacht bis ma chère tante in die Komödie fährt.« sagte Jülli, die durchs Schlüsselloch sah. »Er verdiente es schon,« meinte Karoline. »Ich liebe es gar nicht, wenn die Herren betrunken vom Frühstück kommen und glauben, sie thun uns noch eine Ehre an, wenn sie in ein anständig Haus poltern. Schmeißt sich da mir nichts dir nichts aufs Sopha, gähnt, und ehe man sich's versieht, ist er eingeschlafen. Da soll man sich wohl aus der Konversation bilden! Ma chère tante hat gut reden.« »Die vornehmen jungen Herren thun's Alle so,« warf Jülli ein. »Und er hat nie kein Geld, sagt ma chère tante, « fuhr die Andere fort, »und wenn sie nur gewusst, wie er mit seinem Vater steht, der ein sehr anständiger und vornehmer Herr ist, hätte sie ihn auch gar nicht ins Haus gelassen. Aber nun sie's weiß, soll er sich nicht mausig machen, und sie wird ihm mal den Stuhl vor die Thür setzen, daß er sich verwundern soll, hat sie gesagt. Und vollends jetzt, wo die Predigers oben sind. Still, sie kommt runter.« Jülli drückte ihr Gesicht an eine Scheibe, Karoline hatte sich ans andere Fenster gesetzt und eine weibliche Arbeit schnell ergriffen. Die Tante schalt. Junge Frauenzimmer müssten nicht immer am Fenster sitzen. Das gäbe übel Gerede; die Stadt sei gottlos genug, daß sie immer an Schlimmes denkt. »Was hast Du Dir wieder die Nase platt gedrückt an der Scheibe?« fuhr sie Jülli an. »Siehst Du, davon kommt die Thräne ins Auge, und das habe ich Dir gesagt, wenn eine erst anfängt, sich die Augen roth zu weinen dann ist's mit uns aus. Siehst Du etwa die Karoline weinen? Die lacht den ganzen Tag. Alles was recht ist. In der Kirche, vor unserm Herrgott soll man weinen, und das Gesicht lang ziehen, wenn der Prediger gerührt spricht, und Niemand kann mir nicht sagen, daß ich Euch nicht in die Kirche führe, und Keiner, daß Ihr nicht fein und anständig gekleidet seid, daß Ihr Euch mit Ehren sehen lassen könnt, aber zu Hause sollt Ihr nicht sein wie in der Kirche. Die hat der liebe Herrgott bauen lassen, daß man da traurig sein soll, aber die Welt daneben, daß man lustig sein soll. Und die Herrschaften, die zu uns kommen, die wollen's auch, sonst würden sie in die Kirche gehen und nicht zu uns.« Karoline unterbrach die Rede, indem sie hell auf lachte. Wenn sie damit der eben ausgesprochenen Weisung nachkam, sündigte sie doch sogleich dagegen, indem sie das Fenster aufriß. Der Lärm und das Gelächter draußen rief indeß auch die Tante heran. An der Ecke war ein Fischmarkt, und es war nichts Ungewöhnliches, daß der altberühmte Witz der Fischweiber gegen Käufer und Neugierige eine Art Auflauf veranlasste. Diesmal war eine bestimmte Person der Gegenstand der Lustigkeit. Der ältliche Herr hatte mit den sämmtlichen Verkäuferinnen ein Geschäft angeknüpft, und nachdem er sich aus jedem Fischkasten die fettesten Karpfen und Aale zeigen lassen, alle befühlt und mit allen ihren Besitzerinnen wegen des Preises unterhandelt. Wenn das schon nicht ohne beißende Bemerkungen von beiden Seiten abgegangen war, so steigerte sich das Gezänk in das, was man in Berlin ein »Aufgebot« nennt, als der Käufer sich endlich, wie sich von selbst verstand, für die Waare nur einer Verkäuferin entschied. Die übrigen erhoben sich und überschütteten mit einer Fluth nicht schmeichelhafter Namen den Käufer, der seinerseits einen nicht gewöhnlichen Muth zeigte, denn er harrte nicht allein aus, sondern haranguirte seine Feinde durch Gegenreden. Seine graziösen Gestikulationen bewiesen, daß er der Höflichere war, und man konnte bemerken, daß in das laute Gelächter der Menge auch seine aufgebrachtesten Feindinnen einstimmten. Ein schärferer Beobachter hätte indeß darin keine Feindseligkeit, sondern nur ein Schauspiel entdeckt, das sich gewiß schon oft ereignet und zur gegenseitigen Herzenserheiterung noch oft wiederholen sollte. Diesmal mussten jedoch einige der Fischweiber in ihre Klagen und Repliken noch andere Anzüglichkeiten eingemischt haben, welche die Köchin des ältlichen Herrn veranlassten, durch deutliches Zupfen am Aermel ihn zu einem frühzeitigeren Rückzug zu veranlassen, als ihm lieb schien. Eines der Weiber, ob nun im Scherz oder Ernst, hatte ihm ein altes Fischnetz nachgeworfen mit der Bemerkung: das wolle sie ihm schenken, damit ihm seine Fische nicht durchgingen wie seine Gefangenen! Das Netz hatte unglücklicherweise seinen Kopf getroffen und die Perrücke heruntergerissen. Während die Köchin sich danach bückte, waren ihr die Fische aus dem Korb geglitten. Das Wiedereinfangen der Aale verursachte allgemeine Lustigkeit und neuen Aufruhr, worüber man zuerst nicht bemerkte, daß sie ihm in der Hast die Perrücke verkehrt aufgestülpt hatte, was denn das Gelächter unwiderstehlich machte, und weder der Rückzug, noch die Adjustirung der Perrücke halfen vor dem Troß begleitender Gassenjungen und dem Gelächter der Neugierigen, welche der Lärm an die Fenster zog. »Ach, der Herr Geheimrath Lupinus!« hatte die Tante ausgerufen. »Das ist ein spaßiger Mann! Wie niederträchtig er ist, auch gegen die gemeinsten Leute! Sieh mal, selbst dem Apfelweib wirft er 'ne Kußhand zu, und so gravitätisch, wie zum Menuet! Seht, Kinder, daran könnt Ihr Euch ein Exempel nehmen; so wird mancher rechtschaffene Mensch auf Erden verleumdet von bösen Feinden, aber 's giebt einen Gott im Himmel und einen König auf Erden, und wer ehrlich sein Brot erwirbt und ein gefühlvolles Herz hat für seine Nebenmenschen, der geht nicht zu Schanden.« Aber als die vorwitzige Karoline zum Fenster sich hinausbiegen und dem Herrn Geheimrath zurufen wollte: »Warum tragen Sie nicht die Fische selbst?« drückte die Hand der Tante eine sehr vernehmliche Erinnerung auf ihre Backe: »Untersteh' Dich!« Das Fenster flog zu. Die Scene hatte sich verändert. Karoline weinte. Nur war sie keine so unterwürfige Zuhörerin. »Und 's ist wahr, er hat immer die Fische vom Markt getragen, mit einem Kapaun unterm Arm hab' ich ihn selbst gesehen, und darum bin ich kein schlechtes Mädchen nicht. Und das ist Wahrheit.« Die Obristin mäßigte sich. »Der Herr Geheimrath sei eine obrigkeitliche Person, und mit genialischen Herren müsse man's anders nehmen. Und wenn er keine Respektsperson wäre, und nicht so viele vornehme Freunde und Verwandte hätte, dann säße er jetzt Gott weiß wo. Und das einzige, was man ihm nachsagen könnte, sei seine Köchin. Gegen die Charlotte wäre schon sonst nichts zu sagen, denn sie wäre ein braves Mädchen, aber für einen vornehmen Herrn schicke sich das nicht, so was im Hause zu haben. Außer dem Hause geht das Niemand was an, hatte ihr ein sehr tugendhafter und angesehener Herr gesagt. Daß er die Charlotte auf den Markt mitnehme, wolle sie nicht gerade gut heißen, aber der Mensch, der es Jedermann recht thäte, müsste erst erfunden werden.« Die gute Tante hatte, je mehr sie ins Reden kam, desto mehr auszusetzen. Ja, die Predigerstöchter oben wären neugierig, wie ein neugeboren Kalb, und wenn nur ein Wagen vorbeifährt, rutschten die Köpfe zum Fenster raus. Das habe sie sich nun einmal aufgebunden, weil sie ein so gutmüthig Herz habe. Aber ihre Nichten sollten doch bedenken, daß sie nicht aus dem Kuhstall wären, und auf sich was halten. »Wie ich so alt war als Ihr, da hielt man mich für 'ne Gräfin, und ich hätte mal den Kopf umdrehen sollen auf der Straße, wie Ihr thut. Und an guten Exempeln fehlt es Euch doch nicht; in mein Haus kommen nur die feinsten Leute. Und wie sprecht Ihr mit dem Herrn Kammerherrn, der so gütig ist; ich werde manchmal purpurroth, wenn ich denke, daß er's am Hofe wieder erzählt. Merkt Ihr, dumme Liesen, denn nicht, wie er ganz anders mit der Mamsell Kriegsräthin sich unterhält, wenn die hier ist? Die weiß ihm zu antworten, daß er oft nicht weiß, was er sagen soll, so frappirt's ihn. Und das sage ich Euch, wenn sie heut zur Chokolade kommt, daß Ihr Euch nicht wieder das Maul verbrennt, Du vor allem, Karline. So ein Trampelthier merkt auch gar nicht, wie ich ihr neulich auf den Fuß trat. Denn sie ist zu ganz was anderm, weil sie ein feines sittsames Mädchen ist, und 's noch weit mehr werden wird, und Ihr könntet mal froh sein, wenn Ihr ihr die Schuhbänder zumachen dürft. Aber Mädchen, was hast Du Dir wieder die Schuhe schief getreten! Bei dem Dinge hilft doch auch keine Vernunft. Und wie breit der Fuß wird, das kommt davon, wie Du beim Tanzen ranzest. Die Jülli hat noch ein ganz schmales Füßchen; aber die hält auch auf Anstand. Und das neue Kleid, zu Weihnachten erst hast Du's gekriegt, und wie sieht's schon wieder aus, daß Gott erbarm!« » Ma chère tante, wann krieg' ich das bombasin Kleid?« »Ei was, lass' Dir's von den Herren schenken.« »Die Herren sind nicht so generös.« »Wenn sie Dich so mit den Beinen schlenkern sehen unter dem Stuhl, und so rekeln mit dem Ellenbogen über die Lehne, da sollen sie sich wohl Wunder was vorstellen, was Ihr seid. Zu meiner Zeit, sag' ich, kerzengrad saßen sie auf dem Stuhl, und so schlugen sie die Augen nieder, wenn ein Herr zu ihnen sprach, aber da verstanden sie auch zu bitten, und da waren die Herren auch generös.« »Man soll die Herren nicht rupfen. Das haben ma chère tante immer gesagt. Na nu, ist's nu nicht wahr?« »Sie unverschämtes Geschöpf! Was das für Reden sind in meinen Apartements! Wenn's Ihr nicht mehr gefällt, werd' ich Ihr 'nen Stuhl vor die Thür setzen. Dann mag Sie sehen, wo's Ihr besser gefällt. Denn überhaupt soll's anders werden bei mir. Ja, ja, meine Damen, das merken Sie sich, ich will keine Pension, wo das pöbelhafte Wesen nicht rausgeht. Ein Wort kostet mich's, und Sie wird nach Spandow zurückgeschafft, Mamsell Karline, da, wo ich Sie herholte, auf den Kietz. Wird's Ihr besser gefallen, barfuß im Kahn und Plötzen schuppen, oder Winters beim Kienspahn Netze flicken? Ihre Finger sahen ja aus, mit Respekt zu sagen, wie Pfoten, roth und geborsten, und hab' ich das für meine Mühe, daß ich sie mit Mandelöl und Kleie weich kriegte und in Handschuhen schlafen ließ! Sag' ich doch, wer Dank säet, der wird Undank ernten.« Es klingelte, der Chokoladengast stand im Zimmer. Ein Livreebedienter, der die verfeinerte Haushaltung der Frau Obristin seit einigen Tagen repräsentirte, hatte Adelheid abgeholt. »Nein, sage ich doch, nicht wie ein Fräulein, wie eine Prinzessin. Und mit jedem Tag, möcht' ich sagen, gewachsen!« »Das kommt nur vom langen Kleide,« lächelte Adelheid, und war mit raschem, sicherm Schritt, nach einer flüchtigen Begrüßung der Tante, zu den Nichten geeilt, die sie mit der natürlichsten und zuvorkommendsten Herzlichkeit küsste. Sie schalt und bedauerte, daß sie gar nicht zu ihr kämen; die Nichten waren verlegen. War's der scharfe Blick der Tante, war's die überwiegende Erscheinung des in der Fülle ihrer Schönheit strahlenden Mädchens. Aber der Strahl aus dem klaren Auge goß in die getrübten der unglücklichen Geschöpfe von seinem Licht. Sie fühlten sich in einer andern Atmosphäre, die etwas von ihrem heilenden Balsam auch auf sie träufelte. Die Obristin hielt es für gut, allein das Wort zu führen. Ihre Lippen flossen über vom Lobe der braven Eltern, die wohl mehr zu thun hätten, als solchen Besuch zu empfangen. Sie wisse wohl, was der Herr Kriegsrath und die Frau Kriegsräthin für die Erziehung ihrer Tochter thäten, und da wäre es ja ausverschämt, sich aufdrängen wollen. Aber um so mehr schätze sie es und rechne die Ehre sich an, daß sie ihrem Lieblingskinde erlaubt, sich ein Stündchen in ihrem schlichten Hause zu gefallen. Sie wäre nun eigentlich in rechter Verlegenheit, worüber mit einer solchen feinen Dame sprechen, die so viel schon wisse, und noch viel mehr von solchen Lehrern lernen würde. Adelheid war ihrerseits aber gar nicht mehr in Verlegenheit. Sie, was man nennt »kappte« die Obristin durch kurze natürliche Antworten, und schon vor der Chokolade war das Gespräch im lebendigsten Gange, denn es betraf das neue, feine Kleid, das der Vater ihr geschenkt und die größte Aufmerksamkeit der Nichten erregte. Das Zeug, der Laden, wo es gekauft, der Kaufmann, seine Waren, Preise, es ward alles ausführlich behandelt, die Krone der Verwunderung aber blieb, daß Adelheid und ihre Mutter es selbst zugeschnitten und genäht, »und sitzt wie angegossen,« rief die Tante, »nu seht, wenn Ihr das könntet! Und Mamsell Kriegsräthin thut's nur zum Plaisir. Denn ihr Herr Vater würde ihr ja gern den ersten Schneider ins Haus schicken, und später werden ihr ganz andere Leute Kleider machen lassen. Ja, ja!« Das Lächeln der Obristin gefiel Adelheid nicht, auch mißfiel ihr, daß die Tante immer, um sie herauszustreichen, ihre Nichten demüthigte. Ohne sie zu beachten, erbot sie sich deshalb gegen Jülli, wenn sie ein neues Kleid bedürfe, es ihr zuzuschneiden, auch, wenn sie es wünsche, ihr Unterricht im Schneidern zu geben, so gut sie es eben könne. Die Tante war von dem Anerbieten sehr gerührt, bei der Jülli könnte es vielleicht noch anschlagen, aber die Karline wäre gar zu faul: »Wer den Unterricht zu schätzen weiß, und was lernt, aus dem kann alles werden, und oft habe ich ihnen das gesagt. Nun sehen sie es mal mit Augen vor sich. Ja, mein liebes Engelchen, – verzeihen Sie schon, Fräulein Adelheid, daß ich so zu Ihnen rede, aber ich kann gar nicht anders, wenn ich Ihnen ins liebe Gesicht sehe, – ja, das muß ich Ihnen auch sagen, seit ich die Ehre habe, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben, da ist mit Ihnen auch schon eine Veränderung vorgegangen. Ach, Sie haben einen vortrefflichen Lehrer.« Adelheids Gesicht leuchtete auf: »Kennen Sie ihn?« »Habe nicht die Ehre, aber ich wollte wetten, er heißt Cupido.« »Nein, er heißt van Asten. Und seine Stunden sind gar nicht wie Stunden. Es plaudert sich so fort, und sind immer zu End', ehe wir es versehen. Ich schäme mich zuweilen, wenn er fort ist, daß ich so wenig aufgeschrieben habe, aber wenn ich mich hinsetze, um es niederzuschreiben dann muß ich oft einen ganzen Tag schreiben und noch mehr. Ich thue es nun gar nicht mehr, denn ich behalte doch alles auswendig.« »Ist's die Möglichkeit!« »Manchmal ist's mir wie einem Vogel zu Muthe, als schwebte ich hoch in die Luft, unter mir sähe ich Berge und Städte und Flüsse. So weiß er das alles klar zu machen, wenn er erzählt. Da ist mir oft, als müßte ich das Umschlagetuch zusammenziehen, wenn er die kalten Länder beschreibt, wo ewiger Schnee liegt und Eis. Und wenn er die heißen schildert, da wird's mir so heiß, so heiß – ach, ich rede gewiß recht dummes Zeug, es ist nur gut, daß es Herr van Asten nicht hört.« »Ach, liebe Seele, Engelchen, das versteh' ich. Wer das einmal gekostet hat, wie's draußen schön ist in der Welt, der möchte immerfort fliegen. Na nu versteht sich, fliegen kann keiner von uns, denn wir haben keine Flügel. Aber zwei Füchse vorgespannt vor den Wagen, oder noch besser viere, Extrapost, und nun, Schwager, ins Horn gestoßen und geknallt, über Berg und Thal, und Sonnenschein und überall geputzte und frohe Menschen. Das ist ein Leben, mein Engelchen. Berlin ist eine hübsche Stadt; aber, ach Gott, was giebt's noch für andere! Das zu sehen und sich erklären zu lassen! Und Herr van Asten müsste neben Ihnen im Wagen sitzen! Na, das wäre doch ein Leben wie alle Tage Sonntag. Ihnen gönne ich's. 'S kommt auch mal so. Was man sich wünscht, das kommt.« Adelheid schwieg betroffen. Hatte sie sich denn das gewünscht? »Nein, liebe Frau Obristin, daran habe ich gar nicht gedacht. Neulich, da schämte ich mich fast, daß ich noch nicht in Potsdam gewesen, und daß Sie aus Leipzig kamen, aber jetzt – jetzt ist mir gar nicht, als wenn das nöthig wäre. Wenn Herr van Asten mir von den fremden Ländern erzählt, so brauche ich gar nicht zu reisen.« »Ist das ein himmlisches Gemüth! – Und wie sie die Chokolade nippt, seht Euch mal das an. Wo sitzt auf ihren Lippen nur ein Tröpfchen, und wie Ihr immer schlürft. Die Schaale fasst sie doch an, als hätte sie's bei Hofe gelernt. – Nu müssen Sie auch mal in die Untertasse sehen, das ist ein Spiegel, da sieht Adelheidchen sich selbst.« Adelheid ließ die Porzellantasse beinahe fallen. »Die Venus! das ist ja die Venus!« kreischten die Mädchen. Die Tante wollte über die Atrappe sich ausschütten vor Lachen, aber als sie Adelheids Verlegenheit bemerkte, nahm sie rasch die Untertasse in die Hand, und meinte, da müsste sie sich vergriffen haben, denn sie habe noch eine Tasse, wo die Venus ein Umschlagetuch hat. Adelheid hatte wohl von der Venus gehört, aber in der Mythologie und Geschichte sollte der Unterricht später anfangen, weil Herr van Asten sie zuvor die Erde und ihre Bewohner, wie sie ist und sind, habe kennen lernen wollen, ehe er zu den Menschen überginge, die vormals gelebt, und was sie geglaubt und sich vorgestellt. Dagegen entwickelte die Frau Obristin in dieser Wissenschaft einige Kenntniß und schien sie mit Vergnügen auszukramen. Sie wusste namentlich viel von Najaden und Dryaden, von den Metamorphosen, und sogar von Ovid, der ein charmanter Dichter gewesen, daß Adelheid über ihre Gelehrsamkeit erstaunte. Sie hatte auch in ihrer Jugend bei Hofe den kleinen Schauspielen zugesehen, wie man die Götter und Göttinnen anzog, und den Engeln Flügel anband. »Da könnte ich wohl manches von erzählen, was Herr van Asten nicht wissen wird, denn er war nicht dabei. Liebes Kind, Sie müssen nur denken, die Leute waren damals spaßiger als jetzt, das wird auch Herr van Asten wissen, und Böses war nichts bei. Denn die wurden blos so Heidengötter genannt, wir kannten uns ja Alle, als gute Christen, und alles Tricots, pfui, wenn Einer denken könnte, daß es was anders war. Der Herr Kammerherr könnte Ihnen davon erzählen – ich weiß auch gar nicht, wo er bleibt; er wollte noch mit einem vornehmen Herrn vom Hofe zur Chokolade bei mir ansprechen – nein, sag' ich Ihnen, der weiß die ganze Mythologie auswendig. Venus, das war die Mutter vom Cupido oder Amor, und ihr Vater war Jupiter und sie war aus Meeresschaum geboren, und die Kinder vom Amor waren Amoretten. Wenn der Herr Kammerherr die Amoretten anzog, das war zum Todtlachen; Kinderchens, nicht größer als so, mit Papierflügeln, einem Gürtel um den Leib, und Alle an einem langen Strick gebunden, der so hing, und wenn sie artig blieben, und nicht zappelten, kriegte Jede nachher einen Honigkuchen. Ich selbst war mal ein Cupido, na, Engelchen, das war eine Geschichte, wenn ich daran denke! Sehn Sie, so stand ich mit einem silbernen Pfeil und sollte ihn Jemand ins Herz stoßen, versteht sich nur von Pappe und Schaumsilber; aber wenn ich Ihnen den Jemand nennte, da würden sie Augen und Ohren aufsperren! Es war ein sehr reicher und vornehmer Herr, und wurde nachher noch vornehmer und reicher. Ach, und ein Herz und ein Gemüth, so gut wie ein Kind. Da gab ein Jeder gern sein Liebstes hin, wenn dem guten Herrn eine Freude damit geschah. Und wie generös! Da wurden die Goldstücke nicht gezählt; nur so in der Hand gewogen. Und einmal, es war nämlich in einer kleinen, engen Gasse, da neben der Spandauerstraße, zwei Stock hoch, in einem finstern Hause, Treppen so grade rauf, wie 'ne Leiter, und stockduster, daß man sich Hals und Bein bricht, da kommt der Herr eines Abends rauf. Gott bewahre, er wird nicht allein ausgehen, Einer in Livree vorauf, und zwei Herren begleiten ihn, Alle in großen Mänteln. Nämlich er hatte in Dresden ein Bild gesehen, von einem gewissen Titus oder Tilian, darauf kommt's nicht an. Es stellte eine Venus vor, die auf einem Kanapee ruht, und es hatte ihm so gefallen, daß er gar nicht die Augen wegkriegen konnte. Da hatte Jemand zu ihm gesagt: ›Gnädiger Herr, ich weiß in Berlin ein Original dazu; das hier ist ihm wie aus den Augen geschnitten.‹ Wie der vornehme Herr dazu den Kopf schüttelte und meinte, das halte er für ganz unmöglich, denn so was gebe es gar nicht lebendig, sagte der Andre: ›Wenn gnädigster Herr sich dafür interessiren, so käme es ja nur auf die Probe an. Ich weiß, der Mann, dem es gehört, würde es sich zur größten Ehre schätzen.‹ Sehen Sie, so war der Hergang.« Adelheid wollte nach Hut und Handschuh greifen. Warum wusste sie nicht, aber sie war unruhig geworden. Die Obristin fasste sie am Ann: »Engelchen, liebes, Sie ängstigen sich doch nicht? Das war nur, was sie lebende Bilder nennen, lassen Sie sich's nur von Herrn van Asten erklären, und der hat sie auch gar nicht gesehen, Gott bewahre, der Vorhang ist gar nicht aufgegangen von wegen der silbernen Leuchter, denn darin hatte er's versehen. Die Stube sah Ihnen doch wie ein Paradies aus. Da hatte er Blumen und Bäume von Winkel-Bouchés bringen lassen, und Wachslichter hinter die Büsche, und oben hatte er sich vom Theater eine Lampe geborgt, ganz blaß, die sah wie Modenschein aus, und hinten war die rothe Gardine zum Zurückschlagen, und davor zwei große Bäume, das waren aber Tannen aus dem Thiergarten, und da huckten oben zwei Amoretten, sie waren angebunden, aber nicht ganz fest. Und Räucherpulver war auf ein Kohlenbecken gestreut, das war so verdeckt, daß es wie ein Altar aussah, und die kleine Stube roch Ihnen süß und schön. Ich musste nun dahinter kauern, und wenn er einträte, sollte ich vorspringen, und ihm den Pfeil auf die Brust halten, und die Worte sprechen: O edler Menschenfreund, Dein tugendhaftes Herz, Wenn dieser Pfeil es trifft, so sei es nicht zum Schmerz, Wenn dies ihr Tempel war, ist er von jetzt ab Dein, Und sei Du Phöbus nun in diesem Mondenschein. Nu können Sie sich vorstellen, Engelchen, wie mein Herz schlug, als ich ihn die Treppe raufkommen hörte; Herr Jesus, ich glaubte doch, mir würde es in der Kehle stecken bleiben. Und der Mann von der Frau, der stand auch so und japste an der Thür; er war auch baumgroß mit einem Tressenrock, und weißseidenen Strümpfen. – Und die weißen Handschuhe zitterten nur so, wie er die Armleuchter hielt. Und wie der Herr draußen die letzte Treppe raufsteigt, – wir hörten ihn husten, – er nun, mit dem Fuß die Thür zurückgeschmissen, und raus, da sinkt er beinah in die Kniee und leuchtet runter: ›Mein gnädigster Herr, das ist zu viel Sonnenschein in mein armes Haus!‹ Der Herr nun, der nicht weiß wie ihm ist, hält den Arm vor's Gesicht, und stolpert just, wie er ruft: ›Verfluchter Kerl!‹ Das hab ich selbst gehört; das andre hab' ich nicht gesehen, das haben sie mir gesagt. Nämlich darüber hat er die Balance verloren, und drei Stufen rutschte er, und hätte ihn der Andre nicht gehalten, wäre er gefallen. Da schrie es: ›Lichter aus!‹ Aber da hatten sie schon auf den dritten gestoßen, der helfen kam, und der kriegte den Schuß. Das hörte ich poltern. Und da riefen sie von unten: ›Licht! Licht!‹ Aber dann schrien sie wieder: ›Nein, kein Licht!‹ Der Bediente aber, der oben gehuckt, war nun wie ein Satan zugesprungen, dem Mann hatte er die Kerzen ausgeblasen und stieß ihn, daß er in die Stube zurückfiel. Aber nun stellen Sie sich vor. Ich, wie ich meine, daß er reintreten muß, war mit dem Pfeil aufgesprungen und stoße ein Bischen ans Kohlenbecken; derweil aber ist sie schon rausgesprungen, und eh' ich mich's versehe, krieg' ich's um die Ohren: Du – die Schimpfworte will ich gar nicht sagen – das ist ja zu früh! Darüber purzelt der Altar um, und die Kohlen kullern. Nu wär' noch alles gegangen, aber die kleinen Engelchen, nämlich die Amoretten, sind angestoßen von ihr, wie sie rausspringt, nämlich die großen Tannenbäume, und wo sie hinschlug, wuchs kein Gras. Diese Engelchen waren nun runter gerutscht vom Ast, aber weil sie angebunden sind, konnten sie doch nicht runter, also zappelten sie Ihnen und schrieen Ihnen gottserbärmlich.« »Ach Gott, die armen Kinder!« rief Adelheid. »Und im ganzen Hause schrieen sie, und das war ein Thürenklappen: Herr Gott, was ist denn los? – Da schreit's mit einem Mal Feuer, und der Nachtwächter tutet, und es war auch Feuer, denn die Kohlen waren an die Gardine gekommen, und die brannte hell auf. Na, der Mann, das muß man ihm lassen, schnell wie der Wind, runter die Gardine, ausgetreten, aber auf der Straße hatten sie den Schein gesehen, und nun tutete es durch die Stadt noch eine Stunde.« »Aber die armen Kinder! Was ward aus denen?« »I, die haben sie runter geschnitten und links, rechts ein Bischen, dann nach Haus. Ich kriegte auch 'nen Katzenkopf; da musste man schon nicht drauf sehn. Aber der Mann und die Frau, nein, ich sage doch, wenn gemeine Leute ohne Bildung in Rage sind! Einer auf den Anderen los, daß er's verdorben hätte. Mit dem silbernen Leuchter schlug er ihr ins Gesicht; sie hatte ihm aber vor den Bauch getreten, das muß man auch wissen. Todt geschlagen hätten sie sich und Gott weiß was, wenn nicht die Polizei kam; die riß sie auseinander.« »Die Polizei!« Es überrieselte Adelheid, sie war schon aufgestanden. Sie hatte die Polizei nur auf dem Markte gesehen, oder wenn sie einen Dieb einbrachte, aber sie wusste doch, daß es etwas Schlimmeres war, wo die Polizei kam. »Gott sei Dank, die kam aber erst, als der Herr fort war. Das war noch ein Glück. Aber der Bediente und der Andere konnten kaum den Einen fortschleppen, so war er auf die Hüfte gefallen. Hatte sich was gebrochen. Und der Herr trägt's heute noch –« Sie verstummte plötzlich. Im Eifer der Erzählungslust hatte sie nicht bemerkt, daß der Kammerherr von St. Real im Zimmer stand. Er verbeugte sich ehrerbietig vor Adelheid: »Verzeihen Sie, mein Fräulein, wenn ich auf einige Augenblicke die Frau Obristin Ihrer Unterhaltung entziehe. Nur einige dringende Worte –« Adelheid erklärte, sie wolle nicht stören, sie müsse nach Hause. Warum sie das musste, wusste sie selbst nicht, aber sie musste, das war ihr klar. Den eigentlichen Zusammenhang der Geschichte hatte sie nicht gefasst; ihre Aufmerksamkeit war bei den armen Kindern haften geblieben, die mit Stricken am Baume hingen. Sie dachte an die unglücklichen Geschöpfe, welche die Seiltänzer ihren Eltern stehlen und die auf immer verloren gehen. Wie herzergreifend hatte die Frau Obristin im Dorfe erzählt. Es war der Gedanke des Verlorengehens, die Vorstellung, daß ja ein ganz unschuldiger Mensch zufällig in dem Hause hätte sein können. Mein Gott, wenn auch sie Jemand dahin geführt hätte, um das Bild zu sehn, und dann der Feuerlärm, die Polizei! Es drückte sie centnerschwer. Die Bilder an der Wand schielten sie so seltsam an, so herausfordernd, fast alles mythologische Darstellungen; sie hatte sie früher nicht genau betrachtet, jetzt schlug sie die Augen nieder. Wenn sie nur erst hinaus wäre, wollte sie die Mutter bitten, sie nie wieder in das Haus zu lassen. »Ich kam in der Absicht,« sagte der Kammerherr, »das Fräulein um die Ehre zu ersuchen, Sie in meinem Wagen zu Ihren Eltern zurückfahren zu dürfen. Vorhin begegnete ich Ihrem Herrn Vater, dem Kriegsrath, und er erlaubte mir, diese Bitte an Sie zu richten. Wenn ich Ihre Zustimmung habe, vergönnen Sie mir nur einige Momente mit Ihrer würdigen Wirthin.« Das Zwiegespräch in der Fensternische ward sehr leise geführt. Mit der süßesten Miene flötete St. Real der Frau ins Ohr: »Sie unverantwortliches Plappermaul! Jetzt, auf der Stelle, wiederhole ich Ihr, schaff' Sie die Predigerfamilie fort!« Wie zutraulich drückte er dabei ihre Hand, und wie war sie erfreut über dies Zeichen von Vertrauen, und bat ihn, ihr ja diese gütige Gesinnung zu bewahren. »Weiß Sie, was der König thut, wenn er's erfährt?« Dabei klopfte er ihr zutraulich auf die Schultern. – »Nur bis morgen, gnädigster Herr, ich kann sie ja doch nicht auf die Straße schmeißen.« – »Durch den Büttel lässt er Sie aus der Stadt peitschen, und Sie hat's verdient, Sie unverschämtes Mensch!« – »Zu gütig!« – »Ihre Zunge müsste man Ihr mit glühenden Zangen ausreißen, denn sie geht mit Ihr durch, weiß Sie, bis wohin – bis zum Galgen, und Sie hat ihn verdient.« – »Nein, mein Herr Kammerherr sind doch die Obligeance selbst, und nun wollen Sie uns auch die Mamsell Kriegsräthin entführen. Ganz nach Ihrem Kommando.« »Man hat sich kaum gefreut, so soll die Adelheid schon wieder fort,« sagte Karoline. »Jülli aber sagte, es sei wohl gut, es scheine ihr ein Gewitter aufzusteigen, daß sie das nicht noch überraschte. Sie sah dabei aber ängstlich nach der Thür zum Seitenzimmer. Der Kammerherr meinte, ein Gewitter wäre nicht im Anzuge, es sei dafür zu kühl, aber ein Sturm und Regen. Er fragte, ob Adelheid nur das dünne Umschlagetuch habe?« – »O, wir leihen ihr ein andres,« sagte Jülli. »Ach das rothseidne der chère tante! « rief Karoline. »Adelheid hat's ja noch nicht gesehen. Das ist ja wahr! – Wie prächtig wird sie darin aussehen. Und das hält warm! –« Der Kammerherr nickte der Obristin zu, sie möge das Fräulein nur recht warm und schön anziehen. Dann ging er hinaus, um nach dem Wagen zu rufen, sagte er. Es mochte aber auch sein, um nicht bei der Toilette zu stören, oder um sich nach dem Lärm zu erkundigen, den man auf der Straße hörte. Ein Reiterregiment ritt vorüber, aber es schien, als ob sie Halt machten, und man hörte Gelächter und Rufen. Die Obristin hatte das viel besprochene Tuch vom Malayenlande aus der Kommode geholt, als sie im Vorübergehen einen Blick aus dem Fenster warf: »Was das nun wieder ist! Sind doch die Herren Gensd'armen nur da, um Unfug mit ehrlichen Leuten anzufangen!« Sie breitete das Tuch aus, und es glänzte in so köstlichem duftendem Roth, daß Adelheid selbst ein unwillkürliches Ach! ausrief. Man hing es ihr um, man zog sie vor den Spiegel. Zuerst als wallender Talar. Die Obristin schien darin wirklich geschickt: »Du meine Güte, wie eine Opferpriesterin!« – »Wie eine Königin!« Der Lärm draußen wurde lauter; kein Aufruhr, aber ein wüstes Gelächter. Man rief Spottnamen hinauf; es schien, als ob von oben geantwortet würde. Darauf ein noch ausgelasseneres Gelächter, und einzelnes gellendes Pfeifen. Die Tante beschwor die Nichten, sich vom Fenster fern zu halten. Sie nahm das Tuch wieder ab, um es anders zu drapiren, als man Jemand die obere Treppe hastig herabkommen hörte, und die Thür aufklinkte. Die Obristin schien ein anderes Gesicht zu erwarten, als das etwas ängstliche, welches zur halb aufgestoßenen Thür hereinsah. Die Päffchen über der schwarzen Weste verriethen einen Geistlichen. Der geblümte Schlafrock und die lange Pfeife, welche die halbzugehaltene Thür verbergen sollte, und doch nicht verbarg, hätten sich auch zu jedem guten Bürger geschickt, dem häusliche Behaglichkeit über alles geht. »Haben Sie gehört, verehrteste Frau Obristin?« »Ach, mein allerbester Herr Prediger!« »Bitte tausend Mal um Vergebung, wenn ich derangire, insondern wegen meiner Toilette. Aber das ist ja nicht zum Aushalten!« »Ist Ihnen was arrivirt?« »Ich sehe ja nur zum Fenster hinaus, und meine Töchter neben mir, und rauche ganz in Frieden mein Pfeifchen, als Einer der Herren Offiziere mit dem Arm nach mir weist, ich weiß noch nicht, warum, und darauf strecken Alle die Hälse und heben mit einem Aha! ein schallendes Gelächter an. Sagen Sie mir, was man da zu thun hat. Ich habe zwar einige Worte an sie gerichtet, sehr freundlich und zurechtweisend, sie antworteten mir aber nur durch unarticulirte Laute, nachahmend den Gesang der Hühner durch ein Kikeriki! oder noch unbegreiflicher durch ein sogenanntes Kukuksgeschrei.« »Ist's die Möglichkeit!« rief die Obristin. »Ja, von einem der Herren Offiziere, bei denen man doch Bildung annehmen sollte, hörte ich den unanständigen Ausdruck: ›Pfaff' und Pfäffchen!‹ Und Einer rief: ›Gefällt's Dir im Kukukssneste?‹ Wird mir doch in der That bange, denn der Pöbel fängt auch schon an mit zu krähen und die Nachbarn reißen die Fenster auf. Soll ich nun zur Polizei schicken oder erlauben Sie mir, daß ich hier ans Fenster trete, wo sie mich besser hören können, und ihnen recht eindringlich ins Herz rede, wie ihr Betragen sich besser zu Sodom und Gomorrha schickt, als der Residenzstadt unseres Königs?« »– Sodom und Gomorrha! Da haben Sie recht, das ist das richtige Wort!« rief die Obristin, erfreut, an ein Wort sich klammern zu können, das sie für den Augenblick aus einer Verlegenheit riß, die, wie man an ihrem Zittern wahrnehmen konnte, schon peinlich geworden. Wie sie sich herausriß, war ihr gleichgültig. »Sodom und Gomorrha, Herr Prediger. O, Sie werden unsere Stadt noch anders kennen lernen. Aber um Gottes Willen nicht die Polizei! Nicht zehn rechtschaffene Menschen unter tausend. Aber nicht die Polizei. Wer sich die auf den Hals ladet, sehen Sie –« Sie hatte in ihrer Angst das Tuch hin- und hergewickelt, bis sie's Jülli zuwarf mit dem Befehl, es ordentlich zu legen, daß es das Fräulein umschlagen könne, und hatte damit schnell einen neuen Ausweg gefunden. – »Sehen Sie, Herr Prediger, das ist's, ein reines pures Mißverständnis. Sehen Sie, Herr Prediger, das Tuch hier, weil's so kokliko roth ist – hier giebt's nicht solche – müssen die Mädchen damit 'rum schmeißen, gegen's Fenster – das haben sie für 'nen Affront angesehen, die Herren Kavalleristen – warum, das weiß der liebe Himmel! Was sehn die nicht für 'nen Affront an, wenn ein ehrlicher Bürgersmann was thut – Sie wissen ja vom Lande, man darf kein roth Tuch aufhalten, dann fliegt das Federvieh – und rothe Federbüsche haben sie – alles, lieber Herr Prediger, nur nicht die Polizei! Und die Herren Offiziere sind, im Grunde genommen, seelensgute Menschen. Nur Jugend! Jugend muß man austoben lassen. Aber nur nicht die Polizei! Soll Ihnen auch Keiner ein Haar krümmen, lieber Herr Prediger, jetzt erlauben Sie, will Sie in ein Dachstübchen schaffen, hinten raus, und Ihre Mamsell Töchter, die lieben Mädchen, wie mögen sich die erschrocken haben, da soll Sie auch keine Seele finden. Denn das Soldatenvolk ist grausam boshaft oft gegen die Herren Geistlichen, ach, und die Herren Offiziere auch, aber unser herzensguter König wird sie schon besser machen. Und heut Abend kommen sehr vornehme Herren vom Hofe her; da wollen wir Alles arrangiren, ganz nach Ihrem Belieben! Nur nicht die Polizei!« Der Herr Prediger fand sich von der Frau Obristin hinauskomplimentirt, er wusste so wenig warum, als Adelheid den Zusammenhang verstand, und noch weniger, warum die beiden Nichten, die mit ihr allein geblieben, in ein Kichern ausbrachen. Sie fragte nach dem Grunde. Karoline wollte vor Lachen platzen und drehte sich auf dem Hacken. Jülli aber umarmte von hinten Adelheid und drückte einen Kuß auf ihre Schultern: »Ach 's ist besser für Dich, daß Du das nie erfährst.« – Adelheid schlang den Arm um ihren Nacken und sagte leise: »Das musst Du mir das nächste Mal sagen, wenn wir uns wiedersehen.« – Jülli drückte hastig einen Kuß auf die schönen Lippen: »Du darfst uns nie wiedersehen. Adieu auf immer!« Im selben Augenblick hatte Karoline das Tuch um Adelheids Nacken geschlungen. Sie musste eine besondere Geschicklichkeit darin besitzen. In antikem Faltenwurf fiel es von der einen Schulter, während die Kleine mit verstohlener Schnelligkeit ihr das Kleid von der andern herabzog: »Nun sieh Dich in den Spiegel! Das ist Venus, wie sie leibt und lebt, da auf dem Bilde!« Adelheid sah in den Spiegel und erröthete, als sie den kleinen Betrug entdeckt. Es war ein schöner Anblick, sie musste es sich selbst sagen. Sie hob eben die Hand, um ihren Anzug zu ordnen, als – sie noch etwas anderes im Spiegel sah. 19. Kapitel. Der Sturm bricht los Neunzehntes Kapitel. Der Sturm bricht los. Eine Thür ging auf, und ein junger Mann trat ein. Sein wild schönes Auge, trüb und wüst, wie eines Trunkenen, der eben aus dem Schlaf erwacht, die Haare verstört. Die Halsbinde hing ungeknotet über die Weste, den Rock hatte er nicht nöthig gefunden, anzuziehen. Er blieb auf der Schwelle stehen, und reckte die Arme, um den Schlaf zu vertreiben. Dies Bild sah Adelheid im Spiegel. Sie blieb athemlos stehen. Jetzt sah er sie; nur ihre Gestalt in der Wirklichkeit, ihr Gesicht im Glase. Sein Auge belebte sich, es schoß auch im Spiegel einen Blitz, vor dem sie erschrak. »Was habt Ihr denn da für eine neue Tugend!« Rasch mit drei festen Schritten war er vorgetreten, und ehe Adelheid ausweichen konnte, hatte er sie umfasst und wollte sie zu sich umdrehen: »Tugend, ich will Dir ins Gesicht sehen!« »Louis, Du wirst –! Um Gottes Willen, Louis! sie ist nicht von hier!« hatte Jülli geschrieen, und riß vergebens an seinem Arm. »Eure Larven kenn' ich.« Im selben Augenblick war die andere Thür aufgeflogen, die Obristin hereingestürzt. Ihre sonst so gutmüthigen Augen funkelten: »Der wieder da! O, das musste noch kommen! Für einen verlorenen Sohn ist Die zu gut! Reißt sie dem Trunkenbold aus den Armen!« Es wäre nicht unmöglich gewesen, daß sie mit ihren Fingern einen Griff nach dem Gesicht des jungen Mannes versucht, wenn nicht Adelheid sich jetzt rasch umgewandt, die herabgefallenen Locken aus dem Gesicht gestrichen hätte und gerufen: »Mein Herr! So sehe ich aus.« Es war etwas Ueberwältigendes in dem Blicke der äußersten Entrüstung, was man nicht vergisst, im Tone der Stimme ein Metall, das Keiner bis da gehört; es tönte durch das Zimmer und in den nächsten Sekunden hörte man nichts anderes. Er hatte sie unwillkürlich losgelassen. Sie standen nicht einen Schritt von einander, und ihre Blicke begegneten sich. Sie wollte sprechen, aber die Stimme versagte ihr. Thränen wären eine Wohlthat geworden, es überstürzte sie nur eine krankhafte Hitze, der sogleich eine fieberhafte Kälte folgte. Sie wandte den Kopf ab, bedeckte das Gesicht, und, ein Schrei der gepressten Brust, stürzten die Worte heraus: »O, mein Gott, wo bin ich hingerathen! Was ist das mit mir!« Sie wankte; aber sie schauderte vor der Obristin, die sie auffangen wollte, sie tappte mit aufgehobenen Armen, als der junge Mann eine Bewegung machte, war's, seine Beute wieder zu ergreifen, war's, der Ohnmächtigen beizustehen. Aber die Erscheinung eines andern fremden Mannes der ein: »Halt, mein Herr!« ihm entgegen rief, veränderte die Scene. Es war ein hochgewachsener Mann von leichtem, vornehmem Anstande. In seinem blassen, ausdrucksvollen Gesicht, in dem man einen Philosophen, Staatsmann, wenigstens einen Denker erkennen mögen, brannten auch zwei dunkle Augen, nicht groß, aber bedeutend durch den Ausdruck edlen Zornes, der in ihnen glühte. Ein Mann von mittleren Jahren, der aber durch die Entrüstung, den Stolz seiner Haltung, die Elasticität der Bewegung, um vieles jünger schien. Es war ohne Zweifel das bedeutendste, ausdruckvollste Gesicht im Zimmer, vielleicht, was man überhaupt in diesen Räumen gesehen, ein Mann, in dem jeder Muskelzug, jede Bewegung die Weltkenntniß und Erfahrung ausdrückten und ein Mann, der geboren schien, um zu imponiren. Den leichten Umwurfmantel, mit dem er ins Zimmer getreten, hatte er schon an der Thüre abgeworfen und stand im schwarzen Civilkostüm dem Andern gegenüber. Auf dem Gesichte dieses Jüngern, dem die Leidenschaften viele Falten eingedrückt hatten, suchte man indeß umsonst nach einem Zuge, der eine Inklination verrieth, sich imponiren zu lassen. Mit einem verächtlichen Achselzucken: »Das geht Sie nichts an! Die Dame ist ohnmächtig!« wollte er an ihm vorüber. Ein: »Elender zurück!« donnerte ihm entgegen. »Ihr Arm darf die Unschuld nicht berühren.« Die Hand des Kavaliers hatte die Halsbinde des jungen Mannes gefasst, als dieser auch auf diese Worte nicht geachtet. Ein fürchterlicher Blick des Jüngeren, während seine Arme krampfhaft zitterten, sagte dem Kavalier, was er im nächsten Moment erwarten konnte, wenn er nicht zuvor kam. Louis war unzweifelhaft der Stärkere, aber er war in einer ungünstigen Stellung, des Angriffs nicht gewärtig, noch vom wüsten Traumschlaf ermattet. Der Kavalier war auf einen Angriff gefasst eingetreten, wahrscheinlich ein gewandter Fechter, der die Schwäche des Gegners zu nutzen weiß. Ihn kurz an sich ziehend, warf er ihn mit einem heftigen Stoß zurück: »Schlafen Sie Ihren Rausch aus!« Louis fiel auf einen hinter ihm stehenden Stuhl; doch so heftig gegen die Lehne geschleudert, daß er einen Moment besinnungslos blieb. Ein fürchterlicher Moment. Heulen, Schreien, Lärm jeder Art. Es polterte von oben, es stürmte die Treppen herauf, Leute waren eingedrungen ins Haus, schon sogar als ungerufene Zeugen ins Zimmer. Als Adelheid, an die Wand gelehnt, ihre Besinnung zurückkam, hatte auch der junge Mann sie wieder gewonnen. Es war der entsetzlichste Blick, den sie gesehen, eine Basiliskenblick, die Zornader glühte auf seiner Stirn und die Brust hob sich wie eine Meereswelle, als er aufsprang und nach einer Waffe griff. »Mord!« »Todtschlag!« »Polizei!« – »Blut!« schrieen verwirrte Stimmen. Dem Stuhle, den der Rasende wie eine Keule in der Luft schwang, hätte der Galanteriedegen, den der Andere rasch gezogen, nicht parirt. Aber die Obristin fasste nach dem Stuhlbein, als der Degen schon mit einem gefährlichen Parirstoß nach der Brust zückte. Jülli sah die Spitze funkeln, sie hing an Louis Brust, sie umklammerte seinen Hals, ein Schild, das ihn schützte, aber ihm die freie Bewegung raubte: »Louis, nicht Dein Blut!« Der Stoß des nur zur Vertheidigung gezückten Degens hätte tödtlich werden können, wo der Feind in blinder Wuth sich auf den Gegner gestürzt hatte, als Adelheid dem Kavalier in die Arme fiel: »Um Gottes, um Gottes Barmherzigkeit willen, kein Blut um mich!« Es war alles das Werk eines Momentes. Die Degenspitze hatte Jülli's Schulter gesteift; es rieselte roth von ihrem Nacken. Im selben Augenblicke trennte ein dritter Fremder die Kämpfer. »Auch Mord und Blut in diesem Sündenhaus!« Des Predigers Gesicht war krampfhaft verzogen, er hob die zitternden Arme gegen die Obristin; er drohte ihr, aber die Stimme schien auch ihm zu versagen. Er griff in die Tasche und warf ihr eine kleine Börse zu Füßen: »Weib, mach' Dich bezahlt mit meinem Sparpfennig.« Der Lärm hatte inzwischen einen bacchantischen Charakter angenommen. Den Pöbel kitzelte die wilde Luft, hier die Nemesis zu spielen, zerstören zu können. Die Träger der Effekten des Predigers, die er in aller Hast hinunterschaffen ließ, fanden auf Treppen und Thüren kaum Durchweg; man wollte untersuchen, ob nichts Verdächtiges damit entschlüpfe. Rohe Witzworte begleiteten diese Improvisation. Noch ärgere Invektiven schallten von der Straße, denn das Gerücht von dem, was im Hause sich zugetragen, wuchs natürlich je entfernter man davon stand. Die Schwadronen zogen ab, und das von den Blasinstrumenten angestimmte Lied: »Ach, du lieber Augustin!« dröhnte als Parodie durch das Getöse. Da hatte die Obristin, die nicht nach dem Geldbeutel griff, denn sie sah, es war hier mehr verspielt, eine unbeschreibliche Wuth ergriffen. Die Larve der Sanftmuth und Gleisnerei war abgefallen, die innerste Natur des gemeinen Weibes hatte sich herausgekehrt und ihre funkelnden Augen und fletschenden Zähne suchten nach einem Gegenstand der Rache. Sie hatte ihn gefunden. Den Geistlichen hatte sie mit dem Ellnbogen und einem Schimpfwort bei Seite geschoben, die »Natterbrut an ihrem Busen,« die ihr so mit Undank gelohnt, die den Störenfried versteckt, sollte es entgelten. Aber stand der nicht selbst vor ihr, der all das Unglück angerichtet, – mit seinen bösen, schönen Augen? Sprach sie's aus, oder sah sie's an ihren gespitzten Fingern, an den gehobenen Armen, die Hyäne auf dem Sprunge? Jülli's Augen funkelten auch dämonisch: »An seinen schönen Augen Deine Hand, Du schändlich Weib! Erst über meinen Leib, den zertritt nun vollends!« »Die Weiber bringen sich um!« schrie es. »Polizei!« Schon arbeitete der Kommissar sich durch die Thür. Das Weib hatte das Mädchen an der Schulter gepackt, wo der Degen gestreift. Das Mädchen stieß einen Schmerzensschrei aus und sank ohnmächtig nieder, während von hinten eine andere Megäre die Wüthende umklammerte. Auch hier eine abgefallene Larve, auch hier die lang verhaltene Wuth einer gemeinen Natur, die keine Rücksichten mehr kennt! Der Polizeibeamte sah nicht mehr des Kavaliers gezückten Degen, er hatte ihn eingesteckt, auch der geschwungene Sessel war längst aus Louis' Händen zu Boden gefallen; er saß, zurückgesunken in einem Stuhl und starrte, Todtenblässe im Gesicht, auf das zu seinen Füßen liegende Mädchen, seine Lebensretterin. Der Polizeibeamte sah nur die ringenden Weiber, eine blutbedeckte Hand von der zusammenschnürenden Umarmung einer Wüthenden in die Luft gestreckt. Mit kräftigem Arm, mit dem Griff des Säbels, der unsanft auf ihre Schultern fuhr, riß er sie auseinander. Die beiden Sergeanten ergriffen die Obristin und Karolinen. Indem sein Blick umherstreifte, nach den übrigen Komplicen zu suchen, fiel er zunächst auf Adelheid. Sie war, von Mitleid fortgerissen, neben der Verwundeten hingekniet; aus dem natürlichen Impuls sich den Blicken zu verbergen, beugte sie sich tiefer über das unglückliche Mädchen als nöthig war, in dem Augenblick vielleicht das glücklichere; sie wusste ja nicht, was um sie vorging. Auch Adelheid wusste es kaum, als die rauhe Hand des Kommissars sie aufriß: »Aufgestanden! Marsch!« – »Sie ist unschuldig!« rief eine Stimme. – »Da den Beweis ihrer Unschuld!« sagte der Kommissar, und zeigte Adelheids Hand, auch sie blutig von der Berührung. »Auf der Wache wird sich alles herausfinden, mein schönes Kind. Einstweilen mitgefangen, mitgehangen.« – »Sie ist unschuldig!« schrie Louis, aus seinem Starrsinn erwachend. Er war aufgesprungen. Der Beamte sah ihn mit einem höhnischen Blicke an: »Wenn man Sie als Zeugen aufrufen wird, ist Zeit für sie zu sprechen. Oder sind Sie etwa auch unschuldig? Die Person hier auf eine Trage, und vorsichtig! Auf der Wache wollen wir untersuchen, wo sie hin muß.« Wie so viele Nadelstiche bohrte das rohe Gelächter in Adelheids Herz. An wen sich wenden! Sie hatte keinen Freund, keinen Bekannten hier. Der Kammerherr war verschwunden. Sollte sie das Weib anrufen, das jetzt noch kochte, und, grimmige Blicke mit dem andern Mädchen tauschend, von neuen Thätlichkeiten nur durch die Wache abgehalten ward? Und was hätte deren Zeugniß in dieser Lage ihr geholfen? Durfte sie den Namen ihres Vaters nennen? Der Retter stand aber schon vor ihr: »Diese Dame ist an den Auftritten hier so unbetheiligt als ich selbst,« rief der Fremde; und schon sein Kostüm und Anstand brachte auf den Kommissar so viel Eindruck hervor, daß er unmerklich Adelheids Arm losließ. »Ich bin der Legationsrath, Kammerherr von Wandel aus Thüringen. Auf der Rückkehr von der Tafel Seiner Königlichen Hoheit führte mich der Zufall, ich meine der Spektakel, in dies Haus, und ich kam glücklicherweise noch zu rechter Zeit, um dies junge Mädchen vor Beleidigungen zu retten, über die ich, wenn es erfordert wird, Zeugniß ablegen kann. Ich verbürge mich für den unbescholtenen Ruf der Dame, deren Name und Familie mir bekannt sind, und die nur der Zufall oder die Bosheit hierher locken konnte. Diesem würdigen Geistlichen und seiner Familie ist es nicht besser ergangen. Daß sie keinen Theil an den Excessen dieser Personen da hat, brauche ich kaum auszusprechen; das Blut an ihrer Hand rührt, wie Sie sehen, von der liebreichen Pflege, die sie jenem armen Geschöpfe angedeihen ließ.« Der Polizeikommissar verneigte sich leicht vor dem Fremden, nachdem dieser ihm den Namen des Vaters ins Ohr geflüstert hatte: »Diese Demoiselle kann demnächst auf Bürgschaft des Herrn Legationsraths entlassen werden.« »Und ich ersuche Sie, mein Herr Prediger,« wandte sich der Legationsrath an den durch das Gedränge noch immer festgehaltenen Geistlichen, »das junge Mädchen unter dem Geleit Ihrer Töchter aus diesem Hause zu bringen. Sie bedarf eines weiblichen Schutzes vor Neckereien und Brutalitäten, die Begleitung eines Mannes, wer es auch sei, würde sie nur anlocken.« »Bleiben Sie mir vom Leibe! Soll ich noch von der Brut mir anhängen, wo ich kaum weiß, wie ich mit meinen unschuldigen Töchtern ohne Insulten davon komme?« Dem Geistlichen diente die eigene peinliche Lage gewiß zur Entschuldigung, wenn er jetzt so hart erschien, als er früher leichtgläubig gewesen. Auch die Reden unter den Zuschauern konnten ihn rechtfertigen, denn man zischelte sich zu oder sagte es vielmehr ganz laut: »Die Hübscheste wird losgerissen von dem vornehmen Herrn.« »Das weiß man schon, an wem nichts mehr zu verlieren ist, den lässt man dem Galgen.« Der Polizeikommissar, der mit dem Bleistift einige Notizen gemacht, wies auf Louis: »Wollen Herr Legationsrath auch etwa für diesen jungen Herrn bürgen?« »Mich dünkt, sein Zustand bürgt für ihn,« sagte Wandel. »Wenn er ernüchtert ist, wird er selbst am besten Rechenschaft geben, welche Motive ihn in dies Haus geführt. Ich meinerseits habe durchaus keine Ansprüche an den Sohn des Herrn –«, er flüsterte wieder den Namen in das Ohr des Beamten, »sollte der Herr Forderungen an mich haben, so ist ihm meine Adresse bekannt,« setzte er scharf betonend mit einem eben so scharfen als kurzen Blick auf den Betreffenden hinzu. »Demoiselle,« sagte er dann, Adelheid seinen Arm bietend, »da sich kein anderer Ritter findet, müssen Sie sich meinem Schutz anvertrauen. Platz!« Die Menge machte ihn. Im Hinausgehen sah Adelheid unwillkürlich zurück. »Sie mögen sich entfernen, Herr von Bovillard,« hatte der Komissar diesem zugeflüstert, indem er anscheinend in seinem Taschenbuche Bemerkungen notirte. »Doch erst nachher, wenn die Menge sich verläuft. Sie verdanken diese Berücksichtigung dem Zeugniß des Herrn Legationsrath; Sie werden selbst am besten wissen, daß die Polizei andere über Sie hat.« Der junge Mann stand aufgerichtet, wie eine Bildsäule, regungslos; seine Hand wühlte krampfhaft in der Brust, nur die Augen schossen noch einen Blick auf Adelheids Begleiter, dessen Ausdruck sich nicht beschreiben lässt. Es war nicht mehr das Feuer des Zornes, nicht das Aufprasseln eines Brandes, der seinen Höhepunkt erreicht, es war die Gluth des Hasses, die still fortlodert, weil sie unerschöpflichen Stoff unter der Asche gefunden. Und doch zuckte dies stiere Auge, als es dem des jungen Mädchens begegnete, und senkte unwillkürlich die Augenlider. »Eilen Sie!« rief ihr Begleiter. »Draußen ist frische Luft.« Sie schwankte an seinem Arm, als er sie durch die Thür gerissen. »Nur einen – einen Augenblick nur!« – stöhnte sie im Vorzimmer. »O Gott, mein Vater, meine Mutter!« Sie war in einen Sessel im Vorzimmer gesunken. Der Retter hatte ein Etui mit kleinen Essenzfläschchen aus der Tasche gezogen und tupfte, vorsichtig Tropfen davon auf den Finger gießend, über ihre Stirn. Die Vorübergehenden machten ihre Glossen, es waren keine freundlichen. Ein Glück für die Ohnmächtige, daß sie nichts davon hörte. Ihr Begleiter hörte und verstand sie. Aber keine Miene, kein Blick verrieth ein innere Bewegung. Er betrachtete die Ohnmächtige wie der Kenner ein Bildwerk. Als das Zimmer zufällig leer war, lüftete er vorsichtig das Tuch, das sie um sich geschlungen: »In der That ein Prachtwerk der Schöpferin. Fast zu schön, um es zu verschwenden, setzte er hinzu. Und doch, wenn wir es nicht verschwendeten, nicht mehr werth, als eine Mumie in einer Raritätensammlung.« Erst die Tropfen aus dem letzten Fläschchen, die er noch behutsamer anwandte, brachten die Wirkung, die er beabsichtigt, hervor. Es musste eine sehr starke, gefährliche Essenz sein, denn nur, nachdem er verdrießlich nach der Uhr und der Sonne gesehen, und die Schläferin, ohne daß sie erwachte, stark am Arm gerüttelt, hatte er die doppelte Metallkapsel und den Stöpsel gelüftet. Sie war erwacht, aber ihre Augen, ihr Athmen, ihr Lächeln, bald auch ihre Sprache, zeugten von einer Einwirkung auf die Nerven, die der Retter nicht beabsichtigt hatte. Sie erhob sich und sprach in Extase. Es war das schöne Metall der Stimme, das vorhin fast berauschend ins Ohr der Zuhörer geklungen; aber hier nicht ein schneidender Laut der Todtenglocke, es klang und wogte melodischer, wie ein Lobgesang, als sie ihrem Retter ihren Dank aussprach, ihn versichernd, es werde alles gelingen, alles gut werden, er sollte nicht sorgen. Sie sprach sehr schnell. Der Legationsrath kniff sich ängstlich in die Lippen, als sie Schiller'sche Verse recitirte, von der Tugend, die kein leerer Wahn, von der Welt, die das Strahlende zu schwärzen liebe, aber die edlen Herzen schlügen überall, auch im Hause des Verderbens. O wie würde sich ihr herrlicher Lehrer freuen, welch ein Triumph für ihn, daß sein Wort in Erfüllung gehe: nur durch die Leiden, die großen Leiden, entwickele sich die Seele. Und wie erst würde ihr Vater sich freuen, wie sehne sie sich, ihm in die Arme zu sinken. Da, da! – sie zeigte ans Fenster. Die Thürme auf dem Gensd'armenmarkt glühten in der Abendsonne, in jener wunderbaren Pracht, wie sie ein kalter nordischer Abendhimmel zuweilen auf die Dächer und Spitzen höherer Gebäude ausgießt; die gelben Streiflichter am fernen Horizont deuteteten aber dem Kenner, daß diese schöne Röthe kein Vorbote eines schönes Tages sei. »Mein Vater sieht sie auch aus seinem Fenster, er freut sich, und er darf sich freuen, denn bald werde ich auch in seine Arme stürzen, roth von dieser Sonne angeleuchtet.« »Wickeln Sie sich fester in Ihr Tuch, Mademoiselle. Sie sind erhitzt, und es ist sehr kühl draußen geworden.« Das Gewitter, das sich auswärts entladen, hatte eine empfindliche Kälte verursacht. »In dies Tuch!« rief Adelheid, als der Legationsrath bemüht war, den seidenen Shawl um ihre Schultern zu ziehen. Sie riß es hastig ab und schleuderte es in den Winkel. »Es ist nicht meines.« Sie schauderte. »Fort, fort, nach Hause!« »Unmöglich, Demoiselle! Sie ziehen sich eine gefährliche Krankheit zu. Wenn das Tuch nicht Ihnen gehört, schicken wir es sogleich zurück. Nur bis ich Sie zu Ihrem Vater gebracht.« »Mein Vater soll das Netz nicht sehen, worin sie seine Tochter fangen wollten.« Sie hing sich mit Ungestüm an seinen Arm. »Mich friert, aber nur hier. Gewiß nur hier, da draußen ist es warm.« Auch den Legationsrath fröstelte. Er konnte die Retterrolle, die er übernommen, bereuen. Die entschlossenen Züge seines Gesichts schienen dem zu widersprechen. Aber seine Lage war eine kitzliche für einen vornehmen Mann, dem der Anstand vor der Welt allen Rücksichten vorangeht. Oeffentlich aus diesem Hause eine Dame zu führen, deren aufgeregter, halb verwildeter Zustand den Vermuthungen, die sich von selbst machten, nur zu sehr Thor und Thür bot. »Sie ist ja offenbar betrunken,« musste er im Vorbeigehen hören. »Die Schminke eben abgewischt,« sagte ein Anderer. »Und in der Windfahne auf offener Straße!« Dies waren nicht mehr die Stimmen des Pöbels, es waren die Urtheile ruhiger Bürger. Es waren dieselben Personen, welche vorhin den Prediger und seine Töchter vor den Insulten der Buben geschützt. Denn diesen Landmädchen sähe man es ja an, daß sie nicht in das Haus gehörten, aber es sei doch eine Verhöhnung alles Anstandes, wenn ein Kavalier im Hofkostüm mit einer solchen frechen Dirne ohne Scham und Scheu auf offener Straße sich zeigt. So etwas sei selbst zu den schlimmsten Zeiten der Lichtenau'schen Wirthschaft nicht vorgekommen. Zum Glück hörte davon Adelheid nichts. Der Legationsrath hörte Alles, aber keine Miene verrieth es. Die ruhigen Bürger blickten ihm kopfschüttelnd, die Gassenbuben liefen ihm höhnend nach. Er schwieg auch da, er beschleunigte nicht einmal seine Schritte. Er suchte nur nach etwas, vielleicht nach einem Bekannten, nach einem Fiaker konnte er sich nicht umsehen, es gab deren in Berlin noch nicht. »Wissen Sie die Wohnung meines Vaters?« fragte Adelheid. »Ich weiß sie.« Aber er nahm eine andere Richtung und beschleunigte jetzt seine Schritte. Als Adelheid ihn daran erinnern wollte, trat er an eine offene Kutsche, welche in der Querstraße vorüberfuhr, und gab dem Kutscher ein Zeichen zum Halten, zum großen Befremden der Dame, welche darin saß; zu ihrem noch größeren aber redete er sie bei ihrem Namen an und bat sie um einen Dienst der Menschenfreundlichkeit. Er nannte seinen Namen. Eine leichte Röthe überflog die blassen Wangen der Geheimräthin Lupinus. Sie neigte sich anmuthig über den Wagenschlag, sein Anliegen zu hören. »Erlauben Sie, daß ich französisch spreche,« sagte er, »wegen der Zuhörer.« Es blieb zweifelhaft, ob er die Gassenbevölkerung meinte, die sich schon um den Wagen drängte, oder Adelheid, die noch an seinem Arm hing. In einer fließenden kurzen Darstellung mit einem Accent, in welchem die Geheimräthin den Pariser zu erkennen glaubte, erzählte er die skandalösen Vorfälle in dem Hause ohne alle Personen, die darin verwickelt waren, zu nennen, und den wahrscheinlichen Grund, wie das arglistige Weib das junge Mädchen in ihr Garn gelockt. »Sie sehen, Madame,« schloß er, »die schreckliche Lage, in welche eine Verkettung von Umständen die Tochter ehrbarer Eltern gebracht hat. Wenn es mir auch dort mit meinem Degen gelang, sie vor der Brutalität zu schützen, so ist der Stahl doch eine ganz unzulängliche Waffe gegen böse Vermuthungen und die aufgeregte Populace hier. Ich rufe vertrauensvoll Ihre Hülfe an. Meine Bitte, sie in Ihrem Wagen aufzunehmen und den Eltern zu überliefern, ist nur der geringste Theil meines Anliegens. Die Ehrenrettung des jungen Mädchens erfordert einen offenen Akt der Anerkennung. Wenn Sie sich entschließen könnten, sie hier öffentlich zu embrassiren, so ist ihre Ehre wenigstens vor diesem Straßenpublikum retablirt. Denn wer kann zweifeln, wenn eine Dame vom Ruf der Frau Geheimräthin Lupinus sie dieser Auszeichnung werth hält.« Die Geheimräthin war durch die Vorstellung nicht unangenehm berührt. Sie fragte leise übergebeugt: »Wer ist ist eigentlich die junge Person, ich hörte den Namen nicht deutlich.« – Der Name des Kriegsraths mochte der Geheimräthin eine sehr gleichgültige Bekanntschaft sein. Aber sie stieß plötzlich den Schlag auf und breitete ihre Arme dem jungen Mädchen entgegen, welches der Legationsrath rasch hineinhob. »Meine wertheste Demoiselle, mein liebes Kind, wie konnte ich auch nicht gleich die Tochter meines Freundes, des wackeren Kriegsraths erkennen! Das ist ja abscheulich, daß Ihre Gouvernante so wenig Ortskenntniß hat und sich in das Haus verirren musste! Aber wie sind Sie in diesem Jahre gewachsen, ach und wie echauffirt! Johann, schnell den Mantel aus dem Kasten! Ich hoffe, das wird nicht von üblen Folgen sein. Wie sie zittert! – Herr von Wandel, es giebt eine Justiz hier und einen König, der solchen Affront, einer achtungswerthen Familie angethan, strafen wird.« »Dessen bin ich gewiß!« rief der Legationsrath seinen Hut abziehend. »Mein Gott, Sie steigen doch auch ein?« »Meine Gegenwart könnte stören.« »Wie das? Wer verdient wie Sie den Dank des erfreuten Vaters entgegen zu nehmen? O rasch ein, daß ich das Vergnügen habe, dem Manne den Wohlthäter, den Retter seines Kindes zu präsentiren.« »Erlauben Sie mir, ich bitte inständigst darum, Ihre gütige Einladung ablehnen zu dürfen. Es giebt Erörterungen, welche das Gefühl verwunden; die Wunde wird schmerzlicher, wenn ein fremder Mann sich in das Heiligthum des Familienkreises drängt. Vermuthungen könnten aufsteigen, die, so empörend sie klingen, doch immer ihr Recht verlangen. Den Dank, ach, mein Gott wer denkt in dieser Welt an Dank! – Es ist Ihr Schützling jetzt, tragen Sie das ganze Wohlwollen Ihres edlen Herzens auf die Arme über, und, wenn es anginge, verschweigen Sie meinen Namen. Ich übte nur die Pflicht eines jeden Kavaliers, weiter nichts, Sie setzen Ihren guten Namen an ein gutes Werk und auf die bloße Bitte eines Ihnen fremden Mannes. Vergönnen Sie ihm nur, dieser Tage seine Aufwartung zu machen, um sich nach dem Wohlergehen Ihres Schützlings zu erkundigen.« »Ein Mann von seltener Delikatesse,« sagte die Geheimräthin, nachdem er sich beurlaubt. Adelheids Zustand erforderte ihre ganze Sorgfalt. Sie saß wieder sprachlos, in sich versunken, und ein heftiger Fieberfrost fing ihre Glieder zu schütteln an. Der Kutscher erhielt den Auftrag rasch zu fahren. 20. Kapitel. Abällino, der große Bandit Zwanzigstes Kapitel. Abällino, der große Bandit. Als die Polizei die Thüren der Wohnung verschlossen hatte, war manches in derselben nicht mehr, wie es vorher gewesen. Die Volksjustiz hatte geglaubt, auch ihrerseits für die gekränkte Sitte Rache nehmen zu müssen. Die Polizei hatte ihr Auge auf andere Dinge gehabt, um ihren ungebetenen Helfershelfern überall auf die Finger sehen zu können, und diesem Umstand darf man es zuschreiben, daß, als sie die Wohnung räumte, eine Person, ganz von ihr übersehen, zurückgeblieben war. Die Hände fest auf die Stirn gespannt, den Kopf auf die Stuhllehne gedrückt, saß, ob schlafend, träumend, in einen ohnmachtartigen Starrkrampf versunken, wir wissen es nicht, der junge Bovillard. Die Ruhe um ihn her mochte ihn wecken. Er sprang auf. Sein dunkles Auge stierte nach der Stelle, wo der Legationsrath zuletzt stand, wo er seinen Blick aushalten musste, und mehr als das, wo der Mann, der ihn tödtlich beleidigt, als sein Fürsprecher auftrat. Ihm verdankte er seine Freiheit und – doch hätte er eine Wollust darin empfunden, wenn er mit seinen Händen ihm die Kehle zuschnüren, wenn er ihn erwürgen können. Den Arm mit der geballten Faust streckte er aus – zum Zweikampf mit einem Luftbilde? Aber indem er ihm in dem Augenblick einen tödtlichen Haß schwur, übergoß ihn die Röthe der Scham. Wie Vielen hätte er den Todhaß schwören müssen, die alle Zeugen seiner Beschämung gewesen! Noch eine andere Erinnerung stieg auf, er drückte mit der Faust gegen die Stirn und athmete schwer. Dann suchte sein Auge an der Wand drüben, nach der Thür, durch welche Adelheid fortgeführt ward. »Und von dem Schuft!« Es war das erste laute Wort, und der Schall schien die neckischen Geister zu wecken, die an der Stätte der Zerstörung geschlummert hatten. Im letzten Sonnenstrahl, der durch die oberen Scheiben drang, wirbelte der dichte Staub, der sich noch immer nicht gesetzt hatte. Es schwirrte in der Luft von Fasern und Federn, die Gardinen hingen zerrissen an den Fenstern, der Spiegel war zerschlagen, Stühle und Tische umgestürzt, den weiblichen Figuren auf den Gemälden hatte man mit Kohle große Bärte angemalt. Er stieß die Thür auf. Im Vorzimmer war es still und leer. Schien er doch zu suchen, ob nicht Jemand wie er zurückgeblieben wäre, ob er nicht vielleicht ein stilles Schluchzen höre? Es waren die Tauben auf dem Dache. Er sah sich noch ein Mal um, ehe er die Wohnung verlasse, und aus dem gebrochenen Spiegel grüßte ihn sein Bild, ihn daran erinnernd, daß er so auf der Straße sich nicht zeigen dürfe. Er ging nach dem Seitenzimmer zurück, seinen Rock zu holen. Die Luft wimmelte wie von Schneeflocken. Von der Zugluft, welche die aufgestoßene Thür verursachte, wirbelten die Federn aus den Betten, welche sie in muthwilliger Zerstörungslust aufgeschnitten. Vergebens suchte er nach Rock und Hut. Sie waren verschwunden, gestohlen. Fort aus dieser Höhle der Verwüstung! Die ihm wohlbekannte Hinterthür war verschlossen, der Schlüssel fehlte. Er eilte zurück nach dem Vorzimmer, auch diese Thür war zu; er war eingeschlossen. Sollte er Lärm machen? Nach so vielem Lärm? Er hatte keinen Grund die Trommel des Aufruhrs zu rühren. Indem er noch, unschlüssig was er solle, aufmerksam beobachtend umher ging, fiel sein Auge auf einen Kamin, der nach alter Art in einen weiten, aber nur kurzen Schornstein führte. Er erinnerte sich aus fröhlichen Abenden, daß die heitere Unterhaltung oft durch das Brausen des Windes gestört wurde, wenn es stark wehte, selbst Regen und Schneewirbel unter die lustigen Kinder hier getrieben wurden. Indem er den Kamin untersuchen wollte, ob von da vielleicht ein Ausgang zu entdecken wäre, entdeckte er etwas, was er nicht erwartet, einen Stock und zwei Beine, die sich vergebens in die Höhe zu ziehen suchten. Als er sie ergriff, stieß eine Stimme, die unzweifelhaft zu den Beinen gehörte, einen Angstschrei aus, er zog einen vollständigen Menschen herunter, weit vollständiger und anständiger gekleidet als er, gefärbt wie er, nur nicht weiß vom Federstaub, sondern schwarz vom Ruß. »Ach Sie, Bovillard,« sagte der Geschwärzte aufathmend, »Gott sei Dank! Ich glaubte es wäre der Polizeikommissar.« »Ich freue mich auch ungemein, gerade den Herrn von St. Real zu begrüßen. Wie befinden sich Herr Kammerherr? Ein Anfall von Podagra fesselte Sie neulich zu meinem Bedauern ans Bette.« »Sie sehen, ich bin wieder passabel hergestellt.« »Ja, wer schon gymnastische Uebungen machen kann! Aber im Schornstein ist das doch etwas unbequem. Da ist hier ein junger Lehrer an einem Gymnasium, ein Herr Jahn, der will öffentlich Unterricht in der Gymnastik geben. Wie ich höre, beabsichtigt er damit eine Verbesserung der deutschen Nation und insbesondere des Menschengeschlechts. Da sollten Sie sich melden, bester Kammerherr!« »Pestilenz! Wo kommen Sie her, Bovillard?« rief der Kammerherr, sich schüttelnd. »Von einem Dejeuner bei Dallach. Ich versichere Sie, Kammerherr, der Mann perfektionirt sich. Austern, wie frisch aus der See, ein Caviar, und ein Burgunder, der Minister kann ihn nicht besser haben. Schade, daß Ihr Podagra den Burgunder, oder der Burgunder Ihr Podagra nicht verträgt. Wir vertrugen uns vortrefflich, lauter Freunde einer Gesinnung, alles Verehrer der Schick. Nein, sie hat doch eine Stimme, darüber geht nichts!« »Ihre Stimme in Ehren, aber Ihre, Bovillard, war mir lieber. Wenn der verfluchte Kommissar hier Wache gehalten hätte, bis ich erstickt war!« »Kommen Sie von oben da her, Kammerherr? Oder wollten Sie oben hinaus?« »Ich war hierhergerathen, ich weiß noch nicht wie.« »Vermuthlich wie ich.« »Damit der Rothkragen mich nicht finde, kroch ich in der ersten Bestürzung da hinein. Nun aber, theuerster Mann, können Sie mir nicht gelegener kommen. Ich habe eine dringende Bitte an Ihre Gefälligkeit.« »Ich gleichfalls.« »Schaffen Sie mir meinen Wagen, versteht sich, dort um die Ecke. Ich hoffe, der Kerl wird sich von selbst retirirt haben, als der Skandal los ging. Dann rekognosciren Sie etwas Luft und Terrain.« »Mit dem größten Vergnügen.« »Kann ich Ihnen einen Gegendienst erzeigen, rechnen Sie auf meine Bereitwilligkeit. Liebster, junger Mann, wenn Sie mir nur Ihr ganzes Vertrauen schenkten, hoffe ich gewiß, die Differenzen mit Ihrem Herrn Vater zu lösen.« »Nichts von Frieden, ich will Krieg. Sie haben hier gelauscht, Sie erfuhren, Sie wissen Alles, hätten Sie etwas vergessen, will ich Sie daran erinnern. Dem Herrn von Wandelstern, oder wie er heißt, will ich den Hals umdrehen, natürlich ganz in legaler Weise, durch Pistolen oder Stichdegen, wie es ihm mehr Vergnügen macht. Sie sollen mein Cartellträger sein. Die Sache eilt, weil man so etwas leicht vergisst; und auf der Stelle, wenn Sie los sind, ersuche ich Sie, in eigener Person zu ihm zu fahren, meine Herausforderung zu bringen und das Nöthige mit ihm abzumachen.« St. Real sah etwas verblüfft den Andern an und wollte seine Hand fassen: »Liebster, junger Mann, um solche Kleinigkeiten –« »Da ist nun der Geschmack verschieden, Herr Kammerherr, ich behandle das Kleine groß, Andre das Große klein. Da muß man Jeden seinem penchant überlassen.« »Mein Gott, theuerster Freund, bei solcher Art von Konflikten muß man nicht mit gefärbten Gläsern sehen. Wo nichts zu gewinnen, muß man nichts einsetzen. Sie begreifen, daß gewiß Niemand von dem plaudern wird, was hier vorfiel. Unter Kavalieren ist es eine stillschweigende Uebereinkunft, daß man an solchen Orten sich nicht kennt. Die Person ist ja nun auch verschwunden, sie wird über die Grenze geschafft. In ein paar Tagen, wie gesagt, ist der Vorfall vergessen und verdampft wie ein Rausch. Stänkern Sie nicht darin, liebster, bester, junger Mann.« »Die Person! Sie meinen die Frau Obristin Malchen. Das ist ja eine höchst respektable Dame. Sie erfreut sich wenigstens einer Protektion, die ihr nur Ehre bringen kann.« »Liebenswürdiger Schäker! Kennen Sie denn aber den Herrn von Wandel?« »Vermuthlich ein eben so respektabler Herr, wie Ihre Freundin.« »Theuerster Bovillard, Sie irren sich. Er ist ein intimer Freund Ihres Herrn Vaters; ich versichere Sie, einer der feinsten Köpfe, ein Mann der Wissenschaft, ein Gelehrter, ein Mann von stupenden Kenntnissen, ein Diplomat und von den liebenswürdigsten Eigenschaften. Sie müssen sich kennen lernen. O, Sie werden es mir danken. Und dabei ein Gemüth wie ein Kind, unwiderstehlich bei den Damen. Ich sage Ihnen, Sie werden Freunde werden, wenn ich Sie bei ihm einführe, Sie werden sehen, er hat Alles vergessen.« »Ich nicht, mein Herr!« trumpfte Bovillard. »Entweder, oder – Wollen Sie nicht?« »Sein Sie überzeugt, ich gleiche die Sache zu Ihrer Zufriedenheit aus.« Der Jüngere eilte ans Fenster, um es aufzureißen. »Bovillard! Was wollen Sie thun?« »Die Polizei rufen. Wissen Sie nicht, daß wir eingeschlossen sind? In dem leeren Nest habe ich nicht Lust die Nacht zu verbringen.« »Sind Sie rasend! Man würde –« »Uns auf die Wache bringen. Ganz in der Ordnung. Wer bei einbrechender Nacht in einem verdächtigen Orte betroffen wird, und sich nicht ausweisen kann, daß er dahin gehört, wird zum Ausschlafen auf die Wache gebracht. Das ist das erste Erforderniß eines gesetzlichen Staates. Der Staat muß auch seine Ruhe haben, wie jeder Mensch, wenn er schlafen will.« »Unsere Lage würde ja weit schlimmer.« »Unsre? Mein Herr, Sie bedenken nicht, welch ein Unterschied zwischen uns ist. Sie haben einen guten Ruf zu verlieren, ich gar keinen. Denn einen schlechten verliert man nicht, wenn man auf die Wache geschleppt wird. Sie sehen, daß ich gar nichts dabei riskire.« Der Kammerherr hatte sich mit großer Gewandtheit zwischen Bovillard und das Fenster gedrängt. »Wenn Sie denn absolut wollen! Ich will's arrangiren, aber – er schießt Ihnen – den Sperling putzt er auf zwanzig Schritt mit dem Kuchenreuter vom Zaune. Sie junger Hitzkopf, thun Sie's doch lieber nicht, 's ist gegen mein Gewissen!« »Herr Kammerherr, Ihr Gewissen ist mir zu werth, Ihr Gewissen dürfen Sie nicht dran setzen. Sie müssen es mit gutem Gewissen thun, sonst schreie ich Polizei.« » Monsieur de Bovillard fils est un original. Ganz der Vater, nur in anderer Manier. Sie sind beleidigt, Sie müssen Satisfaktion haben, ich sehe es ein. Mit schwerem Herzen, aber – ich sehe es ein. Nun suchen Sie mir aber meinen Kutscher auf.« »Ich sagte Ihnen ja, wir sind eingesperrt.« » Va-t-en! Was soll daraus werden! Wir müssen doch raus!« »Belieben Herr Kammerherr hier die Fensterhöhe zu betrachten. Man erzählt sich zwar, daß Herr von St. Real in seiner Jugend aus Loyalität einen Sprung gethan, woran er sein Leben lang denkt, indessen, dieser Abgrund ist keine Treppe und ob die Loyalität Sie jetzt tragen wird, das überlass' ich Ihrem Ermessen.« »Bovillard, bringen Sie mich nicht außer mir.« »Wenn ich Sie außer sich setzte, was könnte ich Ihnen jetzt besseres anthun?« »Schaffen Sie Rath. Ihr Genie hat etwas in petto. « »Vermuthlich haben Sie schon untersucht, daß es durch den Schornstein nicht geht. Indessen kommt Zeit, kommt Rath, nämlich Dunkelheit, und im Dunkeln findet sich Manches besser, das werden Sie aus eigener Erfahrung wissen. Aber Sie sind müde, setzen Sie sich.« Bovillards prüfender Blick hatte schon vorher auf einem Wandbrett etwas gesehen, was die Tumultuanten übersehen haben mussten, sonst würde man es wahrscheinlich jetzt nicht mehr gesehen haben, ein Fläschchen süßen Weins mit Spitzgläsern, dahingestellt, um nach der Chokolade die Collation zu würzen. Er langte den Schatz schnell herunter, von dem er, nachdem er ihn gekostet, versicherte, es sei ein ächter Malaga, der ihnen eine wohlthätige Wärme geben werde. Der Kammerherr fühlte allerdings ein Bedürfniß. Er war sehr müde. Der kalte Angstschweiß stand auf seiner Stirn. »Ausgetrunken! ein zweites Glas!« »In der That eine seltsame Situation!« Indessen er trank. »Warum seltsam! Ein Weltmann muß sich in alle Situationen finden. Thun Sie ganz, als wären Sie zu Hause.« »Der Wein war doch nicht für uns bestimmt.« »Für mich nicht, aber für Sie.« »Man muß auch im Scherz ein Maß finden.« »Was Scherz! Das Nest ist leer, aber die Erinnerungen sind geblieben. Nicht wahr, Kammerherr? Durch diese Dämmerung schweben die Grazien. Auf den Wirth! Angestoßen!« »Bovillard!« »Bester St. Real, wir sind ja unter uns! Reden wir denn zum profanum vulgus! Auf den Höhen der Menschheit, wie der Dichter sie nennt, verlangt man auch Freude, den schönen Götterfunken. Wer pour les menus plaisirs sorgt, ist ein Wohlthäter der höheren Menschheit. Oder sind Sie traurig, daß die rauhe Hand der Wirklichkeit eingriff? Sehen Sie, ich bin Idealist; mich kümmert die Polizei nicht. Ich sehe sie noch immer schweben und tanzen, die süßen Erinnerungen und Entzückungen, die Küsse und Rosen. Eine solche Wirtschaft hat etwas ungemein Poetisches; nur das Geld darf nicht fehlen. Hätten Sie, Kammerherr, mit rechtem Eindruck zum Viertelskommissar gesprochen – nun, ich will dem Manne nichts nachreden, er ist gewiß ein ausgezeichneter Staatsdiener – aber, aber wenn man sich nur verständigen will, wird man verstanden.« » Le père tout craché. Aber gehen Sie mir mit Ihrer Poesie, ich habe mit der Sache nichts zu thun.« »Sie lieben die Realitäten. Ich lebe nur in den Ideen, konstruire mir meine Welt selbst. Wenn ich solch ein Haus betrachte und die Wirthschaft drin, werde ich unwillkürlich an unsern Staat erinnert.« »Hüten Sie sich, aus einem mauvais plaisant zu einem Kalumnianten zu werden.« »Kennen Sie den Dichter Dante?« »Bleiben Sie mir mit den Poeten vom Halse, sage ich Ihnen, sie müssten denn so allerliebste französische Verse machen, wie Ihr Herr Vater.« »Dante hat nur italienische Chansons gedichtet. Aber eins dieser wunderhübschen Lieder sollten Sie kennen, die Melodie ist reizend. Es fängt an: Ah tutta l'Italia è un gran bordello! Da denk' ich immer an Sie, an alle Ihre Freunde, an dies ganze bezaubernde Freundschafts-Liebes-Sippschaftswesen! Angestoßen, Kammerherr,« schrie er auf, »auf die große lustige Wirthschaft, wo Einer den Andern betrügt, eine Hand die andere wäscht. Angestoßen auf den Kleister und Firniß, der die Fäulniß zusammenhält bis – angestoßen!« Der Zitternde stieß mit dem Glas gegen die Flasche, die Bovillard auf einen Zug leerte und dann in den Kamin schleuderte, wo sie in tausend Stücke zerbrach. »Bis dahin! Nicht wahr, – zu Wasser, bis er bricht, darin sind wir einverstanden, wie es für vernünftige und gesetzte Leute sich schickt.« Er war aufgestanden und klopfte auf die Hand des Kammerherrn, die er mit dem andern Arm an seine Brust hielt: »Ja, mein theuerster Herr von St. Real, wenn alle so verständig und gesetzt wären, wie wir Beide! Diese Tagesfliegen schwärmen ums Licht, und wenn Einer sich verbrennt, lacht der Andere vergnügt, daß es ihn traf. Wir aber sehen die Nacht, wir sehen, was hinter uns liegt, und sehen, was vor uns kommt. A propos, was halten Sie denn von Napoleon?« »Sie belieben zu scherzen. Ein großes Genie! Machen Sie, daß wir fortkommen.« »Wie er aus Aegypten. Wissen Sie wie? – Er hat sich dem Teufel verschrieben; in einer Pyramide war's, eine Nacht wie diese! Ja, ich habe auch meine diplomatischen Mittheilungen. Der Teufel hat ihm die ganze Welt versprochen, und weiter nichts dafür gefordert, als seine Seele. Kammerherr denken Sie, wenn Sie für solche Bagatell könnten Großmogul werden!« »Das erzählen Sie mir alles weiter – aber nachher.« »Ein einziges Hinderniß nur muß er forträumen – die Gruft in Potsdam. Darum – Sie verstehen mich. – Nun bitte ich Sie aber, als einen vernünftigen Mann, ist das ein so unübersteigliches Hinderniß? Braucht es eines Krieges um einen Leichnam? – Denn Sie werden mir wieder zugeben, es ist jetzt nur noch ein Leichnam. Sollen wir um point d'honneur so eigensinnig sein, darum Blut vergießen, einen Krieg anfangen, der sechszigtausend Menschen kosten kann, darum das Wohl von Hunderttausenden, von Millionen auf's Spiel setzen? Unsere Seehandlung, unsre Zuckerfiedereien, unser Messingwerk in Neustadt-Eberswalde? Ich bitte Sie, Ruh' und Frieden unserer Bürger – was wirst die Porzellanmanufaktur nicht ab: wenn auch die Juden nicht mehr kaufen müssen zu ihren Hochzeiten, wir haben ja schon die Meißner Fabrik überholt – das ist auch ein Ehrenpunkt! Und unsere Gold- und Silberfabrik, und unser Pfandbriefsystem; wir können ja Geld machen, so viel wir wollen, nur die Güter höher abgeschätzt, als sie werth sind; und alles das sollen wir leichtsinnig hinopfern um einen sogenannten Ehrenpunkt! Das fordern gewisse Menschen! Wissen Sie, was ich glaube, daß der geheime Grund von Lombards Sendung ist? – Er soll versuchen, ob Napoleon sich nicht abfinden lässt mit Friedrichs Rock und Hut. Ja, ich vermuthe noch etwas. Besteht der Kaiser drauf, so geben wir auch die Krücke, aber das wäre auch das Ultimatum – den Leichnam, nein, nimmermehr! Wenigstens für jetzt nicht. – Bester Kammerherr, ich lese Ihre Gedanken, Sie wollen sagen, das sei wieder nur ein halber Schritt, Napoleon würde doch nicht eher ruhen, bis er das Ganze, bis er Friedrichs Sarg in Paris hat, und wir würden auch da nachgeben. Möglich, aber liebster Mann, wahren Sie Ihre Zunge, wer spricht denn so was! Grade diesen Vorwurf verträgt man nicht: Halbes, immer Halbes! 'S ist richtig, aber es ist nun mal so. Wer änderts: Zwei Halbes macht ein Ganzes. Erst geben wir den Rock, und dann den Leib. Und wenn man mehr will, noch mehr, Seele und Geist, wenn – wir noch davon haben. Ein guter Unterthan, lieber St. Real findet sich in Alles. Der liebe Gott wird's zum Guten fügen, und das Genie unserer großen Staatsmänner, und wir haben einen guten König; was will man mehr! A propos, was halten Sie von unserm König?« Der Kammerherr, der sich schon zu besinnen anfing, ob nicht am Ende die Arme der Polizei denen des Rasenden vorzuziehen wären, stammelte etwas von seinem grenzenlosen Respekt vor Seiner Majestät. »Das ist mir sehr lieb zu hören,« sagte Bovillard, »vielleicht wissen Sie auch, warum Seine Majestät jetzt so betrübt sind.« »Wenn Seine Majestät in die Herzen ihrer Unterthanen blicken könnten, würden sie gewiß keinen Grund finden,« antwortete der Kammerherr, in der Angst des seinen, die Hand auf die Brust drückend. Bovillard war um einen Kopf größer, als der Kammerherr. Mit unterkreuzten Armen und halb gesenktem Kopf schien er mit den funkelnden Augen, die durch die Nacht glänzten, in sein Herz bohren zu wollen: »Es ist Manches faul im Lande Preußen und Mancher, der auf der Stirn das Schild eines ehrlichen Mannes trägt, ich sage es Ihnen im Vertrauen, ist ein Schurke. Im Lagerhause in der Klosterstraße wird das Soldatentuch gewebt. Schön und dicht sieht es aus und blau, wenn der Appreturbügel darüber fuhr, aber die Witterung verträgt es nicht. Und ehe er drei Monden es auf dem Leibe trug, schrumpft es im Regen zusammen, daß der Aermel dem Soldaten am Ellnbogen sitzt. Kann man jedem Soldaten einen Regenschirm in die Hand geben? Kann man mit halbnackten Soldaten Krieg führen? Wissen Sie nun, warum wir keinen Krieg führen können? Wissen Sie nun, warum Seine Majestät betrübt sind?« »Ich habe nichts mit den Tuchlieferungsgeschäften zu thun!« rief der Kammerherr aus. »Ich bin kaum ein Mal in meinem Leben im Lagerhause gewesen.« »Sie haben mit andern Lieferungsgegenständen genug zu thun, ich weiß es. Aber Vorsicht, lieber Kammerherr. Um Gottes Willen, was soll der Monarch sagen, wenn er wieder von dieser Geschichte hört!« »Bovillard, liebster, bester Freund, Sie werden doch nicht!« »Ich nicht, aber Sie können sich doch leicht vorstellen, daß Andere ihm davon sagen werden, was er wissen soll. Beim Frühstück, ehe er die letze Tasse geleert, weiß er alles, was am vorigen Tage passirt ist. Und wenn alle Zeugen vernommen sind, die Polizei kreuz und quer fragt und spionirt, Hergang, Wirkung, Ursach, 's ist nichts so fein gesponnen, es kommt ans Licht der Sonnen. Liebster Kammerherr, ich bin im Ernst um Sie besorgt. In diesen Angelegenheiten ist der Monarch sehr irascibel.« »Wenn ich nur ganz gewiß sein könnte –« sagte gedehnt mit scharfem und schüchternem Blick auf den Plagegeist der Kammerherr, – »von unsern Freunden wird die Sache schon in dem rechten Licht vorgetragen werden.« Bovillard drückte ihn heftig an die Brust: »Wie Sie mich beruhigen! Offenherzig gestanden, ich bedurfte dieser Beruhigung nicht, ich wollte Sie nur auf die Probe stellen. Ein Thor, wer da sagt, daß die Tugend von der Erde Abschied nahm. Wer noch auf Freunde sein Vertrauen setzt, übt sie. Und Ihre Freunde werden sie ebenfalls üben. O, ich möchte bei dem Vortrage sein, ob nun ein Kammerdiener oder ein Kammerherr ihn übernimmt; wie sie weißbrennen werden, was schwarz ist, und vielleicht anschwärzen, was weiß wie Schnee ist. Ja, so beim Kaffee, so unter der Hand, gelegentlich hingeworfen, erfährt ein Fürst die Wahrheit – von guten Freunden. Sorgen Sie aber auch für einen Sündenbock. Denn wenn nach dem Hofe der officielle Vortrag kommt, muß er doch ergrimmt werden über die falsche Darstellung. Er weiß es ja alles besser, er hat es alles wie selbst erlebt. Wenn der Vortragende da erblasst, stockt, nicht vorbereitet ist, keinen Zornableiter da zur Hand hat, dann wird es schlimm. Lassen Sie den Kommissar opfern, mich, wenn es sei, retten Sie sich nur selbst dem Vaterlande. – Na nu wollen wir uns aber zusammen retten.« Der Kammerherr sah mit einigem Befremden auf das Messer, welches plötzlich in seiner Hand blitzte: »Seien Sie ohne Sorge; nur im höchsten Nothfall stoße ich es Einem durch die Gurgel!« Er holte noch aus dem Kamin ein altes Ofeneisen. Er musste schon vorher die Gelegenheit geprüft haben. In der alten Ausgangsthür des Vorzimmers war in der unteren Füllung eine Ritze, er vergrößerte sie durch das Messer und lockerte die anderen Fugen bis er das Brecheisen hineinpassen konnte. »Jetzt warten wir, bis ein Wagen vorüberrasselt, dann ein Krach und wir haben ein Mauseloch. Wollen Sie nun den Durchbruch auf Ihre Kappe nehmen, Kammerherr?« – »Ich?« – »Versteht sich, nur wenn wir attrapirt werden. Der Unterschied ist, wenn Sie es auf sich nehmen, ist es nur ein Ausbruch, Sie können beweisen, daß Ihnen die Wohnung und Sie in die Wohnung gehören, außerdem sind Sie ein anständiger Mann, dem die Polizei auf's Wort glaubt. Wenn es aber auf mich kommt, mir glaubt man nichts, außerdem bin ich in Hemdsärmeln, die Polizei könnte es daher leicht unter dem Gesichtspunkt eines Einbruchs fassen, und diese Fassung unangenehme Folgerungen nach sich ziehen, in Betracht dessen, daß man Vieles in diesem Hause vermissen wird, was dazu gehörte, ich meine nicht uns Beide, aber die gestohlenen Sachen.« »Bovillard, machen Sie keine Faxen! Wie werde ich denn einen Freund in der Noth verlassen!« »Aber nur der Tod ist umsonst. Was krieg' ich für meine Arbeit? Ich friere, so kann ich mich nicht auf der Straße sehen lassen. Leihen Sie mir Ihren Rock.« »Dann hab' ich ja keinen.« »Sie fahren in Ihrer Kutsche, ich gehe nach Hause.« Man einigte sich, daß Bovillard mit dem Kammerherrn fahren sollte. Die Freunde würden sich schon warm machen. »Was geht über eine echte Freundschaft!« sagte Bovillard, hatte aber schon mit seinen scharf umherspähenden Augen das weggeworfene Umschlagetuch entdeckt, das er jetzt ergriff, um sich damit, wie er sagte, gegen die Kälte zu schützen, bis sie im Wagen säßen. Ein Wagen rollte endlich über das schlechte Straßenpflaster, die Thüre krachte und Bovillard war hinaus. Als St. Real, auf den Knien heranrutschend, den Kopf durch die Oeffnung stecken wollte, drückte Jener das halbe Brett wieder hinein: »Halt, so ist nicht gewettet. Was geben Sie Zoll?« »Bovillard, nur jetzt keine Possen.« »Es ist mein feierlicher Ernst. Ein Narr, wer eine vortheilhafte Situation nicht nutzt.« »Sie haben geschworen, mich nicht zu verrathen.« »Richtig! Und Ihren Kutscher zu avertiren. Weiter nichts. Ich klemme die Füllung wieder ein – sehen Sie so – Sie können nicht aufstoßen, denn ich stemme hier das Eisen dagegen. Nun bedenken Sie, wenn morgen die Polizei öffnen lässt!« »Bovillard, Sie sollen meinen Rock haben.« »Pfui, es ist nicht Eigennutz.« »Meine Freundschaft! Sie werden bei Ihrem Lebenswandel noch oft der Fürsprache bedürfen, Sie sollen in jedem Fall auf mich rechnen können.« »Ich will nichts für mich, sage ich Ihnen ein für alle Mal. – Gehen Sie in sich, St. Real, werfen Sie einen Blick zurück, auf Ihr äußeres, ach, auch auf Ihr inneres Leben. Bedenken Sie, wie oft Sie die Gelegenheit versäumt, die sich Ihnen darbot, Gutes zu thun, und wie oft Sie dem Versucher in die Stricke gefallen sind. Ach! Wurden Sie nicht selbst zum Versucher? Legten Sie nicht selbst Stricke, stellten Sie nicht Netze? Schwirrt Ihnen nicht der schauerliche Klagegesang der unglücklichen Vögel in diesen Netzen um die Seele? Ich höre diese Anklagestimmen. St. Real, noch ist es nicht zu spät! Benutzen Sie wenigstens diese Gelegenheit, hören Sie auf die Stimme und bessern sich. Ihr Haar wird grau, Ihr Athem kurz, mit jedem Tag auch Ihr Leben um einen kürzer; Sie hinken, ach das Podagra kriecht so schnell als der Vogel fliegt, wenn das Ziel das Grab ist. Lassen Sie sich diesen schauerlichen Moment gemahnen, weit sind die Pforten zur Hölle, aber eng die zum Himmel, wie dieses Loch. Geloben Sie, St. Real, Sie wollen Ihr Dasein bessern, wie es Ihren Jahren, Ihrer Geburt, Ihrem Stande entspricht. O, Sie wissen nicht, wie das Ihre Brust erleichtern wird, Ihr Keuchhusten wird nachlassen, Ihr Bein flinker werden, der Burgunder Ihnen wieder schmecken. Retten Sie sich, sich selbst, Ihrem Könige, dem Staate. Schwören Sie mir, Sie wollen tugendhaft werden.« »Alles, was Sie wollen!« »Hier, Ihre Hand darauf?« »Ja, ja, ja – ziehn Sie mich nur 'raus!« Es war zum Glück still im Hause, und Niemand begegnete ihnen bis sie vor die Thür traten. St. Real hielt es für angemessen, hinter seinem Begleiter zurückzubleiben, der zu theatralisch den rothen Shawl um die Schulter drapirt hatte. Ja, er blieb um mehrere Schritte zurück, als eine Patrouille die Gasse heraufkam. Auf das Werda! des Gefreiten, welches dem Manne in der rothen Toga galt, antwortete er ein Gutfreund. Der Gefreite wollte Namen und Stand der auffälligen Person wissen. »Abällino, der große Bandit!« Die Wache schien sich zu besinnen, was ein Bandit sei. Einer meinte, es sei ein Komödiant. »Ihr Geschäft?« »Die Tugendhaften retten, die Schurken entlarven!« »Auf die Wache!« Abällino schlang den Mantel vornehm um die Schulter und schickte sich an, schweigend zu folgen. »Da kommt noch Einer; der scheint zu ihm zu gehören.« – »Ein Hinkepeter.« – »Verstellung« sagte der Gefreite, »nur rasch ran.« Der Kammerherr klopfte sich auf die Brust, weil der Husten ihm stecken geblieben war. »Kennen Sie Den?« fragte der Gefreite den Rothmantel. Der Rothmantel schien ihn scharf anzusehen; dann sagte er: »Dieser Mann trägt eine Larve, reißen Sie ihm dieselbe ab, mein Herr Korporal.« Den Hut ließ der Kammerherr sich abreißen, aber er schwor, Stein und Bein, das sei sein wahres Gesicht. Die Wache schien unschlüssig. »Schwere –, ich frage Ihn,« rief der Korporal, »ob Er Den hier kennt?« »Dies ist nicht sein natürlich Gesicht.« Abällino schüttelte den Kopf. »Das ist keine natürliche Röthe. Sehn Sie, mein Herr Wachtkommandant, jetzt wird er blaß.« »Potz Blitz Millionen, er hinkt. Ist das nicht auch natürlich?« »Das ist wohl seine Natur,« sagte Abällino mit der größten Ruhe. »Indeß meine Bande ist sehr groß, es hinken Viele. Lassen Sie ihn den Mund aufthun. An seiner Sprache werde ich leichter erkennen, ob er der ist, den ich vermuthe. Fragen ihn Herr Wachtkommandant gefälligst ob er mich kennt.« »Kennt Er – kennen Sie diesen hier?« Unter einem Guß von Angstschweiß platzte er heraus: »Ich bin so – ich weiß – ich kenne ihn so – ich kenne ihn so wahr nicht.« »Jetzt kenne ich ihn, Herr Wachtkommandant, ein sehr gefährliches Subjekt. Wir in der Bande nennen ihn Petrus vom Hahnenschrei. In Wirklichkeit heißt er Judas Ischarioth, ist ein getaufter Jude und handelt mit abgelegten Kleidern und Frauenpuppen.« »Aber wo kamen Sie mit ihm zusammen?« sagte der Korporal, dessen Augen entweder für die feine Kleidung des Kammerherrn aufgingen, oder für die Bewegung seine Hand in die Tasche. »Bei einem Krankenbesuch,« stotterte St. Real – »eine unglückliche arme Kranke – im Auftrag einer hohen Mildthätigkeit, die ihre Gaben nicht bekannt wissen will. – Dort hält meine Equipage.« Das war hervorgestoßen, während der Sprecher noch mit ängstlichen Blicken nach dem Banditen hinaufschielte, ob er nicht widersprechen werde. Der Bandit bewegte sich nicht, er schenkte ihm Gnade. Der Korporal, der sich zwischen ihn und Bovillard gestellt, um die Kollusionen zu verhindern, hörte den harten Thaler, der zufällig aus des Kammerherrn Tasche glitt, auf das Pflaster fallen. »Marsch!« kommandirte der Gefreite. »Auf die Wache! Dies ist ein anständiger Herr vom Hofe.« Stolz wie ein König schritt Abällino nach der Wache. Der Kammerherr sank fast ohnmächtig in seine Wagenkissen zurück und stöhnte: »Das kommt davon, wenn man mit der Kanaille sich abgiebt!« Der Vorfall der Nacht hatte in Berlin, wie man richtig vermuthet, Aufsehen und Entrüstung erregt. Um so beruhigender für alle gute Bürger wirkte ein Artikel, der einige Tage darauf in den Zeitungen erschien. Bovillard und St. Real hatten auch richtig gerechnet, daß, wer nur guten Freunden vertraut, nicht verloren ist. Der Artikel lautete: »Es ist ein betrübendes Zeichen unserer Zeit, wenn der böse Wille aus den geringfügigsten Ereignissen Nahrung schöpft, um Mißtrauen gegen die Maßregeln der hohen Obrigkeit zu verbreiten. Kaum ist vor einigen Wochen ein Ereigniß, das man dazu benutzt, aufgeklärt und beseitigt, als man böswillig abermals einen sehr unbedeutenden Vorfall benutzt, diesmal, um ein falsches Licht auf die Moralität unserer Stadt und ihrer Bewohner zu werfen, dabei aber sich nicht entblödend, den Verdacht auf höher gestellte Personen zu lenken, als begünstigten sie die Immoralität. Damals war ein gewiß unter keinen Umständen zu billigender Exceß in unserer Vogtei Anlaß, einen unserer rechtschaffensten Staatsdiener der Connivenz mit Verbrechern zu beschuldigen. Dem Scharfblick einer hohen Person, die hier zu nennen der Respekt uns verbietet, war es vorbehalten, die Wahrheit von der Verläumdung zu unterscheiden, und den eigentlich Straffälligen das Bekenntniß ihrer alleinigen Schuld zu entlocken. – In gleicher Weise wird der traurige Exceß, welcher neulich in einer unserer belebteren Straßen stattfand, seine Aufklärung finden. Einer wohllöblichen Polizei war es keineswegs entgangen, daß das Haus einer jetzt viel genannten Dame zu Verdacht Anlaß gab. Sie vigilirte vielmehr auf dasselbe, um beim ersten gegründeten Anlaß einschreiten zu können. Bei dem wirklichen oder angeblichen Stande der Bewohnerin, und den unverdächtigen Attesten, welche dieselbe von auswärtigen Obrigkeiten mitgebracht, Staaten, mit denen unsere Regierung in Frieden lebt, war es indeß unzulässig, auf bloßen Verdacht hin einzuschreiten. Wer dies doch für gerechtfertigt hielte, theilt nicht unsere Ansicht von dem, was einer wohlgeordneten Staatsbehörde obliegt. Diesem Umstande ist's zuzuschreiben, daß es der gedachten Frau gelang, unbefangene Gemüther zu täuschen, wir wissen kaum, was wir mehr bedauern sollen, daß es ihr gelang, einen durch seinen strengen religiösen Sinn und seine Kanzelberedsamkeit gleich ausgezeichneten Geistlichen mit seiner Familie in ihrem Hause, unter dem Schilde der Gastfreundschaft aufzunehmen, oder daß sie die sittsame Tochter höchst verehrter Eltern, und eines unserer bewährtesten Staatsbeamten in ihr Haus zu verlocken wusste. Der traurige, oder wenn wir wollen, glückliche Vorfall, der sich hierauf ereignete, ist bekannt. Uebrigens hätte es dieses Vorfalls nicht bedurft; denn, wie die Erscheinung des Kommissars im selben Augenblick Jeden überzeugen sollte, der Augen dafür hat, hatte die Polizei schon die Beweise in der Stille gesammelt, die jetzt ihr Einschreiten rechtfertigten. Die Anwesenheit einer oder mehrerer angesehener Personen in dem Hause giebt zwar für diejenigen, welche am Argen Wohlgefallen haben, willkommene Nahrung. Wir lassen ihnen dieses Vergnügen, theilen aber mit jedem Gutgesinnten, der diese Herren kennt, die Ueberzeugung, daß sie nur in dem löblichsten Zwecke sich an den Ort begeben hatten. Der eine dieser Herren hat seine edle Absicht bekundet, indem er das Opfer der Intrigue, unbekümmert um die Insulten des Pöbels, von dem man doch nicht fordern darf, daß er den Schein von der Wahrheit unterscheide, aus dem Hause und ihren betrübten Eltern zugeführt hat. Wir zweifeln gar nicht, daß auch dies zu bösen Nachreden Anlaß geben wird, ebenso der Umstand, daß ein gewisser Herr in dem geräumten Quartier über Nacht zurückblieb, um Collisionen von außerhalb auf die Spur zu kommen, wenn man gleich weiß, daß durch seine aufopfernde Vermittelung diejenige Person endlich arretirt wurde, welche den Unfug in dem Hause veranlasst, ja, wir sind auch davon überzeugt, daß die in letzter Nacht erfolgte Flucht der verhafteten Dame aus dem Gefängniß einer Intrigue wird zugeschrieben werden. Indem wir unser Bedauern über derartige Insinuationen nicht verbergen und in der Leichtgläubigkeit, mit der das Publikum auf sie horcht, eine tiefere Immoralität als in der gerügten betrauern, sind wir doch des Glaubens, daß der größere und bessere Theil des Publikums sich davon nicht täuschen lassen und das Vertrauen sich erhalten wird, daß Niemand besser als unsere Obrigkeit für unsre wahre Wohlfahrt sorgt, welche in der Ruhe und dem Frieden aller rechtschaffenen Menschen besteht. Die Argwöhnischen und Böswilligen, das wissen wir, werden wir nicht damit zum Schweigen bringen, aber Heil dem Staate, wo das Auge seines Oberhauptes über das Wohl Aller wacht, wo vor seinem Throne der Kleinste wie der Größte nur Gerechtigkeit zu erwarten hat. Wo die Tugend auf dem Throne sitzt, kann die Immoralität keinen dauernden Wohnsitz im Lande haben.« 21. Kapitel. Staub Einundzwanzigstes Kapitel. Staub. »Und wir behalten Frieden, und Alles bleibt beim Alten,« schloß der Geheimrath Lupinus, diesmal aber in der Jägerstraße, und schob den grünen Augenschirm zurecht. Es lag eine sonntägliche Heimlichkeit über der geweihten Stube. Kein Dienstbote durfte sie aus freien Stücken betreten. Die Frau Geheimräthin besorgte selbst das Abstäuben der Bücher, und wenn sie der Hülfe einer gröberen Hand bedurfte, musste der Fuß, der zu dieser Hand gehörte, die Schuhe zurücklassen. Aber das Abstäuben und Reinemachen war ein Festtag, zu dem man die günstige Stunde ablauschen musste. Der Geheimrath behauptete, nichts sei so gefährlich der Gesundheit als der Staub; in demselben sammelten sich die Atome, die der organische Lebensprozeß nicht zu absorbiren vermöge, also das Todte, vielleicht das Tödtende. Warum also das aufregen, künstlich in Bewegung setzen, was sich selbst bereits, nach dem Gesetz der Schwere, vom Leben abgesetzt hat? Die Geheimräthin hatte dagegen nur zwei Einwendungen. Es sei doch besser, den Staub mit allen Vorsichtsmaßregeln für die Gesundheit, als da sind nasse Tücher, Handbesen, feuchter Sand und geöffnete Fenster, durch einen raschen, wohlgeleiteten Angriff zu bewältigen, als abzuwarten, bis eine zufällige Gelegenheit diesen Feind der Gesundheit von selbst in Aufruhr bringt. Demnächst, wenn er immer liegen bleibt, verderbe er die Bücher selbst, und darunter Raritäten, die unersetzlich wären. Das letzte Argument hatte angeschlagen. Wenn Menschen sterben, werden andere dafür geboren; seltene Ausgaben, Incunablen, gehen unter, um nie wieder geboren zu werden. Hinsichts des ersteren Argumentes hatte er manche Bedenken gehabt. Die Vorsicht, die man beim gefährlichen Ausstäuben anwende, könne besser darauf verwandt werden, daß man sich jeder heftigen Bewegung enthalte, was überhaupt zur Konservation des Lebens zuträglich sei. Denn das eigentliche Gift des Lebensorganismus seien die Affekte, weit gefährlicher als üble Angewöhnungen, selbst als Laster. Deshalb hatte er an den Fenstern doppelte Reiber anbringen und Tuchecken an die Seiten anschlagen lassen, auch eine Doppelthür vor das Vorzimmer, und die gesteppte Tuchdecke verhinderte jede Erschütterung beim Gehen. »Sie vergessen nur,« hatte die Geheimräthin erwidert, »daß Ihre Fußdecke mit dem Heu darunter selbst ein Staubreservoir ist, und daß Sie beim leisesten Auftreten diese feinen Atome aufrühren und gerade die, welche am gefährlichsten auf die Lunge fallen.« Der Geheimrath sparte im Leben die lauten Worte, da ein Wortwechsel auch mit sich selbst zu Affekten führen kann, aber wenn ein Thema ihn angeregt, ergossen sich auch die lang gesperrten Schleusen in langen Sermonen. Er erinnerte daran, daß die Müller und Steinsetzer ein verhältnißmäßig kurzes Leben führten, und gewöhnlich an der Auszehrung stürben, weil der feine Mehlstaub von den zerklopften und gefeilten Sandsteinen auf die Lunge falle. Es gebe auch einen Staub von gewissen Vegetabilien, Stein-Erden und Metallen, so feiner Art, daß ihn das unbewaffnete Auge nicht zu entdecken vermöge, und doch sei er höchst schädlich. So wirke der Arsenik in den Gruben. Gewöhnlich sage man, die Verbrecher die dort arbeiten, stürben an der vergifteten Luft, das sei aber uneigentlich gesagt, denn sie kämen um an dem atomisirten Staub des Metalls. Im Mittelalter und aus den Höhlen des Jesuitismus seien daraus grauenhafte Künste hervorgegangen, man habe durch künstlich präparirte Stoffe einen Staub erzeugt, der plötzlich oder langsam nach einer gewissen Berechnung die dazu erwählten Opfer getödtet. Dieser habe einen Brief eröffnet, und der Streusand, der ihm entgegen spritzte, sei Gift gewesen. Einem Andern – und er nannte sogar einen Kaiser-Namen, habe man die Kerzen, die in seinem Zimmer brannten, mit Arsenik versetzt, und das aussprühende Licht habe allmälig den vergiftet, der nach der Meinung einer Hofpartei, die das Dunkel liebte, zu viel Licht geliebt hatte. Die Geheimräthin hatte aufmerksam zugehört: »Und doch wollen Sie sich mit dem Staube vertragen?« Er hatte gelächelt: »Das sind Ausnahmen, meine Liebe, aus den Zeiten der Barbarei und Finsterniß. Feinde und Staub sind nur Produkte unruhiger Thätigkeit.« Dann wäre eigentlich das Beste, sein ganzes Leben lang schlafen! hatte seine Frau gedacht. Er aber hatte fortgefahren: »Wenn wir alles ruhen ließen ließen, was liegt, wäre das Leben noch einmal so glücklich. Weil die Menschen allesbesser machen wollen, rühren sie das auf, was die Vernunft und die Geschichte längst beseitigt hatte, und es kommt in neuer Form und Färbung zum Vorschein und quält uns aufs Neue, was unsere Väter und Urgroßväter schon gequält hatte. Die Geschichte des Menschengeschlechts, meine Theure,« pflegte er lächelnd hinzuzusetzen, »ist in einem kleinem Buch geschrieben, wenn wir das immer und immer wieder lesen, kennten wir alle seine Bestrebungen in das vetitum nefas, alle seine eitle Hoffnungen und Thorheiten und die Lehre, welches der einzige Weg zum Glück ist, sich zu finden in das was ist und – und nicht unnöthig Staub aufrühren.« Alsdann pflegte eine Lobrede auf den Horaz zu folgen, die aber von der Geheimräthin an einem bestimmten Wendepunkte mit einer praktischen Bemerkung auf etwas anderes übergeleitet ward. Der Geheimrath wusste es, lächelte, schwieg und war eigentlich zufrieden. In der Hauptsache aber waren sie zu einem Akkord gekommen. Seine Ausgaben des Horaz, die auf einer Reihe niedriger Regale wie eine Art Schirmwand um den Arbeitstisch standen, durfte die Frau wöchentlich einmal abstäuben; aber nur sie selbst und mit einem weichen Pfauenwedel. Sie nahm jeden Band einzeln heraus, trug ihn in das Vorzimmer und fegte ihn am geöffneten Fenster. Da lächelte er zufrieden, die andern Bücher, die hinten bis an die Decke die Zimmerwände füllten, sollten nur dann und wann, und nur ganz oberflächlich abgestäubt werden. Auch sollten dazu sonnige Tage abgewartet werden, weil die Sonne den Staub niederdrückt. Die Horazregale sollten dabei mit Leinentüchern überdeckt, und der Geheimrath selbst jedesmal vorher avertirt werden, um zu untersuchen, ob es nöthig sei. – Ob diese Bedingungen streng inne gehalten wurden, bleibt ein häusliches Geheimniß. Die letzte gewiß nicht, denn der Geheimrath hätte es nie für nöthig gefunden. Aber der Eifer der Geheimräthin musste nachgelassen haben; die Luft verrieth, daß die Fenster sehr lange nicht geöffnet worden. Der chromatische Farbenspiegel der Scheiben, und die Spinneweben an den Fensterecken gaben den vollgültigsten Beweis dafür, daß, wie alle Passionen, auch die des Reinlichkeitssinnes einem Wechsel unterworfen sind. Oder waren es andere Gründe? Grade diese Spinnen, der schillernde Glanz der Scheiben, der Duft des Unberührtseins war es, was dem Zimmer den Charakter sonntäglicher Heimlichkeit gab. Wohlverstanden der sonntäglichen Heimlichkeit einer alten deutschen Gelehrtenstube, in welche der Qualm des Tabaks noch nicht eingedrungen und den Büchergeruch noch nicht niedergedrückt hat. Und ganz zu dieser Stube, will man sagen wie die Seele zum Körper, oder die Spinne in ihrem Netze, passte die Gestalt des Geheimrathes, der den Kopf im Ellnbogen und den Ellnbogen auf einem Folianten in ihrer Mitte saß, wohlgefällig, zufrieden, schlau lächelnd. So hatte er das Wort gesprochen: »Und wir behalten Frieden und Alles bleibt beim Alten!« als ein Seufzer aus der tiefen Stille des Zimmers ihm antwortete. Der Geheimrath glaubte an keine Gespenster, er sah auch nach keinem, als sein schlauer Blick über das Regal, welches die Zweibrückner Horaze trug, auf die schweinslederne Hinterwand fiel, wo Jemand auf der Leiter einen Folianten in der Hand wiegte. »Gehören Sie auch zur Kriegspartei, mein Herr van Asten?« »Ich bin ein stiller Civilist, Herr Geheimrath,« war die Antwort. »Wozu beschweren Sie sich denn aber da mit dem Hugo Grotius? Sein de jure gentium gehört doch sonst nicht zu Ihren Studien.« Wenn der Geheimrath soweit hätte sehen können, würde er eine leichte Röthe auf des jungen Mannes Gesicht bemerkt haben. »Nehmen Sie's nur runter,« fuhr er fort, »Sie können's auch mit nach Hause nehmen, wenn's Ihnen nicht zu schwer ist, die Edition ist nicht selten, man kann sie bei den Antiquaren bekommen. Der Montesquieu steht auch noch angeschrieben.« Der junge Mann war von der Leiter gestiegen, den Folianten im Arm: »Wenn sie mir also erlauben –« »Aber nehmen Sie sich in Acht, Ihr blauer Frack ist von dem Grotius ganz staubig. Der hat zwar auch mal in einer Kiste gesteckt, wenn ich mich recht entsinne, einer Bücherkiste, und da wird er noch staubiger rausgekrochen sein, aber er wollte nur in Freiheit kommen, nicht zu einer jungen schönen Demoiselle. Aber Sie wollen doch nicht der Mamsell Alltag aus dem Hugo Grotius Vorlesungen hatten? Das Kind ist zwar gescheit, aber ich zweifle doch, daß ihr die Lektüre sehr plaisant sein wird.« Der Geheimrath war in ungewöhnlich guter Laune, der junge Mann schien außer Gewohnheit befangen. Indessen hatte er sich schnell gesammelt, während er den Staub vom Rock abklopfte. »Herr Geheimrath sind heiterer, seit Mamsell hier ist. Ihr Haus ward belebter. Stören Sie aber die vielen Gesellschaften nicht?« » Au contraire! Was so jetzt die Menschen allarmirt und auch sonst wohl bis zu mir drang, bleibt nun außer meinem Rayon. Die Herrschaften können das nun bequemer unter sich und mit meiner Frau abmachen.« »Sollte es nie in Ihren Rayon dringen?« sagte van Asten sehr ernst. »Wenn ich mich einschließe, das wollte ich doch mal sehen. Aber ei, ei, Herr van Asten, will die Romantik Sie nicht verlassen! Sie sehen da wieder eine Geistererscheinung.« »Die, welche ich sehe, Herr Geheimrath, sehen Viele mit mir. Dieser Herbst wird die Fluren, wo fröhliche Saaten gereift, mit Leichen und Blut decken.« »Sehn Sie mal,« sagte der Geheimrath, »was Sie alles sehen!« und wischte mit dem Läppchen die Dinte aus der Feder, die er dann sorgsam vor sich auf das Papier legte. Sein Gesicht bekam dabei einen immer, was man nennt glaueren Ausdruck, wie ein kluger Mann, wenn er Einen, der sich auch für klug hält, auf eine Sandbank abgesetzt zu haben glaubt. »Und diese Vielen, die mit Ihnen diese erschreckliche Geistererscheinung sehen, sind, kurios genug, dieselben, die vor Freude damals zitterten, als der Herr General Bonaparte, wie sie es nannten, die Hydra der Revolution niedergetreten hatte. Da sollten wir Andern mit ihnen hüpfen und springen vor Entzücken, denn sie sagten uns, es wäre ein Messias der neuen Weltordnung. Sehen Sie mal, wir thaten das nun nicht, denn wir entsannen uns, daß dieselben spring-und hüpflustigen jungen und alten Herren ein Zehn Jahr vorher ebenso gesprungen und gesungen hatten, als diese Hydra in Paris den Kopf erhob, und sie hatten damals auch darin einen neuen Messias und Weltbeglücker, und wer weiß was, entdeckt. Wir sprangen nicht, weil wir mit König Salomo wissen, es giebt nichts Neues unter der Sonne, aber wir ließen sie springen, weil wir wussten, sie werden schon müde werden. – Es ist Mancher müde geworden, mehr als müde. Da ich nun nicht in Verzückungen gerathen bin, nicht damals bei der ersten und nicht damals bei der zweiten Menschenbeglückung, warum soll ich denn jetzt in Ravissements des Zorns oder Patriotismus gerathen, weil diese selben Herren in ihrem Götzen nun plötzlich das Thier der Apokalypse entdeckt haben! Was kümmert mich Hannover. Im siebenjährigen Kriege waren die französischen Marschälle oft darin und brandschatzten, aber gerade nur so lange, als der große Friedrich Besseres zu thun hatte. Und wenn sie's ihm zu arg machten und er verdrießlich wurde, schickte er seinen Seydlitz oder einen Braunschweiger hinüber, und ließ sie wieder fortjagen.« »Es sind aber andere Zeiten. Wir haben keinen Friedrich mehr, und die Konstellationen sind furchtbar, Herr Geheimrath!« »Und der alte Lupinus weiß nichts davon! Nicht wahr?« Der Geheimrath nahm mit großem Wohlgefallen eine lange Prise. »Der Mortier, oder wie sein General heißt, hat Hannover mir nicht dir nichts besetzt, ohne uns zu fragen, und wir hatten es doch so halbweges, noch vom Baseler Frieden her, garantirt. Und er hat es gethan, um uns mit England aneinander zu bringen. Er sperrt die Flußhäfen gegen die Kolonialwaaren, und die Engländer sperren sie uns, daß wir unser Holz und unsere Leinwand nicht rausschicken können. Das giebt nun viel Jammer und Geschrei, aber das ist alles nichts als das Strohfeuer, womit man die Bienen aus dem Baume und die Fische aus dem Wasser lockt. Die ganze deutsche Nation hat auf uns gewartet, daß wir doch nun losschlagen würden. Man kann's in allen Zeitungen lesen, daß alle Biedermänner auf uns warten. Aber es giebt noch viel ungeduldigere Leute. Der Schwedenkönig ist wie toll umhergelaufen, und hat überall angeklingelt: Macht doch Krieg! Der russische Kaiser rüstet: Krieg partout! ruft er. Und ganz in der Stille rüstet Oesterreich. Darum sollen wir auch in die Falle gehen und auch rüsten. Aber wir gehen nicht in die Falle, und rüsten nicht. Denn Rüsten kostet Geld, und der Krieg bringt nichts ein, und was geht's uns an. Sehen Sie, der alte Lupinus hat doch auch etwas in die Zeitungen geguckt.« »Und wir, eingekeilt in diese Mitte! Ganz Europa in Waffen gegen einander, und wir –« »Sehen zu – wie sie sich schlagen und vertragen, und denken mit König Salomo: Alles ist eitel!« Walters Brust hob sich; es waren ernste Gefühle, die heraus wollten, aber er überwand sich –, es war hier nicht der Ort dazu. Nur ein Stoßseufzer brach es hervor: »Und der Brand in unsern eignen Eingeweiden!« »Ein Eimer Wasser drauf, lieber Walter. Ist probat!« Hatte der Gelehrte ein Sonntagsgesicht? Er, der nichts sah, was um ihn vorging, blickte er heute in die Seelenzustände eines Andern und fand sein Vergnügen darin, das Verborgene heraus zu schöpfen? – »Da steht nun wieder auf Ihrem Gesicht: Ach Gott, der gute Geheimrath Lupinus! Er weiß, woran die Verfassungen in Rom und Athen zu Grunde gingen, aber wie es im Preußischen Staat gährt und stockt, das sind ihm Böhmische Dörfer. – Wer wird denn gleich Einen verdammen, junger Herr, ohne das er ein bischen versucht hat, ihn zu bessern! – Oder zu untersuchen, ob denn nicht doch ein Lichtchen der Erkenntniß in ihm flackert! – Manche Fahne, die vor dem Heer des großen Königs flatterte, ist von den Motten zerfressen, das weiß ich, und die Monturen im Zeughause gehen in Plunder, wenn man sie ausklopft. Weiß auch noch mehr. Unsere Soldaten sind nicht Bonaparte's Soldaten. Und unsere Offiziere – weiß ich auch, man muß aber nicht alles sagen, was man weiß. Die eisernen Ladestöcke, durch die wir bei Mollwitz siegten, sind jetzt Gemeingut geworden, die Räder von unserm Fuhrwesen gehen aber noch in dem Geleise von Anno ehemals. Unser Schatz ist ausgepumpt, das weiß ich auch, und das Bischen, was unser junger König durch Sparsamkeit wieder hineinfließen lässt, löscht noch nicht den Durst. Es sieht auch in den Finanzen ganz kurios aus; unter dem Schimmel werden wohl noch manche harte Thaler liegen, aber man kratzt den Schimmel nicht ab, weil manches andre damit blos gelegt würde. Ja, ja, die Blöße fürchtet man, und hat daran ganz recht. Viele Schlösser sehen blank geputzt aus, schließen aber nicht mehr, und manche Mühlen klappern wohl, mahlen aber nicht mehr. Auch die große Staatsmühle macht noch dasselbe Geräusch, daß man's in weiter Ferne hört, und wunders denkt, was sie mahlen muß, aber wer in die Mehlkammer sieht, merkt, daß es kaum zur Noth hinreicht. Das kann nun von mancherlei herkommen. Etwa davon, daß man niemals vorher weiß, woher der Wind kommt, und wenn er da ist, erschrocken links und rechts rennt, und was links stehen soll, rechts stellt, und was rechts links. Auch kann die Mühle von alter Konstruktion sein, und in Holland und Amerika haben sie seitdem bessere Gänge erfunden. Und dann spricht man auch von der großen Staatsuhr, deren Räderwerk erst gar quer und verkehrt wäre, denn wenn einer nicht täglich sie stellte, so zeigte sie nie die rechte Stunde an. Das käme aber daher, weil kein Rad ins andre griffe, große und kleine, es ginge jedes für sich, die Räder der Minister, und kein Oberminister, der sie regulirte, und wenn sie auch mal regulair gingen, so hätten die Geheimen Kabinetsräthe wieder ihren aparten Schlüssel, und die Oberpräsidenten in den Provinzen wohl auch; und wäre mal, rara avis, alles egal und konform, dann schöbe ein Finger von ganz oben den Zeiger um eine Viertelstunde zurück, wodurch denn das ganze Räderwerk in Unordnung geriethe. Das ist nur etwas, es ist aber noch viel mehr.« Walter hatte mit steigender Bewunderung zugehört. »Und was ich nun thue? wollen Sie fragen. Da will ich Ihnen mit einem Dichter antworten, keinem alten, nein, einem allerneuesten, den ich auf meiner Frau Tisch fand, das ist der Herr Bürde aus Schlesien. Da lesen Sie es: Glücklich, wer im engbegrenzten Raume Seiner Heimat tiefe Wurzeln schlägt, Und, gleich einem wohlgediehnen Baume Fest steht, und die Aeste nur bewegt! Der die Lebens-Nothdurft nur begehret, Und, allein auf Gegenwart beschränkt, Was er heut erworben, heut verzehret, Und sich weder heftig freut, noch kränkt; Den die Welt zu sehen nicht gelüstet, Der mit Bessrem Gutes nicht vergleicht, Und, zur letzten Reise stets gerüstet, Sich geräuschlos aus dem Leben schleicht. Nur umsonst verdoppeln wir die Schritte, Nie erreichen wir das Ziel der Bahn, Immer stehn wir in des Cirkels Mitte, Und der Umkreis weicht, so wie wir nahn. Das sind noch Gefühle eines Dichters,« sprach er, das Buch fortlegend. »Der einer ersterbenden Welt angehört, wie sein Horaz,« sprach Walter für sich. Er nahm die Vorlesung als Zeichen zum Abschied, der Geheimrath hatte es aber nicht so gemeint: »Wenn eine Mühle ins Stocken geräth, glauben Sie, daß wir darum kein Brod mehr zu essen bekommen, und wenn alle Uhren unrichtig gingen, daß die Sonne sich darum auch einmal verspätet, aufzugehen?« Walter meinte, es sei doch eines Jeden Pflicht, dafür zu sorgen, daß seine Uhr richtig gehe. »Für seine eigene mag er sorgen, lieber Herr van Asten, aber nicht um die Rathhausuhr.« Lupinus sah ihn dabei sehr pfiffig an. Walter erröthete wieder: »Sie möchten unsern Staat wieder auf die Beine bringen. Da ließen Sie neulich einen Zettel fallen – warten Sie, wo hab' ich ihn gleich hingelegt? – Hier! Das ist wohl kein Excerpt, so mit frischer Dinte, recht frisch aus dem Herzen geschrieben: ›Daß ein Staat, der bestehen will, der Sitten, oder, wo diese fehlen, kräftiger Männer zur Ausführung kräftiger Maßregeln bedürfe, gewahrt Niemand. Die Augen gehen erst in der Noth auf.‹« Walter steckte hastig den Zettel in die Brusttasche: »Zu einem Briefe –« »So, also ein Brief! Da wollte ich Sie nur bitten, sich an den zu erinnern, welchen der junge Herr Gentz bei der Thronbesteigung an seine Majestät den König schrieb. Das war mal genial! Wie riß man sich darum! Da lag's doch klar, wie ein umgestürzter Pudding auf der Schüssel, wo's bei uns manquirte, was anders, besser nun gemacht werden sollte. Man brauchte nur zuzugreifen, gar keine Mühe sich zu geben, nur zu thun, zu decretiren, wie's der junge Herr Gentz den Ministern wies. – Haben sie's gethan? Haben sie zugegriffen? Nichts angerührt, 's ist Alles beim Alten geblieben. Und Herr Gentz? Ist er Minister, Kabinetsrath, Präsident geworden? Er blieb Kriegs- und Domainenrath, hatte niemals Geld, aber immer Schulden. Bis es ihm hier zu langweilig ward, und er fortlief, nach Oesterreich. Seine Sachen brauchte er nicht zu verkaufen, dafür sorgten schon seine Gläubiger; aber seine Grundsätze, die waren lange vorher schon versilbert. Na, an wen ist denn Ihr Brief gerichtet?« Da lag sein Geheimniß trocken an der Luft. Walter hatte bis da nur einen Stolz, als freier Mann unter den drängenden Verhältnissen zu stehen. Musste ihm der, von dem er es am wenigsten vermuthete, ablauschen, was er sich selbst noch nicht vollkommen eingestand! Lupinus musste seine innersten Bewegungen verstanden haben. »Junger Freund! Warum denn gegen sich selbst unwahr sein! Was die Freiheit ist, hat weder Plato noch Seneca erklärt, gewiß ist aber, sie giebt nichts zu beißen und zu brechen. Ein Dichter wollen Sie nicht werden, und ein Kaufmann auch nicht. Ganz recht, der eine kann Bankerott machen, und der andere verhungert, wenn nicht ganz, doch beinah. Also was bleibt Ihnen, als eine Anstellung suchen. Den Staat verbessern wollen, ist aber der schlechteste Anfang von einer Carriere.« Walter hatte sich wieder gesammelt: »Wenn ich nun aber doch so thöricht wäre, anmaßend, geben Sie meinem Willen einen Namen, welchen Sie wollen, ich protestire nicht dagegen, aber wenn ich denn doch in mir den Ruf fühlte, nach diesem Ziele zu streben, warum nicht anfangen, wie ich enden will?« Der Gelehrte sah ihn scharf an: »Weil Sie dann nicht zum Ziele kommen,« hub er nach einer Pause an. »Ein Mann, der seine Frau erziehen will, muß es ihr ja nicht sagen, so sagt man wenigstens, und wer den Staat verbessern will, muß es ja nicht merken lassen. Wollen Sie mein Recept wissen? 'S ist kein neues, uralt wie die Welt. Wenn man groß ist, muß man sich klein ducken, sich anschlängeln an das, was gilt. Meistens an Personen, zuweilen an Gedanken. Wenn's auch recht dumm ist, und man von Herzen drüber lacht, oder sich ärgert! – Lachen Sie immer und ärgern sich, nur bei zugeschlossenen Thüren! – Ohr und Auge aufhaben, aufgepasst auf alle Falten und Fältchen, und da bei guter Zeit ein Zeichen zwischen gelegt! Was kann man nicht in schwachen Stunden belauschen, und hat man erst die Schwächen eines großen Mannes weg, dann mit einiger Klugheit wird man ihm bald nothwendig. Und ist man ihm erst nothwendig, so ist man auch sein Herr. Vor dem Brausewind, der alles besser wissen, alles wegfegen will, verschließen sich solche Herren, auch wenn ihnen seine Ansichten gefallen. Sie denken, der kann dich mal selbst fortfegen. – Und die Herren am Ruder hier sind so affabel. An Protektionen soll's Ihnen nicht fehlen. Schreiben Sie eine Vertheidigung der Politik der Herren Kabinetsräthe. Man wird Sie nicht gleich zum Kriegs- und Domainenrath machen, aber ein kleines Pöstchen giebt's schon, vielleicht ein besseres, als mit einem Titel, so ein Sekretär in secretis –« »Und wohin führt das?« »Warten Sie doch! Ein klein Bischen Geduld nur, und ein Bischen mehr noch. Haben Sie erst Posto gefasst, Ihre Fühlfäden ausgestreckt, kennen Sie die Menschen und ihre Gedanken, was sich anzieht und was sich abstößt, wissen Sie, was noch feststeht und was schwankt, dann ist ja noch immer Zeit.« »Wozu?« »Was Sie wollen. Meinethalben, Sie werden schon was Gutes gewollt haben. Sind Sie der Mann am Steuer, und an Kapacitäten fehlt es Ihnen nicht, und ästimire auch Ihren Charakter, aufrichtig, dann – einen Schub, einen Fußstoß! Wie Sie's anfangen, daß der alte Plunder zusammenbricht, darum ist mir nicht bange. Nicht wie Coriolan und Catilina muß man an fangen. Cicero wusste, wo er sich bücken musste, und wo er grad aufrecht stehen durfte. –« Walter hatte seinen Hut ergriffen: »Daß Cicero's Name auf der Proscriptionsliste stand und sein Kopf aus der Portechaise fiel, würde mich vielleicht nicht abhalten, wie Cicero zu handeln, aber – mein Herr Geheimrath, ich habe ein anderes Vorbild aus dem Alterhum, von dem Ihr großer Horaz gesungen hat: Integer vitae –« » Scelerisque purus, « fiel der Gelehrte ein, und nahm wieder eine lange Prise. »Auch ein schönes Vorbild. Gar nichts dagegen zu sagen. Au contraire, aber dieser Integer vitae war nicht verliebt.« Da war abermals ein zweites Geheimniß, und von den poesielosesten Lippen trocken in die Luft gesetzt, ein so still in der Brust gehütetes, kaum sich selbst gestandenes, ein so zartes Kind, daß es in dieser rauhen Luft erstarren konnte. War dieser Bücherwurm heute ein Magier? In dem Augenblick öffnete sich die Thür, und der Kopf der Geheimräthin blickte herein: »Ehe Sie gehen, Herr van Asten, auf ein Wörtchen.« Die Thür ging wieder zu. Der Blick musste eine eigenthümliche Wirkung haben. Ihr Gespräch war unterbrochen, aber auch die sonntägliche Stille des Zimmers war gestört. Der Kater hatte sich knurrend aufgerichtet, und Staub wirbelte durch den Sonnen schein. Es blieb noch eine Weile still. Es war, als ob der Gelehrte sich schämte. Dem Eindringling hätte er nicht zurufen können: Noli turbare circulos meos! er selbst war ja aus seinen Kreisen getreten; das machte ihn befangen. Walter war es auch. Vor dem alten freundlichen Manne, der mit der Wünschelruthe seinen verborgenen Schatz berührt, hätte er sprechen mögen, wie ihm zum Herzen war. Es lag schon auf der Zunge. Da war es plötzlich erstarrt vor dem stechenden Blicke, das süße Geheimniß schien ihm vergiftet, ein Nebelschauer hatte einen Mehlthau auf die Blüthen gelagert. Er besann sich und sprach schöne Worte, die nicht der Ausdruck seines Gefühls waren: »Seine Träume gehören nicht dem Menschen allein, es sind gaukelnde Kinder aus anderen Welten. Sie haben einen berührt, der, lieblich gaukelnd, Einlaß forderte. Aber, – auch die süßesten Träume muß der Mann verscheuchen können, wo die Pflicht gebietet. Ich glaube meinen Gönner nicht versichern zu dürfen, daß dies schöne Mädchen, dem Sie gastlich Ihr Haus geöffnet, dem Ihre Gattin Muttersorge widmet, ihres Unglücks wegen mir heilig ist. Sie und ich, das ist ein langer Weg, den wir zu gehen hätten, bis wir uns träfen, und sie selbst vielleicht noch nicht –« Der Geheimrath wehrte mit beiden Händen: »Ist nicht mein Departement. Ist meiner Frau ihres. Da sprechen Sie, da schweigen Sie, wie Sie's für gut finden.« Er fasste seine Hand und sah ihn vertraulich, fast bittend an: »Lieber Walter, schweigen Sie lieber, es ist besser, daß Niemand etwas davon erfährt. Wir haben hier vielerlei Allotria getrieben. Gott weiß, wie ich mich fortreißen ließ. So ist's mit unsrer Stärke und unsern Entschlüssen! Rühmte mich, nichts solle in meine Kreise dringen, wenn ich meine Thür verschlösse, und plötzlich stand drinnen der Bonaparte, unsre Monturen, Finanzen, und gar eine Liebschaft von Ihnen, und rannten mich beinahe um unter meinen Büchern. – Vergessen Sie, daß Sie einen alten Mann in einer schwachen Stunde betroffen haben!« »Also das bleibt Alles unter uns,« schien das letzte Wort, als er Waltern gleichsam an die Thüre gedrängt, aus Besorgniß, daß von den Allotriis doch noch etwas über die Lippen kommen könnte. Aber dort legte er die Hand ihm noch einmal auf die Schulter: »Lieber Herr van Asten, um Sie ist mir nicht bange. So oder so, aus Ihnen wird was. Bleiben Sie ein vir integer. Rühren Sie nicht mehr Staub auf, als absolut nöthig ist. Aber das kann ich Ihnen wohl sagen: Wer nie in Italien war, nie das Albaner-Gebirge gesehen hat, mit keinem Fußtritt am See gestanden, und doch wie Sie den Tractus von Albalonga, die alte Latinerstadt in dem länglichen Bergrücken herausfand, der ist auch zu mehr berufen. Heyne und Wolf und Alle, im Grunde genommen, was sind sie uns! Graeca sunt, non leguntur; es hat etwas für sich. Aber Latium! Rom ist ewig. Und nun will ich's Ihnen sagen, habe Ihre Dissertation an Herrn Niebuhr geschickt. Er findet Sentiment darin – ästimirt Ihre Konjekturalkritik, wird einmal selbst an Ort and Stelle untersuchen – jetzt kommt er her und wird wahrscheinlich Banco-Direktor. Ist das, dann können Sie auf eine Anstellung bei der Bank rechnen, und Ihr Schicksal ist gemacht.« 22. Kapitel. Unterricht in der Erziehung Zweiundzwanzigstes Kapitel. Unterricht in der Erziehung. Wir waren nur am späten Abend, bei einem flüchtigen Besuch, in den Zimmern der Geheimräthin. Es sah jetzt anders darin aus. Die Möbel hatten neue Ueberzüge erhalten, manches Veraltete war einem neu Angeschafften gewichen. Die Schildereien waren geschmackvoller geordnet, das Silberzeug glänzte frisch aufgeputzt, und die Geheimräthin war selbst beim Drapiren der Gardinen beschäftigt, als van Asten eintrat. »Sie finden mich in einer ungewohnten Beschäftigung. Aber wenn man etwas ordentlich gemacht haben will, kann man es den Leuten nicht überlassen. Es hält schwer, unseren Ouvriers Geschmack beizubringen.« »Frau Geheimräthin erwarten Gesellschaft?« »Eine ganz kleine. Sie wissen, wie die großen, glänzenden mir zuwider sind, wo Alles auf den Apparat abgesehen ist, und Geist und Herz sich verstehen müssen.« »Man spricht schon in der Stadt von Ihren geistvollen Cirkeln.« Die Geheimräthin zuckte die Achseln: sie möchte wünschen, daß man weniger davon spreche, man könnte sein Haus doch auch nicht für Jedermann offen halten. Dennoch wehrte sie die Elogen schon schwächer ab, als Walter van Asten die Aeußerung einer geistvollen Prinzessin wiederholte, die sich gefreut, daß doch endlich einmal das Haus eines Offizianten sich der Bildung und Kunst erschlossen, da, wer nach Geist und Intelligenz verlangt, sie bis jetzt fast nur in den reichen Judenhäusern suchen musste. Die Geheimräthin lächelte: »Zu gütig von dieser geistreichen Prinzessin. Der Prinz, ihr Bruder, macht allerdings keinen Unterschied, ob er in der haute volée oder in den Judenhäusern ist; nur im Schooß seiner Familie sieht man ihn am seltensten.« Die Bemerkungen waren so hingeworfen, daß Walter darin die Aufforderung las, noch mehr zu erzählen, obwohl ihre Worte dagegen protestirten. Dieselbe Prinzessin hatte geäußert, es sei doch eine wirkliche Beschämung für unsern Adel, daß er der Kunst und Wissenschaft und dem Umgange mit den Geistern der Nation sich verschließe, die ihre Ehre ausmachen. Da hätte eine Fremde, die Staël nach Berlin kommen müssen, um ästhetische Cirkel zu bilden, und jetzt usurpire Prinzeß Biron von Kurland, was die Pflicht des einheimischen Adels sei. Die Geheimräthin machte einige Bemerkungen über die Herzogin von Kurland, daß sie sich merk würdig konservirt habe, schöner eigentlich noch als ihre Töchter, die doch auch sehr liebenswürdig wären. Aber ihre Gedanken waren wohl nicht bei der Herzogin, noch den Gelehrten und Dichtern, die sie in ihren Bann gezogen. »Prinzeß Radziwill hat auch gefragt, wer denn Schiller gefeiert, als er hier war? Ebenfalls wieder Juden, Fremde, Diplomaten, einige bürgerliche Häuser.« »Ich habe mir Schiller doch anders gedacht,« sagte nach einer Pause die Lupinus. »Er war so schweigsam. An Ehrenbezeugungen hat es ihm doch wirklich nicht gefehlt, aber es blitzte so selten das innere Feuer auf. Ich sprach zwei Mal mit ihm, und beide Mal redete er wie ein gewöhnlicher Mensch. Ob er uns vielleicht der erhabenen Sentiments, der berauschenden Gedanken nicht werth hält, die doch bei jeder geistigen Berührung aus einem Geiste wie der seine aufsteigen, emporwirbeln müssen, denke ich, wie die Lerche in den Aether!« »Es ist vielleicht nicht gut, daß man die Dichter mit Lerchen vergleicht.« »Sie wollen sie lieber mit Nachtigallen vergleichen,« sagte die Lupinus spitz, »die aus der Nacht ihrer Einsamkeit ihre Töne schmettern lassen, wenn es ihnen eben bequem ist, eigensinnig, qu'importe wer sie hört.« »Es mag auch manches Andere ihn verstimmt haben,« sagte Walter noch ungewiß, wohin die Geheimräthin steuerte. »Ihre Majestät die Königin hätte ihn gern hierher gezogen.« »Meinen Sie nicht auch, ein Genius wie seiner wäre in unserem Staube, unserer Kritik, an unserer Hofluft untergegangen? In Weimar thront er in einem Tempel, hier hätte er Tempeldienste verrichten müssen. Es fehlt hier an der rechten Sonne, meinen Sie nicht auch? Und noch immer so viel Rücksichten, Bedenklichkeiten. Es sieht Einer den Andern an, wenn er in die Gesellschaft tritt, und wenn er ihn noch nicht gesehen, fragt er zuerst, ob er auch zu ihm gehört? Mein Gott! Diese Geburts- und Standesunterschiede müssten doch verschwinden, wenn die rechte Sonne des Geistes in einem Centralpunkt auf Alle schiene, gleich wie in einem Saal die Kerzen an den Seitenwänden keinen Schatten werfen, wenn ein voller Kronleuchter Alle von oben beleuchtet. So könnte ich mir das Haus der Herzogin denken. Aber sie ist nur eine passagere Erscheinung, und dann ladet sie doch auch nur eine gewisse Elite ein, es ist auch noch manches andere da, doch passons là-dessus. Ebenso können die Kreise der geistreichen Jüdinnen nicht dominirend werden, es stößt sich doch Mancher daran.« Jetzt wusste van Asten, wohin die Geheimräthin steuerte. Warum sollte er nicht in ihre Wünsche ein gehen! Es war keine Sünde gegen die Wahrheit, daß er es für verdienstlich erklärte, wenn eine Dame ihr Haus als Vereinigungspunkt für die Notabilitäten der Intelligenz öffne, eine Dame, die mit klarem Verstande, Belesenheit, seiner Sensualität, und durch den Stand ihres Gatten und ihre eigene Geburt dazu wie berufen scheine. »Sie scherzen! Das könnte eine Jede, wenn sie wollte. Im Uebrigen, was ist es denn auch besonderes, wenn man etwas anders aussieht, als diese ehrbaren Hausfrauen, die vom Bügeln und Kinderwiegen noch echauffirt scheinen, wenn sie ihr Gesellschaftskleid angelegt haben. Denn allerdings kommt mir Manche vor, wenn sie nach dem Kuchenteller den Arm ausstreckt, als mache sie eine Bewegung, um ein Stück Wäsche über die Leine zu werfen. Und dann, lieber van Asten, Sie spielen auf meine Herkunft an. Ich bitte Sie, um Gottes Willen, nur davon nichts, daß ich von Adel bin. Ueber diese Unterscheidungen sind wir doch hinaus. Sie wissen, daß ich meinen Namen ohne Thränen einem Bürgerlichen hingeopfert habe. Lassen wir die Todten ruhen! Ja, ich will gern meine Schwäche bekennen, es ist mir manches Mal recht angenehm, ja es schmeichelt mir, wenn ich mich als den Mittelpunkt dieser heitern, von Geist und Witz funkelnden Kreise betrachte. Aber, – sie hielt einen Augenblick inne – aber, wenn sie gegangen, die Lichter ausgelöscht sind, überfällt mich doch wieder, ich weiß nicht was, ein inneres Gähnen, eine Hohlheit.« »Verlangen Sie von einem Spiel ein Resultat?« »Aber von all dem schwirrenden Geschwätz, von den Händedrücken, den zärtlichen Betheuerungen, was bleibt denn andres als – eine Lüge! Ich weiß recht gut, daß einige von den jungen Leuten, die am Tisch die Mäßigen gespielt, noch ins Weinhaus eilen, um sich zu restauriren. Es thun es auch noch Andere, Johannes Müller, Herr Dedel, auch vom Prinzen weiß ich es. In ihren Symposien machen sie sich herzlich über uns lustig. Und ich verdenke es ihnen nicht. Gährt und kocht es doch auch in mir, und wenn meiner Natur die erhitzenden Getränke nicht entgegen wären, könnte ich mit ihnen Vergessenheit trinken wollen. – Sie sehen mich verwundert an. Nein, nein, ich versichere Sie, ich empfinde das ganze Unbehagen, von dem man mir erzählt, daß es die Schwelger nach ihrem Rausche fühlen.« Van Asten sah sie betroffen an. »Warum stürzen Sie sich denn in die Lüge, wenn Sie ihre Wirkungen kennen?« Er verschluckte es. »Und wenn die Leute sich auch wirklich amüsirt haben,« fuhr sie nach einer Pause fort, »wie sie versichern, worüber war es! Die in der Ecke am lustigsten schienen, lachten vielleicht über mich, über mein Bestreben, ihnen einen angenehmen Abend zu bereiten. Vielleicht über den Geheimrath, unsre Bewirthung, Einrichtung, Gott weiß worüber. Alle sind meine Feinde, Neider, und ich musste doch beim Abschied die Hand ihnen drücken, und sie versichern, wie unendlich ich mich gefreut, sie bei mir zu sehen, warum sie so schnell forteilten. Darum Embrassements, nachgewinkte Küsse, Betheuerungen, daß sie seit lange keinen so vergnügten Abend verlebt. Und wenn sie auf der Straße sind, kaum in den Wagen gestiegen, gähnen sie, wie ich gähne: Gott sei Dank, daß der langweilige Abend vorüber ist.« Welcher Dämon war plötzlich in die seltsame Frau gefahren! Mit der Gefallsucht, über die er nicht Richter sein wollte, hatte sie begonnen, und aus ihrem Innersten quoll heraus, was sie ihm nicht hatte sagen wollen. War er der Magnet, der ihre verborgenen Gedanken und Qualen wider ihren Willen entlockte, oder welche unsichtbare Macht zwang sie, noch eben in der geschmückten Lüge sich schaukelnd, den hässlichsten Grund der Wahrheit herauszukehren! Es war eine Wahrheit der Empfindung; dieser verkniffene Zug um den Mund, dieser böslächelnde Blick konnten nicht heucheln. »Es ist das Mysterium der Natur,« sagte er, »daß oft, wo wir nicht säen, wir Liebe ernten.« »Und doch sind Liebe, Freundschaft, Entzücken und Begeisterung nur Masken für den Egoismus. Mit ihnen will Jeder so viel für sich herauspressen, als er kann. So lange es ihm gelingt ein Vergnügen sich zu verschaffen, so lange dauert die Freundschaft, die Liebe, der Fanatismus, die er auch grade so lange für echt und wahr hält, als der Reiz dauert. Ist der hin, das Thema erschöpft, wird uns die liebste Freundin, der beste Freund gleichgültig. Anstandshalber führen wir noch eine Weile die Täuschung fort, bis wir die Puppen fallen lassen, herzlich froh, wenn ein Zufall uns trennt.« Damit war das Gespräch zu Ende. Statt eines eitlen geistvollen Weibes stand neben ihm eine Salzsäule. Es war eine Verwandlung, zu der sie so wenig gethan als Lots Frau zu der ihren, nur ein Naturprozeß. Es wehte ihn kühl an; er hatte nichts mehr mit ihr zu reden, und doch forderte die Convenienz, daß er nicht schweigend ging: »Wenigstens,« äußerte er, »werde die Tochter des Kriegsraths Alltag, davon sei er überzeugt, nie vergessen, was sie der Geheimräthin Lupinus verdankt.« »Meinen Sie!« Die Salzsäule sah ihn mit einem ihrer eigenthümlichen Blicke an, und ihre Mundwinkel verzogen sich zu einem spöttischen Lächeln. »Grade so lange wird sie mich als die Schöpferin ihres Glückes enthusiastisch lieben, als sie sich in meinem Hause amüsirt und vergöttert wird. Vielleicht auch nicht einmal so lange. Nur bis sie auf eigenen Füßen steht, und von mir nichts mehr profitiren kann.« Er verbeugte sich: »Frau Geheimräthin haben sonst mir nichts zu befehlen?« »Adieu – doch! Warten Sie. Ich hatte ja einen Auftrag für Sie Richtig. – Springen Sie doch im Vorübergehen bei Alltags an. Die Kriegsraths werden sich vielleicht wundern, wenn sie von der Gesellschaft heut Abend hören und nicht eingeladen sind. Aber das geht doch nicht immer. Sie passen ja nicht.« »Ihre Eltern –« »Eben darum; nur Adelheid zu Liebe! – Wenn sie sehen, daß das Mädchen solche gewöhnliche Eltern hat!« »Der Vater ist doch ein geachteter Mann –« »Wer redet von solchen Aeußerlichkeiten. Sie passen nicht zu der gebildeten Gesellschaft. Wenn auch etwa Schadow und Hirt mit solchen Kern- und Naturmenschen sich zu unterhalten einen Spaß finden, so sind doch Andere, die daran keinen Spaß finden. Die Russische Fürstin hat zugesagt, und ich – Sie sehen mich in einer kleinen Aufregung und Spannung – ich hoffe auch, Jean Paul wird kommen.« »Jean Paul Friedrich Richter!« »Ich hoffe wenigstens. Man reißt sich so um ihn, daß man es wirklich einen glücklichen Augenblick nennen kann, wo man ihn frei trifft. – Indessen – wie gesagt also, gehen Sie zu den Eltern, und Sie werden schon die beste Art finden, es ihnen begreiflich zu machen. Es hätte sich erst heute so zufällig gemacht –« »Es wird schwer sein, die Art zu finden, die nicht beleidigt.« »So sagen Sie, nein sagen Sie, was Sie wollen, es ist mir im Grunde ganz gleichgültig. Was gehören Alltags zu Jean Paul!« Van Asten verneigte sich wieder, aber an der Thür rief ihn die Geheimräthin wieder zurück: » A propos, ich habe doch vergessen, was ich Ihnen sagen wollte. Mein Kompliment dem Lehrer, sie lernt unbegreiflich schnell, aber sie müssen ihr etwas mehr ästhetischen Elan geben.« Van Asten sah sie erstaunt an: »Ich finde in ihr ein Verständniß der Dichter –« »Ja, ja, das ist schon recht – das ist es aber nicht –« »Ihr Gedächtniß für alle wahrhaft schönen Stellen –« »Ist bewunderungswürdig. Das Fischerlied von Goethe hörte sie nur ein Mal von Ihnen, und am Abend recitirte sie es mir vor dem Zubettegehen. Admirabel! Das ist alles recht schön, auch kann sie die Glocke beinahe auswendig. Schiller war enchantirt davon. Ich hatte es nämlich so einzurichten gewusst, daß er sich mit der Berg an der Thür im Nebenzimmer unterhielt, als sie von den jungen Mädchen wie zufällig aufgefordert, einige Partien daraus deklamirte. Aber Sie hätten ihr Gesicht sehen sollen, als Schiller plötzlich in die Hände klatschte. Glauben Sie, daß, wenn ich sie vorher ihm vorgestellt, sie nur den Mund aufgethan hätte? Mit Schiller passirte das noch, aber wie benahm sie sich gegen Jean Paul! Da von der Gesellschaft unter den Linden will ich nicht sagen. Es war ja ein Gedränge um ihn, beinahe ein Skandal.« Walter lächelte. Der böse Leumund erzählte von zwei Freundinnen, die in derselben Absicht nach dem Sessel eilten, von dem der Dichter eben aufgestanden. Der Natur der Dinge nach konnte nur eine die glückliche sein und sitzen, wo der Dichter gesessen. Man behauptete, daß beide seitdem nicht mehr Freundinnen wären. Die Geheimräthin las aus Walters Lächeln den Sinn: »So seid Ihr alle, und Keiner besser als der Andere. Die Huldigungen edler Frauen für eine Größe, wenn sie Euch selbst nicht gelten, sind nur gut für Euren Spott. Nicht wahr, das charmante Triolett, was durch die Stadt läuft, ist von einem Ihrer Freunde, von dem Herrn Tieck oder Bernhardy, oder einem der Herren Schlegel?« »Unsere Freunde,« sagte er, »erkennen das echte Feuer, das aus diesem Genius in so wunderbaren Flammenwirbeln der Phantasie und des Humors gen Himmel prasselt, wenngleich der krause irdische Troß, den es mitnimmt, Vielen das Verständniß seiner Seelenaccorde erschwert.« »Wir nun bemerken nicht diesen Troß und sind darin glücklicher als die Herren der Schöpfung, denen so oft der Sinn über die verletzte Form verloren geht. – Das aber ist es, ja, ja, Herr van Asten, Sie wollen Ihrer Schülerin einen zu klassischen Sinn einimpfen. Sie dämpfen ihre Entzückungen – aber was ich sagen wollte, – ich habe ihn nachher mit Adelheid besucht –« »Jean Paul? – und mit Adelheid?« »Die Russische Fürstin war eben fortgefahren. Wir trafen nur noch vier Damen, die ihm einen Teppich gebracht, denn der Fußboden ist sehr kalt, weil er über einem Stall wohnt. Sie ließen es sich nicht nehmen, ihn selbst anzunageln, und während dem hatten wir die schönsten Minuten. Ach wie ganz anders ist Jean Paul als Schiller! Jeden Moment, jedes Blitzen eines Sonnenstrahls weiß er zu benutzen, es sprüht immer etwas Sinnvolles, Angenehmes. Wenn eine der Damen sich auf die Finger klopfte, beneideten die Genien sie um den Schmerz, den eine edle Seele bei einem Liebeswerk empfindet.« »Und die Damen erwiderten die Galanterien?« »Es scheint wirklich ein Pfingstgeist in unsere Landsmänninnen gefahren. Denken Sie, selbst die Eitelbach, wie berauscht von seiner Nähe, ward witzig. Sie sprach etwas, was im Hesperus stehen könnte.« »Oder vielleicht schon darin steht.« »Gleich viel, es ist eine Magie, die alle in seiner Gegenwart über sich selbst erhebt. Ich ließ ihm durch Adelheid ein Bouquet überreichen.« »Gewiß mit Worten, die im Titan einen Ehrenplatz fänden.« »Es war, meine ich, keine üble Phrase, eine Phantasie, die mir am Morgen eingefallen war. Sie hatte sie auch ganz gut auswendig gelernt, eine Art Streckvers. – Sie trug einen Kornblumenkranz im Haar.« »Kornblumen! –« »Natürlich künstliche; die Kornblumenzeit ist ja vorüber. Sie sollte mir recht natürlich kindlich aussehen. Aber sie sprach so hölzern, ich möchte sagen gedehnt. Mir ward schon ängstlich zu Muthe, und sie war kaum in der Mitte, als die Eitelbach den Schrei ausstieß. Sie nämlich war es, die sich mit dem Hammer auf den Finger geklopft hatte. Da sprang Jean Paul vom Sopha und küsste ihr das Blut vom Finger.« »Was eine unangenehme Unterbrechung gab.« »Stellen Sie sich vor, Adelheid war nun so in Confusion, oder was war es, sie hatte den Streckvers vergessen, überreichte ihm, wie ein Bauermädchen, den Strauß und sagte: Die Blumen bleiben ja, was sie sind, auch ohne Worte.« »Der Dichter wird durch ein Impromptu die Verlegenheit ausgeglichen haben.« »Das ist es eben, er sprach so wunderschön, in lauter gewählten, ich möchte sagen selbst in Streckversen; aber sie antwortete ihm, als wäre er ein Mann wie andere, ganz offen, naiv, dreist. Es schnitt mir durch die Seele. Das Mädchen empfand so gar nichts von der Veneration. Jeder giebt sich doch Mühe, so viel er wenigstens kann, sie an den Tag zu legen.« »Jean Paul wird ihr verziehen haben.« »Ich aber nicht,« fiel die Geheimräthin, scharf ihn anblickend, ein. »Was soll er von mir denken, wenn nicht einmal meine Umgebung das Interesse an den Tag zu legen weiß, das er bei den unbedeutendsten Frauen erregt. Unbedeutend ist Adelheid nicht, es muß also doch etwas an ihren Lehrern liegen –« »Oder an ihrem Charakter.« »Den ich in diesem einen Punkt zu biegen mir erlauben werde, mein Herr van Asten. Uebrigens wird sie Gelegenheit haben, ihn in diesem Augenblick zu zeigen. Da ich heut Morgen durch Doktor Selle erfuhr, daß die Gesellschaft der Kurland ausfällt – sie ist an den Hof geladen – also Jean Paul frei ist, schickte ich Adelheid zu ihm, ihn zu invitiren.« »Das junge Mädchen –« »Mit dem Bedienten.« »Aber – er logirt – was man gewöhnlich eine Kneipe nennt.« »Ich weiß es, unten ist eine Bierstube, auf dem Hofe eine Hufschmiede. Ist er darum weniger der Dichter?« »Und in der frühen Stunde. In Pantoffeln und Schlafrock, die Pfeife im Munde –« »Empfängt er Fürstinnen, denen die Stunde und das Kostüm nicht unanständig erscheint, wenn es gilt, dem Genius die Huldigungen darzubringen, würdig des Mannes, welcher so die wahre Frauenwürde erkannt hat. Adelheid wird davon nicht sterben, beruhigen Sie sich, wenn sie sich einmal selbst überwindet. Wir müssen uns Alle überwinden, das – ist die Aufgabe unseres Lebens. Morgen aber kommen Sie etwas später zur Lektion, Herr van Asten, wir müssen ausschlafen.« Als er die Thür öffnen wollte, trat Adelheid ein. »Kommt er?« rief die Geheimräthin. »Er kommt!« Sie flog der Geheimräthin an den Hals, die ihre Locken streichelte und ihre Stirn küsste. »Ich wusste es, einem so schönen Mädchen konnte er nichts abschlagen.« »Ach, hätten Sie ihn gesehen, wie ich ihn sah, liebe – Mutter,« – das Wort kam etwas zögernd über die Lippen. »Mit welchem Herzklopfen ich die kleine, steile Treppe hinaufstieg, aber es war heut alles ganz anders. Wie er mir schon entgegentrat! Er ist ein herrlicher Mann! – Ach Herr van Asten, bald hätte ich Sie übersehen! O gehen Sie noch nicht fort, bleiben Sie, Sie müssen es auch hören –« Sie reichte ihm die Hand: »Ja, wie man sich in dem Menschen täuschen kann. Neulich kamen mir alle seine Reden so künstlich vor, und daß er das zuließ von den Damen. Mir fiel einer von den Götzen ein, von denen Sie mir aus Indien erzählt, die sich umherrollen lassen, und ihre Sklaven liegen auf der Erde. Verzeihen Sie mir, Mama, ich konnte mich kaum zurückhalten aufzulachen, er kam mir so unmännlich, albern vor, wie er auf dem Sopha ruhig die Huldigungen hinnahm, und nichts dafür gab, als blumigte Reden. Aber heut trat er mir mit einem frischen, kräftigen ›Herein!‹ entgegen, schon angekleidet. Er fasste meine Hand, als ich Ihre Bitte kurz aussprach, aber nicht so süß wie neulich, es war wie ein Mann dem andern die Hand schüttelt. Er hörte mich freundlich an, und sprach dann: ›Sagen Sie Ihrer Pflegemutter, ich nehme ihre Einladung mit Dank an und werde kommen, ich danke Ihnen aber, mein liebes Kind –‹ doch das thut nichts zur Sache –« Aber die Geheimräthin wollte mehr, sie wollte alles wissen, was Adelheid nicht wiedersagen wollte. Vor einem Genius verstummen alle Rücksichten. »Er fuhr mit der Hand über meine Stirn. Dabei sah er mich ungemein freundlich an. ›Sie sind ein wahrhaftes deutsches Mädchen!‹ Das kann ich wohl wiedersagen ohne zu erröthen, aber was er nachher sprach, wie er sich ein deutsches Mädchen, und wie er sein großes Vaterland sich denke und es liebe, ach da müsste ich ja selbst eine Dichterin sein. Ich dachte an Sie, Herr van Asten, wissen Sie noch, als Sie bei der Geschichte der alten Kaiser aus Schwaben in Feuer geriethen, es war wie ein großes Bild, das Sie in die Luft malten, und ich sah alles leuchten wie Flammen und Abendroth, wenn Sie mit Ihrem Finger Kreise durch die Luft zogen: Da beginnt die deutsche Glorie auf dem Berge Hohenstaufen, dann fuhren Sie mit dem Finger im Zickzack durch ganz Deutschland, jetzt nach Italien, nach Asien, ich sah deutlich den reißenden Fluß mit den schönen Bäumen, in dem der Kaiser Barbarossa ertrank, dann fuhren Sie hinüber nach Sicilien, Sie zeigten das Blutgerüst, auf dem der edle Konradin verblutete, und endlich wiesen Sie nach dem Berge in Thüringen, und schlossen: Das war Deutschland und da ruht seine Zukunft! Und was Jean Paul sprach von der Auferstehung der freien, großen Nation, der wir freudig entgegen leben sollten, uns vorbereitend in Tugend und Sitte und reinem Natursinn, da stand mir Ihr Bild wieder klar vor meiner Seele.« »Daß es Ihnen nie untergehe,« sprach rasch der junge Mann. »Ich irrte mich nicht in ihm. Leben Sie wohl!« »Auf Wiedersehen, heute Abend. Ich selbst will Sie ihm vorstellen.« Der Lehrer sprach einige undeutliche Worte. Die Geheimräthin stotterte: »Herr van Asten sei wohl heute behindert, da er von ihrem Manne so lange aufgehalten worden.« »Mama, haben Sie ihn nicht eingeladen?« fragte Adelheid verwundert, als sich die Thür schloß. »In die Gesellschaft passt er doch nicht.« »Mein Lehrer den Sie selbst so hoch schätzen?« »Es ist nicht deswillen. Aber er ist zu unansehnlich.« »Unansehnlich!« »Jean Paul freut sich an schönen Gesichtszügen. Van Asten ist doch eigentlich hässlich.« »Hässlich!« rief Adelheid mit Schaudern und schien sich zu besinnen. »Das ist mir nie eingefallen, daß van Asten hässlich sei. Daran habe ich überhaupt nie gedacht.« »Was auch recht gut ist, liebes Kind,« entgegnete lächelnd die Geheimräthin. »Und überdem ist er nichts in der Gesellschaft.« 23. Kapitel. Man muß gelten wollen Dreiundzwanzigstes Kapitel. Man muß gelten wollen. Die Vorbereitungen zu dieser Gesellschaft schienen uns vorhin doch schon fertig; es musste indeß nicht so sein, wenn wir gegen Mittag eine Scene im Speisesaal der Geheimräthin belauschen. In der Mitte am Tisch stand Adelheid vor einem Salatnapf, und neben ihr, mit prüfendem Blicke, jede ihrer Bewegungen beobachtend, die Geheimräthin. Um Adelheids Augen war eine Binde geknüpft. Sie übte sich, den Salat zu mischen, die Eier zu zerdrücken, Oel und Essig aufzugießen, ohne diese Ingredienzien zu sehen. Aber die Geheimräthin hatte Flaschen und Eierteller an einen bestimmten Ort gestellt, und wenn Adelheids Arm irrte, gab sie durch leise Töne ihr ein Zeichen. Einige Schüsseln zur Seite gesetzt, deuteten darauf, daß dieses Experiment schon mehrmals versucht war. Jetzt schien es zu gelingen. Der Salat kräuselte sich im Napf, doch verriethen Adelheids Bewegungen noch immer eine innere Aengstlichkeit, und wer unter die Binde hätte sehen können, würde eine Thräne in ihrem Auge entdeckt haben. »Nur etwas ruhiger,« sagte die Wirthin, »und dann geht es vortrefflich.« »Aber ich werde doch nicht mit der Binde zu Tische gehen,« entgegnete das junge Mädchen. »Du wirst aber, wenn Du den Salat machst, gen Himmel, das heißt an die Decke blicken. Es wird sich irgend eine Gelegenheit finden, Dich aufzufordern, ein Gedicht, am besten eines von ihm, herzusagen, Du geräthst, von der Schönheit hingerissen, in Affekt, und blickst in die Wolken. Während Du recitirst, stellt der Bediente den Salatnapf vor Dich und flüstert Dir zu: Fräulein, der Salat! Du lässt Dich nicht stören und unterbrechen, greifst aber unwillkürlich nach Löffel und Gabel, und ohne einen Blick hinunter zu werfen, verrichtest Du mechanisch die Arbeit.« »Aber die Liane aus dem Titan ist ja, wie Sie mir gestern vorlasen, wirklich in dem Augenblick blind, und der hässliche Minister, ihr Vater, zwingt sie nur zu der Komödie, damit die Gesellschaft glauben soll, seine Tochter könne noch sehen. Herr Richter und alle unsere Gäste wissen aber, daß ich sehen kann, warum soll ich denn nun eine Fertigkeit zeigen, von der jeder Mensch weiß, daß sie eine außerordentliche Abrichtung kostet? Die Gäste werden wahrscheinlich den Titan gelesen haben.« Adelheid hatte die Binde abgerissen. »Das setze ich sogar voraus,« sagte lächelnd die Lupinus. »Sie werden sogleich wissen, was es bedeutet. Ach eine Liane! wird es von Mund zu Munde gehen. Du liebst ja nicht die groben Komplimente, dies, hoffe ich, soll eines der feinsten sein, das ihm in Berlin begegnet.« Adelheid kam das Ganze mehr wie eine Beleidigung als wie ein Kompliment vor gegen den großen Mann. »Du kennst nicht die Welt und noch nicht die großen Männer,« seufzte die Geheimräthin. »Gerade wer übersättigt ist von Lob und Bewunderung, ist am empfänglichsten für die kleinen Aufmerksamkeiten. Kann man Jean Paul noch mehr mit Huldigungen überschütten, als es die Damenwelt hier gethan! Der Hausknecht schimpft schon, wo er wohnt, über die vielen verwelkten Blumen, die er täglich in die Müllgrube kehren muß, und glaubst Du, daß wir ihm eine Freude machten, wenn wir ihn wieder mit einem Blumenregen überschütteten? Er würde das hinnehmen als etwas, was sein muß, und denken: wenn Ihr nichts weiter könnt! Aber eine solche versteckte Anspielung muß ihm schmeicheln, eben weil er recht gut weiß, welche große Vorbereitungen es gekostet hat.« »Und warum muß ihm denn geschmeichelt werden?« »Weil er ein Mensch ist wie andere.« »Und warum muß man überhaupt schmeicheln?« »Weil wir leben wollen.« Adelheid sah sie groß an. Sie schien sagen zu wollen: ich schmeichle Niemand und lebe doch. »Weil Du jung und hübsch bist,« antwortete die Geheimräthtin auf den unausgesprochenen Gedanken, »darum ist man gegen Dich aufmerksam. Wenn Du nicht mehr jung und hübsch bist, wirst Du Dich schminken müssen. Es giebt mancherlei Schminke. Je älter man wird, mein liebes Kind, um so mehr Arbeit hat der Mensch, denn um so mehr muß man die Schwächen der Anderen studiren, um vor ihnen zu gelten.« »Warum muß man denn gelten wollen!« Es entfuhr ihren Lippen; sie wusste sich kaum den Sinn der Worte zu sagen und hätte sie gern wieder verschluckt, als die Pflegemutter sie anschielte. »Ja warum lebt man! Der Philosoph fehlt noch, der uns die Frage beantwortet.« Es entstand eine Pause. Die Salatnäpfe wurden vom Dienstmädchen fortgeschafft; die Geheimräthin brachte die Tafel wieder in Ordnung, putzte die Möbel und richtete oder vertauschte die Kupferstiche an der Wand. Adelheid war emsig über eine weibliche Arbeit gebeugt, es schien, um ihr Gesicht zu verbergen. Vielleicht hatte der scharfe Ton der Pflegemutter sie verwundet. Es klang davon noch etwas in der kurzen Frage wieder: »Kam das auch von Deinem Lehrer?« »Was, Mama?« »Daß man nicht soll gelten wollen! Herr van Asten ist ein Philosoph, der sich die Welt konstruirt, wie ein Dichter sie ansieht. Nicht wahr, hat er Dir nicht gesagt, jeder Mensch soll gar nicht scheinen wollen, sondern nur sein, was er ist? Das klingt hübsch, aber die Menschen sähen sehr häßlich aus, wenn sie nichts thäten, um sich zu verschönern. Davon, mein Kind, macht Keiner eine Ausnahme.« »Er selbst will gewiß nicht mehr scheinen als er ist –« »Sprich es nur aus, was Du verschluckst, Du meinst, er wäre sogar noch besser, als er scheinen will. Nicht wahr, denkst Du es nicht bisweilen, wenn er in einer begeisterten Rede plötzlich inne hält, als wolle er etwas nicht sagen aus Bescheidenheit, wenn er die Augen abwendet, rasch auf ein anderes Thema übergeht! – Und wenn er nun damit nichts wollte, als daß Du glauben solltest, er wäre und wisse noch weit mehr, als Du denkst?« Adelheid sah sie groß an: »Dann wäre er ja ein abscheulicher Mensch!« »Nicht schlimmer als Andere. Ja, er thäte gewissermaßen nur seine Pflicht. Ein Arzt, ein Prediger und Lehrer, wenn sie wirken wollen, müssen einen Glauben an ihre Vortrefflichkeit um sich verbreiten, damit ihre Patienten und Schüler an sie glauben.« »Er brauchte es gewiß nicht.« sagte Adelheid. »Da hast Du gewissermaßen wieder Recht. Er war ein guter Lateiner, wie mein Mann sagt, er hätte nur einen gewissen Klassiker zu ediren brauchen, und eine Anstellung und Anerkennung hätte ihm nicht gefehlt. Aber man sagt, das gilt jetzt nicht mehr viel. Da wandte er sich den jüngern Geistern zu, die aus der Natur, veralteten Poeten und der Mystik, Gott weiß welche Schätze zu graben vermeinten. Abgestandene Aufklärung nannten diese jungen Genies die Werke, durch welche jene Männer, die vor ihnen berühmt waren, ihren Ruhm gewonnen. Auf dem Wege war kein Platz mehr für sie zur Geltung zu kommen. Van Asten wollte auch ein Dichter sein.« »Das hat er wieder aufgegeben, liebe Mutter. Er sagte mir, wer fühlt, daß seine Begabung für die Poesie nicht ausreicht, soll davon bei Zeiten abstehen.« »Sehr vernünftig. Von der ganzen jungen Schule hat noch kein Einziger eine Anstellung erhalten. Herr Iffland will auch ihre Theaterstücke nicht zur Aufführung bringen. Es hat einen glänzenden Schein, mein Kind, aber es gilt nicht. Darum hat Dein Herr van Asten sich wieder auf Anderes geworfen. Er will ein selbstständiger Mann, ein Charakter sein. Er hat sich von seinem Vater getrennt, der ein angesehener reicher Mann ist, und will sich selbst sein Fortkommen verschaffen. Wenn es ihm gelingt hat er recht. Das ist die Aufgabe des Genies, aus sich heraus seine Welt sich zu erschaffen. Sein Anfang ist recht hübsch. Er tritt nicht auf wie ein junger Kandidat, der mit gekrümmtem Rücken um die Erlaubniß bittet, ein Wort mitsprechen zu dürfen, sondern er geht aufrecht und spricht wenig, kurz, aber entschieden. Das frappirt auch Vornehmere, und man fragt, wer er ist? Ich will ihm nur wünschen, daß es ausreicht. Aber ich fürchte, es wird nicht ausreichen. Gute Privatstunden geben, und dann und wann eine gute Abhandlung in den Journalen drucken lassen, damit erlangt ein junger Mann keine Bedeutung. Er thäte noch immer am gescheitesten, wenn er zu seinem Vater ins Komptoir zurückkehrte. Wenn man einmal der Erbe von van Asten und Kompagnie wird, kann man sich schon bequemen, ein paar Jahre am Ladentisch zu stehen.« »Walter!« »Dann würde er Dir wohl weniger gelten?« »Das nicht, aber –« »Vor den Leuten würde er an Geltung verlieren. Ach mein Kind, es steht Keiner so hoch, daß er nicht Alles verliert, wenn er vor den Leuten nicht mehr gilt; Kaufleute und Könige, Gelehrte und junge Mädchen. Warst Du etwa eine andere, als Du in dem schlechten Hause betroffen wardst? Benahmst Du Dich wie die Mädchen dort, trugst Du Kleider wie sie, blicktest Du frech die Männer an? Nichts von alledem, Du warst die tugendhafte sittsame Adelheid, die Du vorher warst und jetzt bist, aber Du galtest vor den Leuten für ein Mädchen wie die andern, und aller Deiner trefflichen Eigenschaften ungeachtet, wärst Du auf ewig verloren gewesen –« »Wenn Sie nicht meiner sich erbarmt hätten.« Man thäte der Geheimräthin Unrecht, wenn man glaubte, daß sie mit dem langen Eingang nur eine neue Dankopferung bezweckt habe. Im Gegentheil, sie liebte nicht Affectscenen, wo das Herz auf dem Präsentirbrett liegt. »Ich habe nichts für Dich gethan damals,« sprach sie mit einer Ruhe, welche die Aufwallung entschieden zurückwies. »Du wurdest nur dadurch gerettet, weil der Zufall Dich in mein Haus führte. Das Deiner Eltern ist gewiß ein sehr ehrbares, aber Dein Vater und Deine Mutter haben wenig Umgang mit der Gesellschaft. Wenn Sie Dich auch noch so behütet und eingeschlossen, Du hättest doch einen Flecken behalten. Die Dich gekannt, wussten freilich, was Du warst, die Andern aber hätten gedacht: schade um das arme Mädchen, sie lebt nun so zurückgezogen, führt sich so sittsam auf, und thut alles was sie kann, den Verstoß wieder gut zu machen, sie ist auch vielleicht ohne eigene Schuld, aber sie war doch einmal in dem Hause, und das vergisst man nicht. So argumentirte der Legationsrath, und ich gab mich gefangen, und Deine Eltern endlich auch. Und hatte der Treffliche nicht Recht? Ist nun nicht Alles gut? Man reißt sich um Dich. Bist Du eine andere geworden als damals in der kleinen Wohnung am Gensd'armenmarkt? Habe ich Dich besser gemacht, erzogen? Ich bin weit von der Eitelkeit entfernt mir das anzumaßen; ich weiß sogar, daß Du ein Charakter bist, der sich eigentlich nicht erziehen läßt, der sich aus sich selbst herausbildet. Was Du nach meinem Willen thust, geschieht nur aus Dankbarkeit, und Du behältst noch Deinen Willen. Aber vor der Welt bist Du eine andre, Du giltst, ich sage nicht für tugendhast, davon ist nicht mehr die Rede, aber vielleicht für mehr als Du jetzt schon bist, Du bist ein enfant gaté der Modewelt, alles, weil Du in einem Hause lebst, was Geltung hat. Ja, mein liebes Kind, wer unter den Menschen leben will, muß vor ihnen gelten wollen.« Die Geheimräthin wühlte mit einem kalten Eisen in einem warmen Herzen. Es war nicht das erste Mal, es geschah auch nicht zufällig; sie meinte auch, nicht mit grausamer Absicht. Um fest zu werden für das Leben vor uns, muß man jeden Augenblick über das hinter uns klar sein, war ihr Argument. Auch Adelheid wiederholte nur, was sie schon tausendmal gesagt, von dem Schutzengel, den sie gefunden, dem neuen Leben, welches sie in diesem Hause angefangen, wie sie sich jedesmal strafe, wenn sie dem Willen ihrer Retterin entgegen handelte, wie Alles hier zu ihrem Glücke ausschlage. »Und doch wünschtest Du Dich schon fort!« »Nicht doch! nicht doch!« Adelheid küßte mit Heftigkeit die Hand der Lupinus. »Du bist unruhig. Hättest Du wieder beleidigende Aeußerungen gehört?« »Im Gegentheil, liebe Mutter, das ist alles überwunden, selbst der schreckliche Gedanke, daß ich in die Zeitungen kommen musste, auch das ist nun vorüber. Als wir neulich durch die Nebel auf der Wiese fuhren, und die Sonne ging dann auf, und sie verdampften, bis alles, alles klar war, da fühlte ich mich wie aufgelebt. Das Gras, die Büsche und die Blumen sind doch nicht Schuld daran, dachte ich, daß der häßliche Nebel sie belegt.« Der Geheimräthin prüfender Biick war noch derselbe: »Und Dir ist doch etwas! Du kamst so echauffirt zurück. Du kannst Dich nicht verstellen. Ist er Dir wieder begegnet?« Adelheid nickte nur mit dem Kopf. »Wo?« »Als ich in den Thorweg zu Herrn Richter einbog, glaubte ich ihn um die andere Ecke kommen zu sehen, ich hoffte, er hätte mich nicht bemerkt. Und darum war es mir lieb, daß Herr Richter mich länger aufhielt. Aber als ich heraustrat, und wirklich, ich hatte ihn in dem Augenblick ganz vergessen über den herrlichen Mann, da –« »Unterstand er sich, Dich auf offener Straße anzutreten!« »Nein eigentlich nicht. Er stand am Eckhause, wo ich vorbei musste, mit gekreuzten Armen, wie ein Träumender.« »Und als Du vorbeigingst?« »Mama, ich glaube beinahe, ich hüpfte vorbei, so wohl war mir in dem Augenblick und ich sah ihn erst, und er gewiß mich auch, als ich beinahe an ihn stieß.« »Und –« »Ich weiß nicht, stieß ich einen Schrei aus, aber es war gewiß nicht laut, ich fuhr zurück –« »Und er?« »Vielleicht sagte er auch etwas. Das weiß ich nicht mehr. Aber der Blick, den er auf mich warf, verfolgte mich.« »Unerhört! Ließest Du ihn nicht durch den Bedienten zurecht weisen? Er ist ja ein fürchterlicher Mensch.« »Den armen kranken Johann, der sich nur so hinschleppt –« »Du hättest den ersten besten Polizeimann oder Soldaten anrufen sollen.« »Nein, theuerste Mutter, lassen Sie mich lieber nie mehr ausgehen ohne Ihre Begleitung. Ich bitte Sie recht dringend, inständigst darum. Ich hätte wohl den Muth, ihm Rede zu stehen, wie er verdient, aber –« »Drei Mal hatte er ja wohl die Unverschämtheit, sich anmelden zu lassen, seit er aus dem Arrest ist?« »Das dritte Mal gerade, als Sie zum Polizei-Präsidenten gefahren waren.« »Da ist auch keine Abhülfe,« sagte die Geheimräthin kopfschüttelnd. »Der Präsident meinte, die paar Wochen, die man ihn wieder eingesperrt, seien das Aeußerste, was man thun könne. Denn von der Insulte gegen Dich ist nicht die Rede gewesen, nur weil er maskirt auf der Straße erschienen und mit der Wache seinen Spott trieb! Aber, mit uns treibt er täglich seinen Spott, sagte ich, er verfolgt im Theater, auf der Straße meine Pflegetochter, er dringt in mein Haus. Wer schützt uns? Der Herr Präsident hatten keine Antwort, als, er bedaure, daß wir keine Bastille hätten und keine lettres de cachet für Personen, die uns unbequem sind.« Adelheid senkte die Augen: »Was that er uns auch eigentlich, was die Obrigkeit verbieten kann? Andre fixiren mich auch im Theater. Er wollte in unser Haus, aber bei hellem Tage, er klingelte und ließ sich ordentlich melden. Er schrieb einen Brief an mich, aber wir schickten ihn uneröffnet zurück. Wir können dem Richter nicht einmal angeben, was er will.« »Sollen wir warten bis er eine Leiter anlegt, oder Nachts übers Dach einbricht?« »Neulich, als Sie fortgefahren waren, hatte er mich durch das Flurfenster gesehen, und doch respectirte er die Unwahrheit, die der Bediente auf Ihren Befehl sagte: ich sei nicht zu Hause. Johann hatte die Thür schon geöffnet, er brauchte nur den Fuß vorzusetzen, ihn mit dem Ellenbogen zurückstoßen und wenn er seiner Tollheit nachgehen wollte, war er Herr im Hause. Es mag in dem Augenblick auch so etwas in seinen Sinnen umgegangen sein. Die Arme auf der Brust gekreuzt, stand er eine Weile auf dem Flur und sein Auge schien in die Dielen zu brennen. Da hab ich auch einen Augenblick gezittert. Plötzlich rief er: ›ich werde sie ein ander Mal zu Hause finden!‹ und ohne sich umzusehen, stürzte er die Treppe hinunter. Es kann doch also keine böse Absicht sein.« »Seine Absicht ist, meinem Hause einen Affront anzuthun. Es ist eine Beleidigung jetzt mir zugefügt. Sein Vater hat den Taugenichts zwar desavouirt, nichts desto weniger bleibt sein Vater der Herr Geheimrath Bovillard, der am Ende noch Gefallen daran findet, wenn sein ungerathener Sohn eine Dame insultirt, die er schon mit seinen Plaisanterien verfolgt. Aber das soll, muß anders werden. Wir werden einen Beschützer finden. Dein Erretter, der Legationsrath, der unglücklicher Weise bald nach jener Affaire Berlin verlassen musste, um seine Güter zu revidiren, wird bald zurückkehren. Er weiß, wie man uns Ruhe verschafft. Er ist jetzt der Mann, der gilt, der Stern der Gesellschaften, und ich hoffe von seinem Einfluß auf den alten Bovillard, daß er selbst endlich müde wird und den Vaurien auf gute Art aus der Stadt schafft.« Die Lupinus hatte in ihren Eifer übersehen, daß Adelheid den Mund zu einer Mittheilung geöffnet: »Herr von Wandel ist ja zurück.« Die Geheimräthin hätte jetzt ebenso Grund gehabt, in Adelheids Art etwas Auffälliges, eine Aufgeregtheit zu finden, aber weil sie selbst aufgeregt war, merkte sie es nicht. »Er zurück! – Woher weißt Du das?« »Als ich vor ihm – vor Jenem – in einen Laden flüchten wollte, trat er heraus.« »Wandel – und – mein Gott, das Wichtigste sagst Du mir jetzt erst!« »Ich war so überrascht, verwirrt –« »Und –« »Ja, was eigentlich geschehen, weiß ich nicht. Ich glaube, ich habe ihm die Hand gereicht.« »Du glaubst –« »Mama, ich glaube, ich hätte Jedem sie gereicht, der mir entgegentrat, es war eine Angst, ich sah nichts mehr vor mir.« »Und der Legationsrath! – Haben sich Beide wiedererkannt?« »Ich weiß es nicht. Der Legationsrath sah nur meine Angst. Aber dann hat er mich nach Haus geführt.« »Er – Dich? Hierher? Wo ist er – Was sagte er?« »Liebe Mutter, zürnen Sie mir, ich weiß nichts von dem Gespräch. Ich horchte nur immer, ich bebte, ob er noch hinter uns wäre. Er wird mich für sehr kindisch gehalten haben.« »Ich will es Dir vergeben, weil Du beschämt warst, nicht mehr Muth gezeigt zu haben. Und vor dem herrlichen Mann, dessen Gegenwart schon Deine gesunkenen Geister erheben musste! – Aber mein Gott, wo ist er? Er hat Dich hergeführt. Warum kam er nicht mit herauf?« Adelheids Geister waren nicht gehoben. Auf alle Fragen der Geheimräthin über ihren Begleiter, wusste sie sich kaum zu entsinnen, daß er beim Abschied gesagt, wenn er nicht zu einem Minister berufen, würde er sich sofort das Vergnügen gemacht haben, bei ihrer gütigen Pflegemutter anzusprechen. Adelheid ward mit dem Befehl entlassen, für ihre Toilette zu sorgen. Die Geheimräthin war in sichtlicher Unruhe zurückgeblieben. Ihre Gedanken machten Kreuz- und Quersprünge. Wenn sie den Legationsrath präsentiren konnte, ihn, den neuesten Lion der Gesellschaft, den bewunderten, räthselhaften Mann, der aber als er, eine neue Sonne, aufgegangen, plötzlich wieder ver schwunden war! Wenn er nach seiner langen Abwesenheit, zuerst in ihrer Gesellschaft wieder erschien! Wenn er jetzt anklopfen sollte, sein erster Besuch bei ihr? Wenn – Niemand kannte den geheimen Grund seines Aufenthaltes in Berlin, und welches Vertrauen hatte er grade ihr gezeigt, als ihn ein dringendes Geschäft plötzlich auf seine Güter rief! – Wenn er sich gedrungen fühlte, sie zur Mitwisserin seiner Ideen zu machen. Ihre Phantasie malte sich eine Reihe angenehmer Situationen, als eine kalte Frage dazwischenfuhr: Wird er denn überhaupt kommen? Hat er dem Mädchen nicht vielleicht etwas aufgebunden, nur um sie los zu werden? Ist er nicht vielleicht abgereist, um seine Verbindungen hier zu brechen? Er kehrt zurück, Gott weiß warum, aber nicht, um die wieder anzuknüpfen, deren er überdrüssig ist. Er ist ein Mann, der der Welt angehört, Berlin ihm ein Stationsort, um sich auszuruhen, nicht länger als nöthig, und die Personen, mit denen er umgeht, zum Zeitvertreib zu gebrauchen. Zum Thor hinaus, in der nächsten Stadt, hat er uns vergessen – Aus diesem peinlichen Selbstgespräch riß sie ein fester Klingelzug und gleich darauf meldete der Diener den Legationsrath von Wandel. 24. Kapitel. Der Legationsrath Vierundzwanzigstes Kapitel. Der Legationsrath. Die Geheimräthin war in der Regel die Erste in den Kreisen, in welchen sie sich bewegt, sie war sich dieses Uebergewichts bewusst, dennoch glaubte sie den rohen Kitzel überwunden zu haben, welcher sich darin gefällt, dies Uebergewicht auch die Anderen empfinden zu lassen. Dem Legationsrath gegenüber fühlte sie diesen Zauberbann zerstört. Aber grade gegen eine geistige Uebermacht anzukämpfen, ist interessant. Eine Frau hat so viele kleine Künste, mit denen sie unbemerkt in das feste System des Mannes Bresche legt, wenn es der Mühe verlohnt. Er stand auf der Höhe, wo man nur wenig auszugeben braucht, aber man reißt sich um die Münze, wie um eine Seltenheit. Dann sieht man auch wohl nicht immer genau nach, ob die Münze echt ist. Er saß nachlässig im Fauteuil, doch mit dem Anstand des vornehmen Mannes einer Dame gegenüber, die er auch dafür anerkennt. Ihre Unterhaltung hatte sich weit entfernt aus den Kreisen, in welchen wir die Lupinus zu Hause wissen. »Einer Frau von Ihrem Geist ist keine Region verschlossen, in die sie dringen will ,« hatte er auf eine Bemerkung der Geheimräthin erwidert, daß sie die Sphären des Staats für ihr Geschlecht wenn nicht unzugänglich, doch geschlossen halte. »Man sagt uns doch so oft, wir sollen uns nicht aus unserer Sphäre verlieren.« »Wer das uns auf sich beziehen will! Ist die Stael keine Frau! Mich dünkt, man braucht nicht so weit zu suchen. Sind nicht die höchsten Damen an unserem Hofe die eifrigsten Partisaninnen der Politik! Und wer sagt uns, ob nicht die ganze Politik der Zukunft in den Händen der Frauen ruhen wird!« »O, wer in diese Zukunft blicken könnte, ob sie uns Aufschlüsse, Lichter, Befriedigung bringt, oder das alte Einerlei des Zweifels, der getäuschten Hoffnungen, der immer neuen Erwartungen, die nie erfüllt werden!« »Die Zukunft, gnädige Frau, wird sein wie die Gegenwart, wenn wir sie nicht zu ergreifen verstehen.« »Und wer ergreift diese! Wir Frauen scheinen wenigstens nicht dazu bestimmt.« »Auch Frauen ergriffen sie und blieben Siegerinnen grade so lange als der Mann es bleibt, das ist so lange als er sich selbst beherrscht.« »Die Enthaltsamkeit soll uns doch nicht zum Siege führen!« »Die Kraft, das Ziel unverrückt im Auge zu behalten, die Wege, die die kürzesten und sichersten, nie zu verlieren und die Mittel zu handhaben, wie man Rosse zügelt und spornt, deren Natur wir kennen.« »Das ist nur an den Männern.« »Warum! Der Mann ist bei der Umfassenheit seiner Bildung, Bezüge zum Leben, weit leichter der Verführung ausgesetzt.« »Das sind Paradoxien.« »Nichts weniger. Er ist zugänglicher den Leidenschaften, weil er sie leichter befriedigen kann, dem Ehrgeiz, den Illusionen aller Art; und giebt er ihnen sich hin, hört er auf zu berechnen, verfolgt er eine Phantasie, ist er schon verloren. Das Weib in seiner anscheinend beschränkteren Sphäre kann ihre ganze Kraft weit leichter auf einen bestimmten Gegenstand concentriren, und wie sie den Mann beherrscht, wenn sie will, warum nicht die Welt!« »Spötter!« »Dem Weibe gab die Natur die seine Beobachtungskraft, die wir nur mit unendlicher Anstrengung uns aneignen, die Gabe aus Symptomen, die unserem in die Ferne schweifenden Blick entgehen, Seelenzustände, vergangene und künftige Begebenheiten zu entziffern. Vermag sie's, Herrin zu werden über ihre Neigungen, Vorurtheile, ihre Liebe und ihren Haß, ihre Impulse und abergläubischen Vorstellungen; vermag sie's, ihre Bestrebungen, ihre Liebe und ihren Haß auf größere Dinge zu richten, als den Untergang einer Rivalin, die Protektion eines Günstlings, dann, sage ich Ihnen, kann sie mit ihren außerordentlichen Mitteln Großes, Außerordentliches, warum nicht das Größte.« Die Geheimräthin schwieg nachsinnend. Sie hielt es für den Moment geeignet, seitwärts abzuspringen: »Sie wollen die Begeisterung nicht gelten lassen,« sagte sie wieder aufblickend. »Ich kann einen Trunkenen beneiden, aber nur so lange er es ist.« »Damit streichen Sie aus der Geschichte ihre schönsten Thaten.« »Aus der Geschichte nicht, meine Gnädigste. Sie ist ein großes Quodlibet, wo Platz ist für vieles. Nur aus dem Katechismus der Wenigen streiche ich sie, welche wissen, was sie wollen.« »Und wie wenige Größen bleiben dann übrig,« erwiderte die Geheimräthin. »Wenige, aber zum belehrenden Exempel genug Cäsar blieb sich gleich bis zum Gipfelpunkt.« »Und fiel durch Mörderhand.« »Der rohe Zufall liegt außer unserer Berechnung; er fiel, nachdem er erreicht, was er erstrebt. Und doch vielleicht war's auch nicht ganz Zufall.« »Wie hätte Cäsar den Arm des Brutus hemmen können, wenn er keine Ahnung seines Vorsatzes hatte!« Der Legationsrath lächelte: »Cäsar hatte Vertrauen, wo er nur Argwohn haben durfte. Cäsar war der große Mann, weil er sich selbst Alles verdankte, weil er im Siegerglück nicht glaubte, daß er nun genug gehandelt, daß nun das Schicksal für ihn wieder handeln müsse, weil er nicht, von der eignen Größe trunken, an eine Mission glaubte. Aber er irrte, als er glaubte, daß ein großer Mann auch sogenannte menschliche Regungen haben, daß er, ohne ein bestimmtes Interesse großmüthig sein dürfe. Er durfte nur auf die Schlechtigkeit der Menschen spekuliren, und er spekulirte nur auf ihren Edelsinn. Er, in seiner Lage, durfte nicht hoffen und lieben, nur beobachten und rechnen, und ihm war der Argwohn eine Tugend und Nothwendigkeit. Er schloß das scharfe Auge, er rechnete falsch und vertraute. Ein Cäsar darf auf nichts vertrauen!« Es trat eine Pause ein. Das Gespräch hatte eine Wendung genommen, die vermuthlich an den Anfang desselben wieder anknüpfte. Man hatte von den Ereignissen des Tages gesprochen, von dem Stern, über den die Meinung sich noch theilen konnte, ob er ein leuchtendes Tages-Gestirn sei oder ein nächtliches Meteor? »Und er ist Kaiser,« hub die Geheimräthin an, »er hat sich selbst dazu erklärt! Es liegt etwas so wunderbar die Sinne Berauschendes darin, ein gewesener Artillerielieutenant! Und die altgekrönten Mächte beeilen sich, ihn anzuerkennen!« »Sie müssen wohl!« »Nehmen Sie sich in Acht, Herr Legationsrath. Man darf ihn hier nicht ungestraft in allen Kreisen bewundern. Und Sie besuchen –« »Die verschiedensten,« fiel er rasch ein. Es war das gewesen, wofür der Gast es nahm, ein Klopfen auf den Busch. »Ich bewundere nichts, fuhr er fort, ich beobachte nur, und mein Facit der Anerkennung ziehe ich erst, wenn ich einen Mann am Ziele sehe.« »Wird er es erreichen?« fragte die Geheimräthin leiser. »Wenn Sie mir sagen könnten, was sein Ziel ist, würde ich versuchen, auf die Frage zu antworten.« »Sein Ziel!« – die Geheimräthin sah ihn groß an, aber sie verstummte vor seinem abmessenden Blick. Mit einem Seufzer sagte sie: »War es denn ein Verbrechen, in ihm einen Beglücker der Menschheit zu erblicken!« »Ein Verbrechen ist Unsinn, und der Wahn, daß Einer für Alle etwas schaffen könne, eine Thorheit. Jeder schafft für sich. Ich weiß nicht, ob der junge Bonaparte in seiner Jugend wirklich diesem Wahne nachhing, der Kaiser der Franzosen wird ihn belächeln. Man muß die Menschen kennen gelernt haben, wie wir, gnädige Frau, um zum Resultat gekommen zu sein, daß, was man so die Menschheit nennt, nicht werth ist, sein Bestes für sie zu opfern.« »Aber mein Gott, für wen soll man sich denn opfern.« Der Gast schien es überhört zu haben, oder seine Gedanken hatten unwillkürlich einen andern Gang genommen; »Es ist zu bedauern, daß die Kaiserin ihm keine Hoffnung auf Nachkommen gewährt. Eine wahre Zierde ihres Geschlechts!« »Sie kennen die Kaiserin Josephine?« »Ihre Majestät, Königin Louise, ist gewiß die personificirte Huld und Schönheit, aber diese Creolin, in der sichtlich noch das tropische Blut pulst, hat etwas Bestechendes, Fortreißendes. Man muß sie gesehen haben – ach, schon als Josephine Beauharnais!« »Sie kannten sie damals schon?« »Es rühmen sich Viele, doch wer kann sagen, daß er sie kennt! Kennt man nur ihren Einfluß auf den Kaiser!« »Sie hat vieles Blutvergießen verhindert.« »Sagt man. Wer diese on dit' s geschickt auszustreuen weiß, der kommandirt über Armeekorps. Und Beide, der Kaiser und die Kaiserin, sind darin geschickt, es fragt sich eben nur wie lange Beide zusammen operiren werden.« »Mein Gott, Sie scheinen auch mit den häuslichen Angelegenheiten des Kaiserpaares vertraut.« »Ich lese nur, was Jeder lesen kann, der die Augen auf hat. Will er ein Reich gründen, was ihn überlebt, muß er einen Sohn haben der ihn beerbt. Wer arbeitet mit voller Kraft für einen andern Dritten! Was ist ihm der adoptirte Stiefsohn! Erinnern Sie sich, was die sentimentalen Seelen von ihm hofften, nachdem er die Revolution besiegt?« »Ich habe nie geglaubt, daß Napoleon sich zu einem Monk herabwürdigen könne,« sagte die Geheimräthin. »Gewiß, wer die Kraft hat ein Egoist zu sein, wird sich nie mit einer Livree begnügen.« »Egoist!« »Alle großen Männer sind es, eigentlich alle wahren Männer. Wer schaffen will, muß für sich schaffen, und wer ein Weltreich gründen will, für eine Dynastie, die seine ist. Die Kaiserin Josephine ist aber auch eine kluge Frau. Sie sieht das ein; wie weit sie voraussieht, wissen wir nicht, aber sie hat einen Sohn. Es ist nun ein recht kluger Anfang, daß sie die Maske der Milde, Liebe und besänftigenden Güte vornimmt, und ob es von ihrem Gatten klug ist, sie ihr zu lassen – das ist eine andere Frage, die – uns Beide wenigstens, meine theuerste Geheimräthin, glücklicherweise nichts angeht.« Er war aufgestanden. Die Geheimräthin hätte die Unterhaltung gern fortgesetzt: »Sie sind gewiß sehr affairirt. Eine so ehrenvolle Sendung muß Ihre ganze Zeit in Anspruch nehmen.« »Ich bitte Sie, kein Wort von der Bagatelle. Natürlich wird man nicht gerade zur Thür hinausgeworfen, wenn man als Ueberbringer solcher Ehrenzeichen ankommt, indessen, wie gesagt, ich wünschte, daß man in den Cirkeln hier kein Aufhebens davon machte.« »Indessen sehen wir auch wohl bald Ihre eigene Brust mit einem dieser Ehrenzeichen geschmückt.« »Für einen Briefträgerdienst! Monsieur Laforest, der Gesandte, lachte über die Mission, und das verdient sie auch; haben wir doch Jeder für Wichtigeres zu sorgen! Ich freue mich nur, daß die Demoiselle Alltag Ihre Liebe und Sorgfalt lohnt. Sie haben sich da eine ungemein schwierige Aufgabe aufgebürdet.« »Ich freue mich, daß alle Ihre Berechnungen so richtig eintrafen. Adelheids Renommee ist nicht allein hergestellt, sie ist – nun Sie erfahren es schon. Möchte sie nie den Dank gegen Den vergessen, dem sie ihr Alles verdankt.« »Dank, meine Gnädige! Es giebt keine Substanz in der Chemie, die so schnell verflüchtigt! Wer darauf bauen wollte –« »Sie brauchen nicht zu bauen, denn Ihr Haus steht fest. Freilich, was ist Ihnen daran gelegen, daß man Sie in Berlin vergöttert! Indessen es ist doch auch für einen Philosophen nicht ganz unangenehm, wenn ihn die Leute auf der Straße kennen und feiern. Ach, mein Gott, warum mussten Sie damals so schnell abreisen. Das war ein Erkundigen, ein Fragen nach Ihnen. Der Hausknecht, wie Ouvriers, die für Sie gearbeitet, wer nur das Glück gehabt, Sie in Gesellschaft, in seinem Hause zu sehen, musste Auskunft geben, wie Sie aussähen, sprächen, welche Ihre Freunde, ob Sie verheirathet wären, ob Sie hier Ihr Domicil aufschlagen würden. Man wusste Sie in kleine Theile zu zerlegen und meinte, der kleinste wäre doch noch etwas, was der Betrachtung Stoff giebt. Einige meinten, es sei doch eine Art Koketterie, daß Sie durch Ihre schnelle Abreise der allgemeinen Bewunderung sich entzögen, ich indeß meinte etwas anderes –« »Und darf ich fragen, was meine Freundin meinte?« »Sie leben sich selbst, und fühlen einen andern Beruf, als der Neugier der Menge Räthsel aufzugeben, die Sie nicht lösen wollen, vor ihr wenigstens. Wahrhaftig, ich verdenke es Ihnen nicht.« Der Legationsrath ließ einen seiner undurchdringlichen Blicke an der Diele haften, einen der Blicke, welche die tiefste Absorbirung der Gedanken ausdrücken; man will indeß behaupten, daß auch die Kunst solche Blicke gebrauche, um den Mangel an Gedanken zu verbergen: »Ach, meine Freundin, was verräth uns mehr, welche Leerheit rings um uns ist, als dieses Haschen nach Geheimnissen, die nicht da sind. Weil sie aus sich selbst nichts sind, darum haschen sie nach einem Spielwerk, und ein unbekannter Fremder wird zu einem Räthsel, weil er vielleicht seinen Rock anders zuknöpft, anders den Hut abnimmt, einen andern Ton auf die Worte legt, als hier alltäglich ist.« »Da ich immerwährend bestürmt werde, sagen Sie mir, was ich den Leuten sagen, oder wenigstens, was ich ihnen verschweigen soll –« »Verschweigen! Mein Gott, ist denn zwischen uns ein Geheimniß! Malen Sie mich Ihren Bekannten, wie Sie wollen. Eine solche Meisterin wird immer das Richtige treffen. Warum ich hier bin, das ist ja wohl das interessanteste Räthsel. Ich soll Emissair sein, Gott weiß von welchem Illuminaten- oder Freimaurer-Orden, obgleich diese Albernheiten längst aus der Mode sind! Ich bin geheimer Envoyé einer Macht, man weiß nur nicht welcher. Nicht wahr? Natürlich soll ich Staatsgeheimnisse ausspioniren! Ja wenn nur deren hier wären! Und da ich an der Tafel der Minister, der Prinzen speise, da ich ziemlich offen mit ihnen konferire, ist es doch nicht meine Schuld, wenn ich Dinge erfahre, an denen mir wirklich nichts gelegen ist. Ich soll ja auch wohl ein Krösus sein, und bald wieder ein Glücksritter! Soll ich nicht auch nach einer reichen Ehe mich umsehen?« – Er seufzte: »Und die Geister einer unaussprechlich geliebten Gattin schweben noch um ihren Grabeshügel! Doch genug davon. Meinetwegen lassen Sie mich einen Cagliostro sein. Im Uebrigen habe ich noch Niemand verhehlt, daß der Zustand meiner Güter in Thüringen mich hergeführt hat. Treffliche Güter, aber verwildert unter meinem Vorbesitzer. Es bedarf einer wissenschaftlichen Agrikulturbehandlung, um ihre Ertragsfähigkeit auf die Höhe zu bringen, die ich mir zum Ziele gesetzt. Ich besitze chemische Kenntnisse, wer aber kann alles wissen, wer braucht nicht des Rathes, fremder Einsicht? In Berlin finde ich einen Hermbstädt, Klaproth, Flittner. Sie sind meine Lehrer, Freunde, ich konsultire sie, experimentire mit ihnen in der Zersetzung von Kalkerde, Mergel, in allen Arten künstlicher Dungmittel. Das meine Beschäftigung hier. – Sie selbst aber sehen mich ungläubig an. Ach, ich versichere Sie, in dieser Wissenschaft allein ist Trost. Hier ist Wahrheit, hier lerne ich kennen, was sich bindet, was sich abstößt, hier ist Folgerung, Zusammenhang, hier löse ich mir Räthsel, welche der Ballsaal der Menschenwelt mit seinen tausendfachen Umhüllungen und Masken so verwirrend umhüllt, daß oft das schärfste Auge, wenn es die Wahrheit glaubt gefunden zu haben, doch nur beschämt vor einer neuen Larve steht. Vor der Chemie gilt keine Täuschung. Während sie Formen und Farben zaubert, zersetzt sie Alles in seine Urstoffe. Das Kräuseln des Dampfes in der Retorte, im Tiegel, der Geruch, den sie entwickelt, den Lichtglanz, die schimmernde Farbe auf der brodelnden Essenz ist das Leben, flüchtige Momente, während wir doch nur den Tod produciren, Schlacke, Asche, Staub, Luft in Luft. Der Tod nur ist dauerd. Leben Sie wohl.« »Mein Gott, was ist Ihnen? Sie betonen das Wort Tod so besonders!« »Mit jeder Stunde, die wir leben, bereiten wir ja den Tod. Ich hoffe also heut Abend auf Wiedersehen.« »Sie hoffen nur? Vorhin sagten Sie bestimmt zu. Sie erwarten heut keinen Befehl eines Prinzen mehr.« »Nein, wenn indeß ein Hinderniß –« »Sie müssen doch nicht wieder fortreisen?« »Ich hoffe nicht, daß es so schlimm ausfallen wird.« »Sie spannen meine Neugier. Jetzt müssen Sie sprechen.« »Es ist nur eine der Kleinigkeiten, die das Leben pikant machen. Den jungen Bovillard, den ich in der That auf meiner Reise vergessen hatte, traf ich vorhin auf der Straße, und wenn meine Physiognomik mich nicht täuscht, finde ich zu Hause das, was ich längst erwarten durfte. Indessen wird er sich doch nicht so überhasten, daß er mir nicht noch das Vergnügen gönnt, einen vergnügten Abend in Ihrer liebenswürdigen Gesellschaft zu verbringen.« »Allmächtiger Gott,« rief die Geheimräthin erblassend. – »Eine Herausforderung! – Und dieser Taugenichts darf sich unterstehen einen Mann wie Sie – und um die edelste Handlung –« »Vor seine Kugel zu fordern.« »Das darf nicht sein. Bester Freund, Sie kennen nicht seinen Ruf. Mit Ihrer Ehre verträgt es sich nicht –« »Er saß noch nicht im Zuchthause, ward nicht ertappt auf dem Volteschlagen, auch hat er seine Spielschulden, wie ich höre, noch immer bezahlt, und ein Dutzend Duelle als Cavalier bestanden; das, meine gütige Freundin, giebt dem Sohn des Geheimrath Bovillard nach den Ehrengesetzen unserer Welt das Recht, auch Bessere wie ich vor die Geschicklichkeit seines Armes zu laden, und wenn seine Kugel dies Herz durchbohrt, so versichere ich Sie, ist sein Renommee nicht schlimmer, sondern besser.« »Abscheulich! Wer bessert das!« »Ein Mirabeau hate einmal den Muth. Er sprach es aus, daß man einem Dummkopf nicht das Recht lassen dürfe, dem genialsten Mann Frankreichs mit einem Stück Blei seinen Kopf zu zerschmettern. – Die Revolution ist überwunden und die Dummköpfe haben wieder ihr Recht.« »Aber um Gottes Willen, es muß doch Mittel geben –« »Ein Cäsar Borgia würde freilich in solchem Fall Mittel finden; auch haben sehr kluge Köpfe sich dadurch der Welt erhalten, die allerdings mehr von ihrem Ingenium profitirt hat, als von zehn Haudegen, welche die Weinhäuser mit ihren Radomontaden erfüllen. Indessen, wir sind keine Borgias und das neunzehnte Jahrhundert verträgt keine Stilets und Banditen.« »Aber es muß seine edelsten Männer schützen. Es giebt auch andere Mittel, eine höhere Polizei, eine Justiz. Bovillard der Vater muß es erfahren, er muß endlich etwas thun, dem Unwesen seines Sohnes zu steuern. Der König selbst ist entsetzt über diese blutigen Raufereien –« Der Gast hatte ihren Arm ergriffen: »Um des Himmels willen, meine gütigste Freundin, soll ich bereuen, daß ich im Vertrauen die Lippen öffnete? Es war Alles Scherz –« »Nein, es ist Ernst.« »Wenn Sie dem Dinge den Namen gönnen, so beschwöre ich Sie, kein Sterbenswörtchen davon! Sie werden mich verstehen. Was ist das Leben? Eine Anweisung auf Geltung. Wird dieser Wechsel zurückgewiesen, was bleibt uns davon! Wer mag der Lebensluft, in der wir nur athmen können, den Rücken kehren! Ich rechne also auf Ihre Diskretion. Jedes Wörtchen, jeder Wink könnte von meinen Feinden anders gedeutet werden. Es ist ja auch möglich, daß der junge Mann sich eines Besseren besinnt. Ach Gott, der Möglichkeiten sind so viele, daß ich es aufrichtig bereue, Sie nur einen Augenblick geängstigt zu haben. Keinenfalls darf die Vorstellung Ihre Heiterkeit stören. Meine soll es wenigstens gewiß nicht, denn ich freue mich aufrichtig, den neuen Abgott der Residenz kennen zu lernen.« »Sie kennen Jean Paul nicht?« »Ich begegnete ihm wohl irgendwo.« Die Geheimräthin sah etwas verlegen vor sich hin: »Ich hoffe Sie disapprobiren nicht –« »Was sich versteht in Credit zu setzen. Der Werth eines Staatsmannes, meine Freundin, und der eines Dichters, was sind sie an und für sich, es kommt allein ihr Courswerth in Betrachtung, gleichviel, ob der Dichter ihn sich selbst gemacht, oder Andere so gütig waren. A propos, da kann ich Ihnen eine Neuigkeit mittheilen. Bei Hofe ist eine lebhafte Intrigue. Nachdem es nicht gelungen Schillern hier zu fesseln, versucht man Herrn Richter uns einzuimpfen. Die Parteien sind getheilt. Ihre Majestät die Königin wünscht ihm eine Präbende zuzuwenden. Beim König fürchtet man auf Schwierigkeiten zu stoßen. Um deßwillen spielen alle Maschinen. Der Berg läuft von Diesem zu Jenem. Herr Jean Paul soll von der allgemeinen Gunst gehoben und getragen werden, bis er dem Throne so ins Auge gerückt ist, daß Seine Majestät sich zu einer Auszeichnung gleichsam gezwungen fühlen. Daher werden die Kunstgärtner bis zum Exceß um ihre seltenen Blumen geplündert, daher die Damendeputation an den neuen Frauenlob. Die Königin lüde ihn gern selbst ein, aber er muß erst gewisse Leiterstufen der Einladung durchgemacht haben, bis das in einem petit circle möglich ist. Man ist daher auch sehr zufrieden mit den Arrangements unserer theuren Freundin, und die Stufe der Ehre, die Sie ihm heut erweisen –« »Mein Gott, wie kann man wissen –« »Man weiß Alles. Aber bedenken Sie wohl, daß die Gunst der Königin nicht jedesmal zur Gunst Seiner Majestät führt. Er ist kein Freund der Abgötterei. Doch qu'importe, aber hüten Sie sich, daß unsere Schönheit hier, wenn sie ihm den Lorbeerkranz auf die Schläfe drückt, nicht zu tief ins Auge des Dichters sieht. Man fand zwar, er wäre in alle Huldinnen Berlins verliebt, und in seinen Entzückungen weiß er nur noch nicht, welcher er das Tuch zuwerfen soll; aber nur nicht unserer Adelheid! Ihre Natur ist zu schön, um sie mit einem Dichter zu verträumen. Au revoir! « Der Legationsrath ließ die Geheimräthin in einem Meere von Gedanken. Sie passten nicht alle zu dem Fest des heutigen Abends und schienen ihre Lust etwas zu trüben. 25. Kapitel. Mars mit dem Zopf Fünfundzwanzigstes Kapitel. Mars mit dem Zopf. Eine Gesellschaft, zur Zeit als Gesellschaften die Blüthe des geistigen Lebens repräsentirten, mag man mit einem Sonnensystem vergleichen. Wenn aber viele Sonnen mit gleichen Ansprüchen da sind, kann sie uns wie ein Universum erscheinen, das, nicht fertig, noch nach einem Centralpunkt sucht. Ein solches meteorisches Wogen ist für Viele unbehaglich, für den Beobachter interessant, für den Maler aufzufassen unmöglich. Er muß sich mit Segmenten genügen lassen. Die Wirthin wäre gern die Sonne gewesen. Aber eine Sonne muß nicht allein scheinen und leuchten, sie muß auch wärmen. Sie war eine Frau von Verstand und selbst Witz, eine Erscheinung, die nicht ohne Eindruck blieb, aber es war nicht der Verstand und Witz, der fesselt, nicht die Erscheinung, die zugleich imponirt und anzieht. Sie durchdrang die Gespräche, sie wusste sie zu leiten, abzubrechen, aber ihnen nicht den Hauch und die Färbung zu geben, daß sie sich von selbst fortspannen. Sie war die liebenswürdige Wirthin, die für Jeden etwas Angenehmes in Bereitschaft hatte, aber es schien so spitz zugeschnitten, daß die Oekonomie dem Geschmeichelten nicht entging. Es blitzte wo sie erschien, die Konversation wogte in sanften Wellenlinien einer gewählten Sprache, aber sie stockte plötzlich, wenn sie zu anderen Kreisen sich wandte. Man fühlte sich genirt, wo sie hinzutrat, und frei, wenn sie den Rücken gedreht. Das wird freilich in allen Gesellschaftskreisen sein, wo eine an Geist und Bildung überragende Erscheinung der Unterhaltung ihr Siegel aufdrückt, die minder Gebildeten fühlen das unsichtbare Joch, die Magie des Geistes, gegen die sie, ohne sich selbst bloß zu geben, nicht rebelliren dürfen, sie fühlen sie sogar doppelt, wo der Geist sich zu ihren Vorstellungen herablässt, und sie würdigt, in ihrer Sprache zu reden. Aber diese Gesellschaft war eine ungleich andere, als die gemischte, in der wir neulich die Geheimräthin zu beobachten Gelegenheit hatten. Sie war eine gewählte. Die Geheimräthin kannte Alle, sie wußte was man vermeiden, was man andeuten dürfe, und doch traf sie es nicht, daß es den Leuten wohl ward. Eine liebenswürdige Wirthin, eine geistvolle Frau! war das allgemeine Urtheil; wohlverstanden das, was Zwei sich sagten, die sich und ihre Meinungen noch nicht kannten. Wenn sie sich verständigten, kamen einige »Aber« hinterher. »Aber sehr scharf.« – »Geistreich, sehr geistreich, aber ihr Geist schneidet.« – » Enfin, « sagte ein Dritter, »sie hat Alles, um eine Gesellschaft zu entzücken, nur fehlt ihr der Aplomb.« Es waren Wandelsterne und Fixsterne. Zu jenen gehörten die Wirthin und ihre Pflegetocher. Wenn Jene mit ihrem leisen Tritt die Kreise durchwandelte, konnte man sie mit einer Geistererscheinung vergleichen. Das ist ein gewagtes Gleichniß; aber eben so gewagt ist es doch, wenn Andere Adelheid mit dem aufgehenden Morgenstern verglichen, oder gar mit einer Sonne, die Frohsinn und Lust verbreite. Wer schärfer gesehen, hätte vielleicht auch die Anstrengung des jungen Mädchens bemerkt, so zu erscheinen, wie die Pflegemutter es wünschte, immer munter, naiv, geistreich. Es war noch ein anderer weiblicher Stern von sehr verschiedener Natur, auf den wir später treffen werden. Jean Paul war noch nicht da, auch Herr von Wandel ließ noch auf sich warten. Dagegen schien an dem großen Ofen eines Nebenzimmers einer der Fixsterne zu stehen in der Person des französischen Gesandten Laforest. Der Diplomat brauchte seine Kreise sich nicht aufzusuchen, oder er wollte es nicht, aber er zog magnetisch die kleinen Lichter an sich. Er war heute sehr aufgeräumt und liebeswürdig, behauptete man. Ein Bonmot ging schon durch die Zimmer. Auf eine unbescheidene Frage: was ihm in Berlin am besten gefalle, hatte er geantwortet: die Oefen. Andere hatten schon gehört, daß er gesagt: es sei das einzige Gute, was er in Berlin gefunden. Noch Andere, er habe gesagt: in einer Stadt, wo er nichts kalt und warm gefunden, sei eine Maschine, die man nach Belieben heizen und kühlen könne, der preiswürdigste Gegenstand. In einer Herrengruppe musterten Einige die Gesellschaft. Man wunderte sich, den Geheimrath Lupinus von der Voigtei unter den Gästen zu sehen. »Was wundert Sie das,« sagte der Regierungsrath von Fuchsius. »Er ist völlig frei gesprochen und Alles bleibt ja beim Alten.« »Aber sein Leben auch dasselbe. Es ist doch ein Skandal, wie ich hörte,« bemerkte ein Major noch in jüngeren Jahren; er hatte nicht den preußischen Pli. »Wir bleiben Alle, was wir sind,« sagte aufseufzend Fuchsius. »Seit Lombard zurück, die Anstrengungen der Königin, neue Lebensgeister ins Ministerium zu bringen, gescheitert sind, ist es mit allen den guten Vorsätzen und den schönen Ansätzen vorüber. Welche treffliche Reden und Memoiren sind umsonst geschrieben.« »Zum Teufel mit den Reden!« sagte ein General, den grauen Schnurrbart streichend; aber es leuchtete noch Feuer aus seinen lebhaften Augen. »Das denkt vermuthlich der Geheimrath Lupinus auch,« fuhr der Rath fort. »Warum soll er sich geniren? Es schwimmt ja Alles wieder in diesem Sumpfe süßer Gewohnheit weiter. Und wenn der Staat selbst sich auf dem Lotterbrette weiter streckt und wiegt, was darf er vom Einzelnen fordern, daß er sich aufrafft! Der König, das gebe ich Ihnen zu, wünschte es –« »Wenn er nur wenigstens die französischen Orden nicht angenommen hätte!« rief der General, der sich auf einen Stuhl gesetzt, und presste die Brust auf der Rabatte zusammen. »Schimpf und Schande! Mag er sie der Clique austheilen, aber der preußische Ehrenrock ist beschimpft, wenn auch Militairs sie tragen müssen!« »Das kommt auf Ansichten an!« erlaubte sich der jüngere Militair zu entgegnen. »Der feindliche General, den Napoleon in seinen Bulletins lobt, fühlt sich doch mehr geschmeichelt, als selbst durch die Orden, die ihm sein eigener Fürst ertheilt.« »Spitzfindigkeiten, mein Herr von Eisenhauch!« fiel der General ein. » Sie gerade würden sich am meisten schämen. – Alliancen, wo sie natürlich und möglich sind, ein Entschluß, wo die Ehre gebietet, und Krieg, wo es die Existenz gilt.« Fuchsins sagte, sich vorsichtig umblickend: »Nehmen Sie sich etwas in Acht. Man weiß in Saint Cloud, daß Sie ein militärischer Ideologe und ich weiß, daß Laforest Sie beobachten lässt. Aus Enghiens Beispiel wissen wir wenigstens, wie der neue Kaiser zu schrecken versteht.« »Pah!« rief der General. »Wir sind nicht in Baden. Ich sage Ihnen, wer jetzt nicht herbeieilt, um am Brande mitzulöschen, ist so schlimm, als wer Feuer hinzuträgt. Wonach Bonaparte trachtet, liegt klar zu Tage. Oesterreich soll erdrückt, zermalmt werden. Ein Thor, wer jetzt noch glaubt, daß Oesterreichs Vernichtung Preußens Erhebung ist. Das Schicksal hat bestimmt, daß beide Feinde zusammen handeln. Nur darin sollen sie rivalisiren, wer am tüchtigsten losschlägt. Zaudern wir jetzt wieder –« »So sind wir isolirt und – verloren!« rief Fuchsius. Ein stolzer Kommandoblick des Generals traf den Sprecher: »Wer sagt das!« »Wenn wir alle unsere Bundesgenossen von uns gestoßen –« »Sind wir noch wir selbst.« Der General hatte sich erhoben, die beiden Herren folgten, sie blickten sich bedeutungsvoll an. »Ja meine Herren,« fuhr der General fort, »es wäre ein namenloses Unglück, man könnte uns der Frechheit, des Verrathes beschuldigen, wenn wir wieder die Gelegenheit entwischen lassen, wie vor sechs Jahren, aus Eigensinn oder Eigennutz. Ein Unglück ja, wenn wir nicht losschlagen, aber verloren sind wir nicht, wenn wir allein stehen.« Die jüngeren Zuhörer senkten die Augen. Der Veteran aber fuhr mit leuchtenden Blicken und gehobener Stimme fort: »Nein meine Herren, vielleicht fügt es das Schicksal so, damit wir noch größer einst dastehen. Sie sind kein Preuße, Herr von Eisenhauch, Herr von Fuchsius ist kein Militär, ich bin beides, und mein Herz pocht laut und froh bei dem Gedanken: wir allein ihm gegenüber! Dann Alles in die Wagschaale geworfen, und, ich sage Ihnen, wir schnellen nicht in die Luft! Braunschweig, Möllendorf, Hohenlohe, Kalkreuth! sind das nicht Namen, vor denen die Davoust und Bernadotte, und wie sie heißen, erbleichen! Einer genügte schon; denn welcher Ruhm und welche Erfahrung sind da aufgespeichert. Und nun denken Sie, alle diese Namen vor einer Armee, deren Offiziere zur Hälfte noch unter Friedrich siegten, vor graubärtigen Soldaten, die noch sein Auge anfunkelte. Und die Generale, die zum Felddienst zu alt, pflanzen ihre Fahnen auf die Mauern unserer stolzen Festungen. Denken Sie sich dies Corpus von altem Ruhm, unvergleichlicher Taktik, von preußischem Muthe beseelt, von Wuth entflammt, zehnjährige Unbilden zu rächen, und gegenüber – die zusammengestoppelten, gepreßten Schaaren der windigen Franzosen, die nur siegten, weil sie schneller sich bewegen konnten, – dies räumen wir ihnen ein, – denken Sie ihn anpreschen mit solchen Schwärmen gegen ein Quarré, ein Quarré aus der ganzen Preußischen Armee, und fragen Sie sich dann, wie viel Napoleon Bonaparte's Name wiegen, wie viel Ueberzahl er haben muß, welche taktische Künste ausreichen, damit er diese Eisenmauer durchbricht. Er wird sie nicht durchbrechen, und wir, wir wollen sehen, wie Friedrichs Geist von Leuthen auf uns herabblicktt!« Es war etwas Hinreißendes in dem Feuer, dem der alte Kriegsmann sich überlassen. Man wusste, als Kornet hatte er unter Friedrich seine Sporen erworben, der große König selbst hatte dm Jüngling mit seiner Gnade beglückt. Es war Wahrheit in der Rede, wenn auch nur die des Glaubens. »Aber Herr General geben mir zu, –« was der Major sagen wollte, ward vom General unterbrochen. »Daß einige Reformen nothwendig sind. Ja, einige, Herr Major.« Er hatte ihn am Rock gefasst, und fuhr vertraulicher fort. »Die reitende Artillerie, das bedenken Sie wohl, war Friedrichs Schöpfung. In einem Lieblingskinde sehen die gescheidtesten Väter oft nicht die Fehler. Auch ein großer Mensch ist ein Mensch, und darum keinen Vorwurf auf den großen König! Ihre Konstruktion der Lafetten, ich sage es grade heraus, trotz Tempelhofs Autorität, ist admirabel; sie muß eingeführt werden, was auch der Kriegsminister opponirt. Auch Ihre Ideen über die Bespannung zeugen von dem Scharfsinn, den ich ästimire. Selbst zugeben will ich, daß in unserm Geschützgießen Verbesserungen möglich sind, aber ich denke, daß unsre Kanonen noch, wie sie sind, einen Preußischen Donner orgeln sollen, der die Franzosen an Roßbach erinnern wird. Nicht alles auf ein Mal! Gegen Ihre Propositionen hinsichts der Spontons bin ich; das sage ich Ihnen jetzt offen raus. Da Sponton-Exercitium mag immerhin andern närrisch erscheinen, Narren werden Sie in der Welt überall finden. Das Präsentiren mit dem Sponton ist das Präsentiren der Armee vor sich selbst. Der Fähnrich, der, vor die Front springend, es balancirt, jetzt senkrecht, nun verquer, macht die Honneurs vor dem Feldherrn, dem General, vor dem Bataillon, vor sich selbst, nicht vor dem Publikum. Das halten Sie fest. Der Franzos mag darüber sich moquiren, so viel er will, er hat Recht, für ihn ist's Narretheidung, weil er das nicht hat, was wir haben, – verstehen Sie mich recht – unsre Essenz, meinethalben Existenz. Das Sponton ist das Residuum des alten Rittergeistes im Preußischen Militär. Wenn ich so sagen darf, er betrachtet sich als eine geschlossene Zunft und ist das Symbolum des Respektes vor sich selbst. Und, meine Herren, schaffen Sie erst die Spontons ab, so fällt auch der Ringkragen, warum nicht auch die Schärpe und der Federhut, und wo ist das Ende!« Fuchsins und der Major hatten sich angesehen. »Sie wollen auch gern die Kamaschen fort haben,« fuhr der General freundlich fort. »Der Preußische Soldat ohne die Kamasche sage ich Ihnen, ist nicht mehr der Preußische Soldat. So kennen sie uns, so sollen sie uns wieder kennen lernen, anders nicht. Weiß wohl, liebster Major, was Sie in Ihrem Memoire über die Massenbewegungen sagen. Charmant exprimirt, sein beobachtet. Durch diese schnellen Evolutionen, daß er gleichsam aus einem Sack die leichtfüßigen Massen schüttelte, seinen Feind flankirte, von allen Seiten scheinbar zugleich angriff, sofort die Geworfenen durch neue Massen ersetzte, dadurch hat Bonaparte in den meisten Bataillen gesiegt. Richtig! Aber gegen welche Feinde! Sehen Sie, offenherzig gesprochen, ich admirire auch seinen Erfolg und sein Genie, aber was sagt Friedrich in seinen Memoiren? Wenn sich zwei Feldherren in langen Campagnen gegenüberstanden, lernen sie sich dermaßen kennen, daß jeder die Manier und die Finten des andern auswendig weiß. Wir sind nun in der Lage, daß wir durch bald zehn Jahr ihn aus der Ferne beobachtet haben, und ich sage Ihnen, dieses großen Taschenspielers Kunststücke kennen wir nun, er aber kennt uns nicht und kann uns nicht überraschen. Seine Chocs werden an uns abprallen, wie die Schwärme der Parther an den Römischen Triariern, und was unsere Kavallerie anlangt, so braucht Niemand in Sorge zu sein. Die Ziethen und Seydlitze werden sich finden zur poursuite, wenn wir einmal die Kanaille geworfen. Freilich im Laufen kommen wir ihnen nicht gleich.« Der General glaubte gesiegt zu haben. Der Major aber sah ihn wieder fragend an: »Indessen, mein General, es waren doch auch andere Punkte –« Der Veteran lächelte mit der Freundlichkeit eines Gönners, der einen Clienten nicht zu derb in die Grenzen des Respektes zurückweisen will. »Ich habe das auch wohl gelesen, und mich über die Intentionen, und die wohlarrangirte Explikation gefreut. Aber, meine Herren,« – er schien auch den Rath in seine Belehrung hineinziehen zu wollen – »mit Theorien hätte Friedrich Schlesien nicht erobert; unsere Armee ist nun einmal so und nicht anders, Herr von Eisenhauch. Und so war sie gut, und ob sie dann noch gut bleiben wird, wenn Ihr Rekrutirungssystem durchginge? Um Gottes Willen keine neuen Flicken auf ein alt Kleid. Draußen Unruhe, aber Ruhe, Ruhe, Ruhe im Innern. Nichts angerührt! Friedrichs Seele steckt in den Trommeln und den Grenadiermützen so gut als in dem point d'honneur der Offiziere und der Kanton pflicht der Rekruten. Ich räume Ihnen ein, ein Etwas muß anders werden, das Verhältniß der Kapitäne mit Kompagnie zu den Kapitäns ohne Kompagnie. Diese sechshundert Thaler, und jene mit vielen Tausenden, mit Equipagen, Reitpferden, Fourgons, Dienerschaft. Das schadet der Disciplin. Das muß anders werden. Die Zahl der zu Beurlaubenden muß den Herrn Kompagniechefs genau bestimmt werden und kein Mann darüber.« »Würde diese Bestimmung genügen?« »Für jetzt, Herr Major, wenn wir das durchsetzen, können wir zufrieden sein. Wenn Sie mich nicht verrathen wollen, in meinen Ideen gehe ich weiter. Es wird eine Zeit kommen, wo der Kapitän nichts mit dem Traktement seiner Leute zu schaffen haben darf, wo sie nur in einem Connex reiner Disciplin zu einander stehen. So muß es einst kommen, sag ich Ihnen, aber diese Zeit erleben nicht wir, vielleicht nicht unsere Kinder. Denn – der Mensch muß nicht zu klug sein wollen, oder es ist vorüber mit aller Autorité.« Der General ging. »Eine aus lauter Preußenthum konzentrirte Säure!« sagte der Major. »Und doch immer noch einer der bessern,« entgegnete der Rath. »Er wird sich auch, wenn es gilt, in seiner verrosteten Rüstung noch mit einem gewissen Geschick rütteln.« »Was hilft's den Andern!« rief der Major, der sich in den Armstuhl mit einem Schmerzensseufzer niederwarf. – »Ist dies die Haupstadt des großen Genius, von dem das Licht nicht über sein, nein, über unser Aller Deutschland aufging! Deutschland glaubt wenigstens noch, daß es hier hell sei; es ist der Anker, an den seine letzte, schmerzliche, krampfhafte Hoffnung sich anklammert.« »Hat man es Ihnen draußen anders geschildert?« »Nein! Aber den Tand, das Spiel und die Eitelkeit hielt ich für die Maske, unter der der männliche Entschluß, die Vorbereitung zur That sich verbirgt. Der blonde Arminius ließ auch die schönen Römerinnen lange mit seinen Locken spielen. Mit dieser Selbsttäuschung reiste ich durch Ihre Provinzen. Es sieht knöchern aus, überall ausgewaschene Kleider, schlotternde Glieder, eine Maschine, die klappert. Der Geist nur kann das zusammenhalten, tröste ich mich; der Nimbus um Friedrichs Thron flimmert noch in so wunderbarem Flammenglanz von fern gesehen. Und nun hier zur Stelle! Aus Kreisen in Kreise, aus Gesellschaften in Gesellschaften werde ich geschleppt. Irgendwo hoffe ich wird ein Vorhang sich lüften, die Stimme von Sais ertönen. Aber ein Vorhang nach dem andern reißt –« »Und Sie sehen nur Draht, Stricke und Kulissenschieber, der Dirigent fehlt.« »Sie haben doch einen König, der nüchtern blieb unter den Taumelnden, der nicht blasirt ist, ein scharfes Auge hat für das Unziemliche, der nicht den Esprit fort spielen will, um seine Frivolität zu entschuldigen und seine Unwissenheit zu verbergen. Er will das Gute –« »Gewiß! Und es überkommt ihn oft ein Schauer, in mancher Morgenstunde fühlt er, es kann so nicht mehr lange gehen. Aber von wem soll er erfahren, wie es gehen muß? – Keine Stände, keine Magnaten, kaum etwas, was einem Adel ähnlich sieht. Die Prinzen, was sind sie ihm? Die Polterer verträgt er nicht, die Genies sind seiner Natur zuwider. Unsere Minister kennen Sie, unsre Kabinetsräthe noch besser. Sie leben nur in den Tag hinein, zufrieden wenn sie bis Morgen gesorgt haben. Er ist friedfertig und alle Morgen präsentiren sie ihm einen Schüssel: Ruhe! mit Maaßlieb und Vergißmeinnicht geschmückt: ›So sieht es bei uns aus, Majestät, und sehen Sie, wie es draußen aussieht, wo sie alles bessern wollten.‹« »Aber er ist Friedrichs Enkel!« »Grade der ist sein Spukbild. Wo es ihm zu arg wird, wo er darunter fahren möchte, es anders haben, sagt man ihm: das hat doch unter Friedrich bestanden und es ging ganz gut! Oder gar: Majestät, das hat Friedrich selbst eingerichtet. Dann erschrickt er; in seiner Bescheidenheit getraut er sich nicht, es besser machen zu können. Und dies heilige Gespenst wird dem jungen Fürsten grade von Denen citirt, welche vor seinem Geist in Staub und Asche versinken müssten. Es sollte mich nicht wundern, wenn der König einen förmlichen Widerwillen gegen seinen Großoheim einsaugte, so störend wird sein Bild ihm überall vorgehalten, wo er etwas Selbsteigenes durchsetzen will.« »Aber mein Gott, Ihr großer König nannte sich Rex Borusorum, König von Preußen! Wo sind denn seine Preußen! Hat denn das Volk gar keine Stimme mehr, das ihn einst auf seinen Schildern trug? Oder war der Schmerzenslaut auf seinem Sterbebett eine Wahrheit? War der Große wirklich müde, über Sklaven zu herrschen?« Der Rath zuckte die Achseln: »Das ist eine Frage, mein Herr, über die wir die Antwort der Zukunft überlassen.« »Aber wenn keine Stimme, hat Ihr Volk auch keine Sinne mehr? Wo die Sturmglocken über den Kontinent läuten, wo der nächtliche Feuerschein von allen Seiten, der Branstgeruch, den Siebenschläfer aufwecken muß, schläft das preußische Volk allein da fort, begreift es nicht, was selbst jener verrostete General ahnt, daß es sich um Sein und Nichtsein handelt! – Wo der Geist schläft, wacht doch das Interesse. Für die Nothdurft, den Vortheil ist auch im Sklaven der Sinn rege.« Der Eifer des Majors verwandelte das halblaute Gespräch oft in ein lautes. Der Regierungsrath hatte, mit vorsichtigem Blicke Wache haltend, den Eifer zu dämpfen versucht. Er setzte sich jetzt dicht neben ihn: »Mein theuerster Freiherr, rufen Sie Alles hier an, nur nicht das Interesse. Wer soll denn wünschen, daß es anders wird? Sie befinden sich ja noch erträglich wohl, und die Kette klinkt auch noch ineinander, wenn man nicht zu stark dran reißt. Der Ertrag der großen Güter steigt, ihre adeligen Besitzer zahlen keine Steuern und ihr Werth läßt sich durch die bekannten Künste im Hypothekenbuch ins Enorme hinaufschrauben. Ein Krieg und dieser Werth sinkt. Und sollen die Junker ihn wünschen, denen im Heere, am Hofe, selbst in der Regierung die obersten Stellen nach wie vor reservirt sind! So viel Bürgerliche sich auch dazu im Laufe eines Jahrhunderts aufgeschwungen, sie blieben Ausnahmen, oder gingen da oben in die Klasse der Bevorzugten über. Sollen die Kaufleute einen Krieg wünschen, oder auch nur eine Aenderung? – Sie seufzen unter starken Abgaben, aber der Handel blüht und sie werden reich. Die übrigen Staatsdiener werden zwar kärglich bezahlt, aber pünktlich. Wenn ein Krieg die Kassen leert, woher dann die Besoldung nehmen.« »Ist das Ihre ganze Nation! Haben Sie nicht Künstler, Handwerker, Männer der Wissenschaft, kleinere Grundbesitzer, Bauern, die unter einer drückenden Eintheilung der Lasten seufzen?« »Sie seufzen wohl, aber sie sprechen nicht mit. Und wenn sie zu sprechen Lust hätten, so haben sie noch nicht zu denken gelernt. Mein Herr Major, Preußens Volkssinn steckt noch immer unter dem blauen Rocke. Und nun betrachten Sie auf den Wachtparaden die schwerfälligen, alten Offiziere, die Pontacsnasen, diese Kapitäne, die kaum die Schärpe um den Leib pressen, in den sie drei Viertel ihrer Kompagnie verschluckten. Sollen die Besserung wünschen, nach Neuerung verlangen? Ich gebe Ihnen zu, es sind nicht alle so, die Armee zählt schon viel jüngere Offiziere, voll Feuer, Begeisterung –« »Aber die Begeisterung ist eine Fuchtelklingenbegeisterung,« unterbrach der Major, »und ihr Herz schlägt nicht fürs Vaterland, nur für das point d'honneur und den esprit de corps –« »Halt, mein Herr, es giebt auch –« »Ich sah, ich hörte sie auf meiner Reise. Mir ward bange, wenn ich dachte, daß Preußen auf diesen Säulen allein ruht, und die Säulen sind unterspült und gelöst von der Erde, die sie tragen soll. Ich schauderte, wenn ich hörte, wie man überall vor den Soldaten die Schubläden und Thüren verschließt, als wären es nur geworbene Landsknechte, nicht des Landes Söhne. Doch sei das, mögen sie noch Leibeigene sein, nicht dem Vaterlande, ihrem Kapitäne. Aber, allmächtiger Gott, welche Sprache musste ich unter diesen hören, in den Wachtstuben der Herren Offiziere. Wäre das Deutschlands Adel, so wäre er verloren, nur schmählicher als der Frankreichs; nicht unter der Guillotine, er stürbe an einem innern fressenden Schaden. In den kleinen Städten, wenn der Bürger dem Wachtexercitium zusah, welche Urtheile! Sie gönnen es den Junkern, daß sie recht tüchtig mal von den Franzosen geklopft würden. Und das musste ich von guten Patrioten hören. Weiß man denn nichts davon hier? Ist man blind, taub, stumpf? Ist das nicht ein Zersetzungsprozeß, der den Blutlauf erstarrt?« Der Major empfand einen Stoß an seinen Ellenbogen: »Pst! Laforest wirst schon lange von seinem Ofen her beobachtende Blicke.« »Mag er es!« rief der Major aufstehend. »Lieber ihm in den Rachen, als da dem neuen Rhinoceros.« Das neue Rhinoceros war der eben eingetretene Legationsrath von Wandel, eine Sonne, die sofort ihre Trabanten hatte. »Ich kann den Menschen nicht leiden, ich weiß nicht warum,« sagte der Major. »Das geht Anderen auch so, Herr von Eisenhauch, zum Exempel unserm Minister. Bovillard möchte ihn gar zu gern in unsern Staatsdienst ziehn, Excellenz haben aber eine unwiderstehliche Aversion.« »Ist es denn wahr, daß er die sieben Adler von Napoleon hergebracht hat?« »So ist es.« »Dann ist's ja klar, er ist eine französische Kreatur.« »An dem Herrn ist mir noch nichts klar.« »Mir scheint er gefährlich.« »Ist's Ihnen darum zu thun, Aufklärung über den Punkt zu erhalten, lassen Sie uns zu Laforest gehen. Der Kreis um ihn lichtet sich.« »Sie warnten mich eben vor ihm.« »In seinem Rayon ist man wenigstens vor seinen Spionen geschützt. Es ist sogar gut, daß Sie sich ihm arglos zeigen.« »Wie sollte er aber dazu kommen, uns Aufschlüsse zu geben?« »Er gehört nicht zu den zugeknöpften Diplomaten. Ueberdem ist er jetzt satt. Bonaparte's Gesandter hat, was er will, hier erreicht. Er kann den nonchalanten Plauderer spielen. Er kann nicht allein den Rock aufknöpfen, auch das Hemde aufreißen, damit wir seine Brust schlagen sehen. Die gewinnende Vertraulichkeit wird auch wohl noch zum Leimstock für eine harmlose Fliege. Wie vergnügt Alle von ihm fortgehen! Trauen Sie keinem seiner Worte, und doch ist es möglich, daß er uns die reinste Wahrheit schenkt. Denn ob er mit ihr, oder mit der Lüge uns täuscht, ist ihm gleichgültig. Uebrigens weiß er alles, was hier geschieht und früher und genauer als der Polizeipräsident. Was der König beim Frühstück geäußert, läßt er schon am Mittag chiffriren. Er kennt die Anträge der Minister, die nicht bis zum Könige durchgedrungen sind, weil die Kabinetsräthe Widerstand leisten, und ehe noch Seine Majestät eine Sylbe davon erfahren, fliegt der Courier damit schon nach Paris.« »Warum macht man Laforest nicht zum Minister des Auswärtigen?« »Besser des Innern. Der russischen Fürstin ward vorgestern ein Brillanthalsband gestohlen. Die Polizei suchte umsonst. Er hat es gefunden. Gestern erhielt die Fürstin das Band, heut die Gerechtigkeit die Diebe.« »O wer den Dieb, der Deutschlands Heiligthum gestohlen, der Gerechtigkeit überlieferte!« seufzte der Major. »Ob wir uns auch an die fremde Diplomatie werden wenden müssen?« 26. Kapitel. Der Diplomat Sechsundzwanzigstes Kapitel. Der Diplomat. Die Unterhaltung mit Laforest ward natürlich französisch geführt. Der Gesandte pikirte sich dann und wann eine barocke deutsche Phrase einzuschalten. Es klang so vertraulich und so abscheulich; er war von der besten medisirenden Laune. »Excellenz scheinen sich zu amüsiren.« »Vortrefflich, où peut-on être mieux qu'an sein der illüstren Geister dieser Residenz.« »Die Dame des Hauses kann von besonderem Glück sagen, wenn Herr von Laforest so lange in ihrer Gesellschaft verweilt,« sagte Herr von Fuchsius. »Ein Gesandter muß beobachten.« »Da Preußen in den letzten Monaten in Brüssel und Paris war,« bemerkte der Major, »hatte Frankreichs Gesandter allerdings wenig aus dem verlassenen Berlin zu berichten.« »Sagen Sie das nicht, mein Herr Baron. Den Kaiser interessiren die inneren Bewegungen Ihrer Kapitale mehr, als Sie denken. Vor seinem durchdringenden Blicke ist kein Winkel in Madrid und Konstantinopel verborgen, aber in Deutschland, diesem Lande der Ideen und Schulen, sind ihm überall Querzäune, Hecken und Gräben gezogen. Er hat sich oft darüber geäußert. Wenn er über Reuß-Greitz im Klaren zu sein glaubt, gewahrt er plötzlich, daß es in Reuß-Schleitz ganz anders aussieht. Hier verehren sie Schiller, dort Goethe. Dort Kant, hier Fichte. Hier gilt schon etwas für Dummheit und Aberglauben, was dort noch gefährliche Aufklärung ist. Feine Conjekturalpolitik, logische Schlüsse reichen auf dies Land der Mannigfaltigkeiten nicht aus. Da stampft er mit dem Fuß, schreibt eigenhändig Marginal-Bemerkungen: Warum dies? Warum das? – Ein französischer Gesandter an einem deutschen Hofe wüsste eigentlich erst auf deutsche Schulen gehen, wenn er alle Fragen des genialen Mannes beantworten wollte.« »Allerdings bequemer, wenn man auch Deutschland über einen Leisten scheeren könnte.« Der Gesandte lächelte beifällig. »Er hat ein gutes Scheermesser, wie Sie wissen, und was das übrige Deutschland betrifft, kommt es ihm auf einige Höcker mehr oder weniger nicht an. Aber warum Ihr specielles Vaterland sich noch zu Deutschland rechnet, das interessirt ihn. Diese intensiven Bande der Sprache, des Gefühls, der Poesie und Philosophie.« »Was ihm gewiß ungleich interessanter ist, als die Situation unserer Festungen und Straßen zu erhalten.« »Unbedenklich,« sagte der Gesandte, eine Prise nehmend, die verbergen sollte, daß er recht wohl bemerkte, wie der Rath umsonst dem Major einen Wink gab, seine Invectiven zu lassen. »Denn wenn es zum Kriege mit Preußen käme, was der Himmel verhüte und ich für unmöglich halte, so lässt der Kaiser, mein Herr, weder durch Terrain-Schwierigkeiten, noch Festungen sich aufhalten. Der Kontinent liegt vor ihm wie eine Specialkarte, er hat die Risse aller Festungen und die Kataster Ihrer Zeughäuser. Er weiß, wo er die Elbe passiren muß, um nach Berlin zu marschiren, er kennt sogar die Straßen, durch die er einrücken würde; aber Ihre Parteien, das muß ich gestehen, kennt er nicht.« »Auch nicht wo ein solcher Beobachter ihn davon in Kenntniß setzt?« » Ma foi, ich kenne sie auch nicht. Denn Sie meinen doch nicht jene unruhigen Geister, die von der ehemaligen Herrlichkeit des Reichs deklamiren, von Arminius und Wittekind und – Thusnelda und deutschem Adel, zuweilen von Freiheit, zuweilen von der Liebe zu den angestammten Herrscherhäusern, und die überall konspiriren möchten, im Namen der Religion und Tugend für ein Etwas, was nie gewesen ist! Verzeihen Sie, darüber berichte ich ihm wirklich nicht; er würde mich auslachen.« »Sind Seine Majestät der Kaiser so scherzhaft gestimmt?« »Er lachte wenigstens eines Tages, als Talleyrand ihn auf die gefährlichen Tendenzen dieser adligen Tugendritter aufmerksam machte. ›Soll ich mich etwa um Kommis-Voyageurs bekümmern, welche die verlegene Waare des feudalistischen Patriotismus an den Mann zu bringen suchen?‹ – Aber als Freund möchte ich Ihnen, meine Herren anrathen, wo Sie etwa einen dieser Reisenden träfen, ihn zu warnen, daß er es nicht zu arg treibt. Der Kaiser, einmal in Harnisch gebracht, versieht keinen Spaß mehr.« Der Rath hatte die Hand des Majors rasch ergriffen, ehe dieser den Mund öffnen konnte. »Excellenz haben ganz Recht, es giebt unter uns keine Parteien, da wir Alle dasselbe wollen, das Glück unseres Vaterlandes.« »Ganz wie in Frankreich!« sagte der Gesandte. »Wenn die Nationen sich nur verständen, so wäre die Erde ein Paradies.« »Und Diplomaten können viel dazu beitragen.« »Wie ich von Herrn von Laforest überzeugt bin, daß er nur Gutes und Wohlmeinendes über uns nach Paris berichtet.« »Was könnte ich anders! A propos, da fällt mir ein, neulich konnte ich ihm nur Stoßseufzer berichten. Sagen Sie, was ist das für ein Weg von hier nach Tegel! Knietiefer Sand und Steine! Aus Erbarmen für meine Pferde musste ich aus dem Wagen springen.« »Was führte Excellenz nach Tegel?« »Sein expresser Auftrag.« »Napoleon sollte dies unbedeutende Dorf kennen?« »Im Kreise der Kaiserin war von der Staël die Rede gewesen, Madame Josephine suchte sie zu vertheidigen gegen den sprudelnden Zorn ihres Gemahls – unter uns, Napoleon ist darin etwas kleinlich – dabei kam man auf ihre Studien in Deutschland, auf Herrn von Goethe, der ein romantischer Poet und Minister zugleich sei, was Napoleon wieder nicht begriff, auf ein didaktisches oder dramatisches Poem desselben, Doktor Faust, auf die Illustration eines Hexensabbaths, ich glaube Walpurgisnacht, wo ein Vers vorkommt, der ja wohl heißt: Und dennoch spukt's in Tegel. Irgend ein Germanomane muß wohl in der kleinen Societät gewesen sein, wie dem nun sei, der Kaiser ließ sich die Worte übersetzen und erklären. Das Spuken kann er nicht leiden, er meinte, es spuke überall in Deutschland, warum in dem Orte, von dem man ihm gesagt, daß er dicht bei Berlin liegt, was das zu bedeuten habe, was Tegel sei? Kurz das Ende vom Liede, eine Anfrage an mich, ein Befehl, an Ort und Stelle zu untersuchen und zu berichten.« »Und Sie entdeckten nur den stillen Ruhesitz des großen Gelehrten, der wohl nicht auf den Cordilleren mit Ihrem Bonpland gegen den Kaiser konspirirt haben wird.« »Ein großer Mann pikirt sich in seiner Laune oft auf Kleines. Er traut Ihrem Könige, wie seinem Busenfreunde, aber bei einem Spukhaus in Deutschland denkt er sogleich an Höllenmaschinen und Konspirationen des Herrn Pitt. Den Baron Humboldt ästimirt er sehr.« Der Major bemerkte: »Wahrscheinlich war dies das letzte Wichtige, was Excellenz aus Berlin zu melden hatten.« »Im Gegentheil, Herr von Eisenhauch, was gab es nicht in den letzten Monaten zu berichten: Die Ansichten, die bedenkliche Stimmung im Publikum bei der Hinrichtung der Kindesmörderin. Es handelte sich dabei um Abschaffung der Todesstrafe, im Volk glaubte man es wenigstens. Wenn Preußen die Initiative ergriffe, glauben Sie nicht, daß der Kaiser mit Vergnügen darauf einginge? Dann die Frage, ob der Geheimrath Lupinus abzusetzen sei, oder nicht? Welche andere Frage knüpfen sich nicht daran! Unter uns, Napoleon würde vielleicht kürzeren Prozeß gemacht haben; freilich je nachdem. Und dann die Excesse in dem Hause der Obristin. Wie viele seine Hoffäden spielen da hinein, und ich muß gestehen, man hat es mit Takt applanirt. Der Kaiser war, wie ich Ihnen im Vertrauen sagen kann, darüber erfreut; an einem an dern Hofe würde man in der verdächtigen Dame eine seiner Emissairinnen gewittert haben. Auch die Anwesenheit der vielen vornehmen Fremden genirt ihn gar nicht. Ginge es freilich nach Talleyrand, so hätten wir längst auf die Ausweisung der Fürstin Gargazin gedrungen. Sagt man nicht im Publikum, sie intriguire für Rußland? Immerhin, wir kennen Ihren König, Ihren Hof, Ihr Volk und Land, und sind vollkommen ruhig.« »Was kann uns Schmeichelhafteres gesagt werden?« »Und was habe ich jetzt zu berichten über den Empfang des Monsieur Jean Paul. Muß ich nicht aus Gesellschaft in Gesellschaft, um nur Zeuge zu sein der Huldigung und Vergötterung des Poeten?« »Wenn Troubadoure, wie die Rattenfänger von Hameln durch den Kontinent zögen, würde Seine Majestät Kaiser Napoleon sparen können an – Diplomaten, die beobachten, vielleicht auch an Armeen, die für ihn erobern.« »Mein Kaiser ist ein Eroberer, Sie haben Recht, Major, er ist dazu geboren. Glauben Sie aber nicht, daß er es vorzöge, wenn er den Embarras der Waffen sparen und die Herzen erobern könnte? Wenn die Deutschen doch ihre wahren Interessen verständen. Theilen wir! Der Kaiser erobert die Reiche dieser Welt und lässt dafür Ihre Nation schaffen und erobern allein in dem der Ideale und der Schönheit. Die Deutschen haben Ueberfluß an Produkten und ihnen fehlt nur der Markt dafür. Den eröffnet er ihnen in seinem Weltreiche.« »Unser Dichter Friedrich Schiller sang schon von dieser Theilung.« »Ach, ich weiß, vom Parnaß.« »Indessen hat uns Seine Majestät der Kaiser auch schon mit etwas Irdischem beglückt. Sieben seiner höchsten Ordenszeichen, allein für unsern Hof!« »Ich bin beschämt, eben zu hören, daß Seine Majestät, Ihr König, so schnell sich revanchiren will. Auch sieben seiner schwarzen Adlerorden gehen nach Paris.« »In der That!« sagte der Major. »Ich möchte der glückliche Ueberbringer sein!« »Wie der Ueberbringer der Kaiserlichen Auszeichnungen auch hier einer glücklichen Entree sicher ist,« setzte Herr von Fuchsius hinzu. »Nein, er hat das Bein gebrochen,« sagte der Gesandte. Rath und Major sahen sich verwundert an, und dann nach dem andern Zimmer, wo der Legationsrath der Russischen Fürstin eben die Pflegetochter des Hauses vorstellte. »Er scheint doch in voller Gesundheit auf seinen Beinen zu stehen.« »Ach, ein kleiner Irrthum, meine Herren! Ein Adjutant von Mortier war als Kabinetscourier hergeschickt. Er brach in einem Hohlweg unglücklicherweise Wagen und Bein, und da ihm zur Pflicht gemacht war, Depesche und Beilage an einem bestimmten Tage mir einzuhändigen, glaubte er ihr zu genügen wenn er beides Jemand überlieferte, auf den er sich verlassen könnte. Der arme Debeleyme liegt noch auf seinem Schmerzenslager auf dem Gute des Herrn von Wandel, der wirklich mit aufopfernder Güte und Courierpferden den Auftrag statt seiner ausgeführt hat.« Rath und Major hatten aus der Antwort nicht erfahren, was sie wissen wollten. »Der Adjutant konnte sich also auf Herrn von Wandel verlassen?« fragte nach einer Pause der Major. »Ein Packet von Erfurt nach Berlin zu tragen! Das übergebe ich dem ersten besten Landreiter, der ein anständiges Trinkgeld einem gefährlichen Angriff auf bunte Blechwaaren vorzieht.« Laforest lächelte: »Meine Freunde, wozu unter uns ein Versteckspiel, wo Jeder dem Andern in die Karten sieht! Sie wünschen zu erfahren, ob und in welchem Connex ich mit Herrn von Wandel stehe? Wenn ich nun feierlich dagegen protestirte, würden Sie mir glauben? – Sie würden wenigstens sehr unrecht thun. Ich protestire aber gar nicht dagegen.« »Sie geben ihn nur durch Ihre Erklärung bloß.« »Ich übergebe ihn Ihrer Divinationsgabe, denn meine ist bis dato noch an ihm gescheitert.« »So muß er Ew. Excellenz beschäftigen?« » En passant. Der Fürstin Gargazin drängt er sich auf, also gehört er nicht zu ihr. Ein Oesterreichischer Agent ist er auch nicht, er spricht zu viel von seinen vertrauten Bekanntschaften am Wiener Hose. Für Englische Spione habe ich einen besonderen Takt. Aber –« »Vielleicht aus Spanien oder Schweden?« warf der Major ironisch hin. Ein eigenes Lächeln schwebte um die Lippen des Gesandten: »Warum nicht auch aus Frankreich. Ich bin nur der offizielle Gesandte, mag Talleyrand nicht auch einen geheimen für nöthig halten, der mich beobachtet?« Hier war die Möglichkeit einer Wahrheit. Die Blicke der Beiden gestanden es sich, und Fuchsius erwähnte, daß der Legationsrath, seiner Angabe nach, bedeutende Güter in Thüringen besitze. Interessirte er wirklich in der angegebenen Art den Gesandten, so musste dieser sich darüber Aufklärung verschafft haben. Laforest ging auch sofort darauf ein: »Allerdings hat er sich dort angekauft; in einer Subhastation erstand er nicht unbedeutende Güterstrecken, man sagt indeß solche, die nie lange in der Hand ihres Besitzers blieben, weil sie, schwer belastet, kaum die Mühe der Kultur lohnen. Hier in Berlin will er sein, um mit den Männern der Wissenschaft einen Meliorationsplan zu entwerfen. Warum nicht! Er kann aber auch zu allerhand andern Geschäften da sein: um die Quadratur des Cirkels zu finden, Geister zu citiren, – das Wahrscheinlichste ist mir aber immer, um Geld zu machen. D'ailleurs Messieurs, diese Mysticismus duftenden Personen sind meiner Natur entgegen. Ich überlasse daher den Legationsrath, auf parole d'honneur, ganz wie er ist, Ihren Recherchen. Aber da fällt mir ein – wissen Sie schon, daß der junge Bovillard ihn heut auf Pistolen gefordert hat?« »Den Legationsrath? – Ach, es ist richtig, wegen jener alten Geschichte.« »Man findet es sonderbar, daß Herr von Wandel gleich nach der Affaire abreiste, und gerade damals an Ort und Stelle seine Güter und so lange amelioriren musste.« Der Major hatte während des Gesprächs die betreffende Person scharf ins Auge gefasst: »Ich sehe keine Veränderung in diesem eisernen Gesicht.« »Möglich. Naturen dieser Art sind mir, wie gesagt, fremd. Die Präparationen des Duells aber sollen mit der strengsten Verschwiegenheit vorgenommen wer den. Beobachten Sie doch gefälligst, meine Herren, wenn Sie sich nachher in die Gesellschaft verlieren, ob schon Andere davon wissen, ob der Legationsrath bekannte Personen in den Winkel zieht. Das sind freilich Bagatellen, aber aus Bagatellen lernt man einen Menschen kennen.« Der Seitensprung schien auf beide Herren keinen besonderen Eindruck gemacht zu haben; die Person des jungen Bovillard war ihnen gleichgültig. Auch die Aufmerksamkeit des Gesandten schien rasch auf andere Dinge übergegangen. Er sprach etwas von Sympathien und Antipathien; jene, weil sie sich chemisch auf ihre Elemente zerlegen lassen, kümmerten ihn nicht, woher aber komme die Idiosynkrasie, jener angeborene Widerwille, den die Vernunft umsonst bekämpfe? Wie alles Wunderbare finde er auch ihn in diesem Lande zu Hause. Aber er schien jetzt nur der Sympathie zu huldigen, indem er die Frauen die Musterung passiren ließ. »Herr von Fuchsius scheint mit besonderer Sympathie die schöne Pflegetochter des Hauses zu beobachten. Allen Respekt Ihrem Geschmack. Oder flattern Ihre Augen weiter; denn, man muß gestehen, es entfaltet sich ein unvergleichlicher Blumenflor. Wer ist die junonische Schönheit dort?« »Excellenz meinen die Herz?« »Nein, die den halben Rücken uns zugedreht.« »Baronin Eitelbach?« »Die!« Der Gesandte schielte mit sardonischem Lächeln über das Ofengesims. »Schön ist sie!« »Auch tugendhaft.« » Nous le verrons. « »Zweifeln Sie nicht daran, Excellenz! die arme schöne Frau hat keine andern Eigenschaften.« » Messieurs! Die Gelegenheit macht Diebe und Intriguen den Verstand. Geben Sie einer Deutschen die Erziehung einer Pariserin, versetzen Sie sie täglich in die Salons, wo der Verstand sich reiben und schleifen muß. – Der Witz sprießt von selbst heraus und – Ihre Landsmänninnen werden so liebenswürdig und intriguant wie eine Pariserin.« »Was die Baronin betrifft, so haben wir Grund, es zu bezweifeln.« »Meine Herren, was gilt die Wette, diese Dame, die jetzt für dumm gilt, hat in Jahr und Tag Esprit, sie wird interessant, witzig, das Stadtgespräch, vielleicht die Beauté, die Sonne der Gesellschaften.« Man sah Laforest verwundert an. »Die neuesten Mysterien von Berlin. Und es ist exakte Wahrheit.« Er zog sie hinter den Ofen, und flüsterte, die Hand am Munde, etwas, was ihn selbst wenigstens angenehm kitzeln musste, denn das Gesicht verlor im Erzählen den diplomatischen Ausdruck. » Que dites-vous? Aber es bleibt ein Mysterium.« »Was sagen Sie dazu?« fragte der Regierungsrath, als Laforest sie verlassen. »Daß Berlin auf gutem Wege ist, Paris zu werden. Aber das riecht sogar nach Byzanz. Im Augenblick des höchsten Ernstes ein solches Spiel niederträchtiger Frivolität!« »Diese Menschen können nicht aus ihrer Natur.« »Was soll's mich dann kümmern, ob Einer mehr noch einen Faden treibt in das Gewebe verstockter Thorheit, niederträchtiger Gesinnung und liederlichen Willens!« »Sie müssen spielen um zu leben.« »Man naht doch mit heiliger Scheu der Stätte, die ein großer Geist geweiht hat. Noch sind's nicht zwanzig Jahr, daß sein Auge leuchtete, seine Stimme tönte, und nun solche Kreaturen wimmelnd im Dunstkreis seines Grabes! Sind das die Würmer, die an des Riesen Leichnam nagten? Oder, fragt man sich unwillkürlich, erschien auch der Riese uns nur so gigantisch in seinem Dunstkreise? Und war es anders, wenn man ihn im Schlafrock sah?« »Das ist eine fürchterlich ernste Frage, mein Herr von Eisenhauch. Seine Atmosphäre war vielleicht nicht angethan, um Männer zu erzeugen. Er sehnte sich nach ihnen in seiner tiefen Einsamkeit, aber sein scharfer Athem, das Feuer seines Auges ließ die Embryonen nicht aufkommen. Friedrichs Tafelrunde war für blitzende Geister und kühne Ritter, aber für Charaktere war doch kein Platz.« »Und wir brauchen sie, Männer – wenn nur einen , und der Eine ist es auch nicht – eine verglaste Ruine, an der die Flamme nur noch zuweilen emporleckt, um die ungeheuere Verwüstung zu zeigen.« Der Rath drückte ihm die Hand: »Trösten wir uns, daß die Zeiten verschieden sind. Eine jede gebiert das, dessen sie bedarf, also auch ihre Männer.« Sie verloren sich in der Gesellschaft. Fuchsius stieß an der Thür mit Laforest wieder zusammen, der, den Hut in der Hand, die Versammlung rasch verlassen zu wollen schien. »Wohin Excellenz?« »Zum Berichten.« »Was, wenn das Herz des Diplomaten noch geöffnet ist?« »Was Sie mehr interessirt als mich.« »Geht die Eitelbach in die Falle?« Der Gesandte flüsterte ihm ins Ohr: »Stein wird doch Minister.« »Eine Attrape?« »Für den es trifft, übrigens eine neueste wirkliche Neuigkeit?« »Von Engeln ihnen zugeraunt?« »Der Russischen Fürstin.« »Und warum jetzt?« »Weil man keinen andern Finanzminister austreiben kann. Nutzen Sie es, Herr von Fuchsius. Ein neuer Minister verspricht alles und gewährt zuweilen einiges, wenn man schnell dahinter ist.« Laforest verschwand. 27. Kapitel. Die russische Fürstin Siebenundzwanzigstes Kapitel. Die russische Fürstin. Einfacher konnte man für eine große Gesellschaft nicht gekleidet sein, als die russische Fürstin. Ihr Kleid schimmerte ins Graue, nichts von Brillanten, kein Geschmeide. Die glänzend schwarzen Haare scheitelten sich schmucklos um ein seines, ausdrucksvolles Gesicht, in dessen breiter als europäisch geschlitzten Augen zuweilen ein stilles Feuer glühte, das seine Strahlen aus einer schönern Welt zu borgen schien, und ein süßes harmonisches Lächeln spielte dazu um die wohlgeformten Lippen. Sie musste Jedem etwas Angenehmes oder Interessantes zu sagen wissen, denn ein solcher Eindruck strahlte vom Gesicht Derer, die vor ihr gingen. Seit Laforest den Schauplatz verlassen, schien sie der Magnet geworden, welcher die Wandelsterne anzog. »Was hat die nordische Sybille meiner Freundin vertraut?« fragte die Wirthin die Baronin Eitelbach. »Sie lächeln ja so vergnügt« »I Gott bewahre, ich lache nicht. Sie hat mir nur gesagt – es ist zum Todtlachen.« »Gewiß eine Wahrheit. Das sehe ich auf Ihrem Gesicht.« »Sehn Sie auch in die Gesichter rein, Geheimräthin? Ich wäre sterblich verliebt, hat sie gesagt, oder wenn noch nicht, so würde es bald zum Ausbruch kommen. Ist das nicht zum Todtlachen!« »Prüfen Sie Ihr Herz,« sprach die Geheimräthin, den Zeigefinger erhebend, und entfernte sich in der Richtung nach dem neuen Zauberkreise. Die Anwesenheit der Fürstin war ihr zwar angenehm, sogar sehr angenehm, es war die vornehmste Frau in ihrer Societät. Aber was sie Laforest vergab, war ihr hier nicht mehr angenehm; die Fürstin zauberte zu viel. Herr von Wandel stand neben der schönen Frau, die an ihrer Schärpe zupfte. Er hatte das Gespräch behorcht: »Prüfen Sie Ihr Herz!« wiederholte er mit sanfter Stimme. Sie fuhr etwas zusammen. Ein Wort des Vorwurfs schien auf ihren Lippen bereit, aber mit so Zutrauen erweckendem Blicke sah der ernste Mann sie an! Er hatte es nicht böse gemeint, und er spaßte nicht. »Wenn dies Herz am Altar der Grausamkeit geopfert hat, so seien Sie wenigstens menschlich grausam, zeigen sich nicht immer Mittags am Fenster, ihr Köpfchen zwischen den Balsaminentöpfen. Das nährt die Hoffnung, die Sie nicht erfüllen können.« »Das thue ich ja immer.« »Und weil er das weiß, reitet er immer vorüber.« »Wer? – Sie meinen doch nicht die Dragoner und die Gensd'armen, die marschiren immer nach der Parade durch unsere Straße. Ihre Musik ist gar zu schön und die Uniformen –« »Der Dragoner – und auch der Gensd'armen,« setzte der Legationsrath mit Betonung hinzu. »Herr Gott, Sie ängstigen mich, Legationsrath, wer sieht denn nach mir rauf?« »Machen Sie eine Badereise. Vielleicht vergisst er Sie.« »Wer? Wer? Sie Quälgeist!« Der Legationsrath hielt die schöne Hand noch immer in seiner und blickte so sinnig fragend zu ihr herab: »Sollte das Verstellung sein? Nein, dies seelenvolle Auge kann nur der Spiegel der inneren Wahrheit sein.« »Sie meinen doch nicht den Lieutenant Kleist oder den Fähndrich Kaphengst? Mit dem hab ich ja noch gespielt als Kind, und der ist mein Neveu.« »Sie spielten ein gefährlich Spiel mit ihm – das Spiel des Zornes, gnädige Frau. Eine Frau darf nicht hassen.« »Wen hab' ich denn gehasst, ich wüsste Niemand.« »Nennen Sie es Antipathie, Widerwillen, wie Sie wollen; sobald die Abneigung zur Leidenschaft wird, hat Sie etwas – Interessantes, Lockendes. Mancher Kranke, der eine Medizin mit Widerwillen nahm, schlürft sie zuletzt mit Leidenschaft. Ja hätten Sie ihm gleichgültige Verachtung gezeigt! Aber Sie exponirten ja Ihre Antipathie. Das darf eine Frau nie thun! Sie ließen ihn merken, wie schon seine Gegenwart, sein Anblick Ihnen zuwider war. Das, von einem Weib, reizt den Mann. Er kann sich rächen wollen. Das sind unedle Naturen. Aber gehasst zu werden von einer schönen Frau ist ein berauschendes Gefühl. Es stachelt unsre Eitelkeit, wir sinnen nach, welche unsrer Eigenschaften denn diese Leidenschaft in dem schönen Gegenstande geweckt haben kann?« »Herr Gott, Sie meinen doch nicht!« »Namen nenne ich nie. Wenn Sie ihm den Rücken kehren, sieht er nur Ihre schöne Taille, wenn Sie die Schleppe verächtlich um den Arm schlagen, nur den gerundeten Ellenbogen. So wissen Sie nicht, daß Sie in jeder Bewegung, die Ihre Abneigung deployiren soll, einen Köder auswerfen, und statt ihn abzustoßen, fesseln Sie ihn.« Die schöne Frau warf einen Blick ins Leere und er traf die Wahrheit. Momente giebt es, wo sie in jeder Natur durchschlägt; aber es sammelten sich zugleich eine Masse Erinnerungen, die ihr Auge jetzt trübten! jetzt einen Strahl des Zornes entzündeten, und es platzte heraus: »Wie das Porzellanservice aus Meißen ankam, und der Spediteur es so schlecht verpackt hatte, und mehr als die Hälfte war auf dem Transport zerschlagen, vierhundertfünfzig Thaler der Schaden, und Gott weiß, welche Mühe es gekostet, daß ich Meinen dazu gekriegt! Und war nicht versichert! Da sollten Einem wohl nicht die Thränen ins Auge treten, ich möchte heut noch weinen, und er – lachte, ja das hat er, sich ordentlich geschüttelt! O er hat ein schlechtes Herz. Ich hab's ihm aber gesagt, das kam aus einem boshaften Gemüth. Und voriges Jahr noch in der Gesellschaft bei den Leuten – i mein Gott, Sie kamen ja auch noch nachher – da nahm er mir ja den Stuhl vor der Nase weg. Ich begreife gar nicht, wie man so grob sein kann und so maliciös.« »Vor Andern. Wer sieht ins Herz!« »Er pustet ja ordentlich vor Selbstgefälligkeit. Glaubt er, alle Frauen müssten sich in ihn verlieben, wenn er den Bart streicht?« »Das ist ein eigen Kapitel, meine Freundin, von der Sympathie und der Antipathie. Ich kenne den Herrn Rittmeister nicht, ich weiß nur –« »Daß mir ordentlich wohl ist, wenn ich ihn in einer Gesellschaft nicht treffe.« »Ob ihm aber wohl ist! – Sie sahen nicht, wie er nach jener Gesellschaft, wo er Sie so auffallend beleidigt, Ihnen immer von sein folgte, wie er wartete, um Sie einsteigen zu sehen; wie er, als der Wagen vor Ihrem Hause vorfuhr, schon durch Quergassen schneller dahin gekommen war, und an der Ecke im Mantel verhüllt, sah er Sie aussteigen! Mich dünkt Sie sahen sich um, und wandten schnell den Kopf –« »Ich erinnere mich nicht.« »Sie müssen ihn gesehen haben. Wenn da grade nicht, doch ein ander Mal. Entsinnen Sie sich nur. Man kann sagen, er folgt Ihnen auf Schritt und Tritt, vielleicht unwillkürlich.« »Sie erschrecken mich, Herr von Wandel. Der Mensch lauert mir auf, um mir einen Affront anzuthun.« »Das will ich nicht hoffen.« »Aber, ich bitte Sie, 's ist ja rein unmöglich. Wer sich so vor den Menschen beträgt, was kann der Gutes im Schilde führen!« »Der unerklärte Trieb unserer Natur, der ewige Zwiespalt unserer selbst, das Licht und der Schatten, der Ahriman und der Ormuz, daß wir schaffend vernichten, vernichtend schaffen. Wenige, die sich über diesen Zwiespalt erheben, die dies Räthsel der Natur gelöst. Sie selbst, meine theure Freundin, werden dies oft empfunden haben. Ihr sinnend Auge giebt mir die Antwort.« »Dieser Mensch begegnet mir überall,« sagte der Major an einer andern Stelle zum Regierungsrath, »wie ein eiskalter Luftzug. Undurchdringlich im Gespräch, alles wissend, jedem Gefühl verschlossen. Ich bin jetzt zu glauben geneigt, daß Laforest wirklich kein Bohrloch in dieser glatten Wand gefunden.« »Und doch sehen Sie, welches Leben er in die schöne Bildsäule gehaucht! Man möchte erfahren, was der Magus mit ihr sprechen konnte.« »Sollte er in der frivolen Intrigue mitspielen? Sie waren nachher in eifriger Konversation mit ihm.« »Eifrig?« »So war seine Miene.« Fuchsius lächelte: »Er fragte mich, ob das Vermögen von ihr oder von ihm käme? Von Heyms neuer Wunderkur, von der Legirung des Platina und von der neuesten Liaison der Unzelmann. Das war ein Theil unseres Gesprächs, das glatt wie ein Aal hingleitete. Nähern wir uns der Sybille. Jetzt spricht er mit ihr.« »Auch nur en passant « Die Sybille schien einen Köcher von Liebespfeilen ausgeschossen zu haben; oder waren es wirklich sybillinische Sprüche, was der Physiognomie der Andern einen so besondern Ausdruck gab! Doch hatte Jene plötzlich Allen den Rücken gekehrt, um der Wirthin ihre ganze Aufmerksamkeit zu schenken. » Elle est une merveille d'amabilité! « versicherte der Geheimrath Lupinus von der Vogtei, beide Hände als Schallrohr vor dem Mund, denen, die ihm entgegen kamen. » Pleine de grâce et d'une sagesse, s'il m'est permis de m'exprimer ainsi, presque éthérée. Et un savoir-faire! « »Na warum denn?« sagte der Doktor Marcus Herz, der ihm in den Weg getreten kam und nicht Platz machte. » Mon ami! « rief Lupinus. » Elle a une pénétration parfaite, elle lit dans votre coeur comme dans un livre ouvert. « »Auch in Ihrem, Geheimrath?« fragte der Arzt, seine Hand auf Lupinus' Schulter legend. » Elle connaît tout le monde, elle enchante tout et est enchantée de tout. « »Auch von Ihnen! Na hören Sie, dann ist sie mehr als ein Wunder – ein Meerwunder.« »Immer der liebenswürdige Satyriker. Mais quant à la beauté, Madame Herz kein Vergleich. Elle est la beauté même et aussi pleine de sagesse. « Die Fürstin hatte ihren schönen Arm halb um die Wirthin geschlungen, ihr für den vergnügten Abend zu danken: »Aber das Beste entziehen Sie mir so lange.« Die Lupinus bedauerte, daß der Dichter noch immer auf sich warten lasse; gewiß sei es ein plötzliches Hinderniß, was die Ankunft, der alle Herzen entgegen schlügen, nur verzögere. »Ich kann die Spannung begreifen,« entgegnete die Fürstin, »ob er aber die Erwartung befriedigen wird! Es kommt sehr auf die Laune an, in der er ist. Aber ich meine jetzt unsere theure Wirthin, die freilich der Gesellschaft angehört, und ein einzelner Gast wäre unbescheiden, wenn er mehr fordert, als auf seinen Theil ihm zukommt.« Die Geheimräthin meinte, sie habe nicht den Andern im Lichte stehen wollen, und besonders vor Einem, nach dem Alle unwiderstehlich sich angezogen fühlten. Ohne auf das Bittere zu achten, was sich dem Kompliment unwillkürlich beimischte, sah mit einem innigen Blick die Fürstin sie an: »Wozu diese Gemeinplätze zwischen uns! Sie sind eine Märtyrin und Ihr ganzes Leben ist ein Opfer. Ich weiß ja alles und ich betrachte mit einer bewundernden Theilnahme Ihr stilles Wirken der Resignation. Was kann Ihnen diese Gesellschaft sein? Sind Sie nicht mit sich selbst, mit Ihren Büchern in einer besseren? Und alle diese Embarras nur um Andern Freude zu machen!« Die Lupinus protestirte dagegen. Sie kannte die Fürstin noch zu wenig. Sie wusste nur, daß sie vertrauten Umgang mit Elise von der Recke gepflogen, daß die Jünger der romantischen Schule bei ihr Zutritt hatten, man sagte auch, daß sie der katholisirenden Richtung dieser Schule huldige. Sie antwortete mit der Banalphrase, daß Andern Freude bereiten selbst Freude schaffe. Die Fürstin streifte darüber hinweg, wie über ein etwas, was keiner Erwiderung bedurfte. Aber es lag keine Beleidigung in ihrem Blick. »Ihr ganzes Opferleben fühl' ich in mir selbst wieder,« sprach sie, sich in die Ottomane zurücklehnend, auf der Beide in einer Nische Platz genommen. »Ich fühle es wieder, obgleich mir, was die Welt ein glücklicheres Los nennt, beschieden war. Der Fürst, mein Gatte, verstand mich, ich verstand ihn. Ich brauchte nicht ängstlich vor der Welt den Schirm vorzuhalten, damit man seine Schwächen nicht gewahre. Er war kein eminenter Geist, kein Gelehrter, er liebte das Leben und trank seine Genüsse, wie den Schaum des Weines, er war was die Welt nennt, ein vollkommener Lebemann; aber ohne Arg, grade wie er war gab er sich. Da musste die Vorsehung nach einem kurzen Glück – wozu Elegieen an einem so frohen Tage! Es war so besser, für ihn, für mich.« Wo sollte das hinaus! dachte die Geheimräthin. »Mein Mann ist –« die Fürstin unterbrach sie aber mit einem sanften Händedruck: »Ich frage mich oft, warum müssen diese Kräfte durch Anstrengungen gehemmt werden, die nie eine andre Frucht tragen können, als einen Schein? Denn Ihren sonst to trefflichen Mann werden Sie doch nicht gesund machen, ich meine so gesund, das er sich wieder ins Leben taucht!« »Ich versuche wenigstens, es ihm so angenehm wie möglich zu machen. Seine Ansprüche sind so bescheiden!« »Das weiß ich. Aber ist das eine Aufgabe für eine Frau Ihres Geistes! Sein Glück ist gemacht, indem Sie ihm in seiner Assiette sich selbst überlassen. Sie könnten doch frei, sich mehr Ihren eigenen, edleren Trieben überlassen. Freilich haben Sie sich eben wieder eine neue Sorge auferlegt, die Sie ganz absorbirt, doch wer wollte da ein Wort gegen sagen! – Aber nun bewundere ich Sie wieder, wie Sie sich auch der Familie Ihres Mannes annehmen. Dies Festin ist doch auch gegeben, um Ihren Schwager gewissermaßen in der Gesellschaft wieder zu retabliren.« Die Geheimräthin seufzte: »Man muß doch für seine Familie leben!« »Das ist ein schöner Zug im deutschen Gemüthsleben!« »Wo der Staat seine Ehre anerkannt hat, darf die Familie sie nicht sinken lassen.« »Hoffen Sie, daß er wieder den rechten Weg finde, der arme Irrende.« »Das hoffe ich nicht –« »Man muß nie eine Hoffnung aufgeben. Aber sehen Sie da – sie ist reizend! Und welche Gruppe diese beiden Frauen! Zum Malen!« Ihre Blicke hafteten auf Adelheid, die mit der Doktor Herz im Nebenzimmer sich unterhielt. Die Fürstin schwärmte in dem Lobe ihrer Schönheit. Es war mehr als Malerei, sie lebte in der Schilderung mit, ihre nervösen Bewegungen verriethen es. »Hier kann man den Unterschied von Schönheit und Schönheit studiren. Madame Herz ist gewiß eine vollkommene, aber ihr fehlt etwas.« »Der Kopf ist zu klein für die junonische Gestalt,« sagte die Geheimräthin. »Ich betrachte sie nicht als Sculpteur. Die Psyche ist's, die mich interessirt, wie das innerste ein knospet und blüht in der Erscheinung! Aber Sie mögen Recht haben, liebe Frau, aus dieser edlen, großen Gestalt schoß nicht mehr auf als ein kleiner Kopf, weil es an dem Feuer gebrach, das eine gebietende Stirn, eine Jupiternase, schwellende Lippen, das schwimmende, überwältigende Auge schafft.« »Die Herz ist passiv, aber sehr intensiv.« » Qu'importe! « »Und tugendhaft.« » C'est ça. Par son naturel. Aber sehen Sie, trotz des orientalischen Nimbus, ich frage Sie, könnte ein Maler aus dem Gesicht eine Heilige machen? Nimmermehr, ihm fehlt die Sinnlichkeit. – Sie bewegt sich – jetzt recht lebhaft – drückt ihre Lippe es aus? Verräth es das Auge? – Und nun dagegen Adelheid! Eine unwillkürliche Bewegung ihres Füßchens, und die Lippe spricht es aus, das Grübchen am Kinn. Elastisch die ganze Figur, aber das Gesicht die Blüthe. Wenn ich nichts als das Gesicht sähe, wollte ich mir ihre ganze Gestalt konstruiren. O Sie, müssen eine wahre mütterliche Freude an dieser Requisition haben.« »Wenn sie meinen Erwartungen entspricht. Ihre Erziehung entsprach den beschränkten Sphären ihres elterlichen Hauses. Es müssen viele Gewöhnungen, vulgäre Ansichten ausgetrieben werden –« »Nichts austreiben, um Gottes willen nichts austreiben, theure Frau!« »Ihr fehlt das Sublime. Ich sehe noch immer durch alle ihre Reize den Thon, aus dem sie gebildet. Aus ihren ästhetischen Urtheilen platzt zuweilen eine Natürlichkeit, über die ich erschrecke. Daß die Herz sich für sie interessirt, ist mir lieb; ich hoffe, sie soll aus ihrer Conversation lernen. Manches Eckige, Erdige wird sich abschleifen, um dem Sinnigen Platz zu machen.« Die Fürstin sah sie verwundert an, aber die Mißbilligung, die in ihrem Blicke lag, ging in ein Lächeln über: »Nicht die Herz! Keine Hofmeisterin! Die Herz würde ihr schöne Maximen predigen! O keine Predigten! – Sie zur Tugendpuppe erziehen, das heißt eine Natur verderben, wie sie nicht oft aus Gottes Schöpfung hervorgeht.« »Ich meinte auch nicht grade eine Klostererziehung.« »Dies pulsende Blut will sein Recht. Der Schöpfer träufte es in unsere Adern, wie er die Sonne in den Aetherbogen warf, wie er der Traube würziges Blut gab, uns zu berauschen. Wer nie berauscht war, nie im Wirbel der Leidenschaft taumelte, wer nie die Wonne dieser Erde kostete, der kann auch nicht die Wonne der himmlischen Seligkeit empfinden.« Ihr schönes Auge glänzte so seltsam dabei, während sie starr nach der Decke sah. Nach einer langen Pause stand sie auf, und strich tief aufathmend ihren Scheitel mit beiden Händen. Sie lächelte schelmisch die Geheimräthin an: »Nicht wahr, ich habe recht viel dummes Zeug gesprochen? Vergessen Sie es und entschuldigen mich. – Aber als ob ich mich vor Ihnen zu entschuldigen brauchte, vor einer Frau, die ja auch weiß, wie der Geist so oft sich vom Körper trennt, und die Seele hinfliegt in Räume, wohin das Auge nicht dringt. – Aber kommen Sie schnell unter die Andern, wir kommen ins Gerede. Wenn man auch etwas anders ist als die Andern, um Gottes willen, man muß es ihnen nicht verrathen!« »Wo sehen Durchlaucht Plötzlich hin?« »Ich –« Die Fürstin erröthete leicht und flüsterte ihr ins Ohr: »Mir war's, als sähe ich Jean Paul dort über den Gensd'armenmarkt kreuzen, um schneller hier zu sein. – Da unterhält sich ja der Herr von Fuchsius sehr lebhaft mit Ihrer Tochter. – Ei, ei, selbst der ernste Major Eisenhauch widersteht dem Magnete nicht und vergisst auf einen Augenblick seine großen Vaterlandsgedanken. Ich besorge, meine Freundin, Ihr Haus wird bald wie Troja aussehen –« »Sehen Sie eine Zerstörung voraus?« fragte die Lupinus. Der Clairvoyantenblick der Fürstin hatte sie etwas verstimmt. »Nur die Helena, um die ein trojanischer Krieg entbrennen wird. Sorgen Sie bald, wenn Sie dem entgehen wollen, für eine anständige Partie. Der Regierungsrath ist ein junger Mann, dem eine gute Carriere bevorsteht.« »Herr von Fuchsius sieht nach Vermögen. Es ist nur Galanterie. Ich werde indeß ein wachsames Auge haben.« »Wozu! Lasst doch die Schmetterlinge spielen. Die Jugend ist so kurz! Und was sagen Sie zum Legationsrath?« »Der –!« Das Wort schien der Geheimräthin auf der Lippe zu ersterben. »Er und das Kind?« »Sie haben nicht daran gedacht. Es ist auch so besser.« »Durchlaucht kennen ihn? Er wird von so Vielen verkannt.« »Die Bestimmung jeder Größe! Sie fühlt sich nur zu Gleichgesinnten hingezogen. Es täuschten mich auch vorhin wohl nur einzelne Blicke. Es war Elise, die mir ihre Beobachtungen mittheilte. Ach die gute Recke dachte vielleicht an ihr eigenes Verhältnis mit Cagliostro.« »Cagliostro!« wiederholte die Lupinus. »Cagliostro war doch vielleicht mehr, als wofür die Welt ihn jetzt erkannt haben will, meine Freundin. Er musste fallen, wie Viele gefallen sind, weil – passons la-dessus! – Unsere große Katharina war in diesem Punkte eifersüchtig. – Es ist mir recht verdrießlich, daß Herr von Wandel der Affaire wegen mit dem jungen Manne – nicht wahr, Bovillard heißt er? – in Verwickelung gekommen ist. Und wie ich höre, stellt er Adelheid nach. Das muß für Sie doppelt peinlich sein.« »Ich hoffe, Durchlaucht, das wird nichts auf sich haben. Der wüste Mensch soll uns nicht länger stören.« Die Fürstin sah sie fragend an: »Blutdürstig, meine sanfte Freundin! Der Lauf der Kugeln ist zweifelhaft. – Das war auch nicht Ihre Meinung.« »Durchlaucht, dieser Mensch ist incorrigibel.« »Desto besser. Lassen Sie ihn fortsündigen. Gerade über diese Sünder, die ihr Ohr der Stimme der Vernunft verschlossen haben, zuckt schon ein anderer Strahl. Da thun wir nichts bei, das kommt mit einem Male. Was wäre die Welt mit ihren gaukelnden Marionettenpuppen, die das grelle Schauspiel von Eitelkeit, Verkehrtheit, Ungerechtigkeit und Sünde vor uns aufführen, wenn wir nicht wüssten, daß plötzlich eine unsichtbare Hand aus den Wolken fährt, und zerstört ist ihr Spiel. Ein Licht zückt herab und die Irrenden sehen den Abgrund, vor dem sie stehen. Warum den jungen Wüstling gleich aufgeben, opfern wollen; da giebt es ja tausend Mittel. – Nur keine öffentlichen Schritte. Es lässt sich so Vieles unter der Hand abthun, eben wenn man Freunden vertraut. Freunden haben Sie ja nur zu winken. Kommandiren Sie auch über mich. A propos, ich habe viel von dem jungen Lehrer gehört, ein origineller Charakter, sagt man. Wo ist er? Stellen Sie ihn mir vor.« »Er ist nicht hier. – Für unsere Gesellschaft –« »Würde er keine Augen haben, nur für seine schöne Schülerin. – Sie sehen mich an. Wie? Soll er sein Blut in Eis verwandeln, oder spielt die Geschichte von Abälard und Heloise nur in der grauen Vorzeit? Ach, eine reizende Geschichte, aber wenn Sie dieselbe nicht wiederholt sehen wollen, müssen Sie auch da Acht haben, mehr als nach Außen das Auge wach! Ja, theure Frau, die Obliegenheiten einer Mutter sind groß. Sie haben eine halb Gefallene aufgerichtet, aber wer sich vor dem Fallen noch fürchten kann, ist stets dem Fallen nahe – O weh! da fällt Ihr Diener – ein Glück, daß der andere ihm das Präsentirbrett hielt. Der arme Mensch ist krank –« »Aber Johann, wie konnte er auch!« fuhr die Geheimräthin auf. Der Diener hatte sich wieder erhoben, und, es schien, erholt. Er versicherte es wenigstens und wollte sich nicht hinausschicken lassen; es sei eben nur ein Schwindel gewesen. Die Geheimräthin versicherte der Fürstin, sie habe soviel Lohnbedienten angenommen, daß Johann gar nicht nöthig gehabt, selbst zu serviren; er habe es nur aus Eigensinn gethan. »Oder Furcht, daß seine Herrschaft ihn für entbehrlich hält,« sagte die Fürstin. – »Wie liebreich Adelheid ihm zuspricht! Sie hat ihn überredet, sie schickt ihn hinaus. Bravo! Hören Sie! Herren und Damen sind entzückt, sie muß etwas Seelenvolles gesagt haben.« Die Geheimräthin fand sich allein. Auch die Fürstin war zu Denen geeilt, die Adelheid mit ihrem Beifall überhäuften. Die Geheimräthin fand sich sehr allein. Nur Diener, auf den Tag gemiethet, in Livreen, frisirt oder noch in Perrücken, bewegten sich in den Zimmern, mit den Vorbereitungen für die Abendtische beschäftigt. Sie kannte mehrere von ihnen nicht. Der eine schien im Vorübergehen einen seltsamen Blick auf sie zu werfen, zwei dunkle Augen, aber er wandte sie rasch auf die Teller, die er trug. Ward sie beobachtet, hatte man auch in ihre Gesellschaft Lauscher geschickt, von Seiten der clairvoyanten Gesandten oder Gesandtinnen? – Sie wollte in den Saal. Aber der Fürstin nacheilen, welche ihr eben so brüsk den Rücken gedreht? Sie umfasste Adelheid. So hatte die Gargazin auch sie vorhin umfasst. Sie zog sie auf ein Kanapee, sie spielte mit ihrer Hand, sie sagte, sie flüsterte ihr tausend schöne Dinge ins Ohr. Adelheids Gesicht glühte. O sie war weit liebenswürdiger, lebhafter, zuvorkommender gegen die Tochter, als gegen die Mutter. Alle gruppirten sich, näher oder ferner, um diesen Mittelpunkt. Nach der Wirthin sah Niemänd, es kam Niemand in den Sinn, daß sie abgeschlossen war. Der Legationsrath stand in einer Fensternische, weit jenseits, die Arme unterschlungen, und beobachtete die Gruppen, sein Gesicht unbeweglich wie immer; aber als der Strahl seines Auges sie traf, glaubte sie in dem Auge eine an sie gerichtete Bemerkung zu lesen. War es ein Vorwurf, Bedauern, Mitleid? »Warum sich der Gesellschaft entziehen, ma belle soeur? « rief der Geheimrath Schwager, der zufällig aus einem hinteren Zimmer kommend, der Wirthin entgegentrat, als sie die beste Partie ergriff, weil kein Mensch sich um sie, sich auch nicht um die Menschen zu kümmern, sondern um die Teller und Tische. »Weil ich überflüssig bin,« war die kurze Antwort, mit der sie an ihm vorüberstreifte. Wenn er an Ton und Art noch nicht gemerkt, daß sie auch ihn für überflüssig hielt, ward er auf der Schwelle zum Saal daran gemahnt, als die Fürstin, am Arm des Legationsrathes, über diese Schwelle rauschte. Wenn es nicht grade mit dem Ellenbogen geschah, fühlte er sich doch durch Blick und Bewegung mit seiner ganzen Persönlichkeit bei Seite geschoben. Die Fürstin verließ die Gesellschaft. Den Legationsrath hatte sie gewürdigt, sie als Kavalier an den Wagen zu begleiten; aber nicht einmal eines Blickes würdigte sie den Mann, der vorhin ihre Liebenswürdigkeit ausposaunt. War er ein Anderer geworden? Sie gewiß! Einen Kopf größer schien sie ihm. Fort waren die Rollen der Liebenswürdigen, der nervös Irritirten, der Bescheidenen und der Schwärmerin geworfen, als Fürstin hielt sie ihren Ausgang. »Ach, unsere emsige Wirthin. Immer wie eine Biene für den Honig sorgend.« »Durchlaucht wollen uns doch nicht verlassen?« »Leider, eine heftige Migräne! O bitte, nehmen Sie nicht auf mich Rücksicht, Ich verschwinde wie ein Schattten, um Licht und Heiterkeit zurückzulassen.« Die Geheimräthin öffnete den Mund, um dagegen zu demonstriren, aber unwillkürlich kehrte ihr die Erinnerung an jene Gesellschaft vom vorigen Sommer zurück, – da war sie es ja, welche die Rolle der Für stin gespielt. Sie verstummte. Migrainen sind oft angenehm für Die, welche sie vorschützen, nicht immer für Die, welchen Sie vorgeschützt werden. » A propos! « rief die Fürstin. »Herr von Wandel, nur einen Augenblick, zwei Worte mit unserer Freundin.« Sie zog diese bei Seite: »Wissen Sie schon, Jean Paul –« »Kommt nicht? Vielleicht hat er von einer Clairvoyanten gehört, daß er Fürstin Gargazin nicht mehr trifft.« »Nein, er kommt, aber in welcher Laune! Es ist mir wirklich recht leid. Nur Ihretwillen.« »Ist ihm etwas passirt?« »Er ward bei der Berg so lange aufgehalten. In der besten Absicht, denn wer konnte anders denken, bei der besonderen Vorliebe, mit der die Königin sich der Sache angenommen. Da um neun erst bringt der Fourier die Hiobspost.« »Eine Hiobspost!« »Der König will die Präbende nicht geben.« »Und Ihre Majestät die Königin hatte doch –« »Nichts gespart, was Klugheit und Liebenswürdigkeit vermögen. Bis acht Uhr gaben sie im Palais die Hoffnung nicht auf. Man passte nur auf den günstigen Augenblick und er schien gekommen. Majestät brachen eben ein Stückchen von dem Kuchen, den Sie besonders lieben, und versicherten, so vortrefflich sei er noch nie gebacken. Das benutzte Ihre Majestät, und der König lächelte ihr auch mit der liebenswürdigsten Laune zu, aber ebenso liebenswürdig schüttelten Sie den Kopf und sagten: Herr Jean Paul mag ein sehr guter Romanschreiber sein, aber darum ist er noch kein guter Domherr.« »Hat Ihre Majestät nicht Lafontaine's Beispiel eingewandt? Der hat doch auf ihre Vorstellung die Präbende erhalten.« »Ihre Majestät sind zu klug, um nach solcher Erklärung noch ein Mal anzufangen. Und es giebt Wichtigeres zu bitten.« »Der arme Jean Paul also gänzlich aufgegeben?« »Für Berlin verloren. Ich wollte Sie nur avertiren. Noch weiß Niemand hier davon. Sie thun also gut, liebe Frau, die Sache auch zu ignoriren. Die Verehrung für den Dichter hängt mit der Aufmerksamkeit zusammen, die ihm der Hof erzeigt. Erfahren Sie, daß der ihn aufgiebt, ist der Lustre fort.« »Nein, es gilt nichts mehr,« sagte die Geheimräthin bitter. »Es thut mir nur um Sie leid, aufrichtig, meine liebe Geheimräthin. So viel Embarras! Sie würden die Gesellschaft auch nicht gegeben haben, wenn Sie das voraus gewusst. Adieu et au revoir! « »Jean Paul kommt!« ging ein Gemurmel durch das Zimmer. Die Geheimräthin meinte, der Legationsrath hätte doch in zu ehrerbietiger Entfernung auf die Fürstin gewartet, als er sie hinausführte. »Fürstin Gargazin liebt Herrn Jean Paul nicht?« bemerkte Herr von Wandel, als er auf einen raschen Armdruck sie seitwärts in ein Zimmer geführt, damit sie dem Dichter, der die Treppe herauskam, nicht begegne. »Ich liebe nicht den Kultus für sogenannte große Menschen,« antwortete die Fürstin beim Hinuntergehen. »Die Lupinus wird sich mit diesem Zauberfest wieder lächerlich machen.« »Ein Erbstück der Familie.« »Sagen Sie dieser Menschen, dieser Stadt, dieser Zeit. Weil Jeder aus seiner Sphäre treten möchte –« »Ohne den Charakter zu haben, die neue sich unterthänig zu machen.« »Wenn Jeder die Sphäre des Andern durchschauen könnte!« erwiderte die Fürstin langsam, den Blick auf den Begleiter gerichtet. »Uebrigens thut mir die arme Frau leid. Prinz Louis wird nie zu ihr kommen. Sie lässt alle ihre Minen umsonst springen.« Die Fürstin drückte beim Einsteigen dem Legationsrath die Hand: »Ich werde nichts vergessen.« 28. Kapitel. Eine schlimme Nacht Achtundzwanzigstes Kapitel. Eine schlimme Nacht. Ein Geflüster war durch die Gesellschaft gegangen. Man steckte die Köpfe zusammen, und das Geheimniß, welches die Fürstin der Wirthin anvertraut, war längst ein Gemeingut, als die Gesellschaft zu Tisch ging. Vorher aber sah man ein Schauspiel, es war ein Impromptu. Adelheid hatte von der Tafel einen Blumenkranz ergriffen, und ihn plötzlich auf die Stirn des Dichters gedrückt: »Nun sind Sie ein freier Mann!« Es war alles anders geworden, als die Geheimräthin gewollt. Die Bekränzung sollte stattfinden, aber in anderer Art, später, an der Tafel selbst. Sie hatte Figuranten geworben, die bei jedem Gespräch mit Phrasen aus des Dichters Schriften ihm antworten sollten; das musste jetzt rückgängig gemacht werden; es passte nicht mehr. Die Empfindsameren umringten ihn, statt mit Siegeshymnen, mit Kondolenzversicherungen. Es sah nicht wie bei einem Freudenfeste aus. Während die Mehrzahl nicht laut genug ihr Bedauern an den Tag legen zu können glaubte, schlichen Andere fort. Die Geheimräthin begegnete dem General, der seinen Hut zum Gehen ergriffen. »Auch Sie uns verlassen?« »Man weiß nicht, was im Palais vorgegangen ist,« sagte der Offizier mit seiner soldatischen Offenheit, »nicht in wie weit Seine Majestät sich über die Person des Herrn aus Baireuth ausgesprochen haben.« »Aber ein Charakter wie mein Herr General –« »Hat auch Rücksichten zu nehmen. Der König, meine liebe Frau Geheimräthin, erfährt jeden Morgen genau, wer bei Rüchel war und wer bei Blücher war. Und Sie wissen gar nicht, wie diese Rapportements gemacht werden. Hat er sich nun wirklich ungnädig über den Poeten ausgedrückt, so wird auch von Ihrem Festin ihm berichtet und Sie wissen nicht wie. Ihnen kann das nun nichts schaden, wenn Einer sagt: Es ist doch auffällig, daß die Lupinus dem Fremden ein Fest giebt, als wenn er ein Potentat wäre, und gerade in dem Augenblick, wo Eure Majestät sich so nachdrücklich über die Stellung ausgesprochen haben, die er nur beanspruchen kann. Beyme setzt vielleicht hinzu: Und jetzt, wo Eure Majestät eben einen solchen Gnadenakt gegen ihren Schwager ausgeübt. Wer weiß denn, wer zwischen den Lippen murmelt: Undank ist der Welt Lohn! Und wenn Lombard dabei ist, wird er sich die Gelegenheit entgehen lassen, mir einen kleinen Freundschaftsstoß zu versetzen? Ich höre ihn schon hinwerfen: Es ist doch noch sonderbarer, daß gerade unser General dabei sein musste. Er ist doch sonst kein Admirateur von Poeten. – Sollte das andere Gründe haben? fügt vielleicht noch ein guter Freund hinzu, denn Sie glauben nicht, wie viel gute Freunde Jedermann am Hofe hat, der eine gute Stellung hat, die Andern zu gut für ihn dünkt.« »General, aber bei Ihrer Renommee!« »Je höher der Kornhaufen, so mehr Mäuse hausen unten. Mein Kommando wird mir Seine Majestät darum nicht nehmen, aber wird mir vielleicht das nächste Mal sagen: Sind auch ein so großer Verehrer von dem Herrn Romanschreiber? Meinte die Lorbeerkränze schickten sich nur für Generäle. – Und das wäre noch das Beste, dann ist es ausgeschüttet. Ohnedem bleibt etwas, denn der König hat ein vortrefflich Gedächtniß. Und wissen wir, von wem und wann daran weiter gebohrt wird? Ein wunder Fleck hat anziehende Kraft. Und weiß ich was noch hier geschieht bei Tisch von den Admirateurs, welche Gesundheiten sie ausbringen? Kann nicht Einer beim Wein eine Beleidigung gegen Seine Majestät aussprechen? Höre ich's ruhig mit an, so heißt's im Palais, ich habe eingestimmt, und rede ich drein – nein, meine gnädige Frau, ich will ihr schönes Festin nicht stören.« Sie selbst aber wollte es stören. Die Salatscene sollte nun unterbleiben. Sie war, als der General ihr begegnete, eben auf dem Wege zum kranken Johann gewesen, um ihm Contreordres zu geben. Sie hatte aber auch vorhin den Befehl zum Serviren gegeben und in dem Augenblick brach die Gesellschaft, um zu Tisch zu gehen, auf. Es entwickelte sich heut Alles gegen ihren Willen. Jean Paul hatte ihr seinen Arm reichen sollen. Ihrer Zweifel, ob es nicht jetzt passender sei, diese Ehrenpflicht dem vornehmsten Gast zu übertragen, ward sie überhoben, als der Dichter schon ihre Tochter entführte. Sie musste, um nicht allein zu gehen, ihren Arm nothgedrungen Dem reichen, welcher allein ledig an der Thür stand, es war der Schwager, und sie musste zufrieden sein, daß es ihr wenigstens gelang, eine Tafelordnung so ziemlich herzustellen. Wenigstens saß Jean Paul neben ihr. Wenn er von dem Fehlschlag seiner Hoffnungen verstimmt gewesen, hatte er unter so viel Theilnahme und beim Klang der Gläser es überwunden. Der gute Wein wirkt nach einer Aufregung doppelt. Er sprach oder sang in Worten die wie Streckverse klangen. Die Lüfte in den märkischen Pinien hätten ihm zugerauscht das alte Lied: Wo es Dir wohl geht, ist Dein Vaterland! aber da sei aus dem blauen Aether eine Taube niedergerauscht mit einem Lorbeerzweig und habe ihm zugeflüstert: Der Dichter muß frei sein! Und ein frischer Morgenwind habe seine Stirn, seine heiße Brust gekühlt, er sei erwacht und wieder arm, aber frei, frei wie der Vogel in der Luft, und dies Glas bringe er aus auf die Taube mit dem leuchtenden Fittich. Nur ein Theil der Gesellschaft verstand es. Der Geheimrath von der Voigtei, der auch sein Glas gefüllt hatte und sich für verpflichtet hielt, als nächster Anverwandter der Wirthin, die Gesundheit des Gastes zu übernehmen, unterbrach den Dichter: die erste Gesundheit gebühre ihm selbst. In einer Rede, die, wenn auch sonst nichts, doch verrieth, daß er von dessen Schriften nichts gelesen, gratulirte er dem Poeten, der nun mit Piron sich die Grabschrift setzen könne: Ci-gît Piron, qui ne fut rien. Pas même académicien. Aber wie Piron ein aimabler Poet geblieben, obgleich er sonst nichts gewesen, so werde auch ohne Präbende für sie Alle hier: Unser herrlicher Jean Paul Friedrich Richter Bleiben ein ihnen unvergeßlicher Dichter! Im Gläserklang erhob sich der Gast: »Unser Auge blickt nach den blauen Bergen, und unser Herz schwillt vor Sehnsucht, weil der Himmel sie küsst. Aber oben weht es uns zu rein an, wir athmen zu bang in der Nähe des Unaussprechlichen, und die Thäler verschwimmen vor unsern Augen. So sehnt des Dichters Brust sich nach dem Schönsten und Höchsten, wie Semele nach Zeus' wahrhaftiger Gestalt. Aber in der Feuergluth zerspringt sein Herz, er kann nur leben im Thal, athmen im Duft der Kräuter, und die Berge über ihm, die Fußschemel des Unnennbaren, sind die Säulen der Ewigkeit, an denen sein Geist sich aufrankt. Wer einmal dort oben vom Lichte getrunken, habe genug fürs Leben. Nun möge man ihn beglückt zurückkehren lassen in die stillen Thäler seines Fichtelgebirges. Wenn seine Waldbäche über die bemoosten Steinblöcke rieselten, die Fichten säuselten, die Veilchen aus dem feuchten Grün dufteten, und wenn dann wieder an des Dichters Seele edle schöne Frauen vorüber schwebten, Lianen und Natalien, im Diadem des Morgenrothes, wenn ihre Füße im Thau sich badeten, ihre seelenvollen Augen das Blau des Aethers saugten, um Huld und Wohlwollen für tausend blutende Herzen widerzustrahlen, – dann kämen sie von den Bergen, die er einmal bestiegen, wo auch er Seligkeit getrunken. In seiner Eremitage nun kein Einsiedler mehr, umschwebten ihn Berlins edle Frauen, beim Frühroth böten sie aus der Krystallschale ihm den Morgentrank und wenn die Königin des Tages hinter die Berge sinke, sollte den Dichter einlullen die Harmonie ihrer Silberstimmen. Dies Glas leere er auf Berlins schönere Hälfte.« Unter dem Gläserklang der Herren, unter den Verzückungen der Damen war Adelheid aufgestanden. Den Wink der Geheimräthin hatte sie nicht bemerkt. Ihre Augen gegen den Plafond gerichtet, tönte ihre metallreiche Stimme durch den Saal: »Aber die Sterne oben sind nicht stumm, sie tönen, im Festsaal des Ewigen kreisend, die Sphärensprache der Harmonie, und der Geweihte versteht sie. Der blasse Geweihte, der am Schmerzenslager überwindet, der Geweihte, dessen Stirn die Freude des Sieges röthet, und er der Geweihte, der der Aeolsharfe ihre Klagetöne abgelauscht, den Vögeln ihren Gesang, er, der die summenden Stimmen der Völker versteht, Phöbus geweihter Priester hört den Gesang der Sterne –« »Mamsell, der Salat!« flüsterte Johanns zitternde Stimme, aber er getraute sich nicht mehr den Napf zu tragen. Die Geheimräthin war beim Anfang der Tafel wieder umgestimmt worden, denn die Stimmung der Gesellschaft war entschieden für den Dichter, und die Lupinus theilte nicht die Besorgniß des Generals. Im Gegentheil schien ihr eine derartige Manifestation jetzt ein Ehrenpunkt. Aber Jean Paul hatte ihr bei der Tafel gar keine Aufmerksamkeit erwiesen. Er schwärmte in eigenen Gefühlen, seine Komplimente waren nur an ihre Tochter gerichtet. Sie wollte es ihn empfinden lassen, und ihre Lippen hatten sich zu einigen spitzen Worten gespitzt, die mit dem Stichwort schließen sollten, auf welches Adelheid einzufallen hätte, als diese unerwartet, gegen die Verabredung, von einem Impuls sich hinreißen ließ. Unglücklich fügte sich auch hier alles, der kranke Johann stotterte zur Linken die Worte, während einer der sogenannten »Ausgestopften«, das heißt der gemietheten Lakaien, ihr zur Rechten den Salatnapf überreichte. Es war derselbe Lakai, dessen funkelnde Augen sie vorhin erschreckt. Adelheid ergriff in ihrer Extase den Napf und statt ihn niederzustellen, hob sie ihn wie eine Opfervase empor – »und er der geweihte Priester hebt die Schale den Göttern entgegen« fuhr sie in der Rolle fort, entnommen aus irgend einer Dithyrambe der Jean Paul'schen Poesie, die wir wieder vergessen haben, vielleicht auch aus denen, die von der Geheimräthin zu diesem Zweck komponirt waren, als der »Ausgestopfte« ihr etwas zuflüsterte. Die Worte hörte man nicht, aber die Gesellschaft konnte nicht anders denken, als daß der Sinn von dem, was der Lohnlakai sprach, nichts anderes sei, als was der kranke Bediente ziemlich vernehmlich zur selben Zeit sprach: »Auf den Tisch, Mamsell, 's ist ja der Salatnapf!« Adelheids Stimme stockte plötzlich. Als sie nach der Seite blickte, stieß sie einen Schrei aus. Darüber entfiel ihr der Napf. Viele Arme wollten helfen. Ein Armleuchter war umgestoßen. Die Kerzen fielen auf das Tischtuch; eine streifte an den Fruchtkorb, der mit künstlichen Papierblättern ausstaffirt war. Das Papier brannte, das Tischtuch brannte. Man schlug ungeschickt zu. Man riß am Tischtuch und noch ein Leuchter fiel. Es flammte und floß, man schrie: Hülfe! Feuer! Die Stühle schlugen um, die Damen in den leichten, feuerfangenden Kleidern schrien am lautesten und stürzten fort, Herren und Bediente rissen am Tischtuch. Es brannte schon lichterloh, die Kerzen vom Kronleuchter träuften, als einige entschlossene Arme die Tischtuchenden über die gesamme Verwüstung zusammenschlugen. Der Brand war so erstickt, aber auch das Porzellan, Glaswerk, Torten und alles was zerbrechlich war, in dem Chaos zusammengeschüttet und vernichtet. So konnte man vermuthen, daß es hergegangen, denn der Brand war gelöscht, ehe die Nachtwächter Berlin in Alarm versetzten. Im Uebrigen wusste Niemand später über den Hergang klare Auskunft zu geben. Es lag auch in Mancher Interesse, es im Dunkeln zu belassen. Die Entschlossensten hatten schnell ihre Damen fortgerissen, um den Abschied unbekümmert, nur Garderobe und Straße galt es zu erreichen. Wenn sie dein Feuerschaden auswichen, entgingen einige Damen dem des andern Elements nicht. Die Wassereimer, mit denen die Diener ihnen entgegenstürzten, verdarben manche Toilette. Das Gedränge kam einer Verstopfung nahe. Man sprach von Ohnmachten. Die ohnmächtig Gesagten leugneten es. Am Boden gelegen wollte Niemand haben, nur vielleicht auf einem Stuhl. Viele ließen es sich nicht nehmen, daß die Wirthin wirklich im Gedränge ohnmächtig geworden. Nach ihren eigenen Aeußerungen später konnte man es glauben; sie sprach von einem Schleier, der über sie gekommen, eine wohlthätige Macht hätte die Schreckensscene vor ihr verhüllt. Es wäre allerdings eine doppelte Schreckensscene für sie gewesen, wenn sie alle Urtheile wirklich hätte hören müssen, welche in der Aufregung über sie und ihr Fest laut wurden. Der Lärm hatte auch den Geheimrath aus seiner Studirstube gelockt. Als er im Schlafrock und Pantoffeln in die Vorzimmer drang, war die Gesellschaft schon entflohen. Nur ein branstiger Qualm drang noch durch die Thüren, Wasserrinnen ergossen sich über die Dielen, und Wirrwarr, Gedränge und Getreibe überall. Aus der Thür des Speisesaals trug ein Lakai Adelheid und legte die Ohnmächtige auf ein Sopha. Brust und Schultern waren in ein nasses Tuch eingeschlagen. Ihr Musselinkleid war von den Flammen ergriffen worden. Sie hätte mit einem Druck der Hand die Flamme löschen können, aber sie hatte wie eine Bildsäule dagestanden, regungslos. Der Bediente Johann hatte eine Serviette ergriffen, aber seine Hände zitterten, die Serviette gerieth selbst in Brand. Da hatte einer der fremden Lakaien ihn fortgestoßen, und mit Tüchern, die er schon in einen Wassereimer getaucht, das Feuer erdrückt. Aber jetzt war sie ohnmächtig geworden, und der Lakai, ein kräftiger, junger Mann, hatte sie in das Entreezimmer getragen, als der Geheimrath dazu kam. Das war das Resultat einer kurzen Untersuchung, welche der Gelehrte angestellt, und bei dem er sich, als er später in seine Arbeitsstube zurückkehrte, vollkommen beruhigte. »Jetzt muß man ihr die nassen Tücher abnehmen, sie erkältet sich sonst,« hatte er gesagt, der Lakai aber gerufen: »Man muß den Arzt holen!« und war nach der Thür gestürzt. »Das wird nicht nöthig sein,« hatte der Legationsrath Wandel gesagt, der aus der dampfenden Stube trat. »Es ist nur eine Affektion der Nerven.« Er hatte mit dem Geheimrath die nassen Tücher abgezogen und gefunden, daß keine Brandverletzung stattgefunden, selbst der Brandfleck am leichten Oberkleide war gerinfügig, die Flamme hatte nicht einmal das festere Unterkleid ergriffen. Der Legationsrath steckte das Essenzbüchschen, welches er geöffnet, wieder in die Tasche, murmelnd: » Hydor ariston! « Das hatte eine freundliche Falte auf die Stirn des Geheimraths gelockt. Er redete den Legationsrath lateinisch an, und dieser antwortete lateinisch. Herr von Wandel hatte eine schöne reine Aussprache, nicht ganz ciceronianisch, aber er applicirte sehr geschickt einige Feinheiten der Latinität: »Es ist nichts als eine psychische Aufregung, vielleicht Exaltation für den Dichter, vielleicht etwas anderes – aber es geht schnell vorüber, sie wird sich von selbst erholen!« Und so geschah es, auf einige Tropfen, die er aus einem Wasserglase auf ihr Gesicht spritzte, schlug Adelheid die Augen auf. Sie erkannte die Gegenstände, athmete und machte eine Bewegung mit der Hand, daß die Herren sich entfernen möchten: »Das Uebrige wird weibliche Pflege und ein Camillenthee thun,« beruhigte der Gast den Wirth. Der Geheimrath hatte dem Legationsrath die Hand gereicht, und den Wunsch seiner näheren Bekanntschaft ausgedrückt. Er that dies selten. Im Speisesaal grinste ihn die Verwüstung an. Es dampfte und fluthete, er musste über umgeworfene Stühle, Tische, Scherben steigen. Wenn das in seiner Studirstube passirt wäre! Der blasse Geisterschreck, den dieser Gedanke auf sein Gesicht zauberte, trieb ihn zu einer ungewohnten Thätigkeit. Er rief den Dienern, den Mägden, er legte selbst Hand mit an. Da flog ein erstes Lächeln über die weißen Lippen der Geheimräthin, und es zuckte etwas von Leben in ihrem starren Blicke. Sie hatte bis da regungslos auf dem Canapee halb gesessen, halb gelegen, vielleicht im Gedränge von den Fortstürzenden dahin gestoßen. Das Eau de Cologne, was Lisette ihr ins Gesicht gesprengt, war ohne Wirkung geblieben. Jetzt, beim Anblick der Thätigkeit ihres Mannes kehrte das Leben zurück. Die Zunge löste sich, sie konnte sprechen, es platzte heraus wie ein Lachen: »Mit den Pantoffeln! Sie erkälten sich ja im Wasser die Füße!« Der Geheimrath fühlte jetzt, was ihm ein Unbehagen verursacht, für das er sich keinen Grund anzugeben gewusst. Er ging im Wasser, seine Füße waren ganz naß. »Aber es muß doch Ordnung geschafft werden, meine Liebe.« Er sah sich um. »Dafür wird Lisette sorgen, die versteht es besser. Gehn Sie in Ihre Stube und ziehen sich andere Strümpfe an, morgen ist alles wieder wie sonst.« »Aber – ich hoffe, die Incommodität wird Ihnen nicht schlecht bekommen?« »Ganz und gar nicht,« sagte die Geheimräthin, die aufgestanden war. »Eine kleine Störung in den Gewohnheiten des Lebens. Weiter nichts. Morgen ist's vergessen. Ich hoffe, daß in Ihrer Stube nichts derangirt ist.« Das hoffte der Geheimrath auch; er hatte hier nichts mehr zu thun. Die Geheimräthin ließ sich von Johann führen. Mit jedem Schritte, den sie that, ging sie fester. Der Bediente hielt sich an den Thürpfosten, als er sie in ihr Schlafzimmer gebracht. Sie maß ihn mit einem durchdringenden Blicke: »Was soll das werden mit ihm, Johann?« Er verstand es: »Um Gottes Erbarmen, gnädige Frau Geheimräthin, stürzen Sie mich nicht in mein Elend,« Ihm war es, als bohrte ihr Blick in sein Herz, aber sie sprach kein Wort: »Morgen früh soll Hofrath Heimkommen.« Er ging. Sie rief ihn zurück: »Nein, nicht Heim! Der ist zu nichts zu brauchen –« murmelte sie. »Selle, rufe er den Geheimrath Selle, ich lasse ihm meine dringende Empfehlung machen« – sie stockte und hub wieder an: »Nicht zu Selle, zum alten Geheimrath Mucius, ich ließe ihn dringend bitten.« Johann war gegangen. Sie schellte wieder: »Es soll mich Niemand stören. Was auch vorfalle. Ich werde mich selbst ausziehen. Lisette soll mit den Andern die Sachen fortschaffen, aber sie soll sich nicht unterstehen Lärm zu machen. Ich will nichts mehr wissen, versteht Er mich.« Johann ging. Sie rief ihn doch wieder zurück; »Morgen früh wird Niemand vorgelassen. Niemand.« »Herr Jean Paul Richter fragten, wann er seine Aufwartung machen könne, um Abschied zu nehmen?« »Ich bin nie, wenn er sich meldet, zu Hause.« Sie stand noch eine Weile, nachdem der Bediente fort war, die Blicke auf die Diele geheftet. Ihr musste sehr heiß sein, sie schöpfte tief Athem, riß Tuch und Kleidungsstücke auf und warf sich auf das Sopha, den Kopf in den Arm gestützt. Sie wollte nichts von dem Geräusch hören, und hörte doch alles, das Aufheben jedes Stuhls, das Klappern der Teller, so leise Mägde und Diener ihr Geschäft verrichteten. Sie gab sich Mühe, tue Tritte jedes Einzelnen zu erkennen, und indem sie sich darüber ärgerte, horchte sie nur immer schärfer. Sie haderte innerlich, diese Magd sollte einen Verweis erhalten, jene entlassen werden. Was glühte in ihren Adern, was war die trockne Hitze, die ihr alle Spannkraft raubte, was die Unruhe, die jede Anwandlung von Schlaf verscheuchte? Ein verlorener Tag? Es war nur ein Tag unter vielen. Eine verlorene Schlacht in einem Kriege, in einem langen, trostlosen mit dem Leben. – Und von wem war sie geschlagen? – Von Allen. Heut, wo sie so sicher auf einen Sieg gerechnet! – Sie kannte die Gesellschaft, die bösen Zungen, Macht des Lächerlichen. Ihre Niederlage war eine auf lange Jahre hinaus. Sie hörte schon die Fragen mit spöttischem Lächeln: »Waren Sie auch bei dem Zauberfest der Geheimräthin?« Die ebenso lächelnden Antworten: »Sie hat es sich etwas kosten lassen. Recht schade, wozu das?« – »Sie hat einmal kein Geschick dazu.« – »Die Apotheose Jean Pauls war doch au comble du ridicule. « – »Und dazu das Unglück noch! Die arme Frau. Warum wird sie aber nicht klug!« Oder die bittersten: »Es ist ihr schon recht, daß sie mal die Lektion bekommen!« Sie war unerschöpflich in der Selbstmarterung, sie vertheilte diese Sarkasmen und Bonmots, zu deren Zielscheibe sie sich selbst machte, unter ihre Bekannten, ihre besten Freunde. Und hatte sie es denn von ihnen anders erwartet? Sie lachte auf. Ach, das Lachen half nichts. Sie empfand einen ungeheuren Durst, aber nicht Wasser, nicht Wein konnte den stillen. Aber an wem diesen Durst kühlen? – Laforest, warum musste er das erste Zeichen zum Aufbruch geben, er, der nur gekommen schien, um Audienz zu geben, Huldigungen zu empfangen. Der General, der feige davon lief? Mochte er laufen. Jean Paul, der, erstickt von Eitelkeit, nur im Lobe sich berauscht, nur mit den jungen Mädchen getändelt, ohne ihr, die sie mit so raffinirter Sinnigkeit das ganze Fest für ihn bereitet, nur ein Wort des Dankes zu sagen, nur die gewöhnlichste Aufmerksamkeit zu erweisen. Alle, alle hatten sich nur um sich bekümmert, um andere Gestirne, sie war eine Einsiedlerin gewesen in ihrer Gesellschaft. Die Dienerschaft draußen musste mit ihrer Verrichtung zu Ende sein. In der Stille hörte man nur noch vereinzeltes Thürenklappen und Hin- und Herlaufen. Sie lauschte aufmerksamer. Den Tritt kannte sie. Der Legationsrath war noch im Hause geblieben? Er kam grade auf ihre Thür zu. Endlich ein Mensch, ein Geist, der sich ihrer annehmen, mit dem sie ihre Ge danken austauschen könnte. Sie wollte die Thür aufreißen. – Nein, es war an ihm. Gleichviel, wollte er sich melden lassen, klopfen, eintreten. Er blieb stehen. Sie glaubte ihn gähnen zu hören. Er zog sich den Ueberrock an. Er sprach leise mit Lisetten. Es war von Tropfen und andern Hausmitteln die Rede, für eine Magd, die der Schreck niedergeworfen, von einem Thee, den sie dem Geheimrath kochen sollte. Auch dem Johann sollte sie davon eine Tasse geben – von ihr kein Wort! – Er fragte nicht nach ihr. War sie kein menschlich Wesen? Hatte der Schreck auf sie keine Einwirkung? Hatte er sie vergessen? Er war fort, sie lag wieder auf dem Sopha. Ihre Stirn war so heiß, so heiß – ein kühlender Tropfen nur! Aber vor dieser Stirn tanzten Bilder in erschreckender Klarheit. Sie wusste jetzt, wer ihre Feindin war. Wen hatte Wandel hinausgeführt, wem seinen Cavalierdienst erwiesen, die gewöhnlichsten Regeln der Artigkeit gegen die Wirthin, wer diese auch gewesen, verletzend. Weil sie die Vornehmere, die Vornehmste war? O dahinter steckte mehr. Die Fürstin war es, welche unter der Maske der anspruchslosesten Holdseligkeit ihr den Abend verdorben, welche ihr auf ihrem eigenen Grund und Boden eine totale Niederlage beigebracht. Sie hatte das Fest beherrscht, sich Huldigungen darbringen lassen, durch ihr Gespräch sie selbst gefesselt, daß sie ihr Auge der Gesellschaft entzog. Dann, nachdem sie ihr durch die böse Nachricht den Todesschlag versetzt, war sie triumphirend fortgegangen. Aber nicht Zufall war es, – nein, Plan; ein weit hinausreichender Plan. Der Fürstin, die einen Kreis um sich zaubern wollte, waren die angenehmen Cirkel der Geheimräthin im Wege. Hatte sie nicht in einem langen Gespräch sie nach allen Verhältnissen, Personen ausgefragt? Wozu das? Sie wollte auskundschaften, was den Zauber dieses Kreises bilde. Was konnten die fremde, vornehme Frau sonst die Verhältnisse eines bürgerlichen Hauses in Berlin interessiren! Und jetzt wusste, kannte sie alles, und hatte vielleicht alles zerstört. – Wer würde denn noch ihre Gesellschaft besuchen? Nicht weil der König sich gegen den Dichter ausgesprochen. O nein, das konnte ihrer Societät gerade einen neuen Reiz geben, die freien muthigen Geister locken, aber vor dem Fluch des Lächerlichen flieht die Geisterwelt. Und er – sollte, könnte ihr dabei hülfreiche Hand geleistet haben! Unmöglich! Eine unaussprechliche Bitterkeit ergriff die Gequälte. Kann eine Frau einen Mann fordern? Was rann eine Frau, und wenn sie den Muth einer Judith und Herodias besaß, in dieser Welt der Konventionen! Ihr Haß mag glühen wie der Aetna, den Athem muß sie in sich zurück pressen, sonst verwundet sie sich selbst. Die Macht des Lächerlichen umstarrt sie wie himmelhohe Eisfirnen, die auf ihrem Spiegel nur die verzerrten Züge ihrer Wuth als Karikaturen wiedergeben. Giebt es denn keine Mittel für ein Weib, der Welt den Krieg zu erklären? Nur das kleine Spiel der Ränke, um hie und da mit giftigen Nadeln zu stechen, ihnen vergönnt! Einen Verhassten – mag eine Frau, die einen Mächtigen beherrscht, verfolgen, vernichten; wenn nun aber ihr Haß nicht an Einzelnen sich genügen lässt, wenn die Vernichtungslust ihre Adern wie ein wildes Feuer durchglüht, wenn sie die Armseligen, Gemeinen, Undankbaren von der Erde wegspülen möchte, wie Pharaonis Schaaren das rothe Meer – wenn sie fühlt, mit diesem Rachekitzel der Menschheit selbst einen Dienst zu leisten! – Sie kann nur morden im Traum! Sie presste ihre Hände an die heiße Stirn, als sie wieder ein Geräusch hörte. – Das war Adelheids Stimme, hell – wie ein Aufschrei. Es kam von weitem her, aber nicht weit genug, daß es von ihrem Zimmer sein konnte. Da kam ihr das Mädchen wieder in den Sinn. Sie hatte gar nicht an sie gedacht. Was war aus ihr geworden? Sie sann nach. Eine dunkle Vorstellung, daß man Hülfe! Sie brennt! gerufen. Sie durfte sich versengt haben. Von ihren Feinden war ja alles geschehen, der Sache einen Eklat zu geben. Aber der Ton kam wieder; nicht mehr ein Schrei, aber der bange tönende Schall, den die Menschenstimme an nimmt, wenn etwas Ungewöhnliches uns überkommt. Sie hörte noch eine andere Stimme. Auch ein Schrei, wie wenn man Geister erblickt. Das war keiner von der Dienerschaft, auch nicht ihr Mann. Wie ein tiefes Schluchzen! Eine heftige Bewegung. Sie hörte Männertritte. An Muth fehlte es der Geheimräthin nicht. Sie ergriff den Leuchter und trat hinaus. Die Kerze warf nur ein schwaches Licht in den verwüsteten Saal. Ihr: »Wer ist da?« hallte ohne Antwort durch die Räume, aber aus dem Kabinet daneben war eine Gestalt bei ihrem Eintritt fortgeeilt. Sie schlüpfte durch die Thüre nach dem Entree. Sehen konnte sie nur einen Schatten, sie hörte das leise Klinken der Thüre draußen, sie hörte deutlichere Tritte, die auf der Treppe allmälig verhallten. Im Kabinet stand Adelheid, die zugedrückten Hände an der Stirn. Sie athmete schwer; ein intensives Zittern schüttelte ihre Glieder. Sie erschrak aber nicht, als sie die Hände allmälig vom Gesicht fortzog, nicht vor dem Glanz des Lichtes, und nicht vor dem Anblick und dem forschenden Auge der Geheimräthin. »Was war das, Adelheid? Wer war hier?« »Fragen Sie mich nicht,« antwortete das Mädchen. »Es war alles wie ein Traum.« »In dem noch ein Anderer mit träumte!« Das Mädchen schöpfte nach Luft. Aber ihr Blick hatte doch eine Sicherheit, welche die Geheimräthin frappirte. Adelheid sank auf einen Stuhl und stützte den Kopf im Arme: »Es war fast zu viel!« schuchzte sie, »zu viel für mich. Und, mein Gott, warum komme ich dazu. Warum ich dazu ausersehen!« Die Geheimräthin setzte sich neben sie; »Hat Dich Jemand gekränkt, beleidigt? –« »Ich weiß es nicht.« »Ein Mensch entschlüpfte durch jene Thür, er war bei Dir –« »O mein Gott, er war bei mir, und nun ist er fort –« »Und wer war es?« »Das ist ein Geheimniß, lassen Sie es mir. Es sprengt mir die Brust, aber ich werde schon stark werden! Er ist fort, er wird nicht wiederkommen.« »Ein Geheimniß vor Der , die Mutterstelle an Dir vertritt! – Bedenke, liebes Mädchen, es darf kein Geheimniß zwischen Der sein, für deren Ehre ich durch Deine Aufnahme in meinem Hause Bürgschaft vor der Welt leistete –« »Die Sie – von da aufhoben,« fiel Adelheid schaudernd ein. »Und der geringste Verdacht, ein Geheimniß, was ich verdecken, ein Fleck, den ich beschönigen hülfe –« »Wäre mein Verderben!« rief Adelheid aufspringend. »Ich weiß es, ich weiß Alles – o Gott, ich bin unglücklich, aber es ist nicht mein Geheimniß.« »Wessen denn?« »Dem ich auf seinen Knieen versprach, es zu bewahren.« »Auf seinen Knieen!« Hätte die Lupinus der Beruhigung über einen Punkt bedurft, so war sie jetzt durch Adelheids Exaltation und durch die Sicherheit ihrer Sprache beruhigt. Aber dieser bedurfte sie nicht. »Verstoßen Sie mich, gütige Frau! Ich weiß ja, welchen Undank ich auf mich lade. Stoßen Sie mich aus Ihrem Hause, zurück in meine ungewisse Lage, – nein mehr als das, es kostet Ihnen nur ein Wort, wenn Sie mich aufgeben, so fällt der ganze Fluch wieder auf mich, alle die bösen Erinnerungen, das Gerede erhält neue Kraft, dann bin ich vor der Welt verloren.« »Exaltire Dich nicht,« sagte die Geheimräthin, »mich kümmert das Urtheil der Welt nicht, ich verlange nur Wahrheit zwischen uns.« »Und ich – darf Sie Ihnen – heut nicht geben.« » Heut nicht –« wiederholte langsam die Geheimräthin. »Da es kein Dieb und Räuber war, denn es ist doch nichts entwendet, und er floh vor dem Anblick einer schwachen Frau, kann es nur ein leidenschaftlicher Mensch gewesen sein. Da Du aufschrieest, war es auch kein Rendezvous, sondern er überraschte Dich, oder vielleicht aus Mitleid oder Schonung willst Du seinen Namen jetzt nicht nennen. Nun das pressirt ja auch nicht. Du willst ihn nicht wiedersehen, und wenn Du es ihm selbst schon gesagt, überhebst Du mich der Mühe, ihm mein Haus zu verbieten. Auch wirst Du klug sein, um Dich und mich nicht in Demelés zu verwickeln, und die Vorsicht gegen Andere beobachten, die Du gegen mich übst. Im Uebrigen könnte es mich wenig kümmern, wer es ist, da es an thörichten Menschen in der Stadt nicht fehlt, die Dich auf Schritt und Tritt angaffen und uns Beiden Inkommoditäten verursachen, wenn ich nicht besorgen müsste, daß es einer der Freunde unseres Hauses wäre. Wenn das ist, müsste ich Mamsell Alltag bitten, bis morgen sich zu besinnen, ob sie mir den Namen nennen will, denn Personen, welche hinter meinem Rücken das Recht der Gastfreundschaft verletzen, müsste ich den Stuhl vor die Thüre setzen.« Sie hatte sich umgewandt. An der Thür holte Adelheid sie ein. Sie presste die Hand der Geheimräthin an die Lippen und bedeckte sie mit heißen Thränen: »O verzeihen Sie mir, ich bin ein undankbares Geschöpf, aber, – nicht so undankbar, – nein, aus Ihrem Hause ist er nicht, er ist nie über Ihre Schwelle getreten, er darf nicht über Ihre Schwelle treten.« Mit dem Lichtstrahl, der plötzlich in der Lupinus aufschoß, fiel ein schwerer Stein von ihrem Herzen. Es war ein erstes, wohlgefälliges Lächeln, das über ihre Lippen schwebte. Sie hatte an den Legationsrath gedacht, jetzt schämte sie sich fast, daß sie an ihn denken können. Sie zupfte Adelheid am Ohr: »Nimm Dich in Acht! – So verräth man sich. – Ich hoffe, Du hast Dich gegen ihn nicht verrathen? – Doch wie kam er ins Haus?« – Plötzlich stand der fremde Bediente vor ihren Augen, dessen blitzende Augen sie am Abend erschreckt. »Ich werde künftig dafür sorgen, daß man keine Verkleidungen in meinem Hause aufführt, und Du – nun das hängt von Dir ab. – Es ist spät, wir wollen zu Bett gehen.« Dem späten Einschlafen der Geheimräthin gingen Träume vorauf, die wir nicht begleiten. Nur einmal schrie und fuhr sie auf. Sie hatte von der Folter geträumt: ihre Glieder wurden zerschlagen. Sie befühlte ihren Arm. Sie hörte ein stilles Weinen. Die Wände sanken nieder, die ihr und Adelheids Schlafzimmer trennten. Adelheid lag auf ihrem Bett, mit den schlaflosen Augen ins Wüste starrend: »Es leidet noch Eine hier,« flüsterte der Dämon, und eine wohlthätige Wärme verbreitete sich wieder durch ihre Adern. Sie lächelte als sie einschlief. 29. Kapitel. Scheiden und Meiden Neunundzwanzigstes Kapitel. Scheiden und Meiden. Jülli weinte, den Kopf auf den Tisch gelegt, still vor sich hin. Vor ihr lag ein kleiner Beutel mit Geld. Am Tisch stand Louis Bovillard mit untergeschlagenen Armen, den Hut auf dem Kopf, der beinahe die Decke des engen Hofstübchens berührte. Es war nichts Freundliches in der Stube, bis auf die Resedatöpfe im Fensterbrett, auf welche gerade ein durch zwei hohe Hinterhäuser sich drängender Sonnenstrahl fiel. »Damit willst Du mich abkaufen,« schluchzte sie. Er antwortete nicht. »Du willst verreisen, nicht wieder kommen.« »Ich verreise nicht,« sagte er nach einer Pause. »Aber Du willst mich nicht wieder sehen. Warum giebst Du mir mehr, als Du geben kannst? Dein Vater giebt Dir nichts, Du hast Schulden, ich weiß es. – Wozu brauchte ich denn soviel Geld?« Plötzlich war sie aufgesprungen, die Thränen brachen ihr aus den Augen, und sie stürzte mit wilder Heftigkeit ihm um den Hals. »Nein, Louis, verzeih' mir Louis, ich weiß nicht, was ich sage, Du hast mich nicht abkaufen wollen. Was hättest Du abzukaufen! Du bist die Großmuth selbst. Nur aus Mitleid, aus purem Mitleid hast Du mich aus dem Staube aufgerafft, bloß um die dumme Schmarre da am Halse. O hätte der Herr seinen spitzen Degen mir durchs Herz gestoßen, dann wären meine Schmerzen aus, und ich machte Dir nicht so viele. Du hast Recht, stoße mich fort, ich bin eine Last an Deinen Hacken. Du liebst mich nicht, Du hast mich nie geliebt. Sag's raus, grade raus, das wirkt vielleicht wie die Degenspitze – und dann ist alles gut.« »Mädchen, sei nicht närrisch.« »Närrisch bin ich nicht. Ich hab's wohl überlegt, Du hast unrecht gethan, daß Du mich hier in das Haus brachtest, wo Du selbst wohnst. Das schadet Deinem Ruf.« Er lachte auf: »Ich habe keinen zu verlieren.« »Doch! O mein Gott, ja, ich habe es selbst von den Herren gehört: Wenn er wenigstens die Schicklichkeit beobachtet hätte, das Geschöpf auswärts einzumiethen. Man kann ja nicht mehr mit Anstand über seine Schwelle.« »Zur Thür hinaus mit den anständigen Freunden!« »Sage das nicht, Louis. O wenn ich Freunde gehabt hätte, damals, einen nur wie Dich, ich wäre jetzt nicht, was ich bin. – Mein alter Vater, der blinde Konrektor, der war so gut, er hätte sich meiner erbarmt, wenn Einer ihm nur zugesprochen. Aber die Leute und die Stiefmutter! – Ach mein Herz brannte, mehr von dem Schimpf als von der Schande! – Wie sie mich in den Korbwagen packten, und die halbe Stadt darum – die höhnischen Gesichter, die Finger und die spitzen Reden: Nun kann sie mit seidenen Kleidern gehen, – nun kann sie Romane lesen! Als es zum Thor hinausrollte, wie schnitt mir's ins Herz!« »Kammermädchenphantasieen.« »Die gnädige Frau hätte es auch gut mit mir gemeint – aber – ich war noch stolz wie Du, ich wollte mich nicht ihr zu Füßen werfen. – Aus Scham stürzte ich fort ins Elend. – Louis, glaube mir, es braucht Jeder Freunde, sonst fällt er.« »Ich nicht mehr,« murmelte er zwischen den Lippen. Sie riß die Augen weit auf, sie fasste ihn krampfhaft an der Weste: »Allmächtiger Himmel, ist's das! – Als ich vorgestern in Dein Zimmer kam, – es war unrecht von mir, ich weiß es, und Du thatest recht, daß Du auffuhrst; Du packtest mich am Arm, und fragtest, so bös hab ich Dich nie sprechen hören, was ich mich unterstehe, Du stießest mich zur Thür hinaus, und schlugst sie mit einem Schimpfwort zu – es war ein hässlich Wort, aber es hat mich nicht beleidigt; es hatte mich auch nicht beleidigt, als sie mich Geschöpf nannten, nein ich bin stolz darauf, wenn sie mich Dein Geschöpf nennen, ich wollte auf Deiner Schwelle schlafen, wenn Du mich mit Füßen trätest, wenn Du mich todt trätest, und nur dabei sprächest: ich thue es aus Liebe, das wäre ein seliger Tod. Aber ich habe etwas gesehen, Louis, ehe Du mich raus warfst, und warum warfst Du mich raus – Du putztest Pistolen auf dem Tisch.« »Was kümmert's Dich!« »Louis! Geh' nicht allein aus der Welt. Wenn Du gehst, nimm mich mit.« »Ich denke Einen mitzunehmen, sprach er vor sich hin. Im Uebrigen sei ruhig, Mädchen, die Pistolen sind nicht für mich geladen.« »Das ist nicht wahr. Für wen denn? – Ich lasse Dich nicht so fort. Willst Du in den Krieg? Es ist ja kein Krieg. Sie sagen, wir behalten Frieden.« »Krieg! Alles ist in Krieg miteinander, Tugend und Vernunft, Wahnsinn und Laster; Alles betrügt sich, schlägt sich ein Bein, kuppelt, stiehlt, spielt falsch; nur die Schurken und Memmen leben in Frieden und Eintracht, und wenn sie in der Stille den Sündenbecher der Niedrigkeit geleert, wenn sie satt sind, predigen sie uns Honnetität.« »Sprich nicht so hässlich. Ich kann's nicht leiden. Spaße lieber. Sag's mir im Spaß, daß Du mich nicht mehr magst, daß ich Dir unausstehlich bin, daß Du das Geld nur giebst, um mich los zu werden, hörst Du, Louis, sag's im Spaß, und thu's dann im Ernst. Aber sag' es mir ja nicht vorher. Lache mich aus, nenne mich ein dummes Gänschen, wie Du sonst wohl thatest so geh' fort, daß ich denken kann, daß ich träumen kann, Du kommst wieder. Und wenn Du dann auch nicht wieder kommst, so erwarte ich Dich noch immer, und wenn ich Dich erwarte, bin ich glücklich – bis, bis – thu' mir den einzigen Gefallen –« Er fuhr mit der Hand in ihre Haare: »Bist Du so ein verzogenes Kind, das vor dem rauhen Lüftchen Wahrheit zittert? Das solltest Du den seinen Damen überlassen, die sich überglätten mit der Politur der Tugend. Eine wie Du müsste doch vor dem Nackten nicht erschrecken, nicht vor dem nackten Laster, dem nackten Elend – auch nicht vor dem nackten Tode.« »Wenn Du mich so recht schmähst und schlecht machst, glaube ich zuweilen, daß Du mich doch lieb hast. Wenn ich Dir gleichgültig wäre, thätest Du es nicht.« »Hast recht! Wen man lieb hat, kann man quälen, martern, man wird ein wildes Thier. Da am letzten Abend bei der Malchen. Nicht wahr? Und ich bin seitdem nicht besser geworden. Gott bewahre! Wer Dir das sagt, belügt Dich.« »Kaum daß Du frei kamst, erkundigtest Du Dich nach mir, Du hast für mich gesorgt, daß ich nicht auf die Straße gerieth.« »Einbildung! Pure Einbildung! Ich wollte nur ein Geschöpf haben, an das ich mein schwarzes Blut, meine tolle Laune auslasse. Warf ich Dich nicht zur Thür hinaus, schimpfte ich Dich nicht, drückte ich Dir nicht mal die Kehle, daß Du zu ersticken glaubtest, – aus purem Muthwillen? Und habe ich Dich nicht auch geschlagen?« »Nein, Louis, das hast Du nicht. Du hast mich nie geschlagen.« »Dann war's eine Andere. Und Eine, der ich das größte Herzeleid angethan. Wenn ich ein guter Mensch wäre, hätte ich auf meinen Knieen rutschen müssen, bis ich es gut gemacht. Beleidigt hatte ich sie, daß ich ihr nicht vors Gesicht treten durfte, und ich war rasend, toll vor Scham. – Da habe ich sie gequält, daß sie auch in Thränen ausbrach – aber das waren andere Thränen – und das war der Dämon, das Ungeheuer, das die zerstört, die es zu lieben vorgiebt. – Darum sei froh, Mädchen, ich erwürge Dich noch einmal in der Nacht –« Er drückte ihr abgewandt die Hand und wollte hinaus. »Louis! Das ist wider die Abrede. Du wolltest mir noch was vorlügen.« »Was?« »Befiehl mir, ich solle, wenn ich zu Bett gehe, die Thür offen lassen, Du wolltest hereinschleichen, mich im Schlaf erwürgen. Ach, Louis, wenn Du das thätest! Ich könnte wieder beten zum lieben Gott. Wie ruhig würde ich einschlafen.« »Bete!« sagte er, ihr die Hand reichend. »Das Andere findet sich. Wenn ich – es ist doch möglich, daß ich – vielleicht in ein Weinhaus geriethe, nicht nach Hause käme, dann setze Dich morgen auf die Post. Zu Deinem alten Vater! Die Stiefmutter ist ja todt. Er braucht eine Pflege für seine alten Tage.« »Weil er blind ist, sieht er meine Schande nicht, denkst Du. – Ach die Leute da –« »Das Nest! Erzähl' ihnen von den vornehmen Damen hier, auf die sie nicht mit Fingern weisen. – Dummheit, ward kein Mädchen dort verführt, lief keine mit ihrem Geliebten fort, und kehrte wieder? Du hast Dich mit ihm überworfen, und willst solide werden. In dem Beutel ist genug, damit kannst Du einen Putzladen anfangen. Putzen will sich Jede, auch in einem Nest. Vielleicht machst Du auch die Lehmkabache Deines Vaters damit schuldenfrei, und dann ist Alles gut.« »Adieu, Louis,« sprach sie, »ich danke Dir auch recht schön. – Ja es wird Alles gut werden.« Sie hatte sich nach dem Fenster umgewandt und stopfte heftig mit dem Finger die Erde im Resedatopf. Sie durchstach die Wurzeln. »Auf Wiedersehen!« sagte er, die Klinke in der Hand. Er sah sich noch einmal um. Die volle Gluth der Sonne fiel auf ihr Gesicht; dennoch war es todtenblaß, die Zähne klappten unmerklich unter den festgeschlossenen Lippen. Sie verließ plötzlich die Blumentöpfe und kam auf ihn zu, aber nicht stürmisch, sie zitterte nur etwas als sie sprach: »Ich muß Dir doch noch danken, lieber Louis, daß Du so gut warst, selbst zu mir zu kommen. Du hättest mir ja das Geld durch einen Andern schicken können und schreiben. Das wäre Dir viel leichter geworden. Du hast es Dir nicht leicht gemacht, um mir noch eine Freude zu machen. Das nehme ich dafür, daß Du mir doch gut bist. Gott lohn' es Dir.« Sie schüttelte ihm die Hand; er drückte einen Kuß auf ihre eiskalte Stirn. »Also – ich komme wieder,« sagte er, auch seine Stimme schien zu zittern. »Nimm Dich nur in Acht auf der steilen Treppe, daß Du nicht fällst.« Sie sah ihm nach. Als sie die Thür zudrückte, vergingen ihr die Kräfte. Sie wollte nach dem kleinen alten Sopha, sie streckte die Arme danach aus, aber sie kam nur bis in die Mitte der Stube. Mit einem erstickten Schrei schlug sie besinnungslos auf die Dielen. »Daß uns das Abschiednehmen so schwer gemacht ist! Selbst dieses!« sprach Bovillard für sich auf dem Rückwege. »Und doch, woraus besteht das Leben? Nur aus einer langen Reihe von Trennungen. Jeder Moment der Abschied von dem vorangegangenen. Und die Menschheit erfand sich keinen anderen Trost, als die Illusion des Wiedersehens. Als ob je Einer wiederfand, was er verließ! Den Trunk aus dem Becher, den süßen Blick, den Kuß, den sprudelnden Witz? Und wenn es stehen geblieben, kein anderes geworden wäre, so wär's ein abgestandener Wein, eine ekle Wiederholung. Und des Daseins Losung bleibt doch – weiter! Bis – und da hoffentlich auch weiter.« In seiner Stube fand er zwei versiegelte. Briefe. Ein verächtliches Lächeln schwebte über seine Lippen, als er den ersten durchflog. Er zerriß ihn: »Dacht' ich's doch!« Er öffnete den zweiten, ihm widerfuhr dasselbe Schicksal: »Eine Kopie. Süße Harmonie edler Seelen! Sie hätten das doppelte Schreiben sparen können.« Seine beiden Sekundanten, die endlich zugesagt, nachdem er vergebens bei andern angefragt, mussten mit dem größten Bedauern sich wieder lossagen, der Eine wegen einer unvermeidlichen Dienstreise, dem Andern war eine zärtlich geliebte Schwester erkrankt. »O diese zärtlichen und pflichteifrigen Menschen! Könnten sie nicht auch aus Diensteifer für das Gemeinwohl, aus Zärtlichkeit für unsern zartpulsirenden Staat, Hülfe leisten wollen, wo ein verrufener Raufbold aus dieser harmonischen Gesellschaft ausgestoßen werden soll! Zittern sie vor Angst, daß man sie für meine Freunde hält! – Jülli hat Recht, es giebt Momente, wo man noch Freunde braucht – zum Sterben. Sonst –« er wog seine Pistolen in der Hand – »sind das die zuverlässigsten Freunde, und einen von uns Beiden, wenn nickt Beide, liefern sie ins Jenseits ohne viele Umstände. Aber auch dazu fordert man Umstände!« Er ging aus, sich einen Sekundanten zu suchen! Wen? – Er sann umsonst nach. Den ersten besten, der ihm auf der Straße nicht ausweichen würde, mit einem Gesicht, auf dem geschrieben stände: Tritt mir nicht in den Weg! Der Zufall führte ihn in das Haus wo Walter van Asten wohnte. Er blieb zaudernd stehen. Schon wollte er, kopfschüttelnd, weiter, als er den Thorweg geöffnet hatte: »Er war in Halle ein guter Schläger, und als Senior der Marchia stand ich ihm oft zur Seite. Er ist mir noch Revanche schuldig und solche Auffrischung unter seinem Bücherstand wird ihm ganz zuträglich sein.« Die Freunde hatten sich lange nicht gesehen. Walter sah jünger, frischer aus. Sein Händedruck war elastisch, ein kräftiges Willkommen! tönte Louis entgegen. »Du siehst ja wie das Morgenroth aus! Und doch unter Büchern verpackt. – Und da eine neue literarische Arbeit!« »Dazu ist nicht Zeit jetzt!« »Nun, wozu denn?« Louis warf sich auf den Stuhl am Arbeitstisch und ergriff das Concept. Er las – las weiter, und warf plötzlich den Hut vom Kopf, daß er auf die Erde rollte: »Plagt Dich der –! Lasten der Bauern, Vorspann, Naturalverpflegung der Kavallerie! ›Und alles das noch auf das verkümmerte Dasein einer Menschenklasse geworfen, welche unter dem Joch der Leibeigenschaft seufzt, die, wie milde sie auch immerhin gehandhabt werde, das Gefühl der Menschenwürde niederdrückt. Unter Hand- und Spanndiensten für den Edelmann, gemessenen und ungemessenen Frohnen, ohne Selbstgefühl, Freiheitsgefühl, ohne Eigenthum, ohne Liebe zur Scholle, an die er gefesselt, ohne Sicherheit für die Vortheile, welche sein Fleiß erringt, wie soll da das heiligste Gefühl, die aufopfernde Liebe für's große Vaterland erstarken!‹ – Was hast Du denn mit den Gefühlen der Bauern zu thun?« »Unsere Gefühle werden darin dieselben sein.« »Wir machten uns wenigstens Beide über Ifflands tugendhaste Bauern lustig.« »Ich rede von unserm realen Bauernstande.« »Wahrhaftig!« rief Louis weiterblätternd. »Willst Du ein Thomas Münzer, oder ein Gracche werden? Was willst Du eigentlich?« »Es interessirt Dich heut wohl nicht. Ein ander Mal.« »Das könnte dann zu spät werden.« »Weil Alle zu spät handeln, ist's jedes Rechtlichen Pflicht, zu sprechen, so lange es noch Zeit ist.« »Ja! Du schreibst eine Dissertation, willst wohl promoviren, ein Kameralistikum in Halle lesen. Steck's nur den Jungen in die Köpfe, dann schießt's wild auf als Unkraut, und reif wird's grade, wenn's nicht mehr Zeit ist. Das ist der deutsche Entwicklungsgang.« »Ich will nicht dociren. Ich will's deutsch sagen, was ich denke. Und ich denke nicht an die Zuhörer, aber an die Sache. Und die Sache ist nicht mein, sie ist unser Aller. Diese Gedanken fluktuiren in tausend Geistern. Sie stöhnten und ächzten schon längst selbst in der trägen Masse. Nach einer Besserung, Erlösung sehnten sich Alle. Weil die Gräuel in Frankreich seitdem auch die Besten in bleichen Schreck versetzt, ist darum das Licht nicht Licht, weil es einmal geblendet hat? Sollen wir das Feuer nicht mehr nutzen zum Wärmen, Sieden, Schmelzen, weil es einmal zur Feuersbrunst aufloderte? Diese Ideen leben noch in unserer Nation, und wo kein Anderer ihm zuvorkommen will, ist der Schwächste stark genug, er hat die Pflicht, mit ihnen hervorzutreten. Mag dann draus werden, mag aus ihm werden, was da will!« »Wenn sie's nur läsen! – Hast Du noch nicht die Hoffnung auf diese Zöpfe und Perrücken aufgegeben? Das beste noch, wenn ein Minister ausruft: Da ist auch wieder Einer, der's besser verstehen will als wir!« »Es sind nicht Alle, wie –« »Mein Vater. Kennst Du die Andern? Der Beste wird Dir zurufen: Das ist Alles recht schön, aber nicht an der Zeit. Im Augenblick, wo die Renner zum Wettlauf gesattelt werden, ist nicht Zeit eine Vorlesung anzuhören über die Veredelung der Pferde racen.« »Und Du auch meinst, wie die Tausende und Abertausende, daß wir nur berufen sind, über Schiller und Goethe zu streiten, nur in die Tiefen der Mystik und der Metaphysik uns zu versenken! Andere für uns handeln lassen, das wäre unsre Destination. Louis, wir hatten Wartburg-Krieg von Minnesängern, aber von derselben Wartburg leuchtete Luthers Fackel über Europa! –« »Das war ein Mirakelmann, aus der Zeit der Wunder. Wir leben unter Wichtelmännern; in einem verschütteten Bergwerk suchen sie mit der Laterne nach Glimmer und Spießglas. Die edlen Erze sind längst gefördert und kursiren als Scheidemünze.« »Wir hier haben noch Kräfte, nur ungeordnete, sie sind überlastet, man hat sie aus dem Auge verloren. Nur dran hinzuweisen braucht es, daß sie gähren, kochen, zum hellen Kristall aufschießen. Dazu ist kein Mirakelmann, nur ein guter Schürmeister nöthig. Wir haben einen jungen Fürsten, der das Rechte will und bange ahnt, wo das Schlechte liegt, aber eine dicke Atmosphäre, nenn's eine elastische Mauer, hat sich um ihn gesetzt. O Gott, daß die frischen Lüfte, die Lichtblitze endlich zu ihm drängen! Da ist's Jedes Pflicht, da ist Niemand zu gering, zu schwach, der eine Stimme hat, zu sprechen; wer malen kann, der male, wer meißeln, meißle in Stein, das Auge aufreißen vor der Gefahr! Und rasch, denn sie rückt mit Riesenschritten näher, sie ist nicht zu ermessen, wir stehen an einem Abgrunde, der Alle verschlingt. Und aus diesem Grunde heraus, könnten wir eine Festung bauen, unnehmbar! Jetzt das Volk aus seiner Erstarrung, seiner Gleichgültigkeit, seiner Entfremdung gegen das Höchste und Heiligste auf Erden, jedes Glied zum mitfühlenden Glied der großen Kette zu erheben, Volk und Fürst in Eins zu verschmelzen, das wäre die Aufgabe des Gesendeten. Ich sehe ihn nicht, Du siehst ihn nicht, Keiner sieht ihn, aber ist er darum nicht da? Hat nicht Jeder, dem ein Funken durch die Adern zuckt, die Aufgabe, Steine dem künftigen David zuzutragen? Wenn er die Steine sieht, wird er nach der Schleuder greifen.« Louis Bovillard hatte ihm mit verschränkten Armen zugehört. Die Wimpern der schönen Augen zuckten zuweilen auf, und warfen ihm einen theilnehmenden Blick zu. Aber die Saiten seiner Seele waren nicht gestimmt für die Töne, die Walters Bogen strich. – Er schwieg einen Augenblick, dann entstieg ein gähnender Seufzer der Brust, der Kobold sah auf der Lippe und griff das letzte Wort auf: »Zum Steinewerfen haben sie allenfalls noch Muth, wenn's auch nicht Schädel trifft, doch Fensterscheiben. Wenn nicht die des französischen Gesandten, doch der Schauspielerin ihre, die er unterhält.« Walter sah ihn wehmüthig an: »Haften, schweben, kräuseln denn Louis Bovillards sämmtliche Gedanken heut nur noch bei den Gensd'armerie Offizieren? Der Louis Bovillard, der einmal auf der Windsbraut reitend, nach den Strahlen der Sonne griff! Und heut noch an Persönliches sich klammern, in einer Zeit, wo der Einzelne nur Lust zum Athmen findet, wenn er sich versenkt ins Allgemeine.« »Das ist Lüge, glaub's mir, pure Lüge. Wir kriechen nicht aus unserer Haut. Es ist alles persönlich, unser Appetit und unsre Begeisterung, unser Haß und unsre Liebe. – Auch Dir ist was Angenehmes im Traum begegnet, darum träumst Du jetzt für die Menschheit und für den Staat Seiner Majestät des Königs von Preußen.« Der frohe Zug um Walters Lippen, sein heller Blick sprach für Louis Behauptung. Ein deutliches Ja beantwortete sie: »Ich träume einen schönen Traum, und darum gehe ich mit Muth an mein Werk.« »Laß es aber nicht drucken,« sagte Bovillard. »Warum?« »Es sind verteufelt gute Gedanken darin; gedruckt sind sie Allgemeingut. Irgend einer schmeißt sie etwas um, gießt seine Sauce drauf. So laufen sie durchs Publikum und Du gehst Deinen Prosit quitt.« »Sie sollen wirken. Auf diesem Wege gelangen Sie an ihr Ziel. Wenn auch verrückt, verfälscht, es haftet etwas. Will ich etwas für mich?« Bovillard sah ihn scharf an, und sagte: »Ja!« Walter erröthete. »Du willst wirken, das heißt selbst eine Wirksamkeit haben. Zünden Deine Gedanken, so wärst Du ein Narr, wenn Du am Feuer nicht Deinen Topf wärmen wolltest. Du hoffst noch und hast ein versöhnlich Gemüth. – Purpurrother Freund der Wahrheit, wenn Du im Amte bist, lerne Dich etwas verstellen, nur zum Besten des Allgemeinen, in das der Einzelne sich versenken muß . Wer dem realen Staat dienen will, muß lügen können.« Walter hatte nicht gesehen, wohin Bovillard sah. Indem er ihn zu fixiren schien, hatte er über seinen Kopf weg auf der Wand einen Kranz vertrockneter Kornblumen entdeckt, die künstlerisch mit einem blauen Bande verschlungen waren. »Und außerdem bist Du verliebt, und wünschest eine anständige Versorgung, um heirathen zu können.« Die Purpurröthe auf Walters Gesicht wich einer Blässe, doch nicht auf lange. In seinem Auge sammelte sich wieder der milde Glanz der Zuversicht von vorhin. »Weshalb vor dem Freunde ein Geheimniß. Ich liebe und ich hoffe. – Nun schütte Deine Philippica aus gegen meinen Egoismus, ich will versuchen, ob ich dem Hagelschauer widerstehe und doch noch etwas von mir rette –« »Wenn wir auch ein verschieden Facit zögen, die letzte Rechnung schließt Jeder doch nur mit sich ab. Du thust recht. Dir steht's an der Stirn geschrieben, daß Du zum guten Bürger geboren bist, an meiner stand etwas von Kains Zeichen? Hast Du Dich mit Deinem Vater ausgesöhnt?« »Unsere Trennung ist wohl keine fürs Leben.« »Fandst Du die Cousine, Mamsell Schlarbaum, jetzt liebenswürdiger?« »Ein gutes Mädchen, aber noch weniger, als der Dichter in ihrer Brust einen Widerhall gefunden hätte, würden es die Töne, die jetzt in meiner klingen.« »Eine politische Schwärmerin hast Du doch nicht zur Hausfrau gewählt?« »Sie ist ein deutsches Mädchen –« »Und liebt Dich?« Walter schwieg, dann reichte er dem Freunde die Hand: »Ich hoffe es. – Nun von Dir. Du kamst in Geschäften. Womit kann ich Dir zu Dienst sein?« »Mit nichts.« »Du wolltest von mir?« »Was ich jetzt nicht mehr will.« »Und warum nicht?« »Weil Du verliebt bist.« »Die Liebe tödtet nicht die Freundschaft.« »Weil Du glücklich bist.« »Liebende und Glückliche sind freigebig. Sie möchten die ganze Menschheit aus Herz drücken.« »Und ich – ihr den Hals brechen.« Mit einem raschen Händedruck ging er aus der Thür. 30. Kapitel. Machtstube-Abenteuer Dreißigstes Kapitel. Wachtstuben-Abenteuer. »Hol Euch alle der –« rief der Spieler und warf die Karten auf den Tisch. Das Tarockspiel war beendet. Er zog die lange seidene Börse, um die letzten Goldstücke dem Gewinner hinzuschleudern. Bei der Berechnung ergab sich, daß sie nicht reichten. Er ließ sie zurück gleiten, machte einen Knoten und steckte die Börse in die Tasche. »Am nächsten Gagetag!« Ein höhnisches Gelächter antwortete darauf. Es waren Offiziere, der Ort des Spiels eine Wachtstube. Der Verlierende war in einer Parüre, die auf den ersten Anblick allerdings Zweifel ließ, ob er der Mann sei, um einen bedeutenden Spielverlust durch die Einnahme eines Gagetages aufzubringen. In einem nicht mehr ganz reinlichen Kamisol, das zerknitterte Hemde nur durch eine leichte Binde um den Hals festgehalten, die Füße in Pantoffeln, im Munde eine Thonpfeife, verrieth nur die gelbe Weste unter dem Kamisol, und die auch etwas vernachlässigte Frisur den Offizier. Aber der Kapitän war ein Arrestant; die Wachtstube sein Gefängniß. »Ihre nächste Gage, Herr Bruder, gehört ja dem Schneider,« sagte der Wachthabende, der Einzige unter den Spielern, dessen Parüre in parademäßigem Zustande war. Das vielstündige Spiel hatte bei den Andern manche Managements in der Adrettität zur Folge gehabt. »Den schmeißt er wieder zur Treppe runter,« sagte der Kornet auf dem Schemel kippend. »Und dann kommt der Ephraim und der Levi.« »Die bestellt er auf dieselbe stunde, wie neulich, und sie müssen warten, bis er raus rufen lässt: Einer soll rein, denn Einer kann heut nur bezahlt werden. Dann fallen sie sich in die Bärte, prügeln sich, und er lässt sie wegen Ruhestörung arretiren. Onkel und Herr von Kniewitz, schade, daß Sie nicht dabei waren. Es war ein kapitales Stück. Ich sehe noch die Judengesichter und die blanken Thaler, neu geprägt, auf dem Tische: die Sonne schien drauf. Freilich der Regimentsquartiermeister stand dabei. Hatte sie ihm nur auf eine Viertelstunde geliehen. Aber die Juden! wie sie sie zu Gesicht kriegten; sie trauten zuerst ihren Augen nicht. Nun Einer dem Andern vor, wie Wasser aus 'ner Schleuse, und eh Einer die Hand an den Tisch gebracht, Einer den Andern zurück, an Brust und Kragen, Beide auf der Erde, kopfüber, das strampelte und schrie.« »Wenn sie sich nun vertragen und getheilt hätten?« »War mir gar nicht bange, Onkel! Der Kapitän versteht's. Du hättest ihn sehen sollen. Nicht eine Miene verrückt, und mit einemmal schoß er auf, Augen wie der alte Dessauer: ›Schafft mir die Bestien aus den Augen. Auf die Wache mit den Schuften, die so den Respekt vor dem Rock des Königs verletzen.‹« »Dafür soll er leben!« der Wachthabende stieß an. Die Gläser klangen. »Und die Straßenjungen hinter den Juden her,« setzte der Kornet hinzu, »es war ein Schauspiel für Götter!« »Eigentlich ist's contre façon, « sagte der Kapitän, »daß christliche Offiziere einem Kameraden ausziehen, was die Juden übrig lassen! Und noch dazu einem gefangenen, den Ihr in Eurer Gewalt habt.« »Hört den Fuchs. Du müsstest doppelt blechen, weil wir unser Renommee aufs Spiel setzen. Mit Einem spielen, der mißliebig ward, sich vergangen hat an einem Kaiserlich Russichen Gesandten!« »Sitz ich etwa darum, daß ich den auf der Maskerade emittirt habe? – Euretwillen, Ihr Herren Gensd'armen, allein um Euretwillen! Weil Ihr damals dem Pfaffen bei der Malchen das Katzenständchen brachtet. Majestät waren fuchswild; aber Ihr wurdet durchgeschwatzt. Das kennt man schon, wenn's nur an die Kavallerie gehen soll. Für den Nächsten war's aufgehoben, und das war ich. Und nicht um den Alopeus, sondern um den Pfaffen bin ich der Sündenbock.« Der Kornet strich seinen Milchbart, als wäre es wirklich schon ein Knebelbart, sein Oheim, der Rittmeister, lächelte und drehte seinen vollen roth schimmernden mit stillem Vergnügen in die Höhe; »Nicht wahr, Fritz, das war auch ein kapitales Vergnügen?« »Kostet mich baare hundert Friedrichsd'or, die ich dem Onkel pumpen musste nachher in der Weinstube. Aber, Onkel, weißt Du, ich hätte Dir noch hundert zugepumpt, wenn Du hättest: Absitzen! blasen lassen.« »Ich glaub's dem Jungen,« sagte der Rittmeister, »der hätte gern oben Ordnung gemacht.« »Die Prediger-Mädels sahen wir noch. Na die passirten; aber die Bescherung nachher hätte ich sehen mögen.« »Glaub's auch.« sagte der Onkel und wirbelte noch immer am Bart. »Na davon muß man jetzt nicht reden. Du vor Allem nicht. Wie stehst Du denn mit der Comteß Laura?« »Davon redet man nicht!« erwiderte der Kornet, sich gemächlich, ein Bein übers andre, im Schemel wiegend, und aus den übermüthigen Lippen den Rauch blasend. »Verfluchter Junge der!« sagte der Onkel. »Dem ist's Glück mit der Muttermilch angeblasen. Solchem Milchbart, der kaum flügge ist, muß sie winken.« »Fortuna ist ein Weibsbild!« seufzte der Gefangene. »Und wenn man den General nicht fängt, ist man zuweilen mit dem Kornet zufrieden,« bemerkte der Wachthabende. »Werde Sie um Erklärung nachher bitten lassen, Herr Lieutenant!« sagte der Kornet, ohne seine Stellung zu ändern. »Kik in die Welt!« rief der Rittmeister. »Kornet Wolfskehl genannt zu Ritzengnitz, ein Kornet kann keinen Offizier um Erklärung bitten lassen.« »Der wäre im Stande, und forderte den Prinzen selbst,« sagte der Arrestant. »Gefällt mir an ihm. Solche lieben die Damen. Plaudert nicht am Morgen in der Wachtstube die Eroberungen der Nacht aus.« »Fritz, merkst Du was! Der Kapitän spekulirt auf Deinen Beutel. Lob ist nicht umsonst. Revanchire Dich, bezahl seine Schulden. – Er rührt sich wahrhaftig nicht. So ein junger Glückspilz! Das war das pfiffigste Stück meiner seligen Schwester, daß sie ihren Alten beschwatzen musste, ihn mit einundzwanzig mündig zu erklären. Um 'ne halbe Million das Pupillenkollegium betrügen! Als ob die Weiber das nicht wüssten, auch ohne Pupillenkollegium, und nun bildet sich der Junge ein, 's ist um sein glattes Gesicht.« »Onkel, wir stehen in Relationen.« »Halt's Maul! Willst Du dem Herrn Kapitän seine Spielschuld vorstrecken? Das ist das Vernünftigste, was Du thun kannst.« »Mit Vergnügen, lieber Onkel, sobald Du Deine Wechsel bei mir eingelöst hast.« »Kinder, nun bitte ich Euch, ist das nicht gegen die Moraliät, daß ein Neffe von seinem Onkel Wechsel hat! – Hast neulich erst in der Garnisonkirche gehört, was der Prediger von der Sittenverderbniß sprach. Pfui.« »Herr Bruder haben Recht,« sagte der Wachthabende. »Ueberhaupt solche Papierwische. War' ich König, ich ließe alle Wechsel verbrennen.« »Fritz, nimm also Raison an, willst Du?« »Bin nicht bei Kasse.« »Bin ich's etwa!« »Lasst den Horstenbock nur erst los kommen,« sagte der Wachthabende. »Er findet auch noch einen Salomon Schmuel, der ihm fünfundvierzig Prozent auf den fünfundvierzigsten Gagetag vorschießt. 'S sind christliche Gemüther unter der löblichen Judenschaft.« »Reinen Tisch!« rief plötzlich der Rittmeister. » Quitte on double. « Auf dem unreinen, wie eine Wachtstube ihn mit sich bringt, mischte er die zergriffenen Karten und blickte fragend den Arrestaten an. Er nickte Zustimmung: »In sechs Monat.« » Quitte ou quadruple –« »Was?« Alle sahen sich verwundert an. » Quitte ou quadruple, à payer, wenn Horstenbock 'ne Kompagnie hat!« Alle lachten: das Interesse steigerte sich, sie rückten wieder näher an den Tisch. Darin war Vernunft. Die vervierfachte Summe des Spielgewinnstes war ein Kapitol, aber eine Kompagnie war auch ein Kapital. Der Kapitän schlug ein. »Und meinem Neffen, dem Kornet, verkauf ich sie für neunzig. Nutzt der Junge wieder sein Geld mit zehn Prozent.« »Was mein guter Onkel nicht thut!« lachte der Kornet. »Aber wenn nun Krieg wird?« » Tant mieux! « rief der Arrestat. »Wenn mich 'ne Kugel trifft, lach' ich Euch Alle aus.« »Roth oder schwarz?« rief der Wachthabende, die Karten noch einmal zu dem wichtigen Spiel häufelnd. »Roth!« rief der Rittmeister. Also »Schwarz!« der Kapitän. »Verloren!« jubelte der Kornet auf, mit den Fingern schnalzend. »Onkel verloren!« Der Arrestat warf diesmal die Karten nicht auf den Tisch, er trocknete die Nässe, nämlich vom Wein, der reichlich floß, mit dem Aermel ab, und legte sie sorgfältig zusammen: »Rittmeister, ein andermal bin ich zur Revanche bereit.« »Die hat Dohleneck nicht nöthig. Wer so viel Glück in der Liebe hat, hat's nicht im Spiel.« Es prustete unter den Anwesenden auf, der Kornet wollte sich überschlagen. »Herr Bruder, Sie haben Unrecht,« sagte der Wachthabende, als eine Wolke auf der immer heiteren Stirn des Rittmeisters sich zusammenzog, »die Geschichte mit der Tänzerin noch immer als eine particulaire zu betrachten. Sie ist eine Korpsangelenheit.« »Eine verflucht kniffliche Geschichte, erinnre ich mich,« sagte der Arrestat, »sie kam ja bei allen Offizierkorps zur Sprache. Die Meinungen waren sehr getheilt.« »Kinder!« rief der Rittmeister. »Ueber die Sache ist längst Gras gewachsen. Lasst die Todten ruhen.« »Den Teufel auch,« rief der Wachthabende. »Der Louis Bovillard ist noch lebendig, und wie! Die Sache muß noch mal zu Ende kommen.« »Die Hetzpeitsche!« jubelte der Kornet. »Man wäre auch schon einig darüber geworden, wenn nicht –« »Der Vater wäre.« »Der sollte uns nicht geniren. Wenn man nur wüsste, ob er nicht doch ein Edelmann ist?« »Das müssten ja die Listen der Refugiés ergeben.« »Sind nachgeschlagen, so weit wir zukonnten; da muß sich der Alte, oder Lombard zwischen gelegt haben, und unsre fanden verschlossene Schränke. Zwei verschiedene ältere Listen hatten wir nachgesehen. Zu der einen war ein Pierre Bovillard aufgeführt, mit dem Zusatz confiseur; in der andern ein Sieur Pierre Bertolet Fulcrand de Bovillard, maître de Cerisé. Da standen wir nun am Berge. Der Obrist wollte es mal unter der Hand von Lombard erfahren, der Fuchs musste aber Lunte riechen, und antwortet: Alle Refugiés stammten direkt von Adam, und alle unsere Väter wären einmal Perrückenmacher gewesen.« »Ein Skandal!« Der Arrestat spuckte. »Aber kriegen wir's raus, daß er vom Konditor ist –« »Die Hetzpeitsche!« jubelte der Kornet. »Ich habe ein paar Bursche aus der Neumark, die wissen sie zu appliziren. So halb polnische Rasse. Haben's an ihrem eigenen Rücken gelernt, und theilen herzlich gern Anderen ihre Erfahrung mit.« » Modération! meine Herren Brüder!« sagte der Rittmeister aufstehend. »Wenn Einer von uns den Bovillard vor die Klinge fordern könnte, tant mieux, von Herzen gern, so wäre der Geschichte mit einem Mal der Kopf abgeschnitten. Bis dahin aber – vergessen Sie nicht, daß es anders ist, als es war –« »Muß wieder werden, wie's war!« trumpfte der Arrestat mit der Faust auf den Tisch. »Wenn sie uns die Fuchtelklinge nehmen, ist's mit der Disziplin aus. Aber kommt noch mehr eingeschobene Canaille in die Armee, Adieu dann esprit de corps, Adieu Friedrichs Geist, Adieu Preußens Ehre.« Eine Ordonnanz überbrachte ein Rosabillet, mit Vergißmeinnicht sauber verschlungen; es schien ein Spott auf die dampfende Wachtstube: »Herrn Rittmeister Stier von Dohleneck eigenhändig zu übergeben.« Der Empfänger musste es an das trübbrennende Talglicht halten, um in dem Tabaksrauch die feingekritzelte Adresse zu lesen: »Von wem?« »Ein Frauenzimmer brachte es. Sie wollte aber nicht bleiben.« »Ein Rendez-vous! – Warum ist sie nicht selbst gekommen, das liebe Kind? – Kann nicht mal abwarten, bis er von der Wache zurück ist.« Der Rittmeister hörte nicht auf die Raillerien. »Hier ist's zu dunkel. Herr Bruder von Horstenbock erlauben wohl, daß ich's bei ihm am Fenster lese.« Ohne eine Antwort abzuwarten, war er in die daran stoßende Kammer getreten, die Thür hinter sich zuwerfend. »Vielleicht von der Jenny!« rief der Kornet. »Sie hat Reue gekriegt, und ist zurück.« Der Arrestat fragte nach dem eigentlichen Zusammenhang der Geschichte, die ihrer Zeit so viel zu reden gemacht. Er hatte damals in der Provinz gestanden und nur Widersprechendes darüber gehört. Dohleneck hörte jetzt nicht zu, es sei also kein Grund hinterm Berge zu halten. »Herr von Dohleneck war nur unser Deputirter,« sagte der Wachthabende, »es ist daher thöricht, wenn er sich die Sache persönlich zu Herzen nimmt. Das Persönliche verschwand bei der Sache gänzlich und er war nur der Vertreter für das Allgemeine. Wie der Prinz zuletzt mit dem Blitzmädchen stand, weiß jedes Kind. Ob er aber wirklich so vernarrt war, wie er vorgab, das weiß der Himmel. Eines Abends beim Champagner verschwor er sich gegen ein Zehn von uns. die er invitirt, die Hexe wäre so speziell in ihn verliebt, daß sie auf keinen Andern hören würde. Nun müssen Sie gestehen, meine Herren, daß das für uns eine direkte Herausforderung war. Wer wusste nicht, wie's um die Jenny stand? Also wir hielten im Geheimen ein Art Kriegsrath, und es war auch nicht eine Stimme dagegen. Es war eine Korps-Sache. Auf der Stelle ward zusammengeschossen, baar, es kam eine erkleckliche Summe zusammen, und Zwei wurden ausgelost. Sie müssen auch gestehen, Herr Bruder von Horstenbock, daß das loyal und kavaliermäßig gegen den Prinzen gehandelt war.« »Und klug auch. Die Liebenswürdigsten und Hübschesten zu wählen, wäre doch eine kitzliche Sache für die Kameradschaft gewesen.« »Es fiel auf Dohleneck und einen Andern. – Ein Billet an die Tänzerin bat um die Erlaubniß, bei ihr ein Souper en trois nach der Oper zu arrangiren, und dies kleine Souvenir mit dem Vergißmeinnicht als Angebinde anzunehmen. Drin lagen hundert Dukaten. Die Antwort war: sie werde das Vergißmeinnicht zum ewigen Andenken bewahren und den Tisch decken lassen. Unser Koch hatte während der Oper ein kaltes Souper, exquisite Sachen von Sala Tarone, arrangirt, und die Jenny sprang ihnen schon an der Treppe entgegen. War auch keine Sylbe die Rede von Tugend und Treue, sie war ausgelassen lustig, und sagte, sie wäre schrecklich hungrig. Unsere Kameraden waren's auch. Aber kaum fliegt der erste Pfropfen an die Decke, als ein Wagen vor die Thür rasselt. Sie erschrickt: ›Er wird doch nicht.‹ Kaum hat sie das Tüchlein wieder um den Hals genestelt, als es die Treppe rauf knarrt. Nun aufgesprungen, als die Kammerkatze reinstürzt: ›Herr Jemine, der Prinz, Mamsell!‹ – ›Retten Sie sich!‹ ruft die Jenny, und wirst das eine Couvert in den Waschkorb. Die Offiziere wollen ins Nebenzimmer fliehen, da holt sie die Katze zurück: ›Meine Herren, um Gotteswillen, da kommt er ja durch.‹ Retour also, und wollen zur Stubenthür auf den Flur. Da klirren seine Sporen und er klopft. – ›Hannchen mach' auf.‹ ruft die Jenny und hat derweil schon den großen Kleiderschrank aufgerissen; ›Meine Herren, ist's gefällig?‹ Platz hatten sie drin, das ist wahr, und die süßesten Erinnerungen an alle Schäferinnen und Göttinnen, die in den Kottillons gesteckt, aber – nun das Uebrige ist kaum nöthig zu erzählen. Verschlossen waren sie, und der Schlüssel steckte in Jenny's Tasche, und Jenny hing am Halse des Eintretenden, und bat ihren herzgeliebten Louis und schönsten Louis und einzigen Louis um Verzeihung, daß sie nicht auf ihn gewartet, aber sie wäre zu durstig gewesen vom Echauffement« »Merkten sie's da?« »Auf parole d'honneur sie vor unserm Ehrengerichte versichert, der Kerl hätte täuschend den Prinzen gespielt.« »Sie konnten Alles hören?« »Jedes Anstoßen, jeden Kuß, das Kritzeln mit dem Messer auf dem Teller.« »Donner und Wetter!« »Zwei Pfropfen hörten sie gegen die Decke knallen, selbst durstig zum Verkommen und hungrig auch. Zwei Stunden saßen sie am Tisch.« »Bloß am Tisch?« »Meine Herren, bedenken Sie, es waren Offiziere, die da für ihre Kameraden standen. Ja sie haben eingeräumt, zuletzt entdeckten sie durch eine Ritze, daß es Bovillard war. Was aber war zu thun? Ich frage Sie, Kapitän, hätten sie poltern sollen?« »Eine verfluchte Situation und eine Frage, daß Einem der Kopf schwindelt. Wenn ich für mich dagestanden –« »Hätten Sie die Thür gesprengt. Sehr richtig. Aber in dem Schranke stand das ganze Offizierkorps; das erwägen Sie.« »Nein, da durften sie's nicht.« »So entschied auch unser Ehrengericht.« »Aber was wird nachher daraus?« »Sie hörten rutschen, packen, Kisten und Kasten aufreißen – man sprach unter Gekicher davon, aus den Appolloball zu gehen.« »Und nachher?« »Keiner schloß auf. Blieben sitzen.« »Kam denn nicht die Kammerkatze?« »Nicht Katze, nicht Maus; die war mit der Jenny fort. Kurz um, wie Ihnen bekannt sein wird, die Tänzerin war mit Extrapost nach Leipzig gefahren. Ist heut noch nicht zurück. Nicht einmal austrommeln lassen konnte man sie. Die Wirthin musste endlich, als sie zu poltern anfingen, das Schloß aufbrechen lassen. Frei waren sie da freilich, aber –« »Von wem nun Satisfaktion?« »Meine Herren, ich versichere Sie, die Sache hat uns Allen schwere Nächte gemacht. Was sollten wir thun? Bovillard fordern? Wenn es damals noch ging! Aber die Raison! Hatten sie's denn mit ihm zu thun gehabt? – Er stellte sich gegen Dritte als die pure Unschuld. War bei der hübschen Tänzerin gewesen, hatte sich ungemein amüsirt. Sollten wir uns nun blamiren und ihm mit dürren Worten sagen, daß wir uns nicht amüsirt hätten? Durften wir überhaupt an die große Glocke schlagen? Durften wir es vor dem Prinzen? Wer wusste denn, ob er nicht mit im Spiel steckte, ob er's nicht eingeleitet, um mit guter Manier die Jenny los zu werden? Es war ja ein Labyrinth, ein Wespennest, in das wir stachen. Gott weiß, was daraus geworden wäre. Dohleneck und der Andere wollten ihren Abschied fordern. Das ging auch nicht. Sie waren ja wir . Das ganze Offizierkorps hätte den Abschied nehmen müssen. Meine Herren, ich versichere Sie, es war eine Hundegeschichte, und dazu den Bovillard ansehen müssen, der wie der Sonnenschein über die Parade spazierte.« »Sag' ich doch, man hat zuweilen im Leben Pech und weiß nicht, wo's herkommt.« Der Rittmeister hatte die Worte des Arrestaten noch gehört, als er eintrat, den Rosabrief auf den Tisch warf, und sich auf den Schemel: »Ist das Pech, oder nicht, oder was ist es? Ich weiß es nicht.« »Onkel, ein Rendez-vous? Will's Dir abkaufen, unbesehens. Bin generös. Den ersten Wechsel dafür.« »Lest mal das Zeug. Ich krieg's nicht klar.« Der Arrestat las: ›Wenn ein menschliches Herz in Ihnen schlägt, so setzen Sie Ihr Betragen nicht fort. Mein Gott im Himmel, ist es denn möglich, daß ein Kavalier, ein Offizier des Königs, ein Mann, dem man sonst gute Eigenschaften nicht abspricht, im Martern eines weiblichen Herzens sein Vergnügen finden kann! Wenn Sie auf unsere Bitten nicht hören wollen, wenn Sie Ihre Schwadron täglich vorüber reiten lassen müssen, treiben Sie den Hohn wenigstens nicht so weit, immer vor ihrem Fenster den Bart zu streichen. Sie sehen freilich nicht die Dolchstiche, die es in das Herz der Armen drückt, denn die Balsaminen verbergen sie Ihren Augen. Wir vertheidigen die Arme nicht, sie ist ein schwaches Weib. Sie verspricht uns wohl am Abend, morgen will sie sich in die Hinterstube verschließen, aber wenn Ihre Trompeter um die Ecke blasen, reißt es sie mit unwiderstehlicher Gewalt ans Fenster. Wenn sie dann schluchzend, ohnmächtig in unsere Arme sinkt, verspricht sie uns freilich, es soll das letzte Mal gewesen sein, aber – vielleicht wird es ein Mal das letzte Mal sein. Bietet denn eines Mannes Brust eine so unerschöpfliche Höhle für das Rachegefühl, daß er nie vergeben kann, und einer Frau, einer schönen Frau? Sie hat Sie beleidigt, ja, das geben wir zu, aus Uebermuth gekränkt, aber das Herz des Weibes gehört den Impulsen. Was wären wir, wenn wir ihnen nicht mehr gehorchten! – Damit Sie es denn wissen, ja dies Gefühl, Sie gekränkt zu haben, ist es, was an ihrem zarten Dasein nagt, diese Vorwürfe, die krampfhaft ihre Brust durchschüttern, die sie im Schlaf aufschreien lassen, die Wermuth in den Becher der Freude träufeln. Und das könnte ein Mann ruhig ansehen, und sich durch die Qualen, die er einer Frau bereitet, geschmeichelt fühlen? – Nein, mein Herr, es kämpft noch immer mit mir der Gedanke, daß unter diesem brüsken, zur Schau getragenen Affront – ein anderes Gefühl sich nur gewaltsame Selbsttäuschung erheuchelt! – Ich wiederhole meine Bitte, besinnen Sie sich, nehmen Sie Urlaub; entfernen Sie sich einige Zeit aus Berlin. Die Zeit heilt viele Wunden. Es ist alles vorbereitet; man wird Ihnen bereitwillig Urlaub ertheilen. Auch wenn Sie augenblicklich der Mittel entbehrten, soll dafür gesorgt werden. Es gilt ja das Glück einer der edelsten Seelen. – Bleiben Sie aber doch – dann, dann – nein ich lasse es mir nicht abstreiten, was ich ahne – dann hören Sie mehr von mir.‹ »Na was ist das, Dohleneck?« »Ja, was ist's? So soll doch Gott den Teufel todschlagen, wenn ich 'ne Sterbenssylbe davon verstehe!« »Der Brief deutet auf anderes, was voranging?« »Freilich, schon zwei solche Wische, und neulich auf der Maskerade ward mir was ins Ohr geflüstert. Ich glaube, ich bin in einem Tollhause.« »Herr Bruder, besinnen Sie sich,« sagte der Wachthabende. »Da sind ja viele Indicien im Briefe: – eine schöne Frau, also ist's kein Mädchen, eine Frau, die Sie beleidigt hat, eine Frau, an deren Fenster Sie täglich vorbeireiten. An welcher Ecke lassen Sie die Trompeter blasen? Und Balsaminen stehen am Fenster.« Der Arrestat überflog das Billet: »Es muß eine Frau von Distinktion sein.« Der Rittmeister war aufgesprungen. Ein Licht schien auf seiner Stirn zu leuchten, und doch glänzten die Augen nicht wie eines Liebenden, der im Mondenschein ein lieblich Bild sieht, sondern wie eines aufgeschreckten Schläfers, dem ein Gespenst an der Wand vorübergleitet; »Donnerwetter! Schock-Schw – –! wenn die es wäre!« Da öffnete sich die Thür und der Gefreite schritt gravitätisch auf den Wachthabenden los. 31. Kapitel. Ein Satz in die Löwenhöhle Einunddreißigstes Kapitel. Ein Satz in die Löwenhöhle. Der Gefreite schulterte: »Herr Lieutenant, ich rapportire.« »Was?« »Es schleicht ein Verdächtiger um die Wache.« »Was hat er gethan?« »Er hat ins Fenster geguckt, und dann ist er fort.« »Warum ist er verdächtig?« »Acht Zoll, Haare ohne Puder, kleiner Kopf, verfluchte Augen, und am Ellenbogen ein Loch, oder ist's ein Kalkfleck.« »Und sonstens?« »Der Vorpahl und Schlagebohm haben ihn schon gesehen. Zwei Mal ist er eingebracht worden auf dem Molkenmarkt. Einmal war er Bandit. – Da kommt er all wieder. Soll'n wir'n reinschmeißen, Herr Lieutenant?« Der Kornet war ans Fenster gesprungen: »Hölle und Teufel, das ist Bovillard!« »Was!« rief der Wachthabende, »sollte der Kerl es wagen –« »Eine Peitsche!« schrie der Kornet, als Louis Bovillard schon in der Stube stand und mit ihm beinahe zusammenprallte. Der Eintretende war nicht der, welcher zurückwich. »Eine Peitsche wünschen Sie, Kornet? Für Pferde oder für Hunde? Das muß man wohl unterscheiden. Pferdegerten bekommen Sie am besten bei Conradi an der Schleusenbrücke, aber wenn Sie Hundepeitschen wollen, gehen Sie ja nicht anders, als zu Krilow, Spandauerstraße. Echtes Juchtenleder, elastisch, fein gearbeitet. Aber nehmen Sie sich in Acht, nie zu stark geschlagen. Der bestdressirte Hund knurrt, wenn man ihn mit Juchtenleder zu stark traktirt. Also merken Sie, Kornet von Wolfskehl, bei Krilow, Spandauerstraße, Eckhaus nach dem neuen Markt zu.« Bovillard war beinahe um einen Kopf größer als der Kornet, und es schien sehr natürlich, als er ihn mit der Hand dabei auf die Schulter klopfte. Aber es war nicht natürlich, daß der Kornet es sich gefallen ließ. War's die Magie des Auges, oder was bewirkte nach solcher Ausgelassenheit solche Einschüchterung? »Was suchen Sie hier?« trat ihm der Wachthabende entgegen. »Männer von Ehre.« Was dem Kornet geschehen, geschah jetzt der ganzen ehrenwerthen Versammlung. Sie schwiegen, als wär's eine elektrische Berührung, die Alle in einem Moment umgewandelt hatte! Ein Dritter würde es ein Gefühl der Geschlagenheit genannt haben. Sie wussten nicht was sie zu thun hatten. Bovillard war wie ein Geist aus der Mauer in ihre Mitte gedrungen; ein Zischeln oder selbst nur ein Verständigen durch Blicke war nicht mehr thunlich. Indessen nahm der Wachthabende das Wort: »Sie kommen in welcher Absicht?« »Ihren Schutz und Beistand anzusprechen.« Die Sache war aufs Neue vollständig verrückt. »Werden Sie von der Populace verfolgt?« »Die Populace kümmert mich nicht.« »Oder wollen Sie sich freiwillig in Arrest überliefern, weil Sie –« Der Offizier hielt inne. – »Nichts weniger als das.« »So muß ich den Herrn auffordern, sich etwas deutlicher zu expliciren!« »Mit dem größten Vergnügen.« Der Wachthabende hatte, um seine Autorität aufrecht zu erhalten, sich auf den Schemel nieder gelassen, was der Arrestat und der Rittmeister schon vor ihm gethan. Auch der Kornet schien Willens, dem Beispiel zu folgen, als Bovillard mit einer raschen Schwenkung den vierten und letzten Schemel vor dem Wachthabenden niedersetzte und sich selbst darauf: »Ich komme um einer Ehrensache halb.« Alle sahen unwillkürlich den Sprecher, dann sich unter einander an. »In solchen Angelegenheiten pflegt ein Kavalier nicht selbst zu kommen, sondern durch einen Vermittler, – wenn überhaupt davon die Rede sein kann,« setzte der Wachthabende trocken hinzu. »Diesen Vermittler hoff' ich hier zu finden.« »Donnerwetter!« brummte der Arrestat. »Glaubt der Herr da, oder wer's ist, den ich nicht kenne, daß wir hier solches Gelichters sind? Vermitteln! Pestilenz! Wer mir das anböte –« »Ist wohl ein Mißverständniß,« sagte der Rittmeister. »Gewiß,« fuhr Bovillard ruhig fort, »wenn die Herren an Beilegen denken. Ich will nichts beigelegt wissen, da ich vielmehr einen Gang auf Leben und Tod vorhabe. Wo man a tempo auf zehn Schritt schießt, pflegt der Tod näher zu sein als das Leben. Diese Rücksicht bestimmt auch mich, über andere Rücksichten hinweg zu sehen.« »So weit schon? Was wollen Sie denn noch?« »Nur einen Sekundanten. Auf morgen Abend steht die Promenade an. Die Bekannten, auf die ich fest gerechnet, haben mich nachträglich im Stich gelassen, Freunde habe ich nicht, also muß ich an – Nichtfreunde mich wenden. Unter den Civilisten war meine Bemühung vergebens, ich wende mich daher an das Militär.« »Wie – ich meine, wie kommen Sie zu uns?« »Weil Sie auf der Wache sind. – Meine Herren, ich betrachte Sie nicht als Individuen und Personen, sondern als Vertreter Ihres Standes, und Ihren Stand als den, welcher die Ehre zu vertreten hat. In einer Universitätsstadt würde ich mich an die Senioren der Landsmannschaften gewandt haben, hier wende ich mich an Sie. – Auf der Wache stehen Sie wie im Felde. Käme ein feindlicher Offizier zu Ihnen, um eine Ehrenangelegenheit abzumachen, so würden Sie als Kavaliere und Offiziere doch keinen Augenblick anstehen, die nöthigen Arrangements zu treffen.« Die Offiziere sahen sich wieder halb befremdet, halb zustimmend an. Der Rittmeister strich vergnügt seinen Bart. Der Wachthabende sagte nach einer Pause: »In solchen Dingen kommt doch Alles auf die Verhältnisse und Personen an, mit denen man zu thun hat.« »Gewiß,« entgegnete Bovillard, »und ich habe keinen Grund, vor den Herren den Namen meines Adversaire zu verschweigen, Ihr Wort vorausgesetzt, daß Sie Namen und Sache bis zum Austrag verschwiegen halten wollen.« Der Wachthabende blickte sich nach seinen Kamenden um: »Ich kann in ihrem Namen die Versicherung geben.« »Was kaum noth thäte. Die Herren würden doch nicht eine Ehrensache rückgängig machen wollen?« »Hol' mich der Teufel, nein!« brach es von den Lippen des Rittmeisters, derselbe freudig verächtliche Ausdruck stand auf den Gesichtern der Andern. »Mein Adversaire ist der Ihnen wahrscheinlich nicht unbekannte Legationsrath von Wandel.« » Der !« Alle sahen wieder befriedigt, fast vergnügt ihn an. »Die Sache ist kontrahirt, und er hat's angenommen?« »Kontrahirt, angenommen, Ort, Waffen und Zeit bestimmt.« Der Werth des Fremden war in der Wachtstube sichtlich gestiegen. Der Wachthabende hatte sich wieder vom Schemel erhoben. »Meine Herren,« sagte er, sich umschauend, »das ist ein eigener Kasus.« »Gegen den Kerl, der um den Bonapartegesandten schwänzelt, muß man Jedem beistehn,« meinte der Kornet. »Man muß ihn aber doch auch kennen,« sagte der Arrestat. »Es kommt auf die Verhältnisse und Personen an, mit denen man zu thun hat, äußerten Herr Bruder vorhin.« »Der Grund Ihres Disputes ist?« fragte der Wachthabende. »Gründe unter Kavalieren!« rief Bovillard jetzt auch aufstehend. Die Hand in der Brust verneigte er sich leicht. – »Verzeihung, meine Herren, wenn ich mich getäuscht hatte. Es war nicht meine Absicht Sie zu inkommodiren.« Es war aber jetzt durchaus nicht die Absicht der Andern, sie wollten sich inkommodiren lassen. »Es fragt sich eben nur mit wem wir –« der Redner stockte. Bovillard fiel ein: »Die Ehre haben zu thun zu haben. Sehr begreiflich. Da ich nicht so glücklich bin von Ihnen gekannt zu sein, wünschen Sie meinen Stammbaum einzusehen.« Das Wort Stammbaum schien wieder eine Wirkung hervorzubringen. Dennoch blieb dem Wachthabenden die Frage im Munde stecken. Der Arrestat fragte über den Tisch: »Sie heißen – Bovillard?« »Wie meine Ahnen.« »Da war auch mal hier ein Pastetenbäcker, pâtissier et confiseur Louis Bovillard .« »Ich habe die Ehre sein Urenkel zu sein. Man rühmt ihn als einen der trefflichsten Männer in unserm Hause, ein Charakter und seltener Esprit.« »Es gab aber auch unter den Refugiés,« fiel der Wachthabende ein, »einen Sieur Louis Bertolet Fulcrand de Bovillard, der als Maitre de Cerisé in den Listen eingetragen steht.« »War auch mein lieber Urgroßvater, ein excellenter Mann.« »Wie passt das zusammen?« »Sie waren ein und dieselbe Person.« »Mein Herr, wir sprechen hier in einer serieusen Angelegenheit.« »Die serieuseste von der Welt. Mein Ahnherr konnte die Güter von Cerisé nicht mitnehmen, als er vor Louis' Dragonern bei Nacht und Nebel über die Grenze schlüpfte, aber sein Talent Pasteten zu backen, hat er mitgebracht. Er befand sich auch ganz wohl dabei. Ein jovialer Mann. Ich bin nicht stolz auf Verdienste meiner Vorfahren, die mir abgehen, aber ich darf mit Ruhm sagen, daß seine Konfituren am Hofe des nachmaligen Königs Friedrich im besten Renommee standen. Sonst wäre er auch nicht auf kurfürstlicher Durchlaucht Befehl mit nach Königsberg beordert worden.« »Er ward mit zur Krönung befohlen!« »Und mit zur Tafel gezogen?« fragte der Arrestat. »Allerdings. Die große Pastete an der Krönungstafel war sein Werk. Sie nimmt in der Geschichte keinen unrühmlichen Platz ein. Wir besitzen in der Familie eine Abbildung davon. Wenn es den Herren gefällig wäre, sie zu sehen, stehe ich immer zu Diensten.« »Und in die Pastete hat Ihr Urgroßvater seinen Adel eingebacken?« »Wie Sie's nehmen wollen, Herr Kapitän. Als sie aufgeschnitten ward, kam der bekannte Zwerg heraus. Mein Ahnherr ward gerufen, mit Lob überschüttet. Ihre Majestät, die geistreiche Königin Sophie Charlotte setzte ihm eigenhändig einen kleinen Lorbeerkranz auf. Leibnitz erwähnt seiner und der Pastete in einer Epistel; Gundling schrieb später eine Abhandlung darüber, auch Morgenstern.« »Und für diese Verdienste –« »Ward er persönlich von der Perrückensteuer befreit.« »Man muß gestehen, Ihre Familie hat eine historische Entrée in unserm Staat gemacht. Aber da Ihre Väter in den Staatsdienst getreten sind, erkannten muthmaßlich die Preußischen Könige durch Briefe Ihren französischen Adel an?« »Die Bovillards haben nie etwas auf den Briefadel gegeben. Kann man etwas geben, was nicht ist, und etwas vernichten, was ist? So hat einer meiner Vorfahren gesagt, dem man einige Schwierigkeiten machte, als er aus den Kreuzzügen zurückkehrte. Louis der Heilige sagte lächelnd zu ihm, als er's erfuhr: Das kommt mir vor, als wenn Martell Deinen Ahnherrn in der Mohrenschlacht nach seinem Recht gefragt hätte, den Mohren den Schädel einzuschlagen. Mein Ahnherr, sagte Jener zu König Louis, hätte Karl Martell antworten können: ›Die Römer fragten bei Zülpich nicht danach, als mein Urahn hinter Chlodwig in ihr Speerquarree einhieb.‹« Bis zu den Kreuzzügen konnten ihm weder die Stiere von Dohleneck und die Kniewitze, noch die Horstenbock und Wolfskehlen genannt zu Ritzengnitz folgen. Aus Besorgniß, daß er sie nicht noch bis zur Schöpfung der Welt inkommodire, erklärte man schnell das Verhör für beendet, und der Rittmeister schätzte es sich zum Vergnügen, den Herrn von Bovillard in seiner Ehrensache mit dem fremden Legationsrath zu begleiten. Bovillard bat den Wachthabenden, ihn mit dem Herrn, den er noch nicht zu kennen die Ehre habe, bekannt zu machen. Er bat es mit Ruhe und feinem Anstande. Mit demselben Anstande erfolgte die Präsentation. »Von einem Offiziere Ihres Rufes konnte ich diese ritterliche Gesinnung erwarten.« »Hol' mich Der und Jener,« sagte der Rittmeister, »ich freue mich, daß ich Sie anders kennen lerne, als ich – dachte.« »Sei keusch wie Eis, und rein wie Schnee, Du wirst der Verleumdung nicht entgehen, sagte ein Poet zu Ophelia, und es ist auch so geschehen.« »Die sprang ja wohl ins Wasser,« sprach der Rittmeister, den Pallasch umschnallend. »Herr von Bovillard, wir gehen ins Feuer: da wird es anders.« »Hat sich magnifique benommen, ganz als ein Kavalier,« sagte der Wachthabende, als Beide die Stube verlassen. »Man muß es ihm lassen.« Der Arrestat paffte Gedanken in die Luft, die er nicht nöthig fand, in Worten zu äußern. Sie mochten nicht ganz mit denen des Wachthabenden harmoniren. »Donnerwetter!« rief der Kornet am Fenster. »Sie gehen Arm in Arm!« »Was soll nur daraus werden!« »Die Hetzpeitsche kann er nicht mehr bekommen –« »Das kommt davon, wenn man einen leichtsinnigen Onkel hat.« Der neue Kavalier mochte die Gedanken der Herren in der Wachtstube mit empfinden, denn auf der Straße hatte er den Rittmeister gefragt, ob er sich nicht fürchte, in seiner Gesellschaft gesehen zu werden. Der Rittmeister konnte das Wort fürchten nicht leiden, er hatte sich mit einem um so festeren Druck an Bovillards Arm gehängt. »Wer sich schlagen will und zum Sterben bereit ist –« »Ueber den ist die Fahne geschwenkt,« fiel Bovillard ins Wort, »und er ist ehrlich, wie des Scharfrichters Schwert den armen Sünder ehrlich macht.« In der Kaserne, wo Dohleneck wohnte, hatten Beide eine lange Unterhaltung. Unmöglich konnte das Gespräch allein die Arrangements des morgenden Ganges betreffen. Sie schieden mit einem Händedruck, wie Freunde, die sich herzlich über Vieles ausgesprochen haben. 32. Kapitel. Iphigenia Zweiunddreißigstes Kapitel. Iphigenia. Der Unterricht, den Walter im Lupinus'schen Hause ertheilte, war einige Tage ausgefallen, weil Mamsell Alltag sich unpässlich befand. Doch hatte der Bediente hinzugefügt, es habe nichts zu bedeuten. Walter war zufrieden, obgleich er nie zufriedener war, als wenn an den Gensd'armenthüren die Glocke schlug, die ihn zur Stunde rief; er hatte in diesen Tagen seine Arbeit fertig machen können. Adelheid sah heute wirklich noch etwas blaß aus, aber nie hatte Walter sie reizender gesehen. Ein Häubchen umschloß ihre Locken, ein leichtes, bis unter dem Halse schließendes Morgenkleid ihre elastischen Glieder. Den griechischen Schnitt, in den die Geheimräthin sie nöthigte, hatte er nie geliebt. Der schöne Arm erschien ihm heut schöner unter dem faltigen Ueberrock, als wenn er in leuchtender Fülle aus den kurz geschnittenen Aermeln schoß. Sie war ihm rasch entgegen geeilt, sie hatte seine Hand so herzhaft gedrückt, und doch zitterte sie. Sie hatte ihr Guten Morgen nie mit einem so festen Tone gesprochen, und doch war ihre Stimme etwas belegt. Sie hatte ihn herzlich angesehen, und doch sogleich wieder die Augen gesenkt. »Wir haben viel nachzuholen, lieber van Asten,« hatte sie gesagt »darum müssen wir rasch anfangen.« Sie saß am Tisch, er ihr gegenüber. Es war ein wunderschöner Morgen. Die Linden auf dem Hofe spielten im Sonnenschein. Der Schatten der Blätter spielte durch das geöffnete Fenster auf die Tischplatte. Es funkelte auch golden auf den Blättern des Buches. Daher mochte es kommen, daß er sich verlas; auch sie las oft falsch. Und dazu zwitscherten die Sperlinge, gewohnt am Fenster die Krumen zu stehlen, welche Adelheids Hand ihnen hinstreute, und eine Wespe verirrte sich in die Stube und trieb Unfug, bis man sie mit den Tüchern hinausgescheucht. Es war viel Störung in der heutigen Lektion. Walter schlug vor, das Fenster zu schließen. Adelheid fand die freie Luft so schön, ihr sei noch so beklommen. Aber es würde schon vorübergehen – »ich werde schon Muth bekommen,« setzte sie leiser hinzu. Sie hatten heute die Iphigenia beendet. Adelheid hatte den letzten Akt gelesen. »Sie müssen mir später ein Mal die ganze Iphigenia hinter einander vorlesen, wenn Sie bei voller Stimme sind,« sagte Walter. »Das Gedicht klingt und dringt ganz ins Herz mit Ihrer schönen Stimme. Das Parzenlied –« »Heut könnte ich es nicht lesen,« fiel Adelheid ein, »es ist zu schrecklich.« »Für den schönen Morgen! Sie haben Recht. Wir müssen uns heut allein mit dem Charakter der Iphigenia beschäftigen. Iphigenia ist der leuchtende Gedanke der Versöhnung, der in der alten Welt wie ein Strahl auf dunklem Meere erscheint, aber er fand noch nicht die eigentliche Verkörperung. Was die griechischen Dichter noch als einen Torso hinstellten, hat der Deutsche, der aus anderer Quelle sein Licht schöpfte, zur Erscheinung gebracht. Dieses Atridengeschlecht –« »Um Gottes Willen,« rief Adelheid, »wie konnten die alten Dichter so etwas ersinnen! Sie sagten doch, die Griechen hätten immer der Schönheit gehuldigt und selbst dem Hässlichen wussten sie eine Wendung zu geben, daß es das Gefühl nicht verletzte. Wie ist es nun möglich, daß sie solche Greuel erfanden, die doch unmöglich sind?« »Unmöglich?« fragte der Lehrer. »Die erste Geschichte des Hellenenthums ist nur eine Verkörperung des Kampfes, den die Kultur mit der Barbarei geführt. Der Barbarei ist alles möglich, und wenn der finstre religiöse Wahn hinzutritt, ist sie zu Greueln fähig, für die uns Begriff und Worte fehlen. Ertödten wir aber Kultur, reißen wir die edle Humanität an der Wurzel aus, welche Kunst, Wissenschaft, der Geist des Christenthums jetzt durch Jahrtausende gepflanzt und gepflegt, so sinken wir Alle wieder in den Naturzustand, in die Barbarei zurück, wo die Thaten des Atreus und Thyestes möglich sind.« Sie schauderte, vor sich niederblickend. Hatte er zuviel gesagt? »Vor einer andern Schülerin würde ich das nicht sagen, aber Ihr Geist, Adelheid, ist stark. Sie selbst haben, so jung noch, Prüfungen zu überstehen gehabt, Sie haben Blicke in die wüste Verworfenheit gethan. Ist z.B. eine Mutter, die ihr Kind ermordet, nur um mit Anstand noch in der Gesellschaft weiter zu erscheinen, so viel besser, als jene Barbaren, die ihrem Rachetrieb alles opferten! Und sind es die Vielen hier, welche aus falscher Empfindsamkeit die entsetzliche That beschönigten? Wissen Sie, weiß ich, welche Prüfungen auch meiner Freundin noch aufgespart sind, wie viele von denen, die sie jetzt mit Aufmerksamkeit überhäufen, die so liebenswürdig, edel, sprechen und zu handeln scheinen, Ihnen in einem ganz anderen Lichte erscheinen werden!« Adelheid sah ihn verwundert an. Er war in Gedanken vertieft. – »Es war Unrecht von mir,« rief er plötzlich auf. »Die Vorsehung hat uns die schönen Illusionen als Pathengeschenk mitgegeben, damit wir Muth behalten. Sie selbst lüftet für Jeden nur so viel von dem Schleier, als er ertragen kann. Und Niemand hat das Recht, dem Andern die schirmende Decke fortzureißen. Vergebung! Kehren wir zur Iphigenia zurück.« Er hielt die Hand zur Vergebung über den Tisch, sie schlug, ohne zu zaudern ein, und Beide mussten vergessen haben, daß sie eingeschlagen hatten, denn als er in seiner Rede fortfuhr, blieben die Hände noch immer auf dem Tisch. »Das Schrecklichste hat sich nun erfüllt, das Schicksal der Atriden liegt wie ein wüster Traum im Hintergrunde. Ein sonst edler Jüngling, der den letzten Blutschlag gethan, Orestes, ist der Träger des Fluches. Er wird von den züngelnden Furien gepeitscht, die nur in der Nähe des Heiligthums, wo der reine Gedanke, der Geist des Gottes herrscht, vor dem Zerrissenen weichen. Er ist geflohen von der Blutstätte, von den heimatlichen Gestaden, wo jeder Stein an die Geschichte seiner Ahnen mahnt, über Meere und Berge. Aber wie der Psalmist sagt: und nähme er Flügel der Morgenröthe, und flöge aus äußerste Meer, die Erinnyen folgen ihm. Da tritt Iphigenia auf, die, zum Opfer bestimmt, die Göttin schon früh mit gnädiger Hand aus dem Gräuelhause forttrug und zur Priesterin sich weihte. Sie ist das außerordentliche Weib, das den Fluch ihrer Geburt überwunden hat. Selbst längst entsühnt, ist sie bestimmt als versöhnende Priesterin zu walten. Schon hat die Macht der reinen, edlen Weiblichkeit sogar die Sitte der Barbaren gemildert und Thoas muß von ihr sagen: – es fehlt, seitdem du bei uns wohnst, Und eines frommen Gastes Recht genießest, An Segen nicht, der uns von oben kommt. Aber diesen Segen soll sie auch dem verlornen Bruder mittheilen. Der Athem ihrer reinen Brust soll den Wahnsinn auf seiner glühenden Stirne kühlen, die wüsten Bilder aus seiner zerrissenen Brust vertreiben. Er bekennt ihr den ganzen, vollen, entsetzlichen Fluch, der auf ihm lastet, er stürzt vor ihr nieder, als er sie erkennt –« Walter musste inne halten. Adelheid hatte plötzlich die Hand zurückgezogen und hielt sich die Brust. Dann fuhr sie sich über die Stirn. »Ist Ihnen wieder unwohl?« »Nichts, lieber Walter. – Fahren Sie nur fort, Sie erzählen so schön.« »Es ist doch wohl besser, wir setzen heut noch die Stunde aus.« »Nein, um Gottes Willen nein, heute muß es sein. Nichts bis Morgen wieder verschoben. Ich werde gewiß Muth bekommen. Es war nur die Vorstellung der Furien – ich möchte das Stück nie auf dem Theater sehen, so schön es ist.« »Aber Orest wird ja geheilt.« »Wer seine Mutter todt schlug!« »Lesen Sie liebe Adelheid, irgend eine heitere Rede der Iphigenia. Sie kann wie Balsam wirken.« Adelheid las, was sie zufällig aufschlug: »Das ist's, warum mein blutend Herz nicht heilt. In erster Jugend, da sich kaum die Seele An Vater, Mutter und Geschwister band; Die neuen Schösslinge, gesellt und lieblich, Vom Fuß der alten Stämme himmelwärts Zu dringen strebten; leider fasste da Ein fremder Fluch mich an und trennte mich Von den Geliebten. – Selbst gerettet, war Ich nur ein Schatten mir, und frische Lust Des Lebens blüht in mir nicht wieder auf.« Er nahm das Buch und schlug eine andre Stelle auf. Er suchte nicht viel, die Situation war ihm peinlich, er nahm die erste beste dithyrambische und sie las den Anfang des vierten Aktes: »Denken die Himmlischen, Einem der Erdgebornen Viele Verirrungen zu, Und bereiten sie ihm Von der Freude zu Schmerzen Und den Schmerzen zur Freude Tief erschütternden Uebergang: Dann erziehen sie ihm In der Nähe der Stadt, Oder am fernen Gestade, Daß in Stunden der Noth Auch die Hülfe bereit sei, Einen ruhigen Freund.« Sie hatte das Buch fallen lassen, sie war aufgestanden. An der Tischecke schwankte sie, sie wandte sich ab, dann rasch auf Walter zueilend, ergriff sie seine Hand: »Ich habe den Freund gefunden. Walter, Sie haben mich lieb?« Er umfasste, aufspringend, ihre Hand, er bog den Kopf zurück, er starrte sie wie eine Erscheinung an: »Ist's Traum oder Wahrheit?« »Walter, Walter, sprechen Sie, sonst wird's ein Traum, und mein Muth verlässt mich.« Er presste die Hand heftig an seine Brust: »Ja – um Gottes Willen. Adelheid, Du –« Er erdrückte den tiefen Seufzer, den er zu hören glaubte, indem er sie an die Brust schloß. Ihr Herz schlug an seinem, sie weinte an seinem Halse, aber still, nicht wie die Leidenschaft, nicht wie die Seligkeit der Liebe weint. Er sank auf den Stuhl zurück, er hielt ihre Hände gefasst. So beschaute er sie. »Es ist des Glücks zu viel, zu viel auf einmal. Laß mich Dir ins Gesicht sehen, ob es nicht doch nur ein Traum ist?« »Jetzt nicht, es könnte aussehen wie Lüge,« sagte sie, »nicht bis ich alles gesagt. Das Schwerste ist her aus, – Sie müssten ja roth werden über mich, wenn – wenn nicht alles so gekommen wäre, wie es ist.« »Wie es ist!« wiederholte er. »Du sahst in mein Herz. Du erbarmtest Dich meiner, um mich nicht länger in Hangen und Bangen zu lassen.« Sie schüttelte den Kopf: »Nein, Walter. Sie müssen sich nicht anklagen, um mich zu entschuldigen. Sie waren nicht in Hangen und Bangen, Sie sind ein Mann.« »Nun fort das kalte Sie,« rief er. »Ich nehme Besitz von meier Eroberung.« »Du wusstest recht gut, daß wenn Du mich fragtest, ich nicht nein sagen könne. Und, weiß Gott, nicht um Dir das Herz zu erleichtern, habe ich gesprochen.« Er wollte sie noch einmal an sein Herz drücken. Aber sie entwand sich sanft seinen Armen. »Keinen Kuß auf eine Unwahrheit. Es muß jetzt volle Wahrheit zwischen uns sein.« »Unwahrheit!« Sie nickte mit einem thränenfeuchten Blick. »Laß mich nur einen Augenblick Athem schöpfen.« Sie hatte sich an den Tisch gesetzt, der Kopf gleitete in die Arme. Er hatte sich leise an ihren Stuhl gestellt und legte sanft den Arm auf ihre Schulter. »Ich habe Dich lieb und bin bei Dir und Du hast mich auch lieb. Was hindert Dich noch?« »Ich habe Dich lieb gehabt, seitdem ich Dich gekannt.« sagte sie ruhig sich zurücklehnend, »wie einen Bruder, vor dem ich mein Herz offen legen konnte. Habe ich's nicht gethan? Und wenn ich's nicht that, war es, weil ich dachte, Du läsest ja schon in meiner Seele wie in einem offenen Buche. Aber seit der – der fürchterlichen Geschichte ward es noch anders. Du allein bliebest immer derselbe gegen mich. Die Andern – erst wussten sie nicht wie sie mich ansehen sollten, und wichen mir aus. Nachher überschütteten sie mich mit Liebkosungen und Bewunderung, und machten aus mir wunder was, was ich nicht bin. Ich war doch nicht schlechter, nicht besser, Gott weiß es – aber was ich nun bin, nun ja, was ich besser bin, bin ich durch Dich. Seit ich das fühlte ward mir bange. Du hattest es mir vorausgesagt, durch große Leiden werde der Mensch geläutert, seine Sinne gehen auf für das Edle und Schöne und sein inneres Auge für das Ewige und Wahre. Und da sah ich, wie Du viel sorgsamer und liebevoller wardst, und mit jeder Schülerin würdest Du Dir nicht so viele Mühe geben. Und Dein Unterricht ward auch so besonders. Und da, Walter, da kam dann – ich weiß nicht wie – der Gedanke, daß es so sein müsste –« »Und erschrakst Du vor dem Gedanken?« Sie schwieg einen Augenblick: – »Nein gewiß nicht, Walter. – Wo konnte ich besser aufgehoben sein, dachte ich, wer sollte mich besser zum Rechten führen und schützen! Ich gewöhnte mich so daran, daß –« »Du gewöhntest Dich nur daran!« Jetzt erschrak sie vor dem Ton der Frage. Sie legte sanft die Hand auf seine, und blickte ihn klar an: »Hast Du nicht zuweilen gemerkt, daß ich lächelte? Ich dachte dann an das, was Du oft gesagt, der Mensch erzieht sich selbst, und man kann keine Natur ändern. Und Du wolltest mich doch ändern, so wie Du mich wünschtest. Und dann widersprach ich aus Uebermuth. Nur aus Schelmerei, ich nahm mir im Herzen doch vor, zu werden, wie Du es wünschtest.« »Das hattest Du Dir vorgenommen und ich war der Gegenstand Deiner Gedanken!« »Und da kam ich auf kuriose Dinge. Ob ich Dir auch würde auf die Schulter klopfen, wie Mutter thut, wenn sie der Vater anfährt, ob Du auch zornig werden könntest? Und ob ich dann auch so machen dürfte, wie Mutter thut, um ihn wieder gut zu machen. Ich muß Dir sagen, es kam mir nicht ganz recht vor, wenn auch Mutter sagt: so muß man die Männer behandeln, wenn man Friede im Hause haben will. Du bist doch ein ganz anderer Mann, und ich meinte, wir müssten uns jeder dem andern grad heraus sagen, was er denkt. Ach und tausend Dinge. Aber, Walter, das dachte ich alles weit entfernt.« »Hast Du nicht auch gedacht, daß Du jetzt in einem glänzenden Hause bist, eine gefeierte Schönheit, von Bewerbern umschwirrt, die von ihrer Anbetung sprechen? Hast Du nicht an Dein Herz gefühlt, ob, wenn der Eine oder der Andere ernst spräche –« »Nein,« fiel sie rasch ein. »Sie sind mir alle gleichgültig.« »Aber die Geheimräthin! Du bist ihr Augapfel. Sie wünscht, daß Du eine gute Partie machst, sie sucht vielleicht schon nach einem passenden Gatten, der Dich über Deinen Stand erhebt. Vielleicht auch, sie ist kinderlos, reich, das große Vermögen kommt von ihr –« Sie fasste mit Heftigkeit seine Hand. »Nein, Walter, das denke um Gottes Willen nicht. Ich habe nie daran gedacht.« »Und der Gedanke ist so natürlich. Du schauderst ja fast.« »Ich begreife es oft nicht, warum ich nicht mehr Dank für sie fühle, aber – aber lassen wir das! Walter, verrathe mich nicht, und deute es mir nicht schlimm, es ist mir oft, als möchte ich je eher je lieber aus diesem Hause fort. Es ist mir so heiß, so bang oft –« »Aber weißt Du, in welches ich Dich führen könnte? Ein armer Gelehrter, – würdest Du aus Deinem Reichthum mir in eine Hütte folgen?« Sie sah ihn mit ihrem klaren Lächeln an: »Ja, Walter. Ich bin ja nicht für den Reichthum geboren. Wer weiß, wenn sie meiner überdrüssig wird, setzt sie mich hinaus. Da müsste ich mir vorsorglich ein Obdach suchen. – O pfui! keinen Scherz. – Aber ich habe mir es auch gedacht, daß Du zu stolz sein könntest, weil Du arm bist. O ich liebe Dich so stolz, wenn Du den reichen und vornehmen Herren kein Wort, keinen Blick schuldig bleibst. Wie Viele bücken sich und kriechen, Du gehst grade. – Nein, Walter, auch darum nicht, nicht weil ich Dir zu Hülfe kommen wollte. – Ach, hilf mir doch – das Schwerste ist heraus, das Allerschwerste steckt noch in der Brust.« Sie barg ihr Gesicht an seinem Halse. Er strich über ihre Stirn; er bat sie zu denken, sie sei in der Kirche wie die fromme Katholikin, von der sie neulich gelesen, und er ihr Beichtvater. »Neulich, nach unserem Feste – Du weißt von dem unglücklichen Zufall. Ich verlor meine Besinnung, Jemand trug mich aus dem brennenden Zimmer. Hässliche, gleichgültige Menschen kamen und gingen; aber in der Nacht, als es still ward, halb wachte ich, halb träumte ich – die Andern hatten mich wohl vergessen in dem Wirrwarr, und die Nachtlampe brannte dunkel, da schlich es herein. Er überraschte mich –« »Gerechter Gott!« »Nein, Walter, erschrick nicht.« »Wer?« »Ich kannte ihn, und darf ihn doch nicht nennen. Er umfasste meine Knie, wie der Orest das Bild der Göttin, und seine schönen Augen rollten, wie eines Wahnsinnigen. Ich wollte aufschreien, mich losmachen, aber ich konnte nicht, wenn ich ihm ins Auge sah. Ihn peinigten ja auch, wie den Sohn des Agamemnon – die Furien.« »Was wollte der Freche?« »Er bat mich, daß ich vergessen, vergeben sollte.« »Was solltest Du ihm vergeben?« »Das ist aus der alten schrecklichen Geschichte –« »Von der kein Wort! – Die Geheimräthin erwähnte neulich eines Unverschämten, der Dich auf der Straße verfolgt –« »Ach, Walter, jetzt verstehe ich erst, was wir in den Gedichten lasen. Ist das Liebe so ist ja Liebe eine Krankheit, vor der Gott Dich und mich bewahre. So muß Orest krank gewesen sein.« »Er sprach seine Leidenschaft aus, er quälte, marterte Dich? – Weiß Jemand darum?« »Keiner soll davon wissen, außer Dir. Dich nehm' ich aus.« »Du versprachst ihm Verschwiegenheit?« »Ihm nicht, mir gelobte ich sie aus – einem Mitleid, das ich noch nie empfunden. Walter, o hättest Du ihm in das Gesicht gesehen, das schöne, fürchterliche Gesicht. Bald ein wildes Thier, das mich zerreißen konnte, bald wie ein Kind so sanft. – Ich bedurfte keines Beistandes, keiner Hülfe, glaube es mir, gewiß nicht. Ich wäre ihm wie eine Heilige, eine Göttin, eine Priesterin, deren Wünsche ihm Befehle sind –« »Das ist die Sprache der Wüsten! Du kennst diese Menschen noch nicht. Wo ihre gewöhnlichen Künste nichts fruchten, sie einen Widerstand finden, den sie damit nicht bewältigen, stehlen sie aus der Seele ihres Opfers die edelsten Gefühle, um sie zu überlisten. Mit Thränen, empfindsamen Reden nesteln sie sich wie der Mehlthau an die Fasern und Fäden einer edlen Seele. Sie reißen die Brust auf, um Schmerzen zu zeigen, die sie erheuchelt, und indem sie das Mitleid aufrufen, spritzen sie Gift in die arglose Seele de Theilnehmenden.« Sie sah ihn ruhig an, und schüttelte den Kopf: »Du kennst ihn nicht; den nicht. Nein, Walter, das war keine Täuschung. Er schüttete seine volle Seele, seinen brennenden Schmerz, seine Selbstanklagen aus. Und dahinter blieb nichts zurück, kein Fältchen. – Wie eines Wahnsinnigen Reden klang es ja: aber wie die Wahnsinnigen im Alterthum, sagtest Du, die Wahrheit verkündeten. So spricht Keiner, daß er unwürdig sei, so entsagt Keiner dem, was ihm das Liebste ist – so spricht Keiner von dem Stern, der ihm zu spät geleuchtet. So nicht vom Vaterlande, das unter geht, So klagt sich Keiner an, daß er zu früh verzweifelt und darum selbst in dem Sumpfe versank, wo keine Rettung ist. Ich reichte ihm meine Hand, ich sagte, ich wollte ihn aufziehen, er rief: berühre mich nicht, es ist zu spät! Walter, das vergess' ich nie, das klang wie das Parzenlied. Da ist ein edler Mensch verloren gegangen.« »Verloren!« rief Walter, in sich hinbrütend, »das ist ein schrecklich Wort.« Sie ergriff seine Hand: »Und darum, Walter, darum habe ich gesprochen, wie ein Mädchen nicht sprechen soll. Und nun betrachte mich wie Dein Eigenthum; ich bin ganz ruhig und zufrieden. Schalte und walte damit, wie Du willst, schilt mich, züchtige mich nicht, daß ich den Schleier der Schicklichkeit zerriß, daß ich nicht abwartete, bis Du gesprochen. Bin ich nicht auch, wie die griechische Fürstentochter, fortgerissen aus dem Hause der Eltern, in die Welt gestoßen? Mein Gott hat es so gewollt, daß das Schrecklichste, Unerhörteste an einem armen Mädchen vorüberging. Da ward sie eine andere. Und Du bist der Mann, an den sich das schwache Mädchen lehnt, Du der Einzige, den ich werth fand, mich ihm zu geben, wie ich bin. War's Recht oder Unrecht, nun ist's an Dir, zu entscheiden. Du aber bist nun die Säule, an die der Epheu sich rankt, Du der Freund, den mir die Götter erzogen. Du sprichst nun für mich. So an Dich mich schmiegend, will ich stehen, wenn neue Stürme drohen, und der Unglückliche, der Verlorene, wenn er wieder kommt: Deine Verlobte, Walter, wird, ruhig und heiter, nicht mehr erschrecken.« Die Schwalben und die Bienen, und die Sonne in der Linde schauten auf einen Glücklichen und eine still Zufriedene. Ein Moment, von dem Dichter jener Zeit gesagt hätten, daß Götter Sterblichen darum beneiden könnten. Der Neid der Götter war immer gefährlich, aber auch jene Götter täuschten sich und wurden getäuscht. Sie schaukelten über dem Spiegel auf der See und sahen nicht den Sturm, der ihre Tiefe aufwühlte. – Ueber die Dächer tönte es vom Gensd'armenthurm. Die Lehrstunde war wohl zu Ende. Sie hörten mit Schrecken die Schläge. Es waren aus der einen Stunde drei geworden. Das süße Geheimniß, was es für Andere noch bleiben sollte, durfte es nicht vor der Pflegemutter. Walter hatte es so gewollt. Adelheid erkannte seine Gründe an, aber sie seufzte, als sie aufstanden. Es war ein schwerer Gang. An der Thür der Geheimräthin hörten sie ein Gespräch. Es war Wandels Stimme. Lisette, die hinzukam, sagte: Frau Geheimräthin wolle nicht gestört sein. – Adelheid athmete auf. Walter drückte ihre Hand: »Also ein andermal, theures Fräulein.« – »Die sind auch einig,« sagte Lisette, nachdem sie die Flurthür hinter ihm zuschloß. 33. Kapitel. Auch eine Lehrstunde Dreiunddreißigstes Kapitel. Auch eine Lehrstunde. In dem Gespräch zwischen der Geheimräthin und dem Legationsrath mochte auch schon weit über eine Stunde verstrichen sein. Es war gewissermaßen auch eine Lehrstunde, aber vom ursprünglichen Gegenstande mochten sie ebenfalls weit abgeschweift sein. Wir fanden neulich die Geheimräthin in aigrirter Stimmung auf den bewunderten Mann. Jetzt saßen sie Beide im intimsten Seelenverkehr auf dem Kanapé. Die Aussöhnung war längst erfolgt. Am Morgen nach der Gesellschaft war er schon vor Mucius und vor Selle dagewesen, er hatte ihr von dem präparirten Aether gebracht, der sie wunderbar schnell gestärkt und hergestellt. Er hatte Mucius durch seine Kenntnisse, die er in bescheidene Fragen einkleidete, überrascht, daß der Doktor beim Weggehen geäußert: Das ist ein Tausendkünstler, Madame! Den müssten wir setzen lassen, daß er nicht ins Handwerk pfuscht. Hatte er nicht Selle, der durch das Versehen des Dieners auch bestellt worden, so geschickt in die Konsultation zu ziehen gewusst, daß er die Verlegenheit der Geheimräthin nicht merkte. Wie gesagt, es war alles ausgeglichen, – zwischen ihnen, aber nicht die tiefe Falte auf ihrer Stirn. Noch heut verrieth sie den Riß in der Brust. »Ich werde gar keine Gesellschaften mehr geben,« hatte sie gesagt. »Gott sei Dank!« sagte er. »Warum?« »Weil Sie endlich zur Ueberzeugung kamen, daß man das für die Menschen sich opfern den Narren überlassen muß.« »Sie meinen doch nur für die reale Menschheit, die in ihren Flitterkleidern ihre Armseligkeit zu verbergen sucht.« »Und was ist die reale Menschheit? Sollen wir uns für den Begriff begeistern, der zwischen Adam und dem jüngsten Wiegenkinde liegt?« »Aber was ist der Mensch, der sich für nichts interessirt! Für irgend etwas muß er doch der Opfer fähig sein, er muß leben, oder er kehrt zum Thier zurück.« »Physiologen behaupten, daß jedes Menschengesicht eine Aehnlichkeit mit einer Espeçe derselben hat.« »So wäre es an uns, zu entdecken, mit welchem wir Verwandtschaft haben. Und wenn wir's wissen, sind wir am Rande unserer Erkenntniß.« »Moralisten behaupten, daß es alsdann unsere Aufgabe sei, dieses Thier zu bekämpfen.« »Mit welchen haben Sie zu kämpfen?« fragte die Lupinus. »Sie sind in aigrirter Laune, theuerste Frau. Das ist eigentlich die beste. Mit diesem moralischen Scheidewasser spülen wir am schnellsten die sensualen Auswüchse ab, die uns an unserm Glück hindern.« »Was verstehen Sie unter diesen Auswüchsen?« »Die sogenannten wohlwollenden Gefühle, die die ärgste Lüge sind, der Selbstbetrug, der uns am klaren Denken, am folgerechten Handeln hindert.« »Sie lenken von meiner Frage ab. Für was lebt der Mensch?« »Nur für sich selbst.« »Aber in dies Selbst schließen Sie die Ideen, Bestrebungen, Illusionen, wie Sie es nennen wollen, ein, die unser Dasein über das Vegetiren der Pflanze, über den Instinkt der Thiere erheben?« »Vielleicht.« »Warum nur bedingt? Sie wollen ihn noch nicht bewundern, aber Sie anerkennen Napoleon.« Er hatte mit unterschlagenen Armen, im Sopha zurückgelehnt, gesessen. Er sah sie scharf an: »Wollen Sie ein Napoleon werden?« »Thorheit!« »Fühlen Sie Beruf, eine Semiramis, Zenobia zu sein, oder eine Maria Theresia, Katharina« »Das liegt ganz außer meiner Sphäre.« »Das ist das Lösewort. Wer die Grenzen seiner Sphäre erkennt, weiß wofür er lebt. Er weiß auch, wie er leben soll, das heißt, er kennt die Mittel, mit denen er wirkt, bis wohin er wirken kann. Wenn er aber das weiß, weiß er auch, daß nichts ihn hindern darf, so zu wirken, wie er kann , sagen wir muß . Was man will und kann , muß man; es giebt keine höhere Aufgabe. Das aber ist die Krankheit unserer Zeit, das Siechthum unserer Halbwollenden, daß sie den großen Männern ihre großen Endziele abstehlen wollen. Haben sie Adlerflügel, Titanenkräfte? So flattern sie, wie die Motten, ins Licht und zerstoßen ihre blutwarmweichen Hirnschädel, mit denen sie Mauern einbrechen wollten, am ersten besten Zaunpfahl. Daher diese Idealisten, Staatskünstler, Menschheitsverbesserer! Was war es, das sie den Größen abstehlen sollten? – Die richtige Erkenntniß ihrer Sphäre, die sie füllen, der Kräfte über die sie gebieten können. Der achtzehnte Brümaire, wäre ein Verbrechen, nein eine Dummheit gewesen, wenn der Lieutenant von Toulon ihn gewagt, für den Sieger an den Pyramiden ward es eine Tugend, die Europa und die Welt bewunderte; er wusste was er konnte.« »Und was können wir, die wir nicht wissen, was wir wollen, können?« »Kein Mensch ist so gering, daß er nicht etwas will, was scheinbar über die Verhältnisse, über seine unentwickelten Kräfte hinausgeht. Aber wenn er den Muth hat, es sich zu gestehen, so wachsen schon dadurch unvermerkt diese Kräfte. Liegt das Ziel im Kreise des Möglichen, wohlverstanden für ihn, so ist es auch für ihn erreichbar. – Ich bin entfernt davon, in Ihre geheimen Wünsche dringen zu wollen: aber denken Sie sich, meine Freundin, einen solchen Wunsch, den Sie bisher für unerreichbar hielten, verkörpern Sie ihn sich, und überrechnen Sie dann die Mittel, die Ihr Geist, Ihr Vermögen, Ihre physische Kraft, Ihre Freunde Ihnen bieten. Reichen diese Mittel aus, so sind Sie am Ziel; denn es ist allein Ihre Schuld, wenn Sie es nicht erreichen.« »Das ist ein gefährlicher Gedanke.« »Warum? – Gesetzt, Sie fühlten sich unglücklich mit Ihrem Gatten –« »Ich bitte Sie, Herr Legationsrath –« »Nun, Sie wünschten ihn zu einem lebenslustigen Mann zu machen. Ist das etwas Unrechtes? – Doch es ist ein indiskretes Beispiel, Verzeihung! Also umgekehrt – Sie wollten sich ganz der Armenpflege widmen, Ihr Haus zum Hospital umschaffen, selbst Krankenwärterin werden. Ihre Mittel wären endlich erschöpft, ja, meine Freundin, die Möglichkeit wäre da, daß Sie ihm auch seine Stube nähmen, seine Bibliothek verkauften –« »Ach der arme Mann!« »Nur nicht Mitleid! Wer etwas will, muß diese Rücksichten verbannen. Sehn Sie, die Fürstin Gargazin möchte uns Alle zu Konvertiten machen, sie scheut keine Mittel – gar keins, wenn sie nur Einen bekehren kann.« »Mein Mann stürbe, wenn er von seinen Büchern lassen müsste.« »Und wird von ihnen lassen müssen, wenn er von Allem lässt; Doch, um wieder auf Bonaparte zu kommen, wie viel Peripherien hat er, eine nach der andern, um seinen jeweiligen Standpunkt gezogen, weit, weiter, und das ist das Bewunderungswürdige, nicht seine gewonnenen Schlachten, sondern daß er, im Mittelpunkt des Kreises, nie über den Kreis hinausgriff! So ward er Konsul, Kaiser –« »O ich bin ungemein begierig, Ihre Ansichten darüber zu erfahren.« »Wozu das, Freundin? Wozu die eigne Kraft anstrengen und uns vergessen?« »Aber es ist so interessant –« »Sie haben Recht – seine Familienverhältnisse! Da liegt der Hemmschuh für den Giganten.« »Die Familie erhebt er mit sich.« »Aber Josephine hat keine Kinder. – Sie muß fort.« »Wie! Sie hob ihn. Er kann sie doch nicht verstoßen.« »Ei, seine Bewunderin hält ihn für so klein. Gefühle der Dankbarkeit sollen ihn an seinem Weltberuf hindern.« »Aber das Urtheil der Welt würde –« »Den Titanen regieren! Da habe ich keine Skrupel. Aber die Kreolin ist eigensinnig, reizbar. Wenn sie sich nun nicht scheiden lassen will?« »Sie meinten neulich, daß Josephine gegen ihren Mann contre operiren könnte?« »Darüber bin ich hinaus. Sie ist nur eine Frau mit den gewöhnlichen Affekten eines Weibes. Groß im Kleinen, zu klein zu einer That, zu weich, gutherzig. Nein, nein, von der Seite ist nichts zu besorgen, aber er – Napoleon muß sich von ihr scheiden, er muß Söhne haben, er ist in voller Manneskraft, er ist durch die Verhältnisse wie von selbst zu einer Ehe gedrängt, die seine Nachkommenschaft vor der Meinung legitim macht, welche aus dem Schutt und Staub der Revolutionen aufsteigt und die Throne wieder mit einem Nimbus umzieht. Das ist ganz unabänderlich, daß muß er. Und wenn sie sich nun nicht scheiden lassen will, was muß er thun? Was wird er thun? Da, Freundin, wird sich's bewähren, ob er – er ist.« »Mein Gott, Sie meinen –« »Bisher war er sich immer klar. Aber diese Differenz –« »Er liebt Josephinen!« »Was ist Liebe? Verstehn wir uns! Wir Beide meinen nicht jene Veilchenduft-, jene Vergißmeinnichtschwärmerei zartgeschaffener Seelen, noch jene dämonische Leidenschaft, die Mauern einreißt, um im Genuß sich zu tödten. Das sind Kinderspiele. Ich meine die Liebe, vor der Jahre und Verhältnisse wie Plunder versinken, das in den Mysterien der Natur geborne Bündniß Derer, die sich verstehen, sich das Zeugniß der Ebenbürtigkeit Einer dem Andern ausstellen. Diese Liebe bedarf keiner Besiegelung durch Lieder, Betheuerung und Schwüre. Sie ist da von sebst. Die Geister wie die Blicke brauchen sich nur zu finden, und im Moment ist der Bund geschlossen, ohne Worte.« Die Geheimräthin seufzte: »Das ist eine Vorstellung, erhaben wie die Ewigkeit!« »Und nun, frage ich, herrscht zwischen ihm und ihr ein solcher Bund? Begreift sie ihn nur? Freilich möchte sie sich sonnen in seinem Diademen-Glanze, die immer liebenswürdige Kaiserin und Französin sein, entzückend in Toilettenkünsten, Intriguen, brillirend von Esprit in der Konversation, bezaubernd die Herzen durch ihr weiches Herz, wenn er zuschlagen muß, ihm in den Arm fallend: Ach thu's doch lieber nicht! Was ist sie ihm? – Eine Last, die er abstreifen muß. Er muß, sage ich, wenn er vorwärts will, und er kann es, es kommt nur darauf an, ob er den Muth hat, es zu wollen.« »Mein Kopf schwindelt!« »Traf dies Loos nicht auch Solche, die er wahrhaft liebte? Und er vernichtete sie, weil er sie liebte.« »Ich verstehe sie nicht.« »Jene graubärtigen Krieger, seine Veteranen, die Säulen seines Ruhmes, die ihm nach Afrika gefolgt. Im Sonnenbrande der syrischen Wüsten war seine Mission erfüllt, er huldigte nicht der Thorheit, ein romantischer Alexander sein zu wollen, er dürstete nicht nach Eroberungen, die sich nicht halten lassen. Er musste zurück. Konnte er die Kranken, die Verwundeten durch die glühende Sandwüste mit schleppen? kaum seine Gesunden hielten die Strapazen aus! Sollte er die Unglücklichen dem Grimm barbarischer Feinde zurücklassen? Er war rasch entschlossen –« »Sie nehmen das Gerücht für wahr an?« »So wahr ich ihn ehre. Gewiß nach einem schweren Kampf. Wer trennt sich leichten Herzens von Denen, die uns die Theuersten sind. Aber als es ihm klar war, daß er sein musste, zauderte er keinen Moment Hand aus Werk zu legen. Durfte er sie erschießen, erschlagen lassen? Das durfte er nicht vor dem Urtheil der unmündigen Welt, nicht vor ihnen selbst. In süße Illusionen ließ er sie einwiegen, durch Opium bis – bis sie in süßen Träumen von dieser Welt schieden. Wie Mancher der Soldaten mag auf dem sauern Rückweg, unter Durst und Sonnenstichen erliegend, hülflos vielleicht zurückgelassen, weil er sich von der Kolonne verirrt, im Angesicht des Tigers, der Hyäne, deren Geheul seiner Witterung nachging, wie Mancher mag an die schnell und glücklich Gestorbenen in Accum zurückgedacht, ihr Loos beneidet haben! Napoleon ging an ihren Lagerstätten umher, seine Augen blitzten sie an; dem nickte er, dem drückte er die Hand, dem rief er ein baldiges Wiedersehn auf dem Felde der Ehre zu. Sie Alle richteten sich begeistert auf und riefen ihrem großem General ein Vivat!« »Und im Leibe des –« hielt sie zusammenschaudernd inne. Er spielte ein bedeutungsloses Fingerspiel. Er hatte sehr wohlgeformte aristokratisch weiße Hände. Ein sanftes Lächeln spielte um die Augen, die auf die Hände niedersahen: »Wenn wir uns nur gewöhnen könnten die Dinge anzusehen nicht wie die Leute, sondern wie sie sind! Wir würden viel glücklicher sein, und weit mehr Glück um uns verbreiten. – Hätte der große Mann sich um den Katechismus und die Morallehrer und Gott weiß welche Gevattern und Muhmen gekümmert, was hätte er dann thun sollen? Etwa um die hunderte oder tausende Kranke nicht zu verlassen, selbst zurück bleiben, mit seinem schon geschmolzenen Heere, ohne Vorräthe, der wachsenden Zahl seiner Feinde, der Hitze, den neuen Krankheiten gegenüber? Er wäre, so wahr zwei mal zwei gleich vier ist, als Opfer gefallen. Dann hätten freilich alle alten Weiber und alle romantischen Seelen sein Lob gesungen, als Märtyrer, der sich selbst geopfert für Nothleidende, und wie viel Tausende mit, das ist ihnen gleichgültig; es ist doch eine edle That. Aber daß er alsdann eine andere Mission vergessen hätte, daß es galt sein großes Frankreich aus der Anarchie zu retten, die aufs Neue ihre Polypenarme ausstreckte, daran denken diese sentimentalen Gemüther nicht. Lieber die arme Fliege retten, die im Netz der Spinne sich gefangen hat, als zugreifen, wo die Gardine Feuer fängt, und das Haus kann verbrennen. Das ist die Moral, welche die sanften Seelen uns predigen.« Er war aufgesprungen: »O wie glücklich könnte die Welt sein, wenn die Menschen es verständen, frei zu sein!« Er war sichtlich in einer Gemüthsbewegung. Man hörte Adelheids Stimme am Klavier. »Was würden Sie thun?« wandte er sich plötzlich zur Lupinus. »Hier wäre Ihr Johann erkrankt, zu Ihren Füßen hingestürzt, und dort hörten Sie einen Schrei Ihrer Tochter – der tolle Mensch, durch's Fenster gestiegen, überfiele sie am Klavier. Oder, – er ist zwar zu allem fähig, – aber setzen wir nur den Fall, Sie wüssten, daß er wieder zu ihr eingedrungen, daß er sie mit seinen Verführungskünsten zu umgarnen sucht, was würden Sie, frage ich, zuerst thun? Dort nach Ihrem Schrank mit den Essenzen springen, um den Diener zu soulagiren, oder da nach dem Zimmer zu Ihrer Tochter? Ginge Ihnen der Diener oder die Tochter vor, der kranke Mensch, der doch über kurz sterben muß, oder das blühende junge Wesen?« »Meine Tochter natürlich,« sagte die Lupinus. »Aber wenn der Mensch, der Johann, inzwischen stürbe? Was würde die Welt dazu sagen?« »Was würden Sie dazu sagen? Das ist allein die Frage. Doch nichts anderes, als: dort droht ein unersetzlicher Verlust, hier kann ein Mensch sterben, für den der Tod eine Wohlthat ist. – Leben Sie wohl!« »Habe ich Sie beleidigt?« »Mich?« »Sie raunen mir da eine entsetzliche Möglichkeit ins Ohr.« »Possen! Phantasiestücke. – A propos, haben Sie Ihre kleine Apotheke arrangirt? – Den Aether gebrauchen Sie, ich bitte nochmals, nur im äußersten Nothfall.« Er war an das Glasschränkchen getreten, und übersah die Etiketten der Gläser. »Ich werde noch Ihres Unterrichts in manchen Mixturen bedürfen.« »Nur mit keiner Sylbe gegen Jemand davon erwähnt. Doktor Mucius und die Andern wären im Stande einen Ausweisungsbefehl gegen mich zu erwirken. Die Herren Aerzte vertragen es nicht, wenn man in ihr Amt pfuscht.« Mit einem zweiten Händedruck hatte er die Thür erfasst, als Adelheids volltönende Stimme im Zimmer hinter dem Entree die Reichardtsche Komposition des Freudvoll und leidvoll, Gedankenvoll sein am Fortepiano sang. »Die Kleine singt recht hübsch.« »Reichardt ist zufrieden. Dusseck war neulich entzückt.« »Weil Sie gut zu essen geben – Und Ihr Wein vortrefflich ist.« »Lachen Sie nicht so abscheulich.« »Eine gute Figur. Sie könnte auch auf dem Theater ihr Glück machen.« »Pfui! Darum hätte ich sie –« »Wie sie wollen. Aber sie genirt Sie doch wohl zuweilen. Nicht wahr? Bekennen Sie es nur.« »Sie kann recht impertinent sein.« »Offenherzig! Ich verdenke es ihr nicht.« »Hat sie ein Recht dazu?« »Wird ihr nicht hundertfach gesagt, daß sie hier der Glanzpunkt ist? Sie allein der Magnet, der die Leute in dies Haus zieht? Sagen Sie es nicht selbst, Freundin? Ich könnte mir ein Gewissen draus machen, sie zu Ihnen gebracht zu haben, wenn ich nicht wüsste, daß auch eine Philosophin zuweilen eine Narrenschule um sich braucht.« »Einige finden sie geistreich.« Jetzt hätte die Geheimräthin mehr Recht gehabt, sein Lächeln abscheulich zu nennen. »Es wird sich ja wohl bald für das geistreiche Mädchen eine gute Partie finden.« »Wer weiß! Die jungen Leute sehen nach Geld.« »Der Herr Bovillard würde vielleicht auch nicht so toll verliebt sein, wenn er nicht an eine Mariage dächte, um seine Schulden zu bezahlen.« »Wie! Sie denken, es ist sein Ernst –« »Wenn es Ihr Ernst ist, sie zur Erbin einzusetzen.« »Wer denkt daran!« »Außer sehr vielen Adelheids Eltern, und sehr ernstlich.« »Impertinent! Am Ende wünschen sie, daß ich noch bei meinen Lebzeiten meines Vermögens mich entäußere, um das aufgenommene Mädchen auszustatten.« »Solche Wünsche spricht man wenigstens nicht laut aus.« »O sie sollen sich getäuscht sehen. Ich will –« »Keinen Eklat, meine Freundin. Keine Affekte in solcher gleichgültigen Sache. Ihr Wille ist ja genug. Sie hatten also nie im Sinne, sie wirklich an Kindesstatt anzunehmen?« »Und wenn ich einmal daran dachte –« »So sind Sie bei reiferer Ueberlegung von der Thörigkeit dieses Entschlusses überzeugt, und Sie sind die Frau, die in einer Aufwallung nichts ändert. Was braucht es denn mehr, die Sache ist zwischen uns – ich meine in Ihrem Geiste klar. Aber wozu das aussprechen. Ich würde es auch nicht merken lassen. Laß die Gimpel sich doch täuschen. Wozu gab Gott Jedem sein Maß Klugheit? Warum sollen wir mit dem, was wir übrig haben, den Thoren beispringen. Und vielleicht verschafft der Glaube dem Mädchen doch eine gute Partie. Und ist es einmal soweit, dann springt auch nicht gleich Jeder darum ab. Das Point d'Honneur ist eine Erfindung, um die Mittelmäßigen zu reguliren. Und giebt es nicht mariages d'inclination? Und – wer weiß, wie Sie das Mädchen auf andre Art wieder los werden? Es fügt sich so manches. – Ich lache ordentlich, daß ich Ihnen darüber Instruktionen geben will. Lassen Sie sie freudvoll und leidvoll, unter Hangen und Bangen, ihrem Schicksal entgegen hüpfen. Wir haben doch wahrhaftig für anderes als dafür zu sorgen.« »Der abscheuliche junge Mensch will mir nicht aus dem Sinn,« sagte die Geheimräthin. »Er wird Sie bald nicht mehr beunruhigen,« entgegnete der Legationsrath, indem er ein versiegeltes Päckchen in den Schrank gelegt, den Schlüssel abgezogen, und ihn in die Hand der Geheimräthin gedrückt hatte: »Bewahren Sie ihn wohl.« »Was haben Sie hinein gethan?« »Etwas, was Sie nur eröffnen dürfen nach meinem Tode.« Sie starrte ihn an. Er drückte ihre Finger an die Lippen: »Auch davon still, still! Es ist nur mein Testament.« Sie presste krampfhaft ihre Hand auf seinen Arm: »Was haben Sie mir gesagt?« »Daß ich einen festen Arm habe, einen sichern Blick, daß meine Kugel nie geirrt; daß – das wilde Blut des Leidenschaftlichen nicht zielen kann, und – so gewiß Sie vor mir stehen, ich werde nicht fallen . Ich habe Ihnen noch mehr gesagt, mit kaltem ruhigem Blute werde ich ihn zu Boden stürzen sehen. Das Bewusstsein, die Gesellschaft von einem Ruhestörer zu befreien, wird mir Befriedigung sein – wenn es dazu kommt!« »Aber –« »Weil der Zufall dämonisch ist, schrieb ich das auf.« »Mein Freund, was soll ich mit Ihrem Testament?« »Es lesen – annehmen, oder verwerfen.« Er wollte mit abgewandtem Gesichte hinaus. »Nicht so! Ich muß wissen, ob ich nichts Gefährliches im Schrank verschließe.« »Gefährliches! – Ich hatte eine Freundin, eine theure Freundin, sie war mein Alles, ich war es ihr. Sie verstand mich, sie ging nicht in meine Ideen ein, sie ging ihnen voraus –« »Angelica, Ihre Gattin –« »Auch dies äußere Band sollte das unlösbare unserer Geister befestigen, – wenn das nöthig, sagen Sie möglich gewesen wäre! – als eine andere rauhe Hand es zerriß. In ihrem Testamente hatte sie mir ihr Vermögen hinterlassen, mit den Worten: ›es ist ja nicht meines, es ist Deines, denn was mein war, war Dein, ich war Du, Du ich. Wirke es in Deiner Hand für mich. –‹ Sollte ich es etwa nun nicht annehmen, weil die Verwandten lamentirten und Gott weiß was für Klagen wegen Uebervortheilung, Erbschleicherei, vorbrachten? – In ihrer Hand war es vergeudet, in meiner lebte es zu den großen Zwecken der Seligen. – So wird auch meine Freundin keinen Anstand nehmen, wenn ich das mir Anvertraute ihr wieder vertraue. Sie kannten mich, Sie wissen, was damit zu wirken, und wenn die Spanne Zeit zu kurz war, um unsre Geister ganz in einander aufgehen zu lassen – in dem Papiere – wozu Schrift, wo der Geist lebendig bleibt! Ihrer wird klären, wo es dunkel scheint; wo es dunkel ist, werden Sie Licht bringen. Die Verwaltung meiner Güter braucht Sie nicht erschrecken, es ist dafür gesorgt. Verwandte werden Sie nicht stören, die Welt der Blutsbande ist hinter mir in aschgraue Nebel versunken, – ich stand allein in dieser – die Zukunft war mein Reich – ich hoffte vielleicht neue – doch wozu das! Pfui über diese angeborne Natur, die uns immer wieder in die Sackgasse der Sentimentalität treibt.« »Wie komme ich dazu?« »Wie! –« Er lächelte. »Nein, Sie sind im Recht, Sie mussten sich darüber täuschen; es musste Sie frappiren, daß ich in erster Zeit mich in scheuer Ferne hielt. – Ach die Entschlafene schwebte ja noch immer an meiner Bettwand – und wer ist stark genug, wenn er eine Doppelgängerin sieht. – Aber seit auch der Geist der Seligen nicht todt ist, seit – genug. Wir werden uns ganz verstehen lernen, und wenn nicht, wenn unter einem schrillen Accord Sie plötzlich die Saiten springen hörten, dann – würden sich unsre Geister erst recht gefunden haben.« Mit einem langen, brennenden Kuß auf ihre Hand war er rasch verschwunden. Sie betrachtete eine Weile die Hand. Entweder weil sie brannte, oder weil sie zitterte, oder fragte sie sich, warum denn die Schwägerin auf ihrem Sterbebette gesagt, daß sie spitze Finger hätte? 34. Kapitel. Im Grunewald Vierunddreißigstes Kapitel. Im Grunewald. »Sie waren zu eilig.« »Ich lasse nie auf mich warten,« entgegnete der Legationsrath dem noch sehr jungen Manne, welcher diese Frage that, und dessen Aeußeres unverkennbar den Franzosen verrieth; wir setzen hinzu: den Diplomaten, wenn gleich die Diplomatie jener Zeit noch nicht ganz wieder die Parure der untergegangenen angenommen hatte, und die moderne noch nicht erfunden war. Der junge Franzos stand unter einem Baum. Zwei Paar Pistolen lagen auf einem über dem Erdreich ausgebreiteten Mantel, daneben eine Pulverbüchse, ein Kugelbeutel und was sonst zu den Vorbereitungen eines Geschäfts gehört, welches unzweifelhaft am Ausgange des Kieferwaldes im Werke war. Die Pistolen waren noch nicht geladen; der junge Mann, prüfte, den Hahn abdrückend, die Schärfe der Feuersteine. Sie schlugen helle Funken, Alles war im guten Stande. Der Legationsrath ging mit gemessenen Schritten unter den Bänmen auf und ab. In der Ferne hinter dem Kieferngebüsch, in welches der hochstämmige Nadelwald auslief, bemerkte man eine leichte Kalesche, vor der zwei muthige Hengste ungeduldig den Sand stampften. Der Legationsrath sprach ab und zu, wenn er vorüber kam, seinen Sekundanten an. Zuweilen schien er, in Gedanken versunken, ihn zu übersehen. »Wie weit rechneten Sie die Grenze?« »Wenn Ihre Pferde in gestrecktem Galopp auf den Seitenwegen die zweite Station erreichen, sind Sie mit dem Postrelais morgen früh auf sächsischem Grund und Boden. Es ist nur der fatale Sand.« Der Fragende schien, während er die Antwort hörte, den Gegenstand schon vergessen zu haben: »Wenn die Sonne hinter dem Hochwald sinkt, werden Sie die Positionen ändern müssen, Vicomte.« »Seien Sie unbesorgt. Die Sonne wird getheilt.« Der Spaziergänger war nach einer weitern Promenade wieder zurückgekehrt. Die Falten aus seinem Gesicht waren verschwunden, er schien sogar zu lächeln, als er an der schweren goldenen Kette die Uhr aus der Hosentasche zog: »Die Uhren können differiren. Ich vergaß meine nach der Akademie zu stellen.« »Auch ist der Rittmeister ein pünktlicher Mann,« sagte der Vicomte. »Nur empfahl er Vorsicht. ›Lieber Verspätung, als was Verdacht erregen kann‹.« »Ich hoffe doch nicht,« sagte Wandel, und sein Auge blitzte, »daß unsrer Seits etwas versehen ist! Die Polizei hat Luchsaugen.« »Verlassen Sie sich auf mich und den Rittmeister. Ihm ist's ein Vergnügen und mir auch.« »Sie sollten sich in Ihrer Vergnügungslust etwas moderiren, Vicomte,« sprach leiser der Legationsrath mit einem halb vertraulichen, halb strafenden Tone. »Man hat hier andre Ansichten als in Paris.« »Pah!« »Und Sie würden nicht immer Jemand finden, der Sie aus solchen delicaten Verwicklungen herausreißt.« »Thut es Ihnen etwa leid?« »Mir thut nie etwas leid, was ich gethan.« »Dann soll es mir auch nicht leid thun, daß ich Ihnen aus Dankbarkeit sekundire.« »Bereuten Sie es schon?« »Halb und halb. – Nur aus Zärtlichkeit für meinen Chef.« »Laforest hat viel Aufmerksamkeit für mich.« »Weil er Sie fürchtet.« »Fürchtet er mich wirklich?« »Er fürchtet, was er nicht kennt.« »Aber den Vicomte Marvilliers de la Motte Calvy fürchtet er doch nicht?« »Was er nicht hat, macht ihn verdrießlich, was er nie erwerben kann, bissig.« Herr von Wandel zog wieder die Uhr: »Ich kann mir das Unbehagen eines so ausgezeichneten Diplomaten, wie Herr von Laforest denken, wenn man ihm junge Männer attachirt, die er für Kundschafter seiner Rivalen hält, vielleicht selbst schon für künftige Rivalen, denn in der Diplomatie tritt der alte Adel unbedingt wieder in seine vorigen Rechte. Da würde es mir doppelt leid thun, Vicomte, wenn Ihre Gefälligkeit gegen mich sein Mißtrauen aufs Neue anregte. Doch lässt er sie wohl ohnedies seine wichtigern Depeschen nicht chiffriren.« Der junge Mann sah auf: »Meine Finger sind noch stumpf von dem Figurenmachen.« »Die Antwort, die Hardenberg an Duroc ertheilte, kann ihm unmöglich schon bekannt sein.« »Ich will sie Ihnen auswendig sagen: Preußen werde unwandelbar bei seinen bisherigen Grundsätzen verharren und treu seinem Programm, die Ruhe des nördlichen Deutschlands wahrzunehmen und zu schützen wissen. Duroc zieht mit einer langen Nase ab, wenn er Ihren König zu überreden meinte, daß er mit seinen Truppen wieder in Hannover einrücke, um es für uns gegen die Alliirten in Schutz zu nehmen.« »Es ist nicht mein König,« sagte Wandel kurz. »Und daß Preußen,« fuhr der Attaché fort, »rüstet.« Wenn auf Wandels Gesicht einige Verwunderung sich ausgesprochen, ging sie in einen sarkastischen Zug über: »Preußen rüstet gegen Frankreich! Ei, ei, Herr Vicomte, Sie geben uns überraschende Aufschlüsse!« »Nur für sich. Achtzig Tausend Mann zur bewaffneten Neutralität.« »Man weiß doch,« entgegnete Wandel, »daß General Buxhövden hier ist, um für die russische Armee einen Durchzug durch Schlesien zu fordern.« »Ja, in diesem Augenblick kann er wohl noch hier sein,« sagte schlau der Attaché. »Und –« »Und er hat gewiß, wie wir Alle, geglaubt, die Regierung wäre so schwach, oder franzosenfeindlich, oder dämlich, daß es nur eines Anstoßes bedürfe, um sie zu zwingen, sich öffentlich gegen Napoleon zu erklären. Er hat auch angestoßen –« »Und es hat eine Dröhnung gegeben.« »Man will nicht dämlich sein, nicht absolut franzosenfeindlich, und eingestandenermaßen schwach und keine offizielle Gliederpuppe, man empfindet die Kränkung, und übermorgen bricht die Armee nach der Weichsel auf, um den Russen die Zähne zu weisen.« Der Legationsrath hatte hier offenbar Dinge erfahren, die ihn überraschten, die neuesten Neuigkeiten des heutigen Mittags. Wenn er die Ueberraschung auf seinem Gesichte verrieth, so merkte wenigstens der Attaché nichts davon, und es stellte sich auf dem eisernen Gesichte das feine Lächeln der Ueberlegenheit wieder ein, wie des Meisters, der einen Schüler auf die Probe gestellt hat, als er im gleichgültigem Tone sagte: »Die Feldkessel wurden beim Gouverneur schon eingepackt, als ich vorhin ansprach. Das wird keine ernste Campagne werden. Die Ansichten, welche in der gestrigen Ministerkonferenz siegten –« »Kennen wir!« unterbrach der Attach. »Ich zweifle nicht an der Divinationsgabe des Herrn von Laforest. Indessen sind hier Viele so glücklich, diese Ansichten im Allgemeinen zu kennen.« »Und wir im Besonderen . – Was sehen Sie mich so verwundert an, Herr von Wandel? – Ich meine das Circularschreiben an die Gesandtschaften nach Wien und Petersburg.« Es war in der That ein so skeptischer Blick, de haut en bas, wie ein Duellant seinen Sekundanten nicht anzusehen pflegt, als der Legationsrath, die Hand auf die Schulter des Vicomte legend, sprach: »Ja, Herr von Marvilliers, die diplomatische ist eine angenehme Karriere für einen Anfänger, wenn man uns nur nicht immer die Brosamen vom Tisch als Geheimnisse aufpackte. Wenn Ihr Gesandter eine Kopie dieser Rundschrift sich zu verschaffen gewusst hat, so versichere ich Sie, er chiffrirt sie selbst um Mitternacht bei verschlossenen Thüren und in Charakteren, wozu – kaum Talleyrand den Schlüssel hat.« Der Attaché fühlte sich gar nicht angenehm durch die Armauflegung des Legationsrathes berührt. Mit einer raschen Bewegung hatte er die Brieftasche aus der Brust gerissen und sich zugleich des Armes entledigt, zu dessen Stütze er keinen Beruf fühlte. »Hier hören Sie!« Er las von einem Papier: »Sie werden bemerklich zu machen haben, Preußen sei von Frankreich noch nicht beleidigt, im Gegentheil bei der Theilung Deutschlands gut bedacht worden. Warum solle man einen Krieg beginnen, nicht für sich, sondern für Andere? Die Verbindung, werden Sie einfließen lassen, mit Oesterreich und Rußland habe Preußen nie Segen gebracht. Sollte es vom Rhein her angegriffen werden, finde es in seinem eigenen, unüberwundenen Heere hinlängliche Vertheidigungsmittel. Schön sei es allerdings für Freunde zu kämpfen, und wenn man für Freunde, so kämpfe man für sich selbst; nur sei es Schade, daß Niemand in Deutschland so recht wisse, wer Freund und Feind sei. Und wer danke uns denn unsre Erhebung? Vielmehr fordere Klugheit und Gerechtkeit: Zurückziehen in sich und Beobachtung strenger Unparteilichkeit. – Die Demonstrationen, die wir machen werden, seien nur bestimmt, um die Stimmung im Volk zu beschwichtigen. Hannover würden wir nicht besetzen, aber keinen Durchmarsch der vom König von Schweden in Stralsund gesammelten Truppen gestatten, auch nicht den Durchmarsch der Völker Seiner Majestät des Kaisers von Rußland durch Schlesien, um Oesterreich Hülfe zu bringen, und ebensowenig den von Truppen des französischen Kaisers, durch welche Provinzen unsres Staates es sei, um einen Angriff gegen die Staaten Seiner Majestät des Kaisers von Oesterreich zu effektuiren, wir würden vielmehr jedes Unternehmen der Art als casus belli betrachten, getreu dem so lange bewährten Grundsatz unseres Staates, unsre Unterthanen vor jeder Unruhe, von innen wie von außen zu bewahren.« »Ich habe es selbst chiffrirt,« setzte der Vicomte hinzu, das Papier wieder einsteckend. Die triumphirende Miene des jungen Mannes verzog sich, als er das lauernde Gesicht des Legationsrathes sah, der mit angestrengter Aufmerksamkeit, das Auge halb zu, das Ohr vorgebeugt, hingehorcht, hatte sich induciren lassen. Wandel hatte indeß ebenso schnell sein Gesicht in die gewohnten Formen zurückgezwängt, und auch er zog die Brieftasche heraus, hielt sie vor's Auge und las – fast wörtlich dasselbe, was der Vicomte gelesen. Gleichgültig schloß er nach dem letzten Worte den Stahldrücker und steckte das Etui in die Brusttasche: »Ich wollte Ihnen nur zeigen, daß es auch andere Quellen giebt, um aus den preussischen Staatsgeheimnissen zu schöpfen. – Nun aber wünschte ich wahr haftig, daß die Herren sich beeilten. Ich hatte mir mit dem Englischen Gesandten ein Rendezvous in der Oper gegeben.« Er wandte dem Sekundanten den Rücken, um mit raschen Schritten wieder einen Streifzug durch die Bäume zu machen. Er hatte Grund gehabt, rasch die Brieftasche zu schließen, denn wenn der Attaché einen Blick hinein gethan, würde er nur ein leeres Blatt gesehen haben. Wandel las aus der Luft; vermöge seines außerordentlichen Gedächtnisses konnte er den kaum aus dem Munde des Attaché vernommenen Brief fast Wort für Wort recitiren. Der Vicomte blies die Melodie eines neuesten Chansons in die Luft, nicht ganz mit sich zufrieden, als der Legationsrath auch unzufrieden zurückkehrte, und versicherte, daß er auch von der Höhe, wo man die Straße übersieht, keinen Staub entdeckt habe. »Ich denke so ungern Uebles von meinen Gegnern,« sprach er nach einer Weile vor sich hin. Der Attaché summte sein Lied fort und lud dabei eine Pistole. »Was wollen Sie thun, Marvilliers?« »Die Krähe da vom Ast putzen.« »Warum?« »Mich zu amüsiren.« »Verzeihung, wenn meine Meditationen Sie langweilten. Indessen wer mit einem Schritt am Rande der Ewigkeit steht –« Der Franzose lachte auf: »Würde nicht zuschnappen wie ein Hayfisch nach einer politischen Neuigkeit, die er auf der Stelle gern an den Mann brächte, oder richtiger gesagt an eine Dame. Denn zu madame la conseillère in der Jägerstraße reiten Sie doch gewiß, wenn die Affaire hier beendet, auf Flügeln der Liebe.« »Herr Vicomte!« »Ich soll mich doch nicht durch die Hengste da täuschen lassen! Sie denken nicht nach Sachsen, Sie denken nicht zu sterben. Sie wollen leben bleiben, hier bleiben und sich amüsiren.« »Ich habe allerdings, wie ich Ihnen sagte, das Präsentiment, daß ich von seiner Kugel nicht fallen werde.« »Solche Präsentiments in Ehren, aber was Ihren Geschmack anbetrifft –« »Mein Herr!« »Sie wollen doch nicht mit mir eine Kugel wechseln! Da Sie das Präsentiment haben, leben zu bleiben, müsste ich fallen, und wenn ich fiele, was würde aus den Liebesbriefen, die ich zu bestellen habe, aus den Seufzern, die ich affektiren, aus den Vermummungen und Händedrücken, die ich am stillen Abend effektuiren soll? Parbleu, Herr von Wandel, wissen Sie, daß Sie mir einen Kriminalprozeß auf die Schultern laden? Das wird ja eine Halsbandgeschichte. Wie die La Mothe können Sie mich an den Pranger stellen. Solche Komödienfarcen en vue und ich soll glauben, daß Sie an den Rand der Ewigkeit denken!« » Ce ne sont que des services d'amitié. Nichts von Eigennutz.« »Eigennutz, ein abscheuliches Wort, wo wir nur des intérêts kennen. Von Interessen und Nutznießung ist die Rede, est-ce qu'on parle d'un mariage –! Und warum einem Fremden, dem Rittmeister, ein Glück aufdringen, und mit dreifacher Anstrengung, was Sie mit halber Anstrengung selbst genießen könnten! Und eine beauté sans pareille pour s'amuser, und ein Leierkasten, den man nur zu stimmen braucht, und er flötet Liebeslieder, wie Sie wollen von Dur bis Moll. Warum denn nun für einen Dritten ihn stimmen. Ein Götterspaß, ein solches Weib für sich schmachten lassen, nachlaufen, unsre Schulden bezahlen; um einen freundlichen Blick abzustehlen, in Schleier und Enveloppe auf unsre Stube schleichen, um sich zu erkundigen, warum wir uns so lange nicht sehen ließen, ob wir unpässlich sind, grollen? Denken Sie sich, sie zündet Ihnen die Pfeife an. Ist das nicht auch für die Phantasie eines Deutschen ein entzückender Gedanke!« »Ist das schon die Libertinage Ihres neuen Hofes!« »Alt wie die Welt ist das Vergnügen. Etwas jünger vielleicht die Kunst, es sich so pikant zu machen, als möglich.« Der Legationsrath nahm ihm mit einer entschiedenen Bewegung die Pistole aus der Hand: »Schießen Sie nicht nach Krähen, wo es eines Menschen Leben gilt. Vicomte, ein guter Jäger schießt nur auf ein bestimmtes Ziel, Dilettanten feuern auch nach Sperlingen. – Halt! sie kommen.« Um die Waldecke flogen Staubwirbel auf. Ein Reiter sprengte in gestrecktem Galopp heran. Er winkte ihnen schon von fern. »Das ist nicht der Rittmeister; er ist in Civil.« – »Wenn ich recht sehe,« sprach Wandel, »sein Neffe, der Kornet.« – »Machen Sie sich aus dem Staube, meine Herren!« rief der Reiter. »Wir sind abgefasst. Schon vorm Jagdschloß. Alles verrathen.« »Ich fliehe nicht.« »Wie es Ihnen beliebt. Bovillard wird nach der Stadt gebracht. Ich fürchte mein Oheim auch. Ich schwenkte, ehe sie mich erkannt, um Sie zu avertiren.« Der Vicomte sah den Legationsrath fragend an, als der Reiter bereits in der Schonung verschwand. »Packen Sie die Pistolen ein, wenn's Ihnen beliebt, wir fahren –« »Nach Sachsen?« »Nach der Stadt. Dem Schicksal, das meinen Gegner trifft, werde ich mich nicht entziehen.« »Das kann eine lange Verhaftung nach sich ziehen; je nachdem –« »Sie sind frei, Herr Vicomte. Ich überliefere mich der Behörde.« Der Wagen war noch nicht vorgefahren, als eine andere leichte Jagdchaise heran rollte. Der Rittmeister sprang heraus, ein Zeuge und ein Wundarzt folgten. Man erfuhr, was eigentlich keiner Verständigung mehr bedurfte. »Aufgeschoben ist nicht aufgehoben,« tröstete der Rittmeister. »Und wozu hilft eine Untersuchung, mein Herr, auf die Sie dringen, wer eine Unbesonnenheit und gar einen Verrath beging. Die Polizei giebt ihre Quellen nicht an.« »Aber wie begnügte man sich damit, den einen Duellanten zu verhaften, warum suchte man nicht den andern? Verdanke ich das etwa Ihrer Güte, mein Herr Rittmeister?« »Nur Ihrer eigenen Position,« sagte der Rittmeister, sich offiziös verbeugend. »Wir wussten ja nicht, mit wem wir die Ehre hatten. – Ausdrücklich ist Herr von Bovillard verhaftet worden, weil er sich eine Thätlichkeit und Herausforderung gegen eine diplomatische Person zu Schulden kommen lassen, welche in expressen Angelegenheiten ihres Souverains in Berlin war. Wegen Verletzung des Völkerrechts.« Der Attaché sah verwundert auf seinen Begleiter, während der Rittmeister ein höhnisches Lächeln kaum unterdrücken konnte. »Wäre es möglich,« rief Herr von Wandel, leicht an die Stirn schlagend. »Ich bin allerdings auch hier so zu sagen im Charakter eines Envoyé, um die Beschleunigung einer Prozeßangelegenheit zu versuchen. Indeß wer konnte das wissen, und die ganze Sache ist ja eine Bagatelle. Der Fürst –« »Von Bentheim-Schlotz-Baben-Oberstein,« sagte der Rittmeister. »Der zu mediatisiren vergessen ward!« lachte Herr von Marvilliers auf. »Was hat denn der hier für Geschäfte, wenn er nicht inzwischen mediatisirt ist!« »Das sind die diplomatischen Geheimnisse Ihres Freundes, in die wir kein Recht haben, einzudringen,« sagte der Rittmeister. »Die indeß unserem Freunde einige Wochen Haft kosten werden. Was man nicht alles der Diplomatie verdankt!« setzte er hinzu, auf den Wagen springend. Beim Heimwege war der Legationsrath verstimmt. Der Attaché konnte es nicht unterlassen, ihn als Kollegen zu railliren. Er hatte herausgebracht, daß die Angelegenheit des Fürsten von Bentheim-Schlotz-Baben-Oberstein keine andere sein könne, als den Erlaß der Transitosteuer wegen tausend Kruken Schloß-Baben-Obersteiner Mineralwasser, welche bei der Accise mit Beschlag belegt worden, zu erwirken. Wer aber konnte sich für das Mineralwasser und die unangetastete Ehre seines Negocianten so lebhaft interessiren, daß er, um ihn zu retten, das Duell der Polizei denunzirte – wer anders als die Geheimräthin Lupinus. »Sie haben ganz Recht,« sagte der Legationsrath, als er auf dem Gensd'armenmarkt halten ließ und ausstieg, »ich gehe auch eben, um ihr zu danken, oder zu zürnen.« Aber der Legationsrath bog nur scheinbar in die Jägerstraße ein, als der Wagen weiter rollte. Er eilte rasch um die Ecke und durch die Markgrafenstraße nach den Linden, wo er im Hotel der Fürstin Gargazin verschwand. Die Fürstin schrieb an ihrem Sekretär an mehreren Briefen, für welche die Boten warteten. Niemand sollte gemeldet werden, der Legationsrath ward aber dennoch durch einen vertrauten Kammerdiener die Hintertreppe heraufgelassen und sogleich empfangen. Sie hatten ein langes Zwiegespräch. Die Fürstin schrieb, was Wandel diktirte: »Das Uebrige war mir schon heut Nachmittag bekannt,« sagte sie. »Buxhövden ist fort, aber die Depesche wird ihn überholen. Wir sind also für heute quitt.« Beim Abschied drückte er ihre Hand an die Lippen und verschwand auf dem Wege, den er gekommen. 35. Kapitel. Gehen Sie nach Karlsbad Fünfunddreißigstes Kapitel. Gehen Sie nach Karlsbad. »Ruhe!« sagte der Minister. Ein andrer als der, welchen wir in seinem Tuskulum gesehen. – Trug der hohe stattliche Mann auch nicht Stern und Ordensband, so gehörten sie doch zu dieser Miene, dieser Frisur, dieser Gestalt, wie dazu geboren. Das Wort Ruhe, das er zum Geheimrath Bovillard gesprochen, passte ebenso zu der ganzen Erscheinung des im Vollgefühl seiner Würde aufrecht dastehenden Nannes, ein König in seinem Zimmer. Bovillard lehnte sich, den Hut in der Hand, in die Fensterbrüstung. Er war, im Gehen begriffen, nur noch durch eine Wendung des Gespräches zurückgehalten. Am Tische blätterte der Rath von Fuchsius in einer der aufliegenden Druckschriften, die er später in die Tasche steckte. »Die Oesterreicher konzentrirten sich zwischen Ulm und Memmingen,« sagte er, durch eine Bemerkung im Gespräch der Beiden dazu aufgefordert. »Nach den letzten Nachrichten aber nicht in einer Stärke, um einen Angriff wagen zu können. Sie warten offenbar auf Kutusow und die Russen, die von der Donau her kommen sollen –« »Wenn Napoleon ihnen Zeit lässt,« fiel Bovillard ein. »Wenn wir Kutusow durch Schlesien lassen,« sagte der Minister. »Das soll nun freilich jetzt nicht geschehen,« warf der Geheimrath hin. »Buxhövden ist eben so unverrichteter Dinge abgereist wie vor ihm Duroc.« »Wir nehmen wirklich die Miene einer respektablen Selbstständigkeit an,« bemerkte der Rath. »Sie meinen, weil wir Alle vor den Kopf stoßen, und Keinen zum Freunde behalten.« »Ei, Herr von Bovillard, von Ihnen das!« sagte der Minister. »Ist das jetzt auch Lombards Meinung? – Haugwitz war freilich beim L'hombre neulich ganz konsternirt. Aber er leidet am Magen.« »Excellenz, ich muß gestehen, die Sachen wachsen mir über den Kopf. Eine Bewegung wie eine Völkerwanderung. Und wir so ganz allein in der Mitte!« »Sollen wir darum auch wandern!« »Napoleon lässt seine Truppen von Bologne und vom Rhein heranrücken. Marmont führt sein Korps von Mainz her, Wrede eins von der obern Donau, Davoust aus Schwaben. Das ist genug um die Oesterreicher zu erdrücken. Und nach Allem, was man aus Paris schreibt, genügt es ihm diesmal nicht, seinen Feind zu schlagen, er will ihn vernichten. Sie studirten vorhin die Karte, sind Sie nicht der Ansicht, Herr von Fuchsius?« »Wenn die Russen nicht zu ihm stoßen, sei Mack geliefert, war Herrn von Eisenhauchs Meinung. Napoleon développirt Kräfte wie nirgend zuvor.« »Kann er nicht,« warf der Minister ein. »Wer hindert ihn?« »Wir. Bernadotte steht mit Hunderttausend in Hannover. Lassen wir ihn nicht durch, so ist Bonaparte ohne ihn nicht stärker, als die Oestreicher.« »Und wenn er nun doch stärker wäre!« rief Bovillard. »So lasst sie sich die Köpfe zerschlagen. Wir haben Profit tout clair. « »Wenn aber Napoleon unsere Neutralität nicht respektirt!« »Lassen wir die Russen durch. Sie sind doch sonst ein so ruhiger Mann. Alteriren Sie die Vorwürfe, die man Herrn Lombard macht? Oder kümmert Sie Ihr Sohn? Das ist ja nun auch abgemacht.« »Ich weiß nicht, Excellenz, es ist mir zuweilen wie in einer Gewitterluft.« »Gehen Sie nach Karlsbad. Zwei Becher Sprudel täglich, nachher drei. Drei Wochen lang. Ist Alles vorbei, ist Alles nur Imagination.« »Excellenz mögen recht haben,« sagte Bovillard, sich zum Gehen anschickend. »Nochmals meinen Dank, daß Sie sich meines fils perdu angenommen.« »Nicht der Rede werth. Aber, wie gesagt, fort muß er, wenn er abgesessen hat. Leidet auch an Imaginationen. Die Reden, die er führt, sollen ja exekrabel sein.« »Er hat sie nicht von mir.« » Assurément! Aber eben darum. Ist für Sie selbst am besten.« »Gewiß! aber wie?« »Ihr Herr Sohn,« sagte Fuchsius benimmt sich diesmal weit gefasster im Gefängniß, »ja er hat selbst erklärt, es wäre ihm lieb, Berlin und Preußen auf immer zu verlassen.« »Charmant!« sagte der Geheimrath. »Aber wohin? Wenn wir Kolonien hätten!« »Wenn wir die hätten!« sagte der Minister und legte seufzend seine Hand auf Bovillards Schulter. »Dann wäre Vieles besser. Das waren die Herren von der Theorie unter den vorigen Königen! Gestehen Sie mir, Geheimrath, ist das ein kluger Staatsmann, der eine Domaine, weil sie nur tausend einbringt und er hoffte eine Million, der sie darum für 'nen Spottpreis fortgiebt! Brauchten wir unser Korn, Holz den Engländern zu verkaufen, uns von ihnen Preise machen lassen? Müssten wir noch von ihren Kolonialwaaren nehmen? Hätten wir Noth, wo unsre schlesische Leinwand lassen? Brauchten wir Rußland zu bitten, wie neulich, unsere inkorrigiblen Verbrecher nach Sibirien zu schaffen! Kolonien, Herr Geheimrath, und wir schafften unsre Verbrecher hin, unsre Rohprodukte, unsre Fabrikwaare, Ihren Herrn Sohn auch, wir machten allein die Preise, und die Kolonisten müssten kaufen und bezahlen. Wenn das wäre, könnten wir doppelt lachen über die Kalamitäten um uns her; wir können es aber auch so. Sie schlagen sich, plündern, brennen, verwüsten, und wir kultiviren unser Land, protegiren unsere Fabriken. Dann halten wir Markt und machen auch die Preise. Wie steigen jetzt schon unsre Güter mit den Friedensaussichten! Wissen Sie, was man mir für Schöneichen geboten hat? – Der Herr van Asten in der Spandauerstraße möchte es gern. Will das Holz schlagen lassen, Brettermühlen anlegen; aber ich lasse es ihm nicht. A propos « – der Minister zog den Geheimrath bei Seite und sprach leiser – »kennen Sie den van Asten?« »Er gilt für einen sehr respektablen Mann.« »Ja, ja, aber das intus! Er hat viel in französischen Weinen gemacht. Seit dem Lager von Boulogne ist das Holz in Frankreich theuer. Will nun in Brettern hinmachen und in Wein retour. Entre nous soit dit, warum soll man den Vortheil nicht mitnehmen! Warum soll ich nicht selbst mein Holz zu Brettern und die Bretter zu Geld machen, oder auch zu Wein. Wein im Keller ist baares Geld.« »Und der Wein aus Excellenz Kellern unter Freunden doppeltes Geld werth.« »Also Sie meinen, man kann ihm trauen? Aber Schöneichen laß ich ihm jetzt nicht. Wissen Sie, wie hoch es der Legationsrath taxirt?« »Herr von Wandel ist ein Kenner.« »Hat mir Mergellagerungen nachgewiesen, an die kein Mensch gedacht. Hat sich auch sehr nobel bewiesen gegen Ihren Sohn, seine sogenannte diplomatische Qualité ganz desavouirt.« »Von einem so edel gesinnten Manne konnte ich es erwarten.« »Er meinte, ob man Ihren Sohn nicht auf eine schonende Weise, etwa durch einen Courierritt nach Petersburg oder Madrid entfernen könnte? Was meinen Sie dazu? Können's ja mit Lombard abmachen.« »Ich will darüber nachdenken.« »Reiten ist sehr gut. Treibt auch das finstre Blut aus. Sollten auch reiten, Geheimrath, Ihr Embonpoint – aber besser, wie gesagt, ist Karlsbad. – Haben Sie solche Eile?« »Zu Herrn von Wandel, dem ich noch meinen Dank schulde. Man trifft ihn so selten zu Hause.« »Verschließt sich auch viel in seinem Laboratoire.« »Oder bei der Lupinus,« lächelte Bovillard. »Inklination!« »Wer hätte das denken sollen!« » De gustibus – wissen Sie. Ueberhaupt was der Mann prästiren kann! Sagt mir der Präsident vom Pupillenkollegium, tagelang sitzt er in der Registratur ohne Refraichement.« »Was macht er denn da?« »Liest die Akten durch. Ich habe ihn empfohlen.« »Wozu die Pupillenakten?« »Was der Mann sich für Agrikultur interessirt!« »Der Grund und Boden der märkischen Güter ist doch nicht in den Pupillenakten verzeichnet.« »Er findet Ihnen im kleinsten Umstand Renseignements. Sie glauben nicht, wie merveillös er im Diviniren ist. Aus einer Gutsrechnung, was an Gerste, Korn, Weizen gewonnen ist, zu welchen Preisen das Holz fortging, wie viel Torf gestochen ist, daraus macht er Schlüsse, zum Etonnement. Sein Kopf ist voll Verbesserungspläne für unsere Landwirthschaft.« »Um so mehr zu bedauern, daß Haugwitz einen Degout gegen ihn hat. Was könnte er im Staatsdienst nützen!« »Hat er den Gout dafür?« »Der kommt von selbst, wenn man unter Ministern wie Excellenz arbeitet.« »Ich ästimire ihn sehr. Hat geniale Gedanken, zum Beispiel über Schafzüchterei. Wie ich mich mit meinen Bauern separirt habe, das möchte er allen Gutsbesitzern zum Exempel hinstellen. Hat mir eine Rech nung aufgemacht, wie viel der Gutsherr eigentlich Schaden hat bei den Frohndiensten. Ich versichere Sie, die Augen gingen mir über –« »Vor Freude, daß Ihr Genie ein so glückliches Arrangement getroffen. Die Bauern sind gewiß auch zufrieden. –« »Sie wissen, wie Bauern sind.« »Aber das Publikum verehrt Excellenz als einen Wohlthäter der unterdrückten Menschenklasse, und als der Staat für Ihre Verdienste Ihnen Schöneichen schenkte, hat er nicht daran gedacht, daß es so viel mehr werth war, als Excellenz daraus gemacht. In der Taxe, die Seiner Majestät damals vorgelegt wurde, war es ja wohl nur geschätzt auf –« Der Minister unterbrach ihn: »Ich ästimire, wie gesagt, Herrn von Wandel sehr, indessen –« »Seine Relationen mit der französischen Ambassade?« »Was kümmert mich das! Möchte er den Türken dienen oder wem draußen. Aber –« »Haugwitzs Abneigung –« »Kümmere ich mich um Haugwitzs äußere Affairen! Was braucht er von meinen inneren zu wissen! Auch solche modernen Ideen! Jeder Minister trägt Seiner Majestät vor, oder lässt vortragen, was er für nöthig hält, im übrigen Herr in seinem Departement, und kümmert sich nicht, was ein anderer Minister will und denkt, oder nicht will und nicht denkt, und wenn ich Jemand anstelle, der Haugwitzs Pläne kontrekarriren oder Lucchesini vergiften wollte, das ginge doch nur mich an, ob ich einen solchen Menschen behalten will oder nicht. Also 's nicht um Haugwitz noch um irgend Jemand.« »Dann wüsste ich in der That nichts, was man Herrn von Wandel vorwerfen kann, als daß er keine Diners giebt. Gewisse Personen choquirt das allerdings.« »Er hat nicht von unten auf avancirt. Verstehen Sie mich wohl, was ich damit meine. Kann das Hereingeblasene nicht leiden. Der Pli muß durch die Schule kommen. Es ist mir nicht sowohl um die Examina, denn wäre er von guter, ich meine von sicherer Extraktion, so – aber – die Familie Wandel, sie mag sehr respektabel sein, je n'en doute pas, indessen im Rüxner und in Kaiser Caroli Landbuch finden wir keinen Wandel. Comprenez-vous? Wie gesagt, ein genialischer Mann, sehr unterrichtet, generös – ich werde ihn morgen zu Tisch einladen.« Die Einladung war die Entlassung, oder der Wink zum Gehen für Bovillard. An der Thüre winkte ihn noch ein A propos zurück. Der Minister ging dem Rückkehrenden noch um einige Schritte entgegen, und mit einem faunischen Augenblinzeln flüsterte er in einem Tone, zwischen Herablassung und Kordialität: »A propos, Herr Geheimrath haben ja wohl interessante Staatskonferenzen jetzt bei St. Real?« »Verstandesspiele, Rekreations in der Gewitterschwüle,« entgegnete Bovillard und war hinaus. »Wer war denn das im Vorzimmer?« fragte er, als Fuchsius ihn noch im Flur des Hotels einholte. »Die Physiognomie muß ich schon gesehen haben.« »Der Sohn des reichen Kaufmanns van Asten.« »Der! – Ist ja ein Genie. Was will der beim Minister?« Fuchsius zuckte die Achseln: »Was eigentlich, weiß ich nicht. Vielleicht eine Anstellung.« Im Weitergehen begegnete er dem Rittmeister, der in Gedanken versunken ihn nicht sah. Der Rath blickte ihm nach: »Ob es nicht Pflicht wäre, dieser Puppe den Staar zu stechen, daß er sähe, an welchem Draht er gezogen wird. Es ist doch eine Natur in ihm!« Er hatte es unwillkürlich halb laut gesprochen. Der Major Eisenhauch, der hinter ihm gekommen, klopfte ihm auf die Schulter: »Lasst die Puppen noch eine Weile nach der Drehorgel tanzen. Der Blitz züngelt schon, der die Drähte schmelzen wird, alle mit einem Schlage. Dann lasst uns sehen, was auf dem Resonnanzboden fällt, was steht!« »Ihre Augen glühen.« »Die Wolken rollen; das Gewitter muß sich entladen. Abermaliger Aufschub ist unmöglich. Die zuverlässigsten Nachrichten,« sagte er leiser und sich vorsichtig umblickend, »kamen eben an. Napoleon darf, kann, wird die Oesterreicher an der Donau nicht eher angreifen, als bis Bernadotte aus Hannover zu ihm stößt. Er darf keinen Umweg nehmen, die Stunde brennt, Napoleon muß schnell zuschlagen, bevor die Oesterreicher sich verstärken; Bernadotte muß also durch die fränkischen Lande, um zur Stunde zu kommen. Wissen Sie, was es heißt, wenn Napoleon sagt, es muß sein?« »Wenn doch ein Mensch bei uns dies Muß ausspräche!« stöhnte der Rath. »Wo die Menschen zu schwach sind, donnern die Umstände. Er wird die Traktaten verletzen, er wird durch preußisches Gebiet brechen und wir –« »Was werden wir thun?« »Wenn noch ein Funke preußischen Muthes ist, zündet er und die Mine springt. Sie zweifeln noch! – Sie glauben, auch diesen Hohn könne unsre Langmuth dulden! Herr, ich schelte Sie einen Hochverräther an sich selbst. Ich hoffe, auch Haugwitz lässt seine L'hombrekarten fallen; auch Lombard blitzt es in einem lichten Momente, daß er eine dupe war. Wer nicht! Oder wäre der Nerv schon ausgezogen diesem eisernen Volke, Glanz und Elasticität diesem Herrschergeschlechte, jene Wunderkraft, die dies Reich aus einem Nichts geschaffen, wäre lungenkrank im letzten Stadium!« »Sei unser Genius wach!« »Und wir auf sein Kommando! Darauf kommt es an.« »Stein ist fest. Er wird auf Hardenbergs eben so feste Unterstützung rechnen dürfen.« »Keiner darf ruhen, wir müssen einheizen, schüren, Jeder an seiner Stelle. Brandstifter sein wird jetzt zur Tugend und Pflicht. Keine Parteimeinungen mehr, Civil und Militär, die traurige Spaltung muß verschwinden. Die Prinzen unterstützt! Die Königin! Vor allem Prinz Louis! Die Regimenter angejubelt auf der Parade beim Marsch. Haben wir denn keine Kriegslieder, keine Dichter! Auf dem Theater Stücke, die das Blut entzünden! Wozu haben wir Federn, Papier, Druckerschwärze, Zeitungen, wenn sie nur da sind um Räthsel und Anekdoten zu drucken. Das wäre das Mittel um Blitze –« »Sie vergessen –« »Die für die Gebildeten schreiben! Ins Volk die Blitze geschleudert! Das gilt es. Haß, Grimm muß die Massen durchwühlen, Rachewuth zum Opfermuth werden. Erfinde man Greuelgeschichten, wenn die wirklichen noch nicht zünden, vom Franzosen-Uebermuth, von Schande und Schändungen, Erpressungen, Hohn und Höllenlust; diese Dichtung ist heilig, es gilt ja das Volk, nicht uns. Ihm sein Alles zu retten, seine Sitte, Sprache, Geschichte, selbst sein eigenes Leben, seine Zukunft. Denn alles das steht auf dem Spiel, nicht wenn wir geschlagen werden, wenn wir nicht schlagen. Wir gehn unter in uns, und vor uns selbst. Wem dies Schrecklichste der Schrecken klar ist, der kennt keine Rücksichten mehr.« Während Fuchsius auf der Straße seinen Freund bitten musste, sich zu mäßigen, um keine Aufmerksamkeit zu erregen, stand Walter van Asten vor dem Minister. Wenn er mit Feuer gekommen war, verloderte es vor dem aufrechten Mann, der ohne eine Miene zu verziehen seine Anrede angehört hatte. Er war ins Stocken gerathen, er hatte wenigstens nicht das gesagt, nicht alles, was noch auf der Schwelle zum Hotel, noch im Vorzimmer in seiner Brust, ein wohlgeordneter Strom der Ueberzeugung, fertig lag. »Was wollen Sie eigentlich?« sagte der Minister. »Ich habe es in der Druckschrift, welche ich meiner ehrfurchtsvollen Bitte um diese Audienz beilegte, dargelegt.« »Ich lese nichts Gedrucktes,« sagte der Minister. Es war ein kalter Blitzschlag. Aber er zündete in Walters Brust. Eine Pause, dann verbeugte er sich: »So bitte ich um Verzeihung, daß ich an die unrechte Stelle mich wandte.« Walter hatte übersehen, daß der Olymp, aus dessen Wolken der Blitz kam, seine Stirn nicht kräuselte. Auch nach dieser Antwort blieb er unbeweglich. Er gab nicht das Zeichen zur Entfernung. Nach einer neuen Pause kam aus denselben Lippen dieselbe Frage: »Was wollen Sie eigentlich?« »Jetzt nur meine Dreistigkeit bereuen.« »Sie sind der Sohn von van Asten und Compagnie?« »Zur Compagnie gehöre ich nicht.« »Ein respektables Haus. Macht nur in Geschäften, die es versteht.« Abermals eine Pause, und noch kein Zeichen der Entlassung. Aber der Olymp bewegte sich. Die Hände auf dem Rücken, ging der Minister einige Mal auf und ab: »Der Tausend noch mal, wie kommen Sie denn zu dem Zeug!« Also hatte er sich doch vortragen lassen, von Jemand, der Gedrucktes las. Der Schluß war richtig, und Waltern, ich sage nicht der Muth, aber die Lust zurückgekehrt: »Weil ich in Euer Excellenz den Mann erkannte, welcher durch die That dem, was nothwendig wird, vorausgekommen ist. Sie sind es, der mit seinen Bauern sich gesetzt hat, der ihnen Freiheit, Eigenthum zurückgab, Sie der erste, der dies glänzende Beispiel –« »Ach also darum!« unterbrach der Minister. »Ich glaubte von wegen Ihres Vaters –« »Nein, weil Excellenz erkannt, wo uns der Schuh drückt, weil Excellenz erkannt, daß diese Säule, auf welcher der germanische Staat ruht, der Bauernstand, kein Helotenstand länger bleiben darf –« »Ja, ja, ja, also darum!« wiederholte der Minister ihn unterbrechend, und nahm eine Prise, vielleicht ein Zeichen der Zufriedenheit, jedenfalls eines, daß er fürs erste nichts weiter hören wollte. – »Was geht Sie denn der Bauernstand an? Sie haben doch keine Güter.« »Erlauben Sie mir zu fragen, was ging er Excellenz an –« »Weil meine Bauern faules Volk sind, weil der Meier sie aus dem Kruge treiben musste, weil mein Inspektor gut rechnen kann, und mir wie's Ein mal Eins bewies, daß die Frohnarbeit uns theurer zu stehen kam, als der Tagelohn, weil ich meine Aecker durch die Bauernäcker arrondirte, die sie mir als Abkaufssumme hergaben, weil ich ein guter Landwirth bin, und sie zweimal besser nutze als sie, weil ein großer Complex sich besser bewirthschaftet als ein kleiner. Darum mein junger Herr –« »Und wenn auch nur diese, gelten diese Gründe nicht für Alle!« »Was gehn mich die Andern an! Fege Jeder vor seiner Thür, und wer sich im Mist betten will, warum soll ich's hindern!« Walters Brust hob, seine Lippen öffneten sich, der vorhin unterdrückte Strom der Rede floß heraus in kurzen, schlagenden Sätzen, und die Excellenz hatte die Güte ihn nicht zu unterbrechen. Sie beschäftigte sich, einen Fleck auf ihrer Emaildose abzuwischen. Er hatte gesprochen; das Was wissen wir schon, oder wir erfahren es noch. Da war der Fleck wirklich gereinigt und der Minister sagte recht freundlich: »Eine hübsche Elaboration. Wenn Sie das geschrieben hätten, könnte man's ad acta nehmen. Aber Drucksachen, das ist nichts; es schickt sich nicht für einen Geschäftsmann. – Was wollen Sie nun eigentlich, ich meine Sie für sich?« »Ich leugne nicht, Excellenz, wenn diese Ansichten vor unsern Staatsmännern Eingang finden, und man an die Ausführung ginge, daß ich mich wohl befähigt fühlte, mit Hand anzulegen. Ich würde eine Freiheit opfern, die ich mir lange als ein köstliches Gut bewahrt, und würde gern eine Anstellung annehmen.« »Sehn Sie, das lieb ich, das ist vernünftig gesprochen. Sie gehn auf eine Anstellung aus, um das Uebrige kümmern Sie sich nicht.« »Dies dürfte doch von meiner Ansicht differiren.« »Drauf kommt es nicht an. Wird Ihren Vater sehr freuen. Ist ein braver Mann, und wird es Ihnen an Unterstützung nicht fehlen lassen, wenn ich ein Wort einlege. Denn Unterstützung werden Sie noch eine ganze Weile brauchen. Die große Karriere, die geben Sie natürlich auf, haben ja nicht Cameralia studirt. Und die Examina! Schadet nichts. Das von unten Anfangen ist das solideste. Erst in der Kanzlei ein Jahr, höchstens ein paar als Kopist. Dann machen wir einen Versuch mit dem Expediren, Sekretair! An Konnexionen wird es Ihnen ja wohl bei guter Conduite nicht fehlen« – lächelte der Minister – »dann Geheimsekretär, Kanzleiinspektor!« Der junge Mann stand sprachlos da. »Der Kriegsrath Alltag, sehn Sie dessen Karriere! Noch nicht voll sechszig und war schon Kanzleidirektor mit dem Titel Kriegsrath, und Sie wissen noch nicht, was er noch wird. Aber nun etwas, mein junger Herr, die Flausen lassen Sie aus dem Kopf. Nie etwas besser wissen wollen als Ihre Vorgesetzten. Wenn's auch mal falsch wäre, nie den Mund aufgethan. Sie wissen nicht, warum sie's falsch machen. Keine Sylbe mehr gedruckt, das versteht sich von selbst. Wenn Sie Bücher lesen müssen, thun Sie's für sich. Nöthig ist's nicht. Stört immer im Dienst. Gelehrte sind schlechte Officianten. Und« – der Minister fasste mit holdseliger Miene den Knopf seines Rockes – »und am Kopistentisch sollen Sie nicht zu lange sitzen, Sie schreiben ja eine saubere, präzise Hand, habe mich wirklich gefreut, die Grundstriche so grade und voll. Daran sieht man den Charakter. Da dispensiren wir Sie wohl schon nach einem halben Jahre!« Walter hatte die volle Sprache und Ruhe wieder gewonnen: »Gerührten Herzens habe ich Ew. Excellenz gütige Intentionen vernommen, die ich wohl nur der guten Meinung verdanke, welche Excellenz für meinen Vater hegen. Da aber meine Ansichten von der Art, wie der Staat die Kräfte seiner Bürger nutzen muß, von der Ansicht Deroselben abweichen, so glaubte ich unrecht zu thun, wenn ich Dero wohlwollende Gesinnung Solchen entzöge, welche williger und befähigter zu den Diensten sind, für die ich meinen Willen und meine Kraft unausreichend bekennen muß.« Der Minister sah ihn weder verwundert, noch erzürnt an. Er liebte wohlgesetzte Kanzleiphrasen. Dann nickte er ihm freundlich Abschied. »Also Sie wollen nicht. Grüßen Sie Ihren Vater von mir und gehn Sie nach Karlsbad, lieber Herr van Asten. Nach Karlsbad sage ich Ihnen. Wenn wir alle Staatsverbesserer dahin schicken könnten, würde es mit unserem Staate besser. Nicht nach der Festung, dafür bin ich nicht. Simpel nach Karlsbad, drei Becher täglich am Sprudel, die gehörige Promenade darauf, drei Monat und wir hätten Ruhe im Lande.« 36. Kapitel. Eine wichtige Konferenz in Staatsgeschäften Sechsunddreißigstes Kapitel. Eine wichtige Konferenz in Staatsgeschäften. »Der Herr Geheimrath sind nicht zu Hause –« »Der Herr Geheimrath ertheilen heute keine Audienz« – lauteten die verschiedenen Antworten, mit denen der Kammerdiener die verschiedenen Personen, welche in der Wohnung des Geheimraths Bovillard nach ihm fragten, abgewiesen hatte. Auch Herrn von Fuchsius war dasselbe begegnet, »wegen einer wichtigen Konferenz in Staatsgeschäften.« Bei Konferenzen in wichtigen Staatsgeschäften war der Rath immer zugezogen. Der Diener zuckte lächelnd die Achseln: »Herr Geheimrath haben heut expreß befohlen keine Ausnahme zu machen –« Fuchsius sah aus dem Thorweg den Wagen des Ministers fahren: »Wenn die entsetzlichste Rathlosigkeit wirklich zum Rath – und wenn sie zur That führte!« sprach er aufseufzend. »Es ist spät, aber doch vielleicht noch nicht zu spät!« »Excellenz waren nicht aufgelegt,« bemerkte der Kammerherr von St. Real in der kleinen Hinterstube, wo sich die Konferenz versammelt hatte. »Leidet am Magen,« sagte Bovillard mit dem moquanten Lächeln, das seine Freunde kannten, wenn er die Worte eines nicht gegenwärtigen Freundes citirte. »Am Magen?« »Excellenz halten nicht Diät. Mischen zuviel, Trüffelwürste und Rhabarber, Sonnenaufgänge und nächtliche Promenaden, Tugend und Tänzerinnen –« »Die auswärtigen Angelegenheiten liegen in seinem Magen wie Kraut und Rüben.« »Wir sind indeß, meines Wissens, nicht hier wegen der affaires éntrangères, « bemerkte der Kammerherr. » Mais qu'est-ce qu'on peut faire, mon ami, wenn der Leiermann vor der Thür von Morgen bis Abend sie abgeorgelt, Hardenberg mit so schönem Discant singt und Lombard und Beyme und Voß, und dazwischen brummt der Baß des Herrn von Stein, und Johannes Müller zwitschert, und Herr von Massenbach giebt seine unmaßgebliche Meinung, und Luchesini räuspert sich, und Rüchel trommelt und Prinz Louis schmettert mit Trompeten, und seine Schwester und die Prinzeß Mariane accompagniren mit Jeremiä Klagegesang. Da bleibe ein vernünftiger Mensch unafficirt! Ich will in allem Respekt noch gar nichts sagen von der Venus Urania, die in der Stille vor ihrem Spiegel die Haube der Bellona probirt, und wie ihrem himmlischen Gesichte der Blick des Zornes und der Entrüstung steht, den sie auf den Monstrepilz bei Gelegenheit werfen will.« » Monsieur de Bovillard braucht uns nicht zu versichern, daß er nie ein Admirateur der Venus Urania war.« »Offenherzig, ich halte es mit dem edlen Schiller, – der ist nun auch todt, alles Edle stirbt, meine Freunde, – als er sang: Ach, da euer Wonnedienst noch glänzte, Wie ganz anders, anders war es da! Da man deine Tempel noch bekränzte Venus Amathusia!« Der Dritte im Bunde, der kein anderer war als der Legationsrath Wandel, meinte, er könne die Besorgniß nicht theilen, so viel er wisse, sei doch gestern beschlossen: der König wolle, die besondere Lage seiner fränkischen Lande erwägend, jeder der kriegführenden Mächte den Durchzug gewähren. Damit schiene denn doch alles ausgeglichen, und die äußeren Angelegenheiten dürften dem excellenten Freunde seines edlen Freundes kein Kopfbrechen mehr verursachen. »Gestern, Theuerster! Aber heute nicht mehr. Man hat angeführt, das verrathe Schwäche. Darum wollen wir heute Stärke verrathen, und erklären, daß wir Niemand durchlassen. Brauchen uns aber darum nicht zu änstigen, morgen haben wir uns wieder anders besonnen, und lassen durch. Dieser Durchlaß nun liegt Christian im Magen, ein Aderlaß an seinem Humor, und darum lief er fort, ehe wir anfingen.« Wandel hatte sich an den kleinen Tisch gesetzt, auf dem, wie zum Spott, für vier Personen vier Aktenhefte, Papier und Federn lagen; das wichtigere Aktenstück oder Corpus delicti stand unter dem Tische, der Champagnerkorb. »Von nun an wird Niemand wer es sei, eingelassen,« rief Bovillard, als der Kammerdiener die Leuchter auf den Tisch gesetzt. »Also, meine Herren, wir standen bei Artikel zwei –« rief er noch mit einer Stimme, welche der abtretende Diener im Nebenzimmer hören konnte. Als die äußere Thür zuklang, erhob sich der Flaschenkorb, ein Pfropfen knallte gegen die Decke und drei Gläser stießen gegen einander: »Auf guten Fortgang!« »Der scheint gesichert,« sagte Wandel. »Und wir verdanken ihn, was ich als Präsident hier auszusprechen mich für verpflichtet halte, insbesondere der unermüdlichen Thätigkeit unseres theuren Kollegen. Herr Legationsrath von Wandel, wiewohl gleichsam als Experter zugezogen, hat sich doch der Sache als Amateur angenommen. Gehen wir demnächst zur Sache über. Wir standen also –« »Ich erlaube mir, ehe wir fortfahren, eine präjudicielle Bemerkung,« hub der Kammerherr an. »Ich weiß für gewiß, daß der französische Gesandte von unseren Verhandlungen Kenntniß hat. Sollte durch die unverzeihliche Indiskretion eines Kanzleibeamten demselben ein Aktenstück in die Hände gespielt sein? Wenn dem so wäre, erlaube ich mir, bei unsern würdigen Herrn Präsidenten den Antrag auf strengste Recherche deshalb.« »Das Kollegium hat den Antrag vernommen,« sagte Bovillard. »Ich muß präjudiziell bemerken, daß ich dagegen stimmen werde. Wenn das Kollegium erlaubt, erkläre ich meine Gründe. Pro primo haben wir keine Aktenstücke, denn es ward nichts geschrieben, logischer Schluß: sie können nicht abgeschrieben werden. Pro secundo haben wir keine Kanzlei, was nicht ist kann keine Indiskretion begehen, pro tertio würde eine solche Untersuchung den Verdacht der Indiskretion auf ein oder das andere Mitglied unsres hochverehrten Kollegii werfen, was wir aus besonderen und höheren Rücksichten vermeiden müssen. Herr Kollege von Wandel wünscht uns seine Ansicht mitzutheilen.« »Was das Faktum anlangt,« sagte der Legationsrath, »so muß ich dem geehrten Kollegen von St. Real beistimmen. Laforest weiß es; aber was folgt daraus? – Laforest weiß Alles. Warum sollte er dies nicht wissen. Wer es ihm zuträgt, –« »Vermuthlich der Champagnergeist,« rief Bovillard, sein Glas füllend, daß der Schaum über den Rand stieg. »Landsleute plaudern gern weiter!« »Aber es schadet unserer Sache nichts. Diplomatische Berichte bleiben versiegelte Geheimnisse, und wenn die Archive sich für Historiker lüften, kümmert es keinen Lebendigen mehr. Ferner was Laforest weiß, weiß er nur für Napoleon oder Talleyrand. Beide werden unsre Pläne nicht kontrecarriren. Endlich wenn das Geheimniß auf dem Wege nach Paris auch hier durchgeschwitzt hätte, was ich nicht in Abrede stellen will, ist die Sache doch zu pikant, als daß der ehrliche Finder den Verräther spielen sollte. Aus diesen Gründen, meine Herrn, erblicke ich in dem hingestellten Faktum weder Gefahr, noch etwas Hinderliches, und stimme, salve meliori, unmaßgeblich über den Einwand hinweg zu gehen.« Der Präsident blickte, die Feder in der Hand, sich um. Es war einstimmiges Conclusum. Der Wein fing an die Zunge zu lösen, und man warf den Curialstyl mit den Akten in den Winkel. »Sie also tout à fait ébloui? « rief Bovillard nach dem Bericht des Legationsraths. Der Kammerherr anerkannte mit gebührenden Lobsprüchen die Diligenz, welche Herr von Wandel bewiesen, bestand indeß darauf, daß die Baronin, wenn die Schwadron vorübermaschirte, sich jetzt ostensibler am Fenster zeige. Es sei zuviel gefordert, wenn sein Pflegebefohlener, der Amandus, sich jedes Mal einbilden solle, daß der Kopf der Amanda hinter Balsaminentöpfen versteckt sei. Die Imaginationskraft eines Kavallerieoffiziers sei aber nicht die eines Poeten; er müsste ihn also dann und wann leibhaftig sehen, um im Glauben zu verharren. »Unser Operationsplan aber forderte Bedacht,« entgegnete Wandel. »Wir mussten als Psychologen zu Werke gehen. Wer ist schwerer zu erobern? Sie oder Er? Das war die Frage. Es galt eine Bildsäule zur Galathee zu erweichen, und aus der Galathee eine Potiphar zu machen. Haben wir nur erst eine Madame Potiphar, so ist doch keine Sorge darum, daß ein Gardekavallerie-Offizier den Joseph spielen sollte. Diese zweite Eroberung machte sich vielmehr dann von selbst – A propos, warum ich Herrn Kammerhern so oft ersucht, der Amandus, Ihr Client, darf nicht mehr den Knebelbart streichen.« Der Kammerherr versprach, daß es unterbleiben solle. »Sie haben auch gewiß schon eine kleine Entrevue in petto? « sagte Bovillard. »Sie etwa im Negligee von ihm überrascht!« »Wer setzt auf eine Karte sein Ganzes, wenn er im Gewinnen ist! Wer spielt überhaupt ein gewagtes Spiel, wenn er durch arithmetische Progressionen zum Ziele kommen muß! Der beste Zauber, meine Herren, ist, der sich selbst wirkt, auf organischem Wege. Neugier und Eitelkeit operiren wunderbar in der Psyche des Weibes. Die gespannte Erwartung entzündet die Phantasie. Um zu erfahren, ob es so sei, wie ich angab, gab sie sich alle Mühe, den Amandus zu beobachten, und entdeckte nun mit weiblichem Scharfsinn weit mehr, als ein Mann mit seiner roheren Wahrnehmungsgabe nur erfinden kann.« »Und die Uhr geht fort?« »Eine schlechte, die man jede Stunde anstoßen muß. Sie geht so normal, daß ich alle Intermezzos und gewaltsame oder nur freundliche Hülfe von draußen wegwünsche.« Bovillard wiegte sich, beide Hände in den Seitentaschen, behaglich im Stuhl, und fixirte schlau den Redner: »Wenn der Schalk ihm nicht im Nacken säße! Allen Respekt für seine Intuitionen in die Psyche des Weibes, aber er weiß eben so gut, wie man Weiber durch Weiber behandelt, und uns möchte er doch einbilden, daß wir seine Agentinnen nicht kennen. In der Jägerstraße hängt freilich ihr Agenturschild nicht heraus, aber die Zwirnsfäden sieht man doch, mit denen sie ihre Mirakel weben. Ueberhaupt, cher ami, wozu denn diese Mystères! Ist gar nicht Ihr Profit, Legationsrath. An Talismänner und Wünschelruthen glauben wir hier nicht, aber je mehr zweibeinige Maschinen Einer für sich in Bewegung zu setzen versteht, ein um so größerer Wunderthäter wird er für uns.« Auf Wandels Stirn lagerte sich eine officiöse Falte und die Augenbrauen drückten sich zusammen: »Prätendire ich, ein St. Germain zu sein! Aber der ausgezeichneten Frau thun Sie unrecht. Eine Dame, deren Verstand in so andern höheren Regionen schweift, würde sich nie zu einer mesquinen Intrigue bequemen; Verzeihung, meine Herren, aber nennen wir die Sache bei ihrem Namen, man muß seine Menschen kennen. Ich hätte nicht einmal gewagt, ihr von der Sache zu sprechen. Meine Herren, ich wiederhole es, Sie kennen diese seltene Frau nicht.« »Holla! Also offen ausgesprochen ihr Ritter. Und uns den Handschuh hingeworfen! Kennen Sie sie denn?« Nach einigem Schweigen antwortete Wandel: »Nein! – Es giebt Erscheinungen, wo der Augenaufschlag die Seele uns erschließt, andere, wo der geschickteste Psychologe sein Senkblei umsonst gebraucht. Ich fühle nur, daß dies Seelengewebe aus so zarten ätherischen Fasern zusammengesetzt ist, daß die leiseste Berührung unharmonischer Töne es zusammenschrecken macht; und hinwiederum ist es von einer Elasticität, daß ein rauher Anstoß diese Fühlfäden zu hartem Stahl verwandelt.« »Lassen Sie sich nicht erdrücken von dem Stahl. Heim sagte mal, in der Frau wäre eine cachirte Sinnlichkeit. Gegen die Sinnlichkeit habe ich nichts, aber das Cachirte liebe ich nicht.« »Diese rohen Aerzte, die die Schwungfedern der Seele nur empirisch betasten! Da wollen sie ihren Mann mit Assa foetida und Valeriana behandeln, und seine Krankheit ist rein eine des Gemüthes. Der Geheimrath lebte längst nicht mehr, wenn sie nicht eine geistige Atmosphäre um ihn zu bereiten wüsste, worin er athmet.« »So schlimm stände es mit dem Bücherwurm?« »Sie sahen ja auch wohl ihren Bedienten, einen Moribundus. Was quält sie sich ab, diesen Menschen wieder auf die Beine zu bringen! Ich gebe Ihnen zu, es ist vielleicht ein krankhafter Instinkt, der Natur in den Arm greifen zu wollen, aber sie will's sie muß probiren. Die Doktoren haben ihn längst aufgegeben, er ist ja nur ein Bedienter, aber denken Sie – neulich fand ich sie, wie sie von dem theuren Lebensäther, den Herr Flittner präparirt, dem Menschen einflößte. Mein Gott, sagte ich, der Aether ist immer nur ein Palliativ, er lässt die Lebensflamme noch einmal auflodern, aber um so schneller verzehrt sie. Man wendet ihn bei hohen Personen an, wo die letzten Momente kostbar sind; aber dieser Bediente, was kommt es da auf eine Spanne Leben und Bewusstsein an. Er kann Ihnen unter den Hände zusammensinken. Was würden Sie dann sagen? – Ich kann Ihnen das wunderbare Lächeln nicht beschreiben, mit dem sie anwortete: Ich habe mir dann selbst genügt. So ist sie –« »Eine Schwärmerin! Gehn Sie mir vom Leibe mit Ihrem Lebensäther.« »Ich gebe Ihnen gewissermaßen recht, Herr von Bovillard. Das Verhalten zu ihrem Pflegekind könnten strenge Moralisten auch eine Schwärmerei nennen. Sie opfert sich ihm ganz und warum? und wie wird es ihr belohnt! Sie wissen von der soit disant Verlobung mit dem jungen Schulmeister. Eine andere Frau würde außer sich sein. Welche Pläne sind ihr vereitelt. Sie lächelt als Philosophin.« »Es giebt Personen, auf die alles Mißgeschick zusammenstürmt,« fuhr er, den Kopf schüttelnd, nach einer Pause fort, wo die Andern geschwiegen; der Abstecher, in welchem der Legationsrath sich so zu gefallen schien, kam Beiden ungelegen. »Der Vater des Lehrers, der alte van Asten, brummt über die Sache, und ist sogar auf die Geheimräthin ungehalten.« Bovillard fiel ein: »Die Ehrbarkeit seines alten Hauses fühlt sich touchirt. Was ist natürlicher, er sah sie mal aus einem andern Hause kommen. Um das Renommée eines Hauses und die Ehrbarkeit ist's doch eine köstliche Sache! Was macht der Alte für Geschäfte damit, mit dem verräucherten Steinhaufen in der Spandauerstraße, mit dem glatt gepuderten Kopfe, der Catomiene, die sich nie verzieht, auch nicht, wenn er das große Loos gewinnt, mit seinen rindsledernen Schuhen, die schon eine Viertelmeile weit knarren! Das ist ein Respekt auf dem Markte, an der Börse, wenn der alte van Asten mit seinem Bambusstocke heranhustet. Und das nennt die Kanaille nicht Diplomatie.« Der Geheimrath schien vergnügt, von dem ihm sichtlich unangenehmen Gegenstande abgelenkt zu haben, während der Kammerherr mit eben so sichtlicher Ungeduld meinte, man komme ja ganz von der Hauptsache ab. »Mademoiselle Alltag bleibt indeß immer eine sehr interessante Nebensache,« lächelte der Legationsrath. Bovillard stichelte, er hege den Verdacht, daß sein Freund eine noch vornehmere Agentin in Kontribution gesetzt. Wandels Stirn legte sich diesmal nicht in offiziöse Falten, sie blieb ganz glatt, als er erwiderte: »Herr von Bovillard will damit andeuten, was Herr von Laforest dazu sagen dürfte, wenn ich mit der russischen Fürstin kommunicire. Laforest weiß, daß ich Kosmopolit, und die Prinzeß, daß ich ein Sünder bin. Der Unterschied ist nur, daß Herr von Laforest es aufgiebt, die Fürstin aber noch nicht, mich zu ihrem Glauben zu bekehren.« »O der Verräther! Nun ist er auch geständig, unsre Geheimnisse an Rußland verrathen zu haben!« »Hat aber damit den Beistand seiner Diplomatie erkauft. Schlagen Sie diesen Beistand nicht zu gering an, meine Herren. Ihre Erlaucht interessirt sich wirklich en passant für die Baronin Eitelbach.« »Sie will sie zur Sünderin machen, um sie nachher zur Heiligen zu bekehren. Delicieur! Magnifique der Gedanke!« »Meine Herren,« sagte der Legationsrath sich verneigend, »ich habe das Meinige gethan. Die nächste Aktion muß vom Rittmeister ausgehen.« Man ließ die Gläser auf den Strategen und seine Agentinnen klingen. St. Reals Bericht war kürzer: »Sie glauben nicht, wie schwer es uns ward, den Stier auf die Spur zu bringen. Als es indeß soweit war, ging es auch wie ein Brummtriesel, der nicht mehr zu sich kommt. Oder es überschauerte ihn wie ein Donnerwetter mit Platzregen. Der Mann ist vollkommen ausgetauscht, weich, sage ich Ihnen, wie Wachs. Sein Gewissen gerührt; er delirirt, verwünscht zuweilen seinen Knebelbart, ja es giebt Augenblicke, wo er ihn abschneiden möchte. Nach dem letzten Billet wollte er wirklich Urlaub nehmen. Wir hatten Mühe, ihm begreiflich zu machen, daß das jetzt als Feigheit ausgelegt werden könnte. Mit einem Wort, er ist zu Allem bereit, was das verehrte Kollegium über ihn beschließt. Nur muß man ihm zu Hülfe kommen. Er ward ordentlich jungfräulich schüchtern aus Gewissensbissen, daß er eine schöne Dame, die ihn liebt, so lange und grausam beleidigt hat.« »Aber was nun weiter?« sagte der Kammerherr. Der Geheimrath nahm die Präsidentenmiene an: »Unser Thema also war, sie sollen und müssen sich verlieben. In der Ausführung sind wir auf den Punkt angelangt: sie stehen im Begriff sich zu verlieben. Die nächste Frage ist nun: wie soll dieser Prozeß weiter geführt werden? und die darauf folgende, welchen Ausgang soll er nehmen?« »Als Tragödie oder als Komödie?« »Nur keine Tragödie! Haben draußen Trauerspiele genug. Höchstens etwas Sentimentales, ein wenig Jammer, unterbrochen durch einige Affektblitze, Verzweiflungsseufzer, einige Thränen, etwas Menschenhaß und Reue, pour décorer la situation, aber so wenig wie möglich.« »Eine Zwischenfrage, meine Herren. Wünschen Sie die Sache schnell zum Resultat geführt?« »Legationsrath, was fällt Ihnen ein! Wir führen ja das Stück zu unserer Rekreation auf.« »In diesem Falle wird es nöthig, einen Hemmschuh anzulegen; denn lassen wir die Dinge sich jetzt entwickeln, so platzt über kurz die Erklärung heraus und endet in einer Liaison oder einem stillen Seelenbündniß.« »Zum Geier mit Ihrem Seelenbündniß! Auf Eklat kommt's an, Schauspiele soll's geben, einen Skandal, daß die Stadt die Hände zusammenschlägt.« »Excellenz meinten nicht so –« warf St. Real ein. »Excellenz ist ein Hypochonder geworden. Wer A gesagt muß B sagen. Keine Retiraden! Hemmschuhe meinethalben. Ersinnen Sie was. Warum ging Ihr verfluchter psychologischer Prozeß auch mit Siebenmeilenstiefeln? Etwas von Rendezvous auf Redouten, oder im Mondenschein, wo man zusehen kann. Dann Hindernisse! Wenn Eitelbach nicht will, so werden Sie ja schon Ehrenwächter finden. Kann man nicht eine Prinzessin, oder die Königin für die Tugend der Baronin interessiren. Grausame Trennungen, überraschendes Wiedersehen!« »Er könnte wie Leander zur Hero schwimmen! Die Spree ist nur nicht breit genug.« »Imagination, meine Herren! Sie können sich in einer Kutsche ein Rendezvous geben, sie wird als verdächtig angehalten, Beide auf die Wache gebracht.« »Nur nicht auf die Wache! Das ist ein zu hässlicher Eklat!« rief der Kammerherr. »Oder er steigt zu ihr ein. Der Nachtwächter entdeckt die Leiter, Lärm wird gemacht, man sucht nach Dieben.« »Wünschen Sie, daß er mit Madame's Bewilligung eingestiegen ist?« fragte Wandel. »Besser nicht. Nein, er muß es in toller Leidenschaft thun. Sie muß außer sich sein. Man kann sie ja vorher wieder ein Bischen gegen ihn eingenommen haben. Sie wird empört, daß er ihren Ruf aufs Spiel setzt. In tugendhafter Entrüstung befiehlt sie ihm, sich nie wieder vor ihr sehen zu lassen. Er stürzt ihr zu Füßen, hilft nichts, er muß wieder zum Fenster raus. – Da fehlt die Leiter, der Lärm geht los. Denken Sie sich die pikante Situation! Sie in Zorn, er in Verzweiflung. Je größer die Gefahr, je näher die Tritte, so mehr schwindet ihr Zorn, das Mitleid siegt, das Bekenntniß ihrer Liebe platzt heraus. –« »Und? –« »Zur Zärtlichkeit ist da nicht Zeit. Immer Aufschub. Die Polizei schlägt an die Thür. Sie muß ihn verstecken – in den Kleiderschrank.« »Da kriegen Sie den Rittmeister nicht mehr rein!« lächelte St. Real. »Es wird sich ja ein Versteck finden. Lassen Sie ihn auf den Boden springen, aufs Dach klettern.« »Und! – Er muß doch auch vom Dach wieder herunter. Ich meine, was das Ende vom Liede sein soll?« »Kommt Zeit, kommt Rath, Legationsrath; schlagen Sie einen alten Roman nach. Vom Dach werden wir ihn nicht fallen lassen.« »Mit einem Worte, verlangen Sie eine Entführung oder nur –« »Prächtig! eine Entführung. Göttermensch, Sie stehlen mir's aus der Seele. Wie lange ist in Berlin Keine entführt worden. Das giebt ein Gerede, Kinder, einen Spaß! Ich will selbst die Postrelais bezahlen, mit Seegebarth sprechen, die schnellsten Postpferde sollen sie haben.« »St. Real schüttelte den Kopf: ›Alles sehr schön. Wer soll sie aber verfolgen?‹« »Nun, Ihr Mann!« Kaum war es über die Lippen, als er selbst in das stille Gelächter der Andern einstimmen musste. »Er lacht sich vor Vergnügen todt, wenn er's hört.« Es war ein unerwarteter Querstrich. Bovillard riß die gekreuzten Arme auseinander, mit denen er eine Weile vor sich sinnend gesessen. »Er thut's doch vielleicht!« »Der Baron! Er schämte sich in den Tod, daß man ihn für eifersüchtig hält.« »Wer spricht von Eifersucht, St. Real! Neunzigtausend Thaler gehen ihm durch. Kann er neunzigtausend Thaler mir nichts dir nichts über die Grenze lassen!« »Neunzigtausend Thaler,« wiederholte der Legationsrath. »Sie haben freilich getrennte Gütergemeinschaft,« sagte der Kammerherr. »Ihn schätzt man eben so hoch.« »Hundertachtzigtausend Thaler unter Brüdern, meine Herren,« fuhr Bovillard fort, »die zerreißen wir. Bedenken Sie das wohl.« »Hundertachtzigtausend Thaler!« wiederholte der Legationsrath. »Was so ernsthaft, Wandel?« »Die Sache ist es. Er müsste sich nach dem Eklat scheiden lassen, sie würde den Rittmeister heirathen, und wir verschaffen ihm eine Frau mit neunzigtausend Thalern. Meine Herren, Sie räumen mir ein, daß die Sache dadurch ein ganz anderes Fundament gewinnt. Es ist kein Divertissement mehr, es wird zu einem reinen Geschäft, und wir müssten uns fragen – das heißt, ich bitte Sie, sich darüber zu entscheiden, welche Raison Sie haben, den Herrn von Dohleneck zu einem reichen Mann zu machen?« »Raison! Pah, was kommt's drauf an! Und hab' ich keine! Der Rittmeister hat sich nobel gegen meinen Taugenichts benommen. Blutvergießen verhindert. Sie auch, Legationsrath. Sollen Sie sie entführen? Hätte nichts dagegen. Neunzigtausend Thaler, wir sind ja in einer generösen Laune und er hat Schulden wie Haare auf dem Kopfe.« Die vierte Flasche war entkorkt und die Gesicher leuchteten. »Handeln wir wie die Vorsehung, welche die Güter dieser Welt ausgleicht. Angestoßen auf den großen Gedanken, Freunde! Für die Menschheit –« »Das heißt für Stiers Gläubiger.« »Das Gefühl uneigennützigen Handelns für die Zwecke der Humanität stärke uns. Reine Liebe edler Seelen, neunzigtausend Thaler in ersten Hypotheken und schlesischen Pfandbriefen und eine wunderschöne Frau und dumm! Was Götter selbst beneiden könnten, wir schenken's einem verschuldeten Kavallerieoffizier.« Der Legationsrath stimmte nicht in die Ausgelassenheit: »Sie zerstören Ihre eigenen Beschlüsse, wenn Sie zu hastig losgehen.« »Legationsrath, ein edler Entschluß darf nicht Runzeln bekommen.« »Aber ein Witz nicht zur Spekulation werden, sonst bricht seine Spitze. Conclusum est –« »Sie sollen sich noch eine Weile quälen,« sagte der Kammerherr. »Hatte ich es beinah vergessen! 'S ist mein gutes Herz. Ich kann nun einmal Unglückliche nicht leiden sehen. Alle Menschen sind ja Brüder –« »Und alle Frauen Schwestern!« sagte Wandel aufstehend. »Aber ich muß Contreordre geben, wenn's nicht schon zu spät ist.« Er zog die Uhr, und stampfte auf. »Wahrhaftig, es ist schon zu spät.« »Was ist's?« Sie standen nicht mehr ganz fest, als sie jetzt aufstanden. Der Legationsrath strich über die Stirn. »Unser Joseph geht heut an Madame Potiphars Haus vorüber. Ein leises Schluchzen sollte seine Schritte fesseln –« »Ei, Herr von Wandel, mir ins Gehege!« rief der Kammerherr. »Der Joseph war zu meiner Disposition.« »Verzeihung! Ich wollte Sie überraschen; es war gut gemeint. Eine schluchzende Gestalt am Balsaminenfenster sollte ein Bouquet auf seine Brust fallen lassen; – eine rasche Entwicklung stand dann in Aussicht. Wer konnte den heutigen Beschluß ahnen! Um zehn Uhr war's bestellt, und es ist ein Viertel auf eilf. Vielleicht kann ich noch retten.« Bovillard fiel ihm in den Arm: »Bleiben Sie, lasst sie glücklich sein, wir sind's ja auch. Glückliche Menschen machen, was giebt es Schöneres unterm Sternenzelt. Fand einmal meine Selige in Thränen über Lafontaines neuestem Roman: Kriegen Sie sich nicht? frage ich. – Er ist erst am Ende des ersten Bandes, sagte sie. – Er muß! sage ich. – Wie kannst Du's? – Da klopft es. Wer tritt ein? Herr Lafontaine. Ich riß meine Selige auf, ich zeigte ihm ihre rothen Augen: Barbar, das ist Ihr Werk; können Sie's ruhig ansehen? Eine Thräne der Rührung, eine Thräne der Versöhnung. – Er küsste ihre Hand. – Sie sollen sich kriegen, Madame! – Auf der Stelle ließ ich ihn zu Herrn Sander fahren, dem Buchhändler. Zwei Bogen wurden makulirt, und nach acht Tagen kriegte sie die ersten des zweiten Theils. Schon im ersten Kapitel hatten sie sich gekriegt. – Den Jammer sparte er nachher für dir Ehe – zwei Bände voll!« »Das nenne ich einen exemplarischen Ehemann!« sagte Wandel. »Und Herr Lafontaine kriegte die Präbende!« bemerkte St. Real. »Eine gute That belohnt die andre.« Schon als Bovillard den Dichter Lafontaine klopfen ließ, hatte man ein starkes Pochen an der Hausthür gehört, darauf einen Lärm von mehren Stimmen; die des Kammerdieners war deutlich zu erkennen, welche Eindringenden den Zutritt verwehren wollte. Eine andre Stimme tönte aber scharf hindurch, welche den Lagationsrath zu frappiren schien, auch der Kammerherr horchte aufmerksam. Nur der Geheimrath hörte in seiner Aufregung erst darauf, als feste Männertritte die kleine Hintertreppe heraufstürmten. »Sie dürfen nicht, ich darf Niemand reinlassen,« schrie der Kammerdiener, der um die Wette mit dem Stürmenden zu laufen schien. »Aber mich!« rief es. Darauf ein Fall, der Diener musste zurückgestoßen sein, und die Thür sprang auf. »Was bedeutet das!« rief der Geheimrath, einen Leuchter ergreifend, und wollte ins Kabinet. »Das Vaterland!« rief die Stimme im selben aufgeregten Tone, als der Geheimrath schon, wie von einer Erscheinung erschreckt, zurückprallte. Der Leuchter entfiel ihm. Der Legationsrath hatte hastig den Hut gefasst, als er den Eintretenden erblickte, der Kammerherr folgte ihm eben so schnell. Der Geheimrath Bovillard blieb mit der Erscheinung allein im Zimmer. 37. Kapitel. Vater und Sohn Siebenunddreißigstes Kapitel. Vater und Sohn. Louis Bovillard war entlassen. Er war ein stiller Gefangener gewesen; die Beamten waren erstaunt gewesen, er hatte diesmal keinen Streit angefangen, keine Scheibe zerschlagen, keinen Wärter zur Thür hinausgeworfen. Er hatte, in sich versunken, da gesessen, bis die Stunde der Befreiung schlug. Nichts von der Außenwelt war zu ihm gedrungen: da war es doch natürlich, daß er sich jetzt orientiren wollte in der ihm fremd gewordenen. Wohl hatte es durch die dicken Mauern geklungen von außerordenlichen Dingen, von einer Stimmung, die nie da gewesen, von einem heißen Fieber, das die Glieder schüttle, von einem Geist im Volke, der den langen Winterschlaf von den Lidern streife. Im Gefängniß träumt man lebendiger von der Freiheit. Er aber hatte auf seinem Holzbett stumm gelächelt; seine Träume waren anderwärts. Und jetzt lächelte er wieder, wenn er durch die bewegten und stillen Straßen ging. Sie waren so breit, so todt und so geräuschvoll, wie immer: die Mühlen klapperten, die Menschen schwatzten wie immer. »Was suchen Sie, Bovillard?« fragte ein Bekannter, der ihm nicht ausweichen können. – »Die Stimmung,« war seine Antwort. Der Kalkulator stutzte, aber er erinnerte sich, daß Bovillard Klavier spielte. »Sie suchen einen Stimmer? Ihr Klavier« – »Ist total verstimmt,« antwortete der junge Mann und wandte ihm den Rücken. Ein Plakat an der Ecke! Vielleicht ein Aufruf des Königs an sein Volk? – Nein, verlorne Sachen, drei Auktionen! Doch, auf der andern Seite eine obrigkeitliche Bekanntmachung: eine Warnung vor falschen Zweigroschenstücken, die sich in Ostfriesland bedenklicherweise gezeigt, und eine Einschärfung von Gouvernement und Polizei, wie die unter den vorigen Königen erlassene Verordnung noch jetzt in voller Kraft sei: daß die sogenannten Zelte und Gebäude im Thiergarten nach wie vor nicht massiv, vielmehr nur von Brettern gebaut werden dürften. – Auf dem Papier stand das Gesetz, im Thiergarten baute man, wie man Lust hatte. Er trat an eines der noch seltenen und sehr bescheidenen Schaufenster, wo Kupferstiche aushingen. Vielleicht die großen Generale des letzten Krieges. Würden endlich Erzherzog Karl und die Andern die Bilder der französischen Generale verdrängt haben? – Gar keine Generale! Nur König und Königin, wie sich's gebührt; Schauspieler und Schauspielerinnen, der Jubelgreis Erman, der Astronom Bode mit einem Sternenkranz um die Schläfe. Er hatte ja einen neuen Kometen am großen Bären entdeckt. Willenlos führten ihn seine Schritte in einen Buchladen. Er fragte nach Novitäten für die Zeitgeschichte. »Warum sind des Kanzleidirektors Kistmacher in Breslau Gedichte merkwürdig?« – »Haben Sie nicht in der Vossischen gelesen? Er zeigt seinen Freunden an, daß er mit Gott und seinem König heut gesund und munter in sein neunundfünfzigstes Dienstjahr tritt. Das hat denn gleich Nachfrage nach den Gedichten gemacht.« – Der Buchhändler hatte noch einen interessanten Beitrag für »unsere Zeitgeschichte!« »Zuverlässige Nachrichten von der Sack'schen Familienstiftung zu Glogau, zum Unterricht für Stiftsberechtigte.« Sie hatten eben die Presse verlassen. »Die Lektüre soll mich heut Nacht erquicken!« sagte Bovillard und steckte das Heft in die Tasche. Er maß die Schritte von der Quadriga bis zu Prinz Heinrichs Palais; sieben Mal hatte er die Länge der Linden gemessen und nichts gesehen, als welke Blätter. Die Gesichter, denen er begegnete, die Blätter, die der Staubwind um seine Füße kräuselte, verschmolzen sich. Seine Phantasie schweifte in eine Wüste; er grübelte, warum die Natur ihnen die Quellen versagt, warum keine Erdbeben die Sahara erschüttern; Vulkane erheben sich doch aus dem Meere. Er saß in einer Weinstube. Er hörte viele Stimmen. Viele Stimmen machen eine Stimmung. Männer der Wissenschaft zu seiner Linken, Männer der Praxis zur Rechten, Männer der Kunst kamen, als das Theater aus war. Man sprach links und rechts vom Fortschritt. Wie viel öffentliche Vorlesungen befriedigten nicht die Wissbegier! Klaproth über Chemie für Jedermann, Fischer über Experimentalphysik und der gelehrte Bendavid las gar über Geschmackslehre! Aber dann brauste der Streit von der Rechten zur Linken, und im Centrum über das Stück des Tages: »Die Organe des Gehirns.« Wer war größer, Kotzebue oder Iffland? Kotzebue, der mit beißender Kritik, mit übersprudelnder Laune, die neue Chimäre der Wissenschaft geißelte, der Gall auf immer vernichtet hatte, oder der unvergleichliche Mime, der heute den Lear und morgen den Kannegießer mit gleicher Virtuosität spielte? Iffland drückte Kotzebue zu Boden. Alle Lippen bebten vom Lobe des Mimen; man anatomisirte den kleinen Finger seiner linken Hand, mit dem er ein widerstrebendes Gefühl ausgedrückt, man zerschnitt seine karrirte Weste, welche die Zersetzung eines sublimen Gedankens in eben so viele Theile darlegte. »Und Fleck ist doch größer!« trumpfte ein stabiler Gast auf den Tisch. – »Warum, Renommist?« »Er schafft, Iffland copirt.« – Kunst und Natur, ein ewiger Streit, man überschrie sich; die Gläser klirrten, die Köpfe wurden heiß. »Und alle Eure Kunst ist doch nur Chemie,« schrie der Renommist. »Die Pest auf Dichter, die nur die Schädellehre zersetzen, aber keinen Schädel lebendig machen.« Er setzte sich von den Genialen zu den Philistern; doch es waren Philister des Fortschritts. Die Emdener Heringsfischerei hatte zum ersten Mal Dividenden ausgetheilt. Und die Chaussee von Potsdam nach Brandenburg war ehegestern fertig geworden. »Meine Herren, das erwägen Sie, man kann von nun an in neun, ja vielleicht künftig in sieben Stunden von Berlin nach Brandenburg fahren! Und wie lange ist es her, wo wir einen Tag brauchten durch den Sand, um nur nach Potsdam zu kommen! Das war ja schon ein ungeheures Evenement. Wenn das der alte Fritz erlebt hätte! Bis Potsdam wie auf einer Diele! Und das hat unsre Regierung gethan, und doch sind sie nicht zufrieden! Ich frage Sie, was verlangt man denn noch? Sollen wir fliegen? Ja schöne fliegen, wenn Krieg kommt!« – »Nur die unruhigen Köpfe, Herr Hofrath!« – »Ganz richtig, Herr Nachbar, was geht uns Oesterreich, was geht uns Napoleon an!« – »Jetzt will jeder Mensch eine Meinung haben, und alle Welt soll man fragen.« – »Der alte Fritz fragte Niemand und es ging doch.« – »Ganz recht, Herr Geheimsekretär, es ginge auch noch, wenn nur eben nicht die unruhigen Köpfe wären.« – »Und werden die Emdener wieder Dividenden zahlen, wenn's losgeht?« – »Werden sich hüten, Herr Hofrath! Mit Handel und Verkehr, mit Fabriken und Allem ist's aus.« – »Friede! Friede!« war das Loosungswort in der Ecke. Ein Zeitungleser, der zugehört, lächelte. Da hören Sie das allerliebste Gedicht: » Pensées sur la position d'à présent. « »Die Vossische Zeitung hat immer allerliebste Gedichte.« Er musste es vorlesen: » Je souhaite la paix en tout Entre l'amante et son amant, et sa femme et son èpoux. Beaucoup de pleurs seroient épargnées Si Mars sauvage encore vouloit se reposer. L'éspérance consolante me reste encore, Que les méres et les épouses ne pleureront De leurs fils et maris la mort, Et que le transport des canons Et toutes ces préparations A la paix universelle serviront. « »Charmant!« – »Allerliebst!« – »Das ist Poesie!« – »Das ist noch ein Dichter, der Gefühl hat.« – »Nein, eine Dichterin; es steht drunter Philippine de B.« – Die poetische Entzückung hatte die andere Seite der Gesellschaft aufmerksam gemacht, Einer das Zeitungsblatt ergriffen und in anderem Pathos die Poesie vorgelesen: »Von Bovillard!« rief er, »das riecht nach seiner Poesie!« und ein schallendes Gelächter bestätigte im Chor. Louis Bovillard hörte es nicht mehr. Er hatte sogleich den Verfasser errathen. Sein Vater liebte seine zarteren Gedanken, wie er es nannte, unter weiblichen Namenschiffren ins Publikum zu schicken. Er irrte wieder durch die dunklen Straßen. Verspätete Theatergänger. Iffland und immer Iffland! – Verliebte Pärchen; süßes Geflüster, aufgeschreckt durch seinen rauhen Fußtritt. – »O Liebe, du Zauberin,« lachte der Dämon in ihm, »nur in die laue Nacht brauchst du den Arm zu strecken, und die Herzen setzen an, wie die Fliegen an die Leimstange.« In der einsamen Straße, durch die er einbog, stand ein Militär an ein Haus gelehnt in horchender Stellung. Aus dem geöffneten Fenster oben blickte verstohlen eine weibliche Gestalt sich um, und als sie Niemand zu sehen glaubte, fiel ein Blumenstrauß auf den Lauscher. Als der Militär das Geschenk an seine Brust drücken wollte, fühlte er seinen Arm gepackt. Ein Halt! dröhnte durch die Stille, im selben Augenblick klirrte das Fenster zu. Zorn und Schreck hatten nicht Zeit über den Vorrang zu streiten, als die Erkennung schon erfolgt war. »Bovillard! – Plagt Sie der Teufel! – Wo kommen Sie her?« »Aus meinen Banden.« »Wohin soll's?« fragte Dohleneck schon mit gerunzelter Stirn. »In die Freiheit.« »Sie brauchten Andere nicht mit sich zu reißen.« »Nur die ich liebe.« Der Rittmeister hatte sich eine Weile in der ersten Ueberraschung von ihm fortziehen lassen. Jetzt erst, nachdem sie um die Ecke waren, hatte er Posto gefasst: »Himmel, Sackerment, Bovillard, Red' und Antwort, was war das! Wenn Einer bis über die Ohren verliebt ist –« »Einen Eimer Wasser ihm über den Kopf. Was sich liebt auseinander zu scheuchen, ist heut mein Plaisir.« »Sie kommen aus dem Tollhause, oder –« »Ich ging aus mir selbst, wollen Sie sagen.« »Warum?« »Weil es mir zu eng drin ward.« Der Rittmeister hatte sich erholt: »Wenn Sie es nicht wären! Wissen Sie, was Sie thaten?« »Zur Hälfte.« »Sie störten –« »Einen halben Ernst, das ist möglich, gewiß, eine ganze Posse.« »Neulich vertraute ich Ihnen –« »Ein namenloses Liebesabenteuer zur Hälfte. Und wenn es dies war, gratulire ich Ihnen, wenn ich auch die andere Hälfte verdarb.« »Kennen Sie das Haus?« »Nein, weiß wahrhaftig nicht mal, welche Straße es war.« »Aber auf das Soubrettengesicht fiel grade ein Lichtschein aus dem Fenster drüben.« »Ein Soubrettengesicht! Eine majestätisch schöne Frau!« Bovillard lachte: »Ein durchtrieben Schelmengesichtchen, und hinter ihr guckte ein Bedientengesicht – für so was hab' ich Augen. So wahr der Wolkenstreif eben durch die Mondsichel geht, man wollte Sie foppen!« »Nein, Sie täuschen sich.« Ein sanfter aber fester Händedruck antwortete ihm: »Darin täusche ich mich nie. – Sie sind betrogen – von wem? Das ist gleichgültig – diesmal von denen da oben am Fenster –« Er hatte ihm das Bouquet aus der Hand genommen: »Fort mit dem Bettel! Wer weiß in welcher Hand er war!« Er schleuderte es über die Straße. Sie gingen schweigend neben einander. Was in der Brust des Offiziers arbeitete konnte nicht heraus. »Lasst die Motten ins Licht fliegen, es ist ihre Bestimmung. Sie, Dohleneck, sind zu gut dazu, zu arglos.« »Sie sollen darüber richten,« sprach der Rittmeister plötzlich stehen bleibend. »Grade Sie, Gott weiß woher, ich traue Ihnen, obgleich – verteufelter Gedanke, wenn man mich wieder in den April geschickt!« »Sie spielen Alle Komödie!« rief Bovillard in die Wolkenzüge am Himmel blickend. »Das ist ihre Bestimmung. Warum träufte die Natur diesen Reiz in unser Blut, diese Mottenlust in unser Hirn! Aber so wollen sie uns vielleicht! Daß unser Auge schwimmt, unser Mark weich wird, unsere Spannkraft erschlafft, das Hirn unfähig einen Gedanken festzuhalten, der Geist zittert vor dem Entschluß, der Arm vor dem Schlag. Diesen goldenen Semeleregen sehen sie mit stillem Vergnügen auf das Geschlecht rieseln, damit die Titanenenkel ausgehen sollen aus dem lebendigen Geschlecht. – Rittmeister!« rief er. »Soldat des Königs! Wenn die Welt in Brand steht, ist's dann Zeit wie Schmetterlinge um die Flammen wirbeln! Wollen Sie das Haus stürmen, auf einer Leiter durchs Fenster brechen. Mein Wort, da helfe ich Ihnen. Kommen Sie, fordern Sie Wahrheit! Wollen Sie ein schönes Weib entführen, das Sie genarrt, erzürnt hat, ich bin dabei. Gewalt, Gewalt! Das ist noch ein Wort, ein Sturmglockenlaut, der in den Himmel dröhnt. Wollen Sie? Auf der Stelle – nur nicht Seufzer, nur nicht Liebesblicke, kein Buhlen um Gunst, keine Küsse. Ja – ein Weib, was mich hasste, mit einem Fußtritte mich von sich stieße –« In dem Augenblick rasselte eine staubbedeckte Kalesche um die Ecke. Bei der raschen Wendung mochte das Hinterrad an einen Stein gestoßen sein, das Rad brach und der leichte Wagen stürzte um. Schon im nächsten Augenblick hatte der darin Sitzende mit einem Fluch sich aus dem Wagen gearbeitet. Der Fluch galt den Pferden, oder dem Kutscher, eine barsche Zurechtweisung den Beiden, welche zum Helfen hinzugesprungen waren. Auf ihre Frage, ob er keinen Schaden gelitten, antwortete der Mann, der seinen militärischen Mantel in die Kalesche zurückwarf und hastig nach einer Ledertasche griff: »Das wäre das Wenigste!« »Verfluchter Kerl, warum hier grade!« rief er sich umsehend dem Kutscher zu. »Es ist ja noch eine Viertelstunde bis zum –« er nannte den Namen eines Ministers. »Wenn es Ihnen darauf ankommt, führe ich Sie auf kürzerem Wege dahin,« sagte Bovillard. Es war ein Courier. Der Rittmeister, im Schein der Laterne, bei welchem der Reisende die Ledertasche besah, erkannte einen befreundeten jüngern Offizier. »Was bringen Sie in Ihrer Tasche, Schmilinsky?« »Brennend Feuer,« antwortete der Feldoffizier, indem er die Tasche wieder zuschloß. »Ja auf dem nächsten Weg, meine Herren, zum Minister.« Der wohlbeleibtere Kavallerieoffizier hatte Mühe, den Beiden nachzukommen. »Was brennt denn?« fragte Bovillard, als sie ihre Schritte mäßigten, um Athem zu schöpfen. »Ich habe keinen Grund,« sagte der Courier, »geheim zu halten was mir auf dem Fuße nachkommen muß. Ja, ich wundre mich, daß das Gerücht mir nicht voraufgeeilt ist, weil ein ähnlicher Unfall mich unterwegs aufhielt. Ich glaubte Berlin selbst in Aufruhr, und finde eine Kirchhofsruhe. Am Thor wusste man noch nichts.« »Was ist's?« »Die Franzosen sind eingebrochen.« »Wo?« fragte es mit einem Munde. »Wie ein Platzregen ins Anspach'sche – Bernadotte – mit neunzig Tausend Mann wenigstens wälzt er in Sturmmärschen durch – die Baiern hausen wie in Feindes Land –« »Krieg!« jauchzte der Rittmeister. »Und die preußischen Truppen?« »Was dastand machte Platz oder nicht, wie es kam. – Sie wissen nicht, vor Ordre und Contreordre, was zu thun –« Sie waren am Hotel angelangt, und rissen an der Schelle. Der Courier lehnte sich erschöpft am Pfeiler; »Er wird doch fester halten als der,« sagte er. »Meine Herren, wer das mit ansehen musste! – Sie spuckten auf unsre Grenzpfähle; ich sah einen umgerissen – aus purem Uebermuth –« »Wer?« rief der Rittmeister. »Franzosen oder Baiern, gleichviel. Der preußische Adler im Koth, die Tapfen ihrer schmutzigen Füße auf Friedrichs zerbrochenem Adler. Meine Herren, es war ein Stoß ins Herz für einen preußischen Militär.« »Das muß der Langmuth den Hals brechen!« jauchzte Bovillard und stürmte an der Hausglocke. Der Portier hatte endlich den Schieber des Seitenfensterchens geöffnet. »Ein Courier! Depeschen!« riefen drei Stimmen zugleich. »Excellenz haben sich bereits zur Ruhe verfügt.« »Der Sekretär! Aus dem Bureau, wer es sei.« »Alles schläft schon.« »In Teufels Namen so weckt sie!« schrie der Rittmeister. »Ich muß Excellenz persönlich sprechen, der Courier! Ein Courier aus dem Anspach'schen, Depeschen von äußerster Wichtigkeit.« »Nach zehn Uhr wird nichts angenommen. Morgen früh um acht Uhr. Wenn's sehr wichtig ist, können Sie schon um sieben klingeln.« Der Laden klappte, das Schiebefenster ging zu. »Was ist da zu thun?« »Zum Gouverneur!« »Er wird noch von der Schnepfenjagd nicht zurück sein,« entsann sich Dohleneck. – Es waren wohl Adjutanten und Offiziere da, aber sie waren für außerordentliche Fälle nicht instruirt. Es müsste doch wahr scheinlich ein Ministerkonseil berufen werden. Also rieth man einen andern Minister aufzusuchen, es werde doch einer wachen. Es wachte aber zufällig keiner. Hier wurden sie angeschrieen, dort höflich zur Ruhe vermahnt. Sie sollten wissen, daß Excellenz jeden Sonnabend zu transpiriren einnehmen. Dann werde Niemand, wer es auch sei, vorgelassen »Er spielt L'hombre! Man darf ihn nicht stören!« rief Bovillard und unterschlug die Arme. Sie waren vom letzten Hotel abgewiesen. »Was sehn Sie da, Bovillard?« »Nach dem neuen Kometen, den Herr Bode am großen Bären entdeckt hat. Der Mann hat sich doch ein großes Verdienst um den preußischen Staat erworben.« »Wenn Kometen auf Krieg deuten!« sagte Dohleneck. »Wohin? Wohin?« Bovillard stürzte ihnen vorauf. »Ich sehe Licht, Funken schlagen. Es gilt einen Sturm.« * * * Die Erscheinung, welche durch die Hintertreppe ins Arbeitszimmer des Geheimraths gedrungen, war sein Sohn. Es waren Jahre vergangen, seit Louis Bovillard seinen Fuß in diese Räume gesetzt. Die auf des Vaters Seite waren entflohen, die auf des Sohnes unten geblieben, oder sie hatten ihm die Sache übergeben und waren auch fortgegangen. Der Vater und der Sohn waren allein. Der Vater hatte sich wieder gewonnen. Wenn der erste Anblick ihn erschreckt, wenn er hinter den Tisch getreten, auf dem die Flaschen rollten, wenn er an der Glocke ziehen wollen, so war der wüste Traumeindruck so schnell vergangen, als er aufschoß. Dieser Sohn kam nicht mit der Pistole in der Brust; er floh nicht vor seinen Verfolgern, er war nicht eingedrungen, um des Vaters Beutel oder Schutz; aber wie wild auch das Auge rollte, wie starr und wüst das Haar um seine Stirn spielte, wie vernachlässigt sein Anzug, Louis kam auch nicht als verlorner Sohn, der die Träber gegessen, und zerknirscht vor des Vaters Füßen den Boden küssen will. Er blieb aufrecht an der Thür stehen: Ein verlorner Sohn hält auch kein Portefeuille in Händen. »Mein Vater! Vergessen Sie auf einen Augenblick Ihren Sohn, dem Sie diese Schwelle verboten. Sehn Sie nur den Sohn des Vaterlandes. Es gilt dessen Ehre, vielleicht sein Dasein.« Er hatte in kurzen abgestoßenen Sätzen erzählt, – was wir bereits wissen. »Und was geht es Dich an?« Louis trat um einen Schritt näher: »Das ist nicht Ihr Ernst, es kann nicht Ihr Ernst sein. Auch Ihr Auge blitzte auf, ich sah es. Vergessen Sie, daß Ihr Sohn Zeuge ist dieser Bewegung, die Ihnen keine Schande bringt. Herr Gott – Sie müssen –« Der Geheimrath war in Bewegung; es gelang ihm nicht ganz, sie zu verbergen. »Der Du nicht mein Sohn sein willst, Du weißt doch, daß ich nicht Minister bin, und die Depeschen sind nicht an mich.« Louis war noch um einen Schritt näher getreten, er hatte des Vaters Arm ergriffen, er sah ihn mit einem Blick an, den der Geheimrath nicht ertrug: »Wenn ihr Kind ins Wasser fiel, springt die Mutter nach, auch wenn sie nicht schwimmen kann. Der Naturtrieb ist's, sie kann nicht ohne das Kind leben; sie will mit ihm untergehen. Hier handelt sich's um Untergang; unser Vaterland geht an der Donau unter. Wie Gebirgsbäche nach einem Platzregen ein Thal überschwemmen, so stampfen des Feindes Hufen auf unserm eignen theuren vaterländischen Boden die Quellen auf. Aus unserem Blut, aus unseren Brüdern rekrutirt er sein Heer. Der Baier zieht mit ihm, wie der Schakal dem Löwen folgt, Baden ist längst gezwungen; in diesem Augenblick, der Courier bringt die Nachricht, schließt auch Würtemberg sich an; die Kleinern, die Größern, die Größten reißt er, er reißt alle mit sich. Nur wir glaubten uns von besserer Natur, zu groß, wir schrieben Friedrichs Namen mit Ellenbuchstaben an unsre Grenze. Da liegt die falsche Rechnung. Eine Tradition war's, ein Nebelschild, ein Dunstbild. Seine Sappeurs haben unseren Grenzpfahl niedergehauen, seine Kanonen rollen, seine Reiter sprengen darüber. Der schwarzweiße Pfahl liegt im Graben, der Adler zertreten, es giebt keine preußische Grenze mehr, es giebt kein Preußen mehr, wenn wir das ruhig hinnehmen.« »Wenn das Faktum sich als richtig ausweist, wird Preußen wegen des Grenzpfahls Satisfaktion verlangen. Dessen darf man sich versichern.« »Und der große Kaiser,« fiel Louis ein, »wird sie ihm gewähren, o gewiß eine glänzende Satisfaktion, wenn wir ruhig bleiben und uns nicht kümmern um was uns nichts angeht. Er wird uns auf seine Kosten einen neuen Pfahl aufstecken lassen. O es wird ihm eine Lust sein, uns Grenzen zu stecken. Wenn wir ihm nur Zeit lassen, unsere deutschen Brüder zu erdrücken und erwürgen, lässt er uns auch wohl zur Genugthuung die dummen Sappeure füsiliren, die's gethan. – Seine Bülletins werden uns cajoliren. O süße Harmonie der Geister, wenn das ganze Deutschland zertreten ist, Oesterreich ins Herz gestoßen, verblutet, wenn uns dann der große Kaiser belobt, wegen unserer weisen Mäßigung. – Nur jetzt fordern Sie nicht, mein Vater, jetzt hat er anders zu thun. Seine Kolonnen wälzen sich, schwarze Rauchsäulen, über das blühende Schwaben und Franken, er durchbricht die Donau, die Feuerschlünde und die Bajonette, die Roß und Mann, die es ihm nehmen sollten, er umzingelt Mack und den Erzherzog. Von Schwaben aus, von Franken, von den Alpen her, umgarnt, eisern umarmt schon, ist die österreich'sche Armee durch eine Uebermacht, gegen welche die Tapferkeit umsonst ist, wenn keine Hülfe erscheint. Ja bei Nördlingen oder Ulm ist's vielleicht schon in diesem Moment entschieden, und wir – wir sehen zu und schlafen.« Der Geheimrath hatte sich ganz wieder gewonnen. Du weißt, ich liebe nicht Exaltation, am wenigsten in Staatsangelegenheiten. Er hatte sich auf einen Stuhl niedergelassen und fuhr mit einem Tuch über seine Stirn: »Wer leugnet, daß unsre Lage kritisch ist. Sie ist sehr bedenklich; ich will ernsthaft mit Dir sprechen, weil ich aus Deinem Affekt heraus sehe, daß es Dir ernst ist. Es ist mir nicht unlieb, denn wer weiß, was noch kommt, wo Ernst noththut. Wir haben uns täuschen lassen, es ist sogar möglich, daß wir nicht zu rechter Zeit uns entschieden, uns nicht bei Zeiten wahre Alliirte verschafften. Es ist noch schlimmer, daß wenn wir es jetzt wollten, man uns nicht mehr traut. Ja ich fürchte, Napoleon grollt uns im Innern mehr als einem seiner Gegner. So ist's, mein Herr Sohn,« rief er aufstehend, »ja so ist es. Und weil es so ist, dürfen wir grade jetzt nicht anders handeln, als wir gehandelt. Sollen wir, wo das Schicksal von Europa auf der Messerschneide schwebt, mit einem Mal außer uns gerathen, uns selbst verlieren, und dem Theil, der auf dem Punkt steht, zu verlieren, uns in die Arme werfen! Wir gingen mit ihm unter.« »Wenigstens wäre es ein männliches Ende –« »Eines, das sich selbst verloren giebt. So weit sind wir noch nicht. Aber wir sind in einer Lage, wo man nicht vorsichtig genug sein kann, wo man behutsam jeden Schritt, jedes Wort, jeden Blick, den Hauch des Mundes abwägen muß. Unsere Politik ist, und kann, sie darf nicht anders sein, als hinzaudern, abwarten, wie draußen die Würfel fallen –« »Das ist Ihre Politik, Vater!« »Aller Vernünftigen. Sieh Dich um und höre die Stimmen in Berlin –« »Das Ihre vernünftigen Freunde demoralisirt haben. Die Krämer- und Schreiberseelen zittern freilich vor jedem Feuerhauch. Er könnte diese Stickluft in Brand stecken. Ihr Ich ist ihr Vaterland, die Kunden, die morgen ausbleiben, wenn die Kriegstrompete schmettert, sind ihre Brüder. Aber die Provinzen, das Land urtheilt anders. Auch hier –« »Giebt es Brauseköpfe, wie Du, Phantasten, Patrioten, leider sehr hohe und sehr gefährliche darunter, die das Schicksal des Staats auf eine Karte setzen möchten. Das Blut von Tausenden ist ihnen nichts, der Wohlstand und das häusliche Glück von Millionen, die Verwüstung und Vernichtung des Landes auf eine lange Zukunft hinaus, wenn sie nur ihrem Götzen Ehre opfern können. Der Krieg ist ihnen ein ritterliches Spiel, und um einzuhauen, um Lorbeeren zu ernten, als Sieger zurückzukehren –« »Genug, mein Vater,« sagte Louis Bouvillard und nahm das Portefeuille vom Tische. »Sie wollen nicht. Diese Depeschen sollen noch ruhen, wie des Königs Minister bis – es morgen zu spät ist.« »Halt! mein Sohn, was ist denn zu spät? Ich habe Alles zwischen uns vergessen und rede wie zu Einem, der mir gleich ist. Dieser Courier bringt uns nichts Neues. Verstehe mich wohl, wir sahen, was jetzt geschehen ist, seit Wochen voraus. Es konnte nicht anders kommen. Seit acht Tagen erwarteten wir jede Stunde, daß es geschehen wird. Wir waren darum nicht müßig. Der weise Vorschlag, daß unser Staat, was er nicht ändern konnte, freiwillig zugebe, die Erlaubniß des Durchmarsches für alle kriegführenden Mächte, scheiterte leider. Wir sannen auf Anderes. Ehe das Auskunftsmittel gefunden ward, ist das Uebel eingetreten–« »Das zum Himmel schreit« »Die Diplomatie hat Mittel, die Schreier stumm zu machen. Nur weil die Hitzigen hier das Oberwasser hatten, war die Ausgleichung verspätet. Wir haben noch nichts an unserer Ehre verloren, wenn Bernadotte's Einbruch von Napoleon als ein Mißverständniß desvouirt wird. An der Bereitwilligkeit dazu wird es ihm nicht fehlen, denn mit dem Siege an der Oberdonau hat er weder Oestreich noch Rußland vernichtet. Es kann ihm nicht gleichgültig sein, wenn Preußen mit seiner ganzen Kriegsmacht hinter den Verbündeten grollend ihm im Rücken steht. Ja, wir wissen, er wird Alles thun, dem bösen Schritt einen guten Schein zu geben. Laforest erwartet schon einen außerordentlichen Gesandten. Napoleon opfert auch Bernadotte, wenn es sein muß. Nur muß er wissen, daß wir bereit sind, auch die Hand zu reichen, um das Mißverständniß zu konstatiren. Siegen aber in diesem Augenblick bei uns die Feuerköpfe, so ist Alles verloren; und wenn im Schrecken der Nacht ein Ministerrath gehalten wird, wer weiß, ob ein Schlaftrunkener nicht die Fackel ins Pulverfaß wirft.« »Haben Sie mir noch mehr zu sagen, mein Vater?« »Dein Herzenswunsch ist es, und Dir verzeih ich's und den jungen Leuten und patriotischen Frauen, die keinen Blick in unsere Verhältnisse haben, und ob wir können, was wir wollen.« »Wenn der Eroberer schon mit Angst uns aufmarschirt in seinem Rücken erblickt!« »So wird er Kehrt machen, wenn er uns in die Zähne sieht, meinst Du!« – Der Geheimrath blickte sich um, wie wenn er einen Lauscher fürchtete. Mit gedämpfter Stimme sprach er: »Wir sind nicht gerüstet, da hast Du die Wahrheit, die man nicht aussprechen darf. Die Schulden der Rheincampagne sind noch nicht ganz gedeckt, die Mobilmachung nach der Weichsel hat ein neues Loch in den Schatz gefressen. Wir haben kein Geld, auf keine Subsidien zu rechnen, da wir mit England blank stehen, es sieht schlimm in unserer Kasse aus, daß Herr von Stein darauf dringt, Papiergeld zu machen. Wer wird das in Zahlung annehmen?« »Die Millionen, Vater, die unser Kriegswesen jährlich –« »Sind ausgegeben, um den Schein, den äußeren Anstrich von Friedrichs Heer zu erhalten. Polirt und frisch gestrichen ist Alles, aber das Holz morsch und faul. Die Schilderhäuser blinken und funkeln, in den Magazinen stockt es. Unsere Festungen sind verfallen, unsere Generale Greise, unser Fuhrwesen verödet, von unseren Truppen standen die Wenigsten im Feuer, unser Exercitium ist veraltet, und drüben steht ein Feind, flink wie der Wind, mit dem Genie, aus allem Stoff, den er findet, Soldaten zu machen, aus Pflastersteinen Kugeln, aus einem Lande, in dem wir verhungern würden, Vorräthe in Ueberfluß zu pressen, ein Feind, sage ich Dir, der alle unsere Schwächen kennt, und wir kennen sie nicht, und das ist das Schlimmste. Wir schaukeln uns im Uebermuth, wir schreien wie Kinder, die durch ein dunkel Zimmer müssen, um sich Muth zu machen, wir taumeln, wie Nachtwandler auf den Dächern, um, wenn man unsern Namen ruft, herabzustürzen. Das wissen wir , die Wenigen, die man schimpft und verlästert, mein Sohn, und darum ist unsere Politik, den Krieg vermeiden um jeden Preis.« »Um jeden!« rief der Sohn. »Mein Vater, auch um den Preis Ihres eigenen Rufes, die Ehre des Namens, den Ihre Väter trugen. Bedenken Sie, er gehört Ihnen nicht allein. Mir ist's nicht gleichgültig, wenn sie mit dem Finger auf meinen Vater weisen, wenn einst in der Geschichte auch sein Name unter denen genannt wird –« »Louis!« fiel der Geheimrath ihm ins Wort, »ich könnte Dir heut viel vergeben.« »Nicht wenn ich gleichgültig bliebe zu meines Vaters Schmach. Auf die Gefahr hin Ihres letzten Zorns, ich will, muß reden! Kennen Sie das Urtheil des Publikums? Ganz verhallt so was nicht, ganz lässt es sich nicht übertäuben in Späßen und in Lustigkeit. In einsamen Stunden, wenn Sie Nachts aufwachen, die Wanduhr tickt, der Wurm im Holze bohrt, der Wind gegen die Fenster klappt, schreit es Ihnen da nicht zu, was man von Ihnen und Ihren Freunden flüstert, lächelt. – Nein, man spricht, man schreit es laut auf dem Markt! – Man schilt Sie Verräther am Vaterlande. Mehr noch, man glaubt Sie gewonnen vom Feinde, bestochen. Für Napoleons Geld gäbe diese Verrätherklique dem Könige Rathschläge, die das Vaterland ins Verderben stürzen.« »Ich kenne unsere Feinde.« »Sie kennen sie; das ist mir lieb. Verachten Sie die giftigen Zungen, so wünsche ich es. Aber nicht durch stummes Achselzucken, nicht indem Sie die Hände vornehm in den Schooß legen. Dazu ist nicht mehr die Zeit. Sie können sie nur verachten durch helles, offnes Handeln. Hier ist ein Moment; hier gilt es rasch handeln. Was der Courier gebracht, ist kein Geheimniß; morgen weiß es Jeder, er weiß auch, daß er verschlossene Thore fand, daß die Minister schliefen, oder schlafen wollten. Der Lieutenant Schmilinsky, ein Soldat von rohem Schrot und Korn, nimmt kein Blatt vor den Mund, ja er speit schon Feuer und Flamme. Er weiß jetzt, daß seine Depeschen in Ihren Händen ruhen, daß es an Ihnen wäre, die Minister zusammen zu rufen. Geschieht es nicht, so fallen, mein Vater, die Verwünschungen, die Jene treffen, auf Ihr Haupt zuerst.« »Das hast Du gethan?« »Ich, und mit freiem Willen –« »Louis – Deinen Vater in eine Lage zu bringen, die –« »Ihm Gelegenheit verschafft, den Makel abzuwaschen. Ich freue mich, ich bin stolz darauf. – Zum Minister – befehlen Sie, daß der Kutscher anspannt – befehlen Sie, ich begleite Sie, befehlen Sie, was Sie wollen, ich bin zu Allem bereit. Nur keinen Augenblick gezaudert –« »Und nach alledem, was ich Dir – nur Dir – vertraute –« »Will ich meinen Vater rein sehen von der Anklage, wie von der Schuld.« – Er griff nach des Vaters Hand. – »Enterben Sie mich, aber das thun Sie mir zu Liebe. Beim allmächtigen Gott, ich glaube nicht, was der Argwohn spricht, nicht von Ihnen auch nicht von Andern – aber ich lechze, ich sehne mich nach Beweisen, nach einer schlagenden That, damit, was ich wünsche und glaube zur Ueberzeugung wird, damit ich stolz Jedem die Stirn weisen, damit ich ihm ins Gesicht schauen, und ihn einen Lügner strafen kann, der meinen Vater – schilt.« Der Geheimrath war in einer Aufregung, die sich nicht verbergen ließ, auf- und abgegangen. Jetzt plötzlich riß er an der Schelle. Er ergriff das Portefeuille, er drückte Louis' Hand: »Rufe den Courier, wir fahren zum Grafen.« 38. Kapitel. Gewitterschläge am schwülen Kimmel Achtunddreißigstes Kapitel. Gewitterschläge am schwülen Kimmel. Im Hause der Geheimräthin war es seit jenem glänzenden Abend still hergegangen; aber es war eine Stille, die von sich sprechen machte. Sie litt an Kongestionen des Blutes, Beklemmung des Herzens, und klagte über Visionen. Im Kreise der ihr liebsten Menschen sah sie oft andere Gesichter. Sie redete eine Person an, und meinte eine andere; aber sie betheuerte, sie wisse sich darüber genau Rechenschaft, wenn der Zustand vorüber. Es wären nur nervöse Affektionen, über die die Aerzte keine Auskunft geben könnten. Sie sprach bitter von den Doktoren, und wollte nicht mehr von ihnen behandelt sein. Die Gevatterinnen urtheilten verschieden über ihren Zustand. Sollte auch die Lupinus sich der Schwärmerei, dem Mysticismus, in die Arme geworfen haben, sie, auf deren Tisch man immer Moses Mendelssohn aufgeschlagen fand! Zwar etwas clairvoyant war sie schon in letzter Zeit gewesen, aber nicht mehr, als die Mehrzahl der zarter gebildeten Frauen es dazumal waren, oder sein zu müssen glaubten. Es waren bei ihr nur momentane Wallungen, und sie deutete dieselben nur für das Aufblitzen unbewusster Naturkräfte. Sie wollte keine Geisterseherin sein und erklärte sich gegen den Aberglauben. Aber die Zungen waren fertig, über sie zu richten, und es giebt in einer großen Stadt böse Zungen. Wir übergehen das, was die Boshaften sich zuzischelten: es sei nur Aerger, weil ihre Gesellschaften nicht die Anziehungskraft geübt, die sie gewünscht, und die Exklusiven sich zur russischen Fürstin zögen, weil Prinz Louis durchaus nicht kommen wollen, und es möchte wohl einen besonderen Grund gehabt haben, warum sie den Prinzen so gern an sich gezogen. Worauf Andere hinzusetzten, der Prinz müsse auch wohl einen besonderen Grund haben, warum er nicht gekommen. Wir heben lieber heraus, was die mild Gesinnten zur Erklärung vorbrachten: sie sei zu fein, und weil ihr alles Rohe widerstrebe, wirke es afficirend, gewissermaßen revolutionirend in dem zarten Körper. Andere: sie, die für einen kranken, wunderlichen Mann zu sorgen, habe nun noch die Last für die Erziehung einer Pflegetochter aufgeladen. Was koste das nicht! Und ob es denn auch recht anerkannt würde! Demoiselle Adelheid sei wohl gut und schön, aber sie habe ein eigensinniges Köpfchen. Habe sie es nicht durchgesetzt gegen Aller Willen, daß sie mit ihrem Lehrer halb verlobt sei, einem jungen Menschen, der nichts hat und alle vernünftigen Aussichten von sich stößt. Nicht ihre Eltern hätten es gewünscht, die jetzt auch höher hinaus dächten, noch der Vater des jungen Mannes, der geradezu erklärt, er werde nie solche Schwiegertochter in sein Haus lassen. Um zu einer solchen Partie ihr zu verhelfen, hätte Madame Lupinus das schöne Mädchen auch nicht in ihres genommen, und nun sei doch ihre Lage gewiß nicht beneidenswerth: eine Pflegetochter hüten, an die keine Blutsbande sie fesselten, zu einer Verbindung das Auge zudrücken, die sie ungern sähe, und noch dazu die Verantwortung gegen die Eltern des Mädchens und gegen den alten van Asten, von dem sie noch obenein einen unhöflichen Brief in die Tasche stecken müssen. Könne das nicht ein edelgesinntes Gemüth herunterbringen! – In gewissen Kreisen sprach man von einem intimen Verhältniß der Geheimräthin mit dem Legationsrath. Der Legationsrath behielt bei den Anspielungen seine vollkommene Ruhe, und rühmte die Bildung und den eminenten Scharfblick der geistreichen Frau. Ein Liebender bewundert nicht mit der klaren Ruhe des Verstandes eine Geliebte. Die Gevatterinnen wussten, daß er nur seltene Besuche machte, immer in der allgemeinen Besuchsstunde, sie wussten von der Dienerschaft, daß er sich stets in den Formen des feinsten Anstandes bewege. Ihre Gespräche flogen in höhere Regionen der Wissenschaft, oder betrafen Geschäfte. Die Lupinus besorgte selbst ihre Geldangelegenheiten, und Wandel hatte ihr gute Hypotheken nachgewiesen und die Pfandbriefe, die er für die sichersten hielt, anempfohlen. Er war ein Freund des Geheimrathes, den dieser oft stundenlang in seinem Studirzimmer festhielt. Wandel war ein lebendiges Lexikon für alle Ausgaben des Horaz. Und wie theilnehmend hatte er sich bei dem letzten Unglücksfall, der das Haus betraf, benommen, wenn man den Todesfall des alten Bedienten so nennen kann. Wie lange war man darauf vorbereitet gewesen, obgleich Geheimrath Mucius gesagt, er könne sich noch zehn Jahre quälen. »Wie recht hatte Ihre Frau Gemahlin,« hatte er zum Geheimrath gesagt, »die immer besorgte, daß er an einem akuten Anfall Ihnen unter den Händen sterben werde. Und mit welchem Takt sie die Charlatanerie der Aerzte erkannt!« Als man Johann an einem Morgen todt neben seinem Bette gefunden, und alle Hausgenossen in die Kammer stürzten, war die Lupinus nur bis über die Schwelle gekommen. Hier ging ihr der Athem aus, die Kräfte versagten, und sie war in die Knie gesunken. Ihr Gatte und der Legationsrath mussten die Ohnmächtige aufheben. Wie liebevoll hatte er ihr da Worte des Trostes zugesprochen. Die Dienerschaft zerfloß in Thränen: »Warum erschrecken, meine Freundin, über Etwas, das nur eine Wohlthat des Himmels ist, für den armen Dulder, für uns Alle, die wir seine Leiden sehend mit ihm litten! Preisen wir vielmehr die Hand, die dies gethan. Sein Wille geschehe, der es gut, schnell und kurz gemacht!« Gestärkt durch seinen Zuspruch, hatte sie nachher an der Leiche gestanden, ihre Züge beobachtend. »So ist es recht,« hatte er gesagt: »dem was wir als gut erkannt, fest ins Auge gesehen! Wem helfen Thränen, wem weichliches Gefühl des Mitleids! Indem wir das eine Nothwendige erkannt, stärken wir unsere Nerven, um der Nothwendigkeit auch weiter ins Auge zu blicken, und wir mögen endlich den Sinn des alten Kirchenliedes erfassen: Tod, wo sind nun deine Schrecken!« Sie war gestärkt worden. Sie hatte selbst am Beerdigungstage die Leiche mit frischen Blumen geschmückt. Die Dienerschaft, die Nachbarschaft waren davon gerührt, und das Lob der Geheimräthin war unter den gemeinen Leuten weit verbreitet. Im Hause der Geheimräthin war es sehr still hergegangen, sagten wir, heut aber in der Mittagsstunde eines frischen Oktobertages drängten sich die Besuche. Die Regimenter von Larisch und Winning, von der Weichsel zurückberufen, marschirten durch Berlin nach ihrem neuen Bestimmungsort, der fränkischen Grenze. Die Straßen waren belebt, die Fenster besetzt. Der Durchzug erfolgte unregelmäßig, bataillonsweise; die Truppen, in Eilmärschen aus Polen herangezogen, hatten in ihren letzten Nachtquartieren keine Zeit gehabt, sich zu einem Paradezug zu ajustiren. Während Monturen, Gesichter, Haltung von den Strapazen der angestrengten Märsche sprachen, wirbelten aber die Trommeln und die Trompeten schmetterten Lustigkeit in die klare Herbstluft; der Jubel der Zuschauer überbot sie noch. Aus den Fenstern schwenkte man Tücher, auf der Straße drückte man den Soldaten die Hand; man reichte ihnen zu trinken, und während die Schnapsflaschen und die Semmelkörbe umhergingen, schickten patriotische Hausfrauen große Bunzlauer Kaffeekannen und Tassen hinunter. In der Küche der Geheimräthin brodelte ein Waschkessel, Adelheid hatte für den Soldatenkaffee und für die Chokolade der Gäste zu sorgen. Diese standen in zerstreuten Gruppen an den Fenstern. Es gehörten nicht Alle zu einander. Walter van Asten las aus einer fremden Zeitung einigen um ihn Stehenden einen Artikel vor: ›Dem Vernehmen nach hat der Herr Staatsminister von Hardenberg dem französischen Gesandten, Herrn Laforest, die Antwort ertheilt: Sein König wisse nicht, worüber er sich mehr zu verwundern habe, über die Gewaltthat des französischen Heeres, oder über die unbegreiflichen Entschuldigungsgründe dafür. Wie habe man Preußens aufopfernde Redlichkeit vergolten, das Opfer gebracht, die seinen theuersten Pflichten nachtheilig werden könnten. So könne man denn doch keine andern Absichten des Kaisers Napoleon annehmen, als daß derselbe Ursachen gehabt, die zwischen ihm und der Krone Preußen bestehenden Verpflichtungen für werthlos zu halten, und achte darum Seine Majestät der König sich selbst aller früheren Obliegenheiten entbunden. Frieden wolle Preußen auch noch jetzt, halte sich aber nun verpflichtet, seinem Heere die Stellung zu geben, welche zur Vertheidigung des Staates unerlässlich sei.‹ »Ja, es werden drei Heere gebildet, wie ich aus sicherer Quelle weiß,« bemerkte Jemand. Ein Anderer setzte hinzu: »Und es bleibt nicht bei der Rückberufung unserer Weichselarmee, sondern wir haben auch den Russen den Durchzug durch Schlesien geöffnet.« Der Kriegsrath Alltag flüsterte seinem Nachbar ins Ohr: »Die Donschen Kosacken sind schon in Breslau angemeldet.« Auch die Fürstin Gargazin hatte das Haus mit ihrem Besuch gewürdigt. Sie lächelte, zum Rath Fuchsius sich abwendend: »Mir will die Vorstellung einer Komödie noch nicht aus dem Sinn.« »In einer Stadt, wo das Theater eine so große Rolle spielt,« entgegnete der Rath, »ist dieser Gedanke sehr natürlich.« »Es wäre doch grausam,« fuhr die Fürstin fort, »wenn man mit den armen Menschen wieder nur Kämmerchen vermiethen spielte. Vom Rhein nach der Weichsel, und von der Weichsel nach dem Main!« »Das könnte das beste Heer demoralisiren,« äußerten Mehrere. »Aus welcher Zeitung ist der Artikel, Herr van Asten?« fragte die Lupinus. »Aus dem Hamburger unparteiischen Korrespondenten, der heut Morgen ankam.« »Warum müssen wir das nun aus einem fremden Blatt erfahren! Ueber etwas, das uns so nahe angeht, lesen wir kein Wort in unsern Zeitungen.« »Dann ist's auch vielleicht nicht wahr,« lächelte die Fürstin mit einem besonderen Blick auf den Regierungsrath. Es mochten mehrere den Blick verstehen. Fuchsius besorgte für die Hamburger Zeitung Regierungsartikel. »Die erlauchte Fürstin,« entgegnete Fuchsius, »weiß, daß gewisse Regierungen schüchternen Jungfrauen gleichen, die in ihrer Gegenwart keine Schmeicheleien vertragen, hinter ihrem Rücken hören sie sich recht gern gelobt.« »Ich kenne auch Regierungen,« setzte die Gargazin darauf, »die erschrecken, wenn man ihre Gedanken ausspricht, besonders, wenn sie gar keine haben.« Der Kriegsrath Alltag wandte sich mit einem innern Schaudern ab. Er hatte nicht geglaubt, daß vornehme Personen so respektlos von der Regierung sprechen könnten. Die Gruppe löste sich auf, als die Janitscharenmusik das Anrücken eines neuen Bataillons verkündete. Adelheid streifte mit dem Präsentirbrett an Walter vorbei »Ein bischen zuvorkommender gegen meinen Vater! Auch mit Mutter könnten Sie mehr sprechen.« Der Jubel am Fenster und auf der Straße ersparte ihm die Antwort. Am lautesten ward es in dem kleinen Nebenzimmer. Eine weibliche durchdringende Stimme ließ sich vernehmen: »Nein, sag ich doch, so vieles Volk, und alle zum Todtschießen! 's ist grausam! – Sieh mal Fritz, wie sie blitzen! die Spontons! Da der mit dem rothen Federbusch! – Malwine, willst Du Dich nicht so 'rüber legen! – Was man mit den Kindern Noth hat. Und da das blutjunge Gesicht – ach du liebe Seele, der hinkt, hat sich die Füße durchgelaufen. – Was 'ne unsterbliche Menschenseele nicht ertragen muß! – Und staubig, Alle wie gepudert! – Liebechen,« rief sie hinunter, – »sehn Sie, Dem da schenken Sie 'ne Tasse Kaffee! Er friert so, und ein so hübscher Mensch. – Sieht sie's wieder nicht, die Lisette! – Nu ist er fort! – Na, 's wird wohl noch andere mitleidige Seelen geben. – Was so ein Tornister drücken muß! – Fritz, wenn Du auch solche grausame Flinte auf dem Buckel tragen müsstest. – Nu paß Acht, nu kommt der Tambour. Hurrje, hurrje! hörst Du, wie er schlägt!« »Will auch Trommler werden,« sagte der Junge. »Nein, Fritzchen, da wirst Du todtgeschossen. Das ist nur für ordinaire Leute. Guter Leute Kinder, die sind zu was anderem da.« »Will Trommler werden!« wiederholte der Trotzkopf. »Papa hat's gesagt.« »Ja, wenn Du ein Taugenichts wirst, dann wirst Du unter die Soldaten gesteckt.« Das Fritzchen schrie und stampfte auf die Erde. »Du Olle, Du sollst mir's nicht verbieten, Du hast mir nichts zu verbieten.« »Range Du! Untersteh' Dich und kneif' noch mal. Wenn wir nicht bei hübschen Leuten wären, kriegtest Du eins hinter die Ohren, daß Du Dich wundern sollst.« Die Geheimräthin war unbemerkt Zeugin des Auftritts gewesen. Sie brachte den Kindern Bretzeln und fragte: ob sie schon Chokolade bekommen. »Ach du mein Gott, die gestrenge Frau sind auch gar zu gütig gegen die Kleinen!« rief Charlotte, die sich umgedreht. »Daß wir Ihnen auch so viel Inkommodität verursachen! Aber Kinder sind nun mal Kinder, und wer weiß, ob sie so was mal wiedersehen, sagte meine Cousine, die Frau Hoflackir. Ja sie gehen alle in den Tod.« »Giebt es einen schönern als fürs Vaterland!« sprach die Geheimräthin mit Erhebung. »Das sagte mein Wachtmeister auch, Frau Geheimräthin, aber, nehmen Sie mir's nicht übel, Tod ist doch Tod. Und eingebuddelt werden sie, ohne Sang und Klang, ohne Leichenhemd und ohne Sarg, wo sie stehen und liegen. Und der Fritz will absolut Soldat werden. Ist ein rabbiater Junge. Und mein guter Geheimrath, der die Güte selbst ist, Sie glauben gar nicht, wie er ihm schon auf der Nase spielt. Kinder sind Gottes Segen, o gewiß, aber sie können auch Gottes Fluch werden, wenn sie ausschlagen.« Die Geheimräthin streichelte die Köpfe der Kleinen: »Geht, liebe Kinder, in die andere Stube und lasst Euch Chokolade geben.« Warum erschrak Charlotte heute nicht vor der Butterbretzel, welche die Frau mit den spitzen Fingern den Kleinen gab; warum kamen ihr diese Finger heut nicht spitz vor, als sie über die blonden Haare der Kleinen strich. Charlotte war auch jetzt in innerer Bewegung, aber es war eine andere, als sie plötzlich in Thränen ausbrechend den Saum des Kleides der Geheimräthin erfasste und es an die Lippen drückte: »Ach, Frau Geheimräthin, das müssen Sie mir schon erlauben. Es war doch zu schön. So einen ordinären Dienstboten unter die Erde zu bringen, und seine eigne Herrschaft! Das wird Ihnen Gott lohnen. Darüber ist auch nur eine Stimme in der Stadt. Und meine Cousine, die Frau Hoflackir, sagt, solch einen Sarg und von so schönem fettem Eichenholz, hat sie nicht gesehen, als ihr Mann seine Alte begrub, und das war ihr Glück, und ihr Mann versteht's; wenn der den Beutel aufthut, dann hält er nicht den Finger drauf. Aber der Silberbeschlag! Nein, Frau Geheimräthin, das ist es gar nicht. Was ist Silber? Unter der Erde rostet's, wir rosten Alle. Aber die Blumen, nein du mein Himmel Jesus nein. Wie ein Purpurri 'rüber geschüttet, wie ich da in den Hausflur trat, es knickte mir in die Knie, und ich wollt's nicht glauben, und die Menschheit! Vom Gensd'armenmarkt, vom Fürstenhause her, die Polizei konnte gar nicht durch, daß die Leichenträger nur Platz hatten. Und da war doch nur eine Empfindung.« »Er war ein treuer Diener, und wir sind alle Menschen.« »Aber doch mit Unterschied, Frau Geheimräthin. Und den Kranz von weißen Rosen, den Sie auf seine Todtenlocke gedrückt, und sein bleiches Antlitz! Er war mein Cousin, schluchzte ich, und meine Cousine, die Frau Hoflackir, sprach: Ja das Leben ist doch schön! Nein, Frau Geheimräthin, und wenn Sie mich eine schlechte Person nennen, Sie haben ihn sterben lassen, daß Mancher sagen möchte, so möchte ich auch sterben.« Wenn eine Emotion sich in dem halb geschlossenen Auge der Geheimräthin kund geben wollte, so bemerkte es Niemand, Charlotte am wenigsten, denn helle Trompetenstöße lockten jetzt aufs Neue und unwiderstehlich an die Fenster. Jeder stürzte dahin, wo er Platz fand; Charlotte hatte einen, der ihr wohl nicht zukam, eingenommen, Arm in Arm mit der Baronin Eitelbach. Keine sah die Andere, keine gab auf die andere Acht. »Ach da reitet er!« rief Charlotte, den Blick auf eine Schwadron der Gensd'armen gerichtet, die um die Ecke schwenkte. Sie gab den durchmarschirenden Dragonern nur das Geleit. »Ach da reitet er!« tobte es in einer Brust neben ihr, ohne daß die Lippen sich bewegten. »Nein! wie viel schöner sehen doch unsre aus, als die Dragoner!« Wunderbare Sympathie! Dasselbe dachte die Baronin. »Wem gilt dieser Jubel?« fragte am andern Fenster die Fürstin. »Den neuen Uniformen, Erlaucht,« flüsterte Jemand hinter ihr. »Die bleiben in Berlin?« »Es wäre schade, sie dem Herbstwetter auszusetzen.« »Aber die armen maroden Truppen, die ins Feld müssen, werden es übel nehmen.« »Erlaucht! Das Futter fürs Pulver darf nichts übel nehmen.« Plötzlich stieß Charlotte die Nachbarin in ihrer heftigen Bewegung fast zurück: »Er streicht sich den Bart; das gilt mir: ja, ja, ich seh's,« und damit er's wieder sähe, bog sie sich hinaus. Malwine und Fritz waren dafür gestoßen worden. Es war nicht nöthig, daß sie das Umschlagetuch sich abgerissen, der Wachtmeister ritt schon unter dem Fenster, und warf ihr Kusshände zu. Und wie keck schmunzelnd er wieder den Bart strich! Die Baronin sah auch etwas, aber – sie ward blaß. Er strich nicht den Bart, nein; aber als er hinaufgeblickt, ihre Augen ihn getroffen, wandte er plötzlich den Kopf. Er setzte die Sporen ein und war zur Generalität geflogen. Sie sah ihn im Gedränge nicht wieder. »Ist Ihnen unpässlich, meine Gnädige?« fragte der Legationsrath, der, jetzt erst eingetreten, die Dame nach einem Stuhl führte. »Es wird bald vorüber gehen.« »So ist es recht. Weinen Sie sich aus. Verhaltener Kummer ist für Seele und Leib gefährlich.« Die Eitelbach hatte Zeit sich auszuweinen; bis auf die Kinder, welche die Einladung an den Chokoladentisch nicht umsonst vernommen, war kein lebendes Auge im Zimmer. Alle auf das Schauspiel draußen gerichtet. Prinz Louis selbst ritt vorüber, der Jubel hatte seinen Gipfelpunkt erreicht, und brach doch immer wieder von neuem aus. Tücher, Hüte, Mützen flogen. Es wollte nicht enden. »Der Krieg ist ja noch nicht erklärt,« flüsterte der Legationsrath; »die Garde bleibt jedenfalls noch in Berlin, wenn Ihr empfindsames Herz vielleicht für einen dieser tapfern Krieger Besorgniß hegt.« Die Baronin sprach es nur für sich: »Er sieht mich ja nicht an.« Sie bereute schon den Selbstverrath, als ihr Blick auf das verwunderte Gesicht des Legationsrathes fiel. Er rückte einen Stuhl heran. »Theuerste Frau,« hub er nach einer Pause an, »erlauben Sie ein Wort des Vertrauens. Sie waren so gütig, mir jüngsthin Ihres zu schenken, und es ruht in dieser Brust, wie in einem Grabe.« »Sie wissen ja Alles.« »Ich hielt es für längst vorüber; das Spiel des Windes auf einem Aehrenfelde.« »O es wird auch wohl so sein. Sie werden recht haben, ganz recht,« brach es aus der bewegten Brust. »Aber er verfolgte mich ja letzthin so auffällig.« »Besitzen Sie einen Brief von ihm? – sprach er Sie an?« »Nein – aber – es war ja ganz klar – die Fürstin Gargazin –« »Können Sie der auch ganz trauen? –« Der Legationsrath sah sich vorsichtig um. »Sie ist eine seelensgute Frau. Schon vor acht Tagen versicherte sie mich, ich möchte mich vorbereiten, er könne sich gar nicht mehr halten. Sie hat ihn neulich bei sich in ihr Kabinet zurückgedrückt, er wäre im Stande gewesen, in ihrer Gegenwart mir zu Füßen zu stürzen.« Der Legationsrath sah ernst vor sich hin und schüttelte den Kopf: »Das glaube ich doch nicht –« »Als wir von der Waldow kamen, öffnete er mir den Wagenschlag. Ei, wie komm ich zu der Ehre, sagte ich.« »Und er –« »Er hatte schon, ganz träumerisch, einen Fuß auf dem Tritt, als mein Mann dazu kam und ihn einlud mitzufahren –« »Worüber er zur Besinnung kam, das ist freilich sehr begreiflich.« »Sahen Sie, wie er jetzt fortsah, als er mich erblickte?« Er fasste sanft ihre Hand: »Einem Kavalier muß der Ruf seiner Geliebten über Alles gehen. Was der Rasende im verschlossenen Kabinet der Fürstin vielleicht gewagt hätte, wird er doch nicht vor tausend Augen sich unterstehen. Nein, da beruhigen Sie sich – und wenn er es gethan, so hätte ich ein Wort mit ihm reden wollen. Eine Bitte! Thun Sie sich Gewalt an. Verbergen Sie diese Gefühle. Sie sind zu schön und rein, die Welt ist Ihrer nicht werth. Möglich, das gebe ich zu, möglich, daß auch er Ihrer nicht werth ist. Aber erscheinen Sie dafür desto größer, und wenn er treu ist, bewahren Sie ihm das Vertrauen, ist er es nicht, sich die Größe, über ihren Schmerz erhaben zu sein. Meine Freundin,« sagte er aufstehend und drückte ihre Hand an seine Brust, »das Vergängliche gehört der Zeit, was aber in die Aeonen hinausragt, das ist das heilige Bewusstsein einer schönen Seele. Sie werden mich verstehen.« Ganz verstand sie ihn nicht, aber es war gut, daß sie ihn nicht fragte, denn die Gesellschaft war wieder im Zimmer. Nur der Major schien am Eckfenster noch draußen: »Das Friedrichs Heer!« »Gerade in diesen Regimentern ist nichts geändert,« sagte Fuchsius. »Jeder hat allerdings noch seine drei gepuderten Locken.« »Sie marschirten doch vortrefflich –« »Geknickte Glieder eines Riesenkörpers, die nicht mehr in einander klingen. Mein Freund, zuweilen will's doch auch mich beschleichen, als wäre es am gescheitesten, zur Friedenspartei überzugehen.« Der Legationsrath wurde mit Fragen, was er Neues bringe, überstürmt. »Duroc ist abgereist.« »Wirklich! Endlich!« rief es. »Mit einer Kriegserklärung?« »Man hat ihm nur zu verstehen gegeben, daß man unter den obwaltenden Umständen das Freundschaftsbündniß als gelöst vielleicht zu betrachten genöthigt sein dürfte.« »Und hat Laforest Pässe erhalten?« »So unhöflich ist man nicht gewesen« Die Fürstin lächelte: »Er denkt übermorgen eine Matinée zu geben.« »Dies unterbleibt doch vielleicht,« sagte Wandel, »wenn Erlaucht mir erlaubt, das Gerücht mitzutheilen, was ich von der Börse bringe. Seine Majestät Kaiser Alexander wird hier erwartet. Der Oesterreichische Erzherzog Anton ist schon auf dem Wege nach Berlin.« Die Nachricht überraschte. Auch der Regierungsrath war frappirt: »Dieser Mensch weiß Alles.« »Wenn wir nicht wollen,« sagte Eisenhauch, die Lippen zusammen beißend, »so zwingen uns Andere zum Ernst.« Man beobachtete die Fürstin, um auf ihrem Gesicht die Bestätigung zu lesen. Man konnte nichts lesen; sie war mit Adelheid beschäftigt, der sie heut ihre ganze Aufmerksamkeit zu widmen schien. »Herr von Wandel, Ihre Neuigkeiten sind noch nicht zu Ende?« Er war gefällig, und gab eine Liste von Avancements und Verfügungen zum Besten: »Auch hat Herr von Bovillard mit seinem Sohne sich ausgesöhnt. Er will ihn wieder für den Staatsdienst gewinnen. Einstweilen hat der junge Bovillard Courierstiefeln anziehen müssen. Er ist fortgeschickt.« »Da wird doch wenigstens ein Platz in den Gefängnissen frei,« sagte die Geheimräthin mit Bitterkeit und ihr Blick fiel auf Adelheid. »Ob zufällig, oder ob sie eine Veränderung auf ihrem Gesicht bemerkte?« »Meine holde Adelheid erschrak,« sagte die Fürstin, »bei Ihrer Nachricht von der Ankunft unseres Kaisers, Herr von Wandel. Sie stellt sich unter einem Kaiser aller Reussen einen orientalischen Despoten vor, einen Großmogul, vor dem Alles in Ehrfurcht auf den Boden stürzen muß. Ihr Lehrer wird ihr sagen, ein wie liebenswürdiger Kavalier Kaiser Alexander ist. Auch ein Welteroberer, aber – durch Huld und Güte gewinnt er die Herzen. – Doch mich dünkt, unser Neuigkeitsbote hat seinen Sack noch nicht ausgeschüttet. Was sagt die Falte auf ihrer Stirn?« Der Legationsrath zuckte die Achseln: »Ich weiß nicht, ob ich die frohe Stimmung hier stören darf.« Eine Aufforderung zum Reden dringt. »Die Oesterreicher sind total geschlagen, Mack mit 6000 Mann gefangen, es existirt keine österreichische Armee an der Donau mehr. Der Courier kamschon heut Morgen an. Man hielt die Nachricht zurück, um den Jubel beim Durchmarsch der Truppen nicht zu dämpfen.« Eine stumme Pause folgte. Die Janitscharenmusik eines neu vorüberziehenden Bataillons bildete dazu einen üblen Kontrast. »Adieu Deutschland!« seufzte Fuchsius. »Viktoria!« rief der Major. »Das geht ans Leder. Die Haut lässt man sich nicht ruhig abziehen.« Die Fürstin warf einen ihrer himmlischen Blicke an den Plafond: »So musste es kommen, und es muß noch mehr kommen. Meine Herren, ich halte es für eine frohe Botschaft. Ja, der Mann ist groß, denn ein Größerer hat ihn gewürdigt, seine Geißel zu sein. Es soll noch mehr Blut fließen, um die Welt zu reinigen, und wir haben kein Maß für die Ströme, die da rauschen werden über die Länder.« »Ach du mein Gott, das ist ja schrecklich!« rief die Kriegsräthin erblassend. Adelheid war zugesprungen, und umfasste die Mutter, die auf einen Stuhl gesunken war. »Warum schrecklich,« sagte die Fürstin mit Holdseligkeit, »wenn es Sein Wille ist! Er, der die Haare auf unserm Kopfe gezählt hat, weiß auch, wen er opfern, wen er retten will. Und über seinen Erwählten schweben seine Engel. Einen weißen leuchtenden Fittich seh ich gebreit über dieses Kindes Haupt!« sprach sie und legte wie segnend ihren Arm auf Adelheids Locken. Die von solcher Huld gerührte Kriegsräthin wollte aufstehen. Die Fürstin drückte sie sanft zurück: »Glückliche Mutter, auf deren Kindes Stirn die Worte des Dichters stehen: Und was kein Verstand der Verständigen sieht, Das schaut in Einfalt ein kindlich Gemüth!« »Die Königin hat sich neulich sehr angelegentlich nach Ihrer Tochter erkundigt. Sie wünscht sie einmal zu sehen;« flüsterte die Fürstin im Fortgehen mit holdseliger Herablassung zur Mutter. Sie glaubte in die Erde versinken zu müssen. Die Harmonie der Gesellschaft, wenn man die Stille so nennen kann, die vom Eindruck der Nachricht hier noch herrschte, ward durch häßliche Kinderstimmen in der Nebenstube unterbrochen, und als Charlotte plötzlich in ein heulendes Geschrei ausbrach, stürzte die Gesellschaft dahin. Der Rath und der Major, die nicht für Familienangelegenheiten gestimmt waren, ergriffen die Gelegenheit sich zu entfernen. Auf der Treppe sagte Fuchsius: »Der Frömmigkeit der Gargazin wäre es genehm, wenn ganz Deutschland in Brand und Flammen aufginge.« »Damit Rußland es erlösen kann!« setzte der Major hinzu. »Es fragt sich da eben nur, wo die Scylla und wo die Charybdis ist.« Das Familienereigniß, welches den Aufstand verursachte, war auch für die näher Angehörigen kein eben interessantes. Die Lupinus'schen Kinder, bei der Aufmerksamkeit, welche Prinz Louis und die Retter verursachten, sich selbst überlassen, waren über die Reste des Chocoladentisches hergefallen. Knabe und Mädchen hatten um die Wette »gestopft«, um die Zeit zu nutzen, wo man sie nicht beobachtete, und Fritz es angemessen gefunden, auf die Chololade und das viele Zuckergebäck einige Gläser süßen Weines zu gießen. Mit der Schilderung der Wirkungen, die sich hier zeigten, verschonen wir unsere Leser. Charlottens Aufschrei galt dem traurigen Anblick, den Malwine verursachte, die leichenblaß mit blauen Lippen, gläsernen Augen und krampfhaften Bewegungen auf dem Stuhle lag. Fritz saß, als die andern eintraten, noch wie ein Kobold auf dem Tisch, und machte den Versuch, mit grinsendem Gesichte aus der Flasche, die er in der Hand hielt, das Glas in der andern zu füllen, was ihm aber nicht gelingen wollte. Der süße Wein floß auf die Dielen. Was noch darauf erfolgte, überlassen wir der Phantasie des Lesers; aber der Knabe schlug, als er schon Kopf über vom Tische gefallen war, noch mit der Flasche, die er krampfhaft in der Hand hielt, um sich. Zwar verwundete er keinen der Andern, die herbeigesprungen waren, aber, indem die Flasche in Scherben zerschlug, sich selbst an den Schläfen. Charlotte schrie wie besessen: »Sie stirbt!« Den Kindern sei's angethan! Andere: »Ein Doktor! Schnell einen Doktor!« Nur die Geheimräthin hatte ihre Besinnung behalten: »Was wird es sein! Die Kinder haben sich den Magen überladen. Irgend ein Hausmittel, Legationsrath.« Die kurze Zwischenzeit, wo Walter und Adelheid zugleich hinausgestürzt waren, um nach einem Arzt zu schicken, und die noch Anwesenden Miene machten sich zu entfernen, füllte Charlotte mit ihren Lamentationen, bis die Geheimräthin ihr ins Wort fiel; sie meinte, hier sei nichts weiter zu beklagen als ein Ungeschick, ein trauriger Zufall oder die vernachlässigte Erziehnug der Kinder. Das Glück wollte, daß ein Regimentsarzt schon vor dem Hause angetroffen ward, und auch der Vater der Kinder vom abgeschickten Boten bereits auf dem Herwege gefunden und benachrichtigt war. Der Chirurg erklärte beider Zustand für gefährlicher als die Geheimräthin gedacht; Malwine, deren Natur sich nicht selbst geholfen, bedürfe eines Blutlasses; aber er musste die herangeholte Lanzette noch sinken lassen, weil die Wunde an der Schläfe des Knaben so nahe an die Arterie streifte, daß, wenn er nicht rasch hier mit einem Verbande zu Hülfe komme, eine Verblutung zu besorgen stand. Wir wissen wirklich nicht, ob es, nachdem dieser Verband erfolgt, noch nöthig ward, auch das Blut des kleinen Mädchens zu fordern, denn die Kinder wurden in eine Nebenstube geschafft, und der Legationsrath, der hülfreiche Hand dabei geleistet, erklärte, als er zurückkam, er hoffe, daß andere Mittel ausreichen würden. Aber um noch die Peinlichkeit der Situation für die noch Gebliebenen zu vermehren, erhob sich in der Nebenstube ein neuer Wortwechsel, von dessen Heftigkeit man überzeugt sein wird, wenn wir sagen, daß Charlotte die Angeklagte war, der Geheimrath der Kläger, und die Geheimräthin, die angerufene Richterin, sich der Angeklagten nicht anzunehmen schien. Charlotte war ihr eigner Advokat, und der Geheimrath von der Vogtei konnte, wie wir wissen, wenn die Gelegenheit es mit sich brachte, auch außer sich gerathen. Er folgte der entgegengesetzten Maxime seines Bruders: er hielt Emotionen nicht für das Gift, sondern für eines der Präservativmittel des Lebens. Seine Freunde meinten, er alterire sich am liebsten vor dem Mittagstisch, weil dies dem Organismus des Magens zuträglich sei; jedoch immer nur mit Maß. Doch als er jetzt aus dem Krankenzimmer herausstürzte und Charlotte hinter ihm, schien er eher der Verfolgte. Sie wenigstens schrie in die Versammlung hinein, ohne im geringsten von den respektablen Personen Notiz zu nehmen: »Meine Cousine, die Frau Hoflackir, hat mir wohl gesagt: Warum giebst Du Dich noch mit ihnen ab, warum opferst Du Dich ihnen! Du kennst sie ja, und Undank ist der Welt Lohn. Ja, ich kenne sie, und Undank bleibt der Welt Lohn!« »Charlotte,« rief das blasse Gesicht der Geheimräthin, die an der Schwelle stehen blieb. »Bedenke Sie, wo Sie ist.« »Ja, Frau Geheimräthin, das bedenke ich auch, und Sie sind eine nobel gesinnte Dame, und wer Domestiken behandelt, wie er es selbst verdient, der ist rechtschaffen vor Gott und vor den Menschen. Denn wir Domestiken sind auch Menschen vor Gott und unsrer Herrschaft, und ich brauchte es ja nicht zu sein, sagt mein Cousin, der Herr Hoflackir. Ja wenn der nur hier wäre! Der würde ein Wort sprechen, aber ich bin eine vereinzelte unglückliche ledige Person. Und darum sind der Herr Geheimrath so unverschämt. Hab ich denn die Chocolade gesoffen?« »Charlotte!« wiederholte die Geheimräthin. Der Vogtei-Lupinus war auf dem Gipfelpunkt seines Zornes: »Sie soll mir nicht wieder vor's Gesicht.« »Das will ich auch gar nicht. I bilden Sie sich das nur nicht ein. Und wenn sie's mir auch nicht sagten. Gott bewahre, daß ich noch einen Fuß in das Haus thäte, wo man eine rechtschaffne Person so maltraitirt. Meine Cousine, die Frau Hoflackir, hat auch gesagt, sie könnt's nicht begreifen, warum ich's so lange ausgehalten. Ja, was thut der Mensch nicht, wenn die Kinder uns ans Herz gewachsen sind. Und nun soll ich die Schuld sein! O du gerechte Güte! Hab' ich sie zur Chocolade invitirt? Hab' ich die Bretzeln gebacken? Wer weiß denn was der Kuchenbäcker rein gethan.« »Charlotte, ich bitte Sie, sei Sie stille,« sprach die Geheimräthin, die Hand am Herzen. »Sie weiß nicht, was Sie redet. Sie ließ die Kinder außer Acht.« »Wird mir das auch angerechnet!« »Sie pflichtvergessenes, –« schrie Lupinus – »derweil Sie am Fenster das Maul aufsperrte.« »Weil ich ein Gemüth habe, weil ich für meinen Gott und meinen König und unser herrliches Militär zum Fenster raus sah, weil ich als gute Patriotin mein Herz ausschüttete! Nein, das geht mir doch über Alles. Nu, kommen Sie mir wieder! Sag' ich doch – nu Kinder hin, nu Alles hin, nu adjö sag' ich Ihnen. Sie sollen mich nicht wieder sehen, Herr Geheimrath, nu mag's gehn, wie es will, und wo ich hin will, das weiß ich. In Ihr Haus zurück? – I Gott bewahre! Sie können meine Sachen raus schmeißen lassen, auf den Schinkenplatz. Was Sie wollen, wie Sie wollen, immer zu! O das genirt mich noch nicht so viel, wie Ihre ganze Wirthschaft nicht, mein Herr Geheimrath! Was ist für mich die Welt noch, wenn man so mit meinem Herzen umgeht! Aber nehmen Sie sich in Acht. Mein Cousin, der Herr Hoflackir, weiß was ich habe. Der zählt jedes Stück nach. – Vors hall'sche Thor will ich, aufs Grab der seligen Frau Geheimräthin, da will ich sprechen, da will ich mich ausweinen, da will ich klagen, da will ich mir ein Leids anthun – denn ich kann nicht leben ohne die Kinder!« Roth vor Echauffement drängte sie durch die Anwesenden nach dem Fenster und riß das Tuch an sich, das die erschrockene Baronin mit ihrem Rücken zufällig fest hielt: »Das ist mein Umschlagetuch!« So ging sie hinaus, doch die Thür noch in der Hand, fing sie heftig an zu schluchzen, ihr Peroriren war aber diesmal an die Wirthin gerichtet: »Und das muß ich Ihnen sagen, Frau Geheimräthin, und wenn Sie mich für eine schlechte Person halten. Die Kinder lassen Sie nicht zu ihm, nein um Gottes Willen, das thun Sie nicht. Bei ihm sind sie in Grund und Boden verloren, der Herr Geheimrath verstehen nichts von der Erziehung. Das Mädchen verdirbt und der Junge auch, sonst hätten sie auch nicht die Chocolade aufgetrunken, aber sie lernen's von ihrem Vater, Gott straf' mich, der kann auch nichts stehen lassen, er muß in Alles die Nase stecken und kosten. Und die selige Frau Geheimräthin werden vom Himmel runter sehen und's Ihnen lohnen. Und handeln Sie an diesen Kleinen, wie sie – o Gott! an meinem Cousin gehandelt haben.« Unter noch heftigerem Schluchzen flog die Thür hinter ihr zu. Daß die kranken Kinder einstweilen bei der Geheimräthin blieben, war eine Sache, die sich von selbst verstand, denn der Arzt hatte schon erklärt, sie dürften auf keinen Fall fortgeschafft werden. Warum aber der Geheimrath nach einer Weile auf sprang, und den Hut ergriff, um der Köchin nachzueilen, blieb zweifelhafter. Er sagte, es geschehe, um nachzusehen, damit die desperate Person nicht sein Haus von oben zu unten kehre. Es gab indeß in der Gesellschaft Einige, die meinten, es wäre nur um sein Mittagessen. In seinem Affekt hatte er nicht bedacht, daß sein Schicksal noch in Charlottens Händen ruhte. Der Aufbruch war jetzt so allgemein, als die Verstimmung. Walter empfing für seinen ehrerbietigen einen sehr kalten Gruß vom Kriegsrath Alltag; die Kriegsräthin musste in einer eigenen Laune sein, denn sie zupfte noch ihren Mann, warum er sich so lange aufhalte? Auch der Geheimräthin bewies sie lange nicht mehr die Ehrerbietung und gerührte Dankbarkeit, mit der sie sonst von dieser gütigen und unvergleichlichen Frau Abschied nahm. Kaum aber war sie die Treppe hinunter, als es die Brust nicht mehr hielt: »Mann, hast Du gehört, Ihre Majestät die Königin hat sich nach unserer Adelheid erkundigt!« – Der Mann sagte: »Hm!« und meinte, man müsse auch nicht alles glauben, was vornehme Leute sagen. »Aber,« erwiderte sie, »eine Fürstin kann doch nicht lügen!« Und als er meinte, es könne wohl etwas daran sein, es werde aber nicht alles so sein, sprach sie: »Daß aber die Königin auch nur von unsrer Tochter weiß, daß sie überhaupt auf der Welt ist, das hattest Du und ich uns doch nicht im Traume einfallen lassen!« Sie hatte immer geglaubt, die Könige wüssten von den einzelnen Menschen gar nichts, und die Individuen verschwömmen ihnen, wie man von einem hohen Berge eine Landschaft sieht. Walter und Adelheid nahmen im Vorzimmer Abschied. Es musste auch hier etwas von Verstimmung sein. Sie meinte, er hätte sich doch überwinden können und zuvorkommender gegen ihre Eltern sein. Er sagte, es habe ihm etwas die Brust zugeschnürt. Sie entgegnete, auch auf ihrer Brust laste es wie ein Alp – »und ich überwinde es doch,« sagte sie, und zwang ihr Gesicht zu einem heiter lächelnden Ausdruck. »Wenn ich Dich erst aus diesem Hause fort wüsste,« sagte er nach einer Pause. »Wünsche es nicht,« entgegnete sie. – »Und wohin? So lieb ich meine Eltern habe, so fühle ich doch, dahin passe ich nicht mehr.« »Du verlangst nicht nach Glanz und Reichthum –« »Aber –« unterbrach sie ihn und schwieg plötzlich. »Daran bist Du auch schuld; warum hast Du aus mir eine Andre gemacht, als ich war –« Er ging mit einem stumm wehmüthigen Händedruck. An der Thür wandte er sich noch einmal um. Sie war ihm nachgeeilt und hielt den Kopf an seine Brust: »Gieb den Muth nicht auf, Walter. Ich lerne mich täglich mehr überwinden und es wird alles besser wer den – für uns Beide.« Der Legationsrath hatte beim Hinausbegleiten die Hand der Baronin Eitelbach sanft ergriffen: »Meine Freundin, mir ist eingefallen, haben Sie sich auch nichts vorzuwerfen? Ich meine keine Schuld, aber vielleicht doch irgend einen geringschätzigen Blick, eine Bewegung – Sie wissen, Männer sind eitel, und Verliebte leicht gereizt. – Sinnen Sie darüber nach!« hatte er theilnehmend hinzugesetzt, als sie ihn erschreckt anblickte, und klopfte sanft auf ihre Hand. 39. Kapitel. Es war etwas nicht, wie es sein sollte Neununddreißigstes Kapitel. Es war etwas nicht, wie es sein sollte. Die Geheimräthin ruhte in einem Fauteuil, als Wandel ins Zimmer zurückkehrte. Sie sah sehr abgespannt aus; über das blasse Gesicht flog aber doch eine nervöse Röthe, und ihr dunkles Auge rollte seltsame Blicke umher. In dem weißen Kleide, das sich in weiten weichen Falten um sie breitete, und der Haube von derselben Farbe hatte ihre Erscheinung etwas Geisterartiges. »Wie steht es nun also?« fragte sie. »Ach mein Gott, es ist so viel, was mir durch den Kopf geht.« »Das Kapital, was Sie morgen ausgezahlt erhalten, würde ich meiner Freundin rathen, baar in Händen zu behalten.« Die Geheimräthin sah ihn mit etwas mehr als Verwunderung an. Sie hatte von dieser Sache nie mit ihm gesprochen. Erst heute hatte sie das Notifikatorium erhalten, daß das Geld für sie fällig im Depositorium des Kammergerichts liege. »Beruhigen Sie sich, ich bin kein Geisterseher. Dies erfuhr ich auf ganz natürlichem Wege, als ich heut früh auf der Registratur des Pupillenkollegiums einige Akten durchsah. Nicht aber die Ihrigen,« setzte er rasch hinzu. »Hinter meinem Rücken sprach der Decernent mit dem Registrator von den fünftausend Thalern. Auf dem Herwege wollte ich mich auf der Börse erkundigen, in welchen Papieren Sie das Geld in dieser Woche am besten anlegen könnten, als ich die beunruhigende Nachricht erhielt. Hätte ich nicht Gesellschaft gefunden, wäre es natürlich das erste gewesen, was ich Ihnen mittheilte.« »So wäre es auch wohl am besten, wenn ich jetzt meine Pfandbriefe verkaufte?« Er schien sich zu besinnen: »Nein. Sie werden wieder steigen. Ich bin überzeugt, daß es nur eine Demonstration ist. Die bewaffnete Neutralität ist zur Beschwichtigung der aufgeregten Stimmung. Man muß der Kriegspartei ein Spielzeug hinwerfen. – Schaudern Sie nicht; es ist die höchste Weisheit der Staatskunst, wenn die Gemüther in Wallung sind, immer das richtige Spielzeug bei der Hand zu haben. Wenn die Leidenschaften, Stimmungen, Phantasien die Zügel zerreißen, wenn die Völker durch keine Gaukelei mehr zu beschwichtigen sind, ach meine Freundin, wehe uns Allen dann! Man wird die Sache hinziehen, vor dem Publikum rüsten, die Kriegshelden fluchen und schwören lassen heimlich aber verhandeln, laviren, proponiren, unmögliche und mögliche Friedensvorschläge machen –« »Bis!« »Ja – bis es sich entschieden hat. In Mähren muß es sich entscheiden; dann –« »Nun und dann?« »Nie zu weit hinaus denken!« »Sie hätten neulich die Radziwill hören sollen.« »Zu Palastverschwörungen ist bei uns kein Terrain.« »Und was sagen Sie zu Alexanders Herkommen?« »Der letzte Verzweiflungsaufschrei der Kriegspartei. Es wird viele erhebende, rührende Auftritte geben. Aber lässt sich eine scheue Natur ändern? Die Coterie wird für einen Panzer sorgen von Gummi elasticum, damit die Thränen, oder für einen von Asbest, damit die Funken abgleiten. Der Eindruck wird stark sein, aber vorübergehen. Und reist Alexander fort, vor einem Entschluß – nein vor einer That, so werden unsre Freunde dafür sorgen, daß alles wieder aplanirt wird.« »Alles!« sagte die Lupinus mit einem stechenden Blick, der im Zimmer umher irrte. »Mir sind diese Menschen zuwider, die ihre ganze Kraft nur darauf vergeuden, damit es nicht anders wird, als es ist.« » Wir sollten sie loben. Träge Wellen sind oft das beste Fahrwasser.« »Was müssen wir thun?« »Nicht die Pfandbriefe verkaufen, baares Geld für den Nothfall im Sekretär, und in den Kriegsenthusiasmus einstimmen.« Sie war aufgestanden, und hatte mit einem nervösen Aufgähnen den Stuhl fortgesetzt: »Warum müssen wir das! Warum können wir nicht auch darin frei sein! Warum dürfen wir nicht die Mode beherrschen? Wir verachten sie doch.« »Weil es uns nichts einbrächte, als einen Heiligenschein, den unglücklicherweise wir selbst nur sehen. Weil es die Menschen von uns entfernt, und wir sie brauchen – als Instrumente. Darum spielen wir mit ihrer Thorheit.« »Oder sie mit unsrer.« »Man muß sich das Spiel nur nicht zu ernst denken.« »Diesmal dünkte ich ihnen gut genug, ihr Operngucker zu sein,« sprach sie mit Bitterkeit. »Welche brillante Gesellschaft, bloß zu Chocolade und Zuckergebäck! Wenn noch mehr Regimenter vorüber marschiren, kommt mein Haus wohl wieder in die Mode. Selbst die Gargazin hatte die Gnade, aus meinem Fenster die Truppen zu sehen.« »Die Kinder werden Sie auch recht geniren?« »Warum? Unsre Wohnung ist groß.« »Ich besorge nur, daß Ihr Schwager, wenn die Charlotte von ihm zieht, sich nicht beeilen wird, sie Ihnen wieder abzunehmen.« »So bleiben sie. Ich liebe Kinder – sie bringen Frische ins Haus.« Er sah sie zweifelhaft an: »Ich besorge nur, daß dies wieder zu Missdeutungen Anlaß giebt. Seit man zu wissen glaubt, daß Sie Mamsell Alltag nicht eigentlich als Ihre Tochter betrachten –« »Als meine Erbin wollten Sie sagen.« »Ich meine nur, daß man auf den Gedanken kommen könnte, Sie wollten die Kinder Ihres Schwagers adoptiren.« »Wer sagt, daß er ein falscher ist! Die Leute wissen es nicht, Sie wissen es nicht, und ich weiß es auch noch nicht. Ich weiß nur, daß Mamsell Adelheid nicht meine Erbin wird.« »Die Alltag scheint Ihre Liebe ganz verscherzt zu haben.« »Soll ich mein Haus zu etwas Aehnlichem hergeben, wie das, aus welchem ich sie hernahm!« Wandel warf einen forschenden Blick: »Sie approbiren nicht die Inklination mit dem Herrn van Asten?« »Ich! Was geht das mich an! Meinethalben könnte sie sich hängen an wen sie will, das larmoyante Wesen kann ich nur nicht ausstehen. Aus kleinen Verhältnissen – nein aus einer solchen Katastrophe, die doch die Seele eines jungen Mädchens erschüttern muß, trat sie in mein Haus. Was hatte ich gehofft, daß sich aus ihr entwickeln würde, bei ihren Gaben, ihrem Muthe, ihrer lebhaften Phantasie. Sie hätte die Königin der Stadt werden können.« »Nur daß die Rolle der Herzenskönigin eines apanagirten Prinzen niemals eine glänzende werden kann.« »Was kümmert mich der Prinz!« rief sie. »Sie selbst sollte sich ihr Loos werfen. Wie es war, und wenn ein faux pas, eine rasende Leidenschaft, eine Entführung – ja, wenn der tolle Mensch, der Bovillard, sie gewaltsam geraubt hätte, es wäre doch eine Abwechselung, es hätte zu sprechen gegeben – Sie lächeln, weil Sie die Affekte begraben haben, aber doch sage ich Ihnen, der Durst unsrer Seele nach dem, was uns über den Alltag erhebt, ist – das Bessere in uns.« Der Legationsrath musste zerstreut sein, die Sache interessirte ihn nicht mehr. »Der alte van Asten rückt auch mit keinem Groschen 'raus, wenn sein Sohn Adelheid heirathet.« In dem Blick, den die Lupinus ihm zuwarf, hätte ein Psycholog eine verächtliche Beimischung lesen können. »Sie liebt ihn gar nicht.« »Sie sprechen in Räthseln.« »Sie erwähnten einmal einer chemischen Agenz, die allen Stoffen ihre natürlichen Säfte aussaugt, daß sie Farbe und Geschmack verlieren.« »Will der Pedant sie zu einer Gelehrten erziehen?« »Es ist übel, wenn ein Lehrer eine zu gute Schülerin hat. Ich konnte nichts mehr wirken, wo ich von einem Vorgänger Geist und Gemüth schon ganz eingenommen fand. Mit ihrer lebhaften Auffassungsgabe betrachtet sie ihn als ihren Wohlthäter, um nicht zu sagen als ihren Schöpfer; sich wenigstens als seine Schöpfung. Es ist keine unedle Natur, meine ich,« fuhr die Lupinus nach einer Pause fort, »die den Drang in sich fühlt, sich selbst einem verehrten Mann zum Opfer zu bringen. Aber das Mädchen ist krank. Das ist die Krankheit der Resignation. Ja wir, in unseren Jahren, – aber wenn junge Mädchen die Blüthe ihrer Empfindung auf dem Altar der Pflicht – was lachen Sie so hässlich?« »Daß Sie ein armes junges Mädchen anklagen um die Krankheit, welche Theologen, Dichter, Philosophen, um die Wette unserm Geschlecht einimpften! Um das Siechthum unsrer Staaten, unsrer Bildung, daß wir aus uns hinaus uns denken, schwärmen, spekuliren, statt zu rechnen. Dies Infusorium des Universums will mit dem bischen Kraft, Talent, das die Natur in seine Wiege als Pathengeschenk legte, den Sternenlauf reguliren, statt für sich selbst zu sorgen, da wo sein höchstes Ziel nur sein kann, sich erträglich und behaglich über dem Strom zu erhalten, der es täglich zu verschlingen droht. Welcher Hochmuth in dieser Tugend, eine Welt um sich beglücken zu wollen, um dann sich selbst die Märtyrkrone aufzudrücken!« »Das kann doch nicht ganz Ihre Ansicht sein?« »Erst sich selbst. – Ich verstehe natürlich darunter, daß zwei, die sich verstehen, sich als eine Einheit betrachten. Wer sie errungen hat, die Höhe, die er erreichen kann, ja dann, meine Freundin, dann mag er ein Gott sein, der goldnen Regen um sich sprenkelt, der Trost der Unterdrückten, der Rächer der Gekränkten, dann mag er schwärmen, schwelgen. –« Er bedeckte das Gesicht mit beiden Händen. »O lassen Sie uns von meinen Planen ein ander Mal reden. Heute könnten sich meine Phantasieen verirren, – Gott weiß in welche – lassen Sie mich heute schweigen –« Er hatte ihre Hand ergriffen, eigentlich ihren Arm, und, den Blick gen Himmel, die Hand an seine Lippen gedrückt. – So starrte er eine Weile, die Augen aufwärts, in einem Zustande völliger Absorbirung. Er schien, als sie sanft den Arm zurückzog, sich nur mit Anstrengung wieder zu finden: »Also, was Sie sagten! – Sie liebt ihn nicht?« »Sie liebt einen Andern.« » Tant mieux! « Die Geheimräthin sah ihn forschend an: »Auch wenn der Andre ein guter Bekannter von Ihnen ist – sie liebt Bovillard, ohne es sich zu gestehen.« »In der That!« Der Legationsrath biß sich in die Lippe, aber lachte mit völliger Unbefangenheit auf: »Wir sind Gegner, nicht Rivalen.« »Sie retteten sie vor ihm und zum Dank –« »Würde sie mich an ihn verrathen! Ist das etwas Besonderes! Zum Unglück für das arme Kind – oder zum Glück für Herrn van Asten ist aber Herr von Bovillard jetzt die Kreuz und Quer auf hundert Meilen geschickt. Ja ich glaube, sie haben ihn so geschickt, daß sie wünschen, er möchte nie wiederkehren.« »Und ich habe die Bescherung im Hause!« »Arme Freundin! – Zurückschicken ins elterliche Haus wollen Sie sie nicht?« »Es würde mir jetzt übel ausgelegt werden.« »Sie haben recht. Es gäbe zu viel Gerede; sie ist einmal die Modepuppe. Ja, wenn man sie entführte! Sie selbst deuteten vorhin darauf.« »Adelheid lässt sich nicht entführen.« »Und eine Mariage –« »Sie scheinen wieder zerstreut.« »In der That, ich bin es. Verzeihung! Nein fort muß sie jedenfalls, Ihrer Ruhe wegen. Bedenken Sie, daß Sie jetzt auch die Kinder im Haus haben. Also sorgen Sie dafür, auf eine oder die andere Weise. Finden wird sie sich.« » A propos! « rief er von der Thür zurückkehrend. »Etwas noch. Sie müssen die Mode mitmachen. Hüllen Sie sich in Patriotismus, von so tiefer Farbe, als Sie können. Immer exaltirt. Beim allgemeinen Fanatismus merkt man das nicht zuviel. Franzosenhaß, Durst nach Blut und Rache auf den Lippen. Man kann nicht zu stark auftragen, denn man weiß nicht wie bald man überboten wird. Und wer nicht voraus schwimmt, ist bald zurück gedrängt und aus Ufer geworfen.« War schon vorhin ihre Erscheinung geisterhaft, was mehr jetzt, als sie allein in der Mitte des Zimmers stand, das Ohr etwas geneigt nach der Thür. Sie horchte – sollte er nicht wiederkehren? – Nein – keine Tritte mehr auf der Treppe, es hallte vom Flur – die schwere Hausthür öffnete sich. Ein Schlag dann, der sie durchschütterte. Aber sie blieb stehen, die Finger etwas krampfhaft zusammenziehend. – Warum blieb sie stehen? – Unter den halb niedergeschlagenen Wimpern schielten ihre Augen umher. Warum schlug sie die Augen nicht auf, die sonst so durchdringend scharf in der Seele des Andern zu lesen schienen? – Fürchtete sie sich vor der Leere im Zimmer? Es war noch heller Tag. Es war etwas nicht, wie es sein sollte. Sie hatte eine andre Sprache, andre Mittheilungen erwartet. – Glatt wie ein Aal! – Aber vielleicht trug sie selbst die Schuld! Was hatte sie sich ihrer Bitterkeit überlassen? Was interessirten ihn Adelheids Liebesverhältnisse! – Darum war er zerstreut, brach plötzlich ab in Sinnen versunken! – Sie athmete auf; ihre Wange röthete sich etwas. – Aber – es war doch etwas nicht, wie es sein sollte. – Warum sprach der große, herrliche, seltene Mann nur in Räthseln, warum auch gegen sie die Hieroglyphensprache? – Hätte sie ihn falsch verstanden? Er, vor dessen Augen die Hüllen der Menschen, der Dinge, in Krystall sich verwandelten, und er schaute bis in die Keime der Thaten und Gedanken, hatte er auch in ihr Inneres einen Blick geworfen und – In dem Augenblick knarrte die Thür, der neue Bediente, Christian, trat etwas ungeschickt herein, indem er, um die Thüre zu schließen, den Rücken zeigte. Der Rücken zeigte nur die Livree seines Vorgängers. Die Lupinus stieß einen Schrei aus, sie fuhr zusammen, wankte; vielleicht wäre sie gefallen, wenn ihr Arm nicht die Lehne eines Stuhls erfasst hätte. – »Johann! – ungeschickter Mensch – wie kann er mich erschrecken!« »Aber gnädige Frau, ich komme ja nur, wie Sie befohlen –« »Er soll nicht hinterrücks hereinschleichen, Christian. Meine Nerven vertragen es nicht.« »Aber die Kinder, gnädige Frau, das Mädchen besonders, sie ächzen und piechen – ich glaube immer, denen hat's Einer angethan.« »Lügner! – Unverschämter Verleumder!« – Mit einem zornfunkelnden Blick schoß sie an ihm vorüber nach der Kinderstube. Der Bediente sah ihr kopfschüttelnd nach, und reckte sich dann in der Livree, die nicht ganz zu sei nem breiten Rücken passte. Eine Naht riß: »Ich glaube, in dem Hause passt mir's so wenig als in dem Rocke. Solche Bälger zu bedienen, und eine solche Frau! Ich weiß zwar nicht eigentlich, was Nerven sind, aber ich glaube, meine Nerven vertragen es auch nicht.« Als nach einer Viertelstunde die Geheimräthin zurückkehrte, lagerten seltsame Stimmungen auf ihrem Gesichte. Der Anblick der Kinder war gewiß ein widerwärtiger gewesen, der Schauder sprach sich deutlich aus, aber darüber war ein Ausdruck, wie ein Mondenstrahl, der durch zerrissen Gewölk über eine offene Gruft streift. Es fröstelte sie, sie machte eine Anstrengung, als wollte sie auf die Kniee fallen: aber – vielleicht versagten ihr die Kniee den Dienst, sie hob die Arme und rieb die Hände, als wollte sie sie zum Gebet falten. Auch das musste sich an etwas stoßen. Sie ließ die Arme sinken, und fiel selbst aufs Sopha. Hier den Kopf im Arm, flüsterte sie: »Es sind abscheuliche Kinder! aber ich will mich zwingen, sie zu lieben – ich will sie pflegen, wie – wie – ich will's an ihnen gut machen.« 40. Kapitel. Bei Josty Vierzigstes Kapitel. Bei Josty. Beim Schweizer Kuchenbäcker Josty unter der Stechbahn traten mehrere Offiziere in Gala-Uniform ein. Heller als das Gold und Silber ihrer Achselbänder und Schärpen leuchtete die Freude auf ihren Gesichtern. Zum Theil schien diese selbe Empfindung auch auf denen der Gäste aus dem Civil zu strahlen. Es war ein großer Fest- und Feiertag in Berlin. Die Gruppen von Neugierigen wollten den Schloßplatz und den Lustgarten noch nicht verlassen, obgleich in diesem Augenblick nichts mehr zu sehen war, als die Truppen, welche in ununterbrochenen Zügen in der Königsstraße und über die lange Brücke in die Friedrichsstadt zurückmarschirten. Aus den geöffneten Fenstern schallte ihnen noch manches Hallo! und Vivat! und Hurrah! und manche geschmückte Dame wehte mit dem Taschentuch. Auch trugen der große Kurfürst und seine Sklaven Guirlanden und Kränze von den Blumen, die der späte Herbst in den Gärten darbot. Aber das Schauspiel war ein anderes als neulich das der durchmarschirenden Truppen. Diese waren nicht mit Staub bedeckt, an ihren Gamaschen klebte nicht der Koth der Landstraße; sie funkelten im glänzendsten Paradeanzug und nur der Puder ihrer wohlfrisirten Haarlocken stäubte auf das dunkle Blau ihrer Monturen; sie rückten auch nicht ins Feld, sondern kehrten von einer Paradeaufstellung zurück. Es waren die auserlesenen Regimenter Möllendorf, Knebel, Rheinbaben, die Grenadiere Prinz August von Preußen und die Gensd'armen und Garde du Corps, die vom Schloß bis ans Thor eine große Chaine gebildet, um den einziehenden Kaiser Alexander zu empfangen. Wie viele Jahre waren es her, daß ein Selbstherrscher aller Reußen in die Thore Berlins eingezogen! Wer ihn gesehen, den jugendlich strahlenden, humansten Fürsten, dessen Blick Güte und Wohlwollen lächelte, der die Majestät vergessen ließ in der Liebenswürdigkeit, glaubte etwas gesehen zu haben, was er sein Leben durch nicht vergessen dürfe. Wie mehr als gnädig hatte er gegrüßt, mit welcher Huld die Anreden empfangen. Wie viele Frauen schworen, wenigstens bei sich, daß das Auge des Unwiderstehlichen auf ihnen gehaftet. Aber er war nicht zu Tanz und süßem Liebesspiel gekommen. Der Ernst der Gegenwart dämpfte wieder die aufsteigende Lust; in die Jubelstimmen hatten sich andre Laute gemischt, kühne Rufe, die der unbewachten Brust entschlüpften, auch Thränen; die funkelnden Degenspitzen schienen Vielen schon angeröthet. So ernst wehmüthig war der Empfang gewesen im großen Portal des Schlosses. Hier hatten König und Königin, von ihrem Palais herübergekommen, den Gast bewillkommnet. Es war eine feierliche Scene, als die beiden jungen Monarchen sich umarmten, als der Czaar die Hand der huldvollsten Königin an die Lippen drückte; ein Moment, von dem Europas Schicksal abhing! Und in wie lautloser Theilnahme hatte die Menge dem Familienstück zugesehen, das zum großen Trauerspiel für hundert Tausende, für Millionen werden durfte, mit welcher bangen Spannung gewartet, was drinnen vorgehe, als die höchsten Herrschaften in die Apartements getreten waren. Und doch wusste man, daß es hier nicht geschehe. Sie nahmen nur Erfrischungen ein. Die Hofequipagen standen schon vor dem Portal, in denen die Wirthe den hohen Gast nach Potsdam entführen wollten. Dort – wo Friedrich schläft – sollte gewürfelt werden über das Loos der Zukunft. Die Hofequipagen rollten schon lange auf der gedielten Kunststraße hin, die für eines der wunderbaren Prachtwerke der Königsstadt galt, als die Offiziere in den Konditorladen traten. So prächtig ihre Gala-Uniform, so bescheiden sah damals der Laden aus. Nichts von Gold und Mahagoni, nichts von Säulen und funkelndem Krystall. Auch glänzte das wenige Tageslicht, das durch die Kolonnaden der Stechbahn ins Zimmer fiel, nicht wider von zahllosen Riesenbogen ausgespannter Zeitungen. Zeitungen waren freilich auch hier schon, zwei oder drei vielleicht, bescheidene Blättchen, auf grauem Löschpapier, die wöchentlich zwei oder drei Mal alle Neuigkeiten der Welt wieder erzählten, was in der Türkei geschah und am Rheine, und von Berlin brachten sie voran lange Listen aller angekommenen Fremden, mit ihren Titeln und den Wirthshäusern, darin sie wohnten. Dann alle Ernennungen zu Hof- und Staatsdiensten, zuweilen auch eine Mittheilung, daß ein hoher Herr bei Hofe empfangen und zur Tafel gezogen worden. Und hinterher Theaterrecensionen, Charaden, Fabeln, Anzeigen von Auktionen, Verkäufen, Büchern, Wohnungen und sehr vielerlei. Aber bei besonderen Gelegenheiten stand auch voran ein Gedicht, gereimt oder ungereimt, immer jedoch zum Lobe der höchsten Herrschaften. Denn jene Zeiten waren vorbei, wo man sich in den Zeitungen auch wohl einen Spaß erlaubte, wie der wunderliche Gelehrte Philipp Moritz und der erst in diesem Jahre 1805 verstorbene noch wunderlichere Burrmann, welcher die Leser mit Reimereien, so seltsam wie er selbst, beschenkte. So hatte er einst am 21. Dezember die Vossische Zeitung mit dem Vers angefangen: Gottlob und Dank Die Tage werden wieder lang. Nein, seit jenen Zeiten war ein feiner klassischer, französischer Geschmack in die Zeitungen gefahren, wie er ja auch in der Gesellschaft war. Der tölpelhafte deutsche Hanswurst war längst fortgeschickt, und man sprach nur das aus, was gegen nichts und Niemand verstieß, auch auf die Gefahr hin in dem Gesagten nichts zu sagen. Darum, doch aus andern Gründen, las man nie in den Berliner Zeitungen von dem, was in Berlin geschah, es sei denn, daß eine hohe Obrigkeit es der Druckerei zugesandt, und auch über das Draußen enthielt man sich jeder eignen Meinung und druckte nur ab, was andere Zeitungen vorher gedruckt hatten. Heute aber war ein außerordentliches Ereigniß auch in der genannten Vossischen Zeitung. Voran stand ein langes Gedicht, dessen Anfang und Ende so lauteten. Jemand las es in der Konditorei laut vor, als die Offiziere eintraten, und Alle, die es hörten, sahen sich verwundert an: Nicht Salomon und Titus – wozu Namen Der Vorzeit! Sind wir Neueren so arm? – Nein, Alexander, Friedrich , Arm in Arm, Stehn da, ein Brüderpaar. Zu Preußens Adler kamen Die Adler Rußlands! Jubelnd sieht Berlin Sie über sich vereinten Fluges ziehn. Sie stehen vor dir, Arm im Arm. O glückliches Berlin! Sprich aus die schönen Namen! Wer sind die Menschenfreunde? Sprich! Wer? – Alexander, Friederich! Daß das Gedicht ausgezeichnet schön sei, darüber war nur eine Stimme, aber einer der eingetretenen Offiziere begriff nicht, wie solch ein Blitzkerl von Zeitungsschreiber augenblicklich von den Evenements Witterung habe, daß er auf der Stelle im Stande sei, sie drucken zu lassen, und gar in Versen! »Und,« sagte ein anderer, »daß man's drei Mal in der Woche erfährt, was vorher passirt ist! Erst muß es doch geschrieben werden, was schon eine verfluchte Arbeit ist, und dann gedruckt und verkauft.« – »'s ist auch 'ne schwarze Kunst,« lachte ein Anderer. Herr Josty, mit der Flasche Euraçao in der Hand, flüsterte den Herren zu: »Und was werden Sie erst sagen, wenn wir alle Tage ein Blatt bekommen, was uns jeden Tag von den Kriegsevenements avertirt. Sehn Sie mal gefälligst in der Ecke hinterm Ofen den Herrn im grünen Rock und Nankinghosen. Das ist Herr Professor Lange. Der giebt ein solches Blatt heraus, es soll Telegraph heißen. Morgen schon kommt die erste Nummer. Die Leute werden sich den Kopf überschlagen.« – Die Offiziere vigilirten den »verfluchten Kerl«, der mit dem Bleistift Notizen machte, und stritten ob seine Ohren oder Nase spitzer wären. Auch der Herr Kriegsrath Alltag hatte diesen Tag nicht alltäglich begangen. Auch er hatte in der Konditorei des Herrn Josty eine Tasse Chocolade genippt, was zu jener Zeit, als wir ihn kennen lernten, ein außerordentliches Evenement gewesen wäre. Aber schien er doch selbst ein Anderer geworden. Der gestickte blaue Rock war zwar schon etwas über die Mode hinaus, jedoch vom feinsten Tuch, das sauberste weiße Halstuch war über das Jabot geknüpft und feine Brüsseler Manchetten spielten um die knappen Aermel. Frisch gepudert war das Haar, und der Zopf mit neuem glänzenden Seidenband umwickelt. Die goldene Uhrkette hing um einen Finger breit länger auf die schwarz taffetnen Beinkleider, und die gestreiften Seidenstrümpfe mit den silbernen Schnallenschuhen deuteten unverkennbar auf ein nicht alltägliches Evenement. Und das war es, wo der Herr Minister ihn gewürdigt, ihn aufzufordern sich im Schloß zu gestellen, er wolle schon für einen Platz sorgen, daß er die Majestäten recht von nahe sähe. Hatte er ihn nicht selbst dort an die Treppe gestellt, wo die hohen Herrschaften vorbei mussten? Wenn er sich nicht ans Geländer zurückgedrückt, so weit als möglich, hätte ihn da nicht das seidene Kleid Ihro Majestät der Königin fast berührt? Durch eine glückliche Schwenkung der Schleppe hatte der Page es noch vor dieser Berührung bewahrt. Der Kriegsrath war erröthet vor Schreck. – Welcher neue Schreck aber! – Kaiser Alexander, der die Königin am Arm führte, war auf dem Podest einige Stufen über ihm stehen ge blieben, damit die hohe Frau Athem schöpfe. Seine Majestät, der hinter ihnen ging, war natürlich auch stehen geblieben, und auf derselben Stufe, auf der die Füße des Kriegsraths standen. Zwar war die Stufe breit, aber es war dasselbe Brett, und der Kriegsrath fühlte unter seinen Füßen die Bewegung, welche der Fuß Seiner Majestät verursachte. – Und es war noch nicht Alles. – Excellenz, der Minister, sein Gönner, flüsterte dem Könige einige Worte zu, und – er traute seinen Ohren nicht, aber es war so – er hörte seinen Namen. Der König hatte sich darauf umgesehen, hatte ihn angesehen und die Worte gesprochen: »Treuer Diener seines Herrn. Freue mich.« – Er hatte es gesprochen, wirklich und wahrhaftig, und es war noch nicht Alles. – Als die hohen Herrschaften auf dem Podest sich in Bewegung setzen wollten, war der König bei ihnen, und sagte der Königin etwas ins Ohr, und die Königin wandte auch ihr Gesicht zum Kriegsrath nieder, und er hörte die Worte: »Ah c'est lui!« – War das neue Täuschung, oder war es auch Wahrheit, sie hatte ihm von oben freundlich zugenickt. Wie der Kriegsrath nachher von der Treppe herunter gekommen, wie auf den freien Platz, das wusste er selbst nicht. Er las nie ein Märchen, weil er überhaupt nicht las, aber aus seiner Jugend, aus der Ammenstube, wusste er doch, was ein Feenmärchen ist. – Zuerst hatte ihn die Luft wunderbar angefächelt, wie einen, der nach langer dunkler Haft ans Sonnenlicht gerissen wird, oder wie den Trinker, der aus dem Keller in's Freie tritt. Unten hat er es noch nicht gefühlt, jetzt aber dreht sich die Welt um ihn, und der Boden wankt unter seinen Füßen. Der Rippenstoß eines Korporals, dessen Rotte er in seinem Schwanken vermuthlich zu nahe gekommen war, hatte ihn wieder zur Besinnung gebracht. Es war kein Traum gewesen, auch keine Erscheinung aus einem arabischen Märchen, vielmehr nichts als die Besiegelung dessen, was er längst ahnte, vielleicht wusste, und in der Stadt munkelte es schon. Er sollte nicht mehr lange Kriegsrath bleiben, er war zu Höherem bestimmt. Diese Bestimmung drückte sich auch in seiner Haltung aus, wie er am Tische in der Ecke neben einem andern Manne gesessen, und mit demselben dem Anschein nach ein eifriges Gespräch gepflogen hatte. Der andre Mann, ungefähr im Alter des Kriegsrathes, oder etwas älter, war in seiner Erscheinung just das Gegentheil. Sein fein geschnittenes, intelligentes Gesicht war durch ein Paar kleine graue, ins Blaue spielende. Augen, wenn sie mit Eifer auf einen Gegenstand fielen, lebendig. Sonst hatte es mehr einen kalkulatorischen Ausdruck, jene verschrumpften, doch nicht unedlen Züge, welche ein beständiges Nachdenken über plus und minus ausdrücken, jene Absorbirung von allem was Impuls oder Phantasie heißt. Wenn aber die Augen aufblitzten oder auf einen Gegenstand zuckten, bewegte sich wohl um die Lippen ein sarkastischer Zug. Sein Haar, weißblond von Natur oder weiß vom Alter, schien schon lange den Puder als etwas Ueberflüssiges abgestreift zu haben. Es fiel schlicht, eben nicht sorgsam gekämmt, auf den Hinterkopf und um die Schläfe herab. Daß er eben so wenig Umstände mit der Toilette wie mit der Frisur machte, verrieth der Ueberrock von grobem Tuch und einem dick übergelegten Kragen. Seine Hände, die auf dem Tische lagen, waren weiß und fein, seine Füße dagegen, die er weit vorgestreckt hatte, schienen grob wie die blauen Strümpfe und die dick versohlten Schuhe. »Also keine Mariage nicht!« hatte der Mann mit den graublauen Augen gesagt, und zwei Gläser mit Granatwein gefüllt, worauf der Kriegsrath das eine nach einigem Bedenken ergriffen und mit ihm angestoßen hatte. »Ueberdem ist sie auch noch zu jung,« setzte er hinzu, und das halb ausgetrunkene Glas auf den Tisch. Der Andere sagte: »Alter schützt vor Thorheit nicht, und zu jung ist keine nicht, um sich nicht zu verplempern.« Der Kriegsrath spielte etwas verlegen oder verletzt mit der silbernen Dose, einem Präsent seines Ministers: »Nun was das Verplempern anlangt, mein Herr van Asten, so dünkt mich –« »Mein Sohn hätte sich verplempert – meinen Sie vielleicht,« fiel der Kaufmann ihm ins Wort. »Wenn auf meinem Kornboden zwei Säcke geplatzt sind und der Roggen und Waizen liegen untereinander, da kümmert's mich wenig, welcher Sack zuerst platzte, sondern wie ich die Körner auseinander bringe, oder mitsammen verwerthe. Unsere Säcke sind Gott sei Dank noch nicht geplatzt, da halte ich nun fürs Beste, daß Jeder seinen an sich nimmt und sich nicht um den andern kümmert. Sehen Sie, aufrichtige Leute kommen bald zu Rande, und das, was sonst ist, soll uns nicht kümmern, und wir bleiben gute Freunde. Darum erlaube ich mir noch ein Mal an Ihr Glas anzustoßen.« Der Kriegsrath seufzte; der Andere hätte es recht gern zur Gesellschaft gethan, nur um die Einigkeit vollkommen herzustellen, der alte van Asten konnte aber nicht seufzen. »Mein hochverehrtester Herr Kriegsrath, mit Ihrem Permiß, ich lese Ihre Gedanken. Daß die jungen Leute jetzt auch ihren Willen haben wollen, das gefällt Ihnen nicht. Sie seufzen: ehedem war's anders! Habe ich gar nichts dagegen. Ehedem wog man ein Pfund Pfeffer mit Gold auf, jetzt kostet's ein paar Groschen. Ehedem bezahlte man mit Pfeffer seine Wechsel. Wenn mir jetzt Einer damit käme, würfe ich ihn die Treppe runter. Ist so mit Allem, mit der kindlichen Liebe, mit der Freiheit, der Erziehung; der Marktpreis ist ihr Werth. Steht darum geschrieben, daß wir den Marktpreis nicht machen können! Man muß nur geschickt operiren. Mein Herr Sohn will auf dem Kopf stehen, Ihre Mamsell Tochter auch. I nu, so lassen wir sie, bis sie müde werden. Daß sie's aber werden, dazu kann man schon was thun. Wenn ein Materialist einen Jungen in die Lehre nahm, ehedem kriegte er Schläge nach Noten, wenn er naschte. Es hat wohl nicht immer geholfen. Jetzt lässt sein Prinzipal ihn so viel Syrup nippen, und Rosinen und Mandeln naschen, als er Lust hat. Ein, zwei Mal den Magen verdorben, und er ist curirt auf sein Leben. Und so ist's mit dem eignen Willen auch, und mit der Freiheit und mit, was sonst ist. Sie kommen retour, sage ich Ihnen, wenn man's nur recht anfängt. Lassen Sie nun Ihre Demoiselle Tochter in meinen Herrn Sohn verliebt sein, ganz geruhig, bis sie sich übergeliebt haben. Glauben Sie mir, das kommt über kurz oder lang, denn satt macht die Liebe nicht, und zanken werden sie sich auch, und verknurren, wenn man sie nur lässt, und dann kommt die lange Weile, die rothen Augen machen auch nicht schöner. Aus Wochen werden Monate und aus Monaten Jahre. Sieht ein hübsches Mädchen erst eine Falte im Gesicht, die nicht fort will – ich will gar nicht sagen Runzel – da guckt wohl ein kleiner Gedanke raus: ja wenn ich den nicht zurückgewiesen hätte! Oder den! Dann wird der Liebste auch nicht grade sehr freundlich angesehen, wenn er zur Thür rein kommt, und auf einer seiner Runzeln steht: ich habe noch immer nichts! Sieht er nu in ihrem Gesichte, was sie in seinem sieht, na – und so weiter, und am Ende – sie weinen, sie fühlen sie haben sich getäuscht, es wird geklatscht dazwischen, dafür braucht man gar nicht zu sorgen, und am letzten Ende nimmt die gehorsame Tochter den ersten besten, den der Papa ihr zuführt. Und überlässt man's dann den Muhmen und Gevattern die Sache zu arrangiren, so kommt's am letzten Ende raus: sie hat ihn von Kindheit an geliebt.« Dies war ungefähr das Gespräch, welches die beiden ältlichen Herren vor dem Eintritt der Offiziere geführt, und das durch das laute Vorlesen des Gedichtes unterbrochen war. Der Kriegsrath schüttelte den Kopf als er seinen Hut nahm. »Gefallen Ihnen die Sentiments nicht von Salomon und Titus?« fragte der Kaufmann und griff nach einem Zeitungsblatt. »Sie sind sehr schön,« entgegnete der Kriegsrath, »nur begreife ich nicht, wie man so etwas zu drucken erlaubt. Dadurch wird ja der Bonaparte avertirt, was hier passirt ist.« »Sehr richtig bemerkt,« sagte van Asten, und sein schlaues Gesicht wollte gewiß noch etwas sagen, aber der Kriegsrath gab, als der vornehmere Mann, das Zeichen, daß er genug gehört, indem er sich mit einer leichten Verbeugung empfahl. Der Vornehmere muß das letzte Wort behalten. Aber als er durch die Offiziere den Weg nach der Thür suchte, waren offenbar diese die Vornehmeren. Sonst liebte er doch nicht die Offiziere, aber mit verbindlichen Verbeugungen schlängelte er sich durch ihre Füße, welche die Herren sich nicht besondere Mühe gaben aus dem Wege zu ziehen. »Das war der Vater von dem schönen Mädchen,« sagte ein Garde du Corps zu dem Rittmeister, der seine glänzenden Reiterstiefeln auch nicht um einen Finger breit zurückgezogen hatte. Der Cornet lachte: »Was sprechen Sie zu Dohleneck von schönen Mädchen! Für meinen Onkel ist nur Eine schön, und wenn die Eine nicht, so mag die Anderen der Teufel holen und die Papas dazu.« Der Rittmeister, der am Fenster saß, trommelte an die Scheiben, »Krieg! Krieg! das ist das Beste.« »Zum Avancement!« lachte der Chor. Die Unterhaltung ging auf dies wichtige Thema über, wichtiger als Alexanders Ankunft, als der Streit, ob die Königin dem Kaiser zuerst die Hand gereicht oder er nach der Hand gegriffen, wichtiger als der Krieg selbst. Man stritt über die Ernennung eines Kapitäns zum Major. Einige wollten sie gelesen haben, Andere leugneten es. »Es steht heute drin.« – »Es steht nicht drin.« – »Her den Wisch!« Mit einem Satz war der Cornet nach dem Tisch gesprungen, an dem van Asten saß, und hatte ihm die Zeitung aus der Hand genommen: »Wir wollen etwas nachsehen.« Es musste noch etwas Anderes vorgefallen sein. »Wollen Sie etwas?« fragte der Cornet und ließ seine Pallaschscheide auf die Diele klirren, indem er sich zum Kaufmann umkehrte, als dieser sich mit einigem Geräusch erhoben hatte. »Mich nur gehorsamst entschuldigen,« sagte van Asten und zeigte auf sein vorgestrecktes Bein, »daß Herr Cornet von Wolfskehl auf meinen Fuß treten mussten! Haben sich doch hoffentlich keinen Schaden gethan?« »Ich glaubte es wäre ein Holzklotz. Excüs!« sagte der Cornet und hoffte auf einen beistimmenden Lach-Chor. Aber die Einen griffen nach dem Zeitungsblatt, die Andern machten eine ernste Miene: »Cornet, keinen Spaß mit dem Mann! Der reiche van Asten aus der Spandauerstraße, der mit dem Minister *** unter einer Decke steckt!« Die Ernennung stand nicht im Blatt, dafür ein paar Dutzend andere, wie jede Zeitungsnummer sie in diesen Tagen brachte. Auch fingen unter den Annoncen schon die Abschiedsworte an, welche Offiziere, Wundärzte und Beamte an ihre Freunde und Bekannte in den eben verlassenen Garnisonen richteten; auch Nachrufe und Danksagungen ganzer Städte an die abziehenden Garnisonen und deren Offiziere. »Wenn das kein Beweis ist, daß wir wirklich in den Krieg ziehen!« – »Ehe nicht die Kugeln durch meinen Mantel pfeifen, glaub' ich nicht daran.« – »Ich glaub's auch dann noch nicht« ein Dritter, als ein Vierter durch die Glasthür, die er klirrend aufgerissen, eintrat: »Nu glaub' ich's, Kameraden. Aufs Pferd! aufs Pferd!« – »Du sprangst eben runter!« »Direkt von Steglitz in Karriere! Habt Ihr nichts gehört? – Vierundzwanzig Kanonen donnerten aus dem hohen Busch, als die Equipagen durch's Dorf schwenkten. Der dicke Stallmeister fiel beinahe von seinem Schimmel. Die Königin sah erschrocken zum Kutschenschlag raus.« »Possen!« »Nein, Ernst. 's war aber nicht Bonaparte, nur Beyme! Wenn Beyme Kanonen auffährt, Beyme schießen lässt, da müsst Ihr zugeben, es wird ernst, es geht los.« »Victoria!« schrieen zehn Stimmen. »Wenn er nur nicht blind geladen hätte!« rief der Rittmeister und riß die Thür auf. »Man braucht frische Luft. Krieg! Krieg!« Herr Josty sah am Fenster den Offizieren nach. Er schien die Häupter seiner Lieben zu zählen, aber nicht mit der Zufriedenheit, die auf den Gesichtern der Offiziere strahlte. Was half ihm der Krieg! Er war gewiß ein guter Patriot, aber wie viele können ihm noch immer entrissen werde, an die theure Bande ihn schon lange knüpften. Er schlug ein kleines Büchlein im Winkel auf und schrieb kleine Zahlen zu den Namen. Aber viele kleine Zahlen machen eine große. Herr Josty schüttelte den Kopf und wollte seufzen. Indessen – er besann sich: »Indessen,« sagte er, »es gleicht sich in der Welt Alles aus.« Und auf seinem Gesicht glichen sich auch die Falten aus. Die Offiziere hatten sich links nach der Schloßfreiheit zerstreut. Nur einer von ihnen, er schien abhanden gekommen, suchte die Freiheit rechts unter den Kolonnaden der Stechbahn. Die Augen auf den Boden, ging er grad aus bis die Mauer ihn erinnerte, daß an der Ecke die Freiheit zu Ende war. Er wollte zur Kolonnade hinaus treten, als aus der Brüderstraße eine elegante Equipage rasch vorüber fuhr. Die Dame darin in Pelz, Hut und Schleier verhüllt, sah ihn nicht, aber der Mops auf dem Rücksitz bellte heftig den Offizier an. Ob die Dame aufmerksam ward, wissen wir nicht, wenn sie sich aber vorbeugte, um nach dem Gegenstand auszuschauen, der den Eifer ihres Hundes verursachte, konnte sie ihn nicht mehr sehen; denn der Rittmeister hatte sich hinter den Pfeiler gelehnt. Er schien, mit geschlossenen Augen, auf das Rollen der Räder zu hören, bis es unter dem Klappern der Werderschen Mühlen verrollte. Dann riß er sich auf, machte sich durch einen schweren Athemzug Luft und – wollte auch ins Freie, in den Thiergarten. Es mussten wunderbare Dinge im Rittmeister Stier von Dohleneck vorgegangen sein. Er freute sich auf einen Spaziergang in den stillen, einsamen Alleen des Thiergartens. Er hatte seinen Plan gemacht: links durch die Buschpartien an den Zelten vorbei, nach dem Poetensteig. Da traf er gewiß Niemand. Aber – wenn nur die Aber nicht wären, als er an der Konditorei vorüberging, öffnete Herr Josty freundlich die Thür. Er glaubte der Gast wolle zurückkehren. Solchen Glauben darf ein Kavalier nicht täuschen. Einen Schritt war er schon vorbei, es kostete also nur einen zurück, und er stand wieder in dem traulichen, gemüthlichen Lokal. Es war ja auch da einsam geworden. Als Herr Josty die Thür verbindlich schloß, hatte er wieder ein Haupt seiner Lieben in seinen Mauern. 41. Kapitel. Von Möpsen und Wechseln Einundvierzigstes Kapitel. Von Möpsen und Wechseln. Aber der Rittmeister wollte ganz einsam sein. Im Vorzimmer saß noch der alte van Asten und schien zu rechnen oder sprach leise mit einer andern in Berlin wohlbekannten Person, dem Herrn Auktions-Kommissarius Manteufel, der sich über den Tisch zu ihm lehnte, um auf die Fragen des Kaufmanns Antwort zu geben. Dem Rittmeister waren heut alle Menschengesichter zuwider, was mehr Rechenmenschen, aus deren Gesichtern Zahlen springen. Zahlen erinnern an Schulden. Hrrr Manteuffel, der ihn eintreten gesehen, obgleich er der Thür den Rücken zuwandte, blinzte den alten Asten an. Der aber machte eine Bewegung mit der Hand, die unter Geschäftsleuten ausdrücken kann: den hab ich sicher, oder: um die Bagatelle kümmere ich mich nicht. Herr Josty hatte noch ein kleines dunkles Hinterstübchen. Vertrautere Freunde fanden hier einen Platz, um einen Sorgenbecher in der Stille zu leeren, den der Konditor seinen anderen Gästen nicht vorsetze; er war kein Weinschenk. Es war in dem Raume wirklich klein und dunkel wie in einer Tonne, recht zur Selbstbeschauung geschaffen, denn durch die vergitterten Fensterspalten drang nur bei Mittag ein Dämmerschein, der sich von den hohen Hintergebäuden in den feuchten Winkel, der Hof hieß, hinabließ. Das eigentliche Licht kam von einer dünnen Sparlampe in einer Mauerblende, um den Tisch, die Bank, die Wandspinden spärlich anzuleuchten. Ein Ort, geschaffen, um das innere Licht leuchten zu lassen. »Einen Rothspohn, Herr Josty!« rief der Rittmeister, als er sich zwischen Bank und Tisch geklemmt. »Pontac oder Medoc?« Auch darüber noch nachdenken! Was hatte nicht der Rittmeister zu denken! »I nu Medoc,« sagte er nach einer Weile, den Kopf in der Hand und den Ellenbogen auf dem Tische. »Ist auch gesunder für's Blut, klärt mehr die Gedanken auf. Die Engländer nennen ihn darum Claret,« sagte Herr Josty, als er den langen Pfropfen aus der Flasche gezogen. Als der Wirth die kleine Thür leise hinter sich zugedrückt, störte nichts die drei – nenn' ich sie Geschöpfe, Wesen, Mächte – die hier zurückgeblieben zu stillem Verkehr: den Rittmeister, die Lampe und den Medoc. Es war mehr als still, ich würde sagen bewegungslos, wenn nicht der Schatten an der Wand jedesmal unruhig geworden, sobald der Rittmeister das Glas aus der Flasche wieder vollschenkte. Ob er Gedanken schöpfte, ob er sie verschluckte? Der Medoc musste das Blut nicht gereinigt haben, denn er ward nicht froh. Der Schatten an der Wand spiegelte drei Positionen, in denen er Minuten lang verharrte: den Kopf in der Hand, das Kinn in beiden Händen, und dann den Leib ganz zurückgelehnt, mit gesunkenen Armen, oder, wenn ein Entschluß zu kommen schien, sie plötzlich auf der Brust verschränkend. Aber die Flasche war schon zu drei Vierteln ausgeleert und der Entschluß noch nicht gekommen. Ein Entschluß kostet Jedem etwas, wer aber weiß, wie der beste gefasste zum übeln ausschlagen kann, und wer nur die Erfahrung des Rittmeisters gewusst, der würde ihn um seine Unentschlossenheit nicht getadelt haben. Hatte er sich nicht zu einem kühnen Schritt entschlossen, um endlich aus Liebeszweifel und Ueberdruß frei zu werden? Es war kein geringes für Jemand, der von zwei unsichtbaren Schutzengeln hin und her gezogen wird, und in sich keinen Oberen findet. Wenn diese ihm zuraunten: sie hat dich eigentlich nie geliebt, sie hat nur gespielt mit dir; nun auch dieses Spielens überdrüssig, lässt sie es nur zu ihrem Amüsement, dich zu foppen, vor Andern durch ihr Kammermädchen fortsetzen, so sprach eine innere Stimme: das erste hast du ja selbst immer geglaubt. Aber dann, wenn jene ihn auf die vielen Beweise von Aufmerksamkeit und Zärtlichkeit hingewiesen! Stand die Moosrose nicht noch immer zwischen den Balsaminen, trug sie nicht noch immer das Halstuch von der Farbe, die sie angelegt, als sie sein Lob vernommen? Möglich war es ja, daß sie anfänglich nur ihn necken, ihre Empfindlichkeit für das an ihm kühlen wollen, was er sich selbst jetzt vorwarf; möglich, daß auch Andere da mitgearbeitet hatten. Aber – das konnte sich geändert, sie so gut gesehen haben, als er es sah, daß er sich auch geändert, dies konnte ganz andere Empfindungen in ihr geweckt haben. Er hatte ja auch Augen, und was er gesehen, ließ er sich nicht abstreiten. Diese Verwandlung ihres Sinnes konnte nun Denen nicht mehr zu Sinn sein, die anfänglich mitgespielt. Sie waren es, die jetzt die Contreminen legten, die ihn wieder ihr entfremdeten, ihn von ihr trennen wollten. Daher diese Briefe in ganz verändertem Tone, diese Mahnungen, Drohungen sogar, abzulassen von Verfolgungen, die eine edle Frau tief kränken müssten. Der Rittmeister Stier von Dohleneck hatte das Schwert gezogen um den Knoten zu durchhauen, er wollte Licht haben – Wahrheit. Er wollte am hellen Tage in ihre Wohnung treten, sich mit seinem vollen Namen melden lassen und um eine Unterredung unter vier Augen bitten. Wer den Rittmeister von Dohleneck kannte, wusste, daß das ein ungeheurer Entschluß war. Und ein ganz freier und ein geheimer, – er theilte ihn Niemand mit. An dem Tage, als die ersten Regimenter von der Weichsel durchmarschirten, hatte er ihn gefasst. Es war der Augenblick, als sein Pferd, oder er bei ihrem Anblick am Fenster unruhig geworden und Kehrt gemacht hatten. Er war sehr unzufrieden mit sich zurückgekehrt, er hatte sich gesagt: ein Soldat dürfe nie Kehrt machen vor einer Gefahr, ob wirklich, ob scheinbar. Gerade hier ist es seine Pflicht, zu recognosciren, und nicht zu weichen, bis er – rapportiren kann. Es war vorgestern gewesen, daß er seine beste Interimsuniform angezogen und sich auf den Weg gemacht. Ein saurer Weg! Die Pflastersteine schienen Klebriges zu schwitzen, sie hielten seine Sohlen fest. Er aber sprach sich Muth ein: »Nun, und wenn es nichts ist, dann ist es nichts und Alles bleibt beim Alten.« Sein Herz wurde ordentlich leicht, aber nur auf einen Augenblick; je weiter er die Straße hinunterging, je näher er dem Hause kam, so schwerer ward es wieder. Er hätte auch sein Wort gehalten, was er sich selbst gegeben, nicht, wie wohl Andere in gleicher Herzensangst thun, ein paar Mal vor dem Hause vorüberzugehen, bis der Muth ihnen kommt. Nein, er wäre gleich das erste Mal eingetreten, wäre nicht der Mops gewesen. Was es nun war, ob er in etwas getreten, was Joly verdroß, ob eine angeborene Idiosynkrasie in dem Thiere gegen den Menschen lebte, genug, ein kleiner hässlicher fetter Mops klaffte ihn an. Als er sich des Störenfrieds entledigen wollte, machte er das Uebel nur ärger, der Tritt fiel wider Willen so unglücklich aus, daß das Thier, von der Stiefelspitze gehoben, winselnd auf das Pflaster fiel. Ein Dienstmädchen oder ein paar erhoben ein Zetergeschrei mit dem Hunde um die Wette. Natürlich über die Barbarei, ein armes Thier so grausam zu malträtiren! Nun war einmal etwas versehen, und Fehler hecken mehr als gute Thaten. Als er die Straße wieder heraufkam, waren zwar Mops und Mädchen verschwunden, aber die Equipage der Fürstin Gargazin stand vor der Thür. Er war muthig eingetreten. Von der Treppe kam ihm die Fürstin entgegen. Sie fuhr verwundert zurück: »Wirklich Sie! Nun, in der That, das nenne ich Muth.« Er hatte sich verbeugt, er war muthig geblieben. Sie war verschwunden. Auf der halben Treppe begegnete ihm der Legationsrath. Als Wandel ihn erblickt, blieb er stehen, lüftete etwas den Hut und öffnete den Mund, um – doch zu schweigen. Aber als Dohleneck auf der nächsten Stufe war, hörte er seinen Namen: »Was soll's?« »Mein Herr Rittmeister,« sagte Wandel, »ich hege nicht die Anmaßung zu glauben, daß Sie in mir einige Theilnahme für Sie vermuthen, indeß erlauben Sie die Frage: Wollen Sie zur Frau Baronin!« »Wenn es Sie nicht inkommodirt,« hatte Dohleneck erwidert. »So vergönnen Sie mir wenigstens die Bitte, zu bedenken, welchem Empfang Sie sich aussetzen. Ihro Erlaucht, die Fürstin, muß Ihnen ja begegnet sein; sollte sie nichts gesagt haben? Sie sind der Herr Ihrer Handlungen!« verbeugte sich der Legationsrath. »Aber« – setzte er mit unterdrückter Stimme hinzu – »ich glaube eben so wenig, daß Herr von Dohleneck das arme Thier auf der Straße mit Absicht mißhandeln konnte, als ich glauben mag, daß ein Kavalier von Ihrem Herzen und Ihrer Ritterlichkeit ein Vergnügen daran finden kann, eine unglückliche Frau, die in Thränen sitzt, noch unglücklicher zu machen.« Und noch blieb der Rittmeister muthig. Die Klingel hielt er in der Hand, als ein Hundegeklaff vor die Thür stürzt. Das war der Hund des Aubry, die Kraniche des Ibycus. »New, mein Joly, der hässliche Mensch, der soll dir nicht wieder was thun,« hörte er die Stimme des Kammermädchens. – Er hatte nicht geklingelt; er war wieder auf der Straße. Joly knurrte hinter ihm am Fenster. Und seitdem hörte der Rittmeister, wo er die Augen schloß, den Mops knurren und die Baronin weinen. »Alles um Dich!« – Er hatte wohl daran gedacht, sich in eine andre Garnison versetzen zu lassen; aber seine Schulden und seine Ehre! Nun kam ein tröstender Engel. Der Krieg befreit einen Militär von den Verfolgungen seiner Gläubiger und einen Liebenden von denen seiner Phantasie. Zu dieser trostreichen Ueberzeugung war der Rittmeister Stier von Dohleneck in dem Augenblick gelangt, er wollte auf diesen Tröster in der Noth ein Glas leeren, als, zu seiner Verwunderung, aus der leeren Flasche nichts mehr fließen wollte. Er schlug damit gegen das Glas, ein Zeichen, welches Herr Josty sehr wohl verstand, als die Thür aufging, aber statt des Konditors, der Kaufmann Herr van Asten eintrat. Sie mussten sich Beide schon kennen, aber die Freude des Wiedersehens schien auf Seiten des Rittmeisters nicht groß, noch weniger, als nach der ersten Begrüßung der Kaufmann einen Platz auf der Bank in der Art einnahm, daß er dem Offizier die Thür und den Ausgang dahin versperrte. Und als van Asten die abgetragene dicke Brieftasche aus dem Rock zog, zog sich auch das Gesicht des Rittmeisters sichtlich in die Länge. »Sie werden sich hier die Augen verderben.« »Bin Ihnen für Ihre Theilnahme sehr obligirt, aber was hier drin liegt, kenne ich Alles auswendig.« Diese Versicherung tröstete den Offizier noch weniger, besonders als er, trotz der Dunkelheit, mit seinem scharfen Auge einen länglichen, schmalen Papierstreifen, den van Asten jetzt unter andern auf den Tisch legte, sehr gut zu erkennen glaubte. Warum den Gruß der Batterie abwarten, lieber grad los darauf. »Herr van Asten,« sagte er, »inkommodiren Sie sich nicht. Ich kenne den Wisch. Sind noch vierzehn Tage hin. Wenn ich am Verfalltage noch lebe, na, da sprechen wir weiter davon. Bin ich aber todt, machen Sie und ich unsre Rechnung mit dem Himmel –« »Theuerster Herr von Dohleneck,« rief der Kauf mann, den Wechsel wieder in die Tasche schiebend, »was so viel Gerede um eine Bagatell! Zweihundert Thaler! Darum sollte der alte van Asten einen Offizier seines Königs molestiren! Bin ich ein Wucherer? Weiß ich nicht, daß ein Soldat vor dem Feinde Courage braucht? Courage und Kredit sind Verwandte und was kostet nicht die Feldequipage! Wie kann da ein Offizier an solche Lumpereien denken. Mancher hat auch sonst Liebes hinter sich. Möchte ihnen doch gern ein Angebinde zurücklassen.« Der Rittmeister von Dohleneck sah ihn etwas groß, aber nicht sehr klar an. Der Eingang war zwar angenehm, aber wer bürgte ihm, daß es der Ausgang auch sein werde? »Alle sind nicht wie Sie. Solidität wird eine immere rarere Eigenschaft, und der Krieg ist ein grausam Vergnügen. Wer weiß, wer zurückkommt und wer da bleibt! Wenn nun Alle blieben, wer soll da bezahlen. Wie viele Kaufleute sind mit ruinirt.« Der Rittmeister sah mit Verwunderung wie der Kaufmann eine ganze Partie ähnlicher Papierstreifen auf den Tisch legte. Es überkam ihn ein Schauer in der Seele Derer, die sich mit ihrem Namen darunter geschrieben, seine Stirn aber runzelte sich bei der Vorstellung, daß der alte Geldmann ihn etwa ausersehen, um über die Verhältnisse seiner Kameraden Auskunft zu geben. Ein schlauer Seitenblick des Andern las, was in seiner Seele vorging. »Wie werde ich denn einen Offizier zum Zeugen aufrufen gegen seine Kameraden! Das weiß ich, jeder Offizier muß für den Andern gut sagen –« »Na hören Sie, was das anbetrifft!« »Wir verstehen uns ja! Kavalierparole ist sehr was schönes. Giebt gar nichts schöneres in der Welt. Aber bei Wechseln, da halten wir Kaufleute, 's ist so 'ne alte Usance, uns an andre Dinge. Wer ins Feld marschirt z.B. kann nicht Alles mitnehmen; man erleichtert's den Herren, nimmt ihnen was zu schwer ist ab. Hatte da eben eine kleine Konferenz mit unserm Manteuffel. Das ist ein praktischer Mann.« »Hol' ihn der Teufel!« sagte der Rittmeister. »Weiß wohl, daß ihm die Herren Offiziere nicht sehr grün sind. Ja, lieber Himmel, wenn mal 'ne Sache unterm Hammer steht, giebt er sie weg um jeden Preis. Das ist wahr. Ist nu mal nicht anders. Die Moral ist, man muß es nicht dahin kommen lassen. Was nun des Herrn Rittmeisters kleinen Wechsel anbetrifft, so machte mir Herr Manteuffel die Proposition –« »Seelenmann, Sie werden mich doch nicht an Manteuffel verkaufen?« »Verstehen Sie mich, er wollte Sie einem Andern abgeben.« »Das ist ja Seelenverkäuferei!« »Sagte ich auch. Und ich wusste ja nicht, ob Sie gern mit dem Herrn in Konnexionen kämen. Nun wir kennen uns! Aber der Herr ist ein Fremder, und voll hätte er auch nicht gezahlt, und wie gesagt, wer weiß, ob Ihnen das recht ist, an den Legationsrath von Wandel abgegeben zu werden.« »Der!« Der Rittmeister legte schwer seine Hand auf den Tisch. »Sehen Sie, das hab' ich Manteuffeln auch gesagt. Er ist ja ein Ausländer! Sollen wir preußisches Blut, einen Soldaten unsres Königs, an einen Fremden verrathen? Wissen Sie denn, in wessen Diensten der Herr ist? Kann er nicht ein Agent des Bonaparte sein, kann der nicht den Auftrag haben, alle Wechsel aufzukaufen, die preußische Offiziere ausgestellt haben? Und wenn der Krieg losgeht, die Herren marschiren sollen, ja da hat der König keine Offiziere. Alle eingesteckt in Wechselarrest. Kann nun ein König Krieg führen ohne Offiziere? Der Bonaparte drüben freilich, woraus macht der sich nicht welche! Die sind denn auch danach. Aber wir müssen sie doch aus den Kadettenhäusern haben, aus guten Familien. Der Napoleon ist es im Stande, sagte ich zu Manteuffeln, denn dem ist Alles möglich. Manteuffel wischte sich die Brille ab, und meinte, ich dächte wohl an England, das Napoleon zu ruiniren denkt. Aber was für England passt, passe nicht für uns, wir hätten keine Bank zu sprengen. Ja, antwortete ich, wäre ihm doch beinahe gelungen. Und 's kann auch hier Manches springen. Aber 's soll ihm nicht gelingen. Meinen Herrn von Dohleneck soll er nicht in seine Klauen kriegen, ehe wir nicht wissen, wer er ist. Nun freut mich zu hören, daß der Herr Rittmeister ihn kennen, denn Sie fürchten sich in seine Hände zu kommen.« Der Rittmeister sah den schlauen Mann auch etwas schlau an: »Mich will bedünken, daß mein Herr van Asten ihn besser kennt als ich; sonst –« »Der klügste Mann weiß nicht Alles, und der beste Kaufmann lässt sich auch betrügen.« Es schien etwas im Kopfe des Rittmeisters, den der Rothwein noch nicht umdüstert hatte, aufzublitzen: »Halt, da entsinne ich mich –« Van Asten blätterte und glättete über zwei Papierstreifen. »Ein gelehrter Mann, ein feiner Mann, ein Mann von vielen Kenntnissen, hübscher Konduite. O ist gar nichts gegen ihn zu sagen, ein charmanter Mann –« »Hol' ihn der Teufel!« »Das ist schon manchem charmanten Mann passirt. Thäte auch gar nichts. Ein guter Wechsel gilt im Himmel und in der Hölle, man muß nur den Aussteller kennen. Es freut mich, Herr Rittmeister, daß Sie auch davon wissen. O wir haben manche Geschäfte mit einander gemacht, der Herr Legationsrath und ich. Prompt auf die Minute, und hat eine glückliche Hand. Wünsche sie Ihnen, Herr Rittmeister. Wirklich und wahrhaftig, Ihnen gönne ich alles Gute, das große Loos, 'ne todte Tante mit hundert Tausend, und noch lieber 'ne reiche Frau mit 'ner halben Million. Sie sind ein so gemüthlicher Mann. Hätte ich 'ne Tochter, na wer weiß. Ich sage – gegen die Wechsel ist auch gar nichts zu sagen. Sie sind nur etwas sehr lang. Und wem ich sie abgeben will, der sagt, was ich mir auch sagen könnte. Man ist manchmal auf den Kopf gefallen, Herr Rittmeister. Fallen thut nichts; man steht wieder auf. Aber auf den Kopf muß man nicht fallen, Herr Rittmeister! Also sagt mancher Mann: es kann ja inzwischen was passiren, er kann ja auch in den Krieg wollen, es kann ihn eine Kugel treffen. Einen todten Menschen kann man nicht in Wechselarrest bringen. Und wenn er auch nicht in den Krieg zieht, die Herren Kavaliere haben oft Händel. Sehen Sie mal, er kann ja in ein Duell gerathen. Paff! Wird mich der Todtschießer honoriren? Ja, wenn so ein Gesetz existirte! – Fällt mir bei, der Herr von Wandel hatte ja neulich eine solche Affaire. Richtig! Mit dem Sohn vom Geheimrath Bovillard! – Und Sie – ja Herr Rittmeister waren ja dabei.« »Wissen Sie das auch?« »Der Herr Legationsrath waren wohl erstaunlich muthig? Wollten immer drauf los?« Jetzt fixirte der Rittmeister den Anderen: »Hol' mich Der und Jener! – Ich glaube, Sie wollen mich aushorchen, was ich von ihm denke.« Herr van Asten sagte nicht ja und sagte nicht nein; er lächelte nur: »Weiß schon vielerlei, aber – wenn man auch schon das ganze i geschrieben hat, kann's einem doch gerade noch auf das Tippelchen drauf ankommen. Ist ein Politikus. Einem Politikus gegenüber muß man wieder einer sein. Ob er ein Spion des Groß-Mogul ist, oder ein Geisterseher, oder ein Magnetiseur, oder ein Lovelace, oder – oder – was kümmert's mich, aber – verstehen Sie mich, das Eine möchte ich wissen, ist's da mit rechten Dingen zugegangen, oder –« Der Rittmeister fuhr mit der Hand in die Frisur: »Blitz, ich glaube nein! Und wollen Sie's recht wissen, drei Mal, drei Mal nein. Und – unter uns: Es stinkt! Er hat's, Gott weis; durch wen, der Polizei gesteckt.« »Also nicht der junge Bovillard?« »Ein grundehrlich Blut, réparation d'honneur. Wie ein Kavalier sich benommen.« »Aber der Legationsrath hat ihn wieder aus dem Gefängniß losgebeten?« »Um ihn als Kourier fortzuschicken. Die Memme!« Der alte van Asten lehnte sich auf den Tisch und schüttelte den Kopf: »Da hätten wir also das Tippelchen auf dem i. – Na, Herr Rittmeister, welchen Wein lieben Sie am meisten? Werden mir doch die Ehre erweisen und Bescheid thun auf ein Gläschen?« Ein Tokaierfläschchen stand auf dem Tisch und färbte schon mit dunklem Gold zwei Gläser, als Dohleneck noch immer nicht wusste, wie er dazu kam. »Nu stoßen Sie an,« sagte der Kaufmann. »Worauf?« »Auf einen alten Esel! – Ja, sehen Sie mich nur recht an, und dann dreist los!« Die Gläser klangen, der Rittmeister zauderte aber doch fast erschrocken, ehe er den Feuersaft an die Lippen brachte. »Aber Herr van Asten, wie komme ich dazu?« »Warum ich ein alter Esel bin, das wünschen Sie zu wissen. Sie sollen's. Ist's mir doch so, als müsste ich Einem mein Herz ausschütten. Drei dumme Streiche! Wenn Sie die gemacht, na was wär' es! Ein Kavallerie-Offizier braucht nicht zu denken, aber ein alter Kaufmann! Pfui! – Pro prima, das ist wacklicht, pro secundo, das ist faul und pro tertio, das ist dumm. Pro primo, das sage ich Ihnen nicht, ist ein Kompagniegeschäft mit einem vornehmen Herrn. Das wackelt noch, aber kommt Krieg – fliegt's in die Luft; der große Herr wird sich salviren, der kleine bleibt hängen. Die Moral ist, 's ist nicht gut mit großen Herren Kirschen essen. Pro secundo habe ich vom Legationsrath drei kurze Wechsel auf drei lange prolongirt! Denken Sie, neun Monat! Darüber muß ein Kind zur Welt kommen; wenn nun ein Krieg kommt, wenn er eclipsirte! Die Moral ist: wenn man einen Aal am Kopfe hält, muß man nicht loslassen, sonst sitzt man bald am Schwanzende. Und drittens, denken Sie sich, da habe ich eben eine ganze Schrift, die der Nachbar Herr Mittler gedruckt hat, für mein baares schweres Geld aufkaufen lassen, verstehen Sie, alle fünfhundert Exemplare« »Was! Wollen Sie auch Buchhändler werden?« »Gott bewahre mich! Kontobücher, die andern taugen nichts.« »Was steht denn drin, was Sie so sehr interessirt?« »Lauter dummes Zeug.« »Was wollen Sie damit?« »Verbrennen! Sind schon Asche.« »Pestilenz!« rief der Rittmeister. »Sie sind mir ein kurioser Mann.« »Möglich. Sehen Sie, das dumme Zeug rührte von mir her, nämlich Blut von meinem Blut, von meinem Sohn. Konnte ich's nun übers Herz bringen, das dumme Zeug unter die Leute laufen zu lassen? Also fix in die Tasche gegriffen und Manteuffeln es ma chen lassen.« »Nu, das ist pfiffig gehandelt.« »Recht dumm, Herr von Dohleneck. Manteuffel glaubt zwar, er hat sie Alle gekriegt, aber Eins oder das Andere ist doch unter den Tisch gefallen, und wer das weg hat, giebt's nicht raus. Wird's nun erst bekannt, man kriegt keine mehr, dann fallen sie drüber her wie die Fliegen über's Aas, Jeder will's lesen. Ist das nun nicht eine pure Dummheit, hundert Thaler wegzuschmeißen, damit ich was Dummes erst recht in die Welt schicke!« Das lag außer dem Departement des Rittmeisters. Er stellte ein leeres Glas auf den Tisch: »Herr! wissen Sie was? – Aber verrathen müssen Sie mich nicht. Den einen dummen Streich wollen wir Ihnen repariren. Dem Legationsrath passen wir Alle auf die Finger, und wenn er sich mal attrapiren lässt, dann soll er Ihnen kein Kopfweh mehr machen.« Der Kaufmann war aufgesprungen und fasste den Rittmeister mit beiden Händen, ich glaube es war nur an den Kragen; ursprünglich war die Liebkosung den Ohren oder Backen zugedacht. Der Respekt ließ die Hände tiefer sinken: »Herr, sind Sie des Teufels! Keine Hand angerührt an meinen theuren Legationsrath! Wollen Sie mir fünftau – wissen Sie, wie hoch die Wechsel sind? – Herr, Goldmann, daß Dich! Nicht rühren an den Mann, bis – Wollen mich doch nicht ruiniren? – Und Alles bleibt geheim, nicht wahr?« »Die Wände werden nicht plaudern,« sagte der Rittmeister. Ein deutscher Handschlag, und der Rest der Flasche floß in das Glas des Offiziers. »Also,« sagte der Kaufmann, »indem er den bewussten Wechsel zum nicht geringen Befremden des Offiziers wieder aus der Brusttasche zog«, »also auf wie lange wollen Sie ihn prolongirt? – Denke auf neun Monat. Lieber Gott, in neun Monat, was ist da nicht geboren!« Mit einem raschen Schriftzug war die Prolongation erfolgt. »Sie haben mir 'nen recht großen Gefallen gethan,« schloß van Asten. »Könnte man alle Geschäfte so schnell abwickeln! Passirt aber auch nur unter Freunden, die sich ganz verstehen. Und wenn Sie sonst zur Equipage noch etwas bedürfen, einhundert oder zweihundert Thälerchen, klingeln Sie nur, Spandauerstraße, gleich um die Ecke, das dritte Haus, und dann links auf dem Hofe ist der Eingang.« 42. Kapitel. Fensterskizzen Zweiundvierzigstes Kapitel. Fensterskizzen. Es war ein grauer Herbsttag, an dem die Sonne nur dann und wann einen Blick auf die Dächer von Potsdam warf. Der Wind wehte die gelben Blätter durch die Straßen; öde sonst, heute belebt von Köpfen, Uniformen, Livreen aller Farben und Muster, von Physiognomien, die den verschiedensten Nationen, ja Welttheilen anzugehören schienen. Die Equipagen von Ministern, Generalen, von Gesandten und fremden Prinzen, rollten unaufhörlich zwischen den Palästen und Wirthshäusern, und zu diesen Gästen von diplomatischem Charakter kamen aus der Hauptstadt zahlreiche Postchaisen, Lohnfuhrwerke und jene langen und schmalen, ihrer Zeit wohlbekannten Charlottenburger Korbwagen, deren magere und keuchende Pferde zwölf Neugierige oder noch mehr aus der ersten auf ein Mal in der zweiten Residenzstadt absetzten.. Es musste ein großes Ereigniß oder eine große Erwartung sein, welche so viele Berliner, und an einem Tage, den beschwerlichen Weg unternehmen ließ. Ja, Potsdam, das lange verödete, schien wieder der Mittelpunkt eines europäischen Lebens geworden. Man sah es an den Blicken, man hörte es am Geflüster der Gruppen, aber nicht an den laut gewordenen Reden. Denn wenn Zwei sich begegneten, fragten sie nur: »Haben Sie ihn schon gesehen?« – Wenn ihn nicht, den ritterlichen Gast, hatte man doch einen seiner silberumgürteten Kosacken gesehen, die Straße auf, die Straße ab sprengten, angestaunt und bewundert von Allen. Und es war doch auch sonst so viel auf den Straßen zu sehen, was da selten sich zeigt: die ersten Männer des Staates, Militär und Civil, im Freien promenirend, in den Hausthüren, an den Ecken stehend. Es schien ein öffentliches Leben in der Stadt Potsdam, und – es war keine Parade! So vornehm die Männer und Gäste, waren doch nicht alle geladen, ja die wenigsten hatten in den Appartements des Schlosses Zutritt, welche heute mehr dem häuslichen und Familienbeisammensein geöffnet sein sollten. Aber gleiche Erwartung, Spannung, ob und was sich entwickeln werde, hatte die Ersten und Höchsten hergetrieben. Feldherren, Minister, und Kabinetsräthe, und nicht mit dem geheimnißvollen Nimbus der Autorität und des Allesbesserwissens um die Stirn, suchten, wie die Opferpriester im Pflug der Vögel, in den Mienen der Anderen, ob sie eingeweiht waren. Es mussten Wenige eingeweiht sein. Die eben vom Schlosse zurückkamen, antworteten, wenn Gruppen sich um sie bildeten, nur mit Achselzucken. Auch vornehme Damen standen an den geöffneten Fenstern. Neugierig schweiften die Blicke der Fürstin Gargazin über den Platz, und sie hörte nur halb, was der Kammerherr von St. Real erzählte. Er war im Schlosse gewesen und hatte aus dem Vorzimmer einen flüchtigen Blick auf das häusliche Glück im Schooß des Heiligthums geworfen. »Was helfen uns Familienscenen, Kammerherr!« »Seine Majestät der Kaiser ließen zwei der königlichen Kinder auf Ihren Knieen reiten. Ihre Majestät die Königin blickte mit verklärter Mutterfreude auf das Bild.« »Das glaube ich; aber der König?« »Stand, die Hände auf dem Rücken, daneben.« »Ernst wie immer?« »Nein, Seine Majestät lächelten. Alle meinten, das werde ein Unit é, die nie zerreißen kann.« »Aber Andern die Geduld,« warf die Fürstin ein. » Die Einigkeit da gefällt mir besser. Sehen Sie, Haugwitz mit dem Erzherzog Arm in Arm.« »Sie scheinen in ein sehr ernsthaftes Gespräch verwickelt,« bemerkte ein Dritter am Fenster. »Und Blücher schlägt hinter ihnen mit den Füßen den Takt. Er kann kaum seine Freude verbergen.« »Er sollte nur den Säbel nicht so klirren lassen! Lombard flankirt umher. Ihm ist's nicht recht. Er möchte gar zu gern Haugwitz einen Wink geben.« »Sehen Sie die Position, die er einnimmt. Sie sehen Lombard noch nicht, so sind sie vertieft. Jetzt müssen sie auf ihn stoßen, und geben Sie Acht, wie er sich wie ein Aal in ihr Gespräch schlängeln wird.« »Magnifique!« rief die Fürstin und klatschte ihre feinen Hände unwillkürlich zusammen. Ein rieselndes Gelächter der Umstehenden akkompagnirte ihre Empfindungen. Der Erzherzog musste Lombard gesehen haben, und mit einer geschickten und raschen Wendung bog er, kurz vor seinem Zusammentreffen, dem Hinderniß aus. » Parbleu! Erlaucht, steht er nicht da wie eine Salzsäule?« »Lombard verblüfft, ô c'est pour rire! « »Er recolligirt sich schon.« »Der rechte Mann um bonne mine au mauvais jeu zu machen. Aber sehen Sie Rücheln dort an der Ecke. Wie ein steinerner Roland, und ein Gesicht, als hätte er in eine bittere Citrone gebissen.« »Das ist schlimm, wenn Rüchel nicht zufrieden ist.« »Wie sollte er es sein, gnädigste Frau, wenn Blücher vor ihm triumphirt!« » Ah, Monsieur de Bovillard! « rief die Fürstin mit holdseliger Stimme, über die Fensterbrüstung gebeugt. » Den !« Die Kavaliere sahen sich verwundert an. »Er kommt wahrhaftig herauf.« »Meine Herren, von meinen Freunden erfahre ich nur, was ich weiß, an unsere Feinde müssen wir uns wenden, wenn wir lernen wollen,« entgegnete die Fürstin rasch umgewandt, während der Mann, welchem die Bemerkung galt, schon die Treppe herauf stieg: » Tout à, vos ordre, ma princesse! « keuchte der Athemlose sich tief verneigend. »Wer ist beim König?« »Haugwitz, wie Sie sehen, promenirt mit dem Erzherzog. Voß geht in der Antichambre verdrießlich umher, und sagt zu den Einen Ja, zu den Andern Nein. Hoym hat nur Augen für die Königin; er scheint im Vertrauen und wartet auf ihre Winke. Schulenburg und Angern unterhalten sich mit den Adjutanten über die Viehzucht in der Krim. Köckeritz sagt zu Jedem, es werde Alles gut werden, wenn man nur ruhig bleibt. Wittgenstein hat ein Paar vornehme Russen am Arm und zischelte ihnen die geheime Geschichte einiger Hofdamen zu. Zur Radziwill war Alexander sehr zuvorkommend. Sie ist ihm aber zu enthusiasmirt, hat mir im Vertrauen Fürst Woronzof gesagt. Er liebt die plastische Ruhe. Die Prinzeß Marianne bewundert er um ihre Schönheit, sie ist ihm aber wieder zu plastisch und klassisch. Comteß Laura –« »Um Himmels Willen, das Kataster unserer Schönheiten ein andermal!« unterbrach ihn die Fürstin. »Aber die Königin bleibt die Centifolie unter den Blumen, die Sonne unter den Sternen. Und welcher getreue Unterthan wagte dem zu widersprechen?« »Beim Gespräch vor der Kinderscene, ich meine im Kabinet, war kein Minister zugegen? Wo war Beyme? Ward Lombard von ihnen hinausgeschickt?« »Erlaucht, ich bin ja so unschuldig, wie ein neugeboren Kind, und, hol mich der Geier – pardon! – sie sind's alle im Schlosse. Es druckst etwas, und will nicht herausplatzen –« »Und der Allianztraktat? –« platzte es bei der Fürstin heraus. »Steht noch nicht auf dem Papier.« Die Fürstin war nicht mehr Diplomatin, sie ging mit Heftigkeit auf und ab: »Und von der Stunde hängt es ab! – Ist denn solcher – möglich! Jung und –« »Die Bedächtigkeit ist doch eine schöne Sache,« fiel Bovillard ein. »Ihr intriguirt doch hinter unserm Rücken,« fuhr die Fürstin auf, »trotz Beyme's Versprechen, das er der Radziwill geben musste, trotz des Gesprächs, was Lombard neulich mit der Prinzessin Marianne hatte. Ihr lasst Haugwitz mit dem Erzherzog Anton verhandeln, damit er von der wichtigern Unterhaltung mit Alexander abgezogen wird. Hardenberg lasst Ihr einer reisenden Schauspielerin mit Extrapost nachfliegen, daß er noch nicht nach Potsdam zurück ist; Prinz Louis zu einer opportunen Zeit dem König in den Weg treten, daß er aufgebracht werden musste. Stein, Gott weiß, wo Ihr den in den Winkel gestellt habt. Kurz, ich durchschaue alle Eure Ränke, und im wichtigsten Moment seines Lebens, wo er Rath haben muß , ist es Euch gelungen, ihn mit Nullen und Pagoden zu umstellen.« Wie Bovillard jetzt, aufrecht stehend, sie groß ansah, die Hand an der Brust, hätte der gewiegteste Psycholog geschworen, er meine es aufrichtig: »Erlauchte Prinzessin, die Flüsse spielen um den Berg, aber, wenn der Berg den Einfall bekommt einzustürzen, ist ihr Spiel aus. Einem Selbstherrscher aller Reussen gegenüber, der den Einfall bekommt, uns mit seinem höchst eigenen Besuch zu überraschen, hört unser Spiel auf. Der Gewalt weicht die Kunst. Jetzt spielen höhere Mächte und wir fügen uns als Stoiker in das Unabänderliche.« Es entstand eine Pause. Die Fürstin hatte ihre Promenade noch nicht beendet: »Einer muß doch den Anfang machen!« rief sie halb für sich aus dem Chaos ihrer Gedanken. »Aber wenn der Eine es nicht geschickt anfängt, schickt er ihn fort« sagte Bovillard. »So ging es Stein. Der Freiherr polterte mit einer Proklamation los, die er in der Tasche trug, am Schweif eine Kriegserklärung. Majestät zogen die Stirn und zuckten mit dem Arm. Stein sagte, was man wolle, müsse man zeigen, und was man zeige, müsse man wollen. Majestät sagten, sie hätten auch noch andre Räthe, auch kluge Leute, auch treue Diener ihres Herrn, die er schon länger kenne als den Herrn von Stein, und die nicht gleich mit dem Kopf durch die Mauer wollten. Zum Glück aplanirte der Kaiser mit einer liebenswürdigen Wendung den Riß.« »Und Stein?« »Studirt im Lustgarten den Kunststil der Dryaden und Najaden.« »Hardenberg wäre besser zum ersten Angriff gewesen. Wer denn nun? Johannes Müller ist doch citirt,« sagte die Fürstin. »Steht auch da, Erlaucht, mit der Feder in der Tasche, Dinte hat er auch, aber das Papier will man ihm noch nicht geben. Lombard ist ja auch berufen, hat auch die Feder gespitzt; je nach dem, französisch oder deutsch, hart oder weich.« »Aber nachdem Stein abgeblitzt, mussten doch Majestät Ihre Meinung äußern.« »Sie haben sie auch geäußert. Das Wort Kriegserklärung so hart noch herausgestoßen, ohne Ueberzuckerung, hatten Majestät dermaßen irritirt, daß Ihro Majestät die Königin dem Kaiser einen Wink gab. Alexander verstand sie auch mit einer admirablen Grazie. Nun ward der Krieg emballirt, in eine traurige Eventualität übersetzt, und unter dieser Umhüllung passirte er wieder in der Konversation. Wenn man nur den rechten Ernst zeige und nur zur rechten Zeit, dann könne man sich der sichern Hoffnung hingeben –« »Daß Bonaparte zu Kreuz kriecht! – O charmant!« rief die Fürstin, und dunkle Lichter blitzten auf ihrem Gesicht, die wenig zu der zurechtgelegten Sanftmuth passten. »Darum von Petersburg nach Moskau geflogen, darum eine halbe Welt in Aufruhr, darum diese kostbare Stunden in Potsdam! Um eine Ambassade, um eine neue Konferenz, um Protokolle –« »Ohne Ambassade, Erlaucht, geht es nicht ab, mein kleiner Finger sagt es mir.« »Die dem Korsen vorstellen soll, wie unbillig er gehandelt, ihm Moral predigen und Unterricht im Völkerrecht geben! Damit er sie, uns, alle, nicht allein verachtet, besiegt, mit Füßen tritt, nein, daß er sie auch verlacht. Und er hat recht.« Der Major von Eisenhauch war schon während ihres Gesprächs eingetreten. Er schien über die Gesellschaft, die er hier fand, verwundert. »Nun und Sie, Major?« Er zuckte die Achseln: »Bis zum außerordentlichen Gesandten ist man gekommen. Er soll morgen abreisen.« »Mit welchen Bedingungen?« »Man spricht davon, der Luneviller Friede soll zum Grunde gelegt werden.« »Die kann Bonaparte nicht annehmen,« sagte die Fürstin rasch. »Das wäre also so gut wie Krieg. Aber wer wird zu ihm gesandt?« »Haugwitz.« In den Gesichtszügen der Anwesenden war Ueberraschung, vielleicht etwas mehr, Entrüstung, Schreck zu lesen. Eine sprachlose Pause. »Ist das auch das Spiel der höheren Mächte?« fragte die Gargazin mit einem bittern Blick auf Bovillard, der verstummte. Der Major antwortete statt seiner: »Seiner Majestät eigener Wille. Niemand hatte natürlich an Haugwitz gedacht. Sie mögen denken, wie es auf Alle gewirkt. Aber des Königs Gerechtigkeitsgefühl spielte mit.« »Sagen Sie – ach, mir fehlen auch die Worte dafür. Er schickt den, der unter jeder Bedingung nach dem Frieden greift.« »Warum nicht den,« bemerkte Bovillard bescheiden, »der Napoleon persönlich angenehm ist. Zum Vermitteln schickt man doch nicht widerwärtige Geschöpfe.« »Um Vergebung,« nahm der Major das Wort, »ich glaube vielmehr, daß das des Monarchen eigenthümlicher Sinn war. Er wollte dem, welchen er durch einen gefassten Beschluß gekränkt, durch sein Vertrauen es vergütigen. Uebrigens ich glaube jetzt auch an Haugwitz. Er geht nicht gern, aber er geht. Der Erzherzog, der Kaiser, von allen Seiten überschüttet man ihn mit schmeichelhafter Aufmerksamkeit. Auch contre-coeur ist er verstrickt.« »Meine Herren,« erhob sich die Fürstin, »die Personen sind am Ende gleichgültig. Aber wo ist der Wille? Was ist beschlossen? Wann reist Haugwitz? Mit Courierpferden? Wohin? Welchen Termin soll er dem Usurpator setzen? Wenn er nein sagt, wann stoßen unsere Heere zusammen? Wo? Wo ist der Plan? Wo der Traktat? Fehlt es in Potsdam an Papier? Eine Feder kritzelt zu langsam. Mit Blitzen müsste man schreiben. Denn der Attila reitet auf Blitzen.« Sie sah sich vergebens nach einem Aufblitzen in den Mienen um. Die Herren zuckten die Achseln. Man blickte ziemlich rathlos zum Fenster hinaus. Auch dort waren nur fragende Gesichter. »Köckeritz kommt aus dem Schlosse!« »Rüchel packt ihn. Wie hastig sie sprechen!« »Rüchel ist außer sich. Er kneift den armen Köckeritz ordentlich in den Arm.« »O weh, seine Nachrichten müssen schlimm lauten.« Aber man sprach sich Trost zu. Es sei gut, daß man die Hitzigen aus der nächsten Umgebung zu entfernen gewusst. Die Radziwill und ihr Bruder hätten durch ein Wort alles verderben können. Die Königin operirte verständig und im Einverständniß; mit dem Kaiser. Sie leiteten klugerweise das Gespräch auf gleichgiltige, aber dem König angenehme Dinge, um in der Gunst der Stunde auf die Sache einzulenken. Dann lasse sich oft das Schwierigste in einem Augenblick abthun. »Und wer kann sich rühmen, daß er der Liebenswürdigkeit eines Alexander auf die Länge widerstanden hat!« bemerkte ein Begleiter der Fürstin mit einem feinen Seitenblick, der trotz der Aufregung verstanden ward. Es hatte sich noch Jemand in der Gesellschaft eingefunden, entweder jetzt erst, oder er befand sich schon eine Weile unbemerkt im Zimmer, das einer gemeinschaftlichen Schauloge ähnlich schien. Vom letzten Fenster wandte sich der Legationsrath von Wandel zu dem Sprechenden um: »Wir dürften uns die klugen Leiter dieses Tages zum Beispiel nehmen und wie sie die Ungeduldigen, unsere eigene Ungeduld zurechtweisen. Wenn man auch schon einig wäre, würde man einen geheimen Traktat vor aller Augen abschließen? Halb Berlin ist hier versammelt, die Ohren und Augen dringen bis durch die Mauern des Schlosses. Außerdem kennen wir alle die Scheu Seiner Majestät vor der Publicität. Man hat gewiß diesen Tag in Potsdam nicht ohne Absicht gewählt, aber nicht auf diesen Strom von Zuschauern gerechnet. Mich dünkt es ist sehr klug, daß man nun den Tag verstreichen lässt, um den Abend abzuwarten.« »Wissen Sie etwas?« Die Fürstin trat mit ihm bei Seite. »Eigentlich nichts. Man unterminirt und weicht aus. Alexander sucht ihm die Eventualität als gar nicht so gefährlich zu schildern. Es werde mit einer Entscheidungsschlacht abgethan sein. Wenn die drei vereinigten Heere zusammen agirten, müsse man den schon Geschwächten zerdrücken, wie er den Mack bei Ulm« »Und er rechnet aus die Leichen und das Blut!« »Dann meint Alexander, es werde vielleicht in dem Falle gar nicht zum Blutvergießen kommen; umzingelt, ohne Rettung, ohne Aussicht, werde er sich auf Gnade ergeben.« »Charmant! Majestät unser gnädigster Kaiser malen ihm auch vielleicht die Seligkeit der Großmuth. Wie sie den Besiegten aufheben, ihn an ihre Brust drücken wollen, wie Karl den Wittekind, ihn ihrer Liebe versichern und ihm ein bescheidenes Kaiserthum zuweisen. Nicht wahr, Majestät Napoleon werde gerührt von so viel Großmuth in Thränen ausbrechen, daß er sich in seinen wahren Freunden getäuscht, mit ihnen in einem heiligen Bunde geloben, fortan nur für das Wohl der Menschheit zu wirken. Und so weiter.« »Vergessen Erlaucht nicht: der König ist ein gerechter Mann und ein Mann von Takt. Durch Illusionen lässt er sich nicht bestechen.« »Bestechlich ist Jeder. Man muß nur viel und das Rechte bieten.« »Ihr Kaiser schien vergessen zu haben, daß der König vor Napoleon Respekt hat. Friedrich Wilhelm erinnerte ihn, daß er ein großer Feldherr sei, dem Gott Siege verliehen, und nur Siege, auch jetzt ein gekrönter Fürst, den er anerkannt, daß er Verträge mit ihm geschlossen, die ihm immer und auch dann noch heilig seien, wenn der Andere sie verletzt –« »Wirklich! Und –« »Da schien die Königin der Bock einen Wink gegeben zu haben. Sie trat mit einem der jüngsten Kinder herein.« » Et cetera, « rief die Fürstin ungeduldig. »Und nach dieser Kinderscene, was kam da für eine neue?« »Nachdem man wieder weich geworden, stellten Ihro Majestät ihrem Gemahl vor, ob nur Bonaparte vor Gott mit Siegen gekrönt, ob nur er Kronen trage, ob man um seiner Feinde willen seine Freunde vergessen dürfe? Ob er einen besseren Freund habe als Alexander? Ob irgend ein anderer Freund so gütig seine herben Launen würde hingenommen haben? Was er sagen würde, wenn der Kaiser aufgebracht, das Zimmer verlassen, sich in den Wagen geworfen und aufgebrochen wäre? Und was die Welt dazu sagen würde, wenn Alexander – nach solchem Embarras, scheide, breche? Ob das nicht ein Bruch mit Rußland, mit den Alliirten wäre? Ob Napoleon wenigstens das nicht so ansehen müsse? Ob er mit Gewalt in dessen Arme wolle gestoßen sein?« Der Legationsrath neigte sich zum Ohr der Fürstin: »Ein moralischer Koup. Irgend eine Attrape – um Mitternacht meint man. Worin sie bestehen wird, ist noch Geheimniß.« »Doch keine Geisterscheinung!« Die Fürstin sah ihn mißtrauisch an. »Die kämen im Jahre 1805 um zehn zu spät. Und woher wissen Sie es?« Der Legationsrath beugte sich wieder aus Ohr der Fürstin, als die Thür aufgerissen ward, und der Jäger herein rief: »Excellenz, Minister Laforest!« »Laforest!« hallte es leise wider von den Lippen; die Gesichter schienen zu erblassen wie vor einer Geistererscheinung. Aber Laforest's Eintritt verscheuchte den Eindruck. Ihm voraus sprang ein großes schönes Windspiel; er selbst im eleganten hellen Negligé-Ueberrock glich mehr einem Engländer als einem Franzosen; nonchalant und heiter, warf er leicht grüßend seine Blicke im Kreise umher, nachdem er vor der Fürstin sich verbindlich geneigt. »Herr von Laforest in Potsdam – das ist ja eine unerwartete Ueberraschung!« sagte diese. »Sie meinen, weil Duroc abgereist ist, müsste ich auch Pässe erhalten. Durocs Mission war Krieg, meine Frieden. Der Krieg geht ab, der Friede bleibt. Gnädigste Frau, das ist der Vorzug eines ordentlichen Gesandten, der sich um außerordentliche Dinge nicht zu kümmern hat.« »Excellenz haben vermuthlich doch die Dinge sehr nahe betrachtet?« »Ich kam auf dem Umweg über Sanssouei. Das herbstliche Laub giebt eine wunderliche Schattirung. Sie sollten dahin einen Ausflug machen. Herr von Stein ging an mir vorüber, ohne mich zu sehen. Ich mache nun wirklich nicht Ansprüche ein Menschenkenner zu sein, aber ein ABC-Schüler konnte auf seinem Gesicht lesen, daß seine Kriegspläne nicht durchgegangen sind. Ein Biedermann, ein scharfer Verstand, mit einem Wort ein Kraftgenie, dieser Herr von Stein. Wirklich schade, daß er ein Ideologe ist.« »Haben Sie gute Nachricht von Ihrem Kaiser? Seine Majestät befinden sich doch in erwünschtem Wohlsein?« »Er erwartet mit Sehnsucht den Ambassadeur aus Berlin. Sie müssen wissen, Kaiserin Josephine bewundert Kaiser Alexander in der Stille um seine Humanität, seine Ritterlichkeit. Sie möchte ihn gern von Angesicht sehen –« »Mein Kaiser Alexander ist zu galant, als daß er dem Wunsch einer reizenden Dame nicht gern entgegen käme.« »Auf das Entgegenkommen kommt es ja nur an, in allen Dingen.« »Das fehlte noch, daß uns Napoleon hier überraschte!« rief unwillkürlich Major Eisenhauch. Der Gesandte schien es gehört zu haben: »Aber nichts von Ueberraschung in so ernsten Dingen. Ein neutraler Ort in der Mitte, der findet sich ja leicht zum Fürstenkongreß. Drei, vier edle Monarchen, und noch edlere Menschen, begleitet von schönen Fürstinnen, holden Frauen, in deren Augen der Thau des Mitgefühls für Menschenleiden perlt, und in ihren Händen ruhend das Schicksal des Kontinents! Was giebt es Schöneres? Einen Dichter könnte es begeistern zu einer Ode. Leider sind Diplomaten keine Dichter. Tiras, Attention!« »Wohin?« Laforest war aufgestanden, der Hund sprang an ihn herauf: »Wittgenstein ließ mich dringend auf einen Augenblick bitten. Was wird es sein? Eine neue chronique scandaleuse. – Berlin ist von Ihrem Kaiser enchantirt. Weiß man noch gar nichts, wo sein Auge hasten blieb?« »Wohin sehen Excellenz?« »Prächtig! – Das sind die Söhne der Natur, Prinzessin! Besonders der ältere mit dem röthlichen Bart.« »Ach, die beiden Donischen Kosacken, seine Begleiter!« »Solche Ursprünglichkeit! Das erquickt das Auge. Wie zusammengewachsen mit ihren Pferden. Kein Blick der Neugier auf die Tausende, welche sie angaffen. Herr von Eisenhauch seufzt – gewiß über unsere Entartung. Ja, von den Söhnen der Steppe könnte wieder frisches Blut in unser Geschlecht kommen.« »Der Kaiser reitet jetzt wahrscheinlich aus,« sagte der Kammerherr. »Wenn Kaiser Napoleon uns mit seinem Besuch erfreuen sollte, sprach der Major, wird er uns doch auch mit seinem treuen Rustan überraschen.« »Hier braucht er keine Mamelucken,« fiel Laforest rasch ein. »Im Vaterlande der Humanität schützt ihn Ruhe und Ordnung. Er hat es oft gesagt, in Berlin würde er allein, ohne Waffen, ohne Begleitung in der Dämmerung durch die Winkelgassen reiten.« »Ein ehrenvolles Attest für uns!« bemerkte St. Real. »Gewiß!« stimmten Alle ein. »Wenn es seine irdische Krone verlöre, hätte Preußen auf die himmlische Anspruch, die den Friedfertigen verheißen ist.« »Wir sind Feinde, Herr von Eisenhauch,« wandte sich Laforest zum Sprecher, während die Fürstin zum Fenster hinaussah. »Feinde, aber in Einem kommen Sie doch mit mir überein?« »Ich gebe nichts auf.« »Auch nicht die Hoffnung, daß man hier noch Politik machen kann?« Der Jubel draußen galt dem Erscheinen des ritterlichen Kaisers. Zwei Schritt begleitete die Fürstin den Gesandten; seine Miene schien ihr noch etwas mittheilen zu wollen. »Was soll's noch, Excellenz! Die Orlogfahne flattert.« »Sie kann wieder abgenommen werden.« »Jetzt nicht mehr.« »Aber später.« »Die Kluft ist zu groß.« »Ueber die tiefste weiß die Diplomatie Brücken zu schlagen, wenn das Interesse es fordert. Wir sind Feinde, in Einem kommen Sie aber doch mit mir überein?« »Keine Allianz!« rief sie mit nervöser Heftigkeit. »Mit den Ideologen oder Germanomanen. Ich bin kein Dichter, aber vielleicht ein Prophet. Ich sehe die Brücke gespannt, die Rußland und Frankreich einst verbindet.« »Was wollte Laforest eigentlich?« fragte ein Russe, nachdem der Kaiser vorüber geritten, und die Gesellschaft sich wieder schweigend zusammen fand. »Auf die Frechheit den Hohn setzen!« rief Eisenhauch. »Belauscht hat er wenigstens nichts, was er nicht schon weiß,« versicherte Bovillard. Der Legationsrath erwiderte: »Vielleicht nur uns beschäftigt, um unsere Aufmerksamkeit von dem abzuziehen, was wir nicht wissen sollen. Die erlauchte Frau steht in Gedanken versunken?« »Ueber dem aufgewühlten Chaos hinzutänzeln wie auf Blumenwiesen ist die Kunst dieses Lebens,« sagte die Fürstin Gargazin. »Wer immer die Risse sähe und die züngelnden Flammen! – Ich liebe die Diplomaten, welche in jeder Situation die Dehors beobachten.« »Frau Baronin Eitelbach!« meldete der Jäger. »Unausstehlich,« schien auf den schwellenden Lippen der sanften Frau geschrieben; aber über die Lippen kamen nur die halb verhallenden Worte: »Auch die jetzt! Und wir stehen auf Kohlen!« wobei ein strafender Blick auf den Legationsrath fiel; der aber blieb bis auf ein leises Achselzucken unbeweglich. Es war die Protestation der Unschuld. »Sehr willkommen!« sagte die Fürstin laut, und als die Gemeldete eintrat, war der Schauer des Unmuths von Lippen und Stirn verschwunden, oder versteckt in dem herzlichen Embrassement. »Auch meine liebe Baronin! Ich weiß nicht, ob die Ueberraschung größer ist oder die Freude!« 43. Kapitel. Das Gespenst von Sanssonci Dreiundvierzigstes Kapitel. Das Gespenst von Sanssonci. Theilten nur die mit Sternen und Bändern die fieberhafte Stimmung? Auch unter dem schlichten Bürgerrock schlugen warme Herzen, bang, sehnsuchtsvoll, der Entscheidung entgegen. Nicht Alle vielleicht, nicht Viele unter Vielen, aber Alle fühlten, was es galt. Wenn nicht das Vaterland selbst, doch seine gefährdete Ehre. Und es war eine mächtige Blutströmung damals, weil der Glaube sie trug, daß sie unerschütterlich stehe am Firmament, angefestet mit dem Gestirn, das Friedrichs Ehre heißt. Unter Denen, die in dem langen Korbwagen aus Berlin gekommen, wusste man gewiß so wenig von dem, was im Schlosse vorging, als die in glänzenden Equipagen und mit blasenden Postzügen herübergerollt, es wussten. Und doch, obgleich ihre Ohren nicht so fein gespitzt, ihre Augen nicht so geschärft waren, um aus dem Schütteln einer Handkrause Schlüsse zu ziehen, was den Mann in dem Augenblick bewegte, der das Hemde trug, obgleich alle die feinern Vermittelungen, Organe und Bezüge ihnen abgingen, welche die Erwählten mit dem in Verbindung setzen, was ihnen als Herz gilt, doch wussten diese Massen weit mehr als Jene. Ein Tropfen Blut färbt ein Glas mit Wasser, ein Wort, eine hingestreute Nachricht, durchfliegt, bewegt, entzündet die Massen. Jene üben die Kritik der Phantasie, um ihre Denkkraft zu zersplittern bis zur Nichtigkeit, Diese lassen sich berauschen von einem Wink, Blick, Schall, ohne ihn zu prüfen. Jene legen die Empfängniß auf einen Destillirkolben, der auch den Diamant in Rauch zersetzt, bei Diesen fällt sie in den Zauberkessel des Glaubens, und steigt und schwillt zu einem riesigen Dunstphantom in die Lüfte. Warum konnte denn Kaiser Alexander nach Berlin gekommen sein, warum hatte man ihn nach Potsdam feierlich abgeholt? Warum hatten sich die hohen Herrschaften als Familie abgeschlossen? Warum war der Erzherzog Anton da, und die hohe Generalität in Gala? Es muß eine systematische Depravation vorgegangen sein, wenn das Volk bei außerordentlichen Akten an eine Komödie denken soll. Es war Vieles in Preußen vorangegangen, was das Volk geschmerzt, gekränkt, es hatte viele Männer hassen gelernt, und hielt andere für fähig, es täuschen und verrathen zu wollen, aber das die höchsten Behörden, Minister und Generale, die Regierung in ihrer Gesammtheit, daß der Hof, der König und der Kaiser ein großes Schauspiel vor ihm aufführe, hinter dem eine andre Wahrheit lauert, als die sichtbare, das hielt damals das Preußische Volk für unmöglich. Es glaubte an die Wahrheit wie an die Ehre seines Staates. Weil es glaubte, war es froh. In der Freude das Maaß der Schönheit beobachten ist nicht allen Völkern gegeben. Die Lustigkeit brach roh heraus. Wenn der Kosack die Peitsche wirbelte, jubelten sie ihn an, sein Hurrah erwidernd: »Los auf die Franzosen!« Man reichte den Söhnen des Don die Schnapsflaschen. Die Flaschen gingen auch im Volk von Mund zu Munde. Des alten Fritz Name, der Name Roßbach schallten unter einem Gelächter, daß Manchem die schönen Namen in der Gesellschaft leid thun konnten. Das musste auch Einem so gehen, der sich unter die dichtesten Haufen gemischt; er wollte die Volksstimme hören. Aber Walter van Asten fand nirgend die Volkstimme, die er suchte. Ihm schien die Freude empörend, mit der man dem Kosacken die Hände schüttelte, seine Stiefel, Sporen betastete, den Schweif seines Rosses streichelte. Einer im Haufen machte den Spaßvogel. Mit wankenden Füßen und rothaufgedunsenem Gesicht, malte er den Zuschauern, wie Napoleon bei Noßbach laufen würde, wofür schallendes Gelächter und Jubel ihn belohnte. Wo waren denn die Patrioten, die Walter suchte? Er musste in einer bösen Stimmung sein; wo er ging, wohin sein Auge fiel, sah er nicht was er erwartet. Im Volke Rohheit, blödsinnige Hoffnungen, in den Andern verbissene Wuth, militärischen Uebermuth oder Kammerherrngesichter. Er hatte auf ein Schauspiel gehofft, auf eines, das aufgehn werde, wie die Sonne am Frühlingsmorgen, auf einen Auferstehungstag des Preußischen Volkes. Wenn die Trommel wirbelte, eine Reiterschaar durch die Straßen sprengte, Aller Augen nach dem Schlosse sich wandten, wenn dann – die Fenster aufgerissen, der König an die Brüstung träte, an der Hand die schöne Königin, zur Seite der ritterliche Freund. Wenn er an die Brust fasste, die Hand zum Schwur gen Himmel hob: »Gott sei mein Zeuge, ich kann nicht anders. Was ich gethan, er weiß es, um die blutige Entscheidung zu sparen. Er wollte sie mir nicht sparen. Mein Volk, es ist kein Krieg um eitlen Vortheil, es gilt die Erhaltung deiner selbst, unsrer theuer errungenen Selbstständigkeit, es gilt Preußens mit Füßen getretene Ehe, es gilt den Augenblick, den nichts zurückkauft. Mein Volk, es gilt unser Dasein. Dies Wort ist Krieg und mein Volk wird zu mir stehen!« – Und das Volk wäre mit einer Stimme, mit einem Laut in des Königs Worte eingefallen. Dann hätten Thränen perlen mögen im festesten Auge, dann Jeder an die Brust des Andern fallen, dann die Arme sich zum Schwur erheben, ein Laut in die Wolken, nicht Jubel, Freude, Musik, ein Laut der Einigkeit zwischen Fürst und Volk. Die Trommel wirbelte oft, es blieben Präludien. Kavallerieschaaren preschten flimmernd und klirrend durch die Straßen, es war der Wind, der im Aehrenfelde rauscht. Nur eine Melodie summte alle Viertelstunde ihm in die Ohren, das Glockenspiel auf dem Thurme: Ueb' immer Treu und Redlichkeit Bis an dein stilles Grab, Und weiche keinen Finger breit Von Gottes Wegen ab. Er folgte den welken Blättern, die der Wind vor seinen Füßen trieb; ihm gleich wohin. Er folgte ihnen aus der Stadt, hinaus aufs Feld, auf die Höhen. Ehe er es selbst wusste, stand er auf dem Ruinenberge, der das unter ihm liegende Sanssouei und die noch tiefere Stadt beherrscht. Die Laune des großen Königs baute Trümmerwände eines römischen Cirkus hierher, die Arena sollte das Wasserreservoir werden, aus dem die Fontainen in Sanssouei und der Stadt gespeist würden. Das Werk mißlang, und der König gab es auf. Er war müde geworden des Kampfes mit den Menschen und der Natur. Die künstliche Ruine, von Unkraut überwuchert, von aufschießenden Kiefernbäumen umstanden, war selbst wieder zur natürlichen geworden. Die eisernen Röhren, zerschlagen, waren als Prellpfeiler an den Straßen benutzt. Walther lehnte sich an eine Arcade. Grau lag Gegend und Stadt vor seinen Füßen; von den geputzten Menschen drang kein bunter Flimmer über die Dächer, vom Geräusch kein Ton herauf. Er war einsam, nur die Krähen schwirrten um die Kiefern. Kalt die Luft, grau der Himmel, grau war es in ihm. Es war grau nicht seit heute erst. Mit geschlossenen Augen verfolgte er ein Schauspiel; die Träume seiner Jugend gingen an ihm vorüber. Der Ehrgeiz, der schon in des Knaben Brust gespielt, wie oft hatte er sie geschwellt, wonach hatte er nicht die Hand gestreckt! Was war jetzt sein? Wie vieles davon hatte er, mit männlichem Entschluß, es nie wieder anzusehen, selbst in die Rumpelkammer verschlossen. Die Dichterlerche wollte wirbelnd in die Lüfte steigen; hatte er nicht geträumt von Lorbeerkränzen und seinen Namen an die Säulen geschrieben gesehen, wo die glänzendsten stehen! Eine Schamröthe flog über seine Wangen. Dann – und dann, es waren Schaumwellen, und er lächelte. Aber er lächelte nicht mehr bei einem andern Gedanken, seine Hand presste sich krampfhaft an die Brust: Und auch das könnte ein Traum gewesen sein? – Liebt sie dich denn? – Er wollte die Frage, die wie Hammerschläge auf sein Herz pochte, fortdrängen, was gehörte sie hierher! Er glaubte sie heut wenigstens überwältigt zu haben; andere Gedanken hatten ihn hergetrieben. Aber wie neckisches Echo rief sie wieder aus jedem Winkel. Endlich schwieg das Echo, aber er sann einer anderen Frage nach, und seine Brust hob sich wieder: War das sträflicher Ehrgeiz, Jugenddünkel? Ist es mir den Adlern erlaubt aus der Wolkenhöhe auf die Erde zu schauen? Dringt des Menschen Geist nicht tiefer in die geschaffenen Dinge, fliegt er nicht höher als der Vogel? Was tiefer, höher! War das Ehrgeiz, daß er ein tiefes Uebel des Gemeinwesens erkannt, daß der Drang ihn übermannt, es vor der Welt hinzustellen und zu rufen: Helft, und so könnt ihr helfen! Wie ernst geprüft, studirt hatte er, dann nach vollster Ueberzeugung seine Gedanken ausgesprochen: so klar, deutlich; es musste ja Jedem, der die Augen nicht verschließen will, einleuchten. Und wo er anklopfte, verschlossene Thüren; wo er sprach, lächelte man. Hatte ihn Jemand widerlegt? Man hatte von schönen Gedanken gesprochen, aber wie die Welt sei, blieben es ja doch nur Chimären. »Sie hätten die ganze Welt für eine Chimäre erklärt, wenn der Schöpfer, ehe er das Werde sprach, die klugen Leute befragt hätte!« Und seine Schrift! War ihm nicht das seltsame begegnet, daß der Verleger, Herr Mittler auf der Stechbahn schon nach einigen Tagen, als er sich einige Exemplare zurückholen wollte, ihm lächelnd erklärt, daß sie sämmtlich vergriffen wären? – Verkauft? Alle bis auf das letzte, und – Niemand in der ganzen Stadt sprach davon! Weil es wenige politische Schriften jener Zeit gab, erregten sonst auch die unbedeutenderen Aufsehen, und von seiner wusste Niemand, Niemand fragte ihn danach, keine Zeitung hatte sie erwähnt! – Sein Auge streifte nach den Krähen hinaus. Dachte er an die Märchen von Raben, welche gestohlene Pretiosen in ihre Nester tragen? Da blinkte es allerdings golden in dem Krähenneste zu seinen Häupten, aber es war ein Nachmittagstrahl, der das rauhe Geflecht anröthete. Die Wolken waren gebrochen, und die Sonne goß mit gesparter Kraft ihren Goldschein auf einen Theil der Gegend. Sanssouei mit seinen Metallkuppeln fing den vollsten Strahl auf. Die Schnörkelspitzen der Dächer glühten, es musste warm werden auf der Terrasse, warm wie ein später Herbsttag es zulässt, und Waltern fröstelte auf der windigen Höhe. Die Thore waren geöffnet und unbewacht. Die Wege waren mit welkem Laub überstreut. Das Knistern seiner Schritte rief kein lebendes Wesen herbei; wen seine Beine trugen, war nach der Stadt gewandert. Ja, es war laue Luft auf der Terrasse und Walter müde. Er setzte sich auf einen der Steine, unter denen Friedrichs Hunde ruhen. Es stand ein verwitterter Name darauf. Ob unter Allen, die jetzt lebten, einer das Thier gekannt, das ihn trug! Und doch hat sein Name Antwartschaft auf Unsterblichkeit! Die Orangerie war längst in die Glashäuser geschafft, es sah leer, wüst und zerstört aus. Nur einige von den Riesenkürbis, die man nicht der Mühe werth hielt fortzutragen, faulten am Boden. Die hohen, bis zur Erde reichenden Glasfenster des Palastes waren golden von der Sonne angeglüht. Der Reflex des Lichtes blendete ihn, und doch sah er immer wieder hin: »als wären es seine großen Augen!« Wenn diese Augen herab sähen, wenn sein Geist jetzt in den öden Sälen wandelte! Wenn das zur Strafe an der Schwelle der Ewigkeit dem Größten seines Jahrhunderts diktirt wäre, zurückzukehren als Schemen und zu sehen, hören, einzuschlürfen den Schmerz, wie Staub und Wetter, Moos und Rost seine Schöpfung umzogen! Noch nicht zwanzig Jahre vergangen, und wo war seine Herrlichkeit! Klopfte es nicht an die Fenster, war es nicht sein Finger, der voll Unmuth dagegen hämmerte? – Auch die körperlosen Wesen haben nicht die Macht, sie sind nur der Schwamm, der die Feuchtigkeit der Luft einsaugt, die Aeolsharfe, die vom Wind bewegt wird, die Seele, die den Weltschmerz empfangen muß; aber keine Thräne, kein Wehruf, nicht das Blinken der Augenwimpern ist ihnen vergönnt, ihren eigenen Schmerz den Lebendigen kund zu geben! Walter war ein Romantiker gewesen, an Geister glauben, war damals sein errungenes Recht. Aber an Friedrichs Geist glaubten die Romantiker nicht. Das Licht des achtzehnten Jahrhunderts war ein anderes, ein künstliches, selbst verfertigtes von einem nüchternen Geschlechte, blasse Strahlen werfend wie Mond und Nordlicht, keine Wärme verbreitend. So hatten sie gelehrt, so hatte er geglaubt. An einem andern Lichte müsse der Geist entzündet werden, an einem andern Feuer das Blut erwarmen. Nicht durch die Vernunft, numine afflatur der Geist. So steigt er in die Höhen der Seligkeit, wo das Auge trinkt aus einem Silbermeer der Wahrheit und Gnade, bis es trunken wird von Klarheit und Wonne. So hatten sie gelehrt und er hatte geglaubt. Dazwischen lagen freilich Jahre, und andere Gedanken hatten wie der Widerschein eines Weltbrandes in seiner Seele gezuckt. Was er noch lehrte, glaubte er nicht mehr, und was er glaubte lehrte er nicht mehr. – Ist denn nicht alles Licht aus einem Quell, der Funke, den der Titane stahl aus dem verschlossenen Schatz der Ewigen, und keine Fluthen, die der Himmel herabgießt, löschen es mehr! Dort mattes, frostiges Licht, es wärmt nicht; hier züngelnder Flammenschein, er sengt, verwirrt dich, sein Feuerhauch verzehrt dich vielleicht. Was ist besser? Seitdem war er aus der Schule ins Leben übergegangen. Er hatte aus der Pflanze, aus dem Stein ihr Licht gezogen; er suchte wieder nach einem, aus dem alle Lichter kommen und das Leuchten in allen Zeiten. Aber das Licht, das aus Friedrich leuchtete, war ihm ein kalter Schein geblieben. Man sagt, wer ein Romantiker gewesen, wer einmal aus dem Zauberquell getrunken, und aus der Erde die geheimnißvolle Wurzel riß, der höre immer summen und klingen die Zauberweisen, die ewigen Klagen und das ewige Hohngelächter der Natur, die nach Erlösung ächzt; es sei der Venusberg, der sich immer wieder aufthut Dem, der aus ihm entronnen: sagen die Verständigen. Aber ich liebe die Schatten der Wälder, wenn mir zu heiß ward zwischen den Gluthöfen und ihren dampfenden Schornsteinen, unter dem Strahl der Saaten-reifenden Mittagssonne. Dann strecke ich mich auf das schwellende Grün unter ihren Riesenästen, und lausche dem Vogelgesang, dem Rieseln der Quelle, die an ihren Wurzeln spielt. Die Vögel und die Quellen singen: Und wurden diese Bäume denn geboren, als es Nacht war, weckte nicht auch sie der lebenzeugende Strahl aus dem Schoß der Erde, strebten sie nicht zum Licht und breiteten ihre Wipfel nach dem Sonnenreich! Wehe dem armen ausgebrannten Menschengeschlechte wenn es auch gar nichts mehr hört von dem Rauschen der Zauberwälder. So dachte vielleicht der ehemalige Romantiker Walter van Asten. Und Friedrichs Erscheinung war ihm wie die eines übelwollenden Gnomen, in eine Welt gesetzt zu der er nicht passte. Da saß er auf der Brunnenröhre – das Bild kam ihm wohl von dem bekannten, der König nach dem Tage von Collin – den Dreimaster verschoben auf den schlecht gepuderten Locken und zeichnete mit dem Stock Figuren. Der Tabak lag dick auf seiner Schoßweste, die Augen wühlten glanzlos im Sande; er hatte keine für die liebende Theilnahme seiner Genossen, die ängstlichen Blickes um ihn standen. Und wenn dieser Friedrich eine Welt in sich trug, so war es vielleicht eine aus einem anderen Jahrhundert, aus anderen Zonen über dem Ocean. Er war verfrüht und isolirt auf dieser Scholle. Die Freunde der Jugend, wenn er deren gehabt, hatten die Wellen der Jahre fortgespült; er saß, ein eigensinniger Greis, der nur auf sich hörte, mißtrauisch gegen Alle, ein Einsiedler in der neuen Welt, die nicht mehr seine war. Seine großen Augen sahen nicht den Wechsel der Geschlechter, nicht neue Jugend um sich, und andere Ideen, die mächtig sich empor rangen aus dem Deutschen Volke. »Was sähe denn jetzt dies große Auge?« rief er unwillkürlich laut. Aber als er seines aufschlug sah er eine Erscheinung. Unfern von ihm auf einem anderen Steine saß Friedrich. Uebergebückt, die Locken überschattet von der schiefen Spitze des alten Hutes, zeichnete er mit dem Stock im Sande. – Die Erscheinung verschwand nicht, als Walter die vom Sonnenlicht geblendeten Augen rieb; es waren aber nicht Friedrichs Augen, als die Erscheinung den Kopf wandte und ihn fragend ansah. »Des großen Königs Auge, meinen Sie?« sagte der alte Mann, und ein Seufzer machte sich Luft. Er war ein Militär aus Friedrichs Zeit, und Walter wegen seiner Täuschung zu entschuldigen, wenn nicht schon der Abendsonnenflimmer und die Träumereien es übernommen. Der Typus eines bedeutenden Mannes drückt sich unwillkürlich seinen Dienern und Bewunderern auf. Es giebt Momente, wo zwei Unbekannte sich ihre Gedanken ablesen, ehe sie ein Wort gewechselt. Der Blick und die Physiognomie allein thun es nicht; es ist der Ort, die Stunde, das Licht, die Luftschwere oder deren Leichtigkeit. Sie können Jahre lang sich begegnen, Worte tauschen, und bleiben sich doch fremd, es ist der Zauber des Augenblicks, welcher die Seelen aufschließt. Der Weg zum Gespräch war kurz, wo Beide sich entgegen kamen. »Was war denn ein Vaterland,« rief der Major mit dem Stock in die Erde bohrend, »als er die Franzosen lieben lernte, was sie ihm jetzt zum Verbrechen machen! Ich alter Mann lese nicht viel neue Bücher, doch aber einige, und ich lese es mit Schmerz, wie die Jugend den Einzigen richten will. Wie war es denn damals? Sehen Sie um sich, so weit das Deutsche Reich ging, – wie musste er sie zu sich heran schleppen! Sie liefen ihm dann nach, nur weil er's kommandirte. Nun, war's da zu verwundern, daß er keinen Respekt bekam vor den Leuten, die auf Kommando ins Licht blickten, daß er auf die nicht hörte, die ihn nicht verstanden, und wie er alt und grämlich ward, auf Niemand mehr.« Walter wies auf die Glasthür in der Mitte: »Dort saß der König dieses Landes mit dem hergelaufenen Witz aus allen Ländern, und beim schäumenden Glase sprühte von ihren Lippen der Spott über die, welche im Könige ihren natürlichen Anwalt haben sollten.« »Haben Sie, mein junger Herr, den König da im Saale sitzen gesehen?« »Nein,« entgegnete mit etwas verlegener Stimme Walter. »Ich war zu jung, und als ich ihn einmal sah –« »Ich habe ihn gesehen,« fiel der alte Offizier ein und schwieg einen Augenblick; dann fixirte er den Andern. »Sie sind kein Junker, wahrscheinlich ein Gelehrter?« »Wenn die Menschen durchaus in Stände getheilt werden müssen, würde man mich dazu rechnen.« »Verlangen Sie, daß ein Friedrich sich seine Tischgesellschaft aus Denen holen sollte, die zum Wollmarkt kommen? Lieber Gott, mich dünkt, er hatte genug gethan, wenn er ihnen alle Stellen ließ in der Armee, und im Civil ja auch. Nun, an seinem Tisch lassen Sie ihm doch seine Franzosen, Engländer und Italiener. Die witzigen Seifenblasen beim Champagnerglase wurden ja schon runter gespült bei der Tasse schwarzen Kaffee.« »Aber nachdem er den Kaffee getrunken! Er hatte ja sein Volk gebildet! Sie sagten eben, er hatte sie heran geschleppt. Seine Junker lasen ja schon die Pucelle, ihm zum Vergnügen, und wussten kaum, daß eine Jeanne d'Arc gelebt. Homer und Leibnitz waren ihnen unbekannte Größen, aber sie lachten aus Herzenslust über den Candide!« »Nachgethan hat es ihm Mancher. Aber wie! Daß Gott erbarm! Sollte er Die als seinesgleichen in die Arme schließen! Als er aus dem Nichts heraus arbeitete, bei seinem Schöpfungswerke, wer hat ihm da von allen seinen Landeskindern geholfen!« »Und was davon ist denn noch!« sagte Walter und senkte den Kopf. »Es muß doch schon noch etwas sein,« entgegnete mit sarkastischem Tone der alte Militär. »Denn um der Hunde willen, die unter uns liegen, sind Sie doch nicht hier? Auch kommen darum nicht die vielen Tausende Fremder, die des Jahres die Terrasse besehen wollen. Drinnen, da hinter den Glasfenstern, ist's leer, der Staub wirbelt im Sonnenschein und die Motten nisten in den Polstern. Warum lässt man sie darin? Warum ist denn noch Niemand in dies Haus gezogen, nachdem er es verlassen? 's ist ja so luftig und hübsch. So meinen Sie doch wohl, daß drinnen noch etwas ist, davor sie Respekt haben, und gehen ihm fein aus dem Wege.« »Vielleicht die Furcht vor dem Gespenst mit dem Krückenstock,« warf Walter hin. »Kann wohl sein,« nickte der Major und wies nach Potsdam hinunter. »Warum kämen sie sonst aus Petersburg und Paris her, und legten ihr Ohr an die Thüren? Selbst der mächtige Kaiser! Warum ständen die gesattelten Courierpferde in den Ställen, um das Ja oder Nein nach Wien und London zu tragen? Um uns doch nicht! Sein Geist ist's allein, mein junger Herr Gelehrter, der noch da sitzt; auf den horchen sie, vor dem schüttelt es sie, die Großen und Mächtigen, daß er plötzlich aufstehen könnte, und sich schütteln im Zorn. Herr, was wir sind und haben ist sein Werk, unser Name, unsere Straßen, unsere Häfen, unsere Ordnung, unser Respekt. Sein Auge leuchtete als Stern den Unterdrückten. Sein Wort, das er donnerte, als der Müller Arnold klagte, dröhnte durch Europa und es wird durch die Welt hallen, so lange sie steht. Sein Wort, daß Jeder in seinem Staate selig werden solle, wie er will, Gott Vater im Himmel, kann denn das je vergessen werden! Walte der !« setzte er nach einer Weile hinzu, indem er den Hut von der Stirn nahm, es war wohl um zu verbergen, daß er die Hände im Schooß faltete. »Walte der da oben, daß jetzt sein Geist da unten mitspricht!« »Amen!« rief bewegt der jüngere Mann. Der Offizier bemerkte es, wie er heftig dabei die Arme verschränkte, und finster in sich schaute. Er warf ihm einen ersten freundlichen Blick zu: »Sein Werk ist doch wohl noch nicht untergegangen, denn sein Volk lebt noch!« »Und er zögerte nicht Ja zu sagen,« fiel Walter ein, »wenn eine halbe Welt ihn zu beschwören kommt.« »Nein,« sagte der Alte jetzt aufstehend, »aber der große König hätte sich nicht beschwören lassen, er wäre der halben Welt zuvorgekommen, und hätte den Degen gezogen, und sie beschworen, daß sie ihm folgen musste. Das ist's, da liegt der Unterschied. Wo wir drauf losgingen, siegten wir; wo wir's an uns kommen ließen, zogen wir den Kürzern.« Sie wurden hier unterbrochen. Eine Gestalt am andern Ende der Terrasse war schon eine Weile sichtbar oder hörbar, nur sahen und hörten die Beiden im Eifer ihres Gesprächs sie nicht, und der ältliche, sehr wohlbeleibte Mann, der ihnen mit einem weißen Tuche ängstlich winkte, vermochte wegen seiner Körper schwere nicht so schnell heranzukommen. Jetzt aber war er da, und wer er war und was er wollte, erlitt keinen Zweifel. 44. Kapitel. Zwei subalterne Personen Vierundvierzigstes Kapitel. Zwei subalterne Personen drohen den Gang der Geschichte zu ändern. »Kurz, es ist nicht erlaubt, hier auf den Steinen zu sitzen.« So schloß der wohlbeleibte Mann mit wichtiger Miene eine Strafrede, die seinen Athem erschöpft und sein Gesicht gefärbt hatte. Trotzdem schien sie auf die Beiden keinen Eindruck gemacht zu haben, denn sie sahen sich lächelnd an, als der Beamte mit dem weißen feinen Taschentuch den Staub, oder ihre Berührung von den Steinen klopfte. Ein Beamter war er, dafür sprach jeder Zoll an dem Mann: nur welche Charge er bekleidete, ist uns nicht aufbewahrt. Ein Beamter, nicht in Uniform, aber in Galastaat; einem feinen Rock, der gewiß einst geschmackvoll um den Leib schloß, nur hatte der Körper dem Fortschritt gehuldigt, während das Tuch konservativ geblieben war. Weiß waren die seidenen Strümpfe, weiß die Weste, und das Jabot stritt mit dem Zopf und der Frisur um die Wette, was glänzender sei; farbig war nur der Rock, roth nur das Gesicht. Sein Blick, als er sich umwandte, schien zu sprechen: »Und Sie sind doch noch hier?« Walter stand im Schatten, auf das Gesicht des alten Majors glühte der rothe Abendstrahl. Es lag wieder Friede darüber ausgebreitet, als er lächelnd sprach: »Vor zwanzig Jahren, als ich auf die Terrasse kam, führte mich der Wachthabende selbst zum großen König Ich sah ihn sterben. Nun weist man einen alten Soldaten fort, weil er kam, nur um seinen Geist zu sehen. – Freilich, es kann gefährlich werden, Friedrichs Geist zu sehen.« Leicht den Hut gegen den jungen Mann lüftend, hatte sich der Invalide umgewandt und war die Treppe hinabgestiegen. »Aber was fällt Ihnen denn ein, Herr Pathe Nähtebusch,« sagte Walter plötzlich. »Einem alten Soldaten seinen Ruheplatz nicht zu gönnen!« Als der Beamte die Hand vorm Gesicht, um die Sonnenstrahlen abzuhalten, den jungen Mann erkannt hatte, machte er eine lebhafte Bewegung. »Aber war ich denn blind!« Fast schien es, als wollte er ihn umarmen. »Herr Jemine, und das war Ihr Bekannter!« rief der Ober-Kastellan, um ihm doch einen Titel zu geben. Herr Nähtebusch winkte und rief umsonst; der Major hörte nicht, oder wollte nicht mehr hören, und es wäre zuviel vom Ober-Kastellan verlangt gewesen, ihm nachzulaufen. Er hatte eine Konstitution, die das nicht ertrug, und er kam aus der Stadt! Was das sagen wollte, werden wir hören. Nicht der Aerger hatte sein Gesicht geröthet; es war die Freude, vielleicht auch der Wein. Herr Nähtebusch hielt auf Konnexionen. Sollte die Fama, die ihm nachsagte, daß er ihnen seinen Posten verdankte, jetzt von ihm sagen, daß er einen Bekannten vom Sohne des reichen van Asten fortgewiesen wie einen Vagabunden? Einigermaßen beruhigte es ihn, als er erfuhr, daß Walter den alten Offizier hier zum ersten Mal gesehen, es beruhigte ihn aber wieder nicht, daß Walter ihn nicht kannte, nicht einmal seinen Namen wusste, daß er aber vermuthete, er sei ein ausgezeichneter Offizier gewesen. Aber wieder beruhigte es ihn, daß er pensionirt sei. Ein Pensionirter hat selten noch viel Konnexionen! Herr Nähtebusch trocknete jetzt den Schweiß von seiner Stirn und athmete auf: »Lieber Herr Pathe, lassen Sie sich das eine Warnung sein. Man muß sich mit Niemandem in ein Gespräch einlassen, den man nicht kennt. Man weiß nicht, in welche Verlegenheiten es uns nachher bringt, und junge Leute, erlauben Sie mir's zu sagen, schließen gar zu gern ihr Herz auf.« Man sah's dem Herrn Ober-Kastellan an, daß er das Bedürfniß fühlte, auch seines aufzuschließen; ja, er war in der Stadt gewesen, im Schlosse, man hatte ihn an die Thür gelassen, als die hohen Herrschaften speisten. »Nicht Jeder hatte das Glück gehabt,« sagte er mit einer stillzufriedenen Miene. Er hatte sie essen gesehen. Nach Tische, als der König mit dem Kaiser Arm in Arm umherging, und dieser vor Huld und Güte gegen Jeden strahlte, hatte der König ihn, den Glücklichen, dem Erhabenen vorgestellt. Denn war es das nicht, als er sagte: »Und das ist der Mann, der in Sanssouei zur Ordnung sieht!« Alexander hatte darauf etwas französisch erwidert, was, hatte Herr Nähtebusch nicht verstanden, aber es war gewiß etwas sehr Gnädiges; die Melodie der Worte summte ihm noch in den Ohren. Aufmerksamer hatte Walter dem Schluß der Mittheilungen zugehört. Herr Nähtebusch sprach viel. Wem verdanken Gesandte oft ihre wichtigsten Nachrichten? Nicht Räthen und Ministern, dem feinen Ohr der Kammerdiener. »Sie glauben also, es ist Alles regulirt und abgeschlossen?« »Alles!« entgegnete Herr Nähtebusch, und um sich vollständig zu erholen, nahm er eine lange Prise. »Bis aufs Kleinste. Morgen in der Vormittagsstunde fahren die hohen Herrschaften nach Berlin zurück in einem Ensemble. Im Rittersaal ist große Tafel. Wissen Sie wohl, es wird vom goldenen Service gespeist. Das kommt aber erst nachher in die Zeitungen. Abends besuchen Höchstdieselben im Nationaltheater die Vorstellung der Oper Armida. Bei ihrem Eintritt in die Mittelloge werden Höchstsie durch einen Tusch von Trompeten und Pauken aus den Balkonlogen begrüßt, und das ganze Publikum erhebt sich mit einem Vivat, das nicht enden will. Dasselbe wiederholt sich beim Schluß der Oper. Folgenden Tages ist große Wachtparade auf dem Lustgarten. Alsdann besehen Majestäten in zwei achtspännigen Equipagen die Stadt. Mittags ist Diner beim Prinzen Ferdinand in Bellevue. Eine Denkmünze auf die glorwürdige Zusammenkunft ist bereits unter dem Prägestock. Der Medailleur, Herr Loos, ist der Verfertiger, und wenn ich übermorgen in die Stadt komme, hat er versprochen, sie mir zu zeigen. Aber das, lieber Pathe, bleibt unter uns.« Sie waren dabei auf der Terrasse auf und ab gegangen. »Und nach dem Diner bei Prinz Ferdinand?« »Reisen Seine Majestät Kaiser Alexander ab. Die Pferde sind schon bestellt.« »Und weiter nichts?« Mit einem ungemein schlauen Lächeln klopfte Herr Nähtebusch auf seine Dose: »Man spricht auch noch von einer kleinen Attrape.« »Einer kleinen –« »Wie man's nehmen will! Wenn Majestät der Kaiser auf nächster Station, man sagt in Vogelsdorf, eine Erfrischung fordern, wird's im Kruge heißen: die Leute sind alle auf dem Felde und im Stalle. Der Kaiser wird sich dann in den Kuhstall zu begeben geruhen, um einen Trunk frisch gemolkener Milch anzunehmen. Und die Bäuerin, die eben melkt, wird sehr überrascht sein von den vornehmen Gästen, aber Seine Majestät der Kaiser werden noch weit mehr erstaunt sein, wenn sie der Bäuerin ins Gesicht sehen, die ihm die Schale reicht. Na, was sagen Sie dazu, mein lieber Herr Pathe? – Ich habe aber nichts gesagt, es sind ja nur Konjekturen,« sagte Herr Nähtebusch und rieb sich die Hände. Sie standen am anderen Ende der Terrasse: »Also auf eine Trianon-Scene läuft es aus; das ist ja alles recht schön und gut,« sagte Walter. Herr Nähtebusch sah den jungen Mann mit einem eindringlichen Blick an. Fast war's ein durchdringender, indem er seine Hand fasste, und wir hatten uns in ihm geirrt. Die Purpurröthe des Echauffements verbarg nur den Psychologen. »Mein lieber Herr van Asten, als Ihr Herr Vater mir die Ehre erzeigte, mich bei Ihnen zum Pathen einzuladen, sagte ich's voraus, das ist ein Junge, der wird's zu was bringen. Ich hatte vorgestern wieder das Vergnügen, mit Ihrem Herrn Vater zu sprechen. Da müssten Ihnen die Ohren geklungen haben.« »Mein Vater, wissen Sie –« »S' ist ein kluger Mann. Die Jugend muß ihre tollen Hörner ablaufen, hat er gesagt. Ich Dummkopf glaubte, daß man seinen Sohn zum Studiren auf die Universität schickt, hielt meinen deshalb kurz. Und der Junge war nur zu gehorsam, er ›büffelte,‹ gab zu wenig aus, und nahm zu viel ein, nämlich fixe Ideen, sagte der Herr Vater. Nun haben wir die Bescherung. Das tolle Feuer, was 'raus schwären sollte, steckt noch drin, und 's bricht an der unrechten Stelle los. Dem Jungen mache ich keine Vorwürfe, mir mache ich sie.« »Und der Herr Pathe legten gewiß ein freundlich Wort ein. Will man mich vielleicht noch ein Mal auf die Universität schicken, um das Versäumte nachzuholen?« »Erlauben Sie mir, ich sagte ihm: das Leben ist ja auch eine Universität. Er kann ja auch hier seine Hörner abstoßen; je toller er drauf los geht, um so eher wird er stumpf. Wie ist er da beim Minister angelaufen. Wird auch noch öfters anlaufen! Sind nicht alle Minister so human, daß sie die Rappelköpfe nach Karlsbad schicken. 's ist Mancher eingesperrt worden, der sich die Zunge verbrannt hat. Schadet auch nichts. Der Sohn vom Geheimrath Bovillard, wie oft hat er gesessen! Man kann's gar nicht zählen. Der Vater war so klug, hat sich nicht um ihn gekümmert; nun ist er von selbst zu Kreuz gekrochen. Ist kirr geworden, um den Finger zu wickeln; lässt sich vom Vater parforce schicken, wohin es ist, und wenn er sich müde geritten hat, dann giebt ihm der Vater 'ne kleine Stelle, sucht ihm 'ne Frau aus, die ein bischen Geld hat. Zuerst in 'ner kleinen Stadt, wo er über den Akten schwitzen muß; ist froh, wenn er nach Hause kommt, 'ne Pfeife raucht bei 'nem Glase Bier, ein Partiechen; Kinder kommen dann auch, die schreien, ein Vater hat doch auch ein Herz. Ach Gott! darüber vergisst er alle krause Ideen; ist froh, wenn's nur bei ihm zu Hause gut geht, und denkt nicht mehr daran, den Staat besser machen zu wollen. Und geben wir Acht, mit dem Walter wird's auch so kommen.« »Verdanke ich das alles Ihnen, Herr Pathe?« rief Walter mit wachsendem Erstaunen. »Wir saßen so traulich bei Herrn Kämper zusammen, wir sechs oder sieben, alles respektable Bürger.« »Was! ein Kollegium, um über meine Besserung zu berathen!« »Wo hat nicht Jeder 'nen faulen Fleck im eignen Hause! Wenn man so beim Bier sitzt, ein Pfeifchen im Munde, spricht man sich gegenseitig Trost zu. Der hat 'nen Sohn, der spielt. Das ist beinahe am allerschlimmsten. Da waren wir Alle einig. Das thut mein Pathe nicht; alles, was Recht ist. Er trinkt auch nicht, er läuft auch nicht den Mädchen nach. Na, Jugend hat keine Tugend, darüber sind wir weggegangen. Aber das Theater, was hat das ehrbaren Familien Kummer und Noth gebracht. Erst alle Abend der Herr Sohn ins Parterre. Das kostet Geld, die jungen Leute machen Schulden. Ist aber viel schlimmer, wenn's kein Geld mehr kostet, wenn sie's umsonst haben; dann haben sie Konnexionen hinter den Coulissen, das sind die schlimmsten und theuersten Konnexionen. Und die Truppe ist einmal abgereist, und der Herr Sohn ist verschwunden. Ja, ja, das ist manchen Eltern so gegangen. Den Kummer haben Sie Ihrem Herrn Vater nicht gemacht. Wissen Sie aber, Einige meinten, das wäre immer noch nicht so schlimm, als wenn ein Bürgersohn sich mit der Politik abgiebt. Da kann man noch mal Direktor werden, wie der Herr Iffland; der war auch anständiger Leute Kind. Auf dem großen Welttheater aber –« »Ist für uns nichts zu holen,« fiel Walter ein. »Ihre ehrbaren Bürger haben Recht. Erfuhren Herr Pathe sonst noch etwas?« sprach er, zum Abschied die Hand reichend. »Mancherlei! Man wird Heirathsannoncen lesen, über die man sich wundern soll. Mancher Herr Offizier lässt sich in aller Schnelligkeit kopuliren. Lieber Gott, wenn's ins Feld geht, will man den Kindern doch einen Vaternamen hinterlassen; das Gewissen schlägt auch unterm blauen Rock. Seine Majestät sind sehr damit zufrieden. – Ach, und wissen Sie schon vom Kriegsrath Alltag?« »Was?« »Wird Geheimer Tresorier des Königs, Titel Geheimrath. Da ist auch nur eine Stimme: Der hat's verdient! Mit seiner Demoiselle Tochter wird er nun auch höher hinaus wollen. Wer verdenkt es ihm?« »Adieu. Herr Pathe!« Der Pathe hielt seine Hand fest. Sein schlaues Lächeln schien noch ein Geheimniß zu verstecken. »Heraus damit!« »Ich sehe einen verlornen Sohn –« »Wo?« »Im Comptoir seines Vaters.« »Und was brachte ihn dahin?« Der Kastellan hielt beide Hände wie ein Sprachrohr an seines Pathen Ohr, daß es die Bäume nicht hören sollten, und schrie hinein: »Minchen Schlarbaum! Sechzigtausend Thaler!« Ein Mann in mittleren Jahren war während dieses Gesprächs in der Seitenhalle auf und ab gegangen. Walter hatte ihn bemerkt, ohne auf ihn zu achten. Der Fremde, sichtlich von einem Gedanken bewegt, hatte die Beiden kaum gesehen. Als der Pathe nach jener, wie er meinte, sehr feinen Insinuation rasch fortgeeilt war, hatte sich Walter in die Allee gewandt. Der Sonnenball versank gerade hinter den Brauhausbergen. Walter fasste an seine Brust und aus der wunden Tiefe, machte sich das Wort Luft: »Er war müde über Sklaven zu herrschen!« Der Fremde war hinter einem Baum hervorgetreten. In seinem festen, aber zuweilen stürmischen Schritt hielt er, wie frappirt, inne. Auf Walters Gesicht schien der letzte volle Sonnenschein, der Fremde stand beschattet; ein feingeschnittenes, charakteristisches Gesicht war noch zu erkennen. »Ein Hiesiger?« fragte der Andere rasch. Die Frage war seltsam, es mochte auch ein Beamter sein, der den späten Besucher auf einem nicht erlaubten Wege ertappt zu haben glaubte. Walter antwortete eben so kurz. »Aus der Hauptstadt.« »Ein Angestellter?« warf der Andere in derselben Art hin. »Ein freier Mann,« sprach Walter jetzt mit fester Stimme. Der Andere sah ihn groß an. Walter glaubte die Worte murmeln zu hören: »Das ist ja wunderbar.« Mehr hörte er nicht, denn Beide gingen an einander vorüber. Sie trafen sich zufällig noch einmal. Der Fremde hatte den Weg verfehlt, indem er einen Ausgang suchte, wo er nicht war. Walter wies ihn zurecht; es war auch sein Weg. Der Fremde schien durch eine leichte Bewegung zu danken, ohne es für nöthig zu halten, ein Wort zu verlieren. So machte es wieder der Zufall, daß sie neben einander gingen. Der Fremde war wirklich ein Fremder in der Mark, wie sein Accent dem kundigen Ohr verrieth, aber seine Kleidung, obgleich nur ein einfacher blauer Rock, die Sicherheit seiner Bewegungen, das aristokratische Gesicht, verriethen den vornehmen Mann. Er blieb stehen und betrachtete einen Gegenstand, der auch Walters Auge fesselte – die Mühle auf dem Berge. Ihr Dach war vom letzten Abendscheine schwach angeröthet, ein träger Wind trieb die Flügel. Der Begleiter verstand die stumme Frage, die der Andere, über die Schulter blickend, an ihn richtete: »Ja, sie ist es.« Damit schien eine Verständigung eingetreten. »Also Einer doch!« sagte der Herr im Weitergehen. »Wenn man sie kennte, würde man mehrere wissen, die auch Muth gehabt,« warf Walter hin. »Da man sie aber nicht kennt, so existiren sie nicht für die Geschichte,« entgegnete Jener. »Es existirt manches nicht in der Geschichte, was aber doch lebte.« »Was sich nicht geltend gemacht hat, lebt nicht,« entgegnete der Fremde scharf. »Es hat einmal vegetirt um zu faulen und Dung zu werden für Andere.« Walter entgegnete: »Der Müller von Sanssouei vor seinem König wird aber leben bleiben; uns lebt er als Symbol, daß ein Rechtsbewusstsein auch damals im Volk war.« Er hatte das uns scharf betont. »Wir aber,« entgegnete der Andere, »sehen in dem Aufheben, das man von der einen Geschichte machte, nur das Bekenntniß, daß der eine Mann nur eine Ausnahme von der Regel war.« »Und wo ist die Regel,« fragte Walter, »nämlich im Deutschen Volke? Ich setze voraus, daß wir Landsleute sind.« Der Fremde fixirte zum ersten Mal unsern Bekannten; es war ein scharfer, prüfender Blick, aber ohne Härte. Die Antwort schien ihm nicht zu mißbehagen. »Das macht die Sache nicht besser hier,« sagte er. »Die Müller von Sanssouei haben in Preußen keinen Fortgang gehabt.« »Die Größe des Einen hat sie niedergedrückt. Das vergisst man so leicht im Auslande.« »Man wundert sich nur, warum sie nicht wieder aufgetaucht sind, nachdem sie von der Größe nicht mehr zu leiden hatten. Sie wiederholten vorhin die Worte des großen Königs, als Sie sich allein glaubten, warum machen Sie ein point d'honneur draus, was Sie sich selbst bekennen, vor Andern zu verbergen! Wo Sie Ihrer Schwäche sich bewusst sind, warum es nicht auch vor Andern gestehen. Das würde Vertrauen wecken. Wenn Sie sich den andern Deutschen gegenüber immer in Parade aufs hohe Pferd setzen, so verlangen Sie nicht die brüderlichen Neigungen, um die es doch Einigen, den Bessern unter Ihnen wenigstens, zu thun ist. Wir sind Alle schwach, aber wenn wir es uns gegenseitig eingeständen, würden wir auch die Mittel finden, um wieder stark zu werden. Das ist's was Sie vom übrigen Deutschland trennt, meine Herren Preußen. Uebrigens bin ich jetzt selbst Einer.« »Jetzt wird sich's zeigen!« rief Walter animirt. »Was?« »Daß wir eine Schwäche zu bekennen den Muth haben, eine Schuld gegen unsere deutschen Brüder durch die That auszulöschen. Preußen radirt den Baseler Frieden mit seinem Blute aus den Tafeln der Geschichte.« Die rauhe, heftige, fast dominirende Art, mit der der Fremde seine Aussprüche that, erweckten in Walter die Lust es in selber Art ihm wieder zu geben: »Ich hoffe, daß die kurze Zeit, seit Sie ein Preuße wurden, dem Ausländer nicht so viel Einblicke in unsre Angelegenheiten gegönnt hat, daß ich Ihren Ausspruch als ein Verdikt nehmen müsste.« Der Andre war vielleicht betroffen, aber nicht erzürnt, vielmehr verzogen sich seine Lippen zu einem Lächeln: »Haben Sie Einblicke?« »Keine als die Jedem frei stehen, der ein Herz und Augen hat für die Ehre seines Vaterlandes. Sie ist so auffällig verletzt, daß sie eben so auffällig Genugthuung heischt; der Hohn, den man uns zugefügt hat, den Napoleons Generale noch täglich in Anspach und Baireuth Preußen zufügen, könnte einen Stein ins Leben rufen. Das und noch vieles Andre, was hier nicht hergehört, ist mir Bürgschaft, daß endlich der stahlgeborne Entschluß ins Leben springt.« Der Andere ging eine Weile schweigend, dann sagte er ruhig: »Einen Gesandten wird man an Napoleon schicken, ihm Friedensbedingungen stellen und unterhandeln. Wenn Sie wissen was Unterhandlungen sind, wo preußische Diplomaten mitsprechen, so stellen Sie danach Ihre Hoffnungen.« »Diesmal, nur diesmal nicht« – rief Walter in Eifer gebracht – »es geht nicht, es lässt sich nicht mehr zurückdrängen. Das Volk leidet es nicht.« »Das Volk, mein Herr! Das weiß ich nicht; ich kenne es wenigstens noch nicht genug, und was ich von ihm kenne, doch – das gehört nicht hierher.« Sie standen an einem Scheidewege. Der Fremde wenigstens nahm an, daß sie hier scheiden müssten, oder er wollte hier scheiden. Es waren seine Abschiedsworte: »Dies Volk, mein Herr, mag gut sein, tapfer, treu, aber es ist noch zu klein für seine Traditionen. Es hat sich übernommen, und es ist nie gut, wenn man sich den Magen auch mit dem Besten füllt, wenn der Magen nicht Kraft hat es zu verdauen. Dies Volk ist zu Vielem gut, es hat auch gesunde Glieder, wenn nur der Kopf da ist, der sie regiert. Das aber bilden Sie sich nicht ein, daß diese Glieder schon reif sind für sich selbst zu stehen. Dafür vergaß der große Mann zu sorgen. Er führte sein Volk in die Weltgeschichte ein, und übersah, ihm die Erziehung zu geben, daß es mit Ehren darin bestände. Mit der militärischen Tournure ist's nicht gethan; der Knebelbart imponirt nur auf den ersten Anblick, und selbst ist allein der Mann. Er war müde über ein Volk von Sklaven zu herrschen, ja, aber sie sind es geblieben, weil er ein Lehrmeister war, wie der Gelehrte in einer Bauernschule. Glänzende Schulaktus hat er mit ihnen aufgeführt, und sie deklamiren lassen, was sie nicht verstanden. Friede seiner Asche und Fluch dem, wer einen Stein auf sein Grab wirft, denn Deutschland hat keinen Größern geboren, aber sein Reich, mein Herr, ist die Schöpfung eines Zauberers. Wunderbar groß, zweckmäßig, in einander greifend, erscheint Alles, so lange sein Geist darüber waltet. Aber wenn der schlafen geht, vertrocknen die Palmen und Lilien zu Haidekraut und der Palast versinkt in ein Unkenmoor. Da sehen Sie diese Reihe von Statuen. Kunstwerke, so lange er unter ihnen wandelte, jetzt verwitterte, moosbedeckte Fratzen. Was ist aus seiner Gliederung geworden, in Civil und Militär, was aus dem angestaunten Mechanismus seiner Staatsorganisation? Ein schönes Lied auf einen Leierkasten gesetzt, aber die Melodie bleibt dieselbe in Leid und Freud, weil die Hand vermodert ist, die den Mechanismus der Drehorgel umsetzt. So leiert es hier fort, ins andere Jahrhundert die Melodie des vorigen, bis alle Räder und Gänge verrostet und voll Staub sind. Dieser Staat Preußen, mein Herr, ist zum Popanz geworden, nicht weil sein Volk Sklaven sind, sondern weil der Zauberer fehlt, der das Uhrwerk wieder aufzieht. Dieser Staat Preußen ist ein Konglomerat von Kraft und gutem Willen, wie man sie selten in der Geschichte sah, aber eine Gliederpuppe, wenn kein neuer Geist hineinfährt.« Der Mann wandte sich mit einem Kopfnicken rasch um. Zwei Schritt weiter blieb er noch ein Mal stehen: »Wie heißen Sie? Ich möchte Ihre Adresse wissen – wenn ich wieder ein Mal einen so gefälligen Führer in Potsdam brauche,« setzte er halb lächelnd hinzu, um das Scharfe auszugleichen. Walter hatte keinen Grund seinen Namen zu verschweigen. Er kannte aber genug von der Luft in den hohen Lebensregionen, um zu wissen, daß dieser Name, so laut er ihn aussprach und so deutlich der Andere ihn sich wiederholte, schon am Ende der Straße verhallt war. Jener hatte vielleicht erwartet, daß Walter auch ihn bitten werde, den seinen zu nennen, Walter wollte aber nicht bitten. 45. Kapitel. Der dritte November Fünfundvierzigstes Kapitel. Der dritte November. Es war Nacht geworden; die große Mehrzahl der Gäste war längst nach Berlin zurückgekehrt. In den öden, todten Straßen bewegten sich nur einzelne Gestalten; das Ueb' immer Treu und Redlichkeit hallte von der Thurmuhr nach wie vor. »Warum stürmt nicht lieber die Brandglocke!« sprach die Dame, welche, tief in eine Pelzenveloppe verhüllt, am Arm ihres Begleiters an den Häuserreihen ging. Sie gingen nicht in der Abendkühle spazieren, es war rauhe Witterung; sie hielten eine bestimmte Richtung, aber den zarten Füßen merkte man an, daß sie nicht gewohnt waren auf rauhem Pflaster sich zu bewegen. Ein dichter Schleier bedeckte das Gesicht der Fürstin. »Weil es noch nicht brennt,« sagte ihr Begleiter. »Ewiger Zweifler!« Sie traten in einen Thorweg, oder eine Kolonnade zurück, um einer einfachen Hofequipage auszuweichen, die jetzt vorüberrollte. Der Wagen hielt vor der Kirche, wo Seine Gebeine ruhen. Drei dunkle Gestalten konnte man aussteigen sehen. Sie traten in die Kirche, aus welcher ein gedämpftes Fackellicht bei Oeffnung der Thüre vorstrahlte. Die Fürstin drückte krampfhaft den Arm ihres Begleiters. Er glaubte, sie wolle ihn tiefer in den Schatten zurückziehen, um nicht gesehen zu werden: »Man sieht uns wirklich nicht, und wenn es wäre, würden wir nicht die einzigen Zuschauer sein. Ich sah Schatten in der Kirche sich bewegen.« »Ich auch!« rief sie. »Es war mir, als sähe ich Seinen !« Der Legationsrath ging nicht auf die Stimmung ein: »Diese Leute hier ruhten unter ihm wie in Abrahams Schooße. Ich finde es eigentlich undankbar und grausam, daß man ihn citirt, um sich aus einer gewöhnlichen Verlegenheit zu helfen.« »Ich würde Ihnen verzeihen, wenn Sie sagten selbstmörderisch.« »Nur christliche Demuth, Fürstin, sie sehen ihren eigenen Unwerth ein.« »Was ist das grausam, den zu beschwören, der in dem Jenseits keine Ruhestätte gefunden hat! – Hören Sie den dumpfen Ton! Jetzt öffnet man.« »Und sein Geist steigt ihnen aus der Versenkung entgegen.« »Sprechen Sie nicht so.« »Ich möchte wohl wissen, wie der Geist eines Atheisten aussieht.« »Sahen Sie nie Geister –« »Man sieht sie nur, wenn man sie citirt; und was unnöthig ist, muß ein Vernünftiger nie thun.« »Geister erscheinen auch ungerufen.« »Dann wirft man sie zur Thür hinaus.« »Die Todtenhand, die auf eine lebendige Brust hämmert, sollte doch überall Einlaß finden.« »Je nachdem die Brust beschaffen ist.« »Wandel, ich möchte Sie einem Geist gegenüber sehen.« »Sie würden keine Veränderung an mir bemerken.« »Sie sahen schon Geister!« – rief die Fürstin auf, und ihr Auge glänzte ihn an. »Ja, Sie Unbeweglicher, es zuckte etwas um Ihr Auge, was ich noch nicht kenne. Sie haben Geister der Todten gesehen, und vor ihnen gezittert. Sie zittern jetzt –« »Vor dem Zugwind,« sprach er, sich in den Mantel hüllend. – »Nun, und wenn ich sie sah, meine Gnädigste, so lernte ich ihnen ins Gesicht sehen, wie ein Mann den erschaffenen Dingen muß, und sie hielten meinen Blick nicht aus, so wenig, als der festeste Stoff meine Säuren und den Aether, in dem ich ihn verbrenne. Wenn sie weinten, lachte ich sie an, wenn sie klagten, drohte ich – sie hielten's nicht aus, ich blieb Sieger und sie sind verschwunden. Meine Gnädige, vor dem Willen verflüchtigt sich der Diamant; wenn die Dinge, die wir Wesen nennen, uns nicht widerstehen, warum die wesenlosen?« »Kommen Sie«, sagte die Fürstin. »Der Küster gab uns das Zeichen.« Vielleicht sah sie den Küster nicht, aber sie sah Geister. Der Mond warf, zwischen den Wolken vortretend, ein Streiflicht auf die Stirn ihres Begleiters, sie konnte den Anblick heut nicht ertragen. Was musste er sie noch bitten, sich nicht zu beeilen: der Mann, der ihnen für ein ansehnliches Geschenk einen Platz unter dem Siegel der Verschwiegenheit versprochen, werde noch vielen Andern dasselbe Siegel aufgedrückt haben: »Und mancher wird die Komödie für acht Groschen sehen.« Sie waren an die kleine Thür gelangt, welche eine unsichtbare Hand vorsichtig öffnete, um sie einzulassen. »Sie nicht!« rief sie, als er sie hinein führen wollte. »Sie gehören nicht hier hinein.« »Es ist ja nur eine protestantische Kirche,« flüsterte er ihr ins Ohr. Sie streckte die Hand abwehrend gegen ihn: »Doch – Sie stören mich. – Folgen Sie mir nicht, ich verbiete es Ihnen, Herr von Wandel. Wer nur eine Komödie sehen will, gehört hier nicht hinein.« »So werde ich Erlaucht wieder an der Thür erwarten.« »Reisen Sie nach Berlin.« »Sie können doch nicht allein zurück. Wer weiß ob die Scene Sie nicht afficirt. Soll ich Ihren Jäger mit der Kammerfrau herbestellen?« Sie schüttelte den Kopf: »Es giebt Momente, wo man das Bedürfniß fühlt allein zu sein.« Der Legationsrath schien die Frage auch an sich zu stellen, als er draußen mit gekreuzten Armen eine Weile stehen blieb, die Augen in das zerrissene Gewölk gerichtet. Er hatte sich oft Mühe gegeben, unverwandten Blickes in die Sonne zu sehen, jetzt verdroß es ihn, daß er nicht mal ohne Augenblinken den Mondenstrahl ertragen konnte, so oft er plötzlich aus den Wolken trat, die an ihm vorüber rollten: »Seltsam, es liegt nur in den Augennerven, in der schwachen Wurzelkonstruktion der Wimpern. Wenn man sie von Draht machen könnte, müsste man auch dem glühenden Feuerball ins Gesicht sehen. Und diese Frau« – ein heiseres Gelächter machte sich Luft – »sie spielt mit ihren Illusionen wie der Taschenspieler mit seinen Karten und doch – in der unbewachten Stunde zittert sie als Sklavin vor dem selbst beschworenen Gespenst! Vielleicht des Weibes Natur, sie kann nicht immer wachen. Aber der Mann –?« Die Thurmuhr präludirte und die Glocken huben ihr: Ueb' immer Treu und Redlichkeit! an. »O süßer Leierkasten, der durch die Welt geht, und das Spiel mit den Narren und Phantasten um so vieles erleichtert!« sprach er, sich langsam fortbewegend. Er lächelte, als aus der Kirche die Orgel mit leisen Schlägen einen alten Choral anhub. Der Orgelspieler war nicht sichtbar, auch die Fackeln, von denen vorhin Erwähnung geschah, brannten nicht offiziell, man suchte sie hinter den Pfeilern zu verbergen, gleich wie die Zuschauer, in Mänteln und unscheinbaren Pelzen verhüllt, ein doppeltes Inkognito zu bewahren suchten. Unter den Mänteln war mancher Stern verborgen, manches Herz pochte hörbar, und das Auge, auf dem Du sonst nur Flattersinn und eitle Lust spielen sahst, durchzuckte hier ein banger Ernst. Die Orgeltöne schienen in der dunkeln Kirche mehr die Stille symbolisch anzudeuten, als daß sie dieselbe unterbrachen. Es war lautlos, ein verhaltener Athem. So war es möglich, daß man jetzt ein Geräusch zu hören glaubte, das man sonst nicht gehört hätte. Es war nicht sein Geist, der durch die Räume schritt, in denen er nie geweilt, sonst würden sie nicht die Köpfe vorgestreckt, nicht sich gebückt und die Hände ans Ohr gelegt haben, um besser zu horchen. »Sie weint,« flüstert eine Stimme dem Nachbarn zu; »Sie umarmen sich,« eine Andere. Bald ward die feierliche Stille durch das Knarren der Thür unterbrochen; die Gestalten der Neugierigen drückten sich tiefer in den Schatten der Mauervorsprünge. Der Fackelschein ward jetzt offiziell. Die Königin und der Kaiser wurden zuerst sichtbar: der König folgte. Louise schien erschöpft, sie drückte jetzt das Taschentuch ans Gesicht. Aber nur einen Moment; dann warf sie einen forschenden Blick auf den ernsten Gatten. Es musste ein Ernst sein, der ihre Hoffnung stählte. Sie lehnte sich an seine Brust, um sich doch ebenso schnell wieder aufzuraffen. Alexander und der König reichten sich die Hand. Es war ein wichtiger, bedeutungsvoller Handschlag. Aus der dunklen Stille kam ein Laut, wie der Hauch unsichtbarer Geister; ein Hauch der Verwunderung, Freude, Beistimmung, wofür jede Sprache zu rauh ist, ihm Ausdruck zu geben. Mit königlicher Würde schaute Louise umher, nicht forschend, nicht mißbilligend. Ihr Blick galt den Geistern, welche die Sprache dieses Auges, das selige Lächeln verstanden. Dann reichte sie Alexander wieder rasch den Arm und die Drei verließen die Kirche. Als die Wagenthür zuschlug, die Räder auf dem Pflaster rollten, schienen die gebannten kleineren Geister aus ihrer Erstarrung aufzuleben. Sporen klirrten, scharfe Tritte dröhnten auf den Fliesen, Töne, wie wenn das Eis bricht; das Blei auf der Brust war ja gebrochen! Kein Ceremoniell mehr, man schloß sich in die Arme, auch Solche, die nicht als Fremde bekannt waren. »Der Bund ist besiegelt.« Viel mehr Worte hörte man nicht. Es war ein Augenblick nicht zum Sprechen, nur zum Fühlen. An der Thür wurden zwei Mititärs zusammengedrängt, die sich im Leben nicht gern, wie man sagte, begegneten. Sie sahen sich an, und unter ihren ergrauenden Haaren funkelten die Augen sich entgegen; sie drückten sich die Hand. Worte wechselten auch sie nicht. Der Eine, aus dessen Mantel eine Husarenuniform zum Vorschein kam, hielt aber beim Hinausgehen unsern Bekannten, den Major Eisenhauch, am Kragen zurück. »Na un, was sagen Sie, Major?« »Blücher und Rüchel Hand in Hand, ein gutes Prognostikon. So das gesammte Vaterland, und wir sind am Ziel.« »Larifari!« sagte der General. »Vorwärts, eh er sich anders besinnt, das allein thut's. Nur keine stättigen Pferde hinter uns.« »Im Volk –« »Sind viele Esel.« »Aber das Roß, wenn die Trompete schmettert –« »Pfeffer mank die Kerben!« sagte der General ihm ins Ohr. »Daß es sich bäumt, dafür sorgt Ihr: fürs Reiten, dafür sorgen wir, haben Sie mich verstande«? Die Kirche war ziemlich geräumt. Nur hinter dem Eingang stand noch eine Gruppe, Zwei in Ueberröcke verhüllt, und am äußersten andern Ende kniete eine weibliche Gestalt. Die Beiden, durch hohe Halsbinden gegen die Kühlung bis zur Unkenntlichkeit maskirt, schienen die Hinausgehenden die Revue passiren zu lassen. »Ist das nicht Comteß Laura, Vicomte?« sagte der größere und ältere auf französisch zum jüngern, nach der knieenden Dame lorgnirend, die von ihrer Enveloppe und dem Schleier unförmlich umwallt war. Der Vicomte hatte sich schon auf den Zehen gehoben: »Pardon, Monsieur, Comteß Laura hat noch zu viele Stationen bis zur Betschwester.« Die verhüllte Gestalt, aus ihrer Andacht vielleicht durch die Stille aufgeschreckt, erhob sich und rauschte an ihnen mit elastischen Schritten vorüber. Sie hatte die Beiden nicht gesehen, diese aber sie trotz der Schleier. »Madame la Princesse!« rief der Attaché verwundert. »Ihre Sünden müssen sie sehr drücken,« sprach der Gesandte, »daß sie es nicht verschmäht hat, in einer lutherischen Kirche zu beten.« »Und ganz allein!« replicirte der Vicomte. »Sie nimmt gern einen Andern mit ins Gebet.« » Disparaissez! « rief Laforest und winkte ihm, indem er der Dame nacheilte. Der Vicomte ging lächelnd seiner Wege: »Er will sie nicht allein gehen lassen! Monsieur Laforest, man muß es ihm gestehen, übt die Humanität bis zur Outrage. Die Petarde, die ihn in die Luft sprengen soll, in der Tasche, schützt er die Lunte, die sie entzündet, daß der Wind sie nicht ausbläst.« Wirklich sehen wir auf der Straße den offiziellen Minister des Kaisers der Franzosen der nicht offiziellen Agentin des Kaisers aller Reußen den Arm bieten, um sie in ihr Hotel zu geleiten! und sie reicht ihn ihm, nach einem momentanen Zaudern rasch hin. »Stumm wie die Nacht und bewegt wie die schöne Seele einer Deutschen,« sagte der Franzose zu seiner schweigenden Begleiterin. »Sagen Sie lieber, Haß und Grimm im Herzen und am Arm des verhassten Feindes durchs Leben gehen zu müssen!« »O wäre ich so glücklich, eine solche Feindin durchs Leben führen zu können.« »Wer denkt an uns!« »Ich sehr stark an mich.« »Das lügen Sie vor sich selbst. Unsere Aufgabe ist's, uns immer selbst belügen, täuschen, unsere glühendsten Gefühle mit einer Eiskruste umgeben, und wenn wir vor Frost zittern wie der Frühling lächeln, in Flitterstaat glänzen, und vom Gefühle unserer Sünde zerknirscht in Selbstzufriedenheit strahlen! Alles für Andere, uns selbst, unser Glück, unsere Buße und Hoffnung hinopfern für ein anderes Wesen, einen Begriff, von dem man eigentlich nicht weiß, was er ist. Ins Reich der Seligen kommt der Staat doch nicht.« »Ich glaube kaum, daß ein Platz für ihn da ist: weder unter den Gerechtfertigten, noch unter den Sündern.« »Und doch Diplomat!« »Weil er sich selbst ganz verleugnen muß, sollte ja das die himmlischen Thore ihm vor Allen öffnen.« »Vielleicht, wenn – Excellenz, hat Sie nie das Gefühl durchzuckt, die Sehnsucht durchschauert, vernichtet zu sein, aufzugehen in ein anderes Wesen, zerstampft in Atome, die das andere Wesen vergrößern und verherrlichen?« »O sehr oft, Madame, in den Armen einer liebenswürdigen Frau.« »Haben Sie nie die Seligkeit der Begeisterung empfunden?« »Wofür?« »Wofür? Und Sie kommen aus einer Revolution. Die gluthspritzende Lava treibt doch ungeheure Bilder in unsere Lebensnacht.« »Prinzessin, die Lava ist schon kalt geworden.« »Sie waren einmal Republikaner!« »Was waren wir nicht alles! Und eben weil wir so viel gewesen sind, für so vieles geschwärmt, gerast haben, ist wirklich in uns kein Platz mehr für die Begeisterung.« »Auch nicht für Ihren Kaiser?« Laforest ließ eine Pause vergehen, bis er antwortete: »Auch für den nicht. Die Jugend, die Kriegslustigen, wer avanciren will, die meinethalben. Wir Andern – pausiren, wir wissen ja nicht, ob es das Letzte ist. Der einzige Erfahrungssatz den wir nach Hause trugen aus allen Revolutionen, ist der, daß die Dinge ihren Kreislauf machen, und die höchste Weisheit für die Individuen wäre die, auszurechnen, welches Stadium eintreten wird, wenn es mit uns zu Ende geht. Wer sich darauf präparirte, stürbe glücklich.« »Um fortgespült zu werden ins Meer der Ewigkeit als letzte Schaumflocke, die die Fluth der Zeit auf ihren Wellen trug.« »Wer wird mit mehr Konsistenz hineingespült!« »Sie belügen sich wieder selbst. Warum hätten Sie sich in die Kirche gewagt, ausgesetzt der Entdeckung! Wenn einer dieser Franzosenfresser Sie erkannte!« »Habe ich etwa spionirt?« »Nein, Sie wussten es ohnedem. Aber aus reiner Dienstpflicht hätten Sie das nicht unternommen. Es war die Abenteuerlust, der ein Motiv zu Grunde liegt, das Sie sich selbst zu verbergen suchen. Ein Wagestück für Ihren Kaiser!« »Sahen Sie nie am Roulettetisch Männer, die selbst nichts mehr zu setzen haben, mit gespannter Aufmerksamkeit das Spiel verfolgen, das sie nichts angeht? Sie pointiren im Geist, eifrig, zufrieden und entsetzt wie die Andern. Das Spiel ist ihnen zur Natur geworden.« »Was sahen Sie in der Gruft?« »Was ich erwartete, ein romantisches Schauspiel.« »Das zu einem Schluß führt, der Ihnen nicht gefallen darf.« »Welchen Schluß meinen Sie, Prinzessin? Ich sah nur einen frappanten Aktschluß. Die Zuschauer thaten mir leid, daß sie nicht klatschen durften.« »Der Schluß des nächsten Aktes wird blutig werden.« »Vielleicht, vielleicht auch noch nicht. Man muß den nächsten Aktaufzug abwarten.« »Ich glaube, Sie werden ihn hier nicht abwarten.« »Das thäte mir um der Gesellschaft willen leid, die ich sehr ungern verlasse.« »Und was ist der letzte Akt?« »Der letzte, Prinzessin, wer sieht so weit!« »Aber Sie sehen etwas vor sich. Sie täuschen mich nicht.« »Ich sehe allerdings einen folgenden – einen der nicht ausbleiben wird, wenn dieser Ernst wird.« »Aber er spielt nicht in der Potsdamer Kirche?« »Doch – es wird auch Nacht sein, – bei Fackelschein seh' ich meinen Kaiser in die geöffnete Gruft steigen; hinter ihm seine Generalität. Man wird Friedrichs Sarg öffnen, und Napoleon die Hand des Gerippes ergreifen.« »Abscheuliche Phantasie!« »Natürlich nichts als Phantasie! Und er wird sprechen: Großer Geist, vor mir sollst Du Ruhe haben in Deiner Gruft.« »Napoleon ist kein Freund von Nachtstücken.« »Je nachdem es ihm konvenirt. Glauben Sie nicht, daß der Akt die Bewunderung der Deutschen für ihn erhöhen muß!« Sie waren an die Thür des Hotels gekommen, wo die Fürstin abgestiegen. »Ich danke Ihnen für die Begleitung,« sagte sie. »Wir werden uns nicht wiedersehen, – wenigstens bis zu einem nächsten Aktschluß.« »Warum?« Er hatte sie die Stufen hinauf geführt, und drückte die nicht verschlossene Thür auf. »Sie haben Ihrem Kaiser von der heutigen Nacht zu berichten. Leben Sie wohl.« Er drückte ihre Hand an die Lippen; sie zitterte. »Ich möchte Sie noch um einige Details bitten, die mir entgangen sind. Aber Sie stehen in der Zugluft.« Er zog sie in den Flur und drückte die Thür zu. 46. Kapitel. Bekenntnisse schöner Seelen Sechsundvierzigstes Kapitel. Bekenntnisse schöner Seelen. Als die Fürstin in ihren dichten Zobelpelz gegen die kalte Morgenluft verhüllt, in den Wagen stieg, um in seinen weichen Polstern einer Reihe seltsamer Gedanken Audienz zu geben, war sie nicht wenig betroffen, noch Jemand darin zu finden. Es war zu spät zum Schreien; die Thür war zugeschlagen, die Jäger hatten sich aufgeschwungen und der Wagen rasselte schon über das unebene Pflaster nach dem Berliner Thor zu. Es war übrigens wohl Grund zum betroffen sein, aber nicht zum Schreck, als die weichen Hände der Baronin Eitelbach die der Fürstin erfassten. Sie bat sie mit einer mit Thränen kämpfenden Stimme um Verzeihung wegen der Attrape, aber sie habe sie sprechen müssen, koste es was es wolle. Deshalb nach Potsdam gekommen, habe sie von Stunde zu Stunde vergebens auf den Augenblick gewartet, mit ihr allein zu sein, und endlich diese kleine List sich erlaubt, um der einzigen Frau, die Theilnahme für sie empfinde, die sie und ihre Leiden verstehe, ihr Herz auszuschütten. Die Fürstin wollte sich mit sich selbst beschäftigen, und die Leiden der Baronin waren ihr unter allen Dingen, mit denen sie sich beschäftigt, in dem Augenblick die allergleichgültigsten. Das schien wenigstens der Seufzer anzudeuten, der aus ihrer Brust sich Luft machte, aber sie drückte die Freundin mit sanfter Innigkeit an diese selbe Brust: »Ach, glauben Sie mir, Leiden schickt der Himmel Denen, die er liebt.« »Aber nicht solche,« rief die Schluchzende, »wie mir! Ach mein Gott, ich weiß jetzt nun Alles, 's ist mir Alles so klar wie was!« »Was ist Ihnen klar, Liebe?« »Nichts, sage ich Ihnen, wie ich Ihnen immer gesagt, als ein Mißverständnis. Mein Mops ist mir jetzt ordentlich zuwider; ich könnte ihn vergiften. Aber wer trennt sich gleich von solchem Thier! Er hat nun mal seinen Platz. 's ist die Gewohnheit,« sagt mein Mann. »Fanchon hat wohl recht, wenn sie singt –« »Ich verstehe Sie nicht.« Die Fürstin verstand sie wirklich nicht. »Ich weiß es, ich rede konfus, ich verstehe mich ja selbst zuweilen nicht. Aber das mit dem Mops war so gewiß ein Irrthum, er konnte nicht davor, er wusste nicht, daß es meiner war. Es sind boshafte Menschen dazwischen, die haben ihm das arme Thier vor den Fuß geschoben; o ich weiß nicht, ich habe eine Ahnung –« »Was hat Wandel mit Ihrem Mops zu thun!« »Glauben Sie, daß er sein Freund ist?« »Des Mopses!« »Nein Seiner ! Mögen Sie über mich lachen, ich fürchte, der Rittmeister ist nicht frei.« »So viel ich mich entsinne, sagt man, er sei von seinen Gläubigern etwas genirt.« »Ach, Sie wollen mich nicht verstehen. Er ist zu arglos, gutmüthig, er hat das beste Herz von der Welt, ein Gefühl rein wie ein Kind; mein Gott, Fehler hat jeder Mensch, er hat mir nicht weh thun wollen, aber boshafte Menschen sind dazwischen gekommen. Sie können sich nicht vorstellen, wie ich mich gequält habe, was ich ihm denn gethan haben könnte; Tag und Nacht ließ mir's keine Ruhe.« »Und Sie haben sich ganz ernst gefragt?« »Theuerste Fürstin, da blieb kein Fältchen in meiner Seele. Nein, wahr und wahrhaftig, ich that ihm nichts, ich bin unschuldig, es ist was andres dazwischen gekommen.« Die Fürstin war in ein Sinnen verfallen, das nicht zu der Art Theilnahme stimmte, welche sie der schönen Frau bisher angedeihen ließ. Sie hatte sich wieder mit sich selbst beschäftigt. So passte auch ihre Entgegnung nicht ganz zu dem eben Gesagten: »Das ist der Kobold, meine Freundin, der uns alle neckt: es kommt uns allen, bei unsern besten Entschlüssen, unsern edelsten Bestrebungen, etwas dazwischen, worauf wir nicht gerechnet. Da glaubten wir, mit jahrelangen Mühen, mit gesparter Kraft die Hindernisse beseitigt, wir eilten schon mit offenen Armen dem Ziele entgegen, und plötzlich straucheln wir – Gott weiß woran, wir wissen es selbst nicht, an einem Ball, den eine Kinderhand uns zwischen die Füße warf, am Reflex einer Scheibe, und wir glauben eine Mauer, einen Abgrund vor uns zu sehen. Wir müssen über uns lachen, wir ärgern, wir schämen uns, daß es so sein konnte, aber es ist so, und wir sind vom Ziele ab, wir müssen von neuem anfangen. Die Menschen nennen es Zufall. Nein, meine Freundin, es ist der ewige Dämon, der uns von der Wiege an belauscht bis ans Grab, um, wenn wir schwach werden, uns zu fassen. Dagegen können wir auch nichts, gar nichts. Es ist vielleicht vermessen, ihm absolut widerstehen zu wollen, denn mit unsrer Kraft ist's nicht gethan. Besser geschehen lassen was wir nicht ändern, und dann desto herzlicher bitten, daß der rechte Helfer bald erscheint, der uns wieder aufhebt.« Die Baronin hatte in ihrer Gemüthsbewegung nur etwas von dem Monologe aufgefasst, und es war das, was zu dieser passte. »Lachen Sie mich aus, aber ich kann nicht dafür. Ich habe auch zum lieben Gott gebetet, daß er mir einen Freund schicken möchte, der mir hilft.« »Sie haben doch so viele, meine Beste!« »Nein, keinen wo ich Rath holen wollte. Da –« »Erschien er plötzlich, wo Sie ihn nicht vermuthet.« »Wenn ich die Augen schließe, und lange da sitze, sehe ich ihn deutlich vor mir, als wenn er leibte und lebte, nein noch deutlicher. Ich zähle die Knöpfe an seiner Uniform. Ich sehe ihn, wenn er den Fidibus anzündet, wenn er sich aufs Sopha wirft, das Bein auf den Stuhl legt, wenn er gähnt und seufzt und mit der Hand übers Gesicht fährt.« »Das sind ja interessante Visionen! Aber erlauben Sie mir es zu sagen, diese Wahrnehmungen können doch zuweilen sehr unangenehm werden, wenn eine zarte Frau in die Gar ç onwohnung einer Kaserne blickt, und alles das sieht. Es soll da nicht sehr sauber hergehen.« »Sein Herz ist rein, seine Seele ein Spiegel. Ich kann ohne Erröthen hinein blicken. Was kümmern mich die Aeußerlichkeiten! Er hat in seiner Kaserne keine weibliche Pflege. Da hängt manches am unrechten Ort und geschieht nicht wie es sollte. Er fühlt es wohl, kann sich aber nicht klar darüber machen. Er fühlt, er muß sich herausreißen, weil er sonst unterginge.« »Das wissen Sie alles?« rief die Fürstin über die neue Clairvoyance verwundert. Es ging ihr wie der Lupinus: die Eigenschaft, die sie für sich liebte, ward ihr bei Andern unbequem. »Ich weiß noch mehr. Ja, er ist – er hat Vertrauen zu mir – er hat wie ich das Bedürfniß gefühlt, das unselige Mißverständniß aufzuklären, er hatte einen männlichen Entschluß gefasst; mit einem Wort, theuerste Freundin, er wollte an jenem Nachmittage zu mir, weil er es nicht länger in der Ungewissheit aushalten konnte, und da –« »Kam etwas dazwischen; jetzt verstehe ich Sie! Aber dann lässt sich ja der Schade leicht wieder gut machen.« »Sieht er mir denn ins Herz?« rief die Baronin. »Man kann ihn langsam sondiren –« »Langsam! Und es geht los! Er muß mit!« Sie sah die Fürstin mit stieren Augen an, und jetzt brach das lang Verhaltene unwiderstehlich heraus: »Langsam! und Sie waren zugegen, wo sie den Krieg beschlossen. Weiß ich, ob er noch in Berlin ist, wenn wir ankommen? Es sind Couriere mit neuen Marschordres schon diese Nacht abgegangen. Und er geht ohne zu wissen, was mich quält. Nein, er geht mit dem Gedanken, daß ich ihn verspottet. Die erste Kugel kann ihn treffen, und, und – in das Jenseits ist er, und weiß nicht –« »Daß Sie ihn lieben! – Meine theuerste Baronin, wenn wir das nur geahnt hätten! Man hielt es für eine flüchtige Passion. Wie hier die Welt ist!« Die Fürstin wusste in dem Augenblick nichts Passenderes zu thun, als daß sie die Baronin an die Brust schloß. Die Baronin interessirte sie sehr wenig, ihr Liebesschmerz noch weniger, am wenigsten aber der Rittmeister. Durch das improvisirte Embrassement verbarg sie außerdem die Thräne des Mitgefühls, die in ihrem Auge nicht da war, und ersparte sich eine Antwort, die ihr in dem Augenblick nicht konvenirte. Sie saßen eine Weile in schweigender Rührung. Bei der Baronin bedurfte es nur des Antippens mit dem Finger, und ihre Bekenntnisse, lange noch nicht erschöpft, brachen von neuem heraus. Dies besorgte die Fürstin, sie schien nur deshalb auf eine Wendung des Gesprächs nachzusinnen, welche diesen Ausbruch verhinderte; weil sie aber nur zu gut wusste, wie Gefühle der Art einem Raume mit brennbarem Aether gleichen, wo man kein Licht einbringen darf, damit nicht alles in Flammen stehe, so schwieg sie lieber ganz. Sie fühlte sich indeß auch nicht vollkommen sicher auf dem Terrain, denn sie war überrascht, nicht sowohl über die Macht der Leidenschaft, welche die für kalt gehaltene Frau aufregte, als über das Bewusstsein und die Seele, mit welcher sie das Gefühlte aussprach. Wo Diplomaten Bewusstsein und Seele merken, werden sie unsicher, und tappen umher, bis sie mit ihren Fühlfäden die Schwäche entdeckt haben, mittelst deren sie den Gegenstand, der sich ihnen entziehen will, wieder in ihr Netz ziehen. Die Fürstin hatte wenigstens eine unverfängliche Wendung gefunden, als sie, wie aus tiefem Nachsinnen aufseufzte, den Blick gen Himmel, rief: »Und der Krieg ist es, der meine Freundin so erschreckt! Was ist der Krieg anders, als ein Gewitter, das die schwüle Luft reinigt.« »Mit Menschenblut! Und darunter die Besten. Die Kugel wählt nicht die Schlechten.« »Wenn nun in der Natur ein solches verborgenes, furchtbares Gesetz bestünde, das Menschenblut fordert!« fuhr die Fürstin fort, die sichtlich in ein neues Gedankengewebe sich hinein spann oder zu einem Phantasieflug erhob, der über die Fassungskraft ihrer Gesellschafterin hinaus ging. Sie wollte, obgleich die Wahrnehmung sie interessirte, daß die Leidenschaft auch eine Eitelbach weit über sich erhoben hatte, sich selbst in eine Sphäre erheben, wo Jene ihr nicht folgen konnte. »Ja, es existirt dieses Gesetz! Und der Soldatenstand ist der geehrteste, weil er auf diesem großen Gesetz der geistigen Welt beruht. Warum heißt Gott in der Bibel der Herr der Heerscharen! Es ist das nicht ohne tiefen Grund. Wie herrscht in dem weiten Reiche der lebendigen Natur eine, wir können sagen, gesetzliche Wuth aller Wesen gegen einander! Es giebt keinen Moment in der Zeit, meine Freundin, wo nicht ein lebendes Wesen von einem anderen verzehrt wird. Der Mensch aber ist unter diesen zahllosen Arten von Würgethieren die allerfurchtbarste. Er tödtet um zu essen, nm sich zu kleiden, sich zu schmücken, ja aus Vergnügen, er tödtet um zu tödten. Der Mensch, dieser entsetzliche Herrscher der Natur, will alles an sich reißen, vom Lamme seine Eingeweide, um die Harfe widertönen zu lassen, vom Wallfisch seine Barten, um das Mieder des jungen Mädchens zu halten; seine Tafeln sind bedeckt mit Kadavern. Ja, dem Menschen ist in dem unerforschlichen Rathschluß des Ewigen das Amt gegeben, den Menschen zu erwürgen, und der Krieg ist's, der den Spruch erfüllt. Die Erde selbst schreit nach Blut. In Erfüllung des großen Gesetzes, das gewaltsame Zerstörung unter den lebenden Wesen fordert, ist die ganze Erde, fortwährend von Blut getränkt, nur ein ungeheurer Altar, auf dem Alles geopfert werden muß ohne Ende. Ja, meine Theure, zweifeln Sie daran, wenn Sie die Weltgeschichte durchblättern, wenn Sie die rothen Schlachtfelder überblicken, mit denen der gekrönte Korse die Länder füllt, daß der Würgeengel sie umkreist wie die Sonne, und eine Nation nur aufkommen lässt, um andere zu schlagen! Wenn die Verbrechen sich gehäuft über das Maß, dann verfolgt mit Hast der Engel, ohne Maß zu kennen, seinen unermüdlichen Flug. Die sicht- und greifbaren Anlässe erklären den Krieg nicht; Jeder kennt ja das Uebel; wenn sie wollten, könnten sie ihm ja leicht vorbeugen. Aber es ist der Durst dieser großen Sünder nach der Strafe, von der sie fühlen, daß sie sie verdienet, sie stürzen darnach, wie die Hirsche zum Quell, um dadurch gesühnt zu werden. Sehen Sie, Theuerste, wenn wir ihn so betrachten, müssen auch die Schrecken des Krieges geringer werden; ja wenn wir uns versenken in den berauschenden Gedanken, daß Er es ist, der von dem sündigen Menschengeschlecht im Augenblick seiner höchsten Noth gerufen, in seiner Donnerwolke eintritt, um die Ungerechtigkeit, welche die Kinder dieser Welt gegen ihn begingen, zu strafen und vernichten, dann wird der Krieg selbst in unsern Augen zu etwas Göttlichem und seine Schrecken schwinden vor dem geängsteten Gemüthe.« Wir wissen, daß dies nicht die eigenen Ansichten der Fürstin Gargazin waren, sondern daß sie dieseben in Petersburg aus dem Munde eines französischen Fanatikers vernommen hatte, der, damals noch wenig beachtet, später aber von so unheilvollem Einfluß ward, noch heute dauernd, aber noch heute zweifelhaft, ob von schlimmerem auf die Völker oder die Fürsten, indem er ihr Thema, die Erblichkeit der Rechte, auf keinen festern Grund zu bauen wusste als auf die Erbsünde der Menschen! Die Fürstin hatte erreicht was sie vorhin wollte, sie hatte die Baronin zum Schweigen gebracht; aber die stumme Sprache der Seufzer ward ihr noch peinlicher als die vehementen Liebesklagen, von denen sie sich debarrassirt. Sie drückte sanft die Hand ihrer Begleiterin, sie bedauerte, wenn ihre Phantasien einen zu tiefen Eindruck auf ihr Gemüth gemacht, auch sei der Krieg ja noch nicht bestimmt erklärt, und wenn er ausbreche, wache ein Auge dort oben über Alle, und wisse die Schuldigen von den Unschuldigen zu unterscheiden. »Nur die Schuldigen trifft sein Zorn! Er richtet nicht wie ein menschlicher Richter, der nur auf die offenkundigen Thaten sieht, er prüft die Nieren und sieht das Herz. Mancher, der uns als großer Sünder erscheint, geht vor ihm frei aus, weil sein Herz rein geblieben, nur die Gewalt der Umstände ihn zur That trieb. Dagegen wie Mancher, der nichts gethan, was die Sinne fassen, ist schon verdammt, weil er in der Stille seinen sündhaften Regungen nachging, weil er in Gedanken gegen Gottes Gesetze sündigte. Wie leicht lullen wir uns in süße Verstellung ein, es sei nicht schlimm was wir denken; wir lügen uns edle Absichten vor, oder glauben, es sind ja nur Phantasieen, und wenn es zur Ausführung kommt, so würden wir stark sein und ihnen widerstehen. Ach, meine Liebe, wir sind nicht stark, und Gedankensünden sind oft die schwersten, die wir begehen können.« Die Fürstin musste heute selbst so von ihren eigenen Gedanken bedrängt und verwirrt sein, daß ihre diplomatische Kunst sie in dem, was sie laut sprach, zu verlassen schien. Sie hatte nichts von dem neuen peinlichen Eindruck gemerkt, den diese Tröstung auf die Baronin hervorgebracht, die plötzlich sich auf den Boden des Wagens niedersenkte, und die Knie der Fürstin umfasste: »Ach, ich verstehe Sie,« schluchzte die schöne Frau, »aber – ich konnte nicht anders« »Meine Liebe, Gute, beruhigen Sie sich,« sprach die Fürstin, die eine neue Spezialbeichte fürchtete, und nichts weniger als Lust hatte, den Beichtvater abzugeben. »In solchen großen Weltkatastrophen hat das Ange droben weniger Acht – ich wollte sagen, es sieht milde und gnädig auf die kleinen Vergehungen herab.« »Ja, ich liebe ihn,« rief die Baronin »und ich bin ja eine verheirathete Frau.« Also das war es. Mild lächelnd blickte die Fürstin auf die Sünderin herab, und fuhr mit den weichen Fingern über ihre Stirn: »Erinnern Sie sich, wie der verlorene Sohn aufgenommen ward!« »Ich kann ihn doch jetzt nicht verlassen – wenn ich jetzt zurückkehre, raube ich ihm seinen Glauben –« »An Ihre Liebe. Das ist sehr wahr. Der verlorene Sohn kehrt auch nicht auf den ersten Anfall von Reue zurück. Würde er so im Hause des Vaters empfangen sein? Er mußte eine furchtbare Schule der Sünde durchmachen, um der Gnade werth zu sein. Wäre er in sich gegangen nach einer leichten Verirrung, und hätte er sich etwa nach einem Trinkgelag, einem Verlust im Spiel, einer wüsten Nacht, reuig dem Vater zu Füßen geworfen, es wäre gewiß sehr hübsch und moralisch, aber der Vater, wenn er ein vernünftiger Mann war, hätte ihn aufgehoben und auf die Schulter geklopft und gesprochen: Nun das freut mich, daß Du es selbst einsiehst, künftig wirst Du Dich davor hüten, aber nun mache kein Aufheben davon, daß Du nicht ins Gerede kommst; sei ganz wie vorher, ich werde gegen Dich auch wie immer sein. O meine Freundin, wo blieb da die Seligkeit, die den Sohn, den Vater, das ganze Haus, die Nachbarschaft erfüllte, jene Seligkeit, um die es sich lohnt gelebt, so viel Qualen ausgestanden zu haben! Wie er dalag auf der Schwelle, zerknirscht, gebrochen an Leib und Seele, und nun zuckte das Gnadenwort des Vaters wie ein Sonnenstrahl nach langen grauen Tagen, der Himmel that sich auf in seiner Herrlichkeit, als die Arme des Vaters sich öffneten ihn zu umschließen. Er ward ein neuer Mensch, er gesundete an Leib und Seele, alle Welt wusste es, alle Welt freute sich mit ihm, und das große Geheimniß der Liebe ward Himmel und Erde offenkundig.« Es klang wunderschön, die Baronin wusste aber doch nicht, was sie damit machen sollte: »Wenn ich nur wüsste –« »Weiß Ihr lieber Mann darum?« fiel die Fürstin ein. »Ach der! – Er würde sich halb todt lachen, wenn er alles wüsste, Es hat ihm schon Spaß gemacht, daß er mich necken konnte.« »Wenn aber aus dem Spaß doch Ernst würde? Wenn er in eifersüchtiger Laune – es könnte eine unangenehme Scene – eine Scheidungsklage –« »Ach, da hat er schon eine Andere.« »Die spanische Tänzerin soll ihm viel Geld kosten.« »Das meinen Sie! Nein, ich meine die Braunbiegler.« »Die reiche korpulente Wittwe, mit den Edelsteinen und Ketten um den Hals! Die muß ja eine Fünfzigerin sein!« »Sie ist ja die Wittwe seines Compagnons – hunderttausend Thaler baar außer dem halben Geschäft! Wäre Herr Braunbiegler vor acht Jahren gestorben hätte er mich gar nicht geheirathet, das sagt er mir und Jedem tausend Mal. Er hätte das Geschäft in einer Hand und die Tuchlieferungen fürs Militär allein.« Ein Lächeln schwebte über das Gesicht der Fürstin: »So denken denken die Männer, und von uns fordern sie Hingebung und Treue: – Was ich sagen wollte, es kommt Ihnen also jetzt alles darauf an, den guten Rittmeister von seinem Irrthum zu kuriren. Wie wäre es denn – es ist nur ein Einfall – Sie glauben nicht, daß er sich noch einmal auf den Weg macht?« »Mein Gott, er muß ja ausmarschiren. Das ist's ja.« »Richtig! Wie wäre es denn, wenn Sie sich auf den Weg machten? Ich meine, wenn Sie ihm entgegen kämen, natürlich in allen Ehren. Sie könnten ihn zu sich rufen lassen; das möchte aber falsch ausgelegt werden, und vielleicht käme er auch nicht. Sie müssten etwas recht Eklatantes thun, das eblouirt die Männer. Ich hoffe, Sie verstehen mich nicht falsch. Wenn Sie ihn in der Kaserne aufsuchten, ich meine nicht heimlich, sondern in Ihrer Equipage, den Bedienten hinter sich, die Welt würde das freilich nicht gut heißen –« »Sie meinten also –?« »Ich meine gar nichts, aber wenn Sie einen solchen Schritt sich durchaus nicht ausreden ließen, wenn Sie sich kühn über das Urtheil der Menge wegsetzten, welche die Impulse edler Seelen nie begreift, – ich stelle mir nur eben den magischen Eindruck vor, den dieser heroische Entschluß auf unsern Freund hervorbringen müsste. Bei dem allgemeinen patriotischen Aufschwung, der gerade von den Frauen getragen wird, sinken die gewöhnlichen Schranken. Die Schwester eilt zum Bruder, die Braut zum Bräutigam, man möchte den theuren Scheidenden die letzten Stunden durch verdoppelte Aufmerksamkeit versüßen, man windet ihnen Kränze zum Abschied, und in den Epheu und das Immergrün möchte man schon Lorbeern flechten. Finden Sie das unnatürlich?« Wenn die Fürstin sich hätte Rechenschaft geben sollen, welches Motiv sie antrieb, würde sie gestockt haben. Herrschsüchtige strengen oft die halbe Kraft an, den Schein hervorzubringen, daß sie nicht beherrschen wollen; Geistvolle, wenn sie von Andern in ihren Gedankenkombinationen gestört werden, wehren sich die Störung durch lebhaftes Reden ab. Die äußerste Anstrengung, sich nicht zu verrathen, verräth freilich den Schuldigen nur zu oft, es bedarf dazu aber anderer Richter, als Zuhörer, die von ihren eigenen Gedanken absorbirt sind. Die Fürstin wollte von der Baronin loskommen, aber in jeder Wendung, welche sie dem Gespräch gab, verstrickte sie sich aufs Neue. Die Intrigue, zu der sie sich aus Gefälligkeit herbeigelassen, war ihr gleichgültig; selbst das Vergnügen, Eroberungen zu machen, erkaltet, je unbedeutender die Personen, die wir zu erobern ausgingen, im Verlauf der Arbeit uns erscheinen; und wenn sie aus Noth wieder ins Rad dieser Intrigue griff, geschah es nur aus Rücksicht für Freunde, die ein Diplomat abschütteln darf, sobald das Interesse es fordert, niemals aber aus Laune. Sie wollte wenigstens das Spiel derselben nicht verderben, darum ein Rathschlag, bei dem ihre Freunde Zeit gewannen, nach ihrem Gutdünken zu handeln. Aber die Fürstin hatte heut Unglück. Der Funke, den sie geschlagen, hatte in der Baronin gezündet. Sie strich über die Stirn und machte Miene aufzustehen: »Ja Sie haben wieder recht. So muß es sein, ich bin's ihm schuldig. Wenn nur nicht wieder etwas dazwischen kommt!« Ach wenn doch etwas dazwischen käme! dachte die Fürstin, und der Himmel erbarmte sich ihrer. Ein heftiger Krach, ein prasselndes Knallen, und der Wagen senkte sich. Im nächsten Augenblick waren die Damen unsanft auf die Seite geschleudert und lagen in der umgestürzten Kutsche, deren Fenster klirrend in Stücke sprangen. Der Kutscher hatte nicht schnell genug einem hinter ihm in Sturmeseile heranpreschenden Sechsspänner ausweichen können. Das Hinterrad des Wagens war vom Vorderrade des nach ihm kommenden erfasst worden, das Terrain war abschüssig und der Wagen der Fürstin, weiter in die Richtung rollend, gestürzt. Wenigstens ein Rad gebrochen. Aus der Kutsche des Sechsspänners ertönte ein donnerndes: Halt! Ein Kavalier sprang noch im Fahren heraus, und ehe die Lakaien sich von ihren Sitzen gearbeitet. »Es ist Frauengeschrei!« sagte ein heransprengender Reiter, der zum Wagen gehörte. »Um so unverzeihlicher!« rief der Kavalier, und schien zu fordern, daß auch der Begleiter vom Pferde springe, während er selbst, der erste, sich an der umgestürzten Kutsche beschäftigte den obern Schlag zu öffnen. »Sie sind doch nicht verwundet?« rief die Eitelbach zur Fürstin, die unter ihr lag. »Ich glaube nicht. Man öffnet. Machen Sie Luft.« Die Eitelbach war rasch zur Hand. Sie erfasste eine andere Hand, welche sich ihr aus dem geöffneten Schlage entgegenstreckte. Als sie sich aufgeschwungen, umfasste sie der kräftige Arm des Kavaliers und hob und senkte sie mit einem glücklichen Schwunge auf die Erde. Im nächsten Moment übte der Begleiter, der rasch aus dem Sattel geglitten, denselben Ritterdienst an der Fürstin. Der Zobelpelz, den sie der empfindlichen Morgenkühle willen nicht zurücklassen wollte, machte einige Schwierigkeit. Der Retter und die Gerettete mussten sich übrigens kennen. Als sie aber den andern Kavalier sah, ließ sie den Pelz plötzlich zu Boden sinken, und blieb in respektvoller Entfernung, mit auf der Brust gekreuzten Armen am Wagen stehen. Der Kavalier sprach zur Baronin, die ihren Schreck abschüttelte: »Ich hoffe doch, daß die schöne Frau sich keinen Schaden gethan.« »Danke für gütige Nachfrage, Ihro kaiserliche Majestät, ich denke, es ist Alles noch gut abgelaufen,« erwiderte sie mit einem Knix, der die Fürstin erröthen machte. Sie sah aber nicht, daß die Baronin dabei auch auf ihre Falbala's sah, die beim Herausheben zerrissen waren. Der Kavalier ließ den wohlgefälligen Blick, mit dem er die Gestalt der schönen Frau maß, jetzt auf ihre Begleiterin gleiten: »Ei sieh da, Prinzessin, das Morgenlicht täuscht. Hoffentlich auch mit dem Schreck davon gekommen, liebe Gargazin.« Er reichte ihr die Hand, die sie ehrerbietig an die Lippen brachte: »Sire, ein kleiner Unfall verschafft uns oft ein großes Glück.« »Aber die Damen können doch unmöglich in der Kälte hier stehen,« rief der Kavalier sich umsehend. »Wäre in meinem Wagen – aber es muß sogleich Rath geschafft werden.« »Eure Majestät,« sagte die Fürstin, »der Unfall wird leicht zu redressiren sein. Hier ist Hülfe zur Hand.« »Wir sind bei Stimmingens,« rief die Baronin, auf das Gehöft zeigend, das in der Morgendämmerung gegen den dampfenden weiten Seespiegel auftauchte. »Da sind wir gut aufgehoben. Wer bis Stimmingen kam, ist zufrieden.« Der Kavalier lächelte. Wenn ein großer Mann Zufriedenheit um sich erblickt, ist er selbst zufrieden. Aus der Wirtschaft waren in der That schon rüstige Arme herbeigeeilt, um die gestürzte Kutsche beschäftigt. Ein ältlicher Begleiter, in einen dicken Pelz verhüllt, der sich aus dem Wagen gearbeitet, machte, mit einer Bewegung der Hand gegen die Uhrtasche, eine bedeutungsvolle Verbeugung. »Meine Damen,« sprach der Kaiser, »ich bedaure, daß die Stunde, die zur traurigen Staatspflicht ruft, mich zwingt, die angenehmere in Ihrer Gesellschaft abzukürzen. Ich hoffe, daß Ihr Wagen bald wieder hergestellt ist, um das Vergnügen zu haben Sie in Berlin wieder zu sehen.« Die huldreichste Verneigung schloß mit einem Kopfnicken gegen die Fürstin: »Adieu, Gargazin, erkälten Sie sich nicht.« Noch einmal sah der Erlauchte vor dem Einsteigen sich um, und sein Blick galt der Baronin. »Glückselige Frau!« sagte die Fürstin zur Eitelbach, während sie Beide am hohen Rand des See's auf und ab gingen, die Fürstin wieder in ihrem Zobel, den der Adjutant ihr aufgehoben. Sie zogen den Aufenthalt im Freien der überheizten Wirthsstube und der Gesellschaft darin vor, Beide vielleicht von einem inneren Feuer erwärmt, während der Novemberwind empfindlich kalt von Spandau her über die weite Fläche des Sees blies. »Warum glückselig jetzt?« »In Rußland würde diese Frage eine Blasphemie sein. Die Schönheit, auf der das Auge der Majestät mit Wohlgefallen ruhte, wird glückselig gepriesen. – Aber wie kannten Sie ihn, und auch mein hoher Herr –« »I wissen Sie denn nicht! Wie sich's in der Königsstraße stopfte, und sie halten mussten, gerade vor unserem Hause? Und die ganze Zeit sah er nach meinem Fenster – fünf Minuten oder drei wenigstens kein Auge fort. Es hat uns Allen rechten Spaß gemacht.« »Spaß!« Die Fürstin erschrak, es kam aber noch ein anderes Gefühl hinzu, wie konnte ihr das verborgen geblieben sein! Niemand hatte es ihr hinterbracht. War sie so schlecht bedient? Die Eitelbach konnte sich täuschen, aber hatte sie nicht selbst Alexanders Blicke beobachtet? Sie kannte diesen Blick. »Ich begreife Sie nicht, so ruhig sprechen Sie das aus. In Rußland, nein in ganz Europa bliebe keine Frau gleichgültig, die der ritterlichste und liebenswürdigste Monarch so ausgezeichnet hat.« »Ach, Sie meinen mich? Nein ich war's ja nicht.« »Wer denn?« »Die Mamsell Alltag, die stand im Fenster neben mir.« »Adelheid Alltag!« rief die Fürstin und blieb sinnend stehen, so im Sinnen, daß sie den herangaloppirenden Reiter nicht bemerkte, der sich zum zweiten Mal vom Pferde warf und an die Damen trat. Es war der Adjutant des Kaisers. »Seine Majestät haben mich zurückgeschickt, meine Damen, mit strengsten Befehl, Ihnen meine Gegenwart aufzudringen und nicht eher zu weichen, als bis ich ihm rapportiren kann, daß der Wagen und Alles, was Sie wünschen, zur Zufriedenheit der erlauchten Frauen hergestellt ist.« Die Fürstin musste nach dem eigenthümlichen und forschenden Blick, den sie ihm zuwarf zu schließen, in alter und sehr genauer Bekanntschaft mit dem Adjutanten stehen. »Berichten Sie, Prinz, Seiner Kaiserlichen Majestät, wie Sie uns sprachlos vor Rührung über diese außerordentliche Gnade gefunden haben. Um uns aber in unsern stummen Dankgefühlen nicht zu stören, bitten wir Sie, uns auf der Stelle auch noch zu vertrauen, warum Sie außerdem hergeschickt sind.« Der Adjutant, wie im Einverständniß mit der Art der Frage, verneigte sich vor der Baronin: »Außerdem wünschten Seine Majestät zu erfahren, wer das junge Mädchen war, die am Einzugstage neben der schönen Frau am Fenster stand.« »Wirklich!« rief die Fürstin; man glaubte unter dem Zobelpelz ihr Herz gegen die Brust schlagen zu hören, die matt gewordenen Züge ihres feinen Gesichts belebten sich und ihr schwarzes Auge strahlte von einem Glanz, der das graue Morgenlicht beschämte: »Berichten Sie Seiner Majestät, daß was wir wünschen, wenigstens was ich wünsche, zu meiner Zufriedenheit hergestellt sein wird. Vielleicht sage ich Ihnen dann unterwegs – Sie chaperonniren doch unsern Wagen? wer das junge Mädchen ist, vielleicht auch nicht. Je nachdem Sie sich aufführen.« 47. Kapitel. Von Magistratspersonen und ungerathenen Kindern Siebenundvierzigstes Kapitel. Von Magistratspersonen und ungerathenen Kindern. Die Geheimräthin Lupinus war am Rathhaus vorgefahren und hatte in die Hände des Magistrats eine Gabe von dreihundert Thalern als milden Beitrag zu den Kriegskosten des Staates niedergelegt. Der Magistrat hatte es für nöthig erachtet, durch eine confidentielle Deputation der Geheimräthin für diesen Beweis einer außerordentlichen patriotischen Gesinnung seinen besonderen Dank abzustatten. Sie hatte die Herren Büsching, Köls und Gerresheim mit Beschämung, wie sie sagte, empfangen, und ihre Verwunderung nicht zurückhalten können über einen so Aufsehen erregenden Schritt, und um eine Handlung, welche nach ihrer Meinung die Pflicht von Jedem fordere. »Aber Sie waren die Erste in Berlin, die das Beispiel gab,« hatte Büsching erwidert, »und vor diesem Beispiel verneigen wir uns.« »So wünsche ich, meine hochgeehrten Herren, daß das Beispiel von den Nachfolgern verdunkelt und meine obskure Person und die Kleinigkeit, die ich mitbrachte, bald vergessen werde über die großen Opfer, die andere Reichere auf dem Altar des Vaterlandes niederlegen.« »Eigentlich hat sie Recht,« sagte Gerresheim, als die Herren wieder in den Wagen stiegen. »Das schickt sich nicht für eine Korporation wie der Magistrat von Berlin.« »Was schickt sich denn, und was schickt sich nicht,« sagte Köls, »wenn das Vaterland in Gefahr ist? Wir mussten aus den Provinzen täglich in den Zeitungen lesen, daß der und der Edelmann seine Rekruten ausstattet, und werthvolle Lieferungen verspricht, während in der Hauptstadt nicht das Geringste geschehen ist. Da war es Pflicht, den ersten Besten, der mit einer ansehnlichen Offerte hervortrat, zur Stimulation für die Andern zu honoriren.« »Das ist auch meine Ansicht,« schloß Büsching. »Es ist mit unserm Gemeindewesen überhaupt nicht, wie es sein sollte. Da muß man Manches dem Einzelnen überlassen, was eigentlich nicht an ihm wäre.« »Unser Räderwerk ist etwas verrostet, das ist richtig,« stimmte Gerresheim bei. Jener fuhr fort: »Können wir als Korporation etwas thun, um auf das Staatswohl einzuwirken? Weder nach Oben, noch nach Unten haben wir Einfluß.« »Ist auch nicht unseres Amtes, Herr Kollege,« sagte Köls. »Und ich sollte meinen, es macht uns schon genug zu schaffen.« »Papierstöße in Aktenberge zu verarbeiten! Meines Erachtens wäre in einem wohlgegliederten Staate die Aufgabe des Magistrats einer Stadt wie Berlin eine andere, als im Schlendrian zu vegitiren.« »Liebster, bester Kollege, keine Neuerungen! Haben wir's nicht gesehen, wohin sie führen? Wenn erst distinguirte Männer im Amt einen Penchant dazu bekommen –« »Neuerungen!« fuhr Büsching dazwischen, »was so uralt ist, als es Städte in Deutschland gab. Der Bonaparte freilich macht in seinem neuen Reiche seine Bürgermeister zu Domestiken und den Magistrat zu Pagoden; bei uns aber ist doch wenigstens noch die Fiktion, daß wir aus der Bürgerschaft hervorgegangen, daß wir ihre Interessen vertreten, oder, wie man jetzt sagt, sie repräsentiren. Traurig genug, daß es nur noch Fiktion ist. Meine Herren Kollegen, fühlen Sie denn nicht, daß es einer innigern, festern Gliederung zwischen oben und unten, zwischen allen Theilen, Gliedern und Ständen bedarf, um uns fest in uns selbst zu machen? Wenn ein Feind in England einfiele und London nähme, wäre England nicht verloren, weil in jeder Grafschaft ein Theil des Ganzen lebt, der selbst Lebenskraft hat, weil die Gemeindevorstände aus der Gemeinde hervorgingen, mit ihr zusammenhängen, mit ihr, auf sie gestützt, handeln können. Da rettet sich ein Theil des Staates, der Nation, in die Städte, Grafschaften, von dort aus erhebt sich England wieder. Was aber wäre Preußen, wenn Berlin genommen ist, und der Sitz der Regierung, ehe man die Staatsmaschine retten konnte, mit Allem darum und daran, dem Feinde in die Hände fiel? Wo sollte sich ein Widerstand organisiren, wo eine legale Autorität auftreten, wenn ein Schlag den Knoten zerhieb, in dem alle Fäden zusammen liefen, und sie hängen nun lose da. Die Einzelnen möchten zwar gern und sie sind bieder, gut, entschlossen; aber wo ist ein Mann, ein Name, eine Institution, welche eine Kraft, einen Anspruch hat, die Einzelnen um sich zu sammeln. Wir haben keine Aristokratie, keine Magistrate, wie sie sein sollten, gar keine Korporationen mit Einfluß hinter sich, mit Untergebenen, die ihren Führern, wenn nicht aus Liebe folgen, doch aus Interesse sich zu ihnen schaaren. Wenn der Schlag fiele, sind wir zersplittert, eine zerstreute Heerde, von der jeder Nachbar, jeder Räuber, was ihm bequem liegt, an sich risse.« »Wir haben unsere Armee,« sagte Köls. »Und die Armee hat Disciplin,« setzte Gerresheim hinzu. »Mit Disciplin lässt sich Alles durchsetzen.« »Auch der Opfermuth, der festhält an einer verlornen Sache? – Lassen Sie uns abbrechen, meine Kollegen, unsere Ansichten finden keine Vereinigung. Wir haben keine Korporationen, Stände, keine Gliederung im Staate, aber wir haben Menschen, gute, tüchtige Menschen, vielleicht Charaktere, die nur jetzt verborgen sind, und die Noth weckt noch mehr zur rechten Stunde. Das hoffen wir doch Alle, und lassen Sie uns an diesem Glauben festhalten. Darum –« »Wollen wir auch das Scherflein der Wittwe nicht verschmähen; die dreihundert Thaler der Lupinus sind uns aber lieber,« fiel Köls ein. »Sie ist ein wenig fanatisch in ihrem Patriotismus,« sagte Büsching. »Und –« setzte Gerresheim hinzu und schwieg plötzlich, bis er die Bemerkung hinwarf: »Die Frau Geheimräthin admirirte vor kurzem noch den Bonaparte mit einiger Ostentation; da ist das Changement doch auffällig.« Die drei Herren sahen sich an und mussten sich verstehen. »Es ist doch etwas eigenes mit der Weibernatur,« sagte Köls nachdenklich. »Wie weit sind sie uns oft vorauf, ich möchte sagen, wie der Blitz, der durch die Nacht leuchtet, und wir sehen den Weg vor uns. Aber dann, wenn wir den Weg einschlagen wollen, haben sie sich plötzlich verloren und wir haben Mühe sie mitzuziehen.« »Sie thut's auch jetzt nur, um von sich reden zu machen,« sprach Büsching. »Darüber hab' ich mich keinen Augenblick getäuscht. Aber das dürfen wir um Gottes Willen nicht sagen. Hingenommen das Gold, und einen Heiligenschein daraus geschlagen. Zum Zweck ist's dasselbe.« »Es wird mit dem Schein manches Heiligen nicht besser sein,« assentirte Köls. »Was meinen Sie, Gerresheim?« »Weiß der Geier, in der Frau ist etwas, was mich anzieht, und abstößt. Als ob ihr Auge mich aushöhlen wollte und ich fühle mich gedrungen, dann immer tiefer hineinzusehen, um sie wieder auszuholen.« »Ei, ei, Gerresheim, doch nicht wieder verliebt?« »Das wäre denn nur wie der Inquirent in seinen Inkulpaten, den er zum Geständniß bringen will. Ich kann die Vorstellung nicht los werden, daß ich die Frau einmal vor mir sitzen hätte am grünen Tisch, in einem Glorienschein von erhabener Tugend und philosophischer Resignation. Da steht mir der kalte Schweiß auf der Stirn, wie sie auf meine Fragen antwortet. Sie redet sich aus und in mich drein, daß ich an mir irre werde. Glauben Sie mir, das könnte die Frau in solcher Lage, mit ihrem züngelnden Blicke, voll Sanftmuth und doch in die Seele bohrend, mit ihrem feinen Lächeln, mit der unendlichen Milde, die um ihre blassen Todtenlippen schwebt Sie bedauert mich, sich, die ganze Welt, und Gott weiß was hinter dem Bedauern lauert, Hohn und Haß, Gift und Tod.« »Gerresheim, ich bitte Sie, ein Mann wie Sie, ein Richter, Kriminalist, und solche Phantasieen!« »Ich weiß es, es ist unrecht, aber wer kann dafür! Sie ist die reputabelste Frau in Berlin, und doch –« »Was steckt dahinter?« »Nichts weiter, Büsching, als die Warnung, daß man die Leute nicht zu klug werden lassen darf. Stellen Sie sich das Elend vor, wenn jeder Dieb so fein, gewitzigt, gelehrt und gebildet wäre wie die Geheimräthin Lupinus! Da möchte der Teufel Richter bleiben.« Während dieses Gesprächs stand Diejenige, von welcher die Rede war, am Fenster und hatte der fortrollenden Kutsche nachgesehen. Das Fenster war geschlossen und die Scheiben belegten sich vom Hauche ihres Mundes. Sie konnte nichts mehr sehen, und nach den Gesetzen der Natur, die wir kennen, nichts hören, als das Fortrollen der Räder. Wer aber ihr Physiognomiespiel beobachtet, hätte glauben mögen, daß sie das Gespräch im Wagen angehört. In ihren Augen stand geschrieben: ich weiß, was Ihr über mich denkt! Ich kann's nicht ändern, aber Ihr könnt und sollt mich nicht anders machen als ich bin. Dann flog ein eigenthümliches Lächeln über die Lippen, welche die Magistratsperson so treffend gemalt hatte. »Der Herr Legationsrath von Wandel lassen ihren Respekt vermelden!« sprach der eintretende Diener, nachdem ein Zug an der Thürglocke sie aus ihren Gedanken aufgeschreckt. »Ich lasse dem Herrn Legationsrath für seine unerwartete Attention danken.« Der Bediente ging aber noch nicht, obgleich die Dienerschaft gewöhnt worden zu schweigen, wenn die Geheimräthin mit einer ihrer scharfen Bemerkung eine Rede abschnitt. Es hatte sich manches in dem Hause verändert, die Geheimräthin schnitt viel öfter, rascher die Reden ab; sie sprach am liebsten mit sich, und man sah ihr an, daß sie in der Unterhaltung den mit ihr Redenden nur äußerlich Aufmerksamkeit schenkte, während ihre Gedanken andere Wege gingen. »Ist's noch etwas, Heinrich?« fragte sie, als der Bediente nicht ging. Er hieß eigentlich Johann, hatte aber beim Eintritt in den Dienst diesen Namen ablegen müssen. »Herr Legationsrath –« sagte der Bediente und stockte vor dem Blick der Geheimräthin. »Hat mir seinen Respekt durch seinen Bedienten vermelden lassen,« wiederholte sie rasch. »Weiter hat Er mir doch nichts zu sagen?« »Sie lassen der Frau Geheimräthin sagen, Frau Geheimräthin möchten doch heute Abend ja nicht versäumen in die Komödie zu kommen. Es wäre nämlich was los. Es wäre nicht um der Komödianten willen, sagte der Mensch, sondern weil die Herren Garde du Corps und von den Gensd'armen die Logen gemiethet, und man wüsste nicht, was draus werden könnte. Frau Geheimräthin möchten aber ja nichts zu Andern von sagen, denn es sollte es nicht Jeder wissen.« »Das sagte Ihm alles der Mensch? Vermuthlich schrie er es Ihm von der Treppe zu.« »Nein, Frau Geheimräthin, der Mensch des Herrn Legationsraths waren nur sehr eilig, weil er's noch vielen ansagen sollte. Sie standen Alle auf einer Liste. Darum –« Die Geheimräthin schnitt diesmal das Gespräch nicht durch ein Wort, sondern durch einen Blick ab. Aber der Blick war schärfer als das Wort. Sie hatte sich auf das Kanapé gelehnt, aber sie saß nicht allein. Einst hatte sie aufgeschrieen, als sie kleine Schlangen sah, die über das Sopha ihres Arztes züngelten und um seinen Arm sich ringelnd ihm an den Hals glitten. »Fürchten Sie sich nicht, Frau Geheimräthin,« hatte Heim gerufen, ohne Anstalt zu machen, der fast Ohnmächtigen beizuspringen. »Die Schlangen thun Niemand was. Es hat aber andre, die zischen und sind giftig, und Niemand sieht sie!« Diese Schlangen schienen jetzt neben ihr auf den Kissen zu spielen, um ihren Hals sich zu schlingen und durch ihre immer engere Umklammerung die scheu schielenden Blicke ihrer Augen zu erpressen. Fuhren sie auch zuweilen mit einem nagenden Stich in ihr Herz, so kann man wohl daher das plötzliche Aufzucken, das krampfhafte Athmen, das sie sich selbst zu verbergen suchte, indem sie ihre Hand unwillkürlich an ihre Brust führte. »Er hat Recht,« sagte sie, mit Anstrengung sich wieder vom Sopha erhebend, während sie sich doch noch an die Lehne hielt. Aber dann zwang sie sich mit aller Muskelkraft, die dem starken Willen zu Gebote steht, aufrecht zu stehen. »Er hat Recht,« wiederholte sie. »Das Leben ist und bleibt ein Krieg Aller gegen Alle, und nur Der steht fest, der sich zuletzt auf Niemand verlässt, als auf sich – Niemand « – setzte sie mit Nachdruck hinzu. »Denn der beste Bundesgenosse wird der gefährlichste Feind, wenn die Bande zerrissen sind, die ihn an uns fesselten. Und was sind denn diese Bande, wenn wir sie näher betrachten? Der Leim, der die spröden Fäden schmeidigt und bindet, ist das Interesse, weiter nichts! Die süßeste Liebe, der eifrigste Wissensdrang, wenn wir sie zersetzen, es bleibt nur das Gelüste, das allerfeinste, nach Genuß und Vortheil. Die Vaterlandsliebe, was ist sie, auf ihre Grundstoffe zerlegt? Ein grober Egoismus! Und dieser Patriotismus, den wir uns vorlügen, Jeder sich selbst, in noch stärkerer Dosis dem Andern, und der giebt ihn uns wieder zurück, aufgeschwollen, bis das grauenhafte Phantom fertig ist, das Wolkenbild, das unsre Sinne verwirrt, unsre Vernunft uns raubt. Und was bleibt dann? –« In der Kinderstube war es laut geworden, keine ungewöhnliche Erscheinung. Die Kinder verübten, wenn sie kaum sich etwas erholt, allerhand Schabernack. Sie neckten, zankten, schlugen sich, und es war mehr als einmal passirt, daß sie in unbewachten Augenblicken wieder einen frischen Trunk aus dem Quell des Uebels gethan, von dem sie geheilt werden sollten. Charlotte kam aus der Stube, die Enveloppe umgethan zum Fortgehen. Sie weinte. »Haben die Kinder Sie wieder nicht in Ruhe gelassen?« »Ach, Frau Geheimräthin, wenn da der liebe Gott nicht hilft, dann weiß ich nicht, wer helfen soll.« »Warum hilft Sie sich nicht selbst?« »Ich knuffe sie auch, Frau Geheimräthin, aber Wechselbälger sind gar nicht so schlimm. Nein, seit sie doch in dem Hause sind! Ein vernünftiger Mensch soll doch auch nicht in Rage kommen, denn wer in Rage ist, hat keine Vernunft, ja sonst – ich frage mich immer, womit hat's die liebe gute Frau Geheimräthin verdient, nämlich die selige, die hatte ja ein Herz wie Zucker, das konnte keine Fliege leiden sehen, und der Fritz, wenn er den Maikäfern die Flügel ausreißt, das ist sein größtes Plaisir. Malwinchen ist stiller, aber die hat's dick hinter den Ohren. Glauben Sie mir's, Frau Geheimräthin, die war's, die hat die Medizinpulle in die Mehlspeise gegossen. O Gott, ich kenne sie ja; der Fritz, ja mit reingepolkt hat er in die Speise, aber Fritz ist viel zu wild; der hätte nicht nachher die Pelle, mit Respekt zu sagen, so wieder rüber gepellt, daß man's nicht merken that. Und daß so was in einem so reputirlichen Hause vorkommen musste! Mein Cousine, die Frau Hoflackir, als sie's hörte, schlug die Hände über den Kopf zusammen, und sagte: Charlotte, Du mein Jemine! die Leute hätten ja denken können, sie wären vergiftet und vergeben worden.« »Das ist ein albernes Gerede.« »Das sagte ich ja auch. Erstens, das waren vornehme Gäste und die nennt man nicht Leute , Cousine. Nun Sie müssen wissen, meine Cousine ist jetzt eine sehr respektable Frau, aber sie hat nicht die Bildung gehabt. Da muß man ihr schon etwas zu Gute halten. Aber dann sagte ich ihr: Aber, Cousine, wie kannst Du so was nur denken! Gemeine Leute sind rachsüchtig, und da hat schon Mancher seiner Frau auf den Kopf geschlagen, und in den Büchern steht's von mancher Frau, die ihren Mann vergeben hat in der Suppe, daß sie ihn unter die Erde kriegte, und hinter der Thür stand schon ein anderer. Aber unter honetten Leuten kommt so was nicht vor, die wissen sich anders zu helfen. Und wenn's einmal, so macht man auch nicht so viel Geschrei davon, denn da wär's ja gethan um allen Respekt und die Moralität. Nein, alles, was Recht ist, und mein guter Herr, der Geheimrath, in der Seele hat er mir weh gethan, daß er dabei sein musste.« »Wie war nur das Kind in die Küche gekommen?« »Du lieber Gutt, sie hat einen guten Geruch. Da ging sie denn der Mamsell Adelheidchen so lange um den Bart – das heißt, sie streichelte mit ihren Händchen die blonden Locken, o Malwinchen ist ein Filou, und da müsste Mamsell Adelheid früher aufstehen, wenn sie's merken wollte.« »Adelheid hat nichts davon gesagt.« »Ach, Frau Geheimräthin, wie wird man Ihnen denn alles sagen, was in Ihrem Hause passirt! Sie haben auch gesagt, der Herr Geheimrath soll Kaffee haben vom zweiten Aufguß, weil's ihn echauffirt; Mamsell Adelheidchen aber lässt ihm vom ersten geben, weil sie gemerkt hat, daß es ihm besser schmeckt. Und der Herr Geheimerath, der nichts merkt, merkt's recht gut, und ist still zu. Warum sollte er's auch laut machen; er denkt, dann kann's anders werden. Es geht in jedem Hauswesen so zu, und wer der Klügste ist, soll sich nicht einbilden, daß nicht Einer ist, der ihm auf die Sprünge kommt. Jedes Schloß hat ein Loch und jede Mauer eine Ritze, man sieht sie nur nicht, und wer noch so verdämelt aussieht, zuweilen schießt's in ihn. Das sage ich meinem Geheimrath auch. Will sich manchmal um Alles kümmern, meine Marktrechnungen nachrechen. Lieber Herr Geheimrath, sage ich ihm, wenn ich Sie übers Ohr hauen wollte, dann wären Sie der letzte, der's merkt. Er hat auch gemerkt, daß es Malwinchen gewesen war; aber er that nur so, sonst hätte er ja losfahren müssen – und vorm Braten schon, und am Ende hätten Sie ihn die Kinder gleich einpacken lassen. Na, das käme ihm jetzt bequem. Es ist ja auch nicht das erste Mal, bei uns haben sie's schon mal so gemacht. Die Himbeersauce rein ausgeleckt, derweil wir asserviren. Was thun sie, damit wir's nicht merken sollen? Sie gießen das große Tintenfaß aus der Registratur 'rein. Ich sah's nicht mal, denn wir hatten Eine zur Aushülfe, so ein Schlesisches Puddel, die schrie: Herr Je – die Tunke ist ja schwarz! Na, die schwarze Brühe merkten wir denn bald. – Und nu's einmal 'raus, soll auch alles 'raus. Das Achtgroschenstück, warum der Hausknecht seinen Jungen so gottesjämmerlich prügelte, der Gottlieb hatte es nicht in die Gosse fallen lassen – das sagte der Junge nur aus Pfiffigkeit, daß er mit den Patschen drin wühlen konnte, und wer half ihm nicht, und derweil er heulte und wühlte, dachte er, kommt 'ne mildthätige Seele, und schenkt ihm was. Sie haben ihm auch was geschenkt, aber die Prügel waren das Meiste. Nein, aus der Tasche hat er sich's stehlen lassen. Und wer hat's ihm stibitzt? – Ich weiß es.« Ihre Hände mussten ihre Thränen nicht fassen können, die aus Charlottens Augen stürzten, auch das blaue Tuch, was sie davor hielt, ward in allen Wendungen naß, und ihr Schluchzen schallte von den Wänden zurück. »Wäre es möglich, Charlotte!« »'s ist gewiß, Frau Geheimräthin. Es schoß mir gleich was durch den Sinn. Und nachher, wie ich im Stroh suchte unter seinem Bett, da fand ich's – das Achtgroschenstück.« »Sie hat es dem Hausknecht wieder gegeben!« »Ich wollte es auch, aber da kriegt mich der Fritz zu packen. Sage ich Ihnen, wie ein Kobold, er kniff mir in die Waden und biß mir in die Finger, und schrie und weinte – nu man hat doch auch ein Herz im Leibe – wer will denn seiner Herrschaft Kinder an den Galgen liefern! – Dem Gottlieb thut man's wieder gut. Die Prügel hat er doch mal weg; schaden ihm auch nichts. Aber von dem Achtgroschenstück, davon ist's ja eben. Zum Kuchenbäcker um die Ecke. Sein ganz Schnupftuch voll brachte er mit, husch unters Bett, und nun stopften sie. Daran liegen sie ja jetzt wieder. Nein, sage ich doch, das steckt im Blute.« »Meint Sie?« »O Du himmlischer Vater, wenn da nicht Einer hilft, der wird mal 'ne Räuberbande, wie's zu lesen steht in den Büchern bei Herrn Vieweg – blutig duster im Walde, und am Ende schleppen sie ihn in Ketten. Na, wenn das mein Herr erlebte!« »Im Blute, sagt Sie, steckt es!« »Wer's zu verantworten hat, weiß ich auch, Frau Geheimräthin. Nein, da sind Sie nicht dran schuld. Im Blute, sagt der Herr Prediger, steckt die Sünde, der Frühprediger meine ich, wo die russische Fürstin alle mal hinkutschirt. Ach, Frau Geheimräthin, haben Sie den mal gehört? Das ist gar kein Prediger wie die andern, der donnert von der Kanzel, daß es Einem brühsiedend heiß wird, und 's ist Einem, als ob das liebe Fleisch von den Knochen abginge. Der sagt's uns raus, daß die ganze Menschheit in Grund und Boden nichts taugt und keinen Schuß Pulver nicht werth ist. Und das kommt aber nicht von uns, sondern weil wir uns von der Erbsünde losgesagt haben, darum alles das und noch viel mehr. Herr Jesus, Frau Geheimräthin, wie malt der Mann das alles, man sieht's ordentlich. Man möchte von Keinem mehr ein Stück Brot nehmen, so sind sie versunken und verpestet in Eitelkeit und Habsucht und Wollust und Hoffart. Und das wird auch nicht besser werden, denn die Kinder werden noch immer schlechter als die Eltern, von wegen daß sie's von ihnen lernen, bis der Herr in seinem Zorne wieder eine Sündfluth schickt, oder ein großes Feuer, oder wie er sagt eine Bluttaufe, denn vernichtet müsste das ganze gottlose Geschlecht werden, sagt er, das abgefallen ist vom rechten Glauben an die Erbsünde und darum wären wir schwächlich und diebisch und neidisch und verredeten, und vergeben einen den andern, und wollten besser scheinen, als wie wir sind. Und dann streckt er die Arme aus und ruft zum Herrn der himmlischen Heerschaaren, daß er die Kindlein fortnehmen möge in seinem Erbarmen, und er möchte Thränen weinen, daß sie ein Meer würden, sagt der Herr Prediger, und die unschuldigen Kleinen alle darin versöffen, damit sie nicht lernten die Sünden der Eltern, sondern 'rein kämen in den Himmel, wie neugefallener Schnee. Das war nur ein Schluchzen in der ganzen Kirche und ich dachte, o Gott, wenn doch der Himmel so unser Malwinchen und Fritzchen zu sich nehmen wollte. – Und daß nun einmal alles rein aufgewaschen wird, Ihre chinesische Porzellanvase hat Fritzchen auch zerschlagen. Mamsell Adelheidchen hat sie nur so oben mit der schönen Seite auf den Rand gesetzt, daß Sie's nicht merken sollen, und dann will sie's abpassen, wenn Frau Geheimräthin mal bei guter Laune sind. Ja, wenn die englische Mamsell nicht wäre, dann wäre schon längst ein Malheur passirt.« 48. Kapitel. Präparirtes Gift Achtundvierzigstes Kapitel. Präparirtes Gift. Charlotte war fort. Ihr Geheimrath hatte sie zur Mittagsstunde erwartet, und »wir haben heut sein Lieblingsgericht,« hatte Charlotte sich entschuldigt. Die Geheimräthin stand im Krankenzimmer. Es war ein eigenes Lächeln, mit welchem sie die schlafenden Kinder betrachtete. Nicht das des Wohlgefallens, es war nichts Wohlgefälliges in dem Anblick. Es war eine Wißbegier, die, je länger sie über das Mädchen sich beugte, zu einer wollüstigen Empfindung ward. Der Knabe hatte sie weniger interessirt. Auf seinem Gesichte las sie nur rohen Trotz und sinnliche Tücke. In Malwinens Lineamenten schien sie zu studiren. »Sonderbar!« lispelten ihre Lippen, »welche schalkhafte Ruhe über dem Kindesgesichte! und doch aus allen Grübchen der Schelm vorschießend, der Zerstörungstrieb – in Kindern! So schickt vielleicht die Natur Jeden fertig auf die Welt, es ist alles Prädestination, und wir verfehlen nur unsere Bestimmung, wenn –« Sie tippte mit dem Finger über Malwinens Stirn, wie um durch das Gefühl sich zu vergewissern, ob das Auge nicht getäuscht. Die Probe musste mit der Rechnung stimmen; ihr Lächeln ward intensiver, als plötzlich doch ein Schatten über ihre Stirn flog. Der Schlaf ist ja ein Verräther! Lag nicht der ganze dunkle Trieb für das Auge des Kundigen auf dem Kindesgesicht ausgedrückt? Wenn das mit den Erwachsenen derselbe Fall wäre? Wenn Jeder sich einschließen müsste, vor nichts mehr besorgt, als daß ein Fremder ihm ins Gesicht sehe? – Erschreckt vor dem Gedanken blickte sie um sich, und – die stille Krankenstube barg den Verräther. Hinter der Fenstergardine saß Adelheid und stickte an der Fahne, mit welcher die Geheimräthin, sie wusste noch nicht wie, das Gouvernement überraschen wollte. »Spielen wir hier die Lauscherin?« »Was sollte ich belauschen? Ich arbeite an Ihrem Auftrage.« »Mit verweintem Gesicht? Ich meinte, eine Patriotin wie Du sollte nicht Thränen in die Fahne ihres Königs sticken.« »Die armen Kinder litten aber wieder so sehr.« »Und da ist es ein süßes Gefühl, als Schutzengel über die Unschuld zu wachen! Man mag sich für gewisse Leute interessant machen, wenn man immer die Leidende spielt, es giebt Andere, die durch die Maske sehen.« Adelheid ward roth und senkte ihr Auge nieder, das entrüstet aufgeblickt. Von der Rede kamen nur die Worte heraus: »Meine Mutter –« »Das Wort wird Dir wohl täglich schwerer? Aber so lange Du Dich bewogen findest, in diesem Verhältniß zu bleiben, ist es doch gut, daß Du Dich vor den Andern bezwingst, Liebe gegen mich zu zeigen.« »Meine Mutter, Sie martern mich.« »Das ist unser Aller Loos. Wir Alle werden gemartert von den Verhältnissen, vom Urtheil der Menschen, bis wir gleichgültig werden, sagen die Leute. Das ist nicht wahr, man wird nicht gleichgültig, wenn man sich nicht schon aufgegeben hat. Nur wer so weit ist, daß er alle Hoffnung fahren ließ, nimmt die Tritte und spitzen Stiche ruhig hin. Wer sich noch fühlt, ruht nicht, bis er Andere wieder martern kann. Sieh mich immerhin verwundert an; es ist so, es ist das Gesetz der Welt.« »Das Gesetz der Rache.« »Nenne es, wie Du willst. Es giebt nur zwei Gattungen Wesen. Unterdrücker und Unterdrückte. Wo Du hinsiehst, so ist es. Das ist eine Phantasie aus der Vorzeit, daß es freie Menschen gäbe; sie sind von unserer Kultur so ausgerottet wie die wilden Thiergeschlechter. Denn die noch da sind, sind doch schon unterworfene Geschöpfe, Der Mensch hegt und erhält sie, um sie zu fangen, schießen, je wie es ihm beliebt. Der Hirsch, der Hase ist so sein Eigenthum daß er schon unverbrüchliche Gesetze für ihn gegeben hat wie lange man ihn schonen, wann der Vertilgungskrieg losgehen soll. Nach eben solchen Gesetzen schont ein kluger Herr die von ihm abhängig, nicht aus Liebe, nur um seines Vortheils willen. Er spart ihre Kräfte auf, um sie am besten zu nutzen. Der Wurm und der Hirsch lehnen sich vergeblich gegen ihre Ueberwinder auf; unter den Menschen glückt es zuweilen dem Einen und dem Andern, durch List, Ausdauer, frei und Herr zu werden über seine Unterdrücker, und dieser Prozeß ist unsere Geschichte. Aber wenn sie es sind, dann machen die Sieger es nicht besser und anders; sie unterdrücken, quälen und martern wieder, wie sie gemartert wurden. Das ist auch Geschichte, mein Kind. Findest Du es so unnatürlich, daß man lieber sticht, als gestochen wird?« »Ich freue mich, daß ein harmloses Mädchen nicht in Verlegenheit kommt, wählen zu müssen.« Die Lupinus lächelte: »Warum unser Verhältniß durch Unwahrheit erschweren, mein Kind. Zwischen uns muß Wahrheit sein. Ich ertrage sie, Du kannst es auch. Du wirst noch mehr ertragen müssen.« »Mein Gott, was ist denn zwischen uns Wahrheit?« rief Adelheid und erschrak, als es über ihre Lippen war. »Du sprichst es eben aus. Wir sind zusammengewürfelt und passen nicht zu einander. Wir gefallen uns nicht, und müssen doch vor den Menschen die Miene annehmen, als wenn wir uns liebten. Auf Deinen Lippen zittert die trotzige Bemerkung, ich könnte Dich ja verstoßen, Dir die Thür weisen. Nein, Adelheid, das kann ich nicht, das darf ich nicht. Die Welt, die mich gestern noch liebkoste, hat sich über Nacht von mir gewandt. Daß ich Dich damals gerettet ist längst vergessen, so wie Du es vergessen hast. Still, still, ich zürne Dir darum nicht, ich finde es ganz natürlich. Sie sinnen mir an, daß ich Dich nur aufgenommen, um mit dem schönen Mädchen Staat zu machen, Du solltest der Lockvogel sein für eine Gesellschaft, die sonst nicht über die Schwelle der Lupinus gekommen wäre! Nun sei es anders. Man hat sich satt gesehen, man gafft andere Sterne an. Man vernachlässigt mich, spottet meiner hinter meinem Rücken. Wer so einsam dasteht, wie ich, von dem wenden sich auch die treuesten Freunde. Merke Dir das, es giebt keine Treue, als wer sich selbst treu ist, und das ist schwer. Die Schule ist lang und hart, ich habe sie durchgemacht. Ich kenne die Welt; einer nach dem andern ihrer bunten, flimmernden Lappenvorhänge fiel nieder, auch einer, der fest schien wie das diamantene Firmament – aber das Firmament ist ja auch eine Illusion! Wenn ich Dir jetzt den Stuhl vor die Thüre setzte, hieße es, das sei aus Verdruß, weil Du meine Erwartungen nicht erfüllt, ich wäre Deiner satt. Daß man mich dann tadelte, hasste, ertrüge ich – ich hasse sie ja auch; aber man würde mich auslachen, und – ausgelacht mag ich nicht sein.« Die Thränen, die aus der wunden Brust, ein heißer Strom, vorbrechen wollten, gerannen durch die Eiskälte der Rede zu Eis: »Sie haben mir erklärt, warum die Bande, welche Sie an mich fesseln, von Ihnen nicht gelöst werden können, Frau Geheimräthin; aber warum ich sie nicht lösen darf, wenn ich weiß, daß meine Gegenwart für Sie eine störende ist –« »Das habe ich Dir allerdings nicht gesagt,« fiel die Lupinus ein, »weil ich es nicht für nöthig hielt. Die Sache ist so einfach. Kann man Liebe erzwingen? Du liebst mich nicht und hast mich nie geliebt. Das glänzende Leben in meinem Hause ist Dir nicht mehr neu, oder nicht mehr glänzend; es zieht Dich nicht mehr an. Die Huldigungen, die Du empfängst, würden Dir auch sonst wo nicht entgehen. Hättest Du Dich klug von Anfang an benommen, so wäre Deine Stellung jetzt gesichert, vielleicht eine so glänzende, daß Du auf Die mit stillem Mitleid herabsehen könntest, die Du noch jetzt so gütig bist, Deine Wohlthäterin zu nennen. Dein übler Stern hat es anders gewollt. Du folgtest einer sentimentalen Regung, und aus einem Gefühl, das Du Dankbarkeit nennst, gabst Du Dich dem Manne zu eigen, an den Dich eine doppelte Täuschung knüpft. Du glaubst ihm Deine geistige Ausbildung zu verdanken, und Du glaubst ihn zu lieben. Mein Kind, wer der Dankbarkeit huldigt, ist schon verloren; die Undankbaren sind die Glücklichsten, weil sie die Freiesten sind. Gutes thun ist nichts als eine Berechnung; die Einen thun es, um einst im Himmel belohnt zu werden, die Anderen, um hier einen Vortheil zu haben, mit einem kleinen Einsatz spekuliren sie auf einen großen Treffer. Auch sie sind Thoren! Sie täuschen sich immer in dieser Berechnung; wenn die Undankbarkeit des Geschöpfes sie längst belehrt haben sollte, hegen sie dafür noch immer ein Interesse und meinen in einer Art stillen Wahnsinns, ihr Geschöpf werde doch noch einmal in sich gehen, und es ihnen lohnen, was sie dafür gethan.« Die Geheimräthin hielt einen Augenblick inne, es schien, als wolle sie sich an der Wirkung ihrer Rede erfreuen; aber Adelheid stand wie ein Steinbild vor ihr. Darauf hatte sie nichts zu sagen Dann fuhr sie fort: »Ueber diese Illusion, mein Kind, bin ich wenigstens hinaus. Auch Du stehst auf einem Wendepunkt. Du bist selbst so klug, daß Du fühlst, wie Dein Herr van Asten eben nur that, was ein geschickter Lehrer soll, den man dafür bezahlt. Er erkannte Dein Talent, und führte Dich auf den rechten Weg. Du hättest ihn, auch ohne Walter, vielleicht später, vielleicht besser gefunden. Deine Bildung ist nicht sein Werk, und noch weniger bist Du sein Geschöpf. Das siehst Du jetzt mit jedem Tage mehr ein, und um deswillen fängst Du Dich an zu schämen über das Uebermaß von Dankbarkeit, mit dem Du Dich ihm in die Arme warfst. Du liebst ihn auch nicht. Das aber gestehest Du Dir noch nicht ein, und lullst Dich vielmehr immer tiefer in die Selbsttäuschung, daß Du ihn lieben müsstest. Etwas Berechnung ist indeß auch dabei. Du möchtest gern von mir loskommen, aber zu Deinen Eltern willst Du auch nicht zurück. In der vornehmeren Stellung, in welche sie gerückt sind, und welche Dir allenfalls den äußern Glanz bietet, an dem Du Dich nun gewöhnt hast, würdest Du Dich noch weniger behagen; ihre neuen Kräfte sprechen Dein ästhetisches Gefühl nicht an. Du bemerkst vielleicht schon manches, Lächerliche in den Prätensionen, die sie machen. Als gutes Kind giebst Du Dir Mühe diese Regung zu unterdrücken, aber Du würdest sehr unglücklich sein, sowohl in den alten beschränkten Verhältnissen, als in den ausstaffirten neuen. Um aus diesem Dilemma zu kommen, von mir los, und nicht zu Deinen Eltern zurück, drängt es Dich, und Du drängst vielleicht auch ihn, daß Walter eine Stellung bekomme, wo er Dich heirathen kann. Mit einer fieberhaften Angst hast Du Dich auf dies Thema geworfen, und machst ihm immer neue Vorschläge, wie er es anfangen soll. Du quälst Dich, ihn, Deine Eltern, seinen Vater, uns Alle. Das weißt Du auch recht gut, denn Du weißt, daß Walter an ganz Anderes denkt. als an Dich und sich, aber Du thust es doch, weil Du in einer Art Fieber bist. Du betrachtest es als eine Destination, Dich als ein Opferlamm, und mit allerhand hochherzigen Vorspiegelungen schilderst Du dann als ein erhabenes Ziel der Selbstverleugnung, was doch nichts ist, als der Nothhafen, wohin der Schiffer in seiner letzten Verzweiflung steuert. Und wenn Du ihn nun geheirathet hast –« »So traue ich mir zu, ihm eine gute, treue Frau zu sein.« »Daran zweifle ich nicht. Aber Du wirft es ihn doch fühlen lassen, welche Opfer Du ihm gebracht. Du wirft ihm nicht täglich sagen: das und das hätte ich sein können, wenn ich Dich nicht geheirathet, Ihr werdet Euch nicht immer zanken, noch wird er Dich Abends und Morgens mit verweinten Augen sehen; aber Du kannst Dich nicht enthalten, es ihn empfinden zu lassen, was Du empfindest. Augenblicke werden kommen, wo Du Reue fühlst. Je länger Du Dich anstrengst es zu verbergen, je stärker bricht es einmal unwillkürlich heraus. Er ist ein guter Mensch, aber wenn er empfindlich wird, was ich ihm nicht verdenke, bricht es wohl los, nicht ästhetisch, sondern recht irdisch materiell. Hast Du dann Thränen, so ist das noch das beste. Hast Du keine, so schraubst Du Dich zurück in Deine Resignation, Du verschließest Dich in die Burg Deines Selbstgefühls. Bist Du erst da isolirt mein Kind, so begnügst Du Dich bald nicht mehr mit der Vertheidigung, sondern Du machst Ausfälle. Keine Festung hält sich auf die Dauer, wenn der Kommandant nicht die Gelegenheit benutzt, die sich ihm zur Offensive bietet, und dann – dann ist der Kriegszustand gegen Alle erklärt. – Du stehst wie ich. Täusche Dich doch nicht, als ob Du jetzt nicht schon darin lebtest! Auf Walter bist Du ungehalten, daß er nicht ernstere Anstalten trifft; da fliegt manches spitze Wort, das durch den süßen Händedruck nicht verwischt wird. Ich hörte schon geschraubte Redensarten zwischen der Mutter und Dir; ihr vergöttert Kind will nicht mehr das flügge Vöglein im Neste sein; sie begreift Dich nicht, aber Du begreifst sie nur zu sehr. Und führst Du nicht etwa gegen mich einen täglichen Krieg? Irgendwie musst Du es mir doch vergelten, daß Dir mein Anblick zuwider ist. Da begnügst Du Dich, ein harmloses Mädchen, meine häuslichen Anordnungen zu contrekariren, Du soulagirst meinen Gatten in seinen Wünschen, die ich für seinen Gesundheitszustand nicht angemessen finde, Du vertuschest die Unarten der Kinder hier, und bist ihnen wohl selbst behülflich bei Näschereien, wenn sie auch den Kindern schädlich sind. Wenn ich mit dem Gesinde zanke, wirkst Du begütigend hinter meinem Rücken, und umgehst auf unmerkliche Weise, was ich bestimmte. O es ist ein angenehmes Gefühl, von Kindern und Dienstboten als ihr Schutzengel betrachtet zu werden, und während man ihre Liebe einkassirt, ihren Haß gegen Andere zu lenken, die nicht so gütig sind, und es nicht sein dürfen, weil sie ihre Pflicht dadurch verletzen. Und wie klug es von Dir ist, es so heimlich zu thun, daß ich keinen Verdruß davon habe! Die chinesische Vase dort ist mir ein theures Andenken aus meinem elterlichen Hause. Wie geschickt hast Du sie auf die Kante des Schrankes gestellt, damit ich nicht täglich den Verdruß habe zu sehen, wie die unartigen Kinder sie zerbrochen haben.« »Geheimräthin!« rief Adelheid erblassend, »das ist zu viel!« »Ich mache Dir keinen Vorwurf; im Gegentheil ich lobe Dich, daß Du zur Besinnung kommst. Kann ich fordern, daß mich Jemand lieben soll, und gar um der Kleinigkeit willen, wo auch ich mir gestehe, daß ich es nicht aus Liebe zu Dir gethan, sondern wirklich, weil es mich amüsirte, mein Hans durch so ein schönes Mädchen lebendig zu machen. Vieles, was ich aus Liebe gethan, ward mir schlechter vergolten. Unsere Naturen haben nun einmal keine Sympathie. Du bist mir gleichgültig, ich bin Dir vielleicht widerwärtig. Kannst Du oder ich dafür? Wie ich die angeheuchelten Gefühle der Dankbarkeit betrachte, hast Du eben gehört. Du hast nun schon gelernt, Dich geistig von mir frei zu machen. Das ist ein Fortschritt. Du moquirst Dich über mich, komplottirst im Kleinen gegen mich. So wird Dir mein Haus eine gute Schule werden fürs Leben. Fahre fort, so nur lernst Du, wie man mit den Menschen umgehen muß, um – was die Andern nennen, frei zu werden. Ich bin die ältere, und sah es zu spät ein. Uebe Dich an mir, Du hast ein langes Leben vor Dir.« Adelheid stand sprachlos da, als die Geheimräthin langsam nach der Thür sich entfernte. Sie wandte sich noch einmal um: »Noch eins, was ich von Dir fordern kann. Wir sind nun einmal an einander gekettet. Wir müssen es tragen bis der Zufall die Kette zerreißt. Hüte Dich vor jedem Impuls. Wenn Du etwa auf die Straße stürztest – echauffirt, halbnackt, wie damals – Du verstehst mich – würde es an mitleidigen Seelen nicht fehlen, die Dich wieder aufnähmen. Auch in Sammet und Seide würden sie Dich kleiden, aber nicht aus Liebe zu Dir, nur aus Feindschaft gegen mich, mir einen Possen zu spielen. Nimm Deine ganze Vernunft zusammen, Adelheid. Mir spielten sie den Possen, aber Du müsstest zuletzt doch bezahlen. Wer so oft eine Rolle spielt und mit sich spielen lässt, hat den Kredit verloren.« Die Thür klinkte hinter ihr zu. Adelheid stand eine Weile regungslos: »Das Weib! das Weib!« rief sie. »Das Weib vergiftet mich!« und warf sich schluchzend auf das Bett. 49. Kapitel. Auch Vater und Sohn Neunundvierzigstes Kapitel. Auch Vater und Sohn. Wenige Minuten nach dieser Scene erhielt Walter van Asten ein Billet von seiner Braut, so geeignet ihn aus seiner Ruhe aufzureißen, als es von Adelheids äußerster Unruhe Zeugniß ablegte. Er erkannte in den wild hingesprühten Worten seine besonnene, klare Freundin nicht wieder. Er verstand das ganze Bittet nicht, denn zu Anfang sprach es von einem Abgrunde, an dem sie schaudernd stünde, sie strecke vergebens die Arme nach Hülfe aus, dann entzifferte er in den von Thränen ausgelöschten Worten, daß er sie retten könne, aber die Schlußworte widerriefen das Vorangehende. Sie sei in einem Fieberzustand, er möge nicht auf sie hören, sie lassen wo sie sei, sich selbst ihrem Schicksal überlassen. Wenn sie unterginge, sei es vielleicht das Beste für ihn und sie. Gewiß, gewiß, sie werde sich auch dann erholen, die Geheimräthin habe sie nur prüfen wollen, hinter dieser Medusenmaske schlüge vielleicht ein gefühlvolles Herz. Sie drang in ihn endlich, nicht zu kommen, sich durch nichts stören zu lassen, was er höre. – Wenn sie das gewollt, warum nur die Nachschrift? Warum hatte sie den Brief nicht zerrissen, einen neuen geschrieben, oder die Absendung ganz unterlassen? Sie befand sich also in einer Aufregung, welche ihr die Besinnung geraubt, und in diesem Zustande hatte ihr Herz nach ihm verlangt. An ihn hatte sie zuerst gedacht, als sie nach Rettung aufschrie. Die Resignation war erst nachher gekommen. Er war aufgesprungen, sein Entschluß gefasst, nur ihrem ersten Willen zu gehorchen, und eben hatte er den Ueberrock vom Nagel gerissen, als ein zweites Billet von unbekannter Hand ihm überbracht ward. Der Bote war verschwunden, das Wirthsmädchen hatte nicht nach dem Absender gefragt, und der unterzeichnete Name, als er es aufgerissen, war ihm fremd. Jemand, der sich einen Sekretär des neuen Ministers nannte, forderte ihn auf, sich morgen in einer Frühstunde bei demselben melden zu lassen, indem Se. Excellenz ihn kennen zu lernen wünsche. Auch hier ein Postscript des Inhalts, daß der Minister bereit sei, ihn schon heute Nachmittag zu empfangen. Die Stunde war benannt, und Walter hätte eben nur Zeit gehabt, seine Toilette darnach einzurichten, wenn er der letztern Weisung, die fast wie ein Befehl klang, Folge leisten wollen. Was wollte der Minister von ihm? – Natürlich! er hatte seine Schrift gelesen, seine Ansichten hatten ihn angesprochen, er wollte mit dem Verfasser – »Endlich!« brach es von seinen Lippen, und seine Stirn klärte sich auf, aber der Glanz verschwand schnell wieder. Nach so vielen Enttäuschungen vielleicht eine neue! Hatte ihm nicht ein ängstlicher Freund aus der Schulzeit zugeflüstert, daß er aus höheren Kreisen gehört, wie man seine Vorschläge für naseweis halte, daß seine Anmaßung eigentlich eine Rüge verdiene? Und bedurfte es für ihn solcher Zuflüsterung, nach der eigenen Erfahrung, die er bei einem befreundeten Minister gemacht? Zwar, nach seinem Ruf im Publikum, war er den neuen Ideen zugänglich, er hege selbst großartige Pläne, aber er sei eigensinnig, hieß es, dringe damit nicht durch, darum verdrießlich, und jetzt so gut wie ohne Einfluß. Auch er mochte ihn nur warnen wollen. Aus dem Zweifel, ob er den Ueberrock oder den Frack anziehen solle, riß ihn ein neues Klopfen, eine neue Ueberraschung Sein Vater trat in die Stube. Er war noch nie hier gewesen, aber auf seinem Gesicht ersah man nichts von der Verwunderung, welche sich auf dem des Sohnes ausdrückte, weder eine freudige, noch eine betrübte. Er reichte dem jungen Manne die Hand: »Ich muß doch auch mal sehen, wie's Dir geht,« und setzte sich, »wie ermüdet vom Wege, auf einen Sessel.« »Ein unerwarteter Besuch, mein Vater.« »Da Du nicht zu mir kommst, um zu sehen, wie's bei mir aussieht, muß ich zu Dir kommen, um zu sehen, wie's bei Dir aussieht. Wir kommen ja sonst ganz auseinander.« »Das habe ich nie gefürchtet, und Ihr Besuch bestätigt meinen Glauben,« sagte Walter, während der Vater seinen Blick flüchtig umher schweifen ließ. »Nu das ist ja alles recht hübsch ordentlich. Deine Lektionen müssen Dir auch schon was Erkleckliches eintragen, freilich, und die Schriftstellerei auch. Um wen man sich so reißt, daß man gar kein Exemplar mehr kriegt, und wenn man's mit Gold aufwiegt. Schreibst Du wieder was Neues?« »Mein Vater, ich kenne Sie, und ich glaube, Sie kennen mich. Sie haben den sauren Weg, der mich erfreut und beschämt, nicht ohne Absicht angetreten?« »Wer fällt denn gleich mit der Thür ins Haus? Ich wollte mit Dir vorher ein bischen über Krieg und Frieden diskouriren, europäische Weltverhältnisse. Du bist ja jetzt ein Politiker, und ich hoffe doch noch immer mein Sohn, der mir mit Rath und That zur Hand sein wird, wenn es seines Vaters Wohl gilt.« »Zum Spotten ist die Zeit zu ernst.« »Was spotte ich? Geht einen Kaufmann Krieg und Frieden nichts an?« Der Alte stampfte mit seinem Rohr auf den Boden. »'s ist Ernst, Herr Sohn. Wenn ein Kaufmann Schiffe auf der See hat, so geht ihn der Sturm sehr viel an; und wenn die Portepeefähndriche bis zu den Generalen hinauf in seinen Büchern stehen, so ist ihm ihr Leben noch viel theurer als dem Vaterlande.« »Als ein umsichtiger Kaufmann, wie ich Sie kenne, werden Sie Ihre Unternehmungen nach den letzten kritischen Zeitumständen eingerichtet haben.« »So? hoffst Du das?« »Sie mussten den Krieg als wahrscheinlich im Auge haben, und Ihre Spekulationen, wenn nicht darauf einrichten, doch danach abmessen.« »Wenn ich nun auf den Frieden spekulirt hätte!« Indem Walter seinen Vater aufmerksam betrachtete, suchte er, ob hinter der barocken Wolke, mit welcher van Asten seinen wahren Gesichtsausdruck zu verbergen wusste, nicht eine andere Stimmung lauere. Doch keiner der schlauen Blicke züngelte zu ihm auf; er saß, die Hände auf den Stock gestützt, seine Augen auf den Boden gerichtet. »So bin ich wenigstens davon überzeugt, daß Sie Ihr Geschäft übersehen haben. Wenn eine Unternehmung Ihnen fehl schlüge, werden Sie nicht selbst geschlagen sein. Das Renommee des alten Hauses van Asten und Kompagnie –« »Die ältesten Häuser stürzen beim Erdbeben. Krieg ist ein Erdbeben. Lerne was von mir, was Dir gefallen wird: ein Kaufmann, der immer nur auf Nummer Sicher setzt, hat bald ausgewirtschaftet.« »Mein Vater, wenn Sie auf den Frieden Ihr Alles setzten, –« sagte Walter nachdenklich. »So ist wieder Unfriede zwischen uns,« fiel der Alte ein, »denn Du hast Dein Alles auf den Krieg gesetzt. Ich weiß es.« »Was ist mein Alles, Vater!« Der Kaufmann winkte ihm mit der Hand zu schweigen. »Ich weiß es ja, darum kam ich nicht her. Ich will nicht richten mit Deinen heroisch patriotischen Stimmungen, ein guter Geschäftsmann kann auch damit etwas anfangen, wenn die Leute danach sind! Da aber die Leute nicht danach sind, so – habe ich meine Rechnung auf den Friedensfuß gesetzt.« »Und die Armee –« »Ist auf den Kriegsfuß gesetzt, das heißt der Lieutenant kriegt so und so viel, und der Obrist so viel Zulage. Die bezahlt der Schatz, und wenn keiner da ist, der Bürger und Bauer. Nun sehe ich aber nicht ab, was der Fuß in Stiefel und Sporen mich bange machen soll, wenn der ganze Leib noch im Schlafrock steckt.« »Der Schlafrock wird ihnen abgerissen!« »Bist Du auch dabei?« Jetzt erst warf der Alte einen seiner schlauen Blicke zu ihm hinauf. »Man will heut in der Komödie ein paar Raketen in die Luft schicken. Das Sprühen und Prasseln soll gewissen Leuten die Augen und Ohren öffnen. Wenn sie nun aber absolut nicht sehen und hören wollen! Kinder sollten nicht mit Feuerzeug spielen.« »Sie wissen, das wir wirklich das verlassene Hannover besetzt haben.« »Und wir verproviantiren die Franzosen in Hameln.« »Aus dieser Zweideutigkeit Preußen herauszureißen ist jetzt die Aufgabe aller Besseren.« »Und Du siehst, der König zaudert, wie er vorhin gezaudert. Kaiser Alexander selbst musste kommen, um ihn zu elektrisiren. Nun der Exekutor fort ist, fallen wir in unsere Natur zurück. Wie sagt doch da der Lateiner von der furca expellas? « »Wenn der Degen zu drei Viertel aus der Scheide gerissen ist!« »So steckt immer noch ein Viertel drin, und das kann man so langsam herausziehen, bis es zu spät und der Krieg an der Donau vorüber ist. Bonaparte hat Wien genommen, weißt Du das schon? Die beiden russischen Heere, unter Kutusow und Buxhövden werden Mühe haben sich um Olmütz zu vereinigen. Die Nachricht kam eben auf der Börse an.« »Wien genommen!« rief Walter. »Und Haugwitz!« »Hat sich von Bonaparte hinschicken lassen, weil in Wien ein Gesandter am besten aufgehoben ist. Der Kaiser hat sehr viel Rücksichten mit ihm gehabt, fand es unschicklich, daß ein preußischer Minister und Diplomat sich im Heerestroß mitschleppen lasse.« »Und Haugwitz ließ sich fortschicken?« »Was wird er nicht! Er liebt die Kommodität. Sehr langsam reist er schon, damit ihm kein Unglück widerfahre. Und hat gewiß recht gehabt; ein Unglück, was unserm Premierminister zustieße, wäre ja eines für den ganzen Staat!« »Und er traf ihn –« »In Brünn gerade bei den Vorbereitungen zu einer neuen Schlacht. Da hatte Napoleon natürlich keine Zeit sich mit ihm zu unterhalten und sagte zu ihm: ›Lieber, jetzt habe ich keine Zeit, gehen Sie nach Wien, und warten bis ich Zeit habe, dann wollen wir sprechen.‹« »Und Haugwitz schüttelte nicht die Toga! Er ließ nicht die zwei Mal hundert tausend Bajonette zwischen seinen Drohworten klirren.« »Drohworte! Er ist ja ein feiner, gebildeter Mann!« »Aber sein Auftrag –« »Kennst Du den? Ich kenne ihn nicht. Es werden hier nicht Zehn, nicht Drei sein, die ihn kennen. So viel man uns schreibt, sprach er als ein tief gekränkter Freund, daß Napoleon die guten wohlmeinenden Rathschläge, die ihm Preußen gegeben, so außer Acht gelassen. O ich zweifle gar nicht, er wird sehr sanft und elegant gesprochen haben – schade, sehr schade, daß Napoleon nicht gerade den Ossian las, sondern sich die Reiterstiefel anzog.« Walter war auf einen Stuhl gesunken und barg sein Gesicht im Arme. Als der Vater den Seufzer hörte, den er unterdrücken wollte, stand er leise auf und berührte sanft die Schulter des Sohnes: »Mein lieber Walter, Dein Vater hat doch wohl recht gehabt. Wenn wir uns sonst nicht vertrugen, weil Deine Gedanken wo anders hingen als meine, so mag ich unrecht gehabt haben. Gedanken sind zollfrei, und ich dachte als Kaufmann nur an die Waare. So lange man im Schmetterlingskleide über die bunten Wiesen flattert, da lasse man doch die Kinder spielen. Ich bitte Dich um Verzeihung, daß ich damals meinte, ich könnte Dich mit einem Bindfaden leiten, den ich an Deine Flügel band. Aber wenn der Schmetterling sich verpuppt hat, und aus den Gedanken Pläne werden, wenn sie Ideen marktgerecht zurichten und an den Markt bringen wollen, ist's was anderes. Nun, sehe Jeder, wie er's treibe. Du bist jetzt ein Mann, ein Kaufmann für Dich; wenn Du spekulirst, musst Du so gut wie Dem Vater auf ein Fallissement gefasst sein. Dein Vater würde sich zu schicken wissen in das, was nicht zu ändern ist, und Du auch: Du bist mein Sohn. – Aber wenn man für den Staat spekuliren will, ist das erste, daß man sich die Menschen ansieht, die, für die man spekulirt – die Leute, ob sie danach sind? Die Gedanken, o die sind wunderschön. Aber was sind Ideen, ohne Menschen, die sie tragen! Das große Vaterland, o das ist das Erhabenste was es giebt, wer wollte nicht dafür Gut und Blut opfern! Wenn nun aber das Vaterland blos Erde und Stein wäre und die Menschen ausgestorben? Würdest Du auch Dein Blut dran setzen? Oder die Menschen drin wären alle blind, oder taub, oder Cretins. Ja, ich weiß doch nicht, ob es recht wäre, sich selbst darum hinzugeben, für eine große Blindenanstalt, für ein Taubstummeninstitut, oder gar für ein Haus voll lauter Blödsinnigen. Mein lieber Walter, Dein Vater hat sich nun durch ein Menschenalter die Menschen angesehen wie sie sind, und darum hat er jetzt auf den Frieden spekulirt, und ich glaube, er hat recht spekulirt.« »Diese!« rief Walter aufstehend. »Ja, die Sie meinen, aber es giebt andere.« »Wer zweifelt daran! Es giebt überall gute, rechtschaffene, kluge, sogar ausgezeichnete Menschen, es kommt nur eben darauf an, ob die Klugen die Dummen und die Guten die Schlechten üherwiegen, oder umgekehrt. Mein Sohn, ich will Dir zugeben, daß Euer recht Viele sind, die fühlen und sagen: so geht es nicht mehr! Da's aber noch immer so geht, so müssen diese Vielen doch immer noch die Schwächeren sein, sie dringen nicht durch, die Andern bleiben am Ruder, und wer am Runder sitzt, steuert wohin er will, meinethalben ins Verderben; auf den blicken Alle, der entscheidet, auf den kommt es an, in welchen Hafen das Schiff treibt. Ist Haugwitz abgesetzt, Beyme fortgejagt, Lombard eingesperrt? Deine Besseren und Edleren schreien freilich, es müsse so kommen. Noch aber ist es nicht gekommen. Umgekehrt. Die Prinzen, die Königin, so viele berühmte Generale, der halbe Hof, die Prinzessinnen an ihrer Spitze, kabaliren und verschwören sich beinahe an den Straßenecken gegen sie, und Lombard trinkt seine Chocolade und sein Weißbier so vergnügt wie vorher, Beyme macht Alles, und was er redet ist des Königs Rede, und Haugwitz ist zu Napoleon geschickt, um – die Rechnung zu arrangiren.« »Sie gehen vor keinem Bilde Friedrichs vorüber, ohne den Hut abzunehmen, und Vater, so gering schätzt ein Verehrer des großen Königs dessen Volk?« »Weißt Du noch unsere Tapeten aus Arras? Vor denen habe ich auch großen Respekt. Die da in unserem Esszimmer stellen den trojanischen Krieg vor. Was hat der Aeneas für schöne karmoisinrothe Kniehosen an! Das Prachtstück ist auch viele Generationen in unserer Familie, König Franz I. hat es einmal in einem seiner Schlösser an der Wand gehabt. Darum kriegtet Ihr Kinder auch immer Klapse auf die Finger, wenn Ihr dran polktet. Sind mir auch jetzt nicht feil. Nimm sie aber mal ab und halt sie gegen die Sonne! Wie ein Sieb von Motten! Und bringe sie auf die Messe. Wenn's kein Raritätensammler ist, so frage, was sie Dir bieten. Abgestandene Ware findet auf dem Markt keine Käufer.« Walter schwieg einige Augenblicke; dann rief er: »Und scheine es heut nur Rost für Raritätensammler, ein Geist wie Friedrichs kann nicht wie ein Meteor durch die Weltgeschichte geleuchtet haben, er kann nicht versunken sein ins Meer der Ewigkeit, ohne daß seine Strahlen gezündet und gezeugt haben. Andere Geschlechter müssen kommen, welche, wenn Rost und Schlacke abgeworfen, seinen Geist in seinem Volke widerspiegeln.« »Das verstehe ich nun nicht,« sagte van Asten, der wieder Platz genommen hatte. »Mit der Ewigkeit hat ein Kaufmann nichts zu schaffen. Was er heut einkauft, will er morgen absetzen. Walter, ich Dich da recht vor, daß Du nicht zu kurz kommst. Das, wie, gesagt, ist nun Deine Sache, aber warum kam ich doch gleich? Ja so – wirft Du heut Abend in die Komödie gehen?« Walter suchte umsonst in dem wieder schlauen Blick des Vaters nach dem Sinn der Frage: »Ich verstehe Sie nicht.« »Nun ich meine, ob Du auch einen Schwärmer abbrennen wirst? Man spricht von einem wunderschönen Kriegsliede, das sie singen wollen.« »Ich billige diese Theaterscenen nicht, wo es eine große, ernste und heilige Sache gilt.« »So! Na das ist mir auch recht lieb, daß Du Dich nicht unter die Offiziere mengst. Die haben es bestellt. Ich glaubte nur von wegen des Liedes, weil Du auch Verse machst. Ins Theater wirft Du aber doch gehen, ich meine ganz simpel?« »Ich war noch nicht entschlossen.« »Dann ihn mir's zu Gefallen. Aber nicht ins Parterre. Da wird man zu sehr gedrängt. Ich habe Dir schon im zweiten Range Logenbillets genommen.« »Mir?« »Dir und der Cousine Schlarbaum. Die muß doch den Spektakel mit ansehen, und hat Keinen, der sie führt. Ich, weißt Du, geh' nie ins Theater, da habe ich Dich ihr vorgeschlagen.« »Also darum –« eine flüchtige Röthe belebte Walters Gesicht und ein schmerzlicher Zug ging um seinen Mund. »In dieser Angelegenheit, dachte ich, wären wir im Reinen.« »Du meinst doch nicht, daß ich meine Puppe einem Taugenichts aufdringen will, der sie nicht mag. Dazu ist mir das Mädchen viel zu lieb, und ihr ganzes Vermögen steckt in meiner Handlung. Wenn sie nun rabbiat würde, wie gewisse Leute, die man gegen ihren Willen verheirathen wollte. Ich kenne Einen, der lief drum aus dem Hause. Wenn sie nun auch aus dem Hause liefe, nämlich mit ihrem Kapital, verstehst Du mich, sie kündigte es mir, weil sie sich nicht verkuppeln lassen will.« Walter lächelte: »Meine Cousine Minchen ist ein viel zu sanftes Mädchen, und liebt ihren Oheim zu innig, um ihr Vermögen ihm zu kündigen.« »Alle Sanftmuth hat ihre Grenzen, wenn's aus Mein und Dein geht. Und – wenn das Vormundschaftsgericht – Du fürchtest Dich doch nicht, daß Mamsell Alltag eifersüchtig wird, weil Du Deine Cousine führst? Au contraire, Du schlägst da zwei Fliegen mit einer Klappe. Hat sie Dir schon erlaubt, sie ins Theater, auf die Promenade zu führen? Sieht sie, daß Du ihr zum Trotz ein anderes hübsches Mädchen führst, so wird sie vielleicht zuerst maulen, aber dann sich besinnen und nicht mehr, was man so nennt, › ête ‹ sein. – Na, wohin denn mit einem Male?« »Verzeihen Sie mir, mein Vater, dahin, wo meine Pflicht mich ruft.« »Desto besser. Ich begleite Dich. Geht's zur Mamsell Alltag, so bleib' ich vor der Thür, und warte auf Dich. Was gilt die Wette, ich sehe es Dir gleich an den Augen ab, wenn Du runter kommst, ob's oben gut stand oder schlimm.« Walter verbiß eine Bemerkung, er fasste des Vaters Hand: »Die Zeit ist nicht zum Scherz angethan. Nicht hier, nicht dort. Wenn das aber, was Sie von der Cousine sagten, Ernst war, so Vater, schnell und deutlich, was hinter diesem Ernste liegt.« »Der Ernst, Herr Sohn, daß sie ins Theater will und Du sollst sie begleiten.« Dabei stampfte Herr van Asten wieder den Stock auf die Diele, ein Zeichen, daß es ernster Ernst war. »Und warum? – Bilde Dir nichts ein. Sie macht sich nichts aus Dir. Du sollst sie begleiten, um sie zu beschützen, aus Verwandtschaft und aus sonst was. Sind junge Mädchen nicht neugierig? Werden hübsche Mädchen nicht angegafft? Sind unsere Offiziere nicht nach den Mädchen aus? Sind sie nicht unverschämt im Attacquiren? Und willst Du noch mehr wissen? Ein Kornet, oder ist er jetzt Lieutenant bei den Gensd'armen, ein Herr von Kiekindiewelt, oder wie er heißt, schleicht ihr auf Tritt und Schritt seit letzter Redoute nach. Ein Libertin, ein Taugenichts, ein Verschwender. Minchen ist schüchtern, und hat das Pulver nicht erfunden, das weißt Du auch. Er zieht sie auf, sie weiß nicht zu antworten. Du sollst für sie antworten. Verstehst Du mich? Weißt ja Rath für alles, und wo der Unrath steckt. Nun zeig's mal, nicht mit der Feder, mit dem Maule. Wenn Du spitzig wirft, ist's gut; wenn Du grob wirft, noch besser. 's ist so Einer von denen, die die Beine über die Stuhllehne hängen, und's nicht so genau nehmen, wenn sie einem Bürger auf die Hühneraugen treten. Darum ist es auch für den Bürger gut, wenn er dicke Schuhe trägt. Außerdem hat er sehr viel Geld, also ist er sehr ungeschliffen. Junge, ich bin Dein Vater und verbiete Dir, Dich in Händel einzulassen, Aber wenn Ihr so von ungefähr an einander geriethet, will ich nichts davon wissen. Du hast in Halle eine Klinge geschlagen, in Deinem Stammbuch steht auf jeder Seite ein Kreuz von Hiebern. Außerdem hatte der Herr Schwertfegermeister die Gefälligkeit, seine Rechnung mir nach Berlin zu schicken. Ich erinnere Dich nun nicht daran, daß Du's mir wieder bezahlen sollst, was ich für Dich gezahlt, sondern –« Walter lächelte: »Sie besorgen, daß ich in Berlin unter meinen Büchern die Kunst vergaß, die ich in Halle betrieb, die Kunst zu handeln. Ich werde Ihrem Befehl gehorchen und Minchen ins Tbeater begleiten.« »Nu begleite ich Dich, wohin Du willst,« sagte vergnügt der Vater. An der Thür hielt er den Sohn beim Rockzipfel: »Walter, 's ist 'ne schlimme Zeit geworden, und sie muß besser werden, oder sie wird noch schlimmer. Sind Die im blauen Rock 'ne andere Rasse Menschen? Stammen nur die Junker von Adam und wir Andern fielen nebenher von der Bank? Jeden Tag wird ihr Uebermuth größer. Darum ein Mal darauf los! Trumpf auf Trumpf. Nicht mit Federkielen, die Feder wird stumpf, je spitzer Ihr schreibt. Sie lesen's nicht, oder sie lachen darüber. Aber –« Es blieb ein Gedankenstrich. An der Hausthür setzte er noch etwas hinzu: »Und darum ist's auch gut, daß Friede bleibt. Wenn sie die Franzosen schlagen, dann wär gar nicht mehr mit ihnen auszukommen. Jetzt sprudeln sie vor Uebermuth, aber daß man sie nicht brauchen will, und ohne sie fortzukommen meint, ist ein guter Dämpfer.« Der Alte war fort. Als Walter in die Jägerstraße einbog, rollte der Lupinus'sche Wagen heran. An der Seite der Geheimräthin saß Adelheid, geputzt wie ihre Pflegemutter, aber ihre Wangen schienen vor Freude zu glühen, wie er sie nie gesehen. Als die Damen ihn erblickten, lächelte die Geheimräthin ihn schelmisch an, und wandte sich mit einer liebkosenden Bewegung zu ihrer Pflegetochter. Es kam ihm sogar vor, als küssten sie sich; gewiß hörte er, als der Wagen vorüberrollte, ein lautes Gelächter. »Was war das!« rief er. »Ein Herz und eine Seele nach diesem Brief! Und sie ruft mich nicht heran, wo sie sehen muß, daß ich zu ihr will.« Er starrte dem Wagen nach, wie in Erwartung, daß er halten, Adelheid sich herausbiegen und ihn rufen werde. Er wartete umsonst. Der Wagen war verschwunden. Walter hatte recht gesehen und gehört. Aber man kann als Augenzeuge ein Faktum beschwören, und hat doch ein falsches Zeugniß abgelegt. Walter hatte nicht das kurze Zwiegespräch belauscht, was die Geheimräthin mit Adelheid vorher gepflogen, nicht die Komödie, die sie ihr zur Pflicht machte. Die Wangen des jungen Mädchens glühten allerdings, aber sie waren vorhin todtenblaß und die Röthe war die Schminke, welche die Geheimräthin selbst ihr aufgelegt »Die Welt braucht nicht zu wissen, was wir wissen,« hatte sie gesagt. 50. Kapitel. Ein Präludium Fünfzigstes Kapitel. Ein Präludium. Das Nationaltheater bot heut einen feierlichen Anblick. So gefüllt hatte man es seit lange nicht gesehen. Es war nicht Ifflands Kunst noch Flecks Genie, auch nicht die Anmuth der Unzelmann, der spätern Bethmann, oder die bezaubernde Stimme der Schick, was dieses Publikum angelockt. Es war kein glänzendes im gewöhnlichen Sinne, obwohl Gold und Silber von den Uniformen flimmerte, und aus den Gesichtern der Zuschauer ein eigenthümlicher Glanz strahlte, der der gespannten Erwartung, aber auch ein etwas, was die Mehrzahl voraus wusste. Daher die schlauen lauschenden Blicke, ein vergnügtes Zublinzeln, ein Zuverstehengeben, daß man unterrichtet sei. Kein glänzendes Publikum, was man in Berlin so nannte, sagen wir; denn weder der Hof war zugegen, noch ein hoher Gast, dessen Anwesenheit immer die Neugier anzieht. Im Gegentheil fehlten gerade die ausgezeichnetsten Männer, die man sonst im Theater zu sehen pflegte, und die, welche zu dem regierenden Kreise in näherer Beziehung standen. Man vermisste aber auch mehrere eminente Persönlichkeiten, welche zu diesen Kreisen nicht gehörten, sondern sich ihnen feindlich gegenüber stellten. Wenn sie es waren, die das Schauspiel angeordnet, hielten sie es für schicklich, wenigstens den Schein zu vermeiden, und verbargen sich in der Tiefe der damals sehr dunkeln Logen. Nicht der Schauspieler und der Darstellung wegen schien dieses große, lebhafte Publikum versammelt, sondern seiner selbst willen. Es wollte sich eine Darstellung geben. Auf dem Zettel stand angekündigt Babo's: »Puls.« Um dieses feinen, psychologischen Schauspiels willen hatte nicht das Offizierkorps für die Wacht- und Quartiermeister der Regimenter Gensd'armen verschiedene Logen im ersten und zweiten Range gemiethet, noch sah man deshalb im Parterre und auf dem Amphitheater Gruppen von Infanteristen und Husaren, jede von 10 bis 12 Mann um ihren Unteroffizier versammelt. Auch saßen untersprengt in den anderen Logen zwischen geputzten Damen und aristokratischen Herren gemeine Soldaten in ihrer Kommisuniform, ein damals weit grellerer Kontrast und unerhörter Anblick. Die »honetten« Leute erschraken sonst vor der Berührung mit der blauen Montur. Und so geschickt, aber doch nicht glücklich hatte man das bürgerliche Publikum mit dem Militär im ganzen Hause vermischt, denn wer Augen hatte, sah die Absicht. Man wollte sie aber auch nicht verbergen, nur einen luftigen Schleier dar überwerfen. Volksschauspiele zu arrangiren war die Zeit in Preußen noch nicht gekommen. Auf dem Komödienzettel stand aber hinter dem Babo'schen Puls: »Auf vieles Begehren Wallensteins Lager von Friedrich Schiller.« »Hatte man denn kein patriotisches Stück?« schien der Sinn der Frage, die Jemand im Parterre seinem Nachbar zuflüsterte, der zu den Eingeweihten in Beziehung stehen musste. »Es ist weder preußisch- noch deutsch-patriotisch.« – »Aber militärisch,« antwortete ein Dritter. – »Es wäre doch schlimm,« meinte Jener, »wenn wir den Franzosen nichts entgegen zu setzen hätten.« – »Als soldatesken Stolz!« ergänzte der Dritte. – »Ein Schelm giebt mehr als er hat!« Babo's »Puls« ward mit mehr Aufmerksamkeit gegeben als gehört. Die Pulsschläge im Parterre waren zu heftig, um den sanften auf den Brettern folgen zu können. Es blieb still trotz des Meisterspiels der Darstellenden. Aber doch schlugen nicht alle Pulse auf ein Ziel. Es war so viel zu sehen, Viele sahen sich, die sich niemals hier getroffen. Woran sollten die Soldaten denken, die in diesen Räumen zum ersten Mal standen, kerzengrad, auf Kommando und des neuen Kommando gewärtig. Das Spiel da oben war für sie ein Schattenspiel an der Wand, in unverständlichen, gleichgültigen Hieroglyphen, die auf ihren glotzenden Gesichtern nicht den geringsten Eindruck machten. Auch vor der Schlacht schlagen nicht alle Pulse nur der Entscheidung entgegen. Die Karte, der Würfel und ein schönes Auge machen das Blut so lebhaft pulsiren, als der erste Trommelwirbel, das erste Pfeifen der Kugeln. Es waren viele schöne Augen in den Logen, und viele junge Offiziere observirten. »Sie schminkt sich aber nie,« sagte ein Kürassier. »Sie ist geschminkt!« rief der Kornet. »Sie ist echauffirt. Sieh doch, wie ihre Arme zittern. Ihre Finger hämmern ja wie im Krampf auf die Brüstung.« »Ihre gelben Locken fangen schon an wie Bindfaden runter zu hängen. Ist das etwa auch ein Beweis, daß sie nicht geschminkt ist?« Der Andre observirte schärfer mit dem Ausruf: »Donnerwetter, sollte ich mich irren! Sie changirt nicht Farbe, und doch zuckte sie zusammen, als die Lupinus ihr etwas ins Ohr sagte.« »Was gilt die Wette?« wiederholte der Kornet. »Besser, wer entscheidet sie,« fiel der Andre ein, »wer schafft den Beweis?« »Schicken wir eine Untersuchungs-Deputation an sie,« sprach ein Dritter. »Wolfskehl wäre dabei, in den Schminkangelegenheiten hat er gründliche Studien bei Komteß Laura gemacht.« »Stellt Einen Posto,« rief der Kornet, »drüben hin, der sie nicht aus dem Auge lässt, und einen Andern hinter ihr. Wenn die Rührung losgeht, dann Attention! Der drüben, ob's unter dem Auge weiß, der hier, ob das Tuch roth wird.« »Ein trefflicher Operationsplan! Wolfskehls militärisches Genie entwickelt sich immer mehr.« »Am Ende fangen die Weiber gar noch an zu weinen?« »Und wozu das Alles,« sagte der Kürassier. »Da müsst Ihr Euch doch den Mund wischen. Die Person hat nun mal was, daß man nicht weiß, was es ist; zudem Beschützer an allen Ecken. Man weiß nicht, wo man anstößt, wenn man zugreift.« »Grad das könnte mich tentiren,« rief der Kornet. »'s ist nur, sie ist nicht nach meinem Gout.« »Wolfskehl liebt nur das Bornirte. Da oben sitzt die Neuste, die er auf den Zug hat.« Man schaute nach der Loge im zweiten Range, nicht aber mit Diskretion, wo Walter van Asten hinter seiner Cousine stand. »Wer ist denn ihr Beschützer?« »Sieht mir grad aus wie Einer, der Lust hat, sich einen sanften Rippenstoß appliciren zu lassen, wenn ich Lust bekäme, dem Mädel den Arm zu bieten. Wollt Ihr pariren, er dankt mir nachher an der Treppe –« »Wofür?« »Die Ehre, daß ich seinen Schatz geführt. Hol' mich der Geier, er soll's!« Der zornfuukelnde Blick eines älteren Offiziers in militärischem Reitüberrock, der mit verschränkten Armen an einem Pfeiler stand, begleitete das »Pst!«, welches er den Schwätzern zurief, ohne seine Stellung zu verlassen. Sie schwiegen unwillkürlich. Nur der Kornet ließ seinen Säbel klirren: »Wer ist denn der Bramarbas?« Beide Begleiter zischten ihm ein bedeutungsvolles »Pst!« in die Ohren. »Mit dem ist nicht gut Kirschen essen!« »Aus der Provinz Einer! So ein Kommandant aus Krähwinkel vielleicht. Soll der sich unterstehen, einem Offizier von der Garde Raison zu lehren?« »Der unterstände sich noch mehr,« flüsterte der Kürassier. »Um Gottes Willen sei still, Fritz, 's ist der Oberst York aus Mittenwalde. Der hat selbst mit dem alten Fritz angebunden.« Nicht alle Pulse schlugen gleich. »So in sich versunken, Herr Geheimrath?« fragte Herr von Wandel, der in eine nebenstehende Loge trat, den Geheimrath Bovillard, welcher sein Opernglas erhob, um es wieder abzusetzen und mit dem Taschentuch zu wischen. »Ich bin nicht disponirt.« »Das werden Sie doch nicht zeigen wollen!« »Ich zeige mich. Was kann man in meiner Lage Besseres thun.« »Sie hatten in letzter Zeit vielen Verdruß? Herr von Fuchsius hat Sie verlassen, sich angeschlängelt an die neu aufgehende Sonne –« »Wohl bekomm' es ihm. Wenn die Sonne ein Stein ist, hört sie auf zu glänzen.« »Haben Sie Nachricht von Ihrem Herrn Sohn?« »Haugwitz hat ihn aus Wien mit einer Depesche um Verhaltungsbefehle hierher geschickt; das wissen wir aus anderer Quelle. Er scheint unterwegs aufgehalten oder aufgefangen zu sein.« »Was den Vater allerdings nicht gut disponirt; indeß wird der Sohn des Geheimrath Bovillard vor Napoleons Auge immer Gnade finden.« »Auch wenn er von dieser Komödie hört!« sagte Bovillard noch leiser. – »In welchem Winkel mag sich Laforest versteckt haben?« »Sie wollen doch nicht das Theater verlassen? – Ich bitte Sie, Geheimrath. Was ist's! Ein bischen Trommeln, Singen und Geschrei werden Sie ertragen können –« »Wenn nur nicht da drüben die Lupinus säße! Ich kann das Gesicht nun einmal nicht ausstehen. Ist denn das 'ne Larve oder ein Gesicht? Diese kleinen, feinen, stechenden Korallenaugen! Wandel, ich versichere Sie, wenn ich ihrem Blick begegne, ist mir's, als wenn ein gläsern Dolch mir ins Herz bohrt.« »Leiden Sie oft an solchen Visionen?« »Begreif' es Einer, warum ich an einen Kirchhof denken musste. Und sie wie das weiße Bild des Todes. Wen sie ansieht und küsst, der müsste sterben.« »Ihre Lektüre echauffirt Sie, theuerster Freund. Dieses junge Genie, der Chateaubriand, reizt die Phantasie auf. Unwillkürlich beschwört er Geister, die für unsere Atmosphäre nicht passen. Ich möchte Ihnen dagegen als kalmirende Lektüre ein treffliches Buch empfehlen, welches eben erschienen ist, – Wagners Gespenster. Lesen Sie darin vorm Einschlafen einige Geschichten, Sie werden davon eine vortreffliche Wirkung empfinden. Es konnte kein besseres Gegengift gegen die romantischen Schwärmereien gerade jetzt auftreten, wo selbst bei den Franzosen –« Er konnte nicht ausreden. Der Geheimrath war über die hintern Stühle geklettert und zur Loge hinaus. Wandel, der rasch gefolgt, ließ ihm in der Konditorei ein Glas Zuckerwasser bereiten, in das er Hoffmannstropfen goß. »Nichts als ein Schwindel, theuerster Geheimrath, begreiflich, wenn Sie an die Eventualitäten des Krieges dachten. Da sieht man wohl Leichen und Kirchhöfe. Wie Mancher dieser exaltirten Militärs wird kalt und stumm auf dem Schlachtfelde liegen, wenn ihre Wünsche in Erfüllung gehen. Auch vielleicht um Ihren Sohn waren Sie besorgt. Das kombinirt sich Alles so natürlich bei einer nervösen Komplexion. Wenn Sie sich erholt, lassen Sie uns zurückkehren.« »Das Mädchen ist hübsch, aber die Augen, wie gläsern. Wenn das Wachsbild nun unter ihren Augen schmilzt!« »Des wäre unnütz!« »Was reden Sie?« »Ich weiß es selbst nicht, wahrhaftig, Bovillard. Ihr Unfall hat mich konsternirt. Es ist nicht Besorgniß um Sie – aber Sie sollten Hufeland befragen, wenn diese Anfälle sich wiederholen. Indeß – erlauben Sie mir Ihren Puls. – Da intonirt das Orchester schon das Reiterlied. Ja, ja, Sie leiden an den Nerven. Sie glauben nicht, was die Beschäftigung des Geistes da hilft. Man muß sich zuweilen peinigen und sich in Zerstreuungen stürzen. Sie arbeiten zu viel, Sie lebten auch vielleicht in letzter Zeit zu solide. Ueberwinden Sie sich, und kehren zurück. Täuschte ich mich, im Mantel dort, das war Laforest. Er ist es.« »Ein interessantes Stück, der Puls!« sagte der Gesandte im Vorübergehen. »Nicht wahr, meine Herren? – Wenn doch die Staatskunst auch solche Aerzte zur Hand hätte, die am Pulsschlag ihrer Kranken die geheimen Intentionen der Völker erkennten!« »Welchen Auslegungen Sie sich aussetzen, wenn Sie fortgehen, wo ein Laforest zu bleiben wagt,« sprach Wandel dringend zu Bovillard. »Bedenken Sie die Stimmung im Publikum, theuerster Freund! Lombard selbst hat einen Beitrag für die Militärmusik geschickt.« Der Geheimrath Bovillard wollte bleiben, dies deutete wenigstens der stumme Händedruck an, als er aufstand: »Wenn nur das Weib fortginge!« Aber als er die Thür des Konditorsaales öffnet, kam ihm gerade dieses Weib, welches er vermeiden wollte, entgegen. Die Lupinus führte ihre Pflegetochter am Arm. Ein scharfer Kennerblick musste unter der Röthe von Adelheids Wangen die tiefe Blässe entdecken. Sie wankte am Arm ihrer Führerin, deren Anstrengungen, es zu verbergen, vergebens waren. Als Bovillard zurückprallte, kaum von den Eintretenden gesehen, eilte eine neue Zeugin herbei: »Mein Gott, was ist ihr!« rief die Fürstin Gargazin. »Nichts als übergroße Hitze!« »Ein Glas Limonade, Herr Reibedanz! Das wird dem Uebel abhelfen.« »Sie ist krank, das sind konvulsivische Bewegungen!« rief die Fürstin. »Adelheid wird Ihnen das Gegentheil betheuern, wenn sie sich erfrischt hat,« sagte die Geheimräthin, indem sie mit einiger Heftigkeit das Glas dem jungen Mädchen an die Lippen hielt. Adelheid nippte, aber das Glas fiel auf die Erde, sie selbst knickte zusammen und wäre selbst gefallen, wenn die Fürstin sie nicht aufgefangen, und mit dem hinzuspringenden Bovillard auf ein Kanapée gebracht hätte. Die Lupinus hatte sich diesen Augenblick entgehen lassen, in dem sie mit dem Legationsrath ein rasches Gespräch in stummen Blicken gewechselt. Wandels ernster Blick schien tief eindringend, die Geheimräthin hielt ihn nicht aus, und als sie ihn gesenkt, hörte sie die Worte ins Ohr geflüstert: »Was soll diese Komödie! Ich hoffe hier ist nichts vorgefallen, was Sie bereuen müssten!« Sie wollte die Lippen öffnen, als Adelheids unterdrückter, unartikulirter Schrei die Aufmerksamkeit der Hülfeleistenden auf den Gegenstand der Theilnahme wieder zog. »Es muß doch etwas mehr als die Hitze im Hause sein,« bemerkte die Fürstin mit einem eigenen Ton. Bovillard fragte: »War sie vielleicht zum ersten Mal im Theater?« Er setzte hinzu, die Blicke der jungen Offiziere, die eben nicht mit Schonung sie fixirten, möchten sie afficirt haben. »Ein Flacon!« nief die Geheimräthin. Die Fürstin neben Adelheid knieend, hielt es ihr bereits an das Gesicht. Die Lupinus wandte sich zum Legationsrath: »Mein Gott, was zaudern Sie! Eines Ihrer Hausmittel, die Sie stets bei sich führen.« »Meine einfachen Mittel wende ich nur an, wo mir der eigentliche Grund der Krankheit nicht unbekannt blieb.« Die Geheimräthin hatte sich wieder gefunden: »Der eigentliche Grund der Krankheit kann Denen nicht unbekannt sein, die von dem überschwänglichen Gemüth des jungen Mädchens unterrichtet sind. Patriotin bis in die äußersten Fibern ihrer Seele hat sie seit vierzehn Tagen an einer Fahne für unsere Garnison gestickt, und mich und sich um ihre Nächte betrogen. Erst heute Morgen entdeckte ich es, und es hatte leider eine lebhafte Scene zur Folge, die ich jetzt bereue, und zu der mich doch die Pflicht für die Gesundheit des Mädchens trieb. – Man hat etwas mehr zu sorgen für fremde als für eigne Kinder,« setzte sie mit einem feierlichen Tone, der Resignation oder des gekränkten Bewusstseins, hinzu. »Um dem Gerede der Leute zu entgehen,« sagte die Fürstin. »Aber auf Dank rechne Niemand, der Pflichten übernimmt, die über seine Pflicht gehen,« bemerkte der Legationsrath. »Aber wir Alle sind Ihnen dankbar,« fiel die Fürstin besänftigend ein, »für die geschickte Weise, wie Sie das Kind, und noch zu rechter Zeit, aus der Loge führten. Ich bewunderte Madame Lupinus wirklich, und, Gott sei gelobt, es hat gar kein Aufsehen erregt. – Sie athmet.« »Aber noch geschlossene Augen.« »Mein Hotel ist so nahe, liebe Geheimräthin, ich würde mir ein Vergnügen machen, selbst sie dahin zu schaffen. Eine Portchaise steht im Flur. Mein Kammerdiener fliegt dahin – wenn –« »Wenn Madame Lupinus,« fiel der Legationsrath rasch ein, »nicht die Hoffnung hegte, daß die junge Dame sich noch erholte, um an ihrer Seite zur Vorstellung zurückkehren zu können. Und die Hoffnung scheint mir begründet.« Der Legationsrath hatte rasch aus seinem Etui ein Fläschchen geholt, welches er der Fürstin überreichte: »Drei Tropfen in den Händen gerieben, und damit in Intervallen über die Schläfe gefahren. Nur der Luftdruck, nicht Berührung!« Er war ehrerbietig zurückgetreten, ohne auf die Frage: »Warum nicht Sie selbst?« zu antworten. Die Ouverture begann schon. »Ich begreife Sie nicht,« sagte leise die Lupinus, an deren Seite er sich gestellt, während der Geheimrath Bovillard der Fürstin beistand. »Noch weniger ich den Zusammenhang hier,« entgegnete er im selben Tone. »Was ging hier vor?« »Sie sah eben ihren Liebhaber. Sie hatte ihn vor dem Theater erwartet, so glaube ich wenigstens aus ihren Reden in der Extase schließen zu dürfen. Sie hatte ihm geschrieben, ihn zu sich geladen. Und statt zu kommen –« »Sah sie ihn an der Seite eines hübschen Mädchens, dem er viel Aufmerksamkeit erwies.« »Ist das nicht Grund genug, Herr Legationsrath?« Wandel zuckte die Achseln: »Unter andern Verhältnissen. Erlauben Sie mir indeß zu glauben, daß es hier kein Grund ist. Doch bin ich beruhigt, und verzeihen Sie, wenn ich es vorhin nicht schien. Das erste Gesetz der Wissenden, meine Freundin, ist, sich zu hüten vor dem Unnöthigen, wo das Nothwendige schon unsere ganze Geisteskraft beansprucht. Wir dürfen nicht spielen mit den Dämonen, wie diese hier thun; sie vertragen es nicht. Sie gehorchen uns nur, wenn wir das eiserne Auge nie von ihnen lassen und mit einem Stahlarm sie pressen – auf das Nothwendige hin. Von Phantasten und Jongleurs reißen sie sich los, und schlagen sie mit den zerrissenen Fesseln nieder.« Im Theater wurde es laut. Ein Theil des Publikums schien durch Summen und Singen die kriegerischen Töne der Ouverture zu accompagniren. »Mein Gott, – wenn sie doch jetzt – wir versäumen etwas!« rief die Lupinus, es war aber nicht das Verlangen, nach dem Theater zurückzukehren. »Wie sanft sie athmet!« sagte die Fürstin. »Debarrassiren Sie sich von ihr. Es ist am Ende doch das Gescheidteste!« flüsterte Wandel der Geheimräthin zu. Sie blickte ihn fragend an. »Sie bezweifeln, daß ich als Ihr Freund spreche. Mein Rath sollte Ihnen beweisen, daß ich es bin. Ich sage nicht, daß Sie eine Natter sich am Busen erzogen haben, aber in dem Mädchen ist etwas Dämonisches. Bildete sie sich nach Ihnen? Schlug nur einer Ihrer Rathschläge an? Sie müssen sich gestehen, daß das Mädchen unberührt blieb, gleichviel ob im Guten oder Bösen. Aber Sie sind nicht mehr Herrin Ihrer selbst, seit dieses Gewicht an Ihnen hängt, Ihr kluges Auge, Ihr scharfes Ohr, Ihre Schritte und Tritte, ich möchte sagen, Ihre Gedanken belauscht. Fast erkenne ich meine stolze, sichere Freundin nicht wieder, wenn ich die Rücksichten sehe, die sie auf ein in jeder Beziehung untergeordnetes Wesen nimmt. Aber sie ist nicht, sie kann nicht untergeordnet sein ihrer Natur nach, das ist eben das Dämonische, was ein frei denkendes Wesen nicht neben sich dulden dürfte. Bringe sie nicht Unglück in jedes Haus, in das sie tritt! Dort – hier. Ueberrechnen Sie die Verlegenheiten, in die Ihre Güte gegen Adelheid Sie gestürzt, und ziehen Sie den Schluß, welches von beiden Uebeln größer ist, daß die Welt wieder einmal acht Tage über Sie lästert, oder – daß Sie frei, Sie selbst wieder sind. Wählen Sie das Kleinere, und ergreifen die erste Gelegenheit.« Die Ouverture schloß mit Anklängen aus dem Dessauer-Marsch. »Sie richtet sich auf,« sagte Bovillard. »O eine wahre Patriotin.« Herr Reibedanz rief zur Thür herein: »Machen Sie schnell, meine Herrschaften, der Vorhang geht auf.« »Sie muß mit,« sprach die Geheimräthin. »Sie hat die Kraft, sich selbst zu genügen.« »Ich glaube es auch,« sagte die Fürstin. »Herr von Bovillard, unterstützen Sie ihren Arm, sie will aufstehen.« »Bovillard!« wiederholte Adelheid mit der süßen Stimme einer Träumenden, die aus einem lieblichen Traum erwacht, und erhob sich. »Geliebtes Kind!« sprach die Geheimräthin, ihr entgegen tretend. Aber derselbe Traum musste auch bittere Erscheinungen ihr vorgegaukelt haben, denn als ihr Auge auf die Pflegemutter fiel, welche die Arme gegen sie ausbreitete, stieß sie dieselben mit einer krampfhaften Bewegung zurück. Das träumerische Auge veränderte seinen Ausdruck, ein Entsetzen wie mit Zorn gemischt schien aus der tiefsten Seele aufzusteigen und lieh dem Augapfel einen Glanz, vor dem man erschrak. Wie kam dieser Blick in das Auge einer Jungfrau! Die Fürstin hatte eben so rasch es bemerkt, als sie mit der huldvollsten Freundlichkeit Adelheid unterfasste: »Bovillard, geben Sie ihr den Arm, wir führen unsere Patientin.« »Sie träumte noch den Dessauer Marsch und sah die Franzosen vor sich.« sagte der Geheimrath. »So ist sie! Voller Laune und Phantasie!« bemerkte die Lupinus an Wandels Arm. »Wie unsere Zeit und diese Menschen,« entgegnete er. »Nichts, wohin wir sehen, als Phantasie und kein Entschluß.« 51. Kapitel. Wallensteins Lager Einundfünfzigstes Kapitel. Wallensteins Lager. Kaum ließ sich während der Darstellung das Mitspielen des Publikums zurückhalten. Die Iffland, Unzelmann, Mattausch, Herdt, Bessel, Gern, Labes, Kaselitz erschienen in ihren Waffenröcken und Wehrgehenken nicht wie Schauspieler, welche das Bild einer zweihundertjährigen Vorzeit den Zuschauern hinzaubern wollten, sondern wie Repräsentanten dieser Zuschauer selbst, die, jedem Kunstausdruck, jedem Verse, der auf das Ergreifen der Waffen deutete, zujubelnd, ihre eigene kriegerische Stimmung aushauchten. Das war ein Bravorufen, Klatschen, so kräftig, sonor, wie man es in diesen, der ernsten Kunst geweihten und damals heilig gehaltenen Räumen selten gehört. Der Kunstenthusiasmus erlaubte sich in Berlin wohl Thränen und Entzückungen, auch Verzückungen, aber noch nicht mit dem Feuer zu spielen, das er später verschwenderisch über seine Lieblinge ausschüttete, einen flammenden Glorienschein, der oft zur verzehrenden Flamme werden sollte für den Ruf des Gefeierten. Das Reiterlied war gesungen; tiefe Spannung auf allen Gesichtern, ein banges Schweigen in dem gedrängt vollen Hause. Da trat Kaselitz als Dragoner von Piccolomini vor, und vertheilte ein gedrucktes Lied zum Lobe des Krieges unter seine Kameraden. Die Pappenheimer, die Panduren, Isolani's Kroaten, alle verstanden Deutsch zu lesen, das Orchester hub an, und nach der Schulze'schen Melodie: »Am Rhein, am Rhein!« ward ein Lied gesungen, von dem überlebende Zeitgenossen uns versichern, daß es gewirkt wie ein Tyrtäischer Kriegsgesang. Das Publikum erhob sich. Man streckte die Arme nach der Bühne, um den Text zum Mitsingen zu erhalten, die Schranken des Orchesters fielen. Da aber regnete es schon von gedruckten Blättern aus dem Amphitheater. Das Parterre stimmte ein, Jubel oder Rührung, es war zweifelhaft, was größer war. Die Damen in den Logen wehten mit den Tüchern; ernsten Männern, bei deren gefurchtem Gesicht man einen Eid hätte ablegen mögen, daß sie nie geweint, standen Thränen im Auge. Die letzte Strophe musste wiederholt werden. »Das ist ein Lied!« – »Das ein Gesang!« – »Ein Dichter!« – Von Mund zu Mund ging sein Name geflüstert hin: »Es sind der Herr Major von Knesebeck!« Dort schrie Einer dem Andern zu: »Donner und Wetter, der Knesebeck ein Dichter! Man wollte, man musste sich näher kommen. Die in jener Zeit nicht so strenge Billetordnung ward gebrochen, man besuchte sich in den Logen, schüttelte sich die Hände; aus den Logen ging man ins Parterre, und unversehens hatten einige Allzeitfertige aus Brettern und Stühlen eine Art Treppe nach der Bühne gebaut. Das Stück war ja zu Ende, nur den Vorhang hatte man herunterzulassen vergessen – oder auch nicht vergessen. Während junge Enthusiasten hinaufsprangen, den Schauspielern die Hände schüttelten, winkten Andere den Darstellern herabzukommen. Bald sah man Iffland in seiner stattlichen Armatur als Wachtmeister im Kreise der Offiziere, seiner Freunde. Er spielte nicht den Wachtmeister, er war es. Er war ein Patriot von Herzen, und von Herzen redete er feierliche Worte von Aufopferung und Treue. Seine jungen Verehrer drängten sich, ihm in die Hand zu schlagen, als Gelöbniß, daß sie leben oder sterben wollten für König und Vaterland.« In der Erhebung des Augenblicks fand Niemand darin Seltsames, daß der Schauspieler den Ernst des Lebens repräsentirte; aber auch heitere Scenen mischten sich in diesen heroisch theatralischen Ernst. Es hat sich von je an gefügt, seit es Offiziere gab und Juden, daß Beide in gewissen Verhältnissen zu einander stehen, Verhältnisse, die, in der Jugend sehr intim, sich oft erst im Alter lösten, zuweilen auch gar nicht. Da sah man einen bekannten jüdischen Handelsmann, welcher später, vielleicht auch damals schon, den Namen Gans führte und für einen witzigen Mann galt, an den Armen zweier Lieutenants umherstolziren, oder besser er umschlang sie mit seinen Armen, und den Begegnenden versicherte er, in diesen beiden Freunden opferte er seine theuersten Erinnerungen dem Vaterlande! Unzelmann, als Trompeter, streifte am Arm eines hübschen Kavallerie-Offiziers durch das Parterre. Wer dafür noch Sinn hatte, blickte neugierig verwundert nach. Der junge blonde Offizier nahm das spöttische Lächeln seelensvergnügt hin, Unzelmanns komische Miene deutete aber an, daß ihn der Sinn nicht verletze. »Unzelmann und Quast Arm in Arm!« – »Unzelmann spielt heute seine Frau.« Er rief den Spöttern nach: »Beschämte Eifersucht wird nicht mehr gespielt, meine Herren,« – »denn Eifersucht ist das größte Ungeheuer!« replicirte ein junger Schöngeist, der die alten Spanier studirte. »Und gegen das größte Ungeheuer,« fiel der Schauspieler eben so schnell ein, »ziehen unsere braven Truppen.« Auch »Menschenhaß und Reue,« meine Herren, wird nicht mehr gegeben, »denn wir brauchen allen Menschenhaß gegen die Franzosen.« – »Und,« setzte ein dritter Witzbold hinzu, »ein Lump, wer nicht sein Bestes und sein Schlechtestes mit seinem Alliirten theilt.« – Anspielungen, die damals Jeder verstand, auch viele Jahrzehnte nachher hat sich die Erinnerung erhalten; nicht werth um ihrer selbst willen, aber von Werth zur Charakteristik einer Zeit, die längst von den Springfluthen der Geschichte fortgespült und von ihrem mächtigen Strom auf immer verschüttet scheint. Nicht die Frivolität ist begraben, aber in dem luftigen Kleide von damals darf sie sich der Gesellschaft, in keinem ihrer Kreise, nicht mehr zeigen. Enthusiasmus, wohin man sah, aber es fehlte noch etwas: ein Schluß, der dem Anfang entsprach, ein Siegel auf die fertige Urkunde gedrückt. Wozu die ganze Aufregung ohne ein Ziel? Aus dem Theater sind später Revolutionen hervorgegangen, aus der »Stummen von Portici« stürzten die berauschten Zuschauer, um die Funken des Bühnenfeuers als Brand auf den Markt zu tragen. Dazu war hier nicht der Ort, nicht die Zeit, nicht die Menschen. In den geschlossenen Theaterräumen hallte der Ruf: »Krieg! Krieg! Zu den Waffen!« trefflich, aber wären sie hinaus gestürzt, was dann? Wie klein wäre die Zahl gewesen, wie bald zerstreut auf den breiten Straßen! Hätte Jeder sich gern in der Gesellschaft der Andern erblickt, Derer, die vielleicht ihnen da zuströmten? Und was sollten sie thun? Vor das Palais des Königs rücken, dort Fackeln schwingen, wild schreien: Krieg! Krieg! Was würde dieser König, der, dem Ungewöhnlichen, Exaltirten abhold, seine Person scheu von aller Repräsentation zurückzog, zu einem brüllenden Haufen sagen, der ihn zu einer Handlung zwingen wollte, die er viel leicht schon beschlossen hatte? Würde es nicht gerade das Mittel gewesen sein, das Wort, das sich von den Lippen lösen wollte, in die tiefste Brust zurück zu schrecken? Er musste zürnen, und erzürnen wollte Niemand den geliebten Monarchen. Aber etwas musste geschehen, das fühlte Jeder; so konnte man nicht auseinander gehen. Die Logenschließer hatten unter den Enveloppen der Damen Blumenkränze gesehen, oder waren es schon Lorbeerkränze? Auf irgend ein Haupt sie zu drücken, dazu waren sie doch mitgenommen. Aber wo war das Haupt, wo der Eine, der eine solche Masse wecken, begeistern, führen konnte? – Wohl gab es Einen, einen noch jugendlichen, genialen Prinzen vom kühnsten Geist und bewährten Muthe. Sein Schwert hatte Franzosenblut getrunken, ritterlich hatte er sich mehr als einmal in die Schaaren der Feinde geworfen und – dem unüberwundenen Helden hätte man alle seine Schwächen vergeben, er wäre der Mann des Volkes gewesen, und wäre er vorgesprungen, da auf eine Erhöhung, und hätte den Degen blitzen lassen im Scheine der Theaterflammen, nur wenige kräftige Worte, – möglich war es, daß es ein Ernst ward, dessen Folgen Niemand berechnet. Aber diesen Einen fesselten Rücksichten, er knirschte im verhaltenen Grimme in seinen vier Wänden; er zückte den Pallasch, um ihn wieder in die Scheide zu stoßen, er sah nach den Wolken, und lauschte auf den Galopp eines Pferdes, ob es die Ordonnanz war, die das heißersehnte Wort brachte. Er hatte sein Wort geben müssen, heute nicht im Theater zu erscheinen. »Scharf geschliffen und von vorn herein die Spitze abgebrochen, damit der Stahl nicht verwundet.« – Andere gab es wohl, die von demselben Feuer glühten, Namen von ehernem Klang und altem Ruhm; sollte man aber die Kränze auf eisgraues Haar drücken? Warum nicht lieber auf Friedrichs Büste? Aber etwas musste geschehen; die Gährung war zu groß, um sich zu verlaufen. »Es lebe der König!« rief eine Stimme. Tausend riefen es nach. Das Orchester intonirte den neuen Volksgesang, der so rasch Allgemeingut geworden, und das feierliche: »Heil Dir im Siegerkranz, Retter des Vaterlands!« hallte wie besänftigend durch den hohen Raum des Schauspielhauses. Eine der kleineren Logenthüren klappte zu und ein Mann, vor dem sich der Schließer respektvoll neigte, eilte im Surtout die Treppe hinunter. »Das alte Lied!« sagte sein jüngerer Begleiter; es war Herr von Fuchsius; »es klang hier mir wie eine Ironie.« »Alles Theater, alles gemacht, alles nichts, und daraus wird im Leben nichts,« erwiderte der Andere. »Seine Excellenz der Herr Minister von Stein,« flüsterten sich die Logenschließer zu. Aber als das Lied durch neue Hochs, dem Könige gebracht, unterbrochen wurde, klappte wieder eine Logenthür, eine Stimme theilte den Vornesitzenden etwas mit, diese sprachen nach links und rechts, und bald lief es wie ein Lauffeuer durch die Logen: »Die Garnison marschirt! – Die Berliner Garnison rückt aus!« Soll das den letzten Druck geben! schien des Ministers Blick zu seinem Begleiter zu sagen, während der Lärm drinnen sich wieder steigerte. Ein Vorübergehender las den Sinn der ungesprochenen Worte und erwiderte dem Manne, den er nicht kannte: »Sie können es gewiß glauben, mein Herr, diesmal ist es Ernst. Die Kriegskasse ist schon fertig, und das Feldlazareth wird gepackt. Ich habe einen Vetter, der dabei ist.« »Und ich habe es selbst angeordet.« lächelte der Minister seinem Begleiter zu. »Soll man sie um ihren Glauben beneiden oder bedauern?« 52. Kapitel. Am Altar des Vaterlandes Zweiundfünfzigstes Kapitel. Am Altar des Vaterlandes. Was bis hier geschehen, davon finden wir die Hauptzüge wenigstens in den öffentlich gewordenen Berichten. Die Zeitungen gedenken des denkwürdigen Abends; aus ihnen sind jene Züge schon in die Geschichtsbücher übergegangen. Es fiel aber an dem Abende noch Manches vor, wovon sie schweigen. Ein großer Theil des Publikums hatte sich bereits entfernt. Die Begeistertsten empfanden noch das Bedürfniß, sich Muth und Hoffnung zuzureden. Hier schüttelte man sich die Hände; hier schloß man sich in die Arme; hier unterhielt man sich von Vortheilen, welche die Oesterreicher errungen haben sollten, von dem und jenem französischen General, der verwundet sei; dort von einem Volksaufstande, der sich irgendwo vorbereite, von dem ungeheuren russischen Heere, was aus dem Innern Asiens heranwälze. In bewegten bangen Zeiten knüpft die Hoffnung aus den Sonnenstäubchen, aus den Spinnfäden in der Herbstluft Taue für ihre Anker! Da lief schon längst ein Gerücht durch die entfernten Gruppen, daß ein Courier mit wichtigen Nachrichten angekommen, aber er und sein Pferd, gleich er schöpft, seien auf dem Markt gestürzt. Der Kommandant, welcher des Weges gekommen, habe ihn auf der Straße vernommen, und sei mit den Depeschen sogleich ins Palais geeilt. Ein kleiner Mann mit sehr wichtiger Miene, den man früher schon bei allen Gruppirungen bemerken konnte, schwang sich jetzt auf eine Logenbrüstung und schrie: »Es ist richtig, meine Herren, der Courier ist da! Er hat sich beim Fall den Fuß verstaucht – er kommt direkt vom Schlachtfelde – ich sah ihn selbst – sie führen ihn jetzt am Schauspielhaus vorbei.« Sogleich war an der Thür ein Gedrang; man wollte hinaus, um sich von der Wahrheit zu überzeugen. Die Entfernteren riefen: »Holt ihn herein!« – Was er auf der Straße aussagen dürfe, könne er doch auch dem Publikum erzählen. »Wenn uns Merkel nicht wieder eine Finte aufbindet!« sagte ein Mann in mittleren Jahren, mit lebhaften dunkeln Augen, der, seiner Kleidung nach, dem geistlichen Stande anzugehören schien; das Bleistift und Pergament in seiner Hand deutete aber auf einen Berichterstatter für eine Zeitung, was er auch wirklich war, der französische Prediger und Professor Catel, damals, und noch lange nachher, Redakteur der Vossischen Zeitung. »Diesmal hat Merkel die Wahrheit gesagt, liebster Catel,« bemerkte sein Nachbar. »Der Courier ist da, auch ich sah ihn, und was ich durch das Gedränge gehört, sind so wunderbare Dinge, daß Sie Ihre Zeitung übermorgen damit füllen können.« – »Sie verlangen doch nicht von mir, daß ich Mirakel schreiben soll!« entgegnete Catel. »Das ist weder meines Metiers, noch meiner Zeitung. Rebus in arduis aequam servare mentem. « »Ist zwar ein schöner Wahlspruch,« entgegnete der Andere, »aber es giebt doch Ausnahmen.« »Die sich doch wieder auf eine Regel zurückführen lassen. Alle Bewegung sinkt auf ihr Niveau oder Maß zurück und die Gesetze dieses Maßes sind die Kunst. Und das sahen wir an diesem Abend. Iffland hat sich wieder selbst übertroffen. Sehen Sie – – sehen Sie ihn da, Feuer und Flamme für den Krieg, er ist der Soldat, den er vorhin gespielt, ich glaube, wenn ihn Seine Majestät der König in die Linie beriefe, so würde er auch da vor den Rotten wie ein Meister der Kriegskunst dastehen. Und nun betrachten Sie, mit welcher klassischen Ruhe er auch dieses Feuer menagirt! Und vorhin im ›Puls,‹ das war kein Spiel, das war wieder ein Ernst, eine Wahrheit, eine Kunst, die uns an der menschlichen Natur irre machen könnte. Ohne Zweifel war er von den Auftritten, die nun folgen sollten, nicht allein unterrichtet, sondern er hat sie mit arrangirt, er lebte in dem Gedanken, und wo merkte man es ihm an! Ich habe ihn genau beobachtet. Da war jedes Fältchen der Weste, jeder Knopf wie sonst. Wie er mit der Rechten den Puls des Patienten fühlte, zählte er mit den Fingern der Linken auf dem Rücken die Schläge. Das werden Wenige bemerkt haben. Er that es auch nicht fürs Publikum, für sich, um sich selbst zu genügen. Diese Ruhe, diese Herrschaft über Leidenschaft und Welt ist es, was den Künstler macht. Ich hätte nur einen Wunsch jetzt –« »Doch nicht, daß Iffland selbst ins Feld ziehen soll?« »Nein, ich möchte ihn Talma gegenüber sehen. Jeder, bin ich überzeugt, würde den Andern bewundern, Jeder vom Andern lernen wollen.« »Französisches Feuer und ein Klassiker im Blute!« bemerkte ein Dritter. »Von der Kolonie!« sagte der Andere. »Die besten Preußen und gute Deutsche, und doch alle ein tendre für Bonaparte.« Ein Jubel und Hallo kündigte hier an, daß der Courier ins Theater gezogen war. Noch sahen ihn die Wenigsten, aber Stimmen schrien schon: »Viktoria! Ein Sieg, ein ungeheurer Sieg! Hoch lebe der König! hoch Preußen!« Umsonst sträubte sich der junge, staubbedeckte Mann, dem man die äußerste Erschöpfung von einem angestrengten Ritt ansah. Sein Gesicht war blaß, nur zuweilen von einer flammenden Röthe überflogen. Er sprach lebhaft, aber mit Anstrengung zu den um ihn Stehenden. »Meine Herren, es ist ein Irrthum, ich bin nicht selbst der Träger der erwünschten Nachrichten. Ich habe vergebens draußen schon gegen die Auszeichnung protestirt, aber man hört mich ja nicht. Meine Depeschen vom Minister Haugwitz enthalten nichts, noch können sie etwas von der Nachricht enthalten, die Sie, die wir Alle wünschen, daß sie auf Wahrheit beruhe. Meine Depeschen, wie meine eigne Kenntniß der Dinge sind von Wien, von weit älterem Datum. Ich wusste mich, um nicht aufgefangen zu werden, auf Nebenwegen durchschlagen. Ich musste weite Umwege machen, und ich wiederhole Ihnen, daß es nur ein Gerücht ist, was ich an der sächsischen Grenze zuerst hörte. Was verlangen Sie von mir, daß ich es hier öffentlich mache! Ich kann nichts sagen, als daß ich von Andern gehört, was diese wieder gehört.« Die in den Logen und dem hinteren Parterre hatten natürlich nichts von dieser Protestation gehört. Unisono schrie, tobte, forderte man, daß der Courier laut spreche: was hier gut sei, müsse es für Alle sein. »Hier sind keine Verräther! Keine Spione!« – »Auf das Proscenium!« – »Sie müssen jetzt, Bovillard,« rief Jemand, der ihn kannte, »oder man lässt es uns entgelten.« »Der Erschöpfte ward von zwei Männern unter den Arm gefasst und fast auf die Bretter hinaufgerissen.« Uebrigens herrschte kaum ein Unterschied mehr zwischen der Bühne und dem Zuschauerraum. Selbst von den angesehensten Damen standen schon mehrere auf der ersteren. Schauspieler hatten einen Altar herangetragen, der vielleicht aus der vorigen Opernvorstellung noch hinter den Coulissen stand. Er diente dem Erschöpften, der sich von seinen Begleitern losgemacht, zur Stütze. Sein Auge rollte, als suche er in der Luft nach Worten, während es den Umstehenden nicht entging, daß seine Glieder fieberhaft zitterten. Jetzt fuhr er mit der Hand über die Stirn; um die Erinnerung zu sammeln, glaubten Einige, Andere versicherten nachher, er sei gestanden, als habe er ein Gespenst gesehen. Da rief er plötzlich aus voller Brust: »Sieg, Sieg verlangen Sie aus meinem Munde. – Wenn wir an uns selbst glauben, deutsche Männer, müssen wir ja siegen! Warum nicht dort !« – Ein Händeklatschen, ein brüllender Applaus: »Sieg! Ein Sieg! – Weiter! – Wo?« – »In Mähren, hinter Brünn – eine Schlacht, sagen sie, ist geliefert, blutig, wie keine seit Menschengedenken – drei Tage hätte sie gewüthet – drei Kaiser standen sich gegenüber – dreimal ging die Sonne blutroth auf – am dritten –« Alles hörte bang, mit angehaltenem Athem, während der Sprecher nach Luft zu schnappen schien. – »Am dritten hat man ihn gesehen – Bonaparte – in der Mitte von nur drei Reiterregimentern, die ihn mit ihren Leibern schützten – sich durchschlagend nach Baiern – sein Heer, sein großes Heer –« »Was ist ihm?« riefen die Nächststehenden. Bovillard beugte und stützte sich, wie um sich zu halten, oder etwas zurückzudrängen, auf den Altar. Durch die weiten Räume aber brauste es: »Hurrah! – Viktoria!« – »Kränzt den Siegesboten!« rief die Fürstin, die Treppe herauf steigend. – »Kränzt ihn!« wiederholten weibliche Stimmen. Die Kränze waren da, aber das Publikum wollte vorher den ganzen Freudenbecher ausgeschüttet wissen: »Sein Heer – wo ist sein Heer?« »Fragt die Erynnien! – Eine Blutlache –« Diese Worte konnte man auf dem entferntesten Amphitheater verstehen, so scharf schnitten sie durch die Luft, doch ohne den sonoren Metallklang von vorhin. Dann hörte man einen Fall, einen Schrei der Umstehenden, Töne des Jammers, Einige wollten ein Auflachen gehört haben. Sehen, was vorgefallen, konnten natürlich nur die Nächststehenden; indem man, um zu sehen, herandrängte, verbarg man die betreffenden Personen. Von Mund zu Munde ging es, der Bote der Siegeskunde war am Altar des Vaterlandes niedergesunken, aber mit voller Ehre. Ein junges Mädchen, schön wie keine, in Fiebergluth, hatte sich mit dem Kranz über ihn erhoben, aber als sie ihm denselben auf die Stirn drückte, als er ihre Hand ergriff, stürzte es ihm aus dem Munde, ein rother Blutquell, und er war hingesunken, ohne die Hand loszulassen. 53. Kapitel. Eine Entführung Dreiundfünfzigstes Kapitel. Eine Entführung. So viel wusste man bis in die entferntesten Winkel, aber in der Masse verschwand das Persönliche vor dem sturmbewegten Gefühl. Man begnügte sich nicht mehr mit einem Händedruck, auch Leute, die sich nicht leiden mochten, stürzten sich in die Arme: »Das Vaterland ist gerettet!« – »Zugeschlagen. Nun ihm das Garaus gemacht!« – »Drauf los! – Tod allen Franzosen!« »Davon werden sie auch nicht sterben!« brummte der Offizier, welcher vorhin York genannt wurde, der sich jetzt Luft nach dem Ausgange machte, während die Tücher der Damen ihm fast um die Ohren schlugen: »Wenn überhaupt die Geschichte wahr ist.« Walter van Asten führte seine Cousine durch das Gedränge. Einer der jüngeren Offiziere, deren Geschwätz der Oberst vorhin durch seinen zornfunkelnden Blick zum Schweigen gebracht, benutzte den Augenblick, wo Walter sich bückte, um den Pompadour aufzuheben, der dem jungen Mädchen aus der Hand gefallen war. Er drängte sich zwischen Beide und wusste den Arm der Dame in seinen zu schieben: »Mein schönstes Fräulein, Sie hatten einen Führer, der den Weg nicht kennt. Erlauben Sie mir, daß ich Ihnen den nächsten zeige.« Minchen Schlarbaums Arm hing wirklich am Arm des Offiziers, als ob es so sein müsse, aber ihr Mund öffnete sich so weit als ihr Auge groß ward. »Mein Gott, verzeihen Sie, das ist ja mein –« »Ihr Pompadour,« fiel der Kornet ein. »Da – nehmen Sie ihn rasch. Ich hoffe, daß der – Herr da ihn für Sie aufgelangt hat.« »Und ich, Herr Kornet von Wolfskehl, hoffe,« sagte Walter, »daß Sie nur in der Trunkenheit der Freude meine Cousine mit – Jemand Ihrer Bekanntschaft verwechselt haben. Für eine andere Trunkenheit würde ich Rechenschaft fordern.« »Was! – Spricht da Einer von Rechenschaft – ich habe mich wohl verhört,« näselte der Kornet zu den Kameraden, die still lächelnd in der Nähe standen, als er schon Walters Hand an seinem Arm fühlte. Es war noch eine sanfte Berührung. »Ich, Kornet Wolfskehl,« sagte Walter in einem Tone, der noch dem Druck seiner Hand entsprach. »Auf der Stelle ersuche ich Sie so höflichst als dringend, Ihrer Wege zu gehen, da ich meinen vollkommen kenne, den ich gehen muß und werde, wenn Sie den Platz nicht augenblicklich verlassen.« »Herr« – fuhr der Kornet auf – »wer sind Sie in drei –« und hatte doch den Arm der Dame fahren lassen. Walters Blick hatte etwas herrisch durchdringendes. Auch auf den übermüthigen Jüngling hatte er unwillkürlich einen Eindruck gemacht. »Jemand, dem es leid thäte, sich an dem Rock des Königs vergreifen zu müssen, der aber keinen Augenblick zaudern würde wenn – Jemand, der nicht der Ehre werth ist, ihn zu tragen, darunter steckte.« »Was! – Unterfängt sich die Ca –« »Halt!« donnerte die Stimme des älteren Offiziers dazwischen. »Meine Herren Offiziere, wenn der Civilist da zu dem Frauenzimmer gehört, ist er im Rechte.« »Dulden wir das!« schien der zu den Kameraden gewandte Blick des Kornets zu sprechen. »Herr Oberst, er hat unsere Uniform berührt.« »So wird er Ihnen Rede zu stehen haben, warum,« entgegnete der Oberst. »Herr Jesus, um Gottes Willen keinen Skandal!« schrie Minchen Schlarbaum. »Da ist ja Herr Professor Catel, der kennt meinen Cousin.« In dem Augenblick ward aber die Aufmerksamkeit wieder auf den allgemeinen Gegenstand der Theilnahme gelenkt. Wie wenn ein Vorhang zu beiden Seiten aufrollte, hatten sich die Personen, welche um den Courier gestanden, nach beiden Seiten vertheilt, um der stürmischen Forderung des Publikums zu genügen. Bovillard lag auf dem Boden, das umkränzte Haupt vom Theaterarzt gestützt, während seine ausgestreckte Rechte die Hand des jungen Mädchens noch immer gefasst hielt, welche den Kranz ihm aufgedrückt. Diese kniete, entweder durch ihre Lage dazu genöthigt oder aus eigener Bewegung, daneben. Von der Fieberröthe fluthete nichts mehr auf ihrem Gesicht, es war todtenblaß, nur die schönen großen Augen starrten auf den Jüngling zu ihren Füßen. Sie selbst schien der Hülfe zu bedürfen, denn die Fürstin hielt sie umfasst. Die Wallensteinschen Krieger, auf ihre langen Degen gestützt, standen im Halbkreis wie eine Wache. Es war nicht Arrangement, es hatte sich von selbst so gemacht. Wer den Rest Spiritus auf dem Altar entzündet, dessen blaue Flammen spärlich durch das Halbdunkel der verlöschenden Oellampen in die Höhe leckten, ist nie ermittelt. Der Anblick war überraschend, das erste Schweigen des Publikums verrieth, daß es den Sinn und Zusammenhang nicht begriff. Es wusste nicht, ob es noch jubeln dürfe, oder trauern solle? Eigentlich wusste es Niemand; was seit letzt geschehen, ging über alles Arrangement hinaus, bis die Gefühle der Einzelnen, wie kleine Blutadern in einem großen erstarrten Körper pulsirten. Die Theilnahme war verschieden. Eine Stimme rief aus der Mitte heraus: »Ah c'est pittoresque! C'est vraiment antique et classique!« »Aber er stirbt ja wirklich!« schrieen Andere. Der Classicismus musste in dieser Versammlung noch eingewurzelt sein, denn es fand sich Jemand, der seine Zuhörer an das erhabene Beispiel aus dem Alterthum erinnerte, wo der Bote einer Siegesnachricht im Augenblick, wo er sie überbrachte, aus Erschöpfung zu den Füßen seiner Mutter todt niederstürzte, und die Mutter ward um deshalb als die glücklichste Frau im ganzen Hellas gepriesen. Herr Herklotz, der Theaterdichter, man vermuthet, daß er es gewesen, hatte mit Iffland einige Worte geflüstert, und dieser, heute in andauernder Aufregung, hatte schon den breitkrämpigen Hut gezogen, und war an die Lampen getreten zu einer neuen patriotischen Ansprache, muthmaßlich aus jener Vergleichung geschöpft, als Major Eisenhauch ihn sanft am Arme fasste: »Um Gottes Willen, Herr Direktor, bedenken Sie, da ist der Vater des Sterbenden.« Der Geheimrath Bovillard, in einem Gespräch mit St. Real begriffen, hatte erst spät seinen Sohn erkannt. »Mais enfin, grand Dieu, c'est donc mon fils!« rief er händeringend zu Denen, die ihn abhalten wollten, sich auf die Bühne zu stürzen, und arbeitete sich durch das Gedränge. »Mais, mon cher conseiller,« rief der Geheimrath Lupinus, der, seinen Arm unterfassend, ihm nacheilte, »il ne mourra pas. Nous admirons ce ravissement d'amour paternel suprême. Oh! c'est touchant. Mais considérez, mon ami, votre état est surtout votre caractère. Vous êtes philosophe! – Et il ne mourra pas, assurément, ce n'est qu'un échauffement passager. Ce jeune homme, un épanchement patriotique, l'amour paternel le guérira!« Es arbeitete sich noch Jemand während dessen durch das Gedränge, doch mit einem andern Ungestüm. Auch nach ihm streckten sich unwillkürlich Arme aus, als wollten sie ihn zurückhalten. Weshalb Walter van Asten plötzlich dem Offizier, dem er noch eben die Zähne zu weisen so große Lust gezeigt, den Rücken gekehrt, weshalb er seine Cousine, zu deren Schutz er aus sich selbst herausgeschritten schien, stehen ließ, weshalb er unbekümmert um Beide ins dichteste Gewühl sich gestürzt, daß er im nächsten Augenblick ihnen allen entschwunden war, das wussten Die freilich am wenigsten, welche sich am lautesten darüber verwunderten. Ein Hohngelächter der Offiziere brach plötzlich aus. Der Oberst drückte verächtlich den Hut auf die Locken: »Ist's ein solcher, so lassen Sie den Patron nur laufen.« »Er hat vielleicht Jemand gesehen, der seiner Hülfe noch mehr bedarf,« antwortete Professor Catel auf Minchen Schlarbaums erstaunten Blick, und bot ihr rasch seinen Arm, während die Offiziere zu einer Art Kriegsrath zusammengetreten waren. »Redestehen!« – »Nimmermehr.« – »Die Peitsche dem Poltron!« Der Geheimrath Bovillard hatte sich über seinen kranken Sohn werfen wollen, aber vernünftige Freunde ihn zurückgehalten, weil es sich mit seiner Würde nicht vertrage, weil das vor dem Theater-Publikum eine Scene aufführen hieße, weil sein Sohn in keiner Lebensgefahr sei, weil jeder Affekt die Lage desselben verschlimmern könne. Der Geheimrath Bovillard war den vernünftigen Vorstellungen zugänglich, und für den öffentlichen Anstand hatte er immer das feinste Gefühl. Um so besser, als man seinen Sohn bereits auf demselben Ruhebett, auf welchem bei der Darstellung des »Puls« der kranke junge Graf lag, fortgetragen hatte. Dabei musste sich noch einiges ereignet haben, was die Umstehenden beschäftigte. Man hatte seine Hand aus der des jungen Mädchens losreißen müssen, so fest hielt er sie gefasst. Sie war darauf – von der Anstrengung und dem physischen Schmerz, sagten die Verständigen, zu Boden gesunken. Ob in einer Ohnmacht oder einem Starrkrampf, darüber stritt man; die zum letzteren hinneigten, behaupteten, sie sei schon vorhin, als sie noch aufrecht saß, in einem Starrkrampf gewesen. Andere vermutheten noch Anderes, und Iffland flüsterte zu Bethmann: »Ich besorge, daß man uns auf unserem Grund und Boden eine Komödie aufgeführt hat, während wir hier dem Publikum einen Ernst vorspielen wollten.« »Sie lebt!« sagte der Arzt, welcher für Adelheid herbeigerufen war und noch immer ihren Puls hielt. »Ihr Leiden scheint mir nur psychisch; eine Folge von zu lange verhaltenen Gemüthserschütterungen. Nach dem Zwange rächt sich die Natur. Die äußerste Ruhe thut ihr zunächst noth. Auf die Bretter aber, dünkt mich, gehört die Kranke nicht.« Damit war vor Allen Herr Iffland einverstanden. Er hatte bereits eine Portechaise kommen lassen. Zwei Soldaten, noch in Wallensteinschen Waffenröcken, versprachen rüstige Träger zu sein. »Aber wohin?« fragte der Direktor, nachdem Adelheid unter Beihülfe des Arztes und der Fürstin in die Portechaise gehoben war. »Gleichviel! In das erste befreundete Haus,« sagte der Arzt. »Das ist mein Hotel.« Die Fürstin gab, nachdem sie einen schnellen Blick nach der Geheimräthin geworfen, die nöthigen Anweisungen: »Leise aufgetreten, keine Erschütterung. Für einen guten Lohn verpflichte ich meinen Kammerdiener.« Die Lupinus sah weder den Blick, noch die Abführung der Portechaise. Eine Reihe riesiger Pappenheimer hatte eine Wand dazwischen gebildet. Aber auch ohne diese Kürassiere würde sie in dem eifrigen Gespräche mit dem Legationsrath schwerlich gesehen haben. Er hatte sie schon vorhin fast mit unziemlicher Heftigkeit bei der Hand ergriffen und in die Coulissen gezogen. »Ich verstehe Sie nicht. Sie selbst drangen daranf, daß ich kündigen sollte.« »Und heut bietet Moldenhauer fünf Procent, wenn Sie die Kündigung zurücknehmen. Schlagen Sie ein! wiederhole ich. Jede Hypothek 20,000 Thaler! Bedenken Sie! Einen so unerwarteten Gewinn! Sie wären rasend, ihn von der Hand zu weisen.« »Aber wenn die Kapitale selbst darüber verloren gehen! Noch gestern schrieben Sie mir: Kündigen Sie.« »Noch vor einer Stunde hätte ich's gethan.« »Und jetzt, – wo Preußen losschlagen muß –« »Es schlägt nicht los.« »Napoleon vernichtet ist –« »Er ist nicht vernichtet.« »Trägt ein Ariel Ihnen Botschaften durch die Luft?« »Ja, in Gestalt einer Taube, der zu Herrn von Marvilliers auf Laforests Hinterdach niederflog.« »Die Schlacht –« »Ist geliefert,« flüsterte er näher an sie tretend ihr ins Ohr. »Das Blut floß in Strömen. Die Russen total geschlagen, Oestreich verloren, dem Sieger auf Gnade und Ungnade überliefert –« »Entsetzlich! Wo? – Wie?« »Wenn man den Namen in dem rasch gekritzelten Zettel richtig liest, heißt es Austerlitz, wo Europas Schicksal entschieden ward. Die Schlußfolge überlaß ich Ihnen.« »Und diese Menschen in ihrem Siegesrausch!« »Was gehen diese Menschen Sie an! Denken Sie an sich, und ergreifen, was der Moment bietet. Es wäre möglich, daß Moldenhauer schon morgen Mittag den wahren Verlauf erfährt. Deshalb beschied ich ihn auf morgen früh zu Ihnen. Ein Notar ist avertirt, daß wir ihn auf der Stelle rufen. Moldenhauer wird Sie als Engel segnen, denn er hält sich als Kaufmann ruinirt, wenn Sie auf die Kündigung bestehen. Sie zaudern natürlich etwas, bis –« »Und wenn wir uns doch verrechneten!« »Das Einmaleins ist nicht unerschütterlicher als der moralische Egoismus der Staatskunst. Stürzt sich das Lamm in den Rachen des Löwen, der vom Blute der Hunde träuft? –« »Aber –« »Wird, kann, darf Preußen jetzt losgehen? Das frage ich Sie, und es bedarf nicht Ihres Scharfblicks, um ein entschiedenes Nein zu antworten. Selbst wenn diese Mannequins nicht am Ruder säßen, ein entschlossener, zornsprühender König auf dem Throne – jetzt wäre es Thorheit – Thorheit ist Alles – aber es wäre mehr als das – Verbrechen, Wahnsinn – es ist eine Unmöglichkeit.« »Es wird dunkel!« rief die Geheimräthin; man fing an die Lampen auszulöschen. – »Mein Gott, wo ist Adelheid?« Der Wachtmeister aus »Wallensteins Lager« war ihr entgegen getreten: »Beruhigen Sie sich, Madame. Die Demoiselle ist in sicherer Obhut fortgebracht, die Frau Fürstin Gargazin –« »Hat sie Ihnen am Ende entführt,« lachte Wandel. Ein Kammerdiener der Fürstin stand in der Coulisse, um der Geheimräthin die Thatsache, nur mit andern, schöneren Worten zu melden, und, wenn sie es für nöthig fände, die Kranke zu besuchen, das ganze Hotel zu ihrer Disposition zu stellen. Ein Zusatz lautete indeß, daß die Aerzte jeden Besuch für lebensgefährlich beim Zustande der Kranken erklärt. Als die letzte Spiritusflamme auf dem Altar aufzuckte, ging die Geheimräthin am Arm Wandels rasch fort. Sie standen am Ausgang. Links führte der Weg zur Fürstin, rechts nach der Jägerstraße. »Sie ist Ihnen entführt. Wollen Sie ihr nachlaufen? Mich dünkt, es ist heute genug Komödie gespielt. Ueberlassen Sie das Solchen, die zu nichts Besserem taugen. Wozu einen Schmerz heucheln, den Sie nicht empfinden. Mich dünkt, Sie könnten dem Himmel danken, wenn Sie das Mädchen auf diese Weise wirklich los werden.« »Aber was wird die Welt sagen?« »Die hat fürs erste anderes Spielzeug. Nachher findet sich leicht eine plausible Fabel.« Die Geheimräthin ging nicht in das Hotel der Fürstin. 54. Kapitel. Die Patrioten trennen sich Vierundfünfzigstes Kapitel. Die Patrioten trennen sich. »Was thun Sie, Herr von Eisenhauch!« »Was mir die Ehre gebietet.« »Keine Uebereilung, die Sie bereuen könnten.« »Ich bereue nur, daß ich zu lange vertraut.« »Wenn jetzt die Freunde des Vaterlandes zurücktreten –« »Wer sagt, daß ich zurücktrete, Herr von Fuchsius!« Der Major hielt in der Arbeit inne, die ihn ganz zu beschäftigen schien. Er packte hastig an einem Felleisen, während ein anderes schon vom Diener zur Thür hinausgetragen ward. Waffenstücke, Hut und Mäntel hingen umher und zwei Pferde stampften am Hause vor einer leichten Reisekalesche. Es schien nichts Heimliches, was hier verhandelt ward, denn der Major mäßigte nicht seine Stimme, wenn die Diener eintraten, noch sprach er leiser, wenn sie die Thür beim Fortgehen offen ließen. »Wer sagt, daß ich zurücktrete! Ich verzweifle nicht an unsrer Sache , mein Herr, auch noch nicht an unserm Vaterlande , und ich verzweifle auch nicht an diesen hier, denn man kann nur verzweifeln, wo man noch hoffte.« »Major –« »Nicht mehr in preußischem Dienst. Meinen Abschied, der jetzt ausgefertigt wird, haben Sie die Gefälligkeit und schicken ihn mir nach, oder verbrennen ihn. 'S ist gleichgültig.« »Wohin?« »Nach Oestreich, so lange noch da ein Funken glimmt. Nach Rußland, England, Spanien, wohin es sei, wo Herzen schlagen, Männer athmen, welche noch ein Gefühl für Schande haben.« Fuchsius hatte die Thür zugedrückt. Es war ein Absteigequartier und ihm schien die Unterhaltung nicht geeignet, um von anderen Hausbewohnern belauscht zu werden. Aber Eisenhauch rief in der Arbeit: »Wenn es Sie nicht genirt, was mich betrifft, mögen Napoleons Spione alles hören.« »Nur ein Wort. Großfürst Constantin und Fürst Dolgorucki sind hier. Noch ist nichts verloren, sie belagern den König, sie dringen in ihn, daß Preußen ein entscheidendes Wort spreche.« Eisenhauch lachte auf. »Lachen Sie nicht. Keine Sprache ist hier so wirksam, als die russische.« »Sagen Sie, als die der Furcht. Als ich bei Ihrem Minister den Abschied forderte, drückte er mir die Hand aus Herz, wenigstens an den Platz, wo eins schlagen sollte.« »Und –« »Sie kommen meinem Wunsche zuvor, versicherten mich Seine Excellenz, denn Ihres Bleibens wäre hier doch nicht länger. Napoleon würde Ihre Auslieferung fordern, und Sie ersparen uns durch Ihren hochherzigen Entschluß die Unannehmlichkeit, Sie ausweisen zu müssen. – Von einer Uebereilung, Herr von Fuchsius, ist daher, wie Sie sehen, nicht die Rede. Ich fliehe, damit man mich nicht einsperrt, ich mache mich bei Zeiten aus dem Staube, damit man mich nicht verfolgt.« Fuchsius hatte sich, das Gesicht bedeckend, auf das Kanapé geworfen. »Und doch wage ich zu behaupten,« sagte er, während der Major im Packen fortfuhr, »Sie übereilen sich. Vergönnen Sie mir, mich mit der Ruhe gegen Sie auszusprechen, die ich mir erst sammeln muß, vielleicht als ein Produkt Ihrer Unruhe. Wo schöpft nicht der Trostlose Trost! – Haugwitz's Aufträge, als er nach Brünn abreiste, waren auf keine Niederlage berechnet. Die Klugheit gebot ihm, wie die Dinge standen, zu verschweigen, was er unter anderen Umständen sprechen sollte.« »Und ließ sich, ehe die Dinge standen, wie sie stehen, mit einem gnädigen Zornblick nach Wien komplimentiren. Ließ sich mit einem Schnalzen wie ein Hund bei Seite schieben, damit Napoleon bei Austerlitz ungestört schlagen konnte. Sah vom Stephansthurm mit einem Fernrohr nach Mähren, um seine Worte abzuwiegen, je nachdem, ob er zum Sieger oder zum Besiegten zu sprechen hatte. Höll' und Teufel – verzeihen Sie, mein alter Freund – ich weiß auch, was Diplomatie ist, aber Macchiavell ist ein Stümper vor solcher Politik. Die Reise nach Mähren wird ein Brandfleck bleiben in der Preußischen Geschichte, ich fürchte, er zerlöchert das ganze Buch. Der boshafte Feind hätte nichts Schlimmeres ersinnen können. Doppelzüngigkeit ist ein mildes Wort. Doppelsinnigkeit! eine doppelte Sinnlosigkeit, denn man weiß heute nicht, ob uns Oestreich oder Rußland mehr hassen, oder Napoleon mehr verachten muß. – Wissen Sie's zu vertheidigen?« Der Regierungsrath sagte nach kurzem Schweigen: »Nein!« – »Ich überlasse Ihnen das volle Verdammungsrecht über das, was geschehen ist. Aber es ist noch nicht Alles geschehen!« »Der zweite Baseler Frieden ward in Schönbrunn geschlossen, zehntausend Mal schmählicher als der erste. Wollen Sie ihn noch durch einen dritten überbieten lassen?« »Dee Vertrag von Schönbrunn ist noch nicht ratificirt, Herr von Eisenhauch. Bis er es ist, lassen Sie uns, lassen Sie mich wenigstens hoffen. Wir sollen Anspach an Baiern abtreten, Cleve, Wesel, Neuchatel an Frankreich, und erhalten dafür das Danaer-Geschenk, die Erlaubniß Napoleons, uns an Hannover schadlos zu halten. Mein Herr, lassen Sie uns hoffen, daß wir diesen Brocken, an dem der Adler ersticken soll, nicht annehmen! Unser Militär knirscht vor Wuth und Erbitterung, es ist ein schlagfertiges Heer; zum Kriege ausgerückt, soll es ohne Krieg zurück? Hören Sie, wie man laut ruft, von den Prinzen und Generalen bis zu den Unteroffizieren und Gemeinen: des Staates Ehre ist verpfändet; die Minister haben sie verkauft, an uns ist es, sie wieder einzulösen! Rußland operirt offen, geheim. Hat Oestreich keine Stimme an unserm Hofe? Es ist still, erbittert, wie nie zuvor. Horchen Sie durch die Straßen, in den Wirthshäusern, es ist nur eine Stimme: noch ist der Augenblick zu handeln! Hören Sie in jeder Gesellschaft, wo zwei, drei zusammenstehen, die Wuth gegen Haugwitz. Es ist kein Tadel mehr, es ist ein allmächtiges Gefühl, das kaum mehr Worte findet. Männer mit weißem Haar spucken beim Namen des Mannes. Er hat Preußens Ehre verkauft! Ein Glück für ihn, daß er nicht hier ist. Die Männer der Clique getrauen sich nicht bei hellem Licht über die Straße; man würde –« »Vielleicht einen Stein aufheben,« rief Eisenhauch, den Koffer zuwerfend, »aber ehe man ihn wirft, würde man sich besinnen, es sei doch vernünftiger ihn nicht zu werfen. Der Stein könnte ja ein Loch in den Kopf werfen und den Kopf doch nicht öffnen. Was man würde, könnte, möchte, dürfte, das ist alles vortrefflich, was man weiß, ist die Weisheit selbst, aber der Haken ist, daß man nicht thut, was man könnte, möchte, dürfte, und daß, was man weiß, die Erkenntniß zu Schanden wird an der Gespensterfurcht vor dem Entschluß.« »Ich gebe Ihnen ja alles zu, aber jetzt ist die Volksstimme wie ein Strom, der seine Eisdecke bricht. Die Wuth kennt keine Zügel mehr nach dieser Enttäuschung. Alle Wuth ist blind, wollen Sie mir einwerfen, aber diese ist intensiv und kritisch zugleich. Das ist ein neues Symptom. Man fragt: Warum musste Haugwitz so lange zaudern? Warum reiste er so langsam? Warum ließ er sich wie ein Junge in Brünn behandeln? Warum wie eine petiet femme die man in der Schlacht nicht braucht, nach Wien schicken? Was würde Friedrich zu solcher Vollstreckung seiner Befehle gesagt haben? Seinen Kopf hätte es einem solchen Abgesandten gekostet. Dem Grafen wird es den Kopf nicht kosten, und man fragt schon jetzt, warum? Man wird es immer dringender fragen. Wie lautete sein Auftrag, der ihm so zu handeln erlaubte? Warum reist er so langsam zurück, als er langsam hingereist ist? Warum darf er blumenreiche Zeitungsartikel in die auswärtigen Blätter senden, die uns in den Wahn einlullen sollen, seine Mission sei geglückt, er habe nur ausgerichtet, was sein König ihn aufgetragen? Wer ist hier der Betrogene, wer der Verräther? Klimpert französisches Geld in seiner Tasche, oder ist er der stumme Dulder, der eines Anderen Schuld heroisch auf seine Schultern nimmt? Das, Major, fragt man, man fragt es laut, und Männer fragen es, vor denen unsere Höchsten Respekt haben.« »Aber was hilft die schärfste Frage, auf die ich keine Antwort bekomme?« »Preußen sucht zu vermitteln. – Lachen Sie nicht. Zu anderer Zeit würde ich mit Ihnen lachen, jetzt ist es das einzige Mittel, um Zeit zu gewinnen. Der König ist rathloser denn je in diesem Gedränge der Parteien und Leidenschaften. Man hat mit Lord Harrowby negociirt, daß die englische Legion, die bei Stade gelandet, einstweilen in Hannover nicht vorrücken soll. Obrist Pfuel ist an Haugwitz gesandt; er soll den Abschluß hinhalten, er soll Seine Majestät den König als Vermittler der ganzen europäischen Wirren in Vorschlag bringen. Er soll den Gedanken an einen großen, allgemeinen Fürstenkongreß anregen, auf dem alle streitigen Fragen entschieden würden, und in diesem Augenblicke ist auf dem Palais eine Sitzung der Minister, die schon mehr als einmal stürmisch wurde –« »Und in süßem Frieden endete,« unterbrach Eisenhauch. »Sie wissen davon? Ich flog nur, als ich von Ihrem Entschluß erfuhr, Sie aufzusuchen.« »Pfuel ist zurück. Er traf unterwegs den zurückkehrenden Haugwitz, und hielt, nach den Mittheilungen desselben, seine Mission nicht mehr für nöthig. Wird man nun Pfuel den Kopf zu Füßen legen? – Ei bewahre! Er handelte nach Rücksichten und Intentionen, die unser beschränkter Verstand nicht begreift. Heute in der Ministersitzung, nachdem die Köpfe warm geworden, ist man zum Beschluß gekommen: Kein Krieg! Denn Krieg ist ein großes Uebel, dessen Folgen Niemand absieht.« »Widersprach denn Niemand?« »Sie weinten sogar. Das treue Anspach fahren zu lassen. – Nun, Baiern wird ihm auch ein gütiger Herr sein! – Aber Hannover den Engländern nehmen, unseren besten Verbündeten! Man tröstete sich mit dem schönen Gedanken: es kann ja nicht immer so bleiben, darum muß es einmal besser werden. Einstweilen soll aber alles so bleiben, bis – hören Sie – bis zum allgemeinen Frieden! Dann werden alle Völker, Fürsten, sogar die Staatsmänner vernünftig werden. Die Engländer auch; sie werden, um des allgemeinen Besten willen, Hannover freiwillig abtreten.« Der Regierungsrath sprang auf: »Beim Himmel, es ist nicht Zeit zu Epigrammen!« »Bittere Wahrheit, liebster Fuchsius. Der Sturm im Ministerrath ging in ein sanftes Adagio aus. Man schwärmte, da man nicht Muth hatte, für sich selbst zu handeln wie es nothwendig, für das Wohl der all gemeinen Menschheit!« »Und Stein – auch Hardenberg?« »Ueberstimmt. Und weil sie überstimmt, fügten sie sich. Man darf doch nicht gegen den Strom schwimmen. Es gab sanfte Händedrücke, beinahe kam's zu Umarmungen.« »Finis Germaniae!« seufzte der Rath. »Gott bewahre! jetzt wird sich erst der eigenthümliche Glanz der Staatskunst entfalten. Nichts thun, und wenn man in der Klemme steckt, sich justificiren und glorificiren, dah man die Hände in den Schooß gelegt«. Warten Sie nur auf die herrlichen Staatsschriften und Zeitungsartikel. Das wird salbungsvoll riechen. Mit Humanität und Philosophie und Christenthum wird man dem Volke beweisen, daß die Weisheit selbst nicht weiser hätte handeln können. Die guten Bürger werden sich die Augen wischen vor Rührung, und das »Heil Dir im Siegerkranz« wird noch einmal so schön klingen, als wenn der König gesiegt hätte. Man wird auf uns hetzen, die wir gehetzt haben, bis das Volk es glaubt, daß wir nur ehrgeizige, unruhige Köpfe waren. Sie glauben nicht, was das Volk glaubt, wenn man ihm sagt, daß wir seine Fleischtöpfe am Feuer verrücken wollten. Man wird anrüchig werden, wenn es heißt, daß man zur Kriegspartei gehört hat. Salviren Sie sich bei Zeiten. »Spitzen Sie Ihre Feder, auch Sie werden Artikel für den Frieden schreiben müssen.« »Nimmermehr! – Ich nehme meinen Abschied!« »Das hat Mancher gesagt, und bleibt doch, – aus höherer Staatsraison. Weshalb auch um solche Bagatell, als eine Meinung ist, seine Existenz aufs Spiel setzen?« »Herr von Eisenhauch!« »Nichts Persönliches! Gott bewahre! Die Personen verschwimmen wie die Charaktere in diesem Mengelmuß. Da thut der Beste am Besten, wenn er still mitschwimmt. Wo steht denn geschrieben, daß wir nicht niederträchtig denken, nicht feig handeln sollen? Nur einen Brei sollen wir darum kneten, einen Firniß des Anstandes. – Und dann, ja man muß sich für eine bessere Zukunft konserviren.« Der Regierungsrath blickte ihn ernst wehmüthig an: »Wir gingen so lange mit einander! Sollen wir so scheiden!« »Ein zerronnener Traum! Preußen hatte die Aufgabe, Deutschland zu retten, es hat sich nicht selbst zu retten gewusst. Den letzten Rest seiner öffentlichen Ehre hat es geopfert, selbst den Rest der Ehrlichkeit, auf die es sich brüstete, warf es in den Tiegel.« Der Rath ging im Zimmer auf und ab; er sah nicht, was auch dem Militär entging, daß ihr lautes Gespräch einen Vorübergehenden angelockt, der an der Schwelle der geöffneten Thür stehen geblieben. »Unterscheiden Sie wenigstens die Nation von – Denen, die Sie brandmarken.« »Wer ist die Nation? Wo sitzt sie? Wo schlägt ihr Herz wo drücke ich ihre Hand? Das ist die ungeheure Täuschung, daß wir dieses Konglomerat von Gliedern für einen organischen Körper ansahen. Hier, wo alle Adern zusammenfließen sollen, glaubte ich das Herz gefunden zu haben. Was fand ich? Zwei Rassen, man sollte meinen, von verschiedener Abstammung, Sprache, Hautfarbe, wie Niebuhr die Römer seciren will. Zwei Rassen, die sich ausweichen, verachten, hassen, Militär und Civil genannt! Dies Militär knirscht freilich, aber was hilft uns das Knirschen der Maschine mit knarrenden Rädern! Dieser Koloß ohne Elasticität kann noch zermalmen, nicht mehr retten, befreien, weil ihm der Odem fehlt. Der Mensch, der Mann, der Bürger, ja der Ritter selbst, ging unter in der vielgelobten Disciplin. Da sollen wir Kämpfer, Paladine suchen für die ewigen Güter der Nation, wo Gefühl dafür, Bewusstsein, der feurige Willen zum Verbrechen ward! Ein paar elende Kreaturen, gehasst verachtet von Allen, selbst von Denen nicht geliebt, in deren Stimmungen sie sich einhüllen, um sie im Schlaf zu beherrschen, die sind wichtiger, als dieses mächtige Heer. Was ist nun dieser gewaltige separirte Theil der Nation, den man als ihr anderes Selbst im Auslande betrachtet, wenn sein zornschnaubender Hauch nicht mal diese Lumpenmänner fortbläst?« »Die Nation besteht nicht allein aus dem Militär.« Der Major war sonst kein Mann von vielen Worten, aber wenn eine Schleuse geöffnet, hältst du das Wasser nicht zurück. Die Feuersäule, die ein Haus ergreift, sprüht mit dem trocknen Gemüll auch Gebälk und Steine in die Luft. »Ich kenne nun auch die Andern. Durch das Geflimmer der Worte sah ich ihre Wahrheit. Viel buntes Glas, einige böhmische Steine und wenige Diamanten; durch die gut geschliffenen Gläser glänzt es von fern wie ein Eldorado. Große Versicherungen und kleine Thaten, ein beständiges Streben nach dem Höchsten, aber der Weg führt durch Moor und Sandsteppen des Albernen und Frivolen. Auf Stelzen vor Freund und Feind, und wenn sie die Thür zuschlossen, spotten und lachen sie über sich selbst. Gedanken, große und schöne, aber wie Irrlichter; sie erblassen schon auf der Lippe. Vom Boden habt Ihr Euch gelöst, der dürftigen Natur, die Euch der Himmel anwies. Ihr konntet wie Sturmvögel Euch andere Regionen suchen, aber nun flattert Ihr, von Euren ermatteten Adlern verlassen, zwischen Himmel und Erde, und wisst nicht, wohin. Ueberall vor Rücksichten scheuend, zittert Ihr vor Eurer eignen Kraft. Um's Euch nicht zu gestehen, woran Ihr krankt, am Glauben an Euch selbst, hüllt Ihr Euch in Wolkenpaläste und klammert Euch an Systeme, die beim nächsten Sturmwind zerrissen sind. Dies Scheinleben ist das Zehrfieber, das Euern Staat vom Winkel bis zur Zeh entnervt. Eine angezündete Fackel wollten sie neulich schleudern, ein Weltbrand sollte es werden, aber sie waren zufrieden mit Kolophoniumblitzen. Da in den Flammenzuckungen dieses verunglückten Theaterabends konnte man die ganze Misere erkennen. – Auf dem Theater sollte die Welt zurecht gelegt werden, und mit Recht, denn diese Welt ist nur eine Theatervorstellung. Man spielt sich selbst und ist zufrieden, wenn man gut gespielt hat.« Fuchsius halte mit verschränkten Armen und verbissenem Munde schweigend zugehört. Jetzt öffnete er ihn, aber was er sagen wollte, schien er rasch zu verschlucken. Tonlos sprach er: »Sie aber sind noch nicht zu Ende, Major. Ich erwartete, daß Ihre Philippica auch die Schlittenpartie der Gensd'armen der Nation auf ihr Schuldconto schreiben würde.« »Ist denn seit vierzehn Tagen von Besserem die Rede? Ist Mark und Niere durchschüttert von der Satyre des Weltgeschickes, daß man auf den Brettern den Krieg spielte, derweil er draußen im Blute von Austerlitz schon ersäuft war, daß man über einen Sieg jubeln konnte, tagelang noch die Blätter Lorbeern den Russen zuschmeißen, derweil in den unterrichteten Kreisen Jeder vom Gegentheil wusste? Nichts von Erschütterung. Man hatte von Wichtigerem zu plaudern: ob der Blutsturz des jungen Herrn Bovillard ein gefährlicher, oder nur ein bischen Bluthusten war? Ob seine ganze Lügenpost nur eine Intrigue, um seiner Geliebten in einer interessanten Situation näher zu kommen? Ob die Madame Lupinus im Recht ist oder die Gargazin? O wer da den Einblick gewönne in dies höchst intrikate wichtige Ränkespiel der beiden Frauen! Ob die Lupinus, wie ihre Freunde sagen, wirklich die Tugendwächterin war für die hübsche Mamsell Alltag? Ob sie das junge Mädchen bewacht und bewahrt hat vor der Leidenschaft für den jungen Wüstling, und ob sie nur in edler Entrüstung zurückwich, als die Sache zu einem öffentlichen Skandal umschlug? Hannibal vor den Thoren, und sie streiten, ob die Gans in Moll oder Dur gegackert hat, als Brennus stürmte!« »Und das Resultat, Herr Freiherr von Eisenhauch?« »Daß Deutschland auf den Neumond hoffen mag, auf einen Kometen, auf die Sturmbraut, meinethalben auf Napoleons Großmuth, auf Alles, nur nicht auf Preußen.« Fuchsius hatte seinen Hut ergriffen: »Wenn eine Epidemie herrscht, lohnt es, dünkt mich, nicht der Mühe, zu untersuchen, wer der Kränkste ist. Leben Sie wohl. Wir sind alle krank, Major, sehr krank. Preußens Genius verzeihe Ihnen, was Sie sprachen, wenn Sie einen gesunderen finden.« Er hörte nicht mehr die Worte, die mit sonorer Stimme durch die offene Thür in das Zimmer schallten: »Herr Major, eine Beleidigung, dem Staate zugefügt, trifft auch jeden Bürger.« Den Hut auf dem Kopfe, den Stock in der Hand, der krampfhaft auf dem Boden hämmerte, stand der Major Rittgarten auf der Schwelle. Unter seinen grauen Wimpern schossen die Augen zornfunkelnde Blicke auf Eisenhauch. Beide mochten sich als Hausgenossen kennen, ohne in nähere Berührung getreten zu sein. »Was ich gesprochen, war nicht an den Major Rittgarten gerichtet.« »Noch hoffe ich, daß Sie den Einwand machen, daß er bei offener Thür Sie belauschte.« »Was ist Ihr Wunsch?« »Der Staat, den Sie geschmäht, kann nicht von Ihnen Rechenschaft fordern. Ich fordere Sie, ein alter Militär, der unter Friedrich focht und bald dahin geht, wo sein großer König sie von ihm fordern wird.« Mit dem Mitleid der Achtung blickte der jüngere Militär den älteren an: »Ich ehre Ihren Schmerz und achte Ihren Muth; beide aber nicht als Legitimation, den Handschuh für ein Etwas mir zuzuwerfen, was Sie nicht persönlich betrifft.« »Sie haben das preußische Militär beleidigt, die Ehrenkränkungen meiner Brüder nehme ich auf mich. Sie haben das Preußische Volk geschmäht, dies treue, gute, rechtliche Volk. Sein Blut rinnt, wenn auch langsam, doch zu heiß noch in meinen Adern, um mit diesem ungerächten Fleck vor meinen König zu treten. Ihre Antwort?« »Nur eine Frage: war, was ich sagte, unwahr?« »Zu der Frage haben Sie kein Recht. Sie sind nicht Richter. Nicht unter diesem Dache, nicht auf diesem Boden, der Sie gastlich aufnahm, dürfen Sie das Volk schmähen und den Fürsten, dem das Volk vertraut. Und wenn ich Ihnen antwortete, verstehen Sie meine Sprache nicht.« »Eh' der Verklagte antwortet, muß er die Klage kennen. Treten Sie für jene Offiziere ein, die ich meinte? Vertreten Sie jene Eitlen, Schwachen, Nichtigen –« »Ich sagte Ihnen darauf schon meine Meinung.« »Aber unter Ehrenmännern, ehe man zum äußersten Ernst schreitet, sucht man Verständigung über das, worüber der Streit ist. – Sie haben mich vorhin angehört, ich sprach im Zorn. Lassen Sie mich jetzt auch Sie anhören, ich will auch Ihren Zorn ruhig hören.« »Kennen Sie unser Volk? Wenn Sie an enem Kranken seine Geschwüre zählen, kennen Sie darum sein Herz und seine Nieren? – Wer justificirt und glorificirt sich denn in seiner Schande? Das Preußische Volk etwa? – Wer schreibt die salbungsvoll duftenden Staatsschriften? – Söldlinge, oft Fremdlinge, die das Volk aus Grund der Seele verachtet. Wen treffen Ihre Epigramme? Spielen die braven Herzen, die in Pommern und Ostpreußen, in Schlesien und Westphalen für des Vaterlandes Ehre schlagen, in Berlin Theater? Sie zucken die Achseln! Wo haben Sie es gefunden, daß das Volk niederträchtig denkt und feig handelt? Sie haben nicht herausgehört das stumme Zähneknirschen, die blutenden Herzschläge, als sie den letzten Rest, wie Sie meinen, seiner Ehre und Ehrlichkeit in den Tiegel warfen. Die warfen hinein als schlechte Verwalter, was sie aufgegriffen. Aber nicht die Herzen des Volkes. Die hat es ihnen nie zum Aufbewahren gegeben, die hat es aufgehoben für eine bessere Zeit. Es ist kein Rest da, sage ich Ihnen, der volle Stock von Ehre und Ehrlichkeit liegt noch in unsrer Brust. Wer ist die Nation, wo sitzt sie, fragen Sie? Wer hat sie denn schon aufgesucht in ihrem Heiligthum? Wer hat denn schon dies Volk gefragt, wer hat es denn gerufen? Der große Kurfürst einmal, und da kam es, Friedrich rief es sieben Mal, und sieben Mal stand es da mit Gut und Blut. Diese – haben es nicht gerufen, weil sie es nicht wagen, sie zittern vor dem Geist, den sie aufrufen könnten, vor dem ihre Erbärmlichkeit in Staub und Spreu versänke. Aber rufen sie es einmal, bei dem rechten Namen, auf den es hört, mit dem rechten vollen Ton, der in Mark und Nieren schmettert, und es kommt. Dann, mein Herr, gebe ich Ihnen mein Wort, wird es nicht vor Denen scheuen, die seine Fleischtöpfe verrücken wollen; es wird glauben, ja, nicht an die schönen duftenden Reden der Herren am Ruder, an seine Bestimmung wird es glauben, an die Stimme der großen Fürsten aus der Gruft, und selbst wird es seine Fleischtöpfe ausschütten für Alle, die für das Vaterland streiten wollen!« Eisenhauch machte eine Bewegung, als wolle er die Hand des Veteranen ergreifen. Aber dieser blieb in seiner festen Stellung: die Hand umklammerte den Stock. »Wir sind ein ander Geschlecht,« fuhr er ruhiger fort, »als Sie draußen; ja es ist so, das Warum kümmert Sie und mich heut nicht. Wenn wir krank wurden, können wir uns nur selbst heilen; Ihre Aerzte thun es nicht, sie verstehen unsre Natur nicht. Aber etwas, mein Herr, sollten Sie kennen. Die Blätter der Geschichte lehren es. Wenn wir am tiefsten erniedrigt schienen, die Welt uns verloren gab, dann grade schnellten wir in Jugendkraft zur vorigen Größe.« »Wem gab die Natur ewige Jugend!« »Sie sagen, wir haben uns vom Boden gelöst, auf dem wir wuchsen, und flattern haltlos zwischen Himmel und Erde, weil wir nicht Muth haben, vorwärts ins Blaue uns zu stürzen. Ich geb's Ihnen zu. Aber wir haben Vertrauen; noch haben wir's, Herr Major. Der Fürst vertraute dem Volke, das Volk dem Fürsten. So lange das Band hält, ist Preußen nicht verloren. Wie oft traten Retter auf, als die Noth am größten, die Klügsten keine Aussicht sahen, die Muthigsten verzweifelten. Man sagt, daß der große König Gift in seinem Ringe trug. Gebraucht hat er es nicht. Nicht bei Kollin, nicht in der Nacht von Hochkirch, nicht als er mit seinem Häuflein, wie der Mannsfelder, durch seine Staaten irrte. In sich selbst und aus der Verwüstung heraus fand er sich wieder. Und in welcher anderen Wüste rettete, schuf der große Kurfürst seinen Staat! Wo überall, wie von Gott geschickt, unerwartet, der David auftrat, der den Goliath niederwarf, wo diese Rettungen aus Zerwürfniß und Elend recht eigentlich die Quintessenz unserer Geschichte sind, warum da glauben, daß sie jetzt zu Ende sind? Warum nicht festhalten an dem, daß zur rechten Zeit der rechte Mann sich wieder einfindet? Wir sind jetzt erniedrigt, ja, dupirt vor aller Welt, vor uns selbst am meisten, ein Sumpf von Fäulniß, überdeckt mit einem Flimmer von Eitelkeit und Hochmuth – aber es gab noch verwüstetere Geschlechter vor uns und Gott gebe, daß nicht noch verwüstetere nach uns kommen.« Eisenhauch sah, einen Schritt zurücktretend, dem alten Mann feierlich ins Gesicht: »Sie fordern von mir Genugthuung?« »Und mitleidig blicken Sie auf meinen schwachen Arm. Wenn er den Degen nicht mehr führen kann, ist er doch stark genug, um die Pistole zu heben, und stark genug ist der Greis, mein Herr, der Mündung Ihres Feuerrohrs ins Auge zu sehen.« Eisenhauch hatte ein Pistolenpaar in der Hand, aber er warf sie in den Kasten: »Ich nehme Ihre Forderung an, aber – für später . Jetzt haben andre Missionen das Vorrecht. Mein Herr, ein großes Schlachtfeld breitet sich vor uns aus. Ob morgen, ob nach Monaten, ob nach Jahren die Hunderttausende, zum Morden bereit, sich gegenüber stehen, darauf kommt es nicht an. Aber es muß kommen. Geblutet muß werden, gebrannt, vertilgt, und der Sturm muß fegen durch die verpesteten Winkel. Fragen Sie sich, die Hand auf der Brust, ob's die Winkel allein sind, ob das Miasma nicht auf den Heerstraßen weht, in den Schlössern und Städten, ob's nicht in den Schreibestuben und Wachtstuben die Brust dem Redlichen zusammenschnürt. Draußen im Reiche ist es zusammengebrochen. Was da liegt, faul und morsch, jedem Kinde ist's klar. Hier ist noch ein gleißender Firniß darum. Aber reißt die Schale ab, Herr, Sie zittern selbst, Sie ahnen oder Sie wissen, was darunter, ich will nicht noch einmal Ihren Schmerz stacheln. Ich aber sehe vor mir, wenn auch dieses letzte stolze, thurmreiche Schloß zusammenstürzt, nur Verwesung, eine unermessliche Leichenwüste. – Herr Major, ein letztes Wort: wenn der Tod seine Fackel über uns Alle schwingt, wenn Deutschlands, Preußens, Oestreichs Name ausgelöscht ist, dann ist auch unser Streit begraben – ein Höherer mag richten, wer mehr gefehlt. Wenn aber Gott entschieden hat, daß es in Deutschland noch ein Volk giebt, nicht reif zum Helotenstamm, und Preußen ist dies einzige Volk – dann, mein Herr, stehe ich Ihrer Kugel.« 55. Kapitel. Innerlich Lachen an einer Berliner Börse Fünfundfünfzigstes Kapitel. Innerlich Lachen an einer Berliner Börse. An der Berliner Börse war ein Plakat angeschlagen. Der Freiherr von Hardenberg hatte der Kaufmannschaft eröffnet, daß Preußens Lage von der Art sei, daß nun alle Besorgnisse für Handel und Verkehr gehoben wären, indem es Seiner Majestät dem Könige gelungen, »den Frieden auf genügende Art zu behaupten.« Jeder möge daher im vollen Vertrauen auf die Fürsicht einer Regierung, die kein ander Ziel habe als das Wohl ihrer Unterthanen, seinen Geschäften und Unternehmungen nachgehen. Außer dieser amtlichen Bekanntmachung mehrere Avertissements von Seiten des Börsenvorstandes: Der Graf von Haugwitz sei als außerordentlicher Preußischer Gesandter in Paris mit vieler Freundlichkeit empfangen worden. Ferner: Der König berufe den größten Theil seiner Truppen in ihre Kantonnirungen zurück und danke ihnen für ihre bewiesene Treue. Man sah vergnügte Gesichter. Sie sprachen sich ins Ohr. Vielleicht hatten sie Rücksichten, daß sie nicht laut sprachen. Einige riefen auch Bekannte aus dem Publikum, die über den Lustgarten gingen, heran, und mit ihnen ward noch stiller, vertraulicher konversirt. Von diesen ging dann auch Mancher, nach einem herzlichen Händeschütteln, mit erheitertem Gesicht von dannen. Andere aber gingen, die Hände auf dem Rücken, den Kopf gesenkt, schweigend fort. Der und Jener schüttelte wohl den Kopf und wandte dem Andern hastig den Rücken, um sich aus dem Getümmel zu verlieren. Wie Viele froh waren und wie Viele betrübt, ist nie gezählt worden. Einer saß auf einem der Steinpfeiler nach dem Lustgarten hinaus. Es war ein sonniger Tag, und in seinem Kalmuckrock mochte er wohl den Winter vergessen. Sein Gesicht sah aber nicht aus, als ob ein lauer Maienwind darüber streife, es glich den blätterlosen Zweigen der Platane, die weiß angelaufen vom Morgenreif sich über ihm leise wiegten. »Na Sie, hören Sie mal, Sie können doch nur lachen,« sagte ein Herantretender. »Warum denn wie ein Eisbär, Herr van Asten?« »Ich lache auch, Herr Baron, Sie sehen's nur nicht, ich lache innerlich.« Des Barons beide Hände klimperten in den Seitentaschen mit Geld: »Ich glaube, Sie wären kaput gewesen mit allen Ihren Forderungen aus Militär.« »Kaputwerden heißt ja wohl den Kopf verlieren?« »Halten Sie Ihren fest.« »Mancher hält's für ein groß Unglück, Herr Baron.« »Das will ich meinen!« »Mancher aber meint man könnte auch ohne Kopfleben.« »Sie Bonmotiseur, Sie! Warum lachen Sie denn aber nur innerlich? Meine Frau sagt, man kann äußerlich lachen, und weint innerlich. Das begreife ich. Ein ästhetisches Gemüth ist immer sentimental. Das bin ich nicht, Sie sind's auch nicht, van Asten. – Aber, wissen Sie, was mir entgangen ist?« »Ihre Operntänzerin? Davongelaufen?« »Nein, keine Plaisanterie! Haben Sie nichts davon gehört? Sie haben's im Kriegsministerium ausspintisirt, daß der Infanterist im Winter auch friert. Mäntel sollten sie kriegen – wenn's zum Krieg gekommen wäre, nämlich. – Na nu, was sagen Sie? Ich hatte schon ein Dutzend neue Stühle eingerichtet. Soll ich nun für die Kalmucken weben lassen?« »Für die Franzosen, Herr Baron, die nehmen das Tuch auch ungeschoren.« »Ohne Spaß, Herr van Asten; ich hätte 'nen guten Schnitt bei gemacht.« »Liebster Baron, Sie sind ein excellenter Fabrikant und guter Kaufmann, aber erlauben Sie mir, Sie huldigen zu sehr den Phantasien. Ich meine, Sie sind zu leicht exaltirt von Ideen. Mäntel für die Infanterie! Ich bitte Sie, hatten Friedrichs Musketiere Mäntel? Man hat Ihnen was aufgebunden. Erfindungen eines neuerungssüchtigen Kopfes! Hohle Theorien! Und unsere Regierung! Liebster Baron!« »Die Franzosen haben ja schon Mäntel!« »Desto schlimmer! Wer wird denn denen was nachmachen wollen!« »Pfiffikus Sie!« sagte der Baron und spielte mit seinen großen Berloquen. Die Sonne schien eben so wohlgefällig mit seinen Brillantringen zu spielen. »Na, nu sagen Sie aber mal, warum lachen Sie denn innerlich?« »Daß wir so 'nen schönen Frieden haben, und sogar auf genügende Art.« »Wer Sie nicht verstände! Was geht's uns an, sage ich.« »Das sage ich auch, Herr Baron.« »Ihre Forderungen in Hannover kann Ihnen nun Schulenburg-Kehnert eintreiben. Mit dreiundzwanzig Bataillonen und fünfundzwanzig Schwadronen rückt er ein. Wollen Sie noch mehr Exekutoren?« Ein Dritter, der hinzutrat, sagte: »Wir haben doch nun eine zusammenhängende Grenze gewonnen. Anspach konnten wir nicht schützen, um Hannover brauchen wir nur den Arm auszuspannen.« »Nicht zu weit,« fiel van Asten ein. »Das Tuch des Herrn Baron reißt sonst an der Achsel.« »Das Gespräch war allgemein geworden.« Ein Vierter sagte: »Was hilft alles Umarmen, wenn kein Herz uns entgegen schlägt! Der Hannoveraner liebt uns nicht, und die Anspacher ringen die Arme, daß wir sie aufgeben. Sie haben ein Schreiben geschickt, daß man sie, die treusten Söhne des Vaterlandes, nicht vom Vaterherz reißen solle.« »Sehr schön gesagt,« sagte Baron Eitelbach im Abgehen zu einem Begleiter. »Sehr rührend würde meine Frau sagen. – Was gehn mich die Anspacher an! – Der alte van Asten könnte mich dauern, wenn er nicht solchen heillosen Schnitt gemacht. Hat auf den Frieden spekulirt. Glauben Sie mir, Dreißigtausend gebe ich für seinen Abschluß. Pfiffig ist er, aber warum hat er seinen Sohn so erzogen! – Ein Civilist muß das Militär gehn lassen. Wofür ist des Königs Rock! Ist nun in der Bredouille. Kann sehn, wie er ihn rauszieht. Thut mir wahrhaftig leid, der Mann. Ja, warum hat er ihn nicht besser erzogen! Das kommt davon.« »Was ist Ihre Meinung, Herr Mendelssohn?« fragte ein jüngerer einen älteren Kaufmann von sehr klugem Gesicht. »Wir sind weder dreist genug, das trügerische Geschenk zu behalten, noch stark genug, es von uns zu weisen, darum ergreifen wir den beliebten Mittelweg, wir suchen den Schein zu retten und den Gewinn auch.« »Aber wir haben den Schönbrunner Vertrag ratifizirt.« »Wir ratifiziren nichts, wir statuiren nur Provisorien, um uns eine Hinterthür zu lassen. Und indem wir den Vertrag modifiziren, heben wir ihn eigentlich auf. Bis zum allgemeinen Frieden soll alles zwischen Preußen und Frankreich bleiben, wir sollen keins der versprochenen Länder räumen, Hannover nur besetzen und hoffen, daß die Engländer bis dahin ein Einsehen bekommen und uns um Gottes Willen bitten, doch Hannover zu nehmen.« »Was die Nachwelt dazu sagen wird! Die treuen fränkischen Lande fortzuschleudern, ohne Besinnen und Reukauf, und die Gegengabe dafür nur mit Vorbehalt anzunehmen!« »Die Nachwelt hat kein Konto in unserm Buche.« »Aber was schreiben wir auf unseres?« »Das angenehme Gefühl, daß wir edel gehandelt haben.« »Und was Napoleon dazu sagen wird!« »Sie hören's ja. Er hat Haugwitz ›mit einer Freundlichkeit empfangen, die eine günstige Deutung erlaubt‹.« »Ob sie nicht erröthen, indem sie es bekannt machen?« »Schamröthe ist eine Illusion der Vergangenheit.« »Aber Napoleon!« »Er lacht auch innerlich, wie unser Herr van Asten. Aber was ist mit ihm da!« »Ein Kavallerieoffizier auf der Börse! Geht die Welt unter!« Der Offizier war der Rittmeister Stier von Dohleneck. Es war eine kleine Aufregung. Der Rittmeister schüttelte in einer Art Extase dem Kaufmann die Hand, fast schien es, er fühle sich in Versuchung, ihm um den Hals zu fallen, aber das schickte sich nicht. Der Kaufmann war aufgestanden, er hatte die Hand des Offiziers noch ein Mal ergriffen, sie gedrückt, dann fahren lassen und war auf den Stein zurückgesunken. Der Rittmeister war wieder fortgeeilt. »Ein braver Mann, der Herr von Dohleneck.« Es waren frohe Gesichter. Wie sollte es auch nicht; seine Botschaft war eine frohe und van Asten ein geachteter Mann auf der Börse. Bald wussten Juden und Christen den Inhalt: das Ehrengericht der Offiziere hatte sich endlich dahin geeinigt, daß der junge Walter van Asten an jenem Abende nur in einer entschuldbaren Affektion mit dem Kornet in Konflikt gerathen, ohne seinen Stand kränkende Intention, daß er seinen Arm nur berühren wollen, um ihn auf etwas aufmerksam zu machen, und allein durch den Stoß eines Nachbars habe er sich an dem Arm festgehalten und damit durchaus nicht den Rock des Königs attentiren wollen. Die Sache wäre also eine reine Privatsache zwischen dem Kornet und dem Kaufmannssohn, letzterer aber, angesehen, daß in niederländischen Familien, unter dem vorgesetzten van nicht selten alte adlige Abkunft sich cachire, auch der junge Walter nicht erweislich hinter einem Ladentisch stehend gesehen worden, eine Person, von der ein Kavalier, in Anbetracht der Umstände und der Meriten seines Vaters, ohne sich etwas zu vergeben, Satisfaktion fordern möge. Das Zeugniß des Kornets selbst hatte diesen Spruch, an den Niemand vorhin geglaubt, veranlasst. Wer anders als sein Oheim, der Rittmeister, war das bewegende Motiv gewesen! »So belohnt sich eine gute That,« raunte ein Freund dem Vater zu. »Ein braver Mann, der Rittmeister,« wiederholte der Chor. »Na, nu können Sie auch äußerlich lachen, Herr van Asten,« sagte der wieder hinzugetretene Baron – »der Friede, der Schnitt und der Sohn ohne Kriminal und Prison davon gekommen. Was wollen Sie mehr!« »Lache ich denn nicht!« rief der Alte und lachte, so laut, daß die Davongehenden noch auf dem Lustgarten sich verwundert umblickten. »Es ist des Glücks nur zu viel! Das Zahlbrett voll zum Einstreichen, ein Friede, der uns genügt, und so viel Patriotismus an der Börse, und alles in Ruhe und lauter Ordnung im Lande, und mein Sohn – mein Sohn kriegt die Erlaubniß, von den Herren Offizieren sich 'ne Kugel durch den Kopf jagen zu lassen! – Verzeihen Sie, meine Herren, wenn ich genug gelacht habe, daß ich auch ein bischen weine, denn das große, unverdiente Glück habe ich alter Esel mir selbst angerichtet.« 56. Kapitel. Ein Mann von zu vielem Sentiment Sechsundfünfzigstes Kapitel. Ein Mann von zu vielem Sentiment. »Was giebt es Neues?« rief der Geheimrath Bovillard dem Legationsrath entgegen, und lud, ohne sich im Frühstück stören zu lassen, durch eine Bewegung den Eingetretenen zum Platznehmen ein. Die Zerlegung eines Kapaunenflügels schien ihm einige Anstrengung zu verursachen. Uebrigens sah Herr von Bovillard gemüthlicher aus als in letzter Zeit; die Runzeln waren gewichen, das Gesicht glänzte, besonders die unteren Theile, das Kinn hatte etwas Charakteristisches, was sich in den Augen widerspiegelte, obgleich die Lippen erst der eigentliche Ausdruck waren. Herr von Bovillard gab heute kein Schauspiel für Andere, sonst würde er die Aermel des Rockes nicht aufgekrämpelt getragen, nicht den Zipfel der Serviette im Halstuch befestigt haben. Er war für sich, der Schmecker mit Bewusstsein, aber der Zutritt eines Freundes, wie Herr von Wandel, störte ihn nicht. Auch dieser nahm mit vollkommener Aisance einen Platz neben dem Esser. »Das Neueste hoffe ich von Ihnen zu erfahren.« »Da,« sagte Bovillard und goß in ein vasenartiges Krystallglas aus der Weinflasche. »Prüfen Sie, wie schmeckt es Ihnen?« »Es schmeckt wie der beste Champagner, schäumt aber nicht.« » Non mousseux, neueste Erfindung. Eben aus Epernay mir zugeschickt. Es hat es noch Niemand hier. Darum Diskretion. Was sagen Sie dazu?« »Der Schaum dünkt mich doch die lockende Fahne, unter der der Champagner die Welt erobert hat. Man soll nie ohne Noth seine Fahne aufgeben.« »Ihre Säuren, Wandel, Ihre Chemie hat Ihnen den Geschmack verdorben. Ihre Zunge fühlt das Richtige heraus, aber über die Kritik ist Ihnen die petillirende Lust daran vergangen. – Sehen Sie mich an, ich kann mich über die Entdeckung wie ein Kind freuen. Woran auch sich halten, wenn man nicht bisweilen wieder zum Kinde würde!« »Die Nachrichten lauten übel, Geheimrath. Napoleon ist ein Anderer geworden, seit unsere Truppen in ihre Kantonnements zurückgekehrt. Was er fordert ist nicht mehr der Schönbrunner Vertrag, heißt es. Ja, man spricht, daß Haugwitz wirklich am 15. Februar diesen neuen, noch demüthigerenden Vertrag abschloß. Er liege jetzt dem König zur Unterzeichnung vor.« »Liebster, bester Freund, warum hören Sie darauf? Sie brauchen es doch wahrhaftig nicht. Ja, es steht schlimm, sehr schlimm, wir werden noch mehr nachgeben müssen, aber wer ändert es? Sie nicht, ich nicht, Niemand. Man muß laviren und abwarten, bis ein glückliches Changement kommt. Wir sind in einen Sumpf gerathen, je mehr wir strampeln, um so tiefer versinken wir. Nur nicht die gute Laune verloren. Hören Sie draußen den Leiermann: Es kann ja nicht immer so bleiben Hier unter dem wechselnden Mond. Da, trinken Sie, oder wollen Sie schäumenden? Ich klingle.« »Der Wein ist gut, aber er steigt zu Kopf.« »Nun denken Sie an den armen Haugwitz, wie es in seinem aussehen muß. Kann er dafür? Verdenken Sie's ihm, daß er sich auch nicht beeilt aus Paris zurückzukehren? – Die schnaubende Koterie hier in Reiterstiefeln, die Rüchel, Blücher, die Prinzen! Und das Geschwätz, Gesinge, Gebrüll hinter ihnen.« »Die Gnade Seiner Majestät wird, als schirmender Fittich, ihn vor Outrage bewahren.« Herr von Bovillard schien bereits in einer behaglichen Weinlaune: »Gewiß. Der König lässt ihn nicht los. Wissen Sie, eigentlich – eigentlich kann er ihn auch nicht leiden, wie uns Alle nicht, aber – das ist es eben. – Trinken Sie doch, Wandel, man kann jetzt nichts Besseres thun. C'est le mystère de notre temps, daß wir unentbehrlich sind. Von der Kanaille bis ins Schlafgemach Seiner Majestät, – sie können uns Alle nicht leiden, möchten uns köpfen, erwürgen, vergiften – von unsern Posten jagen –« »Wo findet Seine Majestät Staatsmänner –« Mit einem sehr pfiffigen Blick und einer eigenthümlichen Handbewegung fiel der Geheimrath ein: »Er findet sie schon, er braucht nur auf die Straße raus zu greifen –« »Die Lust haben Minister zu sein, ja, aber Männer Ihres Scharfblicks!« »Wissen Sie, was Oxenstjerna an seinen Sohn schrieb: Mein Sohn, Du glaubst nicht, etcaetera. Liebster Wandel, warum denn nicht Wahrheit zwischen uns! Wenn wir uns in dem Spiegel sehen – und doch – in keinem Stande Freunde, und doch – wir bleiben, wir werden bleiben, und Sie und ich, wir wissen, warum wir bleiben. – Auf das Wohl Seiner Majestät des Königs! – Das begreifen Seine reichsfreiherrliche Gnaden, der Herr von Stein nicht. Voilà le miracle! Wie lange ists nun schon her, daß er uns Alle aus dem Sattel werfen wollte! Wenn wir doch Karikaturmaler hätten! Herr von Stein als Mauerbrecher! Herr von Stein legt den Widder an, erster Moment. Herr von Stein fährt fort am Bock zu drehen, zweiter Moment. Dritter, vierter, fünfter etcaetera, Herr von Stein steht noch immer am Bock. Finale: Herr von Stein schlägt hinten über, er hat einen Bock geschossen. – Aber Sie trinken ja nicht. Vive la bagatelle! – Schnell, was Neues aus der Stadt.« »Das Duell hat endlich stattgefunden.« – »Beide maustodt?« – »Blut ist geflossen.« – »Hätte nichts geschadet. Warum zanken sie sich! Diese Militair- und Civilraufereien sind mir in der Seele zuwider.« »Der junge van Asten hat sich eine Renommée gemacht. Die Officiere glaubten nicht, daß er den Kampf auf krumme Säbel annehmen werde. Der Kornet ist ein Schläger à merveille. Der Gelehrte ging aber drauf los, und die Herren von den Garde-du-Corps stecken jetzt wieder die Köpfe zusammen, denn er trieb seinen Gegner Schritt um Schritt bis in die Büsche.« »Und das Ende vom Liebe?« – »Er war an der Schulter verwundet, cachirte es aber, und als die Sekundanten es merkten, hatte er den Kornet schon in eine verzweifelte Position gebracht. Auf einen Hieb flog der Säbel des Offiziers zu Boden.« – »Und der Kornet mit?« – »Nur ein Fetzen von seinem Aermel und etwas Fleisch und Blut. Gerade genug, um ihn kampfunfähig zu machen, wenn er nicht schon desarmirt gewesen wäre.« »Und der Held von der Feder versetzte ihm den Gnadenstoß?« »Bewahre! Er senkte die Waffe, trat zurück, und fragte bescheiden die Sekundanten, ob nun der Ehre genug geschehen sei? Man hätte es für ritterlich gehalten, wenn –« »Ein Roturier ein Kavalier sein könnte,« unter brach ihn Bovillard. » Qu'importe! Er hat gehandelt, wie man uns vorwirft, daß wir handeln, wir nutzen den Vortheil nicht, der uns in die Hände gespielt ward. – Wandel, Sie haben vielleicht Recht. Vive la générosité! « »Die Sekundanten erklärten nach einer längeren Berathung die Sache für ausgeglichen. Der Fleck am Aermel, den die Hand gemacht, sei durch den Säbel reparirt.« »Der ihn loshieb!« fiel Bovillard ein und gähnte. »Legationsrath, was wären wir ohne den Witz in Ehren- und Staatssachen! Die Welt wäre längst bankerott ohne die Kunst der Auslegung. Der Starke wirft sein Wort wie Brennus' Schwert auf die Goldwage; aber der Schwache muß das Körnchen Mutterwitz wie der Goldschläger breit schlagen, um die Risse in der Logik und die falschen Raisonnements zu überkleben.« »Und das Volk gafft doch das Goldblech an, als wär's massiv.« »Wozu wär's das Volk und wir die Gescheiten! – Um eine Liebschaft war ja wohl die Affaire? Das Mädchen kann gute Geschäfte machen, es kommt en vogue!– « »Mehr Anwartschaft hätte der junge Gelehrte darauf, der, wie man sagt, aus Galanterie, oder wie einige behaupten, aus Gehorsam für seinen Vater zum Ritter an einer Dame ward, die er nicht liebt.« »C'est touchant!« sagte Herr von Bovillard und gähnte noch stärker als vorhin. »Man fängt überhaupt an von ihm zu sprechen, es wäre ein Charakter. Man spricht aber auch – von Ihrem Herrn Sohn.« Der Geheimrath, der wirklich müde schien, ward aufmerksamer. Er reckte sich in seinem Stuhl und goß ein frisches Glas Champagner ein, dessen Wirkungen er aber sofort durch ein Glas Wasser paralysirte. »Wie befindet sich der Patient?« » Mon pauvre fils! – Mein lieber Freund, wer macht die Erziehung? Ich habe oft darüber nachgedacht. An guten Beispielen – das war's eigentlich nicht, was ich sagen wollte, aber – das zweite Kind des Lupinus ist nun auch gestorben!« »Ein merkwürdiges Unglück, was diesen Mann trifft! Doch meinen auch Viele, es wäre ein Glück, für die Kinder nämlich. Bei der verkehrten Erziehung wäre nie aus ihnen etwas Gescheites geworden.« »Der Mann! Er Kinder erziehen! Wenn sie nach ihm geschlagen hätten! – Mein Louis, was ich sagen wollte, Heim meinte, es sei keine Gefahr, wenn er sich nur vor Exaltationen hütet!« – »Das wird schwer sein.« – »Das befürchte ich auch. Das Blut seiner Mutter. Was die für Nerven hatte! Ich bin ja bereit, Alles zu thun, er hat excellente Gedanken, aber ich muß Ihnen sagen, ich habe keine Autorit é. Im Disput gerathen wir immer an einander.« »Der junge Herr von Bovillard ist noch in andere Dispute verwickelt.« Wandel sprach es mit kalter Stimme. »Meinen Sie – die alte Geschichte!« Der Geheimrath warf dabei einen forschenden Blick auf ihn. »Mein Gott, ich glaubte die Kinderei längst beigelegt.« »Nur reponirt, meine ich, bis Ihr Herr Sohn die Güte haben wird, einen neuen Termin anzusetzen.« »Mann von Ihrer Klugheit und Philosoph! Ich bitte Sie –« Bovillard war jetzt aufgesprungen und ergriff die Hand, die Wandel halb zurückzog. »Die Ehrengesetze dieser Welt gehen über die der Klugheit und Philosophie.« – »Er wird zur Einsicht kommen und Sie sind mein Freund.« – »Und gewiß der Freundschaft jedes Opfer zu bringen bereit, nur nicht meinen unbefleckten Namen.« – »Wer redet davon! Ueberlassen wir den Kavallerie-Offizieren den krummen Säbel; wozu sind wir Philosophen! Die diplomatische Kunst wird mildere Lösungsmittel finden, als ein Stück vom Aermel und vom Fleisch dazu! Liebster Legationsrath, das findet sich ja.« – »Wenn ich als Beleidigter den ersten Schuß hätte, versteht es sich, daß, wo der Sohn meines Freundes vor mir steht, ich in die Luft feuere. Ihrem Herrn Sohn bleibt dann überlassen zu zielen, wohin er will.« Bovillard hatte Wandels Arm an seine Brust gedrückt: »Wir verstehen uns ja. Excentrisch ist er, aber Louis ist kein schlechter Mensch.« »Wenn ich die Freude erlebte, daß mein Freund Bovillard in seinem Sohne einen nützlichen Staatsbürger gewönne!« – »Er schwärmte auch einmal für die gloire Napoleons. Wer weiß, ob diese Phantasien nicht rediviv werden.« – »Er soll jetzt für einen anderen Gegenstand schwärmen. Die Fürstin Gargazin behauptete neulich confidentiell, die eigentliche Krankheit der schönen Mamsell Alltag sei nichts anderes als cachirte Liebe. Die Geheimräthin Lupinus ist in ihren Mittheilungen sehr diskret. Wenn ich indeß aus einigen hingefallenen Aeußerungen schließen darf –« »Sind Sie neidisch, daß mein Junge Glück hat bei den Frauen?« – »Nur ein väterliches Erbtheil. Wie ich höre, frequentirt er auch die Cirkel der russischen Fürstin. Er ist gern aufgenommen. Sollte dies mit den Wünschen und Absichten seines Vaters konveniren?« »Was geht es mich an! – Aber was geht es Sie denn an? –« »Nicht das Geringste, wenn Ihr Sohn nicht den Namen seines Vaters trüge. Die Fürstin ist eine liebenswürdige, feine, geistreiche Dame, aber sie gilt, mit Recht oder Unrecht, als die geheime Agentin Rußlands, man behauptet, daß sie mit Alexander in intimeren Verhältnissen gestanden. Ich gebe nichts auf diese Insinuationen, aber wer ihren Umgang sucht, wer viel in ihrem Hause erscheint, entgeht dem Verdacht nicht. Das kann in diesem Augenblick bedenklich werden, da Napoleon –. Genug, ich weiß, die Besucher des Hotels werden an jedem Abend verzeichnet und dann nach Paris telegraphirt.« Bovillard lachte auf, indem er jetzt erst die Serviette fortwarf: »Wissen Sie, wer am meisten bei der Gargazin gesehen wird? – Laforest! Konspirirt er vielleicht gegen Napoleon? Vielleicht aber ist er auch nur da um der Mamsell Alltag willen, oder um Comtesse Laura. Die ist jetzt auch ein Schooßkind der Fürstin. Duroc war auch bei ihr. Wissen Sie, was ich rausgebracht habe? Sie will die Alltag zu etwas machen, entweder zu einer Pompadour oder zu einer Heiligen. Sie erwartet nur Ordre deshalb aus Petersburg. Werther Freund, unter Freunden reinen Wein, was kümmert Sie mein Sohn bei der Gargazin?« – »Nicht der Sohn, nur die Auslegung, welche man seinen Schritten geben könnte.« – »Sind Sie so sehr um die Auslegung besorgt, welche die Leute den Schritten distinguirter Personen geben?« sprach Bovillard, ihn scharf fixirend. »Wissen Sie, wie man Ihre Schritte hier auslegt?« – »Ein unbedeutender Privatmann, der neben seinen wissenschaftlichen Studien nur als Dilettant in die politischen Kreise dringt, entgeht wohl der Ehre dieses Skrutiniums.« – »Haugwitz schreibt mir konfidentiell aus Paris. Für schweres Geld hat er eine Kopie der Personalbemerkungen über Berlin erwischt. Hören Sie, da sind doch Dinge drunter! – Haugwitz wird sich hüten und es drucken lassen. Laforest selbst weiß das nicht alles; es stecken Andere dahinter. Liaisons decouvrirt, die wir nicht ahnen konnten. Sie standen doch mit Eisenhauch in keiner Verbindung?« – »Es bedurfte keines Seherblicks, um die feuerfangende Nähe zu erkennen.« – »Man weiß in Paris, was er vorm Zubettgehen mit seinem Bedienten sprach, seine Lektüre vorm Zubettgehen, seine Briefe, die er schrieb und wieder zerriß. Ein wahres Glück, daß wir ihn los sind, aber – wissen Sie, was von Ihnen da steht?« fragte Bovillard mit einem schlauen, scharfen Blick. Wandels blaßgelbes Gesicht verfärbte sich nicht, nur ein flüchtiger Glanz belebte das dunkle, kleine Auge, um sofort in ein moquantes Lächeln überzugehen: »Vielleicht ist es entdeckt, daß auch ich die Zirkel der Gargazin besuche?« – »Pah! Drei Reihen Chiffren, die Haugwitz's Sekretär nicht dechiffriren konnte, und dann mit anderer Hand imperatorisch flüchtig daneben geschrieben: ›Wie viel würde er kosten?‹« – »Sie wollen mich doch nicht stolz machen, Bovillard! Um die nackte Klippe des Ehrgeizes ist mein Lebensschiff gesegelt.« – »So lange sie nackt aussieht. Wenn man aber im Vorbeisegeln zwischen den Riffen eine fette Trift entdeckt, legte Mancher wieder bei.« – »Es ist für mich eine durchaus sterile Insel.« – »Wohin denn? Das ist die Frage.« – »Ich verstehe die Legitimation derselben nicht.« – »Ich frage als Freund. Wo hinaus. Man muß doch endlich mit Ihnen ins Reine kommen. – Ich wiederhole Ihnen: mich täuschen Sie nicht. Sie sind kein Saint Germain etcaetera. Sie sind von unserm Fleisch und Blut. Halb nur wie ein Lebemann, halb wie ein Karthäuser in einem Schneckenhaus. Das Leben in Berlin ist theuer, auf Gold sitzen Sie nicht und Gold machen Sie nicht. Sie mögen ein vortrefflicher Oekonom sein, aber Ihre Thüringischen Güter verbessern Sie nicht in der Apotheke des Herrn Flittner. Die Delicen der Wissenschaft gönne ich Ihnen; wer aber den Champagner wie Sie über die Zunge schlürft, will sie nicht wie die Pedanten um ihrer selbst, er will etwas daraus für sich präpariren. Sie greifen nicht nach dem Monde, aber Sie erscheinen wie er aus der Wolke, um wieder dahinter zu verschwinden. Das ist hübsch um Kinder zu erschrecken und zu amüsiren, ein Mann will etwas anderes, als Laterna-Magica-Bilder auf die Wand werfen.« – »Meine Vermögensumstände, die Niemand kennt, erlauben mir –« »Sie schweifen ab. Auch ein Krösus will noch mehr. Was wollen Sie? – Daß man das nicht weiß, wirft ienen Schatten auf Sie. Wie lange sind Sie schon in Berlin? Ihr parait et disparait verstärkt den Verdacht; glauben Sie mir, alle Ihre Gefälligkeiten werden um deshalb falsch ausgelegt, und das ist es, was Haugwitz, ich will nicht sagen zu Ihrem Feinde macht, aber er hat eine Scheu vor Ihnen, er fürchtet Sie. Mein Gott, wir sind ja unter uns. Wollen Sie sich Napoleon verkaufen, haben Sie sich schon verkauft? Tant mieux, er bezahlt gut. Auf meine Diskretion können Sie hoffen. Es sind viele erkauft und doch gute Patrioten. Sie haben nicht einmal eine Pflicht zu brechen, und – wie gesagt, mich geht's nichts an. L'amitié surpasse la trahison. Enfin, wir sind ja auch Napoleons Freunde.« Der Legationsrath hatte die Stirn in Runzeln gelegt. Er stand wie in sich versunken, mit verschränkten Armen, den Blick, der in weite Fernen zu streifen schien, von dem Manne abgewandt, welcher eben so eindringlich zu ihm gesprochen. Es schien ein Selbstgespräch: »Wer dieses Meteor ergründete! Ob er wirklich der Wandelstern, der im Kreislauf der Aeonen wiederkehrt, wenn seine Zeit kam, die unsere Schwäche nur nicht ermisst, oder – nur die blitzende Nachterscheinung, der Komet, der seinen Schweif betäubend über unsere Häupter rasselt. Wir stehen gebeugt unter dem Hagel seiner Meteorsteine und –« Er hielt inne und athmete tief. »Und wer sich selbst getreu blieb, wird auch hier sich nicht betäuben lassen. – Nein – nein – auch diese Sonne von Austerlitz hat trübe Flecke. Groß und strahlend, aber je mehr sie der Mittagshöhe sich nähert, um so mehr sehe ich sie schwanken, zittern vor sich selbst. Auch er wird untergehen, indem er sich selbst überhebt. Nur wer fest und bewusst –. Ach, mein Gott,« fuhr er fort, wie aus seiner Träumerei erwachend. »Ich vergaß mich da in Gedanken, die nicht hierher gehören. Groß ist er, aber – sicherer Der, der sich an keine Größe lehnt, nur auf sich selbst.« Der Legationsrath hatte sich verrechnet, wenn er gemeint, auf den Geheimrath damit einen Eindruck zu machen. Dieser hatte sich ruhig ein neues Glas eingeschenkt, und mit derselben Behaglichkeit ließ er es über die Zunge gleiten, die er vorhin an Wandel gerügt oder gerühmt. »Sie wollen also mit Napoleon nichts zu thun haben? Votre plaisir! Aber, merken Sie sich, Haugwitz ist ängstlich inquietirt. Er giebt Winke, wie man Sie beobachten soll. Wenn Sie also keinen Passe par-tout von Napoleon in der Tasche haben, –« »Die Aufmerksamkeit, welche Herr von Haugwitz meiner unbedeutenden Persönlichkeit schenkt, möchte mir schmeicheln, wenn –« »Sie keine andere Absichten hätten. Gehen Sie mit sich zu Rathe, entscheiden Sie sich, aber bald. Wir sind nun ganz wieder in unserer Aisance, wenn er zurück ist. – Haugwitz bleibt. – Der König ist seelenfroh, wenn er nichts zu ändern braucht. Es stiefelt sich fort, sagen die witzigen Berliner, und eines Morgens könnte Haugwitz etwas einfallen, – das passirt auch manchmal an einem Feiertage – der Polizeikommissarius klopft an Ihre Thür mit der Bitte, sich schnell anzuziehen, und Sie werden eingepackt. – Da haben Sie die Bescherung. Man titulirt's höhere Staatsrücksichten, im Grunde genommen ist's nur eine Indigestionslaune. Sie sind ein Mann von großer Klugheit –« »Der indeß bei Verbindlichkeiten, die er eingeht, den Charakter und sein Gewissen immer berücksichtigt –« » Etcaetera, bravo!« sagte der Geheimrath und klopfte ihm auf seine Schultern. »Wozu noch Flausen. Das Uebrige wird sich finden. Es müsste doch mit dem Teufel zugehen – Excüs! – wenn er uns nicht hülfe, die Antipathie zu beschwören. Haben Sie nicht sympathetische Tropfen? A propos! da fällt mir unser Mirakel ein, unser Liebespaar. Haben wir's da nicht durchgesetzt? Das verloren wir ganz aus den Augen. Wie steht es? – Das ist der Fluch eines Staatsmannes, sein Liebstes muß er opfern dem Dinge, was das dumme Volk – wie steht's, Legationsrath?« »Der Dépit amoureux ist eine passagere Erscheinung. Die Gargazin, die uns aus Gefälligkeit beistand, ist der Sache überdrüssig.« – »Die gute Fürstin möchte alle Welt glücklich sehn. Aber Haugwitz – das ist's, was ich sagen wollte. Der arme Haugwitz muß jetzt eine Recreation haben, nach so viel Verdruß! Ein, zwei Fliegen stören uns nicht, aber das Fliegengebrumm, wenn wir schlafen wollen, ist fatal. Recht was Exquisites! Strengen Sie Ihren Scharfsinn an, etwas zum Todtlachen, bedenken Sie, es gilt fürs Vaterland. Also, theuerster Mann, Ihren ganzen Scharfsinn darauf, fädeln Sie was Neues ein. Man sagt, sie hätte Scheidungsgedanken.« – »Pfui! das ist unmoralisch. Ich meine, man könnte ihr das Unsittliche einer solchen Handlung vorstellen lassen.« – »Wenn nur ein Duell zwischen dem Rittmeister und dem Baron zu ermöglichen wäre!« Der Legationsrath schüttelte den Kopf. »Wer dem Baron eine Kugel vor den Kopf schösse, was ich natürlich nur im Scherz sage, thäte übrigens dem Staate einen rechten Dienst.« – »Im Ernst?« – »Sein Tuch, 'sist ein Skandal. Wenn man solche Montur gegen die Sonne ausbreitet, können die Wespen durchfliegen. Ich sagte es ihm neulich. Was antwortete er? Er hätte's so eingerichtet, daß die Kugeln der Staatskasse keinen Schaden thäten. Ich liebe nicht solchen frivolen Witz in ernsten Dingen. – Sie sind nachdenklich, Wandel? Sie sehn nach der Uhr.« – »Einige nennen ihn einen schlechten Menschen.« – »Pah! Seine Maitressen bezahlt er gut, unser Tuch macht er schlecht. Aber im Grunde genommen, was geht's uns an; wir haben Friede. Noch keinen Einfall?« – »Doch – viel leicht. Bei ihm ist Hopfen und Malz verloren. Wie aber, wenn man sie eifersüchtig machte!« – »Auf ihres Mannes kleine Liaisons? Was hülfe uns das?« – »Nein, auf den Rittmeister. Er sah neulich die neue Choristin mit dem Operngucker sehr eifrig an. Wenn es gelänge, sie aus ihrer Seelenruhe aufzustacheln! Wenn sie außer sich geriethe, sich fortreißen ließe–« »Nun, was besinnen Sie sich?« – »Es ist nur ein flüchtiger Einfall – schwierig, aber möglich ist Alles – wenn sie in ihrer Verzweiflung ihren Mann zu Hülfe zöge.« – »Ça serait le comble du ridicule.« – »Aber nichts Neues. Wie gesagt, Alles noch embryonisch dunkel, aber sie muß jetzt mit dem Rittmeister aneinander. Das ist mir klar; es giebt kein ander Mittel.« – »Wenn es nur zum Rechten führt.« – »Dafür lassen Sie mich sorgen.« – »Wohin so eilig?« – »Zur armen Geheimräthin! Ach, eine Unglückliche! Die bedarf des Trostes.« »Bleiben Sie mir mit der vom Leibe. Ich kriege Bauchgrimmen, wenn sie mich lange ansieht.« – »Das ist eine unglückliche Frau! Nun auch das zweite Kind!« – »Es waren doch rebutante Geschöpfe. Sie kann es unmöglich lieb gehabt haben.« – »Der Idealismus weiß von einer Liebe, die gerade das ihm Unangenehme mit zärtlichen Armen umfasst, einer Liebe, die ihre ganze Innigkeit und Wärme ausströmt auf die Subjekte, welche es am wenigsten empfinden und, statt es zu erwidern, mit Undank belohnen, eine Liebe, die sich gefällt, immer zu geben und zu opfern, ohne wieder zu nehmen, ja, die ihre höchste Befriedigung in der Empfindung sucht, von Verkennung und Undank heimgesucht zu sein.« »Das ist nicht unsere Sorte von Liebe; nicht wahr, Wandel?« »Die Welt ist mannigfalt. Bewundern darf man doch die Märtyrer, auch wenn man sich nicht berufen fühlt, ihnen nachzufolgen.« – » Par distance! – Warum nahm sie aber die Kinder zu sich!« »Warum! – Warum nahm sie ihren Mann? Sie hat den Geheimrath nie geliebt. Um ihn zu pflegen. Warum nahm sie die Alltag zu sich? Aus Liebe doch nicht zu dem eigensinnigen Geschöpfe? Mein Herr Geheimrath, Männer wie wir sind über die Ungerechtigkeit der Welt hinaus, wir warten nicht auf Dank, aber erlauben Sie mir, wenn ich die Frau unglücklich nenne, die für die Anstrengungen ihres warmen Herzens, Andere glücklich zu machen, nichts erntete, als Verkennung.« »Liebster Legationsrath,« entgegnete Bovillard, »erlauben Sie mir, nichts drauf zu sagen, als: les goûts sont différents! « – »Ich wünschte, Sie hätten sie am Schmerzenslager der kleinen Malwine gesehen. Weil sie nicht weinen konnte, das hat man auch getadelt.« – »Die Kinder sollten ihre Erben sein; wer kriegt's denn nun? In ihrer Familie ist Alles ausgestorben. Mit der einen Seitenbranche ist sie spinnefeind.« – »Unnatürliche Feindschaft in Familien! Vielleicht kann man da freundlich zu einer Verständigung einwirken.« – »Lieber vermacht sie's den Kapuzinern. Und fünfundneunzigtausend Thaler unter Brüdern.« – »Ich glaubte nur achtzigtausend!« – »Vor dem letzten Heimfall. Aber – fünfzehntausend in Obligationen – Sie können sich drauf verlassen, – fielen auf ihr Theil aus der Konkursmasse ihres Onkels. Und man muß doch auch rechnen, was vom Geheimrath dazu kommt, wenn er früher stirbt –« »Wenn er früher stirbt.« Wandel hatte es so gedankenlos, oder in Gedanken versunken, gesagt, als er gedankenlos mit seinen Handschuhen gespielt. Er reichte zum Abschied dem Geheimrath die Hand: »Wenn nicht mehr – ich wollte sagen, wenn Sie der verlassenen Isolirten nur ein stilles Plätzchen der Theilnahme in Ihrem Herzen schenken wollten!« »Bleibt ein ehrenwerther Mann,« sprach Bovillard, als er fort war, »nur zu viel Sentiment.« 57. Kapitel. Wandel muß Politik treiben und sentimental sein Siebenundfünfzigstes Kapitel. Wandel muß Politik treiben und sentimental sein. Das Haus der Fürstin schien ein offenes. Man kam und ging, zu jeder Tageszeit; man war willkommen und empfangen, ohne angemeldet zu sein, und konnte verschwinden, ohne daß es bemerkt ward. Englischer Komfort schien mit französischer Anmuth und Leichtigkeit gepaart. Aehnliches hatte man in Berlin noch nicht gesehen; man beredete es, aber gefiel sich darin. Keine Thür war verschlossen, die Wände schienen von Krystall; es ist aber damit nicht gesagt, daß nicht doch manche Thür unter der Tapete versteckt, und der Krystallspiegel eine Wand verdeckte, hinter die zu blicken nicht erlaubt war. Die Fürstin hatte sich neuerdings zu einem längeren Aufenthalt eingerichtet. Alle Welttheile hatten ihre Produkte, Kunstfertigkeit und Erinnerungen beigesteuert, um die Zimmer auszuschmücken. Das Hetrurische und Pompejanische, vor Kurzem die Modepuppe, ward hier paralysirt durch das Chinesische und Hindostanische. Porzellanfigürchen, Pagoden und Pfauenwedel; dazwischen die rein geschnittenen Schönheitslinien eines griechischen Basreliefs, römische Kaiser und Mohrenköpfe auf echten Konsolen, neben Federkronen von den Sandwichsinseln und urweltlichen Gerippen, Schamanenmäntel und Bogen und Köcher der naturwüchsigen Völkerschaften Sibiriens. Die Ostentation alles dieses Apparates war wenigstens nicht auffällig, ein gewisser Geschmack hatte in der Vertheilung obgewaltet, Licht und Schatten waren gehörig vertheilt, oder vielmehr der Schatten waltete ob, indem das Fensterlicht in den meisten Zimmern durch schwere Vorhänge und Vorsatzstücke gedämpft war. In schwarzen Rahmen hingen zwischen den andern Raritäten Landschaften in Wasserfarben, römische Ruinen, zerstörte Kirchhöfe, Hünengräber, bemooste Krucifixe darstellend, über dem Meer hing der Mond in Nebelwolken, oder die Sonne ging auf, und beleuchtete trauernde Gestalten oder Knieende um ein bekreuztes Grab. Auch sah man näher den Thüren bereits einige der schmal geschnittenen Holzbilder, auf deren Goldgrund jene hagern, kindlichen Figuren mit den Unschuldsköpfen sich präsentirten, die erst später in Berlin zur ästhetischen Anbetung kommen sollten. Die modernen Besucher gingen noch ziemlich theilnahmlos an diesen florentinischen Stücken vorüber, während die Mondscheinskreuze, die verdorrten Kränze an den eingefallenen Gräbern manchen Seufzer oder aus schönen Augen eine Thräne lockten. »Der Stufen zur Erkenntniß sind viele,« pflegte die Fürstin zu sagen, »und deren nur wenige, die, vom Strahl erleuchtet, sogleich die höchste besteigen.« In den tiefern Kabinetten verbargen sich oder lockten größere Heiligenbilder, betende oder angebetete Madonnen, Märtyrer, in ihren Verzückungen lächelnd, der Heiland am Kreuz. Da in der verschwiegenen Nische auf einem schwarz mit Silber überhangenen Altar ein Krucifix von Ebenholz, der Heiland daran feinste lucchesiner Elfenbeinarbeit. Als Piedestal zum Krucifix diente ein künstlicher dürrer Fels aus Achat, zu Füßen desselben eine kleine Oeffnung, aus der, gespeist von einem verborgenen Wasserreservoir, eine Quelle sprudelte. Das Wasser floß in einen antiken Sarkophag. Antik wenigstens die Vorderseite, deren heidnische Basreliefs freilich wenig mit dem Quell und seiner Bedeutung korrespondirten, aber es war eine Antike, ausgegraben auf einem der Güter der Fürstin in der Krim, und das Heidnische an den Bacchantinnen sollte vielleicht durch den frisch hinein gemeißelten russischen Doppeladler purificirt werden. Neben der sinnigen Deutung hatte der sprudelnde Quell auch eine ganz praktische Bedeutung; das kühle mit Epheu umrankte Kabinet ward durch das springende Wasser zur angenehmen Retirade in heißen Sommertagen. In einem der helleren Zimmer, mit Magdalenenbildern an der Wand, der Boden ausgelegt mit reichen orientalischen Teppichen, und schwellende Divans an den Wänden, saß die Fürstin mit der Baronin Eitelbach. Die Märtyrer und andere Heiligenbilder in den dunklern Gemächern mochten schlechtere Kopien oder Trödelwaare sein, die Magdalenen waren vortreffliche Kopien nach Correggio, Battoni, Murillo und Anderen, in der Größe der Originale und in dem blendenden Farbenglanz, der keine Nachdunkelung sehen ließ. Kostbare Goldrahmen umschlossen diese Stücke, und ihre Gruppirung war so geschickt, daß überall das richtige Licht darauf fiel. Es war das sorgfältigst und elegantest ausgeschmückte Zimmer der fürstlichen Wohnung. »Das Fräulein wollten eben ausfahren, um, wie sie sagten, Luft zu schöpfen,« berichtete der Diener. »Wenn aber Durchlauch befehlen, wird sie sich sogleich zurecht machen und hier erscheinen.« »Was das Fräulein will, muß geschehen,« erwiderte die Fürstin rasch. »Man sollte doch jetzt meinen Willen kennen, daß sie nur ihren Wunsch zu äußern braucht, und meine Domestiken haben zu gehorchen. Ist schon angespannt?« – »Zu Befehl, Erlaucht.« – »Da muß ich einen Augenblick zu dem lieben Kinde. Verzeihung, theuerste Baronin, sie erholt sich so schwer. Ich bin sogleich – meine Gedanken bleiben bei Ihnen.« Im andern Zimmer begegnete ihr der Legationsrath; »Schnell einen Liebesdienst. Die Eitelbach drinnen quält mich mit ihrem Liebesleid. Das ist Ihre Sache. Machen Sie ihr bald ein Ende, sonst – ich weiß nicht, was ich thäte, wenn Sie nicht im Spiele wären.« – »Empfinden Erlaucht denn gar keinen Beruf, sich der gequälten Schönen anzunehmen?« – »An langweiligen Menschen hatte ich heute schon genug. Vater und Mutter waren hier, denken Sie, eine Stunde lang! Diese Dankadressen im Kanzleistil, diese bürgerlichen Rührungsgefühle in der Sonntagshaube, der ganze Iffland, Kotzebue und Krähwinkel in meinem Hause. Ich möchte doch um solcher Leute willen keine Migräne bekommen; aber jetzt erbarmen sie sich meiner.« – » Tu l'as voulu, George Dandin! sagt Moli è re,« sprach der Legationsrath, sich verneigend. – »Et je le veux, Monsieur le conseiller!« – »Was denkt Prinz Louis, Erlaucht?« – »Ob der Champagner oder der Rheinstrom eher in die Lethe fließt.« – »Leider flüstern seine Freunde, daß er schon den nächsten Weg auf dem Jamaikanischen Feuerstrom Rum dahin sucht.« – »Der Unglückliche!« Sie schien die eben gegebene Anweisung an den Legationsrath auf die Eitelbach eben so vergessen zu haben, als sie an der Ecke eines Divans Platz nahm. Ein ernster Zug flog über die Seidenwimpern, die sich geschlossen hatten, wie erschreckt vor einem Bilde. – »Vielleicht der letzte Held unter Diesen! – Warum fand er nicht den rechten Weg! – Das ist es nicht. Aber, Wandel, erklären Sie mir's, es ist etwas Niederdrückendes, Entmuthigendes, daß gerade dieser Einzige in der großen Misere, diese Feuerseele unter den Nachtvögeln, wie ein losgerissener Stern aus dem Firmament in einen Sumpf stürzen muß!« – »Sie sprachen es aus, Gnädigste, weil Alles versumpft ist!« – »Und Sie sprachen etwas aus, was Sie nicht verstehen, nicht verstehen wollten. – Ich fühlte mich so andächtig gestimmt. Der arme Prinz! Seit die Abberufung des englischen Gesandten bekannt ist, soll er sich in einen erschütternden Zustand befinden.« – »Es befinden sich auch andere, die nicht Prinzen sind, in unangenehmer Lage. Mehr als hundert preußische Schiffe sind bereits von den Engländern gekapert. Dem Handel wird dieser theure Frieden theuer zu stehen kommen.« – »Diese Krämerseelen verdienen es,« rief die Fürstin. »Es war ja ihr stiller Wunsch. Wenn Krämer, Kinder und Narren über ein Land regieren, wehe ihm!« Es war ein neues Changement in der Fürstin eingetreten; sie fühlte sich zum politischen Disput gestimmt. Wandel kannte die Lineamente in ihrem Gesicht, welche den Wechsel und welche Stimmung sie ausdrückten. Er lehnte sich über einen Stuhl, um ihr zu korrespondiren. Vielleicht fand er auch mehr Neigung zu einer politischen Disputation als zu einer sentimentalen mit der Baronin, vielleicht wollte er sich auf diese präpariren. »Es giebt auch großartige Krämer. Die Engländer werden bei diesem Weltdisput nicht zu kurz kommen.« – »Ich begreife nicht, wie diese hier ohne Schamröthe lesen können, was sie über ihre Politik urtheilen!« rief die Fürstin, in wirklichen Affekt gerathend. »Diese Noten, die Herr von Reden für Hannover in Regensburg, Ompteda eben in Berlin übergab! Herr Fox hat im Parlamente gedonnert. Ich habe eine solche Sprache nie gehört.« – »Noten sind Worte auf Papier geschrieben, Erlaucht. Sie lesen sie, antworten, und das Resultat ist Papier auf Papier! Gekaperte Schiffe, das ist etwas Anderes.« Die Fürstin hatte vom Tische eine englische Zeitung genommen. »Durchfliegen Sie diesen Artikel. Mich dünkt, die Worte schneiden schärfer wie Thaten. Der Prinz soll grade darüber außer sich gerathen sein. Die Lippen schäumend, drückte er die Stirn an die Scheibe, daß sie zerbrach.« – »Er wird auch wieder ruhig werden,« sagte Wandel und las: »Nie hat eine Macht heuchlerischer gehandelt und die Gesetze der Treue und des guten Glaubens frevelnder gebrochen als Preußen. Von ihm kann man lernen, wie man mit Worten schmeichelt und durch Thaten verwundet.« – »Ist's nicht so?« Der Legationsrath zuckte die Achseln: »Was aus Unentschlossenheit gefehlt und in Thorheit gesündigt ward, heißt nun sträfliche Hinterlist. – Warum war man unentschlossen und warum handelte man thöricht?« – »Lesen Sie weiter.« – »Der aufgegebene Krieg gegen Frankreich war ein unwürdiges Geständniß von Schwäche, die sogenannte Verwaltung Hannovers bis zum Abschluß des allgemeinen Friedens überdachter Verrath. Erröthet Preußen nicht vor der Entschuldigung, daß die Wahl der Mittel zur Sicherung seiner Ruhe nach der Schlacht von Austerlitz nicht mehr von ihm abhängig gewesen sei? Ziemt eine solche Sprache einem schlagfertigen Staate, wenn es Ruhm und Vaterland gilt? Ziemt sie vor Allem dem Preußischen, der Friedrichs Siege hinter sich hat, Friedrichs Heer vor sich und zur Seite Rußlands Beistand? Preußen prahlt mit gebrachten Aufopferungen. Ja, es hat geopfert seine Unabhängigkeit, seine alten Besitzungen, seine treuesten Unterthanen und seine zuverlässigsten Bundesgenossen. Preußen hat durch den Schönbrunner Vertrag aufgehört als selbstständige Macht, es kann nur noch existiren unter den Flügelschlägen des französischen oder russischen Adlers.« »Was sagen Sie dazu?« – »Warum fordert man von den Epigonen den Muth der Titanen!« – »Der kleine König von Schweden sperrt ihnen auch die Ostseehäfen, er kapert auch, wie die Engländer, ihre Schiffe. Man hätte doch nun erwartet, sie würden Schwedisch-Pommern nehmen.« – »Man ist befangen im Bewusstsein seines Unrechts; und statt es gut zu machen, indem man es vollendet, verdoppelt man den Fehltritt, indem man es halb thut.« – »Das ist Ihre Moral, Wandel. Ich im Gegentheil bewundere den Muth dieser Staatsmänner. Mit welchem Gesichte kann der Mann von Schönbrunn vor die Prinzen, vor die Bilder seiner alten Könige treten, vor das Land, vor das Preußische Heer, vor Friedrichs Armee? Erklären Sie mir den Muth, Wandel, wie er vor diesem stolzen, hochmüthigen Offizierskorps es aussprechen darf! Preußen fühlt sich zu schwach, mit dem stärksten Bundesgenossen an der Seite, einen gerechten Krieg zu führen. Können Sie's?« »Gnädigste Frau, vor wem erröthen, wem Rechenschaft geben? – Wer fordert sie von dem Manne?« – »Und sei es nur vor seinem eigenen Spiegel.« »Der Spiegel, Gnädigste, ist unser Machwerk; man schleift, färbt ihn, wie man will, man stellt sich vor ihn, wie man Lust hat. Die Hand in der Brust, das Kinn aufrecht, die Blicke funkelnd. Oder die Arme gekreuzt auf der Brust, die Augen niedergeschlagen; der Spiegel ist gehorsam, er giebt Alles wieder. Denken Sie ihn sich so, mit verkniffenen Lippen davor, und er lispelt: er war stark und wir schwach, er entschlossen und wir wissen nie heut, was wir morgen thun sollen, er hat ein kriegsgewöhntes, siegreiches Heer und wir eins, was den Krieg verlernt hat. Ein Krieg kostet Blut, viele Menschen, er ruinirt noch mehr Bürger, seine Nachwehen sind furchtbarer als seine Verwüstungen. Alles das sind Realitäten, die Ehre aber ist ein Wahn. Mein König hat einen Abscheu vor Blutvergießen und ich liebe es nicht. Alle guten Menschen lieben es nicht. Gott auch nicht, er hat den Frieden geboten und Napoleon bietet ihn auch. Sind das nicht eben so viele Winke des Himmels? Wofür sollen wir uns schlagen? Für uns doch nicht. Er will uns ja mehr geben, als wir hatten. Für Oesterreich etwa, das verloren hat? Wir sind doch nicht Don Quixoten, um für einen Rivalen uns zu opfern? Oder für das thörige Gebrause, was man jetzt öffentliche Meinung nennt? Wiegt meines Königs unausgesprochener Wunsch nicht schwerer? Die öffentliche Meinung macht mich nicht zum Minister, sie möchte mich stürzen. Aber sie kann's nicht. Mein König kann mich halten, und er wird es.« »Von Advokaten des Teufels hab' ich wohl gehört,« sagte die Fürstin, ihn fixirend, »nur weiß ich nicht, wer sie bezahlt.« »Ich halte Excellenz für einen sehr honetten und zuweilen sehr heiligen Mann, der, wenn er den Feind citirt, es gewiß nur thut, um ihn zu beschwören. Vielleicht – ich sage, es ist möglich, daß er jetzt in der Stille die Hände vor seinem Bilde, nämlich im Spiegel, faltet, auch vielleicht ein Kreuz schlägt, und aus tiefer Brust seufzt: Ich bin ja nur sein unwürdiges Werkzeug! Gegen letzteres wird denn wohl Niemand etwas einzuwenden haben.« »Incorrigibler!« sagte die Fürstin und gab ihm einen leichten Schlag mit dem ausgezogenen Handschuh, um doch sinnend wieder vor sich niederzublicken: »Und doch, wäre es ein Wesen von Fleisch und Blut, dieses Preußen, ich könnte es beneiden um die Empfindung. So zerknirscht in Demuth niederzufallen in den Staub, an die Brust zu schlagen und zum Herrn zu rufen: Strafe mich um meinen Dünkel und meine Ueberhebung. Das sind die Früchte meiner Saaten, daß ich mich auflehnte gegen Deine Satzung! – Ach nein, sie kennen nicht die Wollust der Demuth und Zerknirschung, sie sind alle noch aus Friedrichs Schule, schlechte Schulknaben, sie beten nicht den Herrn, nur ihren Witz an, und sein Gespenst seh ich umherschleichen – das muß eine furchtbare – die fürchterlichste Strafe des Himmels sein: so sein Werk zertrümmert, seine Schöpfung verhöhnt, sein Geist zum Pasquill – und Keiner den Muth, in ihrer Erniedrigung die Arme zu erheben: Herr, erbarme Dich unser!« Herr von Wandel kannte die Fürstin – auch ihre temporellen Visionen. Sie genirten ihn nicht. Die liebenswürdige Frau liebte nicht die Gêne. Er wartete in Geduld, bis der Paroxysmus vorüber war; er brauchte nicht lange zu warten. »Nun an Ihr Geschäft,« sprach sie. »Wie lange lassen Sie die arme Eitelbach warten!« – »O, dies hat Zeit!« – »Sie würden einen guten Marterknecht abgeben.« – »Ich weiß in der That noch nicht, was ich mit ihr reden soll.« – »Wenn Sie nur Die persifliren können, die Sie vorgeben zu lieben, so versuchen Sie es einmal, sich in die Baronin zu verlieben. Ich erlaube es Ihnen.« – »Der Rath ist nicht so übel!« sagte der Legationsrath und verneigte sich tief. »Mit meiner gnädigen Freundin Erlaubniß will ich wenigstens den Versuch machen.« Die Fürstin hörte es nicht mehr, sie warf am Fenster der abfahrenden Adelheid Abschiedsgrüße zu. »Unter Heiligenbildern eine Heilige!« rief der Legationsrath der Baronin entgegen. »Wissen Sie, was mein Mann von Ihnen sagt?« replicirte die Baronin. »Wie heilig Sie auch aussähen, Sie wären ein Pfiffikus, und er möchte mit Ihnen keine Geschäfte machen.« – »Warum sollte er theilen! Er macht für sich allein die besten.« – »Ihnen traute er nicht über den Weg, meinte er neulich.« Der Legationsrath zuckte lächelnd die Achseln: »Was konnte ich dafür, daß aus der Mäntelgeschichte nichts ward. Meine Absichten waren die besten, meine Demarchen gut, es stieß sich an andern Dingen. – Ja, theuerste Freundin, wie viel ist damit ausgesprochen! Unser Wille mag noch so rein sein, wir thun alles, was wir können, der Himmel selbst scheint uns zu winken, und es wird doch nichts draus. Das ist der unerforschliche Organismus jener höheren Sphärenkreise, in die unser Auge vergebens zu dringen sucht. Darin finde ich aber eben den merkwürdigen Unterschied zwischen Ihrem und unserm Geschlecht, ich meine zwischen den Erwählten. Während wir noch immer titanisch nach dem Unmöglichen ringen, findet das edle Weib schon in der Entsagung den höhern Trost. Da erst verklärt sich ihre Liebe zu derjenigen, welche nicht besitzen, nur beglücken will; selbst beglückt, wenn sie den geliebten Gegenstand glücklich sieht in der Liebe zu einer Andern.« Der Legationsrath schien unwillkürlich mit dem Taschentuch über seine Augen zu fahren. Die Baronin sah ihn aber sehr scharf an: »Was meinen Sie denn damit? Denn das habe ich Ihnen auch abgemerkt, Sie sagen nichts ohne Absicht.« – »Meine Freundin wird aber darin mit mir einig sein, daß es unter zartfühlenden Seelen besser ist, über gewisse Interessen nur andeutend wegzugehen, als sie auszusprechen. Wer heilende Wunden muthwillig aufreißt, wird zum Selbstmörder.« Die Baronin sah ihn so klar an, daß Wandel seine Augen einen Moment niederschlug: »Manche Wunde thut auch wohl, wenn man weiß, daß, der sie schlug, es in guter Absicht that. Sie sind nicht Dohlenecks Freund, leugnen Sie's nur nicht; ich weiß es –« »Mir ist er eigentlich ganz indifferent, meine Freundin. Wenn er feindliche Gefühle gegen mich hegt, so sind sie ihm wahrscheinlich vom jungen Bovillard beigebracht.« – »Sie meinen auch, wie die Andern, daß es nur Mißverständnisse sind?« – »Von dem, was die Leute sprechen, lass' ich mich nie bestimmen.« – »Ja, es ist ein Mißverständniß,« sprach sie mit gen Himmel erhobenen Blicken. »Es war kein Zufall, ich weiß, daß alle die Kränkungen von ihm absichtlich ausgingen –« »Ist es möglich!« – »Ja, mein Herr Legationsrath, so gewiß, als Sie hier vor mir sitzen.« – »So abscheulich hatte ich ihn mir doch nicht gedacht. Und sieht aus, als könnte er keinem Kinde das Wasser trüben.« »Und seine Seele ist so rein, wie der Spiegel eines Sees.« – »Sie sprechen in Räthseln. – Ich, oder vielmehr ein Freund, glaubten letzthin in Ihren Blicken ein stummes Spiel gegenseitiger Verständigung zu entdecken. So kann man sich täuschen!« – »Sie haben sich nicht getäuscht.« – »Das Räthsel wird immer dunkler.« – »Und immer heller in meiner Seele. Ja, weil der edle Mann sah, wie mein Gefühl für ihn heftiger ward, wie ich mich von ihm hinreißen ließ, und weil er mich wahrhaft liebt, darum mit eigner Selbstüberwindung jene Kränkungen und Aergernisse, die mich tief betrübten, um dann mich wieder desto höher zu erheben. Er beleidigte mich, um mich wieder zu mir selbst zu bringen, um mich von meiner Leidenschaft zu heilen. So lebten wir eine lange schmerzliche Weile uns zur gegenseitigen Qual, bis – wir uns verstanden haben. Nun aber haben wir es, und ich bitte es ihm tausendmal im Herzen ab, wie ich ihm Unrecht gethan. Ich glaubte zu leiden, und wie musste er erst leiden, indem er mir und sich zugleich so unaussprechlich wehe that.« Wandel, der etwas unaufmerksam gesessen, warf hier einen forschenden Blick auf die Rednerin. Er hatte manches, aber dies gerade nicht erwartet. Die Geschichte interessirte auch ihn nicht mehr besonders, oder er war im Nachsinnen, wie er ihr eine andere Wendung beibringe, um ihr wieder ein Interesse abzugewinnen. Es war die Neugier, wie man in einem empfindsamen Roman plötzlich die Seiten umschlägt, um die Motive eines den Leser überraschenden Sinnesumschlag zu erfahren, mit der er sie rasch fragte: »Und das hat er Ihnen Alles gesagt?« – »Kein Wort.« – »Ah, also die Sympathie der Seelen!« – »Warum senken Sie die Augen?« Er musste sich gestehen, daß diese Wendung dem, was die Freunde wollten, am wenigsten entspreche: »Oh, das ist ein Thema,« rief er, »bodenlos, unergründlich.« – »Sie erschrecken ja beinah.« – »Ich! – Erschrak ich? – Ich stellte mir nur vielleicht die Frage, ob es ein Glück ist, in der Seele des Andern lesen zu können? Oder nicht vielmehr ein Unglück? Fragen Sie sich einmal, ganz aufrichtig, die Hand aufs Herz. Würden Sie wünschen, daß ein Andrer Ihre Gedanken läse wie ein offenes Blatt?« Er hatte ihre Hand ergriffen und legte sie sanft an ihr Herz. Sie ließ es geschehen, und sah ihm klar in die Augen. Ohne alle Bewegung sprach sie mit heller Stimme: »Ja, es könnte Jeder lesen.« – »Auch der Baron, Ihr Gemahl?« – »Jetzt erst recht. – Im Anfang schoß es mir da über den Kopf. Nachher ward ich zuweilen stutzig, ich schämte mich, wenn Der und Jener mir jetzt ins Herz sähe, und ich gab mir Mühe, daß ich's mir anders zurecht legte und rechtfertigte, aber nun habe ich's nicht nöthig. Da fiel mir wieder ein, was mal der Prediger sagte: Jedes guten Menschen Herz muß so zugerichtet sein wie ein Glasschrank. Darin verbirgt man nichts, und wer in die Stube tritt, sieht es.« – »Der gute Prediger unterließ nur hinzuzusetzen, meine Freundin, daß wir nicht Jeden in unsre Stube lassen. Die Stube verschließen wir, und der Glasschrank steht nur offen für unsere Freunde, für die, welche wir geprüft, die täglich Zutritt haben. Ja, die mögen hineinschauen, und sich der Dinge freuen, die uns erfreuen.« – »Ach, ich weiß Jemand, der würde sich zuknöpfen, wenn man ihm ins Herz sehen wollte!« – »Wer ist das?« Wandel schien über diese Wendung des Gesprächs noch weniger erfreut. – »Sie sind ein guter Mensch, Herr von Wandel, aber voller Finten. Reden Sie sich ja nicht aus, ich weiß es.« Er hatte ihre schöne Hand, die über der Divanlehne lag, erfasst und drückte sie sanft an die Lippen. »Könnten Sie in dies Herz schauen!« sprach er seufzend. »Finten nennt es meine Freundin. Immerhin! Finten sind Spitzen, aber es sind blutende Spitzen, Dolchstiche, Dornen, die Andere hinein gedrückt. Da ist der einzige, aber ein süßer Trost, daß um diese Dornen Rosen blühten.« Sie hatte die Hand ruhig seinen Küssen überlassen, und schien verwundert, als er plötzlich aufstand und den Stuhl wegsetzte. »Wohin wollen Sie denn?« – »Nach dem Lande wo keine Rosen blühen.« – »Jetzt doch nicht gleich?« – »Ich bin keine Stunde sicher, daß nicht die Pässe und Anweisungen aus Petersburg eintreffen, und darf meines Verweilens nicht mehr lange sein. Die Akademie in Petersburg hat zu meiner Beschämung eine so dringende Vorstellung an Seine Majestät den Kaiser gerichtet, die Untersuchung der Bergwerke für so wichtig erklärt, und meine geringen Kenntnisse so hoch angeschlagen, daß ich undankbar wäre, wenn ich dem ehrenvollen Rufe zu folgen nur einen Augenblick zauderte.« – »Ihre Verdienste in Ehren, aber – die Gargazin wird sie wohl recht ausgeschrieen haben.« – »Erlaucht hat allerdings auch Güter in Asien, und einige Bergstriche versprechen, wenn mein Auge aus der Ferne sich nicht täuscht, unter geschickter Hand eine ungewöhnliche Ausbeute.« – »Nach Asien wollen Sie, Herr Gott, das ist weit.« – »Bis an die chinesische Grenze. Sie mögen denken, wie schwere – sehr schwere Opfer es mich kostet!« »Wie so denn?« – »Muß ich nicht meine eigenen Güter in Thüringen verlassen?« – »Wissen Sie, was mein Mann sagt? – Die möchte er nicht geschenkt haben; wenn Sie nicht die Feldsteine zu Klößen kochen lernten, müsste 'ne Kirchenmaus drauf verhungern.« – »Ei, Ihr Herr Gemahl auch Oekonom? Ich hielt ihn nur für einen Spekulanten. Für den glücklichsten, weil – er das große Loos gezogen hat.« Die Baronin lachte ihn recht herzlich an: »Damit meinen Sie mich; mir verbergen Sie nichts. Wenn Sie aber meinen Mann fragen, so sagt er Ihnen, es wäre seine schlechteste Spekulation.« – »Ich halte viel auf Ihren Herrn Gemahl. Ueber dem tiefen Schacht von Wissen und Erfahrung spielen wie Schmetterlinge Humor und Witz. Ich weiß seinen kaustischen Witz zu schätzen; weil ich ihn verstehe, verwundet er mich nicht wie Andere, und es thut mir aufrichtig leid, daß unsere verschiedenen Berufsgeschäfte uns so selten zusammenführten. – Glauben Sie mir, auch von ihm wird mir die Trennung schwer.« – »Von wem denn sonst noch! Von der Geheimräthin oder der Fürstin! oder – oder – oder« – »Verdiene ich diese Bitterkeit? Die Baronin Eitelbach sieht mich gern scheiden.« – »Nein, weiß Gott, nein, ich plaudere gern mit Ihnen. Ich glaube Ihnen nicht alles, was Sie sagen, aber es hört sich so hübsch an. Es klingt, als ob man mit Ihnen in die Wolken fliegen müsste.« – »Seele mit dem Taubenauge und dem Blick des Adlers, erlauben Sie mir, den Bruderkuß auf die Stirn der Schwester zu drücken.« Sie wehrte ihn, als er im Begriff war es zu thun, sehr entschieden zurück: »Sie sind es noch nicht. Wenn's so weit ist, wollen wir uns besinnen.« – » Einen Wunsch erlauben Sie mir wenigstens, mit den Lippen auf Ihre schöne Hand zu hauchen.« – »Hauchen Sie aber nicht zu lange.« – »Wie Sie in meine Seele blicken, möchten Sie eben so klar in die des Rittmeisters blicken! Jetzt noch nicht, aber später, wenn ich fort bin.« – »Warum denn jetzt nicht?« – »Jetzt hat er genug Beschäftigung mit der kleinen Choristin.« – »Welche Choristin?« – »Die in der Geisterinsel die Herzen entzückt. Sie wissen ja.« – »Sie sind ein abscheulicher Mensch.« – »Vielleicht irre ich mich auch. Sein Neffe, der Kornet, bezahlt sie, und die böse Welt sagt: für seinen Onkel. Doch, wie gesagt, das mag nur Gerede sein. Und wäre es, ist's ein Versuch, seinen Schmerz zu betäuben. Das will ich ihm verzeihen. Aber – ich glaube, es ist vielleicht besser, ich schweige.« »Nein, jetzt ist's besser, Sie reden. Das ist eben so abscheulich von Ihnen, daß Sie einen Stachel Einem ins Herz senken, und dann laufen Sie fort. Man quält sich, was es ist, und dann ist's am Ende nichts.« »Auch ich hoffe, daß es nichts ist. Das ist das Opfer, welches ich Russland und der Wissenschaft bringe, jetzt von so vielen Freunden mich loszureißen, die vielleicht meiner Hülfe bald bedürfen. Einer Eigenschaft rühme ich mich – ich ward frei von Affekten, ich blicke in die Zukunft, in die Seelen der Menschen, die Fältchen und die Schleier derselben täuschen mich nicht. Der Rittmeister ist, ja ich gebe es zu, was man nennt, ein guter Mensch, aber verschuldet, bis über die Ohren verschuldet. Der Krieg konnte ihn retten. Nun bleibt Friede. Er muß alle Anstrengungen machen, sich über dem Wasser zu halten. Damals, als es losgehn sollte, überkam ihn ein nobler Impuls; das ist nun vorüber, er ist Mensch, ein armer Edelmann, ein Offizier, auf seine Gage angewiesen, von Gläubigern gedrängt, gewissermaßen von den Umständen zum Aventurier gestempelt, gezwungen, sein Alles auf eine Karte zu setzen. Lieber Gott, er ist darum kein Bösewicht, daß er alle Rollen spielt, den brüsken, den sentimentalen, sogar den idealen Liebhaber, um eine reiche Frau zu kapern.« »Sind Sie bei Trost? Ich bin ja verheirathel!« – »Daran denkt ein solcher Aventurier nicht. Er hält Alles für erlaubt, und in der Noth kein Band zu fest. Ich kenne solche Menschen.« – »Jetzt schweigen Sie. Sie mögen viele Menschen kennen, aber den Rittmeister Stier von Dohleneck kennen Sie nicht. Ich könnte Ihnen sehr böse werden, spinnefeind, wenn Sie nicht ein so guter Mensch wären. Darum bitte ich Sie, thun Sie mir den Gefallen und – sein Sie still. Kein Wort mehr davon!« Er verneigte sich respektvoll: »Ich gehorche dem Befehl, wo ein leiser Wunsch genügt hätte; aber eine Bitte spreche ich im Scheiden aus. Wenn das Traumbild Ihres Glaubens zusammensinkt, wenn Sie sich schwach fühlen, wenn mit Ihrem Vertrauen das Glück des Lebens vor Ihnen zusammenbricht, dann denken Sie, dann rufen Sie mich. Ich werde Ihre Stimme hören, auch wenn hunderttausend Meilen uns trennen, kein Brief mich trifft, keine Taube durch die eisigen Lüfte dringt. Wenn Auguste von Eitelbach gepressten Herzens in ihrem Kummer meinen Namen nennt, wenn sie schluchzend in die Nacht ruft: Ach, wäre er hier, er könnte mir helfen, dann werde ich Ihren Ruf hören, ob ich im tiefsten Schacht der Bergwerke von Irkutzk dem Licht der Gnomen folge, um die Adern edler Erze zu schlürfen, oder einsam schweife auf einem Rennthierschlitten um die kalten Seen Sibiriens – und ich bin bei Ihnen.« Ohne einen Händedruck war er nach der Thür geeilt. Sie rief ihm nach: »Nach Sibirien gehen Sie?« – »Warum schaudern Sie, gnädige Frau? Es ist warm auch am Eispol, wenn das Blut im Herzen pulst.« – »Ich dachte nur – ich war in Glogau, als der Erxner, der Raubmörder, nach Sibirien transportirt ward. Was man doch manchmal Närrisches denkt – wenn Sie auch so in Ketten hingeschleppt würden! – So fuhr er auch zusammen, wie Sie jetzt –« Er verneigte sich noch einmal und war verschwunden. Sie sah ihm aus dem Fenster nach. So in sich versunken hatte sie ihn noch nicht gesehen. Er erwiderte den Gruß zweier Bekannten nicht. »Er hat nur einen Fehler,« sprach sie bei sich, »er kann den Rittmeister nicht leiden. Aber – aber er wird noch nicht – mit Sibirien hat's gewiß noch gute Weile.« 58. Kapitel. Ob's edler im Gemüth, die Pfeil und Schleudern Achtundfünfzigstes Kapitel. »Ob's edler im Gemüth, die Pfeil und Schleudern Des wüthenden Geschicks erdulden oder –« »Thorheit, zu glauben, daß ein Mensch seiner Zeit voraufgeht. Von der Strömung in der Luft werden wir gezogen, wie die Atome dem Athem zufliegen. Es ist das unergründete Gesetz in der moralischen Welt, was den Riesen wie den Zwerg regiert, und die tollste Ironie ist es, der wahnsinnigste Traum unserer trunkenen Phantasie, zu wähnen, daß wir aus eignem freien Impuls die Welt nur um eine Spanne weiter rücken!« Zwei Genesene saßen auf einer abgelegenen Bank im Thiergarten, die laue Sommerluft einschlürfend. Der Eine, den Arm in einer schwarzen Binde, – schien seine Krankheit bereits abgeschüttelt zu haben, und das blasse Gesicht röthete sich, während die Glieder oft elastisch zuckten. Es war Walter. Der Andre trug keine sichtliche Verwundung, aber sein kräftiger Geist schien mit einer physischen Mattigkeit im fortdauernden Kampf, und sein auch bleiches Gesicht blitzte von einer verrätherischen Röthe, während das dunkle tiefe Auge gespensterhafte Glanzblitze warf. Es war Louis Bovillard; er halte die obigen Worte gesprochen. Walter hatte längere Zeit vor sich hingeblickt; die Lucubrationen des Freundes hatten ihn nicht gestört: »Wo ist das Allgemeinwohl? das ist die Frage. Sitzt's in den Gipfeln? in den Wurzeln? Wo ist das Mark? Wir fühlen es, wie das Wasser den festen Boden unterspült, die Wurzeln vom Erdreich löst, wir fühlen das Annahen des Sturmes. Und noch wäre Rettung möglich, aber die phlegmatische Masse schließt noch die Augen, trunken schreien Einige in die Lüfte, aber sie helfen nicht, nur dem Feinde geben sie ein Zeichen wie es steht. Die zu Wächtern bestellt sind, zu Baumeistern und Steuerleuten, singen uns Schlaflieder zu. Sie zittern nicht vor der Gefahr draußen, nur vor der Aufregung, welche die Furcht davor im eignen Lager verursacht. Wo nun Einer mit dem besten Willen kommt, wo soll er anklopfen, wo, wenn er sein Gut und Blut hineinwerfen möchte, ist die Büchse, um es aufzunehmen? Das ist die Frage.« »Was hilft's Dir, wenn Du die rechte Eingangsthür in ein verrottetes Haus findest, wo drinnen nichts mehr zu retten ist.« »Es ist,« fuhr Walter auf. »Wie hätte dieser Staat so lange bestehen können und leuchten in der Geschichte. Es ist etwas nie Dagewesenes, wie dies Regentengeschlecht persönlich auf das Volk eingewirkt hat. Das leugnest Du Dir nicht fort, vom Anbeginn bis heute. Es hat alles, was sein eigen war, Gedanken, Geist, Intelligenz, Thatkraft, Muth, Entschlossenheit, Ausdauer, ausgesprützt in die Adern der rohen, verwilderten Stämme, die es vorfand, die es später mit seinen starken Armen umklammerte, bis sie unter dem warmen schirmenden Druck zu einem Leibe verwuchsen. Wir sollten freudig staunen über das Wunder einer Gärtnerkunst, denn das war es, wo die Fürsten von anderm Stamme, Blut, aus einem fernen, fremden Lande, so sich mit dem Boden, den Boden mit sich amalgamirten; wenn nicht eben die Impfe so wunderbar nachhaltig gewirkt hätte, daß alles, was auf dem Throne zur Geltung kam, im Volke sich widerspiegelt und reproducirt, wie die Stärke vorhin, nun die Schwächen, wie das Licht, jetzt die Schatten. Es kam einmal die Sitte von oben herab, die nüchterne, strenge, hausbackene Bürgertugend von jenem Soldatenkönig, dann vom selben Throne mit den laxen Sitten und der Frivolität jene eben so nüchterne Aufklärung. Jetzt, wo Frömmigkeit und Gerechtigkeit in mildem Scheine von oben ausstrahlt, wo wir aus einem guten Sinne auf Tüchtiges gehofft, ist's die Unentschlossenheit, die sich auf das Volk ergießt und es zersetzt. Wie, wo soll da geholfen werden! Nein, wer soll helfen, wer die adstringirende Säure gießen in die in Auflösung befindliche Masse?« »Frage lieber, wer ist der neue Prometheus? Denn die Nachkommen des alten verfolgten Revolutionärs sind im Laufe der Zeit legitime Philister geworden, gute Bürger, die des Nachtwächters Ruf gehorchen: Bewahrt das Feuer und das Licht. Schaff' Dir neue Menschen. Mit den alten ist nichts anzufangen.« Bovillard war aufgestanden und blickte in die Ferne, wo die Sonne zwischen dem Walde versank. »Thorheit,« wiederholte er, »zu rühmen, daß wir die Zeit verrücken, die, unser spottend, über uns hinrollt. Der Kriegswagen des Donnergottes, von Sturmrossen gezogen, Festungen zermalmt er und Heere, die für unüberwindlich galten, wie Kartenhäuser und bleierne Soldaten, und es ist nichts so fest auf Erden, was nicht schon knickt wo sein schnaubendes Gespann heranbraust.« – Er legte seinen Arm auf Walters Schultern. – »Ich war da, Lieber, ich sah es ja in der Nähe. Unsern Staatsmann sah ich, heiliger Gott! Friedrich und sein großer Ahn, der Kurfürst, müssten im Sarge roth werden, wenn sie das gesehen! Ein Verräther – nein! Man kann nur verrathen, was man weiß. Wenn er sich in den Wagen setzte, zur Konferenz zu fahren, wusste er noch nicht, was er rathen, fordern, sprechen sollte. Napoleon fuhr ihn an. Er schwieg. Napoleon kajolirte ihm, ging ihm um den Bart. Er schwieg auch. Dies Schweigen soll wirklich den großen Mann anfänglich verwirrt haben, bis er merkte, daß man auch schweigen kann, nicht um zu verschweigen, sondern weil man nicht weiß, was man wollen soll. Solche Rathlosigkeit, solche Fassungskraft, solcher Mangel an Gedanken und Muth! Der Vertreter des Militärstaates wusste von den militärischen Operationen nicht, was ein Quartaner in Preußen wissen muß, ließ sich einschüchtern, Gott weiß womit, und was Napoleon in seiner Laune einfiel; er ließ sein Heer über Gebirge und Flüsse springen, Schlesien nehmen, Polen revoltiren, daß die Adjutanten hinter der Thür kaum das helle Auflachen zurückhielten. Das Heer, geschwächt, blutend, hätte damals nicht vier Meilen mehr gemacht. Dann zum Trost, überschüttete er ihn mit Lobsprüchen für seinen guten Willen, seine Einsicht, und unser Mann ward roth vor Freude. – Und in solche Hände legen unsere Fürsten unser Schicksal, und solchem Feinde gegenüber!« »Und das deutsche Volk?« »Soll es für die goldene Bulle schwärmen, für Regensburg oder Wetzlar? Schwärmer giebt es, wofür wären wir Deutsche!« »Auch die Kreuzfahrer waren Schwärmer, und doch eroberten sie Jerusalem.« »Warte nur, Lieber, wenn die gutgesinnten Bürger die Straßenjungen gegen sie animiren. Koth auf sie! Mit Recht, sie stören ja die Ruhe. Alle die Volkserhebungen, die man versucht hat da und dort, um den Erzherzog zu soulagiren, kläglich fielen sie aus, und wenn man Frieden schloß, wie ließ man sie im Stich, die armen Schelme! Was heute Tugend heißt und Patriotismus, die Diplomatie stempelt's morgen zum Verbrechen und Hochverrath, wenn's ihr so bequemer ist. Was willst Du da vom armen Volk erwarten? Sie äffen den Fürsten nach, und sie thun Recht. Wer etwas für sich schaffen kann, zugegriffen, so lange es Zeit ist! Die alten Bande sind gelöst. Es giebt kein Recht, kein Gesetz, kein Vaterland mehr. Hasche den Sonnenblick, genieße den Augenblick, Du weißt nicht, was morgen kommt. Schöne Mädchen und Cyperwein, Walter, so lange es schmeckt. Preußen hat Recht, wir waren im Unrecht; es hat den größten Bissen erschnappt. Presse Hannover aus, Du weißt nicht, ob es Dir nicht schon morgen wieder entrissen ist. Schöne Mädchen und Cyperwein! nur nichts von Vaterland, Menschenglück. Phantasmagorien, nichts als Mondscheinillusionen. Im Ernst, Walter! Sieh mich nicht so an. Die alte Zeit ist abgelaufen, aller Widerstand ist Thorheit – der neue Titane zerschlägt dem alten Sonnengott den Karren, die Splitter und Funken fliegen durchs Weltall. Ducke Dich in eine Höhle, wenn Du eine findest, und wenn Du lebendig bleibst, gaffe ihm nach, wohin er seinen Feuerball peitscht. Ich weiß es nicht.« »Und doch,« sprach Walter, ihm nachblickend, als er ohne Abschiedsgruß nach der Stadt gegangen, »doch würdest Du der Erste sein, wenn –« Er folgte ihm. Seltsam, als Walter in das Haus des Geheimraths Lupinus trat, sollte er eine Unterhaltung überstehen, die denselben Gegenstand hatte. Er fand den gealterten Mann kränkelnd. Er hustete viel. Walter meinte, das Zimmer sei wohl lange nicht gelüftet, der Bücherstaub habe etwas Drückendes. Der Geheimrath hörte ihn mit Freundlichkeit an. »Gewöhnen wir uns doch daran, das Leben als eine Gewohnheit zu betrachten, dann fällt so vieles fort, was uns sonst quält und ängstet. Ist nicht Der am glücklichsten, der nichts in seiner Lebensweise ändert? Wer immer ändert, stellt damit nur ein Testimonium aus, daß er nie zufrieden war. Ich weiß es, ich werde sterben, vielleicht bald, aber Sie werden noch lange leben. Nun lassen Sie uns von Ihnen reden. Da ist Herr Niebuhr nun angekommen. Er wird bestimmt angestellt, und wahrscheinlich in einigen Wochen schon ist er Bankdirektor mit dem Titel Geheimer Seehandlungsrath. Er hat Ihre Abhandlung über Alba Longa mit Vergnügen gelesen. Er wird ein Mann von Einfluß werden. Jetzt kann ich Sie noch empfehlen, vielleicht bald nicht mehr. Sagen Sie mir Ihre Wünsche, lieber Walter.« Auf Walters Gesicht stand die Antwort. Es war ein Thema, was sie oft besprochen. Mit einem vielsagenden Blick fasste der Kranke die Hand des Gesunden: »Unser Staat ist kränker, als ich bin. Die Republik liegt in den letzten Zügen, die Scipionen schlummern in ihrer Gruft, die Virtus neben ihnen, unser Aktium und Philippi steht vor den Thoren, die Catonen mögen den Giftbecher leeren, es bricht zusammen, Herr van Asten, ich weiß es auch, und der Cäsar scheint auch schon da, der uns nur nicht behagt. Was bleibt da dem Freien? – Das Exempel, das ihm ein alter Freigelassener ließ.« Der Geheimrath hatte sich mit Mühe vom Stuhl erhoben, und war, auf einen Stock gestützt, an seine heiligste Bücherwand geschlichen. Einen Walter wohlbekannten dünnen Band, unscheinbar in altem Leder, nahm er heraus. Es war eine Ausgabe des Horaz, an die er keine fremde Hand ließ; er zeigte das Buch nur seinen Freunden. »Wenn's Ihnen schlimm ums Herz wird, hier ist der Trost. Zweifeln Sie, daß Horaz ein guter Patriot gewesen? Ging ihm das Schicksal des Römischen Staates nicht aus Herz? Ich sage Ihnen, es schnitt ihm hinein, tiefer, als die Herren Ausleger denken; der Schnitt steht nur zwischen den Versen, und da verstehen sie nicht zu lesen. Was hätte es nun geholfen, wenn er sich ins Schwert gestüzt? Was hatte Rom davon, daß Brutus es that? Horaz warf seinen Schild fort, machte sich auf die Behendigkeit seiner Hacken, und als er still stand, und sich den Staub abklopfte, sah er, daß der Himmel noch immer blau war und die Sonne so lau und golden auf das schöne Italien schien, als vorhin. Hätte er nun krächzen sollen wie die Eule Tacitus von ihrem alten Thurm, Zeter und Wehe über die Verderbniß der Zeit? Hat Tacitus die Zeit besser gemacht, oder die römischen Sitten, hat er Rom nur einen bessern Kaiser verschafft? Contrair, sie wurden immer schlimmer. Die Bußprediger thun's nicht, und in das Rad der Weltgeschicke greift Keiner ein; das geht über die Köpfe der Völker und Königreiche. Ein Narr, wer da glaubt, daß er in die Speiche fasst, ohne zermalmt zu werden und ausgelacht obenein. Horaz schloß Frieden. Hat er darum sein Vaterland verrathen? Sein Vaterland war größer. Ubi bene, ibi patria. Er sang: Beatus ille qui procul negotiis – und freute sich, von Rosen und Epheu umkränzt, am funkelnden Falerner. – Nicht wahr, das ist recht frivol und schlecht von ihm gehandelt? Und so was der Jugend zu predigen? Aber, aber – zweitausend Jahre beinah vergangen, und Horaz lebt! Die Brutus spuken freilich, in allen Revolutionen, gar tugendhafte Männer, aber was hinterlassen sie? Verfolgungen, Kriminalprocesse, Steckbriefe, Ausweisungen, Schaffotte, Bankerotte, ruinirte Familien, Elend – aber wen auch das Rad nach oben trägt, dem Horaz hört er immer gern zu, er hat in aller Welt das Bürgerrecht, der süße Prediger einer Lebensweisheit, die dauern wird, so lange die Welt steht.« Walter schwieg. Sie hatten auch darüber sich schon oft verständigt, daß sie sich nicht verständigen könnten. Der alte Gelehrte klopfte ihm auf die Schulter: »Will ich Sie denn zwingen junger Eigensinn! Erinnern Sie sich, wie Morus seine herrliche Biographie des Philologen Reiske anfängt: Omnis vitae Reiskianae ratio fuit, non cedere malis sed audentiorem contra ire! Ist auch ein schöner Spruch und ein klassisches Latein. Meinethalben immer drauf los wie der große Reiske. Erinnern Sie sich aber gelegentlich, daß Horaz auch gesagt hat: Est modus in rebus, sunt certi denique fines. Er hat keine Maxime aufgestellt wie Cicero, daß der Mensch wedeln soll vor der Macht, weil sie Macht ist. Und dann dachte auch wohl der heidnische Philosoph nicht an den Wurm, s' ist an einem anderen, der das Maaß finden, die Grenze stecken soll. Und: Integer vitae, scelerisque purus – das hatte dieser selbe Horaz auch gesagt. In meinem Testament hatte ich es Ihnen vermacht – diese – ja diese Leydener Silberschrift mit verschlungenen Händen. Warum so lange warten! Rasch in die Brusttasche, zur Erinnerung an einen alten Mann, der Ihnen wohl wollte.« Das war etwas Ungeheures. Walter erschrack: »Dies Exemplar, Herr Geheimrath?« Der Gelehrte drückte es ihm in die Hand: »Dieses, ich weiß keinen Bessern, der es nach mir aufhebt. – Es ist freilich nur vom zweiten Abdruck. Ja, wenn es mir gelungen wäre, eines mit dem Todtenkopf zu erhalten! Was habe ich nicht korrespondirt, nach England, Schweden, was habe ich geboten! Der Herr Legationsrath von Wandel, was hat der sich nicht für Mühe gegeben – er hofft noch immer, aber – es war vielleicht ein zu großer Wunsch, und kein Mensch scheidet von dieser Welt, der sagen kann, daß Alles in Erfüllung ging, was er wünschte.« Den Geheimrath befiel hier ein heftiges Hüsteln. Die Sprache versagte ihm und der kalte Schweiß stand auf seinem blassen Gesicht. Als Walter ihn nach seinem Stuhl führen wollte, stand die Geheimräthin plötzlich da – man konnte glauben, daß sie hinter einer Bücherwand Zeuge des Gesprächs gewesen. »Verzeihen Sie, Herr van Asten, man muß einen so langen Umgang mit einem theuren Kranken gehabt haben, um seine Wünsche zu verstehen.« Ihr Blick hatte ihn fortgewiesen, und er gehorchte. Fast machte er sich einen Vorwurf. Hatte ihm der Geheimrath nicht noch etwas sagen wollen? Vielleicht war es das letzte Mal, daß er ihn sah. Aber er hatte schon die Weisung der Geheimräthin überschritten, die aus Vorsorge für den Kranken den Befehl gegeben, Niemand ohne ihr Vorwissen in das Zimmer zu lassen. Er zauderte im Vorzimmer. Der Kranke musste sich wieder erholt haben, er hörte ihn die vorhin angefangene Ode: Integer vitae, scelerisque purus recitiren. War es sein Sterbesang? Die Geheimräthin schien betroffen, als sie zurückkehrend Walter noch fand. Der Blick, den sie ihm zuwarf, hatte etwas Befremdendes, es war ihm auffällig, daß sie ein Tuch vor dem Munde hielt, welches sie im Augenblick, wo sie ihn sah, fallen ließ. Er glaubte sich zu entsinnen, daß sie schon im Krankenzimmer es an die Lippen gehalten. Doch es war nur ein Moment gegenseitiger Befangenheit. Sie setzte sich auf ein Sopha, oder ließ sich fallen, und drückte das Tuch an das Gesicht. Ein Schluchzen hörte er nicht. Er sprach einige Worte der Theilnahme, daß die Gefahr wohl nicht so groß sein werde, als man annehme, daß die Natur des Geheimraths auch schwerere Krankheiten zu überwinden im Stande sei, daß er unter einer solchen Pflege genesen müsse. Den starren, höhnischen Blick, als sie das Tuch wieder sinken ließ, konnte er nie vergessen. »Meinen Sie, Herr Doktor? – Er wird sterben. – Wenn auch nur darum, damit die Leute sagen können, ich hätte ihn schlecht gepflegt.« »Gnädige Frau, es ist nur eine Stimme, mit welcher Aufopferung Sie für das Schicksal Ihrer Angehörigen sorgen.« »Sind Sie wirklich noch so jung und harmlos, Herr van Asten? – Sie haben doch auch schon Erfahrungen hinter sich,« setzte sie hinzu, »und sollten wissen, was auf diese Stimme zu bauen ist. Oder hörten Sie immer nur den lächelnden Anfang und und schlossen vergnügt Ihr Ohr, wenn die herzlich Theilnehmenden von ihrem Lobe sich erholten, zuerst in kühler Betrachtung, die sie unparteiische Wirkung nennen, dann in leisen Bemerkungen, daß bei dem vielen Guten doch auch Schattenseiten sind; endlich wenn die liebreichen Seelen erkannt, daß sie unter sich sind, öffnen sich die Schleußen und die ätzende Bitterkeit schießt heraus, bis von dem Lobe nichts bleibt, als einen tödtende Wunde.« – »Das Thier im Menschen zu bekämpfen, sind wir auf dieser Erde.« – »Meinen Sie, Herr Doktor! Ich meinte nur die Klauen und die Stachel unter einer glatten Haut zu verbergen. – Wer leben will, athmen, genießen,« rief sie mit einer heiseren Stimme, die nur aus einer zerrissenen Brust kommt, »dem rathe ich nicht, die Waffen fortzuwerfen, die ihm die Natur gab.« – »Sie gab uns auch andere – einen Schild, durch welchen die Stacheln nicht dringen.« – »Der Schild, den Sie meinen, heißt Resignation. Sind Sie in der That noch so unschuldig, Herr van Asten, oder, ich glaube doch nicht, daß Sie zu den koncilianten Gemüthern sich geschlagen haben, die jeden Riß mit einer weißen Salbe heilen möchten. Nein, ich weiß es, auch Sie stemmen den Kopf gegen eine Mauer. – Machen Sie sich doch nicht kleiner, als Sie sein wollen, vor – Denen, welche Sie von einer besseren Seite kennen gelernt!« sprach sie plötzlich aufstehend. Sie war in einer Aufregung, die Walter an ihr neu war. Sie wollte das Zimmer verlassen, aber es war ein Dämon in ihr, der sie sprechen ließ, was sie nicht sprechen wollte. »Das Leben ist ein fortdauernder Krieg Aller gegen Alle. Einfaltspinsel oder Betrüger, die von der Humanität faseln. Die stillen, friedlichen Pflanzen haben kein ander Naturgesetz, als eine die andere niederzudrücken. Nur die entfernt stehen auf zwei Gipfeln, die den Saft der Erde, Thau und Licht des Himmels nicht zu theilen haben, mögen mit Liebe koquettiren. Das kann der Mensch nicht. Zwei, die auf zwei Gipfelhöhen stehen, beneiden sich auch in der Entfernung; so fein hat die Natur es gefügt. – Unterbrechen Sie mich nicht, mein Herr, ich statuire gar keine Ausnahmen. Mann und Frau sind doch wenigstens eins, wollten Sie einwenden! Ja, bei den Ehen, die im Himmel geschlossen werden. Nur schade, daß bei denen, die wir kennen, der Notar und der Geistliche das Werkzeug waren. Wir leben auf dieser Erde, mein Herr. Ihre dämonischen Säfte, ihr Athem zuckt in unserm Blut, und ihr Prinzip ist: tödten, indem wir nach Luft und Leben ringen. Ihre Rechtsgelehrten sprechen ja wohl von dem Recht der Noth, wonach von zwei Schiffbrüchigen auf einem Brett der schlauere und stärkere den anderen hinabstoßen darf. Die Thoren nennen es einen Ausnahmefall. Es ist die Regel, das Naturgesetz, danach leben Könige und Völker, es gilt allüberall, wo die heiße Sonne auf das blasse Elend scheint, und der blasse Mond spöttisch über die Seufzer lächelt, die aus der heißen Brust zu ihm aufsteigen. Oder gehören Sie zu Denen, die das Brett loslassen, und sich von der Welle fortspülen lassen, damit die Kreatur am andern Ende, der edle Nebenmensch, gerettet wird?« – »Ich ward noch nicht in die Versuchung geführt.« – »Wenigstens ehrlich!« lachte die Geheimräthin. »Nein, nur halb ehrlich! Die kleinen Versuchungen, wo Sie unterlagen, haben Sie aus Schonung gegen sich selbst vergessen. Sie zittern nur vor den großen, die noch kommen.« – »Ich will sie abwarten,« – »Mit der Miene eines Stoikers. Aber ich sehe, wie der unterdrückte Ehrgeiz, das getäuschte Vertrauen unter den Fältchen Ihrer Stirn kocht. Sie thun recht daran, Herr van Asten, die Haut recht glatt zu spannen. Aber mich täuschen Sie nicht, so wenig als ich Sie täuschen will. Ja, ich bin im Kriege mit dieser Welt um mich her. Wenn ich nicht schon ganz gemieden, ausgestoßen bin, o glauben Sie nicht, daß es aus Menschenliebe, aus einem Rest von Achtung vor meinen Eigenschaften ist. Die gesellschaftlichen Rücksichten drücken ihren Stachel auf Den zurück, der sie zuerst bricht. Das ist es allein. Darum kommt man noch in mein Haus, darum öffnen sich die Flügelthüren, wo ich erscheine. Darum noch Händedrücke, plötzlich süße Mienen, wie ihnen auch wird, ein Embrassement! Ich gebe ja noch zu essen, ich habe einen Namen, mein Mann hat einen, meine Vätter hatten einen. Andere führen eine glänzendere Tafel, haben höhere Titel, versammeln anmuthigere Gesellschaft um sich, aber die Thüren könnten sich doch einmal schließen, man könnte hinausgestoßen werden, und dann bin ich gut genug als pis-aller. O die Menschen sind vorsichtige Rechenmeister. Auch sind einige so gütig, zu meinen, daß ich Verstand hätte, sogar einen scharfen. Ich sehe ihre Schwächen. Das ist Vielen sehr unangenehm. Meine Zunge verwundet auch wohl; es ist meine Natur. Das ist vielen dieser zartgeschaffenen Seelen noch unangenehmer. Da sie mich nicht von der Welt schaffen können, was ihnen das Liebste wäre, versuchen sie, mit mir zu liebäugeln. Und das ist das Gescheiteste. Wen man fürchtet und nicht vernichten kann, muß man streicheln, bis die Gelegenheit kommt, eine Fallgrube, in die man ihn hinterrücks stößt. Das ist die Politik der Natur; Könige und Kammerdiener, Kluge und Dumme üben sie, und es giebt, die meinen, daß die Welt nur durch sie besteht.« Wer hatte diese unglückliche Frau bis zu diesem Aeußersten gereizt? So hatte sie sich nie ihm gezeigt. Sie schien seine Gedanken zu lesen: »Hat meine Aufwallung Sie erschreckt? Beruhigen Sie sich, mein Herr, ich werde auch wieder ruhig werden. Es ist zuweilen Bedürfniß, sich gegen Menschen auszusprechen, von denen wir glauben, daß sie uns verstehen.« Sie war ans Fenster getreten, aber mit einem Umweg und Seitenblick auf den Spiegel, wie Walter, jetzt aufmerksamer, bemerkte. Sie hatte das Fenster geöffnet, um Luft zu schöpfen, aber sie hatte mit dem Tuche rasch die Toilette ihrer Physiognomie gebessert. Als sie sich zu unserem Bekannten umwandte, war das Gesicht ein anderes, die fieberhafte Aufregung war verschwunden, die Augen stachen noch, aber glühten nicht mehr, es war der lauernde, ernste Ausdruck, der in ihren Zügen fesselte und abstieß. »Ich gab mich Ihnen eben ganz wie ich bin. Sie konnten das geheimste Fältchen in meiner Seele lesen. Ich überlasse Ihnen, davon Gebrauch zu machen, wie Sie wollen, denn ich bin nicht so albern, zu glauben, daß ein Rest von Dankbarkeit und Pietät Sie bestimmen sollte, mich zu schonen. Nein, beurtheilen Sie mich, klagen Sie mich an vor der Welt, wie Sie mich kennen gelernt. Mein unglücklicher Mann wird sterben, – den täuschenden Trost der Aerzte weiß ich zu würdigen – er wird sterben und mich wird man anklagen. Man wird sagen, ja, als es zum Aergsten kam, da schlug ihr das Gewissen, da pflegte sie ihn, da verließ sie ihn nicht bei Tag und bei Nacht, da härmte sie sich ab. Warum nicht früher? Und die klugen Leute haben Recht, denn der Schein ist wider mich. Wer sieht denn hinein in das geheime, zwanzigjährige Wehe eines zerrissenen Herzens! Ich verbarg es der Welt; es hat Niemand ein Recht, meine zerrissenen Schuldbücher nachzuschlagen. Das Glück meines Lebens kostete mich der Schein, die Rolle einer Befriedigten zu spielen. Wenn ich nun aufschrie: er war nie mein Gatte! Nein, mein Herr, ich ward ruhig, ich ward sehr ruhig. Sie mögen mich eine Frau schelten, die um ihren Mann sich erst kümmerte, als der Anstand forderte, auf seinem Todtenbett das Haar vor Schmerz zu raufen. Ich will ihnen auch den Gefallen nicht thun; ich will ihnen auch den Schein lassen, mich kalt, gefühl- und herzlos zu schelten. Meine Trauer will ich in mich verschließen und eine stumme Bildsäule an seinem Sarge stehen, damit sie ein Räthsel mehr zu lösen finden. Jeder mag es nach seiner Art. Sie, Herr van Asten, kennen mich nun, in einer unbewachten Stunde schloß ich mein ganzes zerrüttetes Sein vor Ihnen auf. – Nun suchen Sie sich Kompagnie, die Ihnen gefällt, unter Hohen und Niederen, über mich herzufallen, mich zu zergliedern, zu verurtheilen. Ich bin auf Alles gefasst.« »Ich aber nicht darauf, daß Frau Geheimräthin Lupinus mich dazu fähig hält.« »Fähig, das weiß ich nicht, ich kenne Sie nicht genug. Aber aus Klugheit dürfen Sie vielleicht nicht Kompagnieschaft halten. Die gemeinen Seelen müssen, es ist ihre Natur, Krieg führen gegen alles, was sich über ihr Niveau erhebt. Und Sie sind in diesem Kriege. Bleiben Sie in der Defensive, so sind Sie verloren. – Ich weiß es nicht,« setzte sie nach einer Weile hinzu, »ich kümmere mich nicht darum, ob Sie den Muth haben, Ihren Feinden ins Lager zu dringen.« Unwillkürlich war Walters Blick auf seinen Arm in der Binde gefallen. »Sie haben den Chevaleresken gespielt, Ihren Gegner am Leben gelassen. Verspielt, Herr van Asten! Wer seinen Gegner nicht vernichtet, hat ihn gestärkt. Hätten Sie Rache genommen, wie die Beleidigung es heischte, ja dann – aber glauben Sie nicht, daß man Sie darum für einen Kavalier hält, weil Sie nach der Mondschrift in dem schwarzen Buch der Kavalierehre gehandelt. Obsolete Dinge! Man zuckt die Achseln, ein Gelächter rieselt, wenn die Junkeroffiziere von der Affaire erzählen. Der Andere wird jetzt beklagt, Sie – Sie Walter, werden nicht gefürchtet. Und Sie könnten gefürchtet werden, es war in Ihre Hand gegeben. Es war die einzige Waffe für den Bürgerlichen, glauben Sie mir, ich kenne sie ja, sich Respekt zu verschaffen. Die warfen Sie aus der Hand. Was wollen Sie nun thun? Alles, was Ihre feine, scharfe Feder schreibt, kitzelt da Keinem die Haut. Sie antichambriren umsonst. Ihre Ideen bleiben Mondscheinsgedanken, denn die Welt bleibt dieselbe, Herr van Asten. Nach jedem Erdbeben, wo etwa die Lohe des Geistes, aus der verschlossenen Tiefe berstend, über die Thäler und Berge wirbelte und die Wolken erleuchtete, wo die Geknebelten Freiheit schrien und Recht, nach jedem solchen Rausch kommen sie wieder zur Besinnung, es zieht sich wieder die Rhinoceroshaut der Gewohnheit um das Pseudotitanengeschlecht, das den Himmel stürmen wollte, und die Menschheitsbeglücker hat man noch immer nachher gekreuzigt und verbrannt, wenn man es nicht für bequemer hielt, sie nur einzusperren und auf dem Stroh verfaulen zu lassen. Die Welt wird nicht anders.« »Noch würde ich sie geändert haben, wenn ich den Kornet in die jenseitige geschickt. Die Rache baut nicht Häuser, sie zerstört nur. Wehe, wo es gilt, unser zerrüttetes Gemeinwesen wieder heben, wenn die bisher Gedrückten nur daran denken, sich an ihren Unterdrückern zu rächen, wenn nicht alles Persönliche als wesenlos bei Seite bleibt, wenn die Retter nicht mit ernstem, heiligem Willen an die That gehen.« Man hätte ein chamäleonisches Mienenspiel auf dem Gesicht der Geheimräthin bemerken können, das sich endlich in ein feines ironisches Lächeln um ihre Lippen auflöste: »Sie haben die Prüfung gut bestanden, Herr van Asten, ganz wie ich sie erwartete. Hoffen wir Alle auf dem Wege der Geduld und Entsagung zu unserm Recht zu kommen. Ich habe Geduld. Nicht wahr? Und ich habe entsagt – sogar dem Glück, verstanden zu werden. Kann man mehr? Leben Sie wohl –« Sie war gegangen, um an der Thür wieder stehen zu bleiben: »Sahen Sie Adelheid seit Ihrem Ehrenhandel?« – »Sie hatte einen Rückfall, als ich nach meiner Genesung ansprach.« – »Sie werden auch in dieser Entsagung sich einen Lorbeer erringen können.« – »Wenn ich um den Sinn der Worte bitten darf?« – »Daß Adelheids Sinn, seit sie bei der Fürstin ist, sich geändert hat, brauche ich Ihnen doch nicht erst zu sagen.« – »Die Fürstin hat so wenig Macht, als irgend eine Frau auf Erden, Adelheids Sinn zu beugen.« – »Freilich, da ein Anderer ihn schon gebeugt hatte.« – »Ich werde mich selbst zu beugen wissen vor dem Unabänderlichen, wenn es entschieden ist.« – »Eine seltsame Bezeichnung für den jungen Bovillard.« – »Bovillard!« – »Liebt, das heißt, er rast für sie. Nun, das weiß jedes Kind. – Sie gewiß auch.« – »Bovillard!« – »Er ist ja auch wohl Ihr Freund? Was thut das! Daß die Fürstin Adelheid deshalb zu sich genommen, daß es eine große Komödie in der Komödie war, ist Stadtgespräch. Daß Adelheid seine Neigung erwidert, und nur krank ist, weil sie es zu gestehen sich scheut, sind öffentliche Geheimnisse.« Walter hatte an seinen wunden Arm gefasst, nur um mit der Hand irgend etwas zu fassen. Der furchtbare Schmerz erpresste ihm einen unterdrückten Schrei, er lehnte sich erblassend an ein Möbel. »Nun, Sie werden heroisch sein. Wer wird Rache nehmen, wenn er beleidigt ist! Und an einem Freunde! Uebrigens glaube ich wirklich nicht, daß die Fürstin Gargazin an Herrn von Bovillard ernstlich denkt. Sie hat wohl andere Pläne. – Haben Sie nicht gehört, wann Kaiser Alexander Berlin wieder besucht?« Walter hatte nur die Hälfte gehört. Er hatte, respektvoll vor ihr sich neigend, für die gütigen Mittheilungen gedankt; der Kaiser, wie er gehört, werde ein Bad in Asien besuchen. Es sei bei der geschwächten Gesundheit des erhabenen Monarchen wohl recht zu wünschen. Unten an der Treppe fasste er wieder seinen Arm: »Dies Weib! Dies Weib! Gießt sie Gift oder Feuer in meine Adern!« Die Lupinus lachte, als sie allein war, hässlich auf: »Der Wurm sticht doch, wenn er getreten wird, und der verwundete Elephant und Löwe erhebt ein Gebrüll, wovon der Wald erzittert, nur der Mensch prätendirt edel zu sein, wenn er mit einem stummen Seufzer sich zertreten lässt.« 59. Kapitel. Nur keine Lüge mehr! Neunundfünfzigstes Kapitel. Nur keine Lüge mehr! Es war ein glänzender Gesellschaftsabend im Palais der Fürstin. Aber der Abendstern, der heute glänzen sollte, erschien wie erlöschendes Licht, wie eine schöne Statue in Mondscheinbeleuchtung. Es war etwas vorangegangen. »Ein zu heißer Tag!« sagten die Herren. Die Fürstin lächelte sanft. Man wusste in den flüsternden Gruppen, weshalb die Fürstin die schöne Adelheid in ihrem Hause aufgenommen. Sie sollte es dekoriren, wie die schönen Bilder, Statuen und Raritäten an den Wänden es dekorirten. Gerade wie die Lupinus vorhin ein solches Möbel für ihr Haus gebraucht. Dies hatten die scharfen Zungen schon längst ausgesprochen. Auch mag ein Möbel, eine Ornamentur, die in einem Hause längst ein abgenutzter, alltäglicher Gegenstand geworden, in einem andern durch geschickte Verwendung wieder zu einem der Bewunderung werden. Aber die Fürstin arrangirte nichts, sie ließ Alles gehen, wie es wollte. Das junge Mädchen war nicht wie eine Untergebene, nicht wie eine Tochter, man möchte sagen auch nicht wie eine Freundin, sondern wie eine Herrin aufgenommen, der ein Recht auf dies Haus und Alles darin zustand. Sie hatte ihre besonderen Zimmer, Diener, sie konnte Besuche empfangen, ausfahren, wie sie Lust hatte. Sie erschien, oder blieb aus, wenn Gesellschaft sich versammelte; die Fürstin betrachtete es als eine Freundlichkeit, wenn sie Theil nahm, und dankte ihr, jedoch mit der Bitte, es nie als ein Opfer zu betrachten, vielmehr ganz ihrem Penchant zu leben. Die Königin Louise hatte wieder gelegentlich den Wunsch geäußert, die schöne Adelheid zu sehen. Der Wunsch einer Königin ist sonst Befehl. Aber als Adelheid die Augen niedergeschlagen und geantwortet hatte: »Was soll ich vor der hohen Frau!« war die Fürstin ihr mit der liebenswürdigsten Art um den Hals gefallen: »Sie haben Recht, was sollen Sie da! Warum sich einen Zwang anthuen. Solche hohe Personen werfen in der einen Stunde einen Wunsch hin, um ihn in der nächsten zu vergessen.« Es war etwas vorangegangen vor dem Abend, von dem wir sprechen wollten. Die Fürstin war von ihrem Prinzip gewichen, sie hatte Adelheid genöthigt, mit der Baronin Eitelbach eine Spazierfahrt zu machen. Sie wollte die schöne Seele los sein. Adelheid hatte sie als Blitzableiter gebraucht, ohne zu bedenken, ob die elektrischen Zuckungen des Entsagungsfiebers nicht in den Blitzableiter selbst übergehen und ihn verderben könnten. Die Welt wäre vollkommen, wenn es keinen Egoismus gäbe, sagen weise Leute. Andere meinen, es wäre darin nicht auszuhalten, wenn nicht bisweilen die Selbstsucht zerstörend durch die Linien und Netze führe, mit denen uns die berechnende Weisheit zu Zahlen in einem großen Exempel machen will. Es war ein schwüler Sommertag, aber es ruhte sich so weich in den Polstern des offenen von englischen Federn geschaukelten Wagens, und der russische Kutscher lenkte seine Pferde pfeilschnell durch die schattenreichsten Gänge des Thiergartens. Eine Fahrt, recht geeignet, um seinen Träumen nachzuhängen; die Gedanken konnten spielen, wie die Schatten der Blätter auf den hellen Kleidern der schönen Damen, die, sie wussten selbst nicht recht warum, hier kopulirt waren. Die Baronin war eine herzensgute Seele; dessen war sie sich jetzt selbst bewusst, seit die Liebe ihr ein Bewusstsein gegeben. Sie hatte nie hinter dem Berge gehalten, als sie noch nichts mitzutheilen hatte, nämlich aus ihrem innern Leben; seit hier ein Gedanke wogte, und andere erzeugte, die sie für ihr unbestreitbares Eigenthum hielt, erschien es ihr sogar als Pflicht, von diesen Gefühlen und Gedanken auszuschütten. Je schwerer uns eine Errungenschaft ward, um so mehr halten wir uns berechtigt, daß Andere Belehrung von uns empfangen müssen. Es ist nun einmal so aller Autodidakten Art. Adelheid war eine Kranke. Das war eine angenommene Sache, nur war man darüber uneinig, ob ihre Krankheit eine physische oder psychische sei. Die Roheren oder die Gleichgültigen sagten: sie sei so schlecht von der Geheimräthin behandelt worden, oder sie habe sich doch so wenig mit ihr vertragen können, daß sie fortlaufen musste, und man habe es dann nachher so abgekartet, als hätte die Fürstin sie nur wegen des Nervenanfalls ins Haus genommen. Von dieser erschrecklichen Behandlung oder dem inneren Zwiespalt sei das arme Mädchen krank, und schweige nur darüber aus Großmuth und Schonung gegen ihre frühere Wohlthäterin. Vermittelnde meinten, daß die Geheimräthin ihr Verhältniß zu Walter van Asten begünstigt, daß sie ungehalten geworden, weil Adelheid kalt gegen ihn geworden; das habe Beide auseinander gerissen. Aber krank konnte sie doch darum nicht sein; nicht aus Verdruß, daß sie die Liebe einer Frau eingebüßt, welche sie nie geliebt, noch Wohlthaten, welche ihr stets drückend gewesen. Genoß sie doch jetzt die volle Liebe und Wohlthaten der liebenswürdigen Fürstin in ganz anderm Maße. Also musste eine andere Liebe ihrem kranken, unbeschreiblichen Wesen zu Grunde liegen. Und hier war das Feld der Vermuthungen für die Feineren. Sie hätte Dem ihre Neigung zugewandt, der sie als Lehrer rasch und glücklich in ein höheres geistiges Leben geführt. Es war eine reine uneingeschränkte Neigung geblieben, welche sie, von Bewunderung und Dankbarkeit erwärmt oder getäuscht, für Liebe gehalten, bis – ein Anderer erschien, für den ihr Herz anders schlug. Sie war krank geworden, wirklich körperlich leidend, unter Gefühlen, die sie vergebens zu unterdrücken versucht. Da war – es musste eine Krisis eingetreten sein, die mit einer äußeren Begebenheit in Verbindung stand. Sie war in Folge derselben in ein anderes gastliches Haus übergesiedelt. So weit war den Eingeweihten alles klar. Sie kannten auch den Namen des Zauberers, ihn selbst. Hier aber schoß ein neues Räthsel auf, eine neue Sphinx lagerte sich vor dem Portikus, der in die Salons der Fürstin führte. Louis Bovillard hatte Zutritt. Die Fürstin, die um Alles wissen musste, nahm ihn, wenn nicht mit Auszeichnung, doch mit zuvorkommender Theilnahme und Güte auf. Er, bis da ein wüstes Genie, das man verloren gab, vermieden, wenn nicht gar ausgestoßen aus der Gesellschaft, ward von ihr nicht nur zu den kleinen Cirkeln und Partien gezogen, sie schien die Fahne über ihn schwenken zu wollen, wenn sie die höchsten und ehrenwerthesten Personen in ihr Haus geladen hatte. Und er ging aufrecht und stolz umher, unbekümmert um Die, welche ihn scheuten und hassten; Denen mit ironischem Mitleid sich nähernd, welche vor seiner Berührung erschraken. Bis auf eine feinere Toilette, eine gentilere Haltung schien er hier derselbe Louis Bovillard, auf den man einst auf der Straße mit Fingern zeigte; dieselche Nonchalance, derselbe kaustische Witz, mit bittern Sottisen, mit einem beißenden und vernichtenden Urtheil, derselbe Uebermuth und dieselbe Rücksichtslosigkeit gegen Die, um welche die Gesellschaft sich ehrerbietig gruppirte. Nur wenn Eine erschien, war er ein Anderer. Sein Uebermuth war gebrochen, sein Witz stockte, seine glühenden Augen hafteten auf ihr. Er konnte dem flüchtigen Beobachter, wenn er sie dann wieder zu Boden sinken ließ, wie ein verlegener, junger Mensch bedünken, der zum ersten Mal in eine Gesellschaft tritt. Und doch war Louis Bovillard kein Räthsel. Aber sie, die Eine, welche diese Wirkung auf den tolldreisten Wüstling geübt! Liebte sie ihn, sie, die so ruhig und kalt ihm entgegentrat, wie jedem andern gleichgültigen Gast, seine Verbeugung mit leichter Grazie erwidernd, um nach einigen gewechselten Worten über Wärme und Kälte, Wetter und Wind, Anderen entgegen zu eilen? Wie war sie da erfreut, schüttelte die Hände, embrassirte die unbedeutendsten und unangenehmen Damen wie nur theure Jugendfreundinnen. Nur daß sie, plötzlich in Gedanken versunken, auf ihre Ansprache zerstreut antwortete. Sie musste nicht recht zugehört haben, sie verwechselte die Personen. »Eine verzogene kleine Glücksprinzessin,« hatte da wohl eine vornehme Dame geäußert, die auf specielle Aufmerksamkeit Anspruch machte. – »Sie ist wohl destinirt, immer die Interessante zu spielen,« entgegnete eine Andere. – »Sie ist krank, und kränker, als wir denken,« sagte ein Arzt, der berühmte Doktor Marcus Herz, welcher sie seit einiger Zeit aufmerksam zu beobachten schien. Auf die Frage, was ihr fehle? entgegnete er: »Was unserm Staate fehlt, eine heftige Krisis, damit die Krankheit herauskommt.« – »Welche Krankheit?« – »Die schwerste, die, welche man vor sich selbst verbirgt.« Auch die Baronin Eitelbach betrachtete Adelheid als eine Kranke; Adelheid litt an der Krankheit, in deren Ueberwindungsstadium sie sich selbst befand. »Liebe Seele,« hatte sie gesagt, »ich kenne ja das. Sie sind verliebt und wollen sich's nicht eingestehen.« Adelheid war aufgefahren: Sei es denn Zeit, um zu lieben, wo man nur hassen müsse? Sie hatte von der Ehre und Noth des Vaterlandes gesprochen, warm, wie es aus dem Herzen kam, in solchen Augenblicken dürfe der Mensch nicht an sich denken. Aber sie erschrak über ihre eigenen Worte. Es war eine Rede, geborgt aus einer anderen Stimmung, denn sie hatte ja eben nicht an das Vaterland, sie hatte nur an sich gedacht: wie sie dort im kurzen Röckchen unter den Platanen gespielt, unter den Brombeersträuchern Hütten gebaut, der kleine grüne Fleck hinter den verkümmerten Tannen war eine Wüste gewesen, die für sie kein Ende hatte. Das Wort Waldeinsamkeit war noch nicht ein Gemeingut, aber sie hatte die Ahnung und den Begriff. Und dann – durch dieselbe Allee war sie später gefahren, und wenn sie an die forschenden Blicke der Neugierigen dachte, die sie jetzt erst verstand, schoß das Blut ihr zu Kopf! Aber auch die Obristin Malchen und ihre Nichten verschwanden wieder wie neckende Spukgeister hinter den Gesträuchen, in denen die Sonne ihr funkelndes Gold aussprenkelte. Wie oft war sie an der Seite der Geheimräthin hier vorübergerollt! Warum war diese Erinnerung ihr jetzt weit schreckhafter? Warum rückte sie in die Ecke des Wagens, als scheue sie vor der Berührung eines Gespenstes? Verdankte sie ihr nicht viel, sehr viel, ihr ganzes geistiges Dasein dem Umgang der klugen Frau, ihren Belehrungen? Ja, vielleicht war es das, was wie ein Frostfieber ihre Adern durchrieselte. Sie war die chemische Säure gewesen, die aus der jungen Brust die Begeisterung, aus dem Blut die Elasticität gesogen, den Glauben, die Hoffnung und die Liebe. Sie wäre untergegangen, das fühlte sie, in dieser kalten, zersetzenden Nähe, und etwas davon war in ihr geblieben, es beschwerte ihr Blut, es trübte ihren Blick, der Egoismus des Verstandes! Und als diese wechselnden Schicksale wie die Stäubchen im Sonnenstrahl vor ihrem inneren Auge wirbelten, hatte sie sich gefragt: warum das Schicksal so wunderbar mit ihr gespielt? sie schleudere aus einem Arm in den andern, Menschen und Gewohnheiten tauschend, wie die Bilder aus einer Laterna Magica? Ob sie eine besondere Bestimmung habe, indem sie die Menschen in ihrer Schlechtigkeit kennen lernen sollte? Eine entsetzliche Frage hatte in dem jungen Herzen angepocht: hat die Natur den Menschen auf die Welt gesetzt zur Lüge, oder um nach der Wahrheit zu ringen? Die der Lüge lebten, einen andern Schein um ihr Sein woben, – hatte sie nicht beobachtet, daß gerade diese vom Glück angestrahlt waren, gesucht, geschätzt, anerkannt, selbst von Denen, welche sie durch und durch erkannten! Die dagegen kein Aushängeschild über ihr Wesen trugen, ihre Gedanken rein aussprachen, gerade auf ihr Ziel losgingen, wo hatten sie es erreicht, wie wurden doch ihre Gedanken mißverstanden, anders ausgelegt, höchstens belohnt durch eine laue Anerkennung ihres redlichen Strebens. Aber hinzugesetzt ward: schade, damit wird er nie durchdringen. Es hilft der Welt nichts, was er thut. – Was hatte Walter errungen? – Der arme Walter! Und sie! – Sie hatte ihn getäuscht, sie täuschte ihn noch immer fort, sie täuschte sich – sie war in ein Labyrinth der Lüge gerathen. Und wo der Ausweg! Als wolle sie ihn suchen, hatte sie in die Wipfel geblickt, deren Blätter im Abendwinde durcheinander wogten, ohne daß sie nur eins mit den Augen verfolgen können. Da hatte die Baronin jene Worte an sie gerichtet. Und wieder betraf sie sich auf einer Lüge. Sie musste das Auge vor dem Blick der Eitelbach niederschlagen. So hell und klar sah diese sie aus ihren großen blauen Augen an. Das ausdruckslose Gesicht gewann durch das Gepräge der Wahrheit einen Ausdruck, der für sie in dem Moment überwältigend war. »Liebe Alltag, warum zieren Sie sich denn vor mir,« sprach die Eitelbach mit dem gutmüthigsten Tone von der Welt. »Der Bonaparte mag ein noch so böser, und unser König ein noch so guter Mensch sein, jeder Mensch denkt doch an sich zuerst.« »Jeder!« sagte Adelheid, um nur durch ein Wort ihrer gepressten Brust Luft zu machen. »So ist es schon. Ich lass' mich auch gar nicht mehr irre machen. Krieg mag schon nöthig sein auf der Welt, meinethalben; ich kenne sie aber, die Herren Offiziere, alle, und da ist keiner, der nicht an sein Avancement denkt, wenn er sich in den Kragen wirft und grunzt, daß man glaubt, die Seele sollte ihm ausgehen, von des Königs Rock und Friedrichs Ehre, und wenn er dann auf den Hacken Kehrt macht und eine Miene sich geben will – Na, habe Dich nur nicht, denke ich. – Gerade wie mein Mann. Wenn der spuckt und über den Frieden lamentirt und sagt: Daran gehen wir zu Grunde! dann weiß ich auch, was die Glocke geschlagen hat. Wenn er die Mantellieferung gekriegt, dann wären wir nicht zu Grunde gegangen und es könnte Friede werden in alle Ewigkeit. So sind die Männer. Sie denken nur an sich.« »Nicht alle.« »Nein, Einer nicht. Aber sonst! Ja, wenn das Andre draußen mit ihren Wünschen zusammenpasst, dann sind sie lichterloh. Das weiß dann zu parliren und encouragirt sich, bis sie's am Ende selbst glauben, daß es darum ist. Es amüsirt mich, wenn ich sie so höre sich warm reden; aber mich täuschen sie nicht mehr, auch die Klügsten nicht. Ich denke: sprecht Ihr nur, ich weiß doch, was dahinter steckt.« »Täuschen die Männer nur? Belügen wir uns niemals?« Die Baronin schien nachzusinnen: »Nein, liebe Seele, Engel sind wir auch nicht immer. Wenn mein Mann Feuer schlägt, mancher Schwamm will gar nicht zünden, aber der andre fängt im Augenblick, der ist weicher, sagt er. So sind wir Frauen, habe ich da gedacht. Wenn ein Funken vom Himmel fiele, bei den Männern hat es gute Weile, aber wir –« »Lodern rascher auf. Ist das aber gut?« »Was vom Himmel kommt, ist doch gut. Die Leute sagen nun, Sie könnten den Louis Bovillard nicht ausstehen, weil er den Napoleon einen großen Mann nennt und Gott weiß was. Die Leute sind nicht gescheit. Er thut es nur, um sie zu necken und Sie auch. Und wissen Sie, warum Sie ihm immer den Rücken kehren? Damit er sich nicht einbilden soll, daß Sie ihm gut wären. Und warum Sie immer so in Extase sprechen, wie Sie die Franzosen hassen? Nur damit die Andern nichts merken sollen, wie Sie verliebt sind.« »Frau Baronin!« »Mir machen Sie nichts weiß. Sie sind's bis über die Ohren, und wenn er selbst ein leibhaftiger Franzose wäre, schadet nichts. Und wenn er dem Bonaparte sein General, oder gar sein Spion wäre, da würde Ihr Franzosenhaß so klein, ach, mit dem Theelöffel könnten Sie ihn runterschlucken.« Adelheids erstaunter Blick sagte: »Wie kamst Du dazu?« Auch diese stumme Sprache verstand die Erleuchtete: »Und ich weiß auch wohl nicht, was Sie jetzt denken? Daß die blinde Henne auch mal ein Korn gefunden hat. – Denken Sie's immer zu, ich nehm's Ihnen gar nicht übel. Als ob ich nicht wüsste, daß die Andern auch so denken! Das genirt mich aber gar nicht. Haben Sie doch gedacht, Sie könnten mir Männchen vormachen und mit mir Blindekuh spielen in Ewigkeit. Eine Weile geht's, aber dann fällt die Binde doch runter. Jetzt sollen Sie's aber nicht mehr, da gebe ich Ihnen mein Wort. Allzuscharf macht schartig, und hinterm Berge wohnen auch Leute, sagte meine Mutter. Aber warum wickeln Sie sich so in Ihren Shawl? Zu schämen brauchen Sie sich doch nicht, und vor mir am wenigsten, denn ich sage es Jedem grad heraus: Ich liebe und bin glücklich.« »Und Sie haben doch entsagt!« Das Verhältniß der Baronin war zum öffentlichen Geheimniß geworden. »Und nun bin ich gerade erst glücklich. Ich weiß, er liebt mich, und er weiß, ich liebe ihn, und es geht nun einmal nicht.« »Ist das ein Glück?« »Muß man denn sich immer ins Auge sehen, die Lippen öffnen und die Hand drücken, um sich zu sagen, daß man sich liebt! Wenn wir noch so weit getrennt sind, sehen wir nicht Beide da den Abendstern aufgehen? Brauchen wir uns Briefe zu schreiben, um uns zu sagen, daß wir uns nie vergessen werden? Ja, ehedem dachte ich wohl, ohne Rosabillets auf duftendem Papiere, und schöne Präsente ginge es nicht. Ach, wie ist das Alles ganz anders! Diese Blicke aus seinen treuen, guten, schönen Augen werden immer vor mir stehen, wie die Sterne am Himmelsbogen. Und ist das kein Glück, daß ich überzeugt bin, auch er sieht mich, wie ich ihn sehe! Auch er wird von falschen Zungen umschwirrt, die mich wie ihn verreden. Aber auch er weist sie zurück! Nein, je weiter Zeit und Ort uns entfernen, um so inniger wird unser Bund, denn er ist unauflöslich. – Und, Adelheidchen, so könnten Sie auch fortlieben und glücklich sein –« »Und lügen – lügen in Ewigkeit!« brach es aus der gepressten Brust. Es war unwillkürlich; die Eitelbach wollte sie nicht zur Vertrauten ihrer Gefühle machen. »Entsagen, Liebe, ist das lügen? Der Besitz tödtet die Freude des Verlangens, hat mir Jemand ins Stammbuch geschrieben. Würde ich ihn lieben, wie jetzt, wenn er vor acht Jahren – nun ja, wäre er mein Mann, dann würden wir uns vielleicht recht gut sein, aber hätten sich unsre Seelen kennen gelernt! Die gemeinschaftliche Menage, sagt der Legationsrath, das tägliche Beieinander stumpft die feineren, sinnigen Gefühlsfäden ab, nur Verlangen und Entbehrung weckt die edleren Seelenkräfte. Er will's mir auch ins Buch schreiben. Er braucht es nicht, ich fühle es, ich weiß es. Ich ward eine Andere, mein Mann sagt, er kennt mich nicht wieder. Nun bin ich erst froh, ich weiß, warum ich lebe. Wir nicken uns durch die Lüfte einen guten Morgen zu. Wenn ich ausfahre, freue ich mich der frischen Luft; auch ihn kühlt sie ja, wenn er über die Haide sprengt. Abends schüttelt er treuherzig den Kopf und ruft mir Gute Nacht! zu.« Adelheid fasste krampfhaft den Arm ihrer Begleiterin: »Soll das Ihr Leben dauern?« »Herr Gott, wie Sie zittern! – Warum denn nicht.« »Weil – allmächtiger Gott, ich glaube, der Versucher rauscht in den alten Eichen! Nennen Sie das entsagen?« »Wie denn sonst? Der Versucher, das weiß ich wohl, mit dem hat die Fürstin es zu thun, er vergiftet das Blut, sagt sie, und der sündhafte Gedanke zehrt an der Seele, ein kleiner Fehltritt sei nichts gegen eine große Gedankensünde. Ach, die gute Gargazin ist eine Russin, sie kennt die Liebe nicht, die sich Alles versagt, und nur für den Geliebten sorgt. So, liebe Seele, würden Sie lieben. Wenn Sie den Herrn van Asten heirathen müssen, weil er Ihr Wort hat, thun Sie's, und er wird gewiß ein guter Ehemann werden, besser als meiner. Aber dann, wenn Sie Ihre Pflicht gethan, wer darf Sie von Ihrem Bovillard trennen, o, dann werden Sie selig, unaussprechlich selig werden.« Adelheid fühlte einen Schwindel, es schwankte und drehte sich und ihr war, als müsse sie aus dem Wagen springen. Es war aber mehr als eine Empfindung der aufgeregten Stimmung. Der Kutscher, wie sich nachher ergab, betrunken, hatte den Wagen aus der Seitenallee in die Chaussee umgelenkt, ohne den Charlottenburger Milchkarren, der leer aber langsam ihm entgegenfuhr, zu bemerken. Die Fuhrwerke waren aneinander gestoßen, freilich zum größern Schaden des Karrens, der zerbrochen am Boden lag, die Blechgefäße polterten auf die Straße, aber auch die Equipage hatte sich übergelehnt, und Adelheid war jetzt zu dem gezwungen, wozu vorhin innere Angst sie drängte. Als die Baronin noch um Hülfe schrie, hatte sie, rasch entschlossen, sich schon danach umgesehen, und sie war zur Hand. Zwei einsame Spaziergänger waren von den entgegengesetzten Seiten des Weges auf den Lärm herangeeilt. Adelheid riß ihren Shawl von den Schultern, und warf ihn dem ihr Nächststehenden zu. Als er aber die Arme ausbreitete, um ihr herabzuhelfen, fuhr auch ihr ein Schrei über die Lippen, kein lauter in dem allgemeinen Toben und Fluchen, aber laut genug, daß er Zweien durchs Herz fuhr, der, welche ihn ausgestoßen, und dem, welcher ihr die Arme entgegenstreckte. Walter van Asten sah, wie Adelheid sich von ihm abwandte und umschlungen vom Arm des Rittmeisters Stier von Dohleneck aus ihrer gefährlichen Lage gehoben ward. Er hatte genug gesehen. Auch die Baronin durchzuckte ein Ton, der nur halb über ihre Lippen kam. Sie nahm die Hülfe des jungen Mannes dankbar an: »Ich danke Ihnen,« sagte sie, ihr Haar in Ordnung bringend, »daß gerade Sie es sind.« Wir lassen unsere Leser auf der dunkelnden Charlottenburger Chaussee nicht länger verweilen: was geht uns der Lärm, das wüste Gezänk an zwischen Kutscher, Milchmann, den umstehenden Schiedsrichtern und Helfern. Ein Rad war gebrochen, in der Equipage konnten die Damen nicht mehr nach Hause fahren. Ihre Retter führten die Erschreckten langsam, bis eine leere Kutsche ihnen begegnete. Adelheid wusste nachher nicht, was der Rittmeister mit ihr gesprochen, sie wusste selbst nicht, ob es der ihr wohlbekannte Rittmeister gewesen, an dessen Arm sie ging. Sie wusste nichts von sich auf dem viertelstündigen Wege. Erst als man sie in den andern Wagen hob, fühlte sie einen Händedruck. Walters Stimme flüsterte fest, aber nicht rauh und kalt: »Zum Abschied, Adelheid! Nun bist Du frei.« Die Damen hielten ein gegenseitiges Schweigen für die beste Unterhaltung auf dem Rückwege. Adelheid hatte sich fest in ihren Shawl geschlungen, obgleich es eine laue italienische Nacht war und die Baronin ihr Tuch abwarf, um sich nicht zu echauffiren. Das junge Mädchen musste frieren, ihre Zähne klapperten, und es waren wohl Phantasieen, wenn die Baronin oft die Worte hörte: »Nur keine Lüge mehr!« 60. Kapitel. Die Wollust der Märtyrer Sechszigstes Kapitel. Die Wollust der Märtyrer. Das war dem glänzenden Gesellschaftsabend vorangegangen. Es war noch etwas Anderes vorangegangen – im Souterrain des Hauses. Wer die liebenswürdige Wirthin sah, wie sie mit mädchenhafter Grazie den Gästen entgegeneilte, und über das unerwartete Erscheinen von Dem und Jenem fast kindlich erfreut schien, konnte an der Wahrhaftigkeit ihrer Empfindungen zweifeln. »Wenn sie es auch nicht so meint, ist es doch angenehm, daß sie es so zeigt!« Aber er konnte nicht ahnen, wie diese Augen, aus denen Wohlwollen und Güte blitzten, vor einer Stunde auf ein anderes Schauspiel, ich sage nicht lächelnd geblickt, aber theilnahmslos stier. Auch das passte nicht, vielleicht mit der Wollust eines gesättigten Raubthiers, das seines Opfers Blut fließen sieht. Der Kutscher hatte es allerdings verdient. Mit einer milderen Züchtigung wegen des ersten Unfalls auf der Potsdamer Chaussee davon gekommen, rief sein Ungeschick heute auf der Charlottenburger die exemplarische Strafe hervor, welche der Haushofmeister ihm diktirt. Auf Ordnung muß ein Herr und eine Herrin im Hause halten. Es war die Ordnung, daß der dienstvergessene Leibeigene von zweien andern eine Lektion empfing, deren Maß nur unsere Begriffe und die Kraft unserer Nerven übersteigt. Auch daß die Herrin zugegen war, um nach Handhabung der Ordnung zu sehen, verstieß nicht absolut gegen die Sitte. Nur daß sie, mit verschränkten Armen an der Kellerthür stehend, so lange zusehen konnte, ohne mit den Augenwimpern zu zucken, ohne auf die Wehlaute des Zerfleischten ein Halt zu rufen, daß um ihre Lippen ein eigenthümliches Lächeln schweben konnte, während ein seltsamer Glanz in ihren Augen leuchtete und ihre Stirn wie vor Freude sich röthete, das musste einen besonderen Grund haben. Es hatte auch einen. In Gedanken versunken, in Phantasieen, die sie interessiren mussten, schien sie eigentlich, was geschah, vergessen zu haben. Sie hatte auch den fragenden Blick des Kochs aus der Ukraine übersehen, der einen Augenblick inne hielt, in der Meinung, es sei genug. Ein Sklave darf keine Meinung haben; als sie nicht gewinkt, fuhr er mit dem Stallknecht in der Arbeit fort. Die Herrin hatte es zu verantworten; er und der Kalmück waren nur die Werkzeuge, vielleicht die willigen. Der Zoll von Herrendienst, den sie dem Kutscher abentrichteten, war gewiß nur eine Vergeltung für viele ähnliche, die Jener bei anderer Gelegenheit ihnen geleistet. Es hätte schlimmer werden können, wenn nicht der französische Kammerdiener der Fürstin zugeflüstert: » Madame la princesse, je crains que les cris de la bête ne pénètrent pas les oreilles de Mademoiselle Alltag. Elle fait sa toilette tout près de l'escalier. « Da war die Fürstin aus ihren Träumen erweckt worden. Etwas unangenehm, schien es. Die Alltag durfte nichts hören. Sie hatte den Exekutoren rasch gewinkt, inne zu halten; sie wollte ungehalten sein, daß man sie nicht früher aufmerksam gemacht, aber sie sagte, der Anblick sei rebutant. Sie hatte etwas von pauvre homme hingeworfen, und Anweisung gegeben, ihn gut zu pflegen, damit er bald wieder seinen Dienst verrichten könne. Und sie hatte noch eine unangenehme Ueberraschung gehabt. Der Kammerdiener hatte ihr auch etwas vom Herrn Legationsrath zugeflüstert, was sie damals überhört. Oben fand sie ihn in einer Anwandlung von Ohnmacht auf dem Kanap é. »Possen! oder was ist das?« fragte sie verwundert, als er sich durch die Tropfen erholt, die sie aus ihrem Flacon gesprengt, und er selbst ein Fläschchen entkorkte, um durch das Einathmen wieder zum vollen Gebrauch der Sinne zu kommen. – »Ich kann kein Blut sehen,« sagte er. »Sie wissen es!« – »Starker Mann!« – »Stärkere leiden an Idiosynkrasieen.« – »Wer seinen Freund zum Rendezvous auf zwei Kugelmündungen ladet!« Es blieb zweifelhaft, ob die Bemerkung ironisch gemeint war ihr Blick verrieth es nicht. Ihre Gedanken waren noch anderswo. »Die Kugel bringt den Tod, dem Andern oder mir. Ich fürchte weder diese Frage zwischen Sein und Nichtsein, noch das Eingehen in das Nichtsein. Aber das Blut ist eine unvertilgbare Essenz,« sprach er schaudernd, und sprang auf. »Ich kann nicht dafür, daß meine Natur so ist, noch begreife ich's, warum die ewig gebärende Mutter diese Anomalie in ihrem großen Schöpfungswerk zuließ. Ich wische alle Tinten, Farben spurlos aus, aber warum widersteht dieser hässliche rothe Saft, warum wird er so oft zum Verräther –« »Weil der Himmel das warme Blut in unsere Adern goß,« rief die Gargazin, »als den köstlichen Saft, in dem wir uns berauschend einen Vorgeschmack seiner Seligkeit trinken mögen. Das begreifen Sie freilich nicht, Mann von Marmor.« – »Den Rausch begreif ich, Erlauchte Frau, auch den Rausch in Blut. Aber nicht, verzeihen Sie, wenn es durch Geißelhiebe aus dem – Rücken einer elenden Kreatur gepeitscht wird. Alles, was man ohne Zweck thut, ist meiner Natur entgegen.« – »Der Zweck! Kurios! Fragen Sie meinen Haushofmeister. Der Mensch hat es verdient.« – »Daß Sie sich selbst strafen, und Ihren besten Kutscher zerschlagen lassen, damit er sechs Wochen nicht auf dem Bock sitzen kann, wenn je wieder?« – »Ich war in einer animosen Laune. Wer widersteht einem Impuls?« – »Darum war ich um meine Erlauchte Freundin besorgt, denn der Exceß in der Bestrafung könnte in diesem Staate unangenehme Folgen haben.« »Die sich redressiren lassen.« – »Gewiß, es bleibt indeß immer sehr unangenehm, wenn man seine Kräfte zum Redressiren von Vergangenem verwenden muß. Die Meinung, das Publikum übt eine Macht, die wir durch den Widerstand nur intensiv stärker machen. Wenn es hieße, die Fürstin Gargazin hat ihren Leibkutscher zu Tode prügeln lassen, so würde man die Gerüchte wohl zum Schweigen bringen, weil Sie die Fürstin Gargazin sind, auch für die Oeffentlichkeit würde die Wissenschaft Atteste bereit haben, daß der Kutscher an einem organischen Fehler gestorben ist, aber das Todesröcheln des Zerfleischten möchte doch etwas Leichengeruch in den harmonischen Duft hauchen, den der Liebreiz einer Natalie Gargazin um sich gezaubert.« Sie schwieg, aber ihre Lippen schwellten sich unmerklich zu einem süßen Lächeln. Von dem Gesprochenen hatte sie wohl nur einen Theil gehört. Mit wieder auf der Brust verschlungenen Armen, wie vorhin, sprach sie: » Sie sahen den Tod und ich das Leben, Sie das Entsetzen und ich – ich, was kann ich dafür, daß ich anderer Natur bin, Herr von Wandel! Pawlowitsch wird nicht sterben, diese Geschöpfe haben eine andere Natur. Sie kennen das nicht. Er ist mein treuester Diener. Meinen Sie, daß er mich weniger lieben wird, weil ich ihn züchtigen ließ? Wenn er genesen ist, versichere ich Sie, wird er mit verdoppelter Devotion sich auf die Erde werfen, meinen Rocksaum küssen und bei seinem Heiligen für mich beten. Und ich, ich theile diese Gefühle der Anhänglichkeit für das Geschöpf. Ich empfand die Geißelschläge mit. – Lachen Sie nur! Das verstehen Sie eben nicht. Sie können auch bei der Abbildung eines Martyriums lachen, oder wenden dem schönsten Bilde aus Ekel den Rücken. Mich ergreift immer eine unbeschreibliche Wonne bei diesen Qualen, mein Blut wallt, mein Körper empfindet sie mit; dieses spritzende Blut, ich sehe es schon in Rosen und Lilien verwandelt, diese Röthe des äußersten Schmerzes auf den Wangen, der Todesschweiß, die verzückten Augen, die krampfhaften Verrenkungen, mir werden es lauter Schönheitslinien, und wo Sie Zerrissenheit und Untergang sehen, durchschauert mich schon Harmonie und Vollendung.« »Das heißt ein Läuterungsprozeß in procura geführt,« sagte der Legationsrath, oder er dachte es vielleicht nur, denn die Fürstin, in sich versunken, schien auf seine Erwiderung kaum zu achten. »Wenn man nur dem Geschöpf diese Ueberzeugung auch einimpfen könnte, so würden seine Schauer, die wie ich glaube, gemeinerer Art sind, sich gewiß auch in eine wollüstige Empfindung auflösen.« »Sie würden es!« rief die Fürstin. »Wer sagt Ihnen, daß sie es nicht schon sind! Er leidet für seine Herrin, die er anbetet, er leidet durch ihren Willen, und er kennt kein höher Gesetz. Diese Leibeigenen sind glücklicher als wir, mein Herr Legationsrath von Wandel. Wie das Animal, die Pflanze, stehen sie dem Ursprünglichen näher. Und wir ringen unser Leben durch vergebens nach dem Paradieseszustande zurück, in dem sie existiren. Wie die Lilie auf dem Felde, wie der Vogel im Busch, freuen sie sich der Sonne, die sie bescheint, sie legen ihr Haupt nieder auf den grünen Rasen unter freiem Himmel, oder auf die Bank, die man ihnen am Ofen gebaut. Sie denken nicht, sie sorgen nicht auf den andern Tag; Speise und Trank ihnen schaffen ist unsere Aufgabe. Sie kennen unsere Pein und unsere Qualen nicht, unsere Zerrüttung und Zerrissenheit steht ihnen fern. Sie würden sie so wenig begreifen, als der Herr von Wandel, warum der Erlöser für uns gelitten hat, warum in Natur und Welt es so gefügt ist, daß immer ein Anderer für den Schuldigen leidet, daß es Sündenböcke gab im alten Testament, Märtyrer und Heilige, die den Ueberschuß ihrer guten Werke uns als Erbe ließen. Diese Sklaven singen und lachen, während wir, die Erwählten, die tausend Nadel- und Dolchstiche empfinden, die Welt und Verhältnisse täglich in unser Herz drücken, und wir müssen dazu ein lächelnd Gesicht machen, auch wenn wir in krampfhafter Pein vergehen möchten. Was ist das Bischen Noth dagegen, das unsere Laune ihnen bereitet; die schöpferische Laune, die heute quält und morgen dafür entzückt.« »Warum stehen Sie in Gedanken verloren?« hub sie nach einer Pause wieder an; ihre Verzückung, wie es schien, hatte sich gelöst. Sie ließ die Arme sinken, und sah ihn fast mitleidig an. »Sie armer Mann, was ich Sie bedaure in dem hochmüthigen Mitleid, was Sie in dem Augenblick über die Schwärmerin empfinden mögen.« – »Ich bedauerte nur,« erwiderte er, »daß die Gottheit, die wir uns als männliches Wesen denken, kein Weib ist. Wie viel schöner würde ihre Welt sein.« – »Ihr Spott kann mich nicht mehr beleidigen. Sie thun mir so unendlich weh, weil jede Entzückung Ihnen versagt ist. Aber ich appellire an Ihren Verstand. Womit wollen Sie die Welt zusammenhalten? Diese Masse, diesen Pöbel, das Chaos von kriechendem Gewürm, das fliegen möchte und nicht aufrecht gehn kann! Wer soll sie bändigen, fesseln, wenn keine eherne Faust, umspielt von süßen Himmelslichtern, da ist, keine beseligende Illusion; diese gemeinen, rohen, selbstischen Kreaturen, die aus Habsucht Einer auf den Andern stürzen, sich zerreißen, verzehren möchten. Sie kratzen sich die Augen aus, damit der Bruder nicht schärfer sieht, sie verschlingen die Vorrathskammern, die ihren eigenen Winter sichern sollten, damit die Mitmenschen nicht im Vollen leben. Täuscht sie der Popanz Humanität, den die Afterweisen an ihren papiernen Gesetzhimmel malen, und Jeder stellt dem Andern ein Bein, und Gift auf der Zunge, Erbschleicherei, Betrug, Raub, Brudermord lauert unter der Lämmermaske dieser Alltagsgesichter.« »Der Popanz täuscht mich nicht, Prinzessin,« sagte Wandel. »Mich täuscht überhaupt nichts. Ja, könnten wir sie alle wieder als eine Horde Leibeigene einpferchen in die dumpfen Ställe alter Gewohnheiten. – Schade nur, daß es auch nur eine Illusion ist, und wenn – die Priester würden sich untereinander auch auffressen.« »Hoffen Sie noch auf die Vernunft.« fuhr die Fürstin fort, die ihn wieder nur halb gehört. »Die Göttin, die sie in Frankreich auf die Altäre hoben, hat doch zu aller Welt geschrieen: seht, wie albern und ohnmächtig ich bin! Oder hoffen Sie's mit dem Geist, der wie ein Blitz aus dem Himmel in das Gewürm wetterleuchtet. Wie oft fuhr er nieder in diesem Deutschland, in Philosophen und Gesetzgeber, in verstockte Mönche, Stubengelehrte und Fürsten auf dem Thron. Was hat er gezündet, gewärmt und gefruchtet! Die dumpfen Ställe der alten Gewohnheit hat er in Brand gesteckt, aber die Unglücklichen, daraus Vertriebenen, wo fanden sie anderes, helleres, wärmeres Obdach! Feuersbrünste hat er angefacht, Wälder und Haiden verzehrt, aber wo nur eine Fackel angezündet, die in der Nacht leuchtet, welche immer darauf wieder eintrat. Da lobpsalmen die alten Weiberstimmen in den nüchternen Kirchen den Herrn, daß er die Greuel des Aberglaubens und der Finsterniß verscheucht hat, aber wo blieb ihr Licht, das ihnen leuchtete, durch den finstersten Wald des Zweifels ihnen den Weg zeigte, wo ihr Haus, das die Müden und Beladenen aufnahm, wo das Geläut der Himmelsglocken, die sie mit Engelszungen in Schlaf einlullten, wo der Schlafpelz, die weiche Bärenhaut, in die sie sich hüllten, und alle Sorgen waren vergessen! Wo in aller Welt können diese Verirrten, Heimatlosen, anklopfen in ihren Aengsten, ihrer Zerrissenheit, um den Trost zu finden, den nur die Gewißheit giebt! Was hilft's ihnen, wenn sie sich von des Teufels Krallen gepackt fühlen, und der gelehrte Herr mit den Päffchen setzt die Pfeife fort, um vornehm herablassend der armen Kreatur mit rationalistischer Salbaderei zu demonstriren, daß der Teufel wahrscheinlich nicht existirt. Um etwas Gewisses, Festes, Sicheres schreien sie, und er setzt ihnen eine Schüssel Schlangeneier vor, aus denen, statt eines, tausend Zweifel schlüpfen!« Diesmal war es der Legationsrath, welcher nicht Acht gegeben. Er hatte mit seinen Augen einen Punkt fixirt, und packte plötzlich den Arm der Fürstin am Handgelenk: »Ein Blutfleck!« Der Aermel ihres Mousselinkleides trug unverkennbar die Spuren eines darauf gespritzten Tropfens. – »Ich habe es wirklich nicht gesehen.« – »Aber Andere werden es sehen. Um des Himmels willen, wechseln Sie das Kleid, ehe es Jemand bemerkt. Adelheid –« »Interessiren Sie sich so für das Mädchen?« sprach die Fürstin, der die Unterbrechung nicht unerwünscht zu kommen schien, indem sie den befleckten Aermel mit den Fingern prüfte. Es war ein eigener Ton, in dem sie fragte, der bare Gegensatz zu dem Affekte, in welchem das Vorige gesprochen war. »Nicht im geringsten. Ich interessire mich für den Gegenstand, der Ihr Interesse erregt hat. Da ich Ihre Absichten ahne, muß ich wünschen, daß jeder Nebelfleck, der Ihren Anblick vor den Augen der Unschuld trüben dürfte, entfernt würde.« Sie sah ihn scharf an: »Sie sind die Uninteressirtheit selbst. Und doch – zuweilen fällt vor meinem Auge Ihre schöne Hülle ab wie Staub und Moder, und das nackte Gerippe starrt mir entgegen; das Herz von chemischen Agenzien zernagt. Aber glauben Sie nicht, daß ich erschrecke. Ich betrachte gern die Natur in ihrem geheimsten Schöpfungsprozeß, wie sie ihr Schönstes und Bestes muthwillig selbst vernichtet. O, immer zu, die Natur ist eine elende Kammerzofe des Mysteriums, aus dem die Gnade leuchtet. Immer zu, mein Freund, sich selbst verzehrt, bis der Durst brennend, unerträglich wird! Dann verlangen auch Sie nach dem Quell. O, welche Kämpfe wird es Ihnen kosten, wie wird diese Stirn rollen vor stolzem Zorn, wie diese Riesenbrust toben vor unaussprechlicher Pein, wie werden Sie wüthend mit der Faust dagegen schlagen, ringend einen Gigantenkampf mit dem Selbstbekenntniß, bis – bis der Riese krachend zu Boden stürzt, und wie ein Kind an der Mutter Brust liegt! Wie werden Sie schlürfen, unersättlich an dem Born der Gnade!« »Mais en attendant?« sagte der Legationsrath. – »Rührt Sie denn nicht Adelheids Schönheit?« – »Daß ich nicht wüsste.« – »Mir unerklärlich, mein Herr großer Sünder. Anfänglich hielt ich es für Verstellung, Sie wollten mich täuschen. Jetzt haben Sie mir nicht allein die Beruhigung gegeben, sondern auch das Räthsel zurückgelassen, daß das Mädchen Sie kalt lässt. Ist sie Ihnen eine zu vollkommene Schönheit?« – »Kunstkenner gehen auch an vollendeten Meisterwerken vorüber.« – »Weil nur die sie interessiren,« fiel sie ein, »die Mängel haben. Ist's der Egoismus des kritischen Sinnes, der immer korrigirend schaffen möchte?« – »Vielleicht, vielleicht auch nicht. Sagen Sie, eine Antipathie gegen was man reine Unschuldsseelen nennt. Es überkommt mich ein Frösteln in Gegenwart solcher jungen Mädchen.« – »Ich begreife es, weil ich es mitfühle. Aber –« »Sie selbst kajoliren die Nymphe.« – »Sie wissen, warum.« – »Und eben deshalb wundre ich mich, daß Sie dem jungen Bovillard den Zutritt in Ihr Haus erleichtern.« Die Gargazin sah ihn schadenfroh an: »Für die Naivheit möchte ich Sie küssen.« – »Sie protegiren ihn nicht?« – »Wenn man Erz schmelzen will, braucht man Feuer.« – »Wenn man aber das Feuer über den Kessel schlagen lässt, kann es leicht kommen, daß das Erz überläuft und verdorben wird.« – »Qu'importe!« sagte die Fürstin und stäubte an dem Fleck am Aermel. »Was nennen Sie verdorben werden?« – »Ich scheue nicht vor einem gewagten Spiel, aber ich frage mich vorher, ob der Vortheil das Risiko lohnt?« – »Was geht Sie meine Rechnung an? Einen Stein kann man nicht schmelzen, man sprengt ihn oder wartet, bis der Blitz ihn spaltet; das Erz kann man aber so lange glühen und wieder zerglühen lassen, bis man es zu der Form geschmeidig findet, die man ihm geben will. Wollen Sie sich in Adelheid verlieben, Ihre Künste an ihr versuchen, ich habe nichts dagegen, ich will nicht eifersüchtig sein. Sie liebt ihn, ich meine Bovillard, das ist ihre Krankheit, die verborgene, die an ihr zehrt. Sie muß heraus, die Krisis ist nothwendig; darum wird sie kommen, ohne daß wir etwas dazu thun. Verstehen Sie mich, wir lassen die Natur walten.« – »Und dann?« – »Wenn Sie die Bibel läsen, würden Sie wissen, man soll nicht für den andern Morgen sorgen. Sein Sie heut Abend liebenswürdig, Herr Legationsrath.« – »Ich bin nicht ganz disponirt.« – »Sie sollen es sein, Sie können es sein. Herr von Bovillard hat nur zwei Augen, und die gehören jetzt nicht ihm.« Die Wagen fingen an vorzurollen; die Fürstin verschwand mit dem wiederholten Befehl: »Sein Sie liebenswürdig!« – Sie hatte kaum Zeit, ihre Toilette zu ändern, aber Niemand hat den Blutfleck an ihrem Aermel gesehen. 61. Kapitel. Was sagen Sie zu meiner Frau Einundsechszigstes Kapitel. Was sagen Sie zu meiner Frau? Das war dem glänzenden Gesellschaftsabend vorangegangen. Der Abendstern, der heute glänzen sollte, sagten wir schon, erschien aber wie ein erlöschendes Licht. Die Töne, welche im Souterrain das Ohr zerrissen, waren nicht zu Adelheid gedrungen, und wenn einer, so ahnte sie nicht den Grund; es war für sie nur in der Luft das dumpfe Accompagnement ihrer eigenen zerrissenen Gedanken. Nie war ihr eine Toilette schwieriger geworden. Sie dachte, so müsse einem Verurtheilten zu Muthe sein, wenn er sich zum letzten Gange ankleidet. Zum Glück war die Aufmerksamkeit heute nicht auf die blasse Adelheid koncentrirt; sie richtete sich vielmehr auf eine andere Erscheinung, von der man sagen dürfte, daß sie in voller Blüthenpracht war. Aus einiger Entfernung sah die junge Dame an der Thürecke wie ein liebliches junges Mädchen aus, dem die Scham die Wangen röthet, die Augen schlägt sie nieder in holder Befangenheit. So schüchtern stand die Gazellengestalt, halb bedeckt von dem Oleanderbosket, das aus irdenen Töpfen in malerischer Unordnung um den mit Epheu umhangenen Thürpfosten duftete. Die schöne Blüthe zitterte vor jeder Berührung, wenn wir die Begegnung, die Ansprache der älteren Damen, welche die Thür passirten, so nennen sollen. Das Wechselgespräch war immer sehr kurz; man konnte glauben, zur Zufriedenheit des jungen Mädchens, das vielleicht erst seit Kurzem in die Gesellschaft eingeführt war, und der Boden unter ihr brannte, vor Angst, daß sie einen Verstoß begehe. Wenn man einen Schritt näher trat, verwandelte sich die Achtzehnjährige allerdings in eine vollblühende Zwanzigerin, die Moosrose ward zur vollen Centifolie. Aber schön blieb sie, man konnte unwillkürlich rufen: wunderschön! Wem das dunkle, schwimmende Auge zwischen den schwarzen Brauen und den rothen, anmuthig schwellenden Pfirsichwangen einen Blick zuwarf, musste von Stein sein, wenn er nicht gerührt ward. Und war sie nicht eine Zauberin, eine Armida? Zwischen den Oleandertöpfen schossen eine weiße und eine Feuerlilie in die Höhe, und bunte Glaslampen, damals etwas in Berlin Unbekanntes, warfen ihr Zauberlicht auf die Blumen und das schöne Mädchen, das sich auf ihnen zu wiegen schien wie eine Titania, Grazie jede Bewegung. Wie sie mit den Blumen in ihrer Hand spielte die sie vielleicht in Gedanken von einem Strauch gepflückt, das war kein gewöhnliches Fächerspiel, das die Verlegenheit verbergen soll und die fehlenden Worte ersetzen. Es war die Sicherheit einer Königin, die den Herzen zu gebieten weiß, unbesorgt um ihre Herrschaft. Wenn sie die sanft geworfenen Lippen öffnete und die schönen Zähne im Gespräch zeigte, konnte man schwören, wenn man auch kein Wort verstand, daß sie eine witzige Replik, eine glückliche Bemerkung hinwarf. Sie konnte auch abfertigen, und man mochte ebenso schwören, daß die Vielen, die mit ihr eine Unterhaltung anknüpften, aus Lust oder aus Gelegenheit, ihr nicht genügten. Wenn man indeß noch einige Schritte näher trat, – doch wir können unsre eignen Beobachtungen sparen, wo eine Gruppe Herren, an der Thür gegenüber, sich die ihrigen schon mittheilten. »Was hat sie denn heut für ein Roth auf,« sagte ein Garde-Offizier. – »Wer?« – »Comteß Laura. Das blinkert ja wie eine Karmoisinmuschel.« – »Neueste Josephinenschminke, liebster Graf,« drängte sich der Baron Eitelbach an sein Ohr. »Bei Herrn Arnous vorige Woche frisch aus Paris. Die von der Oper sind außer sich, ist ihnen zu theuer. Was kann der Schönheit zu theuer sein, sage ich.« – »Und greifen in die Tasche.« Der Baron hielt allerdings beide Hände in den Seitentaschen, und es klimperte etwas von Geld, aber er zuckte die Schultern: »Fürs ganze Corps de Ballet! Na, hören Sie, das bringt mir ein ganzes Regiment nicht auf. Alles was recht ist.« – »Sie sparen's für Ihre Frau Gemahlin.« – »Ein sublimer Einfall von Ihnen, Graf, wahrhaftig, ein sehr sublimer. Wie sie blaß aussieht gegen die Laura! Aber sie will sich nicht schminken. Partout nicht mehr.« – »Hat's auch nicht nöthig,« sagte ein dritter Intimus. »Meinen Sie? – Ich sage Ihnen, die Schminke bringt 'ne Revolution hervor. Das ist ein Geschicke zu Arnous, aber – die alte Voß und – na warten Sie nur, ich kann sie Ihnen alle nennen, die schon von haben. Sind ihrer nicht viel: aber passen Sie acht, eh' vierzehn Tage um sind –« »Wenn die Männer die Thränen auf den Wangen sehen,« sagte der dritte Intimus, »greifen sie doch in die Tasche, und wenn das Roth pures Gold wäre.« – »Gold, ein charmanter Einfall!« rief der Baron. »Wenn's Mode würde, echtes Gold auf die Backen! Bei Gott, ich gäbe was drum: wie die Weihnachtsäpfel. An den Backen sähe man's den Frauen an, was ihre Männer sind.« – »Eine Taille, auf Ehre doch, wie 'ne Wespe,« sagte der Garde-Offizier. »Ich sollte meinen, wer sich so schnürt, braucht sich gar nicht zu schminken.« – »Und Füßchen, 'ne Pariserin könnte sie beneiden,« meinte der Dritte. – »Das tänzelt nur so auf dem Boden.« – »Was für welche hat meine Frau dagegen! Sehn Sie mal,« rief der Baron und nahm eine Prise. – »Eine Heroine muß nicht auf Tänzerfüßen stehn.« – »Heroine! charmanter Einfall. Meine Auguste eine Heroine. Wie sie mit einander parliren! Ich versichere Sie, auf Ehre, meine Frau spricht jetzt wie ein Buch. Immer Schiller im Munde. Und die Tugend, sie ist kein leerer Schall, Erzeugt in dem Hirne des Thoren! Damit weckt sie mich alle Morgen. Bei Gott 's ist wahr. Macht Alles die unglückliche Liebe.« – »Schade, Baron, daß Sie sich nicht auch unglücklich verlieben können.« – »Warum kann ich's nicht?« – »Weil Sie zu reich sind. Wer Geld klimpern lässt, ist immer glücklich in der Liebe.« – »Sie sind ein charmanter Mensch, aber was soll mir die unglückliche Liebe?« – »Sie könnten dann auch einmal mit der Tugend in Berührung kommen.« – »Was hab' ich von der Berührung?« – »Tugend vermehrt den Kredit.« Der ganze Körper des Barons zuckte in der nicht wohl zu beschreibenden Bewegung eines Gesättigten, welcher gleichgültig eine Schüssel vorüber gehen lässt, an der die Blicke der Hungrigen noch verlangend schweben. Er bedurfte nicht mehr Kredit, als er besaß. Aber auch der Satte lächelt, wenn seine Gäste die Speisen loben, die er ihnen vorgesetzt. Der Baron von Eitelbach lächelte wohlgefällig über die Bewunderung, welche man der Schönheit seiner Gemahlin zollte, während man ihre Reize mit der Comteß verglich. Zum Vortheil der ersteren, es waren Kenner, die hier urtheilten. Auf den Hacken sich wiegend, die Hände noch immer in den Taschen, die breite Unterlippe aufgeworfen, hatte er gleichgültig die Gesellschaft im andern Zimmer gemustert, während sein Ohr doch bei der Unterhaltung blieb, als er es für schicklich hielt, eine Diversion zu machen: »Sehn Sie mal, wie die Alltag eingepackt hat. Gar nicht wieder zu erkennen.« Das Kennerauge des dritten Intimus ließ sich nicht täuschen. »Vorübergehende Indisposition. Frisch begossen und die Blume ist wieder in voller Pracht.« Ueber die Indisposition lächelten die Kenner; der Baron fühlte sich geistreich gestimmt; er nannte die unglückliche Liebe eine Klippe für die Schönheit. Lob erntete er dafür nicht, denn die Aufmerksamkeit der Andern war wieder auf die schöne Comteß gerichtet. »Auf wen mag sie nur vigiliren?« – »Sie ist unruhig.« – »Warum steht sie aber wie eine Schildwacht an der Thür?« – »Muß wohl seinen Grund haben. – Halt! sehn Sie, schon wieder –« Die drei Kenner rückten die Köpfe noch näher zusammen. Comteß hatte während des Gesprächs nochmals durch die Thürritze geblickt. »Das muß man doch rauskriegen. Welcher Magnet steckt in der andern Stube?« Wie der Zunächststehende sich auch auf den Spitzen seiner Schuhe erhob, konnte er doch nur einen Theil des Zimmers übersehen. Da kam plötzlich ein anderer Gegenstand aus demselben, und mit vielen Verbeugungen durch die beiden Damen schlüpfend, erreichte er die beobachtende Gruppe. Der Geheimrath Lupinus von der Vogtei war gewiß nicht gefährlich, für das Auge keiner galanten Dame, die noch auf Jugend Anspruch macht; aber je schärfer das Auge der Liebe ist, um so blinder wird es für die Gefahr, die von Beobachtern droht. Das schlaue Gesicht des Geheimraths verrieth, daß er Neuigkeiten geangelt, nnd seine freudige Miene, daß er den Markt erreicht, wo er sie absetzen konnte. »Rathen Sie!« sprach er, sich die Hände reibend. – »Das lohnte noch der Mühe.« – »Ein neuer Gegenstand?« – »Funkelnagelneu.« – »Raus mit der Sprache, was wissen Sie?« – »Sehr viel. Die letzte Aventure wird nur vertuscht, aber parole d'honneur, Sie können sich drauf verlassen, sie ist so –« »Sie meinen die mit der Schildwacht – der Kerl kann doch nicht hier sein!« – »Ist eingestiegen, Herr Baron, so gewiß ich vor Ihnen stehe. Herr Graf verziehen die Miene, in der Garde hat man sich das Wort gegeben, nicht davon zu sprechen. Nun, ich schweige in Devotion, wenn's verboten ist.« – »Was geht's mich an,« sagte der Offizier mit einem nicht zu unterdrückenden Schmunzeln, »und wenn der Grenadier dafür Spießruthen laufen müssen, so wüsst' er doch wofür.« – »Dazu ist's aber nicht gekommen. Die Disciplin hat aus Galanterie ein Auge zugedrückt.« – »Sie hat ihn wirklich ins Fenster gewinkt?« fragte der dritte Intimus. – »In den Communs, Sie wissen doch in Potsdam die kleinen holländischen Häuschen neben dem Marmorpalais.« Der Geheimrath sprach es, mit vorgehaltener Hand, dem Fragenden fast ins Ohr. Er musste es aber mit solcher Kunst accentuiren, daß es auch den beiden Andern nicht entging. »Ja, warum hat man für Kavaliere und Hofdamen so niedrige Fenster gebaut, ça ne coûte qu'un pas! Warum dufteten die Linden so süß in der lauen Nacht? Warum schlugen die Nachtigallen so verführerisch? Warum stellt man einen jungen Grenadier, sechs Fuß hoch wie ein Apollo, vor das Kammerfenster einer schönen Hofdame? Warum schien der Mond so sehnsüchtig und beleuchtete den jungen Mars. Da ist gar nichts bei zu verwundern, und eigentlich trägt Niemand die Schuld, denn Gott bewahre, daß er ins Fenster geklettert wäre, so ein sechsfüßiger Kerl braucht nur den Fuß hochzuheben, so ist er drin.« – »Und?« »Das einzige Unglück war, daß die Uhren in Potsdam nicht stimmten, denn als die Ablösung kam, hatte es drinnen noch nicht voll geschlagen.« – »Dem Glücklichen schlägt keine Stunde.« – »Superbe Bemerkung des Herrn Domherrn. Die Esel – verzeihen Herr Graf, es war wohl nur der betrunkene Unteroffizier, machten Lärm, und – wie gesagt, wenn nicht glücklicherweise der junge Prinz Hohenlohe bei der Patrouille gewesen wäre – Man deckte den Mantel der Liebe über die Affaire, schmiß den Unteroffizier, weil er in der Betrunkenheit einen falschen Rapport gemacht, auf achtundvierzig Stunden ins Cachot, seine Kerls waren Stockpolen, die nicht deutsch hören und sehen können, man zeigte ihnen den Bambus, wenn sie sich einfallen ließen, etwas auszuschwatzen, was sie nicht verstehen, übrigens ein Paar Louisd'or Schmerzensgeld Ah, Prinz Hohenlohe hat wie ein Kavalier gehandelt.« – »Und doch wusste man's, ehe der Morgen graute in Potsdam, schon in allen Wachtstuben.« »Meine Herren,« sagte der Garde-Offizier in vertraulich offiziösem Ton, »Diskretion! Man wusste es auch schon am andern Morgen in Berlin, aber auf der Wachtparade gab man sich das Wort – Ich rathe auch Ihnen –« »Discretion pour jamais!« rief der Geheimrath, den Finger an den Lippen. »Ihro Majestät die Königin darf nichts davon erfahren,« wandte er sich zu den Andern. »Die liebe Comteß, es ist doch ein gar zu charmantes Kind, und bei Licht besehen, was ist es denn? Eine Vision, die Phantasie einer lauen Juninacht –« »Aber nicht die erste,« schmunzelte der Baron, »in der Dragonerkaserne wissen sie auch davon zu erzählen.« » Mon cher baron, l'amour règne partout, aber Was bei Mondenlicht gesponnen, Verrinnt beim Licht der Sonnen.« »Der Kerl aber, der Grenadier, ist nach Warschau in ein Regiment gesteckt,« sagte der Offizier. »Und er war nicht von Mondschein gewebt, das versichere ich Sie.« » Monsieur le comte, die Erscheinung im Zimmer ist auch schwarz von Kopf bis Fuß, ordentlich spectre-artig,« nahm der Geheimrath wieder das Wort. »Das blasse Gesicht in der weißen Hand, ruht er auf dem Sopha, den Clacque auf dem Schooß, die Beine unnachahmlich hingestreckt, die andere Hand im Knopfloch am Herzen, als wenn er eine tiefe Wunde verstecken will. Soll ich Ihnen noch das schwarze Haar beschreiben, in dem zuweilen diese selbe Hand wühlt? – Nein, die Augen sind noch dunkler. Schade nur, daß sie nicht ein einziges Mal nach der Thürritze gerichtet sind, um die andern schwarzen Augen zu sehen, die sehnsüchtig durchblicken. Je vous assure, wenn die sich begegneten, die einmal Funken zusammen schlügen, Stahl und Feuerstein –« »Hol' Sie der Kukuk, Geheimrath, wer ist's?« – »Impertinent!« sagte eine herzutretende Dame. »C'est affreux,« die andere. – »Il joue l'Anglais!« erwiderte Jene. Beide kamen durch die bewusste Thür; die Baronin aber, am Arm die schöne Laura führend, mit ihnen zugleich. »Warum ereifern Sie sich, meine Damen! Mir und Comteß Laura ist's vorhin auch so passirt. Er merkte uns erst, als wir uns neben ihm aufs Sopha setzten, und dann redete er uns für Andere an. Nicht wahr, Comteß?« – »Er ist zerstreut,« sagte die Comteß und war es selbst. »Haben wir's ihm übel genommen? – I Gott bewahre. Wenn mich Einer nicht sehen will, lass' ich ihn stehn.« »Aber, gnädige Frau, wer ist er denn, daß er sich so etwas herausnehmen darf?« – »Ach Gott, vom jungen Bovillard ist man weit mehr gewohnt. Erinnern Sie sich noch –« »Doch werden Sie mir zugeben, daß Damen in einer Gesellschaft wie diese mehr Conduite von Herren voraussetzen dürfen, wenn sie dahin gehören. « Der letzte Satz ward von den seinen Lippen sehr scharf betont. »Wen die Fürstin eingeladen hat, der gehört doch her.« »Mein Mann meinte,« erwiderte die Andere, die noch nicht Lust hatte, von ihrem hohen Pferde zu steigen, »es gehöre doch ein eigner Tic dazu, einen Menschen von der Renommée ihrer Société aufdringen zu wollen. Mein Mann ist sonst gar nicht skrupulös, und gegen unsre erlauchte Wirthin fällt es mir auch nicht im entferntesten ein, damit etwas gesagt zu haben. Sie wird wohl ihre Gründe haben, warum sie Leute zusammen bittet, die nicht zusammen gehören.« »Beste Frau Staatsräthin,« erwiderte die Eitelbach, »wozu wären denn die Gesellschaften, als daß sich Die zusammenfinden, die noch nicht zu einander gehören. Wenn man immer nur alte Bekannte sähe, das wäre ja langweilig.« »Philosophie, wie sie auch ist, im Munde einer schönen Frau,« erwiderte die Staatsräthin mit süßem Lächeln, »ist immer liebenswürdig. Nur begreife ich nicht, wenn der junge Herr von Bovillard so viel zu denken hat, warum er seinen Pensées gerade in einer Gesellschaft nachgeht.« »Wissen Sie, wie mir eine Gesellschaft vorkommt?« entgegnete die Eitelbach. »Als wie eine Komödie, wo Jeder anders aussieht und anders spricht, als ihm zu Muth ist. Uns werfen sie vor, daß wir uns putzen und schnüren und auflegen und ausstopfen – Ihr Herren mögt immer laut lachen, ich seh's doch, wie Ihr's innerlich thut. Das genirt mich gar nicht, denn die Männer spielen mehr Komödie als wir. Ach Gott, wenn sie sich präpariren, liebenswürdig zu scheinen, um Einer die Cour zu machen, wo sie's gar nicht so meinen. Und wenn Einer vornehm thut, als hätte er eine Elle verschluckt, oder gelehrt redet, als wär's ein Buch, da möchte ich ihn immer fragen: warum quälst Du Dich denn? Wenn Du raus bist, stöhnst Du doch auf und schlenkerst mit den Armen, als wenn Du den engen Rock aufreißen wolltest und denkst: Gott sei Dank, daß es aus ist. Warum hast Du denn angefangen, warum bist Du nicht gekommen, wie Du bist, und hast gesprochen, wie Dir der Schnabel gewachsen ist?« Der Baron Eitelbach rieb sich vergnügt die Hände: »Was sagen Sie zu meiner Frau, Frau Staatsräthin?« »Sie wird doch Ausnahmen machen. Sie ist nicht so grausam, uns Alle zu verdammen.« »Da ist Einer wie der Andere. Jetzt merk ich's erst, aber ich habe es längst gewusst.« »Ihren Herrn Gemahl werden Sie wenigstens ausnehmen?« Die Baronin schien sich zu besinnen, indem sie ihn anblickte, Ihre Antwort begann mit einem lang gezogenen »Na! – Das ist wahr, ein Petit-Maitre will er nicht sein, und die Cour macht er auch nicht, nämlich in Gesellschaften, und spricht auch nicht, als ob er die Weisheit mit Löffeln gegessen hätte, denn er macht sich nichts aus den Gelehrten, aber –« Das »Aber« der schönen Frau, als sie inne hielt, schien lautlos von allen Lippen wiederholt, nur ihr Gemahl rief es laut lachend: »Aber, Auguste, nur raus damit!« »Ah,« rief sie rasch, »mein Mann thut jetzt, als wenn er wünschte, daß ich Alles ausplaudern sollte, weil er so thut, als ob er sich nichts draus machte. Nachher, zu Hause, und im Wagen schon, würde er mir das Kapitel lesen: Aber, Auguste, wie konntest Du wieder! Sehn Sie, wie er das Kinn im Halstuch versteckt. Er möchte Sie glauben machen, daß er sich vor Lachen ausschüttet, aber – aber ich will keine Komödie vor Ihnen aufführen.« Das Urtheil über die Baronin lautete heute sehr verschieden. »Wer hätte es von ihr gedacht!« sagte die Dame, welche wir als Staatsräthin angeredet hörten. »Früher nicht den Mund geöffnet, ohne eine Betise zu sagen und wirft jetzt mit Sottisen um sich!« »Ich weiß aber nicht,« entgegnete die Andere, »ob mir das rohe Tuch nicht lieber war, als die neue Appretur im Lagerhause.« »Die sie indeß gewiß nicht dem Bügeleisen ihres Mannes verdankt,« fiel die Erste ein. »So lange sie neu ist, wird ihre Neuheit frappiren; ich fürchte aber, daß es mit dem Glanze gehen wird, wie mit dem Tuche ihres Gemahls: nach den ersten Regengüssen wird es fadenscheinig.« Die Urtheile der Männer lauteten günstiger. Einige gingen so weit, zu behaupten, sie hätte ihren Verstand nur cachirt oder ihr Mann ihn nicht aufkommen lassen, wogegen Andere wollten, er sei vielleicht gerade durch die Reibung mit ihm ins Leben gerufen. Die Feineren lächelten: es war ja die Wirkung der Liebe. Die Flammen hatten eine Eiskruste oder Bleirinde gesprengt. 62. Kapitel. Nationalität Zweiundsechszigstes Kapitel. Nationalität. In einem anderen Zimmer sah man Staatsmänner, Gelehrte und Künstler sich um die Wirthin bewegen. Die Zeitverhältnisse, die Politik waren in das Gespräch gezogen, aber mit jenem Takt, der alles Bestimmte und Persönliche ausschloß. Eine jener Stimmen war hier erklungen, die damals nur wie vereinzelte Akkorde, Trompetenstöße aus einem mythischen Lande, in das Gewirr des Tages schmetterten, um später zu einem rauschenden Orgelton zu werden. Nicht daß nicht schon im Volke, unter einzelnen Gelehrten, in den Universitäten und Schulen der Ruf der Nationalität vibrirte, den später die Arndt und Andere, zu einem mächtigen Schlachtruf für die deutsche Nation erhoben, aber in den höhern Kreisen der Gesellschaft verstummten diese Töne, erstickten diese Luftzuckungen noch immer an einer ganz – andern Luftatmosphäre. Man hörte sie an, nicht ungefällig, aber vornehm Beifall lächelnd, wie man eine neue, überraschende Erfindung betrachtet, deren glänzende Erscheinung man zwar bewundert, aber die Wirksamkeit und Dauerhaftigkeit bezweifelt. Man hatte nachdenklich einem Redner zugehört, welcher gesprochen von der Heiligkeit, einem Volke anzugehören, von dem Recht auf Sprache, Sitte, eigenes Wesen, ja von der Pflicht desselben, für dieses höchste Gut sein Alles einzusetzen. Eine Nation, die gegen diese Pflicht gleichgültig werde, habe schon das Anrecht auf ihre Existenz eingebüßt. So weit ward der Sprecher verstanden, die Damen hatten Verse aus der Jungfrau von Orleans und Tell citirt. Aber als er weiter ging, und nicht sowohl den Haß gegen alles Französische, nicht allein gegen Bonaparte und seine Soldaten, gegen die Revolution und die Jakobiner empfahl, worin man ihm beigestimmt haben würde; als er es als noch heiligere Pflicht forderte, daß der Einzelne wie das Ganze sich versenke in das, was deutsche Art und Wesen sei; daß nur dann, wenn wir dieses wieder rein hergestellt in der Sprache, unsern Gewohnheiten, unserer Denkweise, wenn wir ganz wieder zurückgekehrt zur eigenthümlichen Anschauungsart unserer Väter, das Fremdartige, was durch Jahrhunderte sich in unser Blut gefressen, abstreifend und ausmerzend, daß nur dann Rettung sei für unsere Nation von der Fremdherrschaft: da hörte man wohl belobende Phrasen, die Meisten aber verstanden es nicht, Andere schwiegen, noch Andere schüttelten den Kopf. Der Redner hatte eine noch kühnere Hypothese aufgestellt: nur in der Nationalität sei die Wurzel der Kraft, um der Tyrannei zu widerstehen. Der corsische Riese, der mit den Flügeln des Vogels Rock die Welt umspanne, wisse was er thue, indem er das Ureigene der Nationen erdrücke, um sie in eine Allgemeinheit von gleicher Farbe, gleicher Prägung zu stampfen. Das ermatte den Lebensnerv; woran solle die Begeisterung, der Patriotismus sich klammern, wenn ein Pfeiler nach dem andern der alten heiligen Erinnerungen, der Töne und Bilder zerbreche, an denen wir uns als Kinder gehalten? Das unscheinend Unbedeutendste sei da von Wichtigkeit, ein altes Lied, es dünkt uns ohne Sinn, ein Sprüchwort, eine Ruine, ein dunkler Winkel, den ein Geist, eine Sage umschwebt, eine Gewöhnung, die uns albern erscheint, Alles sei doppelt bedeutend, was als Heftnadel gelten könne, um ein Volk zusammenzuhalten, in einem Augenblick, wo Alles hinarbeitet, es zu zersplittern und sein Dichten und Trachten in allgemeine Begriffe von Wohlergehen und Glückseligkeit aufzulösen. Er ging noch weiter: nur den Nationen, welche diese ihre Nationalität festgehalten, winke die Palme des Sieges. Nicht seine Insellage schütze Albion, sondern das ehrenwerthe Festhalten an den alten Sitten und Gesetzen. So sah er in Spanien eine Mauer, an welcher des Eroberers Ehrsucht scheitern müsse, er erwartete von den Basken in den Pyrenäen, daß sie die Standarte der heilig gehaltenen Volksrechte erheben würden, er blickte nach Russlands Steppen, wo eine Völkerwiege das Ureigene braue, aber seine Stimme wurde bewegt, als er von dem theuren, deutschen Vaterlande sprach, einem Volk, das sich selbst zerrissen und sich nicht wiederfinden könne, das wie Kinder, die Muscheln am Meere sammeln, alles Neue, Fremde, Glänzende aufgreife, das wie ein Schwamm die Feuchtigkeit der Luft einsauge und seine schönsten Eigenschaften zu selbstmörderischer Thätigkeit auspräge. Mit seltener Empfängnißkraft begabt, drängt seine Natur es dazu, alles Große zu bewundern, aber sein böser Geist wolle, daß es nur das Fremde bewundert; wo die eigne Größe Anerkennung fordert, erschrecke es scheu, kalt, ängstlich, und im Mißtrauen an sich selbst zergehe die schönste Kraft. Der Redner, ein junger Mann von hoher Abkunft, hatte einen doppelten Fehler begangen. Er hatte begeistert gesprochen; die Begeisterung gehört in keinen Salon. Er war selbst gerührt worden; das war ein Fehler unter allen Umständen. Er hatte aber auch sein Auditorium nicht berechnet, und das war unverzeihlich. Er befand sich in Friedrichs Hauptstadt, in einem Kreise von Würdenträgern und ausgezeichneten Männern, die sich für Träger der Monarchie des großen Königs hielten, diese selbst aber für so fest, gesichert und in gutem Stande, daß es nur einiger Ausbesserungen bedürfe, aber keines Fundamentalbaues. War nicht seine ganze Rede ein einziger Angriff gegen die Schöpfung des Einzigen? Wo war denn die Nationalität hier, die er als einzigen Anker, der Zukunft und Vergangenheit zusammenhalte, anpries? Wo das ureigne deutsche Element? Friedrich, der mit dem Degengriff und der Feder zerstörend in das Zerfallende hineingegriffen, hatte eine Schöpfung hingestellt, die der Gegenwart angehörte. Freilich hatte er diesen Vorwurf in seinem Sinne nicht deutlich ausgesprochen, noch begriffen es Alle, aber man fühlte es. Ein peinliches Schweigen war eingetreten. Einige Damen lobten hinter dem Rücken das sonore Organ des Redners: leise aber laut genug, daß er es hören konnte. Man begegnete ihm mit großem Respekt, aber – es galt seinem Stande. Der junge Mann fühlte sich unbehaglich, er verschwand bald; er war noch zu Hofe geladen. Dennoch hatte sein Rede einen Eindruck hinterlassen. Ob die Fürstin das Lob der Nationalität, die Hoffnung auf Rußland, für ein Kompliment genommen? »Was sagen Sie dazu?« sprach sie, aus ihrem Nachsinnen erwachend, als ihr Blick auf einen Mann fiel, dessen Stirn, Auge, Haltung den Künstler nicht verkennen ließen, der sich mit dem Stolz des Bewusstseins in dem Kreise bewegte, welcher an Stand und Geburt weit über ihm stand. Aber sein Blick, seine Sprache, die Nonchalance seines Wesens bekundete, daß er sich, wenn nicht ihnen gleich, doch frei und unberührt von der Präponderanz dieser Geburts- und Standesvorzüge fühlte, ohne doch in das umgekehrte Extrem einer brusken Nichtachtung zu verfallen. Er hatte der Rede des jungen vornehmen Mannes mit zugehört, anfangs aufmerksam, dann hatte er mit dem Kammerherrn von St. Real eine Marmorgruppe betrachtet, und schien ihn jetzt auf einige Fehler derselben aufmerksam zu machen. »Ich habe, die Eloquenz admirirt,« entgegnete der Künstler. »Überhaupt, wenn in den Schulen etwas dafür gethan würde, möchte die art rhétorique auch in Deutschland Progressen machen.« – »Ich meine, was Sie zur Sache sagen. Was halten Sie von der Nationalität, Schadow? Ein Künstler muß darüber ein Urtheil haben.« – »Meine gnädige Fürstin,« entgegnete der Bildhauer, »wenn man die Menschen nackend auszieht, so sieht Einer aus wie der Andere, und wir Skulpteurs haben's eigentlich nur mit nackten Menschen zu thun.« – »Aber die Rassen sind anders gebildet. Wo wären die Götterbilder der Griechen, wenn ihre Phidias und Praxiteles nur nackte Hottentotten gesehen hätten.« – »Ich parire darauf, wenn Phidias sich nur eine hübsche Hottentottin ausgesucht, er würde auch eine Venus zu Stande gekriegt haben, die unsere Amateurs admiriren müssten. Und was die Rassen betrifft, so ist unsere deutsche auch eben keine Schönheit gewesen. Nach den Deskriptions der Historiker und den Skulpturen an den Säulenbildern waren unsere barbarischen Vorfahren auch barbarisch hässlich.« – »Die Kultur also hat die Rassen veredelt. Das ist Ihre Meinung?« – »Sie könnte noch immer etwas mehr thun, als sie gethan hat; indessen wir Künstler dürfen es nicht zu genau nehmen. Wo wir nichts finden, borgen wir, hier einen Arm, da ein Bein, eine Hüfte, eine Schulter –« »Und das Beste thun Sie selbst hinzu, die Harmonie. Die Kunst ist Stückwerk, wie Alles unter dem Monde, der Geist muß in die Formen fahren, um ihnen eine Seele zu geben. Aber Sie wollen mich nicht verstehen und verstehen mich doch. Die Griechen waren eine Nation, die Römer –« »Die Juden sind auch eine,« fiel Schadow ein, »und doch rümpft man in der Société die Rase.« »Ich will Ihre Meinung wissen, Schadow,« sagte die Fürstin mit entschiedenem Ton. »Ihre Moquerien ein ander Mal.« »Wenn man meine Skulpturen so gütig ist zu rühmen,« sagte der Künstler, »ist's jetzt so Mode, ein Schwanzende dran zu setzen, daß wir uns von der französischen Imitation losreißen müssten. Ich habe auch nichts dagegen; wer frei stehen kann, mag sich losreißen, aber ein Kind gebiert sich nicht selbst. Es ist dazu eine Mutter und ein Vater nöthig, und die mussten wieder Väter und Mütter haben. Meine ersten Väter waren die französischen Maitres, die der grand Frédéric herbeirief. Was fängt die junge Welt jetzt an gegen sie zu schwätzen! Auch meine Jungens, der Rudolf und Wilhelm, thun's, seit sie den Mund aufthun können, als müsste es so sein. Habe auch nichts dagegen, denn Schwatzen gehört zum Leben, aber ich lache so im Stillen, was wäre ich denn, und was wäret Ihr und wir Alle ohne die Franzosen! Und die Franzosen ohne die Italiener und die ohne die Griechen und Römer! Und die Griechen vielleicht ohne die Aegypter und so weiter.« – »Sie mögen Recht haben.« »Da wollen sie jetzt auf Goldgrund malen, lange Engelsgesichter mit Wickelkinderleibern und mit Schleppkleidern, und das nennen sie deutsch, weil sie vor vierhundert Jahren, als das Gold noch wohlfeiler war, die Leinwand so angestrichen haben. Als ob der Fiesole und die Florentiner so gemalt hätten, wenn sie damals schon Besseres gesehen.« – »Sie springen ab. Ist die Nationalität Ihnen gar nichts?« »Das Kleid, was der Mensch sich anlegt, weil wir nun einmal nicht nackt gehen sollen. Sie sagen, es schickt sich nicht, ich aber meine, weil wir zu eitel sind. Weiter nichts, um unsere Gebrechen und Unschönheiten zu bemänteln, legen wir Cotillons, Surtouts und Redingoten an. Und gar nicht nach unserer Wahl, wie wir's von unser Voreltern überkommen haben. Wir ändern nur den Schnitt. Und von wem kommt der? So weit Sie zurückgehen, aus Paris. Nehmen Sie mir Stück für Stück vom Leibe, was vom Auslande stammt, und ich würde wirklich mich nicht unterstehen, in dem Kostüm, was die Natur mir lässt, vor Euer Erlaucht stehen zu bleiben. Was ist's nun mit der Nationalität anders, gnädigste Frau, verschieden geschnittene und gefärbte Röcke um dieselben Menschen. Freilich pressen enge Schuhe den Fuß der Chinesinnen klein, und der des Türken wächst plump in seinen weiten Pantoffeln, aber der Fuß bleibt Fuß, und mit der Sohle treten sie in Grönland auf und in Konstantinopel. Ist der Franzose ein Anderer, weil er mehr auf den Zehen geht, und wir mehr auf den Hacken? Wo wir nun Alle bettelarm wären, und zottig umherlaufen müssten in unserer Blöße, lohnt sich's da, um den Schnitt und das Kostüm uns zu hassen? Denn weiter ist die Nationalität nichts.« »Einem Bildhauer vergebe ich diese Naturauffassung. Aber Sonne, Klima, Luft wirken verschieden auf die Kreatur Die Nationen sind verschieden in Gemüthsart, Intentionen, das können Sie nicht abstreiten.« »Ja, in jedem Lehrbuch steht's, daß der Franzose leichtes Blut hat, der Spanier schwarzes, der Italiener heißes, der Deutsche warmes. Der Franzose ist leichtfüßig und eitel, der Italiener zänkisch und rachsüchtig und der Deutsche keusch und treu. Eigentlich brauchte man nur an den Puls zu fassen, und gleich hätte man weg, von welcher Nation Jemand ist. Schade nur, Prinzessin, daß ich in Italien die liebsten Menschen fand, von warmem Blut und dem besten Herzen, fleißig, emsig, rechtschaffene Familienväter und treue Freunde. Sollte ich sie darum hassen, oder die Franzosen, weil Montesquieu und Rousseau, weil Buffon und Laplace Franzosen waren, oder alle Deutsche darum lieben, weil sie alle grad, ehrlich, Männer von Wort, Biedermänner und keusch wie Joseph sind?« Herr Schadow hatte dabei wie zufällig den Blick auf dem Kammerherrn von St. Real ruhen lassen, welcher etwas unruhig ward. Es giebt Thiere und Menschen, welche das Fixirtwerden nicht vertragen. Die Fürstin, sichtlich bewegt, nahm wieder das Wort: »Sie haben Recht, die Nationalität ist auch nur ein Götze, geknetet und angestrichen aus Leim und Koth, aus Träumen und Blut. Aber, Herr Schadow, ein schön geformtes Götterbild bleibt's, schöner als Ihr Apollo und Jupiter.« Der Meister hatte eine Prise genommen: »Ja, die Kostüms sind recht hübsch, ich zweifle gar nicht, daß der Patriotismus einst eine Rolle spielen wird.« »Wie wir Alle!« sagte die Fürstin, indem ihr Blick die Gesellschaft überflog. Die Gitelbach und Laura gingen vorüber; sie nickte ihnen zu, aber ihre Gedan ken waren mit Anderem beschäftigt, und die Worte kaum an den Bildhauer und den Kammerherrn gerichtet, so wenig als an den Rittmeister Dohleneck, der eben aus dem andern Zimmer auf sie zuschritt. Sie sprach mit sich selbst: »Wir Alle spielen eine Rolle, vor Andern oder vor uns selbst. Wenn wir uns doch darüber nicht täuschen wollten! Schadow hat Recht, was ist denn unser eigenstes Eigenes? Die Scene, wo wir auftreten, das Licht, das uns anleuchtet, das Kleid, das sich an unsere Glieder schmiegt, es übt Einfluß, es macht uns erst zu dem, was wir scheinen; das Lächeln der Lippen, es ist angeblasen vom Augenblick, der Stimmung: Alles, was wir zu besitzen glauben, ist Geborgtes, und wir nur Molusken, die Farbe und Gestalt annehmen von der Flüssigkeit, die sie einsaugen, Schmetterlinge, denen der Blüthenstaub den Duft leiht, und der Finger des Knaben entfärbt sie wieder; Irrlichter sind wir, schaukelnd in der Vibration der Luft, und unsere thörichtste Rolle, es ist die unverschämte Lüge, wenn wir wahr zu sein glauben.« »Dazu, meinen Einige, wären wir auf der Welt,« entgegnete der Meister. – »Schadow, haben Sie nie die ungeheure Leere empfunden, dies gähnende, graue Mißbehagen der Kreatur?« – »Niemals, meine Gnädigste.« – »Ich kann den Trinker begreifen, der ausstürzt Becher über Becher, immer feurigern Wein, es ist die Molluskensehnsucht nach einer Existenz, nach einer Verkörperung des Geistes.« – »Wenn ich den brennenden Durst empfinde, den Erlaucht meinen,« sagte Schadow, »dann knete ich ihn in Thon und meißle ihn in Stein.« – »Und das todte Werk vor sich, sind Sie befriedigt?« – »Da ist's heraus, fix und fertig, was mich plagte, nach allen Regeln steht's vor mir, und ich bin frei.« – »Glücklicher – Unglückseliger! Bis Sie wieder von Neuem geplagt werden.« – »Dann schaff' ich's von Neuem aus mir raus.« – »Und käme eine andere Zeit, die alle diese Regeln zusammenwürfe?« – »Dann habe ich für meine geschaffen und genug gethan.« War das Zustimmung, war es Schadenfreude, oder wo kam der Funke her, der plötzlich über ihr Gesicht zuckte: »Und Sie haben Recht. Wir, wir leben ja Alle nur für unsere Zeit. Nur unsere Rolle gut durchgespielt, das ist die Aufgabe. Harmonie hineinbringen müssen wir, nicht aus den Sphären, die bringt schrillende Disharmonieen. Die Harmonie des Scheins. Sie schaffen, was heute gilt, der Komponist, was heute die Ohren kitzelt, der Philosoph, der Politiker, – ach, mein Gott, wohin verirrten wir uns, lieber Schadow, schwärmen und Philosophiren, heißt das nicht aus der Harmonie unserer Rolle fallen, und unsere lieben Gäste blicken verwundert nach uns.« 63. Kapitel. Sie hassen Dreiundsechszigstes Kapitel. Sie hassen. Der Rittmeister von Dohleneck hatte die Fürstin in Beschlag genommen. »Ein Wort nur, gnädigste Frau, eine Bitte!« – »So dringend?« – »Ja. – Sie sind ihr Schutzengel.« – »Ich ein Engel! Wen beschütze ich?« – »Auguste – die Baronin Eitelbach!« korrigirte er sich. – »Ach so! Eine schöne Frau hat überall Schutzengel. Jeder Kavalier ist es.« – »Die Comteß Laura hat sie an ihrem Arm gepackt, und schleppt sie wie ihr Opfer mit sich. Sie ist zu arglos, zu gut, sie begreift nicht, daß diese Kompagnieschaft ihrem Ruf schadet. Es verdrießt mich schon den ganzen Abend, aber –« »Da ist ja ihr Gemahl, der Baron.« – »Der! –« »Er ist freilich ein seltsamer Freigeist.« – »Was schiert er sich um seine Frau und ihren Ruf. Er freut sich, daß sie mit einer vornehmen, bei Hofe gern gesehenen Dame intim scheint.« – »Dann sprechen Sie doch selbst mit ihr. Sie wissen ja, wie gut sie von Ihnen denkt.« – »Erlauchte Frau, Sie wissen, wie wir – « »Das hätte ich beinahe vergessen. Kinder, was trübt Ihr Euch das kurze Schmetterlingsleben durch Skrupel. Was hilft Euch die Pein? Wenn Ihr Euch noch so ehrbar grüßt, so kalt an einander vorübergeht, dem bösen Leumund entgeht Ihr doch nicht. Am wenigsten Sie, Dohleneck, wenn Sie sich der lieben Frau zum Ritter aufdringen, wie Sie jetzt thun.« Der Rittmeister war um einen halben Schritt zurückgetreten, wäre es keine Dame und nicht die Fürstin gewesen, hätte er die Hand vielleicht an den Degen gelegt. Er erkannte schnell seine Position. »Gnädigste Fürstin, ich wollte keinem Kavalier Anspielungen gerathen haben, die der Ehre meiner tugendhaften Freundin zu nahe träten. Aus Ihrem Munde nehme ich dankbar die Worte als eine freundliche Warnung.« Sie blickte ihn mit einer herzgewinnenden Freundlichkeit an: »Die arme Laura! Da scheut Ihr Herren der Schöpfung Euch nicht, um einer Frauen Ehre zu erhöhen, die von andern zu vergiften. Ist das ritterlich, Herr von Dohleneck? Was sie von meiner Laura schwätzen und plaudern, was geht es mich an?« »Sollten Sie nichts gehört haben?« »Ich kam als Fremde her, ich bin es noch, ich nehme die Personen, wie ich sie finde, was in der Gesellschaft von Traditionen umgeht, kümmert mich nicht. Sollte ich bei allen Gästen, die mich mit ihrem Besuch beehren, danach mich erkundigen, so weiß ich wirklich nicht, ob mein Salon nicht leer bliebe. Ueberdem sagten Sie selbst, daß der Hof sie protegirt. Ich sollte meinen, das sei genug, um dem Vorwurf zu begegnen, der in Ihrer Bitte für mich liegt.« Aber der Rittmeister hatte Succurs bekommen. Herr von Fuchsius und eine Hofdame waren hinzugetreten. Auch der Legationsrath schloß sich der Gruppe an. Die Hofdame hatte Zweifel, ob der Hof die Comteß noch länger halten werde, seit der letzte Skandal laut geworden. Herr von Fuchsius wusste, daß der König sehr aufgebracht sei, und der Legationsrath, daß die alte Voß das Ohr der Königin belagere, welche noch die meiste Prädilektion und Entschuldigungen für die schöne Comteß hätte. »Auch die alte Voß!« wiederholte mit einem eignen Lächeln die Wirthin. »Da ist ja eine völlige Verschwörung gegen ein armes Mädchen, das sich nicht vertheidigen kann. Ich verstoße wohl schon, wenn ich es versuche?« »Ihre Erlaucht wollen gütigst vermerken,« sagte die Hofdame, »es ist noch nichts darüber ausgesprochen. Bis jetzt ist sie recipirt, und Fürstin Gargazin können sie ohne Gefahr bei sich sehen.« – »Sie würden mir einen großen Gefallen erweisen, liebe Almedingen, wenn Sie mich davon avertirten, sobald ich es nicht mehr darf.« – »Sobald man ihr die Thüre weist; Erlaucht können sich darauf verlassen, daß ich mit der ersten Nachricht zu Ihnen fliege.« Die Fürstin drückte ihr verbindlich die Hand: »Von Ihrem Eifer bin ich überzeugt. Als dahin hat es aber wohl noch einige Zeit?« – »Es sind vielleicht doch nur Mißverständnisse,« warf der Legationsrath ein. »Oder sie bessert sich auch. Man muß ihr nur Zeit lassen,« meinte Herr von Fuchsius. »Ein zehn – fünfzehn Jahr,« murmelte der Legationsrath, »dann macht sich das von selbst.« – »Macht mir das junge Reh auf der Maienwiese nur nicht scheu,« sagte die Fürstin. »Wenn Ihr ihr beständig von der Arglist und Tücke der Menschen vorerzählt, glaubt Ihr, daß Ihr sie dadurch schützt? In ihrer Angst und Verwirrung läuft sie von selbst ins Netz.« Das junge Reh stand plötzlich unter ihnen. Laura hatte wohl nur durch das Zimmer gewollt, denn der Glanz ihres Auges verrieth nicht, daß sie gelauscht, noch von dem, was hier über sie gesprochen worden, eine Ahnung hatte. Auch verrieth die Miene der Fürstin nichts von Betroffenheit, als sie die Flüchtige erhascht, und den Arm um ihre Schulter, wie eine Mutter um ihr Lieblingskind, schlang. »Haben Ihnen nicht die Ohren geklungen? Wenn Sie wüssten, was wir gesprochen, würde Laura bis über die Ohren roth werden.« Die Comteß meinte, es wäre sehr heiß. »Nun möchte der Wildfang gleich aus Fenster stürzen, um sich zu erkälten. Nein, Comteß, hier ist ein Familienrath, ich stelle die Mutter vor, und alle diese Freunde werden mir beistehen, Sie zu hüten.« – »Ich bin Ihnen sehr obligirt –« »Aber das Kind weiß selbst, was ihm am besten ist! Nicht wahr? So lese ich Ihre Gedanken, die geheimsten auch, aber – ich verrathe nichts. Ist sie nicht ein Feenkind,« wandte die Fürstin sich zu den Andern; »da ist doch kein verborgenes Fältchen, nichts Angelerntes, nichts von Verstellung. – Sehn Sie in dies Gazellenauge; nur etwas zu munter noch, leichtsinnig', flatterhaft, ein Schmetterling, der lauter Honig naschen möchte, aber mit der Zeit pflückt man Rosen, mit der Zeit wird sie auch den rechten Weg finden. Ach, das macht sich Alles von selbst. – Sehn Sie! Jetzt sollte ein Maler diesen Augenniederschlag, diese Grübchen am Kinn malen. Herzens-Engelskind –« Die Fürstin wollte sie embrassiren, aber statt des Feenkindes mit den Pfirsichwangen stand ein blasses, scharfgeschnittenes Gesicht vor ihr, statt des blühenden Hauptes mit dem phantastischen Lockenbund eine eng anschließende Haube mit Spitzen, und statt der Gazellenaugen, die gutmüthig und gedankenlos umherschweiften, fuhr ihr ein stechendes kleines Augenpaar entgegen. Die Geheimräthin Lupinus war unangemeldet eingetreten. »Mein Gott, welche Überraschung!« Die Gargazin spielte hier keine Rolle, als sie mit den geöffneten Armen zurück fuhr. Es war eine vollkommene natürliche Überraschung; denn sie war jedes andern Besuchs gewärtig, als der Lupinus, die zwar zu ihren Soireen ein für alle Mal formell eingeladen, aber noch nie gekommen, auch nie erwartet war. Ob sie aus Nachlässigkeit der Domestiken unangemeldet bis in das Zimmer gedrungen, ob die Fürstin im Eifer des Gespräches die Meldung nicht gehört, lassen wir unentschieden, aber Thatsache war, daß sie unbemerkt mitten im Zimmer stand und der Wirthin in dem Augenblick sich näherte, als die Comteß durch eine Seitenbewegung sich den Armen der zu gütigen Fürstin entwunden hatte. Alle waren überrascht; nur die Überraschende schien sich in der Wirkung, die ihre Erscheinung hervorrief, zu gefallen. Sie hatte etwas gestört, vielleicht zerstört, eine Gruppe voll Liebe und Einigkeit. Die Lust, welche das Zerstören veranlasst, wird von Vielen als eine Wollust geschildert. Die Lupinus war eine Andere geworden, als wir sie kennen gelernt. Die bunten Farben waren aus ihrer Kleidung verschwunden, aus ihren Zügen der Liebreiz, der noch fesseln konnte, während die Schärfe derselben zurückschreckte. Ihre Augen konnte man nie eigentlich schön nennen, aber es lag zuweilen etwas Schmachtendes, Sehnsüchtiges darin, was mit dem lauernden Aufblitzen versöhnen mochte. Man bedauerte sie, man las die Unbefriedigung, welche als Unruhe in ihr aufzuckte. Diese Unruhe schien einer eiskalten Ruhe gewichen. Schien, sagen wir, so lange sie Herrin über sich blieb, aber in Momenten zuckte das Feuer der Unruhe wieder heraus, ihr Auge schoß Blitze, die wehe thun konnten, vor denen ein sanftes Auge sich verschloß, wie ein keusches Gemüth vor einem Anblick, den es nie gesehen, und doch hat es die Empfindung, daß es so etwas nicht sehen darf. Und doch, wie schnell war die Ruhe wieder über das Gesicht ausgegossen und ein Lächeln schwebte um die Lippen, das ein Maler vielleicht mit dem einer Heiligen verglichen, die unter Folterqualen zu den Umstehenden spricht: Es schmerzt nicht. Die Fürstin und die Geheimräthin hatten einen Versuch gemacht, sich zu embrassiren, ein Versuch, der, an irgend etwas gescheitert, in einem wiederholten Händeschütteln sich aufgelöst. »Ich werde Ihnen das nie vergessen, da ich weiß, was Sie mir bringen,« waren die nächsten Worte der Gargazin, und die Freude schien auf ihr Gesicht zurückgekehrt, als sie den neuen Gast neben sich aufs Kanapé gezogen. Ihr Auge streifte über die Andern hin, es lag darin ein gütiger Befehl an die Freundesgruppe, sich aufzulösen. Die Hofdame hatte sich mit dem Regierungsrath schon fortgeschlichen. Der Comteß nickte sie zu: »Geben Sie Ihren Arm getrost dem guten Rittmeister. Ich versichere Sie, Comteß Laura hat keinen bessern Freund als Herr von Dohleneck.« »Ich weiß, was ich Ihnen bringe,« hatte die Geheimräthin erwidert. »In das Haus der Freude eine Trauergestalt, aber die Pflicht der Dankbarkeit geht über diese Rücksicht.« »Dankbarkeit?« rief die Fürstin mit einem erstaunten Blick, indem sie die Hand der Geheimräthin an sich zog. »Sie stehen noch immer, Herr von Wandel, wollen Sie nicht neben uns Platz nehmen, meine Freude theilen. – Madame Lupinus spricht von Dankbarkeit!« – »Nur von einer Pflicht, gnädigste Fürstin, die ich so lange aufgeschoben. Sie haben sich meiner Pflegetochter wie eine wahre Mutter angenommen.« – »Ach das! – Ich bitte Sie, kein Wort davon.« – »Gönnen Sie mir das Wort. Ja, ich bekenne es, ich bringe ein Opfer, um endlich auszusprechen, was ich über Ihre Handlungsweise denke.« – »Egoismus, nichts als Selbstsucht! Weil Adelheid mir gefällt, weil ich mein Haus, meine Gesellschaften durch ihre Schönheit schmücken will.« Die Fürstin fühlte ihre Hand sanft gedrückt: »Warum das wiederholen, was der Pöbel über uns urtheilt. Adelheids blühende Jugend gehört nicht in mein Krankenhaus. Sie erkannten es – und – ich gestehe es Ihnen, im ersten Augenblick schmerzte mich die Art, wie das theure Kind mir entführt ward; jetzt preise ich den Himmel, daß er es so gefügt hat, und – daß er Ihnen den raschen Entschluß eingab.« Die schönen Seelen verstanden sich; das vorhin versuchte Embrassement erfolgte wie von selbst. »Einen Fingerzeig des Himmels wollen Sie darin erkennen,« sagte die Fürstin. »Ich kann noch immer nicht umhin, mir einen Raub vorzuwerfen.« – »Lassen wir den Streit darüber, gnädigste Frau. Adelheid gehört in Ihr Haus, es ist meine aufrichtige Meinung. Der Legationsrath kann bezeugen, wie oft ich es aussprach. Bei mir wäre sie verkommen.« – »Sie spricht nur mit der größten Liebe von dem Guten, was sie durch meine Freundin erfahren.« – »Es thäte mir leid um das Kind, wenn sie unwahr würde.« – »Warum so selbstquälerisch. Sie wissen selbst, bis zu welcher Verirrung das Dankbarkeitsgefühl sie trieb.« – »Und doch hat sie mich nicht ein einziges Mal besucht.« Das hatte die Geheimräthin nicht sagen wollen; es war heraus, ehe sie es verschlucken konnte, und, was schlimmer, die Fürstin hatte es aufgefangen. – »Sie sind leidend,« sprach sie mit bewegter Stimme. »Und Sie überwanden sich, verließen Ihr stilles Asyl, und – Ich weiß ja, wie ich dieses Opfer zu schätzen habe.« Die Geheimräthin war wieder ganz Herrin über sich geworden: »Doch ist es nicht ganz so. Warum zwischen uns eine Verheimlichung? Überwindung kostet es mich, ja, sehr große, diese Festkleider wieder anzulegen. Ich erwarte auch nicht Erheiterung, noch suche ich Zerstreuung, denn ich betrachte es als eine Pflicht gegen mich selbst. Sie sehen also, mein Opfer ist reiner Egoismus.« – »Wie Sie da wieder täuschen wollen! Sie thun es um der Gesellschaft selbst willen, Sie erkennen die Pflicht, daß wir nicht uns, daß wir für Alle leben sollen.« – »Oder sie für uns!« rief eine Stimme in der Geheimräthin, die aber diesmal auf den Lippen erstarb. Die Gargazin musste den Sinn verstanden haben, so deutete ein Blick ihr an; es war ein merkwürdiges Verständniß zwischen beiden Frauen. Sie liebten sich gewiß nicht, aber zum Haß war für die Fürstin kein Grund. Sie sah sich um, ob Niemand lauschte. Der Legationsrath war unschädlich, er bildete eine Schutzmacht gegen die Andern. »Wir verstehen uns, glaube ich, besser, als wir einen Ausdruck dafür finden,« hub die Fürstin an, der Lupinus näher rückend. »Was ist uns die Gesellschaft? – Ich setze voraus, daß wir Beide jetzt über die kleine Rivalität recht herzlich im Innern lachen, ich meine die, welche die Leute uns anlügen. Ich gebe auch zu, daß in der Lüge etwas Wahres war. Wir spielten Schach miteinander, weil sie uns dazu nöthigten, zwangen. Genug, wir haben gespielt. Weiter war es nichts.« – »Und Euer Erlaucht gewannen.« – »Die Erlaucht hatte nichts damit zu schaffen. Wir gingen unserm Penchant nach, und in einem Punkte stießen wir aneinander.« – »Ich gebe keine Gesellschaften mehr. Mein Haus ist ein Haus der Trauer geworden, mein guter Mann –« »Wird gewiß unter solcher Pflege genesen. Wer redet davon! Wir wollen ja nur unsere Gedanken über das Wesen der Geselligkeit einklingen lassen. Lieben wir sie etwa um ihrer selbst willen? Um daraus Belehrung, Trost, Hülfe zu schöpfen? Sind wir lüstern, wie die unsterblichen Götter im Olymp, die den Opferduft der Menschen mit Wohlgefallen einschlürfen sollen? Oder ist es bei uns die Neigung, das Verlangen, mit unsers Gleichen zusammen zu sein? Sehn Sie, wie unser Freund lächelt. Nicht wahr, das brauchen wir Beide nicht, wir haben Ressourcen in uns, um uns vor der Einsamkeit nicht zu fürchten.« »Ich lächle nur,« sagte Wandel, »weil Sie von ›Ihres Gleichen‹ sprechen.« »Und mit Ihrer Bosheit treffen Sie es. Wir zaubern das um uns, was uns doch nicht entgeht. Weil wir unter Thoren leben müssen, verschaffen wir uns einen kleinen Hof von allen Thorheiten um uns her. Wer dreist einer Gefahr entgegen geht, hat sie halb überwunden. Eine Welt en miniature sollen unsre Salons bilden. Was im großen, wirklichen Leben uns anwidert, das erscheint uns auf dieser Bühne gefälliger, weil wir damit spielen, es regieren zu können meinen. Am Ende bilden wir uns ein, dieser Mikrokosmus ist unser Werk, und wir hätten alle diese Puppen uns zum Vergnügen ausgestopft und in Scene gesetzt.« »Man muß nur nicht die Drahtfäden merken lassen,« sagte der Legationsrath. »Zum Vergnügen!« fiel die Geheimräthin ein, die aufmerksam gefolgt. »Wo wir wissen, wie Einer den Andern verredet, hier mit Lob ihn überschüttet, um, wenn er ihm den Rücken gedreht, ihn zu verspotten; wissen, wie die mit Honiglippen uns Kußhände zuwerfen, gegen uns kabaliren. Hier drückt ein Beamter dem andern die Hand, und empfiehlt sich seiner Gewogenheit, während die Entlassung oder Versetzung des zweiten schon in der Kanzlei ist, und er hat sie betrieben, um in seinen Posten zu rücken. Wo sie uns schön und geistreich finden, um sich nachher vor Lachen auszuschütten, daß wir es geglaubt! Die Tugend in Aller Munde, und die Kuppleraugen schleichen, um ihre Opfer sich auszusuchen. Nur die absolute Mittelmäßigkeit ist sicher, denn was hervorragt, worin es sei, ist den Pfeilen ausgesetzt. Sie zumeist, die wähnen, sie zu regieren. Man preist ihr Zauberfest man erhebt es beim Abschied in den Himmel, aber ehe sie nur in den Wagen springen, klagen sie über Langeweile, Zurücksetzung, gemischte Gesellschaft, daß die Wirthin es nicht verstanden, die Gäste zu placiren, sie klagen vielleicht über Hochmuth, Anmaßung, über das Essen und Trinken auch, Gott weiß, worüber nicht. Ich begreife, wie man mit diesen Puppen spielen, aber wie es ein Vergnügen sein kann, das bleibt mir ein Räthsel.« »Ihre Kritik geht über die Gesellschaft hinaus,« sagte der Legationsrath. »Das Räthsel ist die Welt –« »Und wehe, wer nicht mit ihm spielen kann.« rief die Fürstin aufstehend, denn neue Gäste waren im Vorzimmer eingetreten. »Wer auf diesem bunten, beweglichen Teppich nicht mit den Füßen einer Tänzerin wandelt, hier über Gegenstände springt, dort sie fortstößt wie Glaskugeln, der ist verstrickt, der ist verloren.« – »Es giebt noch einen andern Weg – wo man fest stehen kann –« entgegnete die Geheimräthin, indem sie auch aufstand. Es war ein Metallklang in der Stimme, wie ein Grabgeläut. »Den Weg,« unterbrach die Fürstin, »den Weg haben Sie doch nicht gefunden!« Sie blickte ihr forschend ins Auge; als die Lupinus antworten wollte, rief die Gargazin, wie von etwas überwallt: »Sie hassen! – O. unglückliche Frau, der Haß ist ein zu fürchterliches Spiel für uns; der Haß hat einen unergründlichen Fonds, Sie wissen nicht, was da herauskommt aus der gähnenden Kluft – selbst der Schmetterling flattert nicht lange darüber –« Sie ward unterbrochen. Ein freudiges »Ach!« musste sich aus ihrer Brust ringen, um eine andere Erscheinung zu begrüßen, wir wissen nicht, wen? Es ist uns auch gleichgültig: der unerwarteten Erscheinungen, die alle aus dem Fonds ihrer Liebe mit einem gleichen Ton der freudigen Überraschung bewillkommt wurden, waren viele. Die Lupinus aber hätte, noch nicht in die Gesellschaft eingeführt, allein gestanden, wäre nicht der Legationsrath gewesen. Im Nebenzimmer arrangirte man Spieltische, es wurden schon Karten umgereicht. »Werden Sie spielen?« fragte Wandel. – »Werden Sie reisen?« entgegnete die Geheimräthin. – »Ich riethe Ihnen eine Karte zu ergreifen.« – »Und ich Ihnen zu reisen.« – »Warum?« – »Aus demselben Grunde, weshalb Sie mir zur Karte rathen. Man ist der Mühe überhoben zu antworten, wenn man fürchtet gefragt zu werden.« – »Gilt der Haß, dem Sie die Gesellschaft geweiht, auch mir?« – »Ich bin es müde, Räthsel zu lösen.« – »Im Augenblick, wo Sie den Schlüssel fanden?« – »Um auf einen neuen Verschluß zu stoßen. Viel Glück, Herr Legationsrath, in Rußland.« – »Will ich, gehe ich denn dahin?« – »So wollen Sie Jemand damit täuschen?« – »Meine Feinde. – Kennen Sie meine Feinde?« – »Nicht alle – Einige.« – »Verlangen Sie, daß ich die Sorgen, unter deren Wucht ich meine Freundin erliegen sehe, noch durch Mittheilung von Verhältnissen erhöhe, die nur mich allein betreffen! Nicht mich allein – nein, gewiß nicht, ich bin der letzte – aber Niemand, der mir persönlich theuer ist.« – »Ihre Sachen sind gepackt, Extrapostpferde stehen für Sie täglich im Hofe des französischen Attaché bereit.« – »Das ward Ihnen bekannt?« – »Durch Zufall.« – Er sah sich um: »Wenn Sie eines Morgens hörten, daß ich über Nacht aufgegriffen, über die Gränze geschleppt ward, und wenn am andern Abend die Nachricht käme, daß er mich füsiliren ließ, so würden Sie den Grund der Vorsicht wissen.« – »Wer?« – »Napoleon.« – »Da würden Ihre Pferde doch nicht beim Vicomte Marvilliers stehen.« – »Der Löwe sucht nach dem Raub nicht in seiner Höhle.« – »Aber der junge Attaché!« – »Wenn ich Ihnen sagte, daß er darum weiß, wäre ich ein Verräther. Ich will kein Verräther werden, lieber – scheiden.« – Er hatte sich halb umgewandt, um rasch die Hand der Geheimräthin zu ergreifen: »Leben Sie wohl,« lispelte er. »Nur Eines – ist Ihr Leben in Gefahr?« »Noch nicht, aber – gütiger Gott! Die peinliche Erwartung einer Entscheidung in der ich täglich schwebe, verschließt mir die Lippen, wenn ich sie öffnen müsste, um Vertrauen zu gewinnen. Ich klage Niemand, Sie am wenigsten an. Im Gegentheil, Sie haben Recht, daß Sie mir dies Vertrauen nicht schenken, ganz Recht; verdammen Sie mich als Lügner, der die Pflicht hatte zu sprechen, und wenn er den Mund öffnen sollte, ihn verschließt, als kaltherzigen Intriguanten, der mit den Gefühlen spielt, der edle Herzen zerreißt, verdammen Sie mich, Sie haben Recht aber – wenn es vorbei ist, widmen Sie mir eine Thräne der Theilnahme, wenn Sie erkannt, daß ich nicht anders handeln durfte.« »Wandel!« sie hielt inne – »Wann – wann kommt die Entscheidung?« – »In einer Woche, vierzehn Tage – höchstens einen Monat, wenn aus Warschau –« »Aus Warschau?« – »Ich betheure Ihnen, es ist nur eine Vorsichtsmaßregel; vielleicht zerläuft Alles wieder, wie so oft, in Luft und Wind.« – »Wer ist in Warschau?« 150; »Entfiel mir das Wort? – Ich bin verwirrt –« »Das muß Entsetzliches sein, was Sie außer sich bringt.« – »Was ist entsetzlich, Freundin, in diesen Weltkrisen?« Seine Hand zitterte in der ihren. »Ihr Scharfblick errieth es. Nun bin ich in Ihre Hand gegeben. Mein Leben hängt von Ihnen ab. Gehen sie zu Laforest und –« »Sie phantasiren. Als ob er nicht wüsste, daß Sie mit der Russischen Diplomatie verhandeln.« »Auch daß man mich verstrickt, nennen Sie es Zufall, in ein Netz gezogen, dessen Zipfelende die Bourbonen halten; daß Ludwig XVIII. wieder in Polen ist, daß Dinge in Frankreich vorbereitet werden; daß in Napoleons nächster Umgebung Personen gewonnen sind; daß ihm die Flaschen mit dem Kellersiegel, die er mit sich führt, nichts helfen; daß die Suppe, die er kostet, das Geflügel, das er in den Mund führt –« »Schweigen Sie, um Gottes Willen, schweigen Sie –« »O, ich möchte Alles, was man mir eingefüllt, ausgießen, es zersprengt meine Brust; denn bei Gott, nur mein böses Glück, nicht mein Wille, hat mich hier verstrickt. – Ich fühle mich schon erleichtert, daß ich eine Miwisserin habe, bei der mein Geheimniß wie im Sarge ruht –« »Man wird auf uns aufmerksam werden, daß wir uns so lange absondern.« – »Sie haben Recht, und ich die Beruhigung, daß, wenn ich plötzlich verschwinden sollte – Ihr Verdacht mir nicht wie ein ängstlicher Schatten auf der Heerstraße nachschleppt –« »Um Gottes Willen, meinen Sie, daß Sie diese Nacht schon verschwinden müssen?« – »Ich meine nichts, ich weiß nichts; ich sollte meine Lippen verfluchen, daß sie zum Verräther wurden, aber mir ist wohl zu Muthe, wohl wie einem Kinde, das seinen ersten Fehltritt beichtete. Nein, nein, es war wohl nur die Angst, erpresst durch Ihre Drohung.« – »Warum stürzen Sie sich in diese Lage?« – »Warum bin ich ein Mensch?« – »Reißen Sie sich los – wenn es sein muß, reisen Sie auf der Stelle fort!« – »Ich lebte nur für Andere. – Nein, nein, ich weiß es, ich bin nöthiger hier. Ich will für Andere leben – sein Sie unbesorgt – Nur um etwas Geduld flehe ich noch – o, könnten Sie in mein Inneres blicken – Pflichten hier, Pflichten dort, Verlockungen – aber – sein Sie überzeugt, als Mann, als Sieger werde ich daraus hervorgehe«. – »Man kommt.« – »Ein Freundesrath –« »Ich werde Sie nicht bemerken, wenn Sie verschwinden.« – »Heiter! meine Freundin. Es war sehr gut, daß Sie herkamen, aber Sie kamen als Trauergestalt. Sie freuten sich des Eindrucks. Um des Himmels Willen, mit Geistererscheinungen darf man nicht spielen. Fort die Trauer, einige bunte Bänder, stimmen Sie ein in den frivol geistreichen Ton. Man muß mit ihnen tänzeln, die Gargazin hat Recht. Sie hat erkannt, daß Sie hassen. Das kann schlimm werden. Werfen Sie die Maske ab, nicht hastig – lassen Sie sich allmälig erheitern durch die liebenswürdige Gesellschaft. Da bringt man Ihnen eine Karte, nehmen Sie, spielen Sie, mit wem Sie wollen, es sind Alles Puppen; aber nicht zerstreut.« Die Eitelbach präsentirte jetzt der Geheimräthin eine Karte: »Wollen Sie?« – »Mit dem größten Vergnügen.« – »Ihnen präsentire ich keine Karte, denn Sie mogeln, sagt mein Mann.« Damit ging die Baronin schnippisch am Legationsrath vorüber, der scherzhaft die Finger nach einer Karte gespitzt hatte. – »Sie wird immer schöner,« sagte eine Stimme hinter dem Legationsrath. »Kann man schöner werden, wenn man eine vollkommene Schönheit ist,« entgegnete Herr von Schadow. 64. Kapitel. Der verlorene Sohn und die heilige Magdalene Vierundsechszigstes Kapitel. Der verlorene Sohn und die heilige Magdalene. Das Spiel war zu Ende. Die Geheimräthin hatte allein gewonnen, und bedeutend. Sie war gesprächig, sehr liebenswürdig gewesen. Jetzt sah sie neben sich nur verdrießliche Gesichter. Wenn sie noch heiter und aufgeweckt blieb, legte man es ihr als Freude über den Gewinnst aus, den die andern Mitspieler berechneten. Sie war rasch aufgestanden, um mit der Lorgnette die Bilder an der Wand zu besehen. Es war hoch gespielt worden. Der Kammerherr hatte ansehnlich verloren. Er zankte sich mit seinem vis-à-vis um einige Points. Die Wechselreden wurden jetzt so anzüglich, daß die Baronin Eitelbach die Herren bitten musste, sich zu menagiren. Der Kammerherr warf dem Andern einen maliciösen Blick zu, den Jener, den Stuhl heftig fortrückend, durch ein Murmeln erwiederte: wer krumm ginge, könne auch nur krumm handeln. Der Kammerherr gehörte zu Denen, welche das Glück haben, zuweilen taub zu sein. Die Baronin hatte ihre Börse ausgeschüttet: »Mehr habe ich nicht; mein Mann muß zahlen.« – »Das geht immer so, wer Glück in der Liebe hat,« sagte der Baron, verdrießlich die lange Börse ziehend. »Ich verbitte mir alle Gemeinplätze,« hatte sie erwidert. Er wollte nicht glauben, daß sie so viel verloren haben könnte, als sie angab, sie warf ihm den Bêtezettel hin, er rechnete, wollte zanken, es war aber Niemand mehr da, mit dem er zanken konnte. Indem er die Geldstücke hinwarf, zischelte er der Baronin etwas ins Ohr. Sein Auge begleitete dabei den Rittmeister. Sie ward hochroth, stand rasch auf und warf ihm mit einer Replik einen verächtlichen Blick zu, um ihm darauf den Rücken zu kehren. Auch an andern Tischen war Uneinigkeit wegen der Berechnung. Überhaupt schien die von poetischem Duft umwobene Harmonie, welche vorhin geherrscht, etwas zerrissen. Ein erwarteter Gast war noch nicht da. Der Duft der Speisen drang schon verlockend aus den Souterrains, aber es – sollte noch gewartet werden; der Prinz Louis hatte diesmal bestimmt seine Gegenwart versprochen. Einigen Herren schien dies sehr unangenehm. Man fragte, ob er denn überhaupt kommen werde? Jemand meinte, die Anwesenheit des Geheimraths Lupinus dürfe Seine Hoheit schwerlich locken. Ein besternter Herr entgegnete lächelnd: »Das würde wohl nicht der einzige Gegenstand sein, der einem Königlichen Prinzen hier nicht verlockend vorkäme. Man muß gestehen, wenn man die Société überfliegt, daß unsere gute Prinzessin mit asiatischem Geschmack eine kleine Völkerwanderung zusammengetrieben hat.« »Sie liebt die Quodlibets, aber das Kostüm ist gewählt,« sagte die Almedingen. Herr von Fuchsins spielte auf den neulichen Vorfall des Prinzen mit dem zweiten Lupinus an. Die Hofdame hatte davon reden gehört, sie wusste auch, daß man bei Hofe choquirt gewesen, sie hatte aber noch nichts Näheres erfahren können, und war so begierig wie der Besternte, es zu erfahren. Man zog sich in eine Fensternische zurück. »Eine der Plaisanterien Lombards, die gar nichts auf sich gehabt hätte, wenn nicht der Humor des Prinzen eine Bombe hineinwarf, die unter einem entsetzlichen Eklat platzte. Ihnen ist bekannt, daß Seine Königliche Hoheit Lust bekamen, sich in die Humanitätsgesellschaft aufnehmen zu lassen.« »Was er nur in all den Gesellschaften sucht!« sagte die Almedingen. »Man sagt, den Geist, den er – an einem andern Ort nicht finden kann. Ob es ihm in der Humanitätsgesellschaft gelingt, lass' ich auf sich beruhen. Die Aufnahme ist sehr einfach durch ein Ballotement erfolgt, in dem noch Niemand durchfiel. Nur eine schwarze Kugel war in der Urne, die sich seltsamerweise bei jeder Aufnahme findet. Beim Rezeptionsdiner neulich scherzte der Prinz darüber, und äußerte, er möchte wohl Den kennen, der ihn aus der geehrten Gesellschaft hinaus ballotiren wolle. Lombard, der bei sehr guter Laune war, ärgerte sich gerade über den Geheimrath, der zu eifrig eine farcirte Fasanenbrust tranchirte, auf die er vielleicht selbst reflektirt hatte. Er flüsterte mit ernsthafter Miene, die Augen auf Lupinus gerichtet, dem Prinzen etwas ins Ohr, und die Achseln zuckend, schloß er halb laut: er ist sonst ein braver Mann, man begreift nicht, wie er dazu gekommen ist. Der Prinz starrte lachend den Regenten der Vogtei an. und wenn er es nicht selbst bemerkte, so flüsterten seine Nachbarn es ihm ins Ohr. Nun hätten sie den unglücklichen Geheimrath sehen sollen. Ein Schauspiel für Götter, wie er auffuhr, Messer und Gabel fallen ließ, kreideweiß, der Stuhl hinter ihm fiel nieder. Man kann buchstäblich sagen, die Augen gingen ihm über, und die Stimme versagte ihm. Er wehte sich mit den Händen Luft zu. Endlich brach es los. Ein Gefangener am Marterpfahl bei den Irokesen, sah er alle Augen auf sich gerichtet, und der Prinz hatte die Grausamkeit, mit dem Ernst eines Generals beim Kriegsgerichte ihn unverwandt anzustarren. Nun, meine Damen und Herren, die Beredtsamkeit des Geheimrath Lupinus mögen Sie sich denken. Nachdem er die Wolken der unerhörten, fürchterlichen Verleumdung zu zerstreuen gesucht, kam er auf sein theures Ich zu sprechen, natürlich französisch, welches von der Muttermilch an nur in Devotion für das Königliche Haus sich gesäugt. Nach vielen Endlich – Aber – Rückfällen – Wiederholungen – gerieth er in eine Art dithyrambischen Schwunges, und aus der Kehle oder der Brust kam ein Lobgesang auf das Königliche Blut, das so rein und heilig, wie es im Herzen pulst, durch alle Glieder stieße, daß jeder Tropfen davon reiner sei, wie der Purpur des Morgenrothes. – Alle sahen auf den Prinzen, der bis da mit unveränderter Miene den Mann angeschaut – er mochte eine Viertelstunde gesalbadert haben – als er rasch aufstand, das gefüllte Glas in die Hand nahm und die Lippen öffnete. Ringsum gespannte, bange Erwartung. › Mais –‹ riefen Seine Königliche Hoheit, – eine kleine Pause –›c'est assez!‹ – Kein Wort weiter. Sie stürzten das Glas runter, stampften es auf den Tisch und konversirten mit ihrem Nachbar weiter über die Trüffelpastete.« Der Besternte, einem fremden Hofe angehörig, schwellte sichtlich von einem innern Behagen, das er zu verbergen sich Mühe gab, während die Hofdame erblasst war: »Entsetzlich! Und –?« »In der Gesellschaft war eine Todtenstille, Jeder sah auf seinen Teller.« – »Und der unglückselige Prinz?« – »Aß mit großem Appetit. Vielleicht dachte er nach, ob die Gesellschaft eines so genialen Einfalls werth war. Lupinus saß, was man in Berlin sagt, ›wie übergossen‹. Er ließ alle Schüsseln vorübergehen.« – »Unglaublich!« riefen beide Zuhörer, jeder dachte etwas andres. »Daß solch ein Mensch sich nicht vernichtet fühlt,« sagte die Almedingen. »Weshalb, meine Gnädigste?« – »Weil er die Ursach war, daß ein Prinz von Geblüt sich selbst vergaß. Wenn eine solche Gewissenslast auf mich drückte, ich wüsste doch nichts anderes, als daß ich mir das Leben nehmen müsste.« – »Die Gewissen sind verschieden,« entgegnete Fuchsius. »Das ist eine wunderbare Gabe Gottes. Herr Lupinus gehört zu der großen Klasse Menschen, die man wie die Frösche mit Keulen in den Sumpf stampfen mag, sie stecken die Köpfe doch wieder raus.« Das zarte Gefühl der Almedingen erlaubte ihr nicht länger dem Gespräche zuzuhören. Als sie gegangen, sagte der Besternte: »Mich dünkt, zu dieser Klasse gehört die Majorität der Menschen.« Der Regierungsrath erwiderte: »Wenigstens, wenn die Keulenschläge, die sie täglich empfangen, sie zur Besinnung ihres Unwerths brächten, wäre die Welt eine andere, als sie ist.« Die Nachricht lief um, der Prinz werde gar nicht kommen. Es seien Depeschen vom Rhein höchst betrübenden Inhalts eingelaufen, darauf er zu Hofe berufen. »Und sie lässt noch nicht serviren!« seufzte ein Präsident, die Uhrkette ziehend. Die noch nicht serviren ließ, hatte während dessen die Goldstücke vom Spieltisch eingesammelt und, nachdem sie dieselben in Papier gewickelt, in den Pompadour der Geheimräthin gleiten lassen. »Wollen Sie mich bestechen?« – »Ich könnte Sie doch nur belohnen wollen, daß Sie meinen Abend durch ihre Heiterkeit geschmückt.« – »Ich bin schon belohnt durch den Genuß, den mir Ihre Pikturen gewähren. Von wem ist dieser verlorene Sohn?« – »Von einem Spanier. Ein Ribera, sagt man; Einige wollen gar von Murillo. Betrachten Sie diese Schwielenhaut, diese Kruste von Schmutz, man sieht ordentlich die verschiedenen Lager, auf denen er sich gewälzt.« – »Ich bewundere nur das Gesicht. Aufgedunsen wie von der schlechten Nahrung, aber wie glüht das Auge!« – »Einige finden Ähnlichkeit mit Prinz Louis Ferdinand.« – »Wie blaß, bemerken Sie, Erlaucht, bei dieser Beleuchtung. Ich möchte eher an den jungen Bovillard erinnert werden.« – »In der That. Die schwarzen Brauen, auch im Kinn. – Warum ist diese herrliche Parabel nicht weiter geführt? Wir sehen nur die Vaterfreude. Wenn auch die Geliebte seiner Jugend die Arme dem Verlorenen entgegen breitete, wie viel rührender wäre die Geschichte.« – »Sie könnte auch aus Verzweiflung verloren, vielleicht die Magdalene selbst geworden sein.« – »Da hebt ja schon eine heilige Magdalene die Arme ihm entgegen. Wenn man die zwei Rahmstücke ausschnitte, wäre es ein Bild. Dieselbe Größe, dieselbe Färbung.« – »Überraschend! Worauf Sie mich aufmerksam machen!« – »Erlaucht haben viele Magdalenbilder! Wohin ich sehe –« »Hier Battoni, da Correggio; da ist auch ein Murillo – den liebe ich weniger – dort ein Carlo Dolce, ein Vau der Werff, Guido Reni. Von geschickten Malern kopirt; ich gab ihnen meist selbst Anleitung.« »Seltsam.« sagte die Geheimräthin, »ich erinnere mich keiner Magdalene von Raphael.« »Der divino maëstro hatte sich so ganz der Marienverehrung hingegeben! Für mich hat der Magdalenenkultus etwas Berauschenderes. Leben wir nicht Alle der Erde näher, keimt nicht das Veilchen aus ihrer dumpfen Verborgenheit, athmet die Nelke nicht ihre Würze, fühlt unsere Brust sich nicht wunderbar geschmeichelt vom Duft der Nachtschatten! Die Marien bewundern, die Magdalenen begreifen wir. Wenn die ewige Jungfrau ihren Arm um uns legt, müsste es, dünkt mich, die Empfindung wie eines vom Blitz Getroffenen sein! wenn die heilige Magdalene ihn sanft um uns schlingt, o, wie anders, wie gern würden wir uns von ihr heben lassen, schweben durch die Wolken, die sich öffnen, denn sie flüstert uns Balsamworte zu: auch ich kannte Deine Schmerzen und Deine Wonnen. Für mich ist die Magdalene der eigentliche Inbegriff des Mysteriums der göttlichen Liebe.« – »Hat sie denn wirklich geliebt,« sagte die Geheimräthin. »Mich dünkt, ihre Art von Liebe konnte nicht zum Glauben führen!« – »Weil sie changirte?« – »Ja, wäre sie eine Sultanin gewesen, die ihre Lieblinge sich wählte und entließ, um endlich ihr Ideal zu finden. Aber sie ist doch gedacht als ein armes Mädchen. Hat nun ihr Fonds von Liebe ausgereicht, um alle die fortzulieben, die mit Seufzern und Schwüren kamen, mit Betheuerungen und Gluth, die Lieder und Geld zu ihren Füßen streuten, und gähnend fortgingen, um nicht wieder zu kommen? Vielleicht ward sie auch gemißhandelt, und von denen, die sie wirklich zu lieben geglaubt; ihre edelsten Empfindungen, wenn sie sich zu äußern wagten, wurden verspottet. Und das durch Monden, Jahre wiederholt. Solchen Fonds von Erfahrungen hinter sich, Täuschungen darf man es nicht mehr nennen, erwarten wir von ihr etwas anderes als Verachtung, Bitterkeit gegen das ganze Geschlecht! Ich könnte sie mir denken als eine Intriguantin, welche ihre Lust darin findet, die Männer gegen einander zu hetzen, als ein Brandstifterin, eine Semiramis, eine Amazonenkönigin, die die Brandfackel in Lander und Städte wirft –« »Vielleicht auch als Brinvilliers – das ist das richtige Argument des Verstandes, meine theure Frau. Das wahrhaft von der Liebe erfüllte Gemüth – Was ist Ihnen?« »Nichts – ein vorübergehender Stich vom langen Sitzen.« »Die Liebe sucht nichts, die Liebe findet Alles,« fuhr die Fürstin mit süßer Stimme fort. »Wer nur ein Ohr dafür hat, nicht muthwillig es schließt, wo der Spring unter der grünen Tiefe rauscht, aus Furcht, daß er zu furchtbar vorbricht. O, die Thörichten! Sehen Sie da den Rittmeister und die Eitelbach! Wo Alles sich findet, was sich nur suchen will, gehen sie wie Wachspuppen einander vorüber.« »Mich dünkt, Adelheid und der junge Bovillard thun das auch.« – »Kinder, die Versteck spielen.« – »Ich glaubte, sie in Feuer und Flammen zu finden.« – »Im hellen Zimmer jagen, im dunkeln fangen sie sich.« – »Mamsell Alltag ist blaß.« – »Unter den vielen Geschminkten.« – »Der Marmorausdruck ihres Gesichts –« »Geliehen, theuerste Frau! Was das arme Kind sich Mühe giebt, ihr Gefühl uns zu verbergen, die tausend Nadelstiche, die das kleine Herz durchbohren! Solche widernatürlichen Affekte rächen sich.« – »Aber eine mütterliche Freundin, wie Erlaucht, wird der Leidenden zu Hülfe kommen.« – »Da darf kein Fremder helfen wollen. Wahr und wahrhaftig nicht. Die Natur findet ihren Weg und die Knospe bricht auf, wenn die Blume reif ist.« »Schade nur, wenn das arme Mädchen sich wieder täuschte!« sagte die Lupinus nach einer Pause. – »Wie meinen Sie das?« – »Der junge Herr von Bovillard ist zwar, was man nennt, in der Gesellschaft wieder ehrlich gemacht, aber – ein Sort kann er ihr doch nicht machen. Ich glaube schwerlich, daß man ihm eine Anstellung gäbe, wie jetzt die Dinge stehen. Sein Vater hat auch nicht mehr den früheren Einfluß. Der alte Alltag würde mit der Mariage ebensowenig zufrieden sein.« Ein vornehmes Lächeln schwebte um die Mundwinkel der Fürstin: »Daran habe ich wirklich nicht gedacht.« – »Hat Ihre Majestät noch das Verlangen. Adelheid zu sehen?« – »Die Königin hat wirklich an Anderes zu denken. Da fällt mir ein, in der Magdalena, die hier die Arme, nach Ihrer glücklichen Entdeckung, dem verlorenen Sohn entgegen hält, findet Schadow Ähnlichkeit mit unserer Adelheid.« Die Geheimräthin lorgnettirte: »Der Schnitt des Gesichtes, aber – ich mochte eher eine Verwandtschaft mit der Comteß Laura entdecken.« – »Wie sein wieder Ihr Blick, Sie sind eine geborene Kunstkennerin. Merkwürdig, Laura ist fast ganz so kostümirt. Wir wollen die schönen Mädchen uns herrufen, um zu entscheiden, wer ein näheres Anrecht darauf hat, eine Heilige zu werden.« Die schönen Mädchen waren nicht im Magdalenen-Zimmer. In dem Kabinet hinter den Feuerlilien stand Adelheid, an derselben Thürpfoste, wo die Comteß gestanden; fast in derselben Stellung, auch sie blickte durch die Thürritze, theilnahmlos. zerstreut, wenn Vorübergehende sie anredeten. Die Gargazin und die Lupinus sahen sich bedeutungsvoll an. Es war nicht Zeit mehr zu seinen Beobachtungen. Das war kein eitles Spiel einer Koketten, die auf neue Eroberungen sinnt, die sich im Gedanken vor dem Spiegel schmückt und, in der Phantasie ihr eigen Bild malend, sich fragt: »wirst du ihm so gefallen?« Sie athmete nicht, sie zitterte nicht, aber der Rand des Blumentisches, den sie krampfhaft fasste, hätte, wenn er Empfindung gehabt, einen eiskalten Druck empfunden. Sie wusste nicht, daß ihr Lockenbund sich gelöst und eine Flechte, sie entstellend, auf die Seite fiel, sie fühlte den Boden unter sich brennen, und ihr war eiskalt zu Muthe; nur schoß es zuweilen glühend heiß durch die Adern, und gegen die Augen drängte es wie ein Strom, der einen Ausweg sucht, aber die Wächter haben die Schleusen zugezogen. Die Gargazin drückte die Hand ihrer Begleiterin und flüsterte ihr ins Ohr: »Die Knospe bricht; heute entscheidet es sich.« Zu mehr war nicht Zeit. Gruppen drängten sich um einige spät Angekommene. Prinz Louis kommt nicht, lautete die eine Botschaft. Ein Zweiter wusste von der eingelaufenen Nachricht: der französische Kaiser habe Distrikte und Orte am Rhein besetzt, die unzweifelhaft zu Preußen gehörten, und mit dem Übermuth der Reunions-Kammern sie für französisches Staatsgut erklärt. Der Ministerrath war nach dem Palais berufen. Man hatte auch Generale in äußerster Erhitzung dahin stürzen sehen. Einige wollten wissen, man werde über Nacht dem französischen Gesandten die Pässe zustellen. Die Fürstin rief nach dem Geheimrath Johannes von Müller. Er war nicht mehr in der Gesellschaft; schon vor einer halben Stunde war er abberufen. Eine andere Botschaft aus dem Hause der Geheimräthin: der Herr Geheimrath befinde sich in heftigem Fieber und phantasire, indem er wunderbare Namen anrufe. »Will denn Alles heut den schönen Abend uns stören!« Die Geheimräthin war nicht der erste Gast, welcher Abschied nahm. Die Geheimräthin hatte eine Ahnung den ganzen Abend durch geplagt. Ihr sei, versicherte sie, als wenn ein furchtbares Gewitter, ein Erdbeben im Anzuge sei. »Um so größer war Ihre Gefälligkeit, den ganzen Abend die Heitere gespielt zu haben –« Dafür hatte die Fürstin sie weiter begleitet, als die Etiquette forderte, vielleicht billigte: »Ich möchte von Ihnen den Muth lernen, wie man bei einem Erdbeben lächelt.« Die Fürstin lächelte aber nicht, als sie zurückkehrte, man konnte vielmehr ein leichtes Schaudern bemerken: »Ich hoffe, es war das erste und letzte Mal.« Ein Vertrauter, wie Wände und Möbel es sind, vor denen man nichts verbirgt, aber sie erwidern das Vertrauen nur durch Schweigen, ein russischer Kavalier hatte den Herzenserguß gehört und wagte darauf zu antworten: »Warum behandelten Erlaucht die Frau mit der Aufmerksamkeit?« – »Weil ich sie fürchte,« hatte die Fürstin dem Möbel erwidert, »weil – ich muß Wandel fragen.« » La table est servie! « meldete der erste Kammerdiener. Auch Wandel war verschwunden. Der erste Gast war jetzt der Präsident, die vornehmeren waren fort: »Es wird doch auch diesmal nur blinder Lärm gewesen sein!« sagte die Fürstin. – »Gewiß,« entgegnete der Präsident, indem er ihr respektvoll den Arn: reichte. »Man wird schon wieder ein Auskunftsmittel finden, und wir können –« »Ruhig essen, Herr Präsident. Meine Herren führen Sie die Damen, unsere Ordnung ist zerrissen – wie es sich findet.« Die Ordnung war zerrissen, die Tischgänger wurden gepaart, wie Niemand es erwartet hatte. Wir haben Louis Bovillard in dieser Soirée nur einmal ins Auge gefasst, und auch da nur durch die Vermittelung anderer Augen. Vielleicht verloren wir nichts. Den vernichtenden Titanenhumor, der ihn für Viele interessant machte, ließ er nur noch selten spielen. Was gehörte er in die Gesellschaft? War er doch auch vielleicht entwichen in einem langen Siechthum! Was der Strömung der Zeit angehört, wird heut von ihr auf der Woge hoch getragen, daß es die Wolken ansprützt, um morgen im Abgrund zu versinken. Der Kothurn, den wir heut bewundern, morgen belächeln wir ihn. So liefert die Tragödie von gestern immer Stoff zur Komödie von heute. Louis Bovillard sahen wir durch die Thürritze als Träumer. Im Kostüm des englischen Spleen hatte er einige alte Damen verletzt. Die jungen mochte er nicht verletzen wollen, denn er war plötzlich ein anderer geworden. Er war in ihrem Kreise voll Laune, Witz, liebenswürdig vom Wirbel bis zur Zeh, aufmerksam auf jede Neckerei, die er in dem Tone wiedergab, von dem sie ausging.Was hatte ihn so verwandelt? Die Liebenswürdigkeit der jungen Damen oder die steinernen Gesichtszüge, die Adelheid ihm zeigte? Man kann ja nicht immer in einer Gesellschaft den Träumer spielen, sonst wird man langweilig; und Adelheid mochte das auch denken, denn nichts verrieth, daß sie sich über diese Veränderung wunderte. Man hatte in dem lustigen Zimmer Pantomimen aufgeführt beim Klange des Klaviers. Aber Louis musste längst vergessen haben, um was er am Instrumente saß. Er träumte wieder, denn er hatte sich in Akkorde vertieft, die wohl zu einem schauerlichen Liede von Novalis oder Tieck passten, aber nicht zu der harmlosen Situation aus der jüngsten Reichard'schen Oper, noch zu den Scherzen des Suchens nach der Musik. Hatte die junge Gesellschaft das gemerkt? denn sie war allmälig verschwunden vor den dumpfen, langaushallenden Tönen, die er den Tasten entlockte. Nur Eine war hinter dem Klavier sitzen geblieben, und als er die Phantasie mit einem Tonschlage schloß, der wie ein tief aufseufzender Meeresstoß gegen das Eis brach, respondirte ein Ton der Bewunderung aus ihrer Brust. »Das war zu göttlich! Eigentlich verdiente es einen Kranz!« Comteß Laura war aufgesprungen, und ehe der Fortepianospieler es sich versah, fuhr ihr weicher Arm um seine Schulter und steckte das Bouquet feuriger Nelken, das sie in der Schürze getragen, rasch ihm an die Brust. Als er den Arm fassen wollte, um den Dank auf die Hand zu hauchen, war die Nymphe entschlüpft. Das Unglück aber wollte, das die Zipfel ihres garnirten Tuches an seinen Rockknopf sich genestelt. Das Tuch war lang und erst in der Mitte des Zimmers ward sie inne, daß sie an ihn gefesselt war. »Sie zerreißen mein Tuch.« Er zog sie langsam an sich. »Was wollen Sie?« – »Sie strafen, daß Sie entfliehen wollten.« Sie musste ihr Tuch mehr lieben, als die Strafe fürchten, sonst hätte sie doch das Tuch losgelassen und wäre entflohen. Als er ihr jetzt entgegensprang, um sie zu strafen, erschreckte ihn nicht ihr leichter Schrei, mit dem sie dem strafenden Arm sich zu entwinden suchte, sondern – eine Erscheinung. Adelheid stand zwischen der Thür und ihm, die Hand ans Herz gepresst, als fühle sie einen Schmerz, blaß, mit Geisteraugen, wie eine Bildsäule. »Meine Herren, schnell den Arm der Damen!« riefen mehrere Stimmen, als durch die offene Thür der Zug zum Speisesaal vorüberging. » Sans gêne, Jeder wer ihm zunächst steht.« Ob er, ob die Comteß das Tuch vom Knopfe losgenestelt, wissen wir nicht, aber es musste losgemacht sein, denn Bovillard fand kein Hinderniß mehr, als er der ihm Nächststehenden den Arm öffnete. Es machte sich von selbst, es ging nicht anders, ohne einen Verstoß. Es war Adelheid, die der Strom auf ihn zudrängte, während er die Comteß fortschob. Auch sie musste, sie stand ihm zu rechts. Aber sie weinte. Eigentlich bebte nur ihre Brust. »Ihre Schlussakkorde – es war mir, als ob – als ob etwas sprang –« »Darf ich?« rief die näselnde Stimme des Baron Eitelbach zur Comteß, ohne sich tief zu neigen. Sie sah ihn einen Augenblick von oben bis unten an, und steckte dann ihren Arm in den seinen mit einem »qu'importe!« Es machte sich auch von selbst. Es waren die letzten Gepaarten. Drei Paare folgten einander zu Tisch, von denen Keiner am Abend erwartet, daß der Zufall ihn zu dem Andern führen würde. Die zwei sahen wir eben; ihnen voran ging der Rittmeister Stier von Dohleneck und die Baronin Eitelbach. Spottvögel verglichen sie mit Kerzen auf einem Armleuchter. 65. Kapitel. Ein belauschtes Intermezzo Fünfundsechszigstes Kapitel. Ein belauschtes Intermezzo. Im Vorzimmer des neuen Ministers stand Walter van Asten. Es war Vieles vorgefallen, was diese Audienz, um die er nicht nachgesucht, immer wieder aufgeschoben hatte. Der Minister war einmal zum Könige berufen gewesen, eine dringende Konferenz hatte sich ein ander Mal in die Länge gezogen. Man hatte ihm hinaus sagen lassen, es thue dem Minister sehr leid, aber um ihm seine Zeit nicht zu rauben, werde Excellenz ihm einen andern Tag bestimmen lassen. Am heutigen war Walter mit frohem Herzen aus dem Hause gegangen. Nicht weil ein entfernter Bekannter, der sich plötzlich seinen Freund nannte, heut Morgen zu ihm gestürzt war, mit der frohen Kunde, die er vom Schwager des Bruders eines Kanzleibeamten gehört, daß derselbe seine Brochüre auf dem Arbeitstisch des Ministers liegen gesehen. Seine Schrift hatte Walter fast vergessen. Was war es jetzt Zeit zu Organisationen. Es war kein anderer Impuls in ihm. als die Lust des Atoms, sich aufzulösen in das Allgemeine. Nur rasch wünschte er die Operation. Es ist ja Alles vergänglich; auch der tiefste Seelenschmerz, von dem wir nie zu genesen glauben, ist nur ein bitterer Rausch, der sich verflüchtigt. Wie furchtbar er auch die Brust des Ruhigen, Verschlossenen durchwühlt, so, in stillen Augenblicken, daß er die Sonne untergesunken sieht, um nirgend wieder aufzugehen, auch der Schmerz arbeitet doch nur wie Alles, was Odem hat, bis sein Athem ausging! Dann – ja dann, was uns ins Auge fällt, der Abendstern oder ein Abenteuer, ein Problem oder ein Bild aus dem Alltagsleben, Hitze oder Kälte, Hunger oder Durst, die Neugier oder die Müdigkeit, sie erregen neue Wünsche, neue Anstrengung, neue Arbeit, neues Leben. Was wäre auch das menschliche, wenn es an einem Schmerz schon verblutete, und Jedem sind der Schmerzen so viele zugemessen! Die Sonne der Liebe, die so wunderbar bei ihrem Aufgang in sein graues Leben gestrahlt, war versunken. – freilich, er hatte ihr Licht schon lange immer matter, immer kälter werden sehen, aber so plötzlich untergesunken, so dunkel, unheimlich war auf einmal die Nacht, daß mit ihr Alles versunken schien, was er gebaut, geträumt. Für sich, was sollte er da noch bauen, schaffen, wollen? Wozu? Was er für sich erstrebt, es hatte ja keinen Zweck mehr! Ehre? Wo war denn Ehre überhaupt zu gewinnen? Eine Existenz? Brauchte er um die zu ringen? Ein dampfender Schlund schien sich vor ihm zu öffnen, in den er, ein anderer Curtius, unverzagt gestürzt wäre. Er hatte den Kanonendonner bei den Revuen gehört, das Geprassel des Pelotonfeuers. Wenn das Ernst wäre, die breite Brust den dampfenden Batterieen entgegen zu halten, müsste es nicht eine Lust sein! Der Minister ließ ihn lange warten. Seine Ercelleuz waren in eifrigem Gespräch mit einem vornehmen Besuch. Wenn sie sich der Thür näherten, schallten Worte und ganze Sätze zu ihm; dann, die Klinke an der Hand, machten sie wieder Kehrt, es schien neues Öl in die Flamme gegossen, und indem sie sich tiefer ins Zimmer entfernten, gingen die Worte in unartikulirte Töne über. Er glaubte den Titel seiner Schrift zu hören. Er konnte sich aber auch getäuscht haben. Er näherte sich unwillkürlich dem Tische, worauf die letzte Lektüre des Ministers lag. Obenauf seine Schrift. Sie war an vielen Stellen eingeknifft. Er sah dicke rothe Striche, Frage- und Ausrufungszeichen. – Also doch darum! Sie hatte die volle Aufmerksamkeit des ausgezeichneten Mannes erregt. Musste er sich nicht vorbereiten? Er trat zaudernd noch näher. Da stand ein Bravo! dick neben einer Stelle. Sein Herz klopfte. Schon griff seine Hand nach dem Buche, als die Thür aufsprang und der Minister seinen Besuch hinaus begleitete. Sie bemerkten ihn im Eifer der Unterhaltung nicht; der Fremde mochte zur englischen Gesandtschaft gehören, sie sprachen englisch. »Mylord, Preußen ist durch den neuen Vertrag ohne Schwertstreich aus der Reihe der europäischen Mächte gestrichen. Sie können's in hundert Schriften lesen,« sprach der Minister. »Was verlangen Sie noch von uns?« – »Und doch hat Seine Majestät, Ihr König, Laforest's Antrag nicht gewillfahrt,« sagte der Engländer. – »Weil der unverschämte Mensch forderte, er solle Lombard für etwas belohnen, wofür –« »Sie und ich ihm einen andern Lohn gönnen,« fiel der Gesandte ein. »Indessen hatte Lombard nichts gethan, als was Seine Majestät billigen mussten, er hatte Hangwitz während dessen Abwesenheit vertheidigt, das heißt, den Vertrag, den der König selbst ratificirt hat.« – »Die Patrioten hätten Lombard in Stücke zerrissen, wenn man ihn noch dekorirte und beschenkte.« – »Seine Majestät hörten auf die Stimme des Volkes, aber auch auf die Ausfälle des Moniteur. Um Napoleon zu genügen, hat man den Baron Hardenberg entlassen.« – »Kämmerchen vermiethen,« warf der Minister hin. – »Excellenz, nichts desto weniger muß ich Ihnen bekennen, daß mein Kabinet gerade dies am wenigsten versteht. Und wenn mein Kabinet, das englische Volk begreift es nicht.« – »Giebt die Diplomatie niemals mit der einen Hand, um mit der andern zu nehmen?« – »Nicht in Krisen, wo man nicht weiß, ob man noch Zeit hat, den ausgestreckten Arm zurückzuziehen.« Der Minister, der eine Weile vor sich hingeblickt, zuckte mit den Achseln: »Und doch irren Sie, Mylord. Die Uhren auf dem Kontinent gehen langsam. Die Stunde ist noch nicht so weit vorgerückt.« – »Seiner Majestät Uhr ging rascher, als Sie uns Hannover nahmen, Ihre Häfen uns verschlossen.« – »Weil Napoleon schneidend auf die Ausführung des Vertrages drang. Er stand mit dem Hammer des Auktionators da.« – »Und jetzt mit dem Liktorenbeile, Excellenz. Er legt den Vertrag aus, wie es ihm gefällt. Er hat vor der Zeit Ihre Besatzung aus Wesel verdrängt. Der Kommandirende derselben hat, beinahe ausgehungert, in seiner abgeschnittenen Lage um die zurückgelassenen Vorräthe bitten müssen. Murat, der neu creirte Großherzog von Berg, hat, auch nach dem schmählichen Vertrage, unbestreitbar preußische Bezirke, Alten, Essen, Werden besetzt. Er zieht die Kassen ein, requirirt für die Magazine, setzt Beamte ein und ab. Der Kaiser bleibt, aller Remonstrationen ungeachtet, herrisch dabei. Ihr Staat ist so absolut isolirt, daß er von Frankreich abhängig sein muß, und doch genügt das Napoleon nicht. In seinem Űbermuthe spielt er mit Preußen, wie der Tiger mit seinem Opfer, ehe er es zerreißt. Wozu Schonung, er spricht es deutlich aus gegen Jeden, der es hören will, nicht vor seinen Ministern, vor seinen Stallknechten ruft er: was Rücksichten gegen einen Staat, der so tief in der öffentlichen Meinung sank, daß er nirgends Freunde hat; daß die es waren, am lautesten vor Schadenfreude lachen werden, wenn er zusammenstürzt. Napoleon sucht Krieg, er will Krieg, er provocirt ihn –« »Und findet lämmermüthige Geduld,« fiel der Minister unerwartet ein. Mit ironischem Lächeln fügte er hinzu: »Sollte Seiner Majestät dem Kaiser der Franzosen da nicht am Ende selbst die Geduld ausgehen?« Der Brite fixirte ihn: »Eine Maske, Excellenz, thut zuweilen ihre Dienste, wenn man sich noch verstellen kann; wenn man aber sich so deployirt hat, daß der Feind alle Schwächen und Hülfsmittel kennt, ist es zu spät. Und wenn Sie es noch länger hinhalten, Ihr Volk hält es nicht länger aus.« – »Kennt man das auch in Paris?« sagte der Minister mit einem eigenthümlichen Ton, zwischen tiefem Ernst und leichtem Spott. – »Ihre Staatsmänner zählen noch nach Jahren,« hub der Brite wieder dringender an. »Ich nach Monden, Wochen, vielleicht nach Tagen. Wissen Sie hier nichts von den Verhandlungen mit den deutschen Fürsten im Westen und Süden? Um das Reich Karls des Großen zu stiften, müssen die Wittekinde vorher im Staube liegen. Er darf auch den Schein eines Sachsenreiches nicht dulden. Wüssten wirklich Ihre Staatsmänner nichts davon, verschlössen sie in unglaublicher Verblendung ihr Ohr, oder glauben Sie noch, ihr Veto einzulegen, wenn Alles abgemacht ist?« Der Minister war bewegt, nicht durch die letzte Mittheilung des Engländers. Er hatte nur bis jetzt seine Stimmung durch Einwendungen in ironischem Tone zu verdecken gewusst. Wie tief er in eignen Gedanken versenkt war, beweist der Umstand, daß er das Vorzimmer vergaß, und Walter nicht bemerkte, obschon dieser keinen Versuch gemacht, sich zu verbergen. Der Engländer mochte ihn gesehen, aber für einen Vertrauten, zum Hause gehörig angesehen haben; auch setzte er vielleicht nicht voraus, daß ein Sekretär die englische Sprache verstand. Der Minister ging unruhig einige Schritte auf und ab. Walter hielt es sogar für seine Pflicht, durch ein Geräusch seine Anwesenheit zu verrathen, aber ohne seinen Zweck zu erreichen. »Wir wissen noch mehr, Mylord,« sprach der Minister, vor dem Briten stehen bleibend. »Eine Revolution ist im Ausbruch, eine Revolution, welche allen, die gewesen sind, die Krone aufsetzt. Sie spielt in der Hofburg zu Wien. Der Steuermann springt in den Rettungskahn, Fahrzeug und Volk sich selbst, den Wellen überlassend. Franz II. legt die römische Kaiserwürde nieder, er will seine deutschen Provinzen los und ledig erklären von allen Pflichten gegen das Reich. Das Reich mag an der nächsten Klippe zerschellen, damit Oestreich gerettet wird.« »Mich dünkt, einen preußischen Staatsmann sollte diese Nachricht nicht erschrecken,« sagte ruhig der britische Diplomat. »Wenn er aus Herzbergs Schule ist! Wir fragen, hat er ein Recht dazu, darf er preisgeben ein ihm anvertrautes, heiliges, das höchste Amt der Nation, der Christenheit, ohne Die zu befragen, die durch freie Wahl es ihm auftrugen? Das deutsche Volk behält das unveräußerliche Recht auf sein Dasein.« Der Brite fixirte ihn: »Sprechen Eure Reichsfreiherrliche Gnaden da als preußischer Minister?« Im Staatsmann arbeitete ein Feuer fort, er hörte nicht den Einwand: »Das ist der Fluch jener französischen Revolution, die aus dem nackten Begriff schöpfte, und in den Hexenkessel roher Begriffe Alles einwarf, Todtes, Lebendiges, Ungebornes und Verwestes, aber auch das Heiligste und Gerechteste. Was blieb denn noch übrig, woran wir uns halten, wo der Vielfraß Zeit Alles aufzehrte, als das Vaterland! Zersetzen wir auch das auf seine Knochen und Fasern, dann Valet die letzte Sprungkraft, die uns aus dem Schlamm aufreißt. Ohne daß wir an Deutschland festhalten, ist kein Hessen und kein Sachsen, ja, kein Preußen und kein Ősterreich. Sie, Mylord, wenn ich nicht irre, rühmen sich Walliser Abkunft, was hält denn Ihr großbritannisches Reich zusammen, als daß es Eins ward, Briten und Sachsen, Sachsen und Normannen, Engländer und Schotten, selbst das widersträubende Irland hat der Nationalsinn mit eisernem Arm an die gemeinsame Brust geklammert. Wäre es Bonaparte damals gelungen, hätte er Ihre Schiffe gesprengt, Ihre Strandbatterieen durchbrochen, Ihre Armee geschlagen, London genommen, hätte er die Mythe ins Leben und die Kronen von Frankreich und England auf eines, sein Haupt gesetzt, hätten Sie sich genügen lassen mit einem kleinen Walliser Reich oder Piktenreich? Zerfallen und zerfahren war Ihr schöner germanischer Staat, wenn der Nationalsinn kein Herz mehr hatte, von dem alle Adern ihr Blut empfingen. Uns hat man die Adern unterbunden, seit Jahrhunderten das Blut abgezapft und es in andere Kanäle zu leiten gesucht, und doch wallt und strömt es immer wieder nach dem Herzen hin. Es sucht es und kann's nicht finden, das ist seine Qual, aber es muß, es wird es wieder finden, – oder der deutsche Name ist ausgestrichen aus der Geschichte.« »Und in England, wollten Sie sagen,« fuhr der Brite, ohne aus seiner Gelassenheit zu kommen fort, als der Minister plötzlich inne hielt, »daß die getrennten Stämme dies Herz erst gefunden haben. Richtig; es war ein glücklicher, aber ein künstlicher Prozeß.Die Fusion des Blutes ist hergestellt, aber der Stempel darauf ist das Interesse. Das sollten Sie doch nicht vergessen, Sie lesen es ja auch in allen Journalen und Schriften. Ja, Excellenz, wir dürfen uns dar über nicht täuschen, es ist das Interesse, was uns zusammenfügte und hält, ein Band, das Napoleon durch seine Kontinentalpolitik täglich fester macht. Aber wenn wir sehen, daß die Kontinentalmächte, in deren Interesse es lag, mit unserm zu gehen, ihr eigenes vergessen, wenn wir sie schwanken sehen von einem Tage zum andern, ihre Entschlüsse ändern, dann – mein Herr, wir sind Kaufleute, Phantasieen und Fanatismus, zu manchen Geschäften gut, um den Impuls zu geben, tragen wir in unserm Kontobuch nur unter dem Riskontro ein. Napoleon ist ein großer Spekulant, er setzte bisher Alles auf eine Karte; so lange trauten wir ihm nicht. Seit er aber im fortdauernden Gewinnen und sich immer konsequent ist, dürfte England dahin kommen, ihn als einen solidern Kaufmann zu betrachten, mit dem es sich wohl einmal auf ein Geschäft einlassen könnte.« »Pitts Nachfolger werden und können sich auf eine Associéschaft mit Bonaparte niemals einlassen.« – »Alle Vorstellungen täuschen, sobald die Rechnung eines andern Facit giebt.« – Der deutsche Staatsmann sah ihn scharf an: »Mylord, ich habe mir die Achtung vor dem Charakter bewahrt, auch in der Politik – und ich glaube, nie falsch gerechnet zu haben. Ein wirklicher Charakter stimmt mit den Gesetzen der Mathematik. Die Maske ist zu durchsichtig. Wo könnte England gewinnen?« »Wenn es die schwankende, haltungslose Politik Derer, die seine Freunde sein müssten und es nicht sind, sich selbst überlässt. und mit dem starken Feinde ein einfaches Geschäft macht, Zug um Zug.« Der Brite sah sich vorsichtig um. Indem sein Blick auf Walter fiel, dämpfte er die Stimme. Es war ein stilles Zwiegespräch von einigen Sekunden. Der Minister horchte, den Kopf etwas vorgebeugt, zu, bis er ihn wieder in die Höhe warf. Er war ein ganz Anderer geworden. Alle Unruhe und Agitation war fort. Sein Auge lachte sogar etwas höhnisch, als er mit lauter Stimme sprach: »Daß er die Proposition machen ließ, bezweifle ich gar nicht, wenn er aber England Hannover zurück anbot, so kenne ich die klugen Kaufleute in der Downingstreet zu gut. Fehlgeschossen, Ihr greift nicht nach dem Danaergeschenk. Wie! Eine Heerde Euch schenken lassen, und wenn sie Euch gehörte seit Abrahams Zeit, aber um Haide und Stall haben sich Wölfe gelagert! Wollt Ihr sie annehmen unter der Kondition, daß Ihr die Wölfe nicht bekriegen dürft, daß Ihr Eure Lämmer unter der Aufsicht der Raubthiere scheert und die Wolle holt? Glaubt Ihr zu besitzen, was nur auf einem Vertrage beruht, und wenn der Wolf hungrig ist, wollt Ihr ihm das Papier entgegen halten? Nimmermehr, Mylord, lehren Sie mich von Ihren Staatsmännern nicht kleiner denken, nicht an sie den Maßstab von diesen hier anlegen. Ja, sei es, das Interesse allein trennt und verbindet, und darum bleibt England uns verbündet, wie gut oder wie schlecht wir's ihm gelohnt. Und doch rechne ich nicht darauf – ich habe gelernt, auf nichts mehr zu rechnen, ich rechne allein – doch das gehört nicht hierher. Im Übrigen, Mylord, jetzt ist es Sommer, aber Bonaparte fängt erst im Herbst Krieg an.« 66. Kapitel. Ein Plagiarius wird entdeckt Sechsundsechszigstes Kapitel. Ein Plagiarius wird entdeckt. Walter hatte auf den ersten Blick in dem Minister den Mann erkannt, mit dem er zufällig in Sanssouci zusammengetroffen war – nicht zu seiner Űberraschung; eine leise Ahnung war schon früher in ihm aufgestiegen. Dennoch fühlte er sich angenehm berührt. Er war bei dem ausgezeichneten Manne eingeführt, er kannte den Minister, der Minister ihn, er durfte hoffen von einer vorteilhaften Seite; so waren die ersten lästigen Formalien beseitigt. Nachdem der Engländer gegangen, durchschritt der Minister noch einmal das Vorzimmer. Die Mittheilungen des Briten beschäftigten ihn, die Lippen bewegten sich, die Hände spielten ein Pantomimenspiel, als er sich jetzt rasch nach dem Tische umkehrte. Wer sind Sie? »Was wollen Sie hier?« fuhr es heraus, als er Walter erblickte, und um die Augenbrauen wölbten sich gefährliche Runzeln. – »Euer Excellenz haben mich beschieden.« – »Wer – Sie sind doch nicht?« – »Mein Name ist Walter van Asten. Wenn keine Verwechselung unterlief, ward ich von Excellenz erwartet.« Der Minister sah ihn von oben bis unten an. In den Runzeln der Augenbrauen sammelte sich ein Gewitter des Zornes, aber während um die Lippen ein spöttischer Zug bemerkbar ward, glänzte in den Augen, die ihn scharf durchbohrten, etwas von Mitleid mit Verachtung gemischt. – »Sie – Sie haben das da« – er griff nach Walters Brochüre, und indem er sie mit zwei Fingern verächtlich aufhob, hielt er sie ihm plötzlich mit beiden Händen vors Gesicht, um sie eben so rasch wieder an, den Tisch zu werfen. – »Das haben Sie geschrieben – ich meine, Sie haben es drucken lassen?« – »Ich habe keinen Grund es zu leugnen.« – »Und mir unterstehen Sie sich diese Schrift zu unterbreiten?« – »Ich erfuhr erst heute, daß Euer Excellenz von meiner Schrift Notiz genommen.« – »Der Rittmeister Dohleneck ist Ihr Freund?« – »So viel ich weiß, steht er zu meinem Vater in Verhältnissen.« – »Doch noch etwas Bescheidenheit, durch den Papa und die Freundschaft mir in die Hände zu spielen, wozu Ihnen selbst die Unverschämtheit abging. Gut gespielt, mein Herr, Sie können sich rühmen, daß ich Sie einen Augenblick für ehrlich hielt.« – »Wenn meine Ansichten oder meine Darstellung Euer Excellenz Mißfallen erregten, so glaube ich wenigstens diese Behandlung nicht verdient zu haben, da ich mich Ihnen damit nicht aufgedrängt habe. – Wenn Euer Excellenz mich nur deshalb rufen ließen so glaube ich jetzt entlassen zu sein.« – »Unversch – Ihre Ansichten! Herr, in drei – hat ein Plagiarius Ansichten? Kann ein Dieb sagen, der einen Kasten aus dem offenen Fenster stahl, daß ihm die Sachen darin gehören, wenn er sie in seiner Spelunke in Schränke und Fächer gestellt hat?« Walters Blut stürzte gegen seine Brust, er presste die Lippen, seine Stirn glühte, und wie ein eiskalter Strahl zuckte es ihm zugleich vom Wirbel bis zur Zeh: »Was haben Euer Excellenz mir zu befehlen?« Er sprach es mit fester Stimme, aber es war der letzte Moment der Fassung. »Scheeren Sie sich zum –, wo Sie hergekommen und unterstehen sich nicht, mir wieder unter die Augen zu treten.« Der Minister hatte mit einer halben Wendung ihm den Rücken gekehrt. »Ich werde nicht gehen!« hörte er hinter sich eine klar tönende Stimme. »Denn darum haben, darum können Excellenz mich nicht herberufen haben. Ich gehe nicht, weil ich es mir schuldig bin, und ich gehe nicht, weil ich es Euer Excellenz schuldig bin. Ich habe ein Recht, vor Ihnen gerechtfertigt zu werden, wie der Minister ein Recht hat, vor mir gerechtfertigt zu stehen, und wäre ich die unterste menschliche Kreatur in diesem Staate.« Der Freiherr sah ihn über die Schulter an: »Im Mundwerk ein Virtuos wie im Styl; aber ich liebe nicht Virtuosen, ich will Charaktere. Was haben Sie vorzubringen? Kurz!« – »Daß hier ein Mißverständniß sein muß.« – »Es ist Alles klar. Mit abgeschriebenen Gedanken wollen Sie sich brüsten. Gehen Sie zu andern Staatsmännern. Ich will Ihnen den Gefallen thun und Sie vergessen. Verstanden? Ganz vergessen! Machen Sie da Ihre Fortune. Aber, junger Mann, wenn es ernst ist um das Vaterland, und wo es sich handelt um seine heiligsten Interessen, da dulde ich keine Escroquerie.« Es war nicht mehr die Gluth der Entrüstung und des Zornes, es war eine lösende Wärme, welche unsern Bekannten aus seiner Erstarrung ins Leben rief. Hier war ein Mißverständniß. Er fühlte sich so muthig wie je. Der Minister, der, ohne ihn noch eines Blickes zu würdigen, gegangen war, und schon die Thür in der Hand hielt, hörte den entschiedenen Tritt des Andern hinter sich, er hörte ein Halt! ihm zurufen. Vielleicht wäre der Dreiste ihm ins andere Zimmer gefolgt, wenn er nicht an der Schwelle Kehrt gemacht. Vorhin hatte Walters Stimme ihn sanfter gestimmt; der klare, ruhige Blick, die gesetzte Haltung, mit der er ihn jetzt ansah, hemmte noch einmal das Gewitter, das im Losbruch, entweder gegen einen unerhört Unverschämten oder gegen einen Unschuldigen. Das klare blaue Auge sprach für die Unschuld. »Excellenz, ich weiß, was ich begehe, und weiß, daß ein Klingelzug, ein Rufen aus Ihrem Munde, über mein Loos entscheidet. Lassen Sie mich durch Ihre Diener hinauswerfen, ins Gefängniß schleppen, mir den Prozeß machen wegen Attentats gegen einen höhern Staatsbeamten im Dienst. Ich will nichts ableugnen, und weiß, daß es mehrere Jahre Festung, meine Karriere kosten kann. Dennoch! – So heilig Ihnen Ihr unbescholtener Ruf ist, so heilig mir meine Ehre. Der Staatsmann, den ich nicht mit den übrigen verwechsele, der die Dinge nach ihrem Werthe prüft, und die Menschen nicht nach ihrem Kleid und Namen, er hat mich, den er freundlich in sein Haus lud, hier in seinem Hause einen Plagiarius gescholten, er hat mich des Diebstahls, der Escroquerie bezüchtigt. Ich habe ein heiliges Menschenrecht dafür Rechenschaft zu fordern. Von Andern würde ich sie nicht fordern, die in brutalem Dünkel den Untergebenen nicht fähig halten zu denken, was sie nicht selbst gedacht; von Euer Excellenz fordere ich sie, und Sie werden sie mir gewähren. Wessen Gedanken habe ich entwendet, wessen Schrift nachgedruckt? Wen habe ich um seinen Vortheil betrogen? Diese Schrift, die Ansichten darin, falsch oder richtig, sind meine. Ich bin auf Tadel gefasst, ich werde auch Verspottung zu ertragen wissen, aber ich will mein Recht als Eigenthümer.« Er hatte das Heft vom Tisch ergriffen. Der Minister sah ihn mit einem durchdringenden Blicke eine Weile an, aber während der Zorn noch auf den Lippen schwebte, und den unteren Theil des Gesichts durchzuckte, glätteten sich schon die Falten der Stirn und unter den Brauen wurden die Augen klar, ja, ein spöttisches Lächeln fing an, sich über die Mundwinkel zu legen. »Die Gedanken, mein Herr, sind meine .« Walter hielt zum ersten Mal den Blick nicht aus, er senkte seine Augen; der Blick wurde ganz sarkastisch. »Meine eigenen,« wiederholte der Minister in einem Tone, der dem Blicke entsprach. »Ihre Artigkeit wird doch nicht Beweise fordern?« – »Und wäre das, mein Gott!« – »So wäre das noch keine große Sünde. Gedanken fliegen durch die Luft. Der Eine, arglos, im Eifer des Gesprächs, lässt sie über die Lippen, und sie vibriren von Ohr zu Ohr. bis der letzte Horcher sie in Worte fasst und sie für die seinen hält, weil er sie zu Papier bringt. Diesen Diebstahl will ich Ihnen verzeihen, aber –« Darauf war Walter allerdings nicht vorbereitet gewesen, aber ein Blick auf das Exemplar der Druckschrift in seiner Hand gab ihn den Muth zurück. Er hielt das dicke Bravo! mit Rothstift dem Minister entgegen: »Hier fanden Excellenz –« »Einen meiner Gedanken ausgeführt, wie es mir gefiel. Nein, ich bekenne mehr. Was ich erst flüchtig hingeworfen, auf eine andere Zeit die Ausführung versparend, fand ich so entwickelt, es bekam Hand und Fuß, es ward durch die Wendung ein neuer Gedanke. Es überraschle mich, und ich war froh, daß Jemand mich verstanden hat, in meinem Sinn gedacht, weiter gedacht als ich –« »Gott sei Dank!« brach es von Walters Lippen. Er vergaß in dem Augenblick seine Stellung, selbst die peinliche Lage, in der er sich noch befand. Er zuckte mit der Hand, als wolle er nach der des Ministers greifen. »Gott sei Dank, ich bin gerechtfertigt. Diese Wendung werden Sie mir doch als Eigenthum lassen!« Indem der Staatsmann ihn unverwandt anblickte, schien, die Wolke von vorhin sich wieder auf seinem Gesicht zu sammeln, aber es war eine Magie, um nicht zu sagen Sympathie in Beider Augen, welche den Ausbruch des Gewitters noch nicht zuließ. »Auch die darauf folgenden Seiten? Sehen Sie nach.« Walter blätterte. Sie waren mit Rothstift an der Seite von oben bis unten angestrichen. »Es ist nur die Entwicklung jener Wendung des Gedankens. Ich glaube, sie ist folgerichtig und nicht Unglücklich.« – »Ich glaube es auch,« sagte der Minister. Es wetterleuchtete wieder. Er sprach rasch in abgestoßenen Sätzen: »Also Ihre Entwickelung? Mit Ihren Fingern geschrieben? Zweifle ich nicht. – Und der Rittmeister, Ihres Vaters Freund, hat nicht mit Ihrem Wissen gehandelt? Ich will es glauben. Kennen Sie den Regierungsrath Fuchsius? Still! Es kommt nichts darauf an. Die Verlegenheit will ich Ihnen sparen. Gedanken fliegen nicht allein durch die Lüfte, auch durch die Finger von Abschreibern. Sind Sie ein Clairvoyant? Ja, ich hörte, aus der romantischen Schule. Sahen Sie die Ausführung, Seite für Seite, Satz für Satz Wort für Wort durch die Mauer schimmern? Sie schrieben vermuthlich um Mitternacht, beim Vollmond. Sagen Sie ja. Auf eine Illusion mehr kommt es einen Romantiker nicht an, und wir scheiden in Freundschaft. Ich kann Sie noch als einen ehrlichen Menschen aus dem Sinn schlagen, wenn Sie mir ehrlich versprechen wollen, künftig zu wachen, wenn Sie über Dinge schreiben wollen, die Sie zu verstehen glauben.« »Ich bin kein Ödipus, Excellenz, und stehe sprachlos vor dieser Sphinx.« Der Minister nahm ihm die Brochüre aus der Hand, aber indem er demonstriren wollte, zerdrückte er sie in der Heftigkeit seiner Gestikulation. »Als ich sie vorgestern in die Hand bekam, war ich entzückt. Der Anfang superbe. Das Vorwort ist von Ihnen, das kann ein Geschäftsmann nicht. So wollte ich die Verordnung vors Publikum gebracht, so eingeleitet. Selbst die Perrücken, durch die ich mich schlagen muß, würden einigen Respekt vor dieser Überzeugungskraft, vor dieser Gesinnung in blühender Sprache, die zum Herzen dringt, gewinnen. Das kommt von Ihnen? Nicht?« »Wenn nicht ein unsichtbarer Geist es mir eingab, der sein Eigenthum reklamirt.« – »Machen Sie Ihre Sache nicht schlechter, als sie ist, junger Mann. Gestehen sie offen Ihren Fehltritt ein. Von da ab hat der Teufel der Eitelkeit Sie geplagt – Wort für Wort abgeschrieben.« – »Von wem?« – »Ich will's noch glauben, daß Sie das Original selbst nicht kannten.« Der Minister war mit einem stummen Wink daß der Andere ihm folge, in sein Arbeitszimmer getreten. Vom Schreibtisch nahm er ein sauber mundirtes Promemoria und reichte es Walter: »Lesen Sie, die Ausarbeitung des Herrn von Fuchsius, welche dieser geschickte Arbeiter auf die von mir ihm angegebenen Ideen entwarf, ganz zu meiner Zufriedenheit, ganz in meine Ideen eingehend.« Walter las, blätterte, überflog mit steigender Verwunderung. Das Thema dasselbe, die Einleitung die formelle eines Geschäftsmannes, die Eintheilungen fast die nämlichen mit seiner Schrift, dann eine Ausführung – es war fast Wort für Wort die seine – nur der rhetorische Schluß ein anderer im Aktenstyl. Er ließ das Papier sinken. Ein Lichtstrahl zuckte durch das Zimmer und auch in seine Seele: »So ist der Streit nur um die Priorität!« – »Der Streit ist entschieden,« fiel der Minister scharf ein, »Meine Gedanken über die Regeneration des Bauernstandes sind älter als – was geht das Sie an. Fuchsius theilte ich sie Ende des vorigen Jahres mit, wir hatten darüber Gespräche, seit sechs Monaten ist er mit der Ausarbeitung des Promemoria beschäftigt, stückweise kannte ich die Arbeit schon früher, in ihrer vollendeten Gestalt legte er sie mir vor drei Monaten vor. Ihre Brochüre trägt die Jahreszahl 1806 an der Stirn. Die Sache ist damit zu Ende.« Walter verbeugte sich und ging. Der Minister schien es nicht erwartet zu haben: »Sie haben mir nichts mehr zu sagen?« wandte er sich noch einmal um. »Seit Sie mir zu sprechen verboten haben. Ich würde sonst, was Excellenz vielleicht entgangen, bemerklich gemacht haben, daß es Buchhändlerart ist, auf Druckschriften, die am Ende eines Jahres erscheinen, die Jahreszahl des folgenden zu setzen; daß ferner unter meinem Vorwort das Datum steht, an dem ich die Schrift vollendet, und das war schon in der Mitte vorigen Jahres, also ehe Euer Excellenz Herrn von Fuchsius die Aufgabe stellten; ferner, wenn es in einer so unwichtigen Angelegenheit darauf ankäme, könnte ich durch den Buchdrucker mein Manuskript, durch das Zeugniß von Freunden darlegen, wie ich die betreffenden Stellen bereits Anfang vorigen Jahres niedergeschrieben hatte. Ich könnte auch bemerken, daß aus einer gedruckten Schrift, welche beinahe ein Jahr cirkulirt, sich leichter Auszüge machen lassen, als aus einer schriftlichen, die im Bureau eines Ministers unter dem Siegel der Amtsverschwiegenheit bewahrt ist.« »Halt! Die sämmtlichen Exemplare Ihrer Schrift sind aufgekauft und makulirt worden, ehe sie ins Publikum kamen.« – »Wer that das?« rief der Erstaunte. – »Ihr eigener Vater. Weil er es bereute, ließ er mir das letzte Exemplar durch Herrn von Dohleneck zustellen.« – »So könnte ich schließlich darauf aufmerksam machen,« sagte Walter, »daß ich mit dem Herrn Regierungsrat in durchaus keinen Relationen stehe.« – »Kennen Sie Herrn von Fuchsius?« unterbrach ihn der Minister, der schon in der Mitte de Rede mit eigenen Gedanken beschäftigt schien. – »Man rühmt ihn als einen unserer befähigtesten jüngeren Beamten, dem eine glänzende Karriere bevorsteht.« – »Ich frage, ob Sie ihn kennen? Persönlich? Schickten Sie ihm wirklich kein Exemplar? Wissen Sie, daß er keines besessen?« – Als Walter den Mund öffnete, schoß wieder ein Lichtstrahl durch das Zimmer. Er erinnerte sich, als er bei jenem anderen Minister eine Audienz erhalten, daß Herr von Fuchsius damals aus dem Zimmer gegangen, daß dem Minister kurz zuvor ein Vortrag über die Schrift gehalten sein musste. In dem ersten Moment fuhr ein Lächeln über sein Gesicht. Er erinnerte sich, daß Fuchsius, als er durch das Vorzimmer an ihm vorüber ging, eine Druckschrift aus der Tasche sah. »Herr Regierungsrath von Fuchsius!« meldete in dem Augenblick der Amtsbote. – »Soll warten!« sagte der Minister. »Im Bureau!« rief er dem Voten nach. Er schien mit Gedanken beschäftigt, als er, die Hände auf dem Rücken, aus dem Fenster sah. War Walter vergessen? Hatte der Staatsmann angenommen, daß er gehen müsse? Sollte er jetzt gehen? Sich räuspern? Plötzlich wandte er sich um. Er hatte ihn nicht vergessen, aus dem Pult riß er ein Konzept, und warf es hin: »Versuchen Sie sich daran. Hier auf der Stelle. Da ist Papier und Feder. – Eine Ausarbeitung – ganz nach Ihrem Sinne – an die Lineamente brauchen Sie sich nicht zu halten; da ist viel dummes Zeug darin. – Eine Stunde haben Sie Zeit. Ich habe Geschäfte, die mich wohl noch länger abhalten« 67. Kapitel. Blicke aus eines Ministers Fenster ins Volksleben Siebenundsechzigstes Kapitel. Blicke aus eines Ministers Fenster ins Volksleben. Die Thür schlug hinter ihm zu. – War das eine Rechtfertigung, daß der Minister dem jungen, ihm fremden Mann das Heiligthum seines Arbeitszimmers mit den offen stehenden Schränken überließ? Walter konnte wieder lächeln, als aus einem halbgeöffneten Schubfach ein Körbchen mit Goldstücken ihm entgegenblitzte. Da lag auch ein versiegeltes Packet mit der Aufschrift: »Nach meinem Tode zu verbrennen.« Vornehme Leute haben oft eigene Vorstellungen, wie sie die von ihnen verletzte Ehre ihrer Untergebenen herstellen. Jedenfalls war es nur eine halbe Rechtfertigung; der Minister wollte ihn durch die neue Aufgabe prüfen, ob er im Stande sei, selbstständig Gedanken zu entwickeln und auszuarbeiten. Das Konzept, das ihm übergeben war, enthielt flüchtige, von des Ministers Hand hingeworfene Sätze, etwa folgender Art: Was allgemeine Stimmung, wenn kein gesetzliches Organ dafür existirt! – Jeder Minister ausschließlich in seinem Geschäftskreise – ein König oder Gliederpuppe. Fehlt jedes Element, den König aufzuklären über den wahren Status. – Geheime Kabinetsräthe. – Dahinter war ein dicker Dintenklecks. Der Schreiber hatte mit der stumpfen Feder aufgestaucht. Absolut nicht mehr möglich. Aut! – aut! – Fein anzufangen. – Dummes Zeug! So Hardenberg nach heutiger Konferenz. Blücher würd's besser verstehen. – Dahinter einige Striche, Federproben, Eselsohren! Daraus ein Promemoria entwerfen! Allerdings das Zeichen eines großen Vertrauens. War Excellenz' Denkweise so bekannt, daß er aus Chiffren und Hieroglyphen ein System konstruiren konnte? Oder hatte er ihn absichtlich in ein Labyrinth gesetzt, um ihn auf bequeme Weise los zu werden, wenn er den Ausgang nicht fand? Feder und Papier waren zurecht gelegt, aber Gedanken sollen dem Schreiben vorausgehen. Sie im Promeniren zu sammeln, war die Stube zu klein. Und es war drückend heiß. Er lehnte sich aus dem Fenster, um Luft zu schöpfen. Die Nachmittagssonne brannte von dem wolkenlosen Horizont auf die breiten Straßen Berlins. Die geputzten Spaziergänger, die nach dem Thiergarten eilten, suchten die schmale Schattenseite. Er hörte ihre Gespräche. Nicht Einer, der nicht dem Andern zurief: »Das ist mal heiß!« Jener machte die Bemerkung: Anno 99 wäre es doch noch heißer gewesen. – »Ja, ja. so geht's!« schlössen zwei Bekannte mit einem vielsagenden Händedruck ein Gespräch, in welchem sie sich eben nichts zu sagen gewusst. »Schlechte Zeiten!« – »Wenn nur Friede bleibt!« – »Meinen Sie? – Ja – ja – wer weiß!« – »Hab' ich's Ihnen nicht immer gesagt, es geht oder es geht nicht.« – »Ja, wenn nicht der Bonaparte wäre!« – »'Ne sappermente Wirtschaft!« – »Na, man wird ja sehen.« – »Und das Bier auch immer schlechter.« – »Saure Gurkenzeit, Herr Gevatter!« – »Die armen Komödianten!« rief eine geputzte Dame. »Nein, an solchem Tage spielen zu müssen!« – »Und Belmonte und Constance!« – »Und in Pelzen, hu, Einem schaudert!« – »Und wie leer wird es sein!« – Hinter den Geputzten schlenderte wie ein Opferthier, nicht eins, das erst gebraten werden sollte, sondern das gebraten war vom Sonnenbrand, ein junger Bursch im Sonntagsrock. Der Mund offen, die blaßblauen Augen unter den glatt herabhangenden Stirnhaaren der Ausdruck eines Minimum von Seele. Plötzlich aber belebten sie sich von Pfiffigkeit; halb pustete, halb pfiff er, und war seitwärts gesprungen nach dem Straßenbrunnen. Rasch klirrte die Pumpe, und seine Lippen schlürften aus Herzenslust an dem dick vorsprudelnden Wasserstrahl. Warum musste er es so laut machen, daß die Schwestern sich umsahen: »Aber Karl, Potz Wetter, wie unanständig!« – »Nein Mutter, sieh! der Karl! der Junge hält doch nie auf Reputation. Als ob er von 'ner Schusterfamilie wäre! Wie ein lebendiger Straßenjunge!« – »Warte nur, wenn der Vater!« – »Du kriegst ja draußen Weißbier, Karl,« rief die Mutter. »Wenn nur die wirklichen lebendigen Straßenjungen es nicht gehört hätten.« Es schnalzte und grinste: »Straßenjungen! Wer sind denn Eure Straßenjungen!« – »Und wer sind sie denn! Aus der Fischerstraße!« – »Wenn man sie nicht kennte! Die näht Pantoffeln. Selbst Schuster!« – »Und die Andre – Schneidermamsell bei den Komödianten.« – »Dicke thun hilft nichts.« – Hätten die geputzten Damen nur geschwiegen! Aber sie schwiegen nicht. Sie mussten ihre Ehre vertheidigen. Die Straßenjungen ließen sich in Berlin nicht überschreien. Die korpulente Mutter ermahnte ihre Töchter, sich mit dem »Kropzeug« nicht abzugeben. »Selbst Kropzeug!« war das Echo. Das war natürlich nicht zu ertragen. Die Frau rief aus Leibeskräften nach ihrem Manne: ob er das dulden wolle, seine Frau Kropzeug genannt! Der Mann schien schon vorausgeschickt, das jüngste Kind auf dem Arm, damit die Ehre der geputzten Familie nicht kompromittirt werde. Sein blauer Überrock mit dem hochstehenden Kragen, in den der Kopf beinahe versank, die groben Kniestiefel und das weit aus ihnen hervorblickende Pfeifenrohr passten allerdings nicht zur Eleganz des weiblichen Theils der Familie, und man durfte annehmen, daß er sich bei Hofjägers an einen aparten Tisch setzen müsse. Aber in der Noth hört solche Distinktion auf. Während der Mann zurückkeuchte, so hastig, daß der Pfeife die Spitze abbrach, und er jetzt vollkommen Grund hatte zum Zorn, hatte der Auftritt schon eine andere Physiognomie angenommen. Fritz war von den Schwestern animirt worden. Daß einer der Straßenjungen sich dicht vor sie gestellt und die Zunge »geblökt«, durfte er doch nicht dulden. Der Thäter lag auf dem Boden, und Fritz auf ihm, es war indeß zweifelhaft, ob er nicht bald unter ihm liegen würde. Da war es eben so natürlich, daß der Vater mit dem zerbrochenen Pfeifenrohr darunter sprang. Es war auch nicht mehr Geschrei, kaum mehr das, was man in Berlin ein Aufgebot nannte, es war das nächste daran. Vorübergehende standen schon, wie es sich schickt, entweder still oder nahmen Theil, als ein Einspänner um die Ecke bog und den Knäuel in etwas trennte. Es waren anständige Leute auf dem Wagen, der Herr Hoflackirer und seine Frau mit ihrer Cousine Charlotte, deren Vaternamen uns noch immer ein Geheimniß blieb. Anständige Leute stoßen Achtung ein, besonders, wenn sie Wagen und Pferde haben. Anständig will Jeder sein. Der Herr Hoflackirer hatte aber seinen Rock geknöpft und trug seinen Hut wie ein vornehmer Mann, auch kutschirte er selbst, und das Gestränge glänzte, wenn auch nicht von Silber, doch von etwas, was wie Silber aussah. Hätte er nun die Peitsche knallen lassen, und ein donnerndes Wort gesprochen von Auseinander! und Ruhe und Ordnung, und hätte den Wagen durchrollen lassen, dann wäre Alles gut gewesen; aber er fragte: »Was ist denn hier los?« Und seine Damen erkundigten sich noch eifriger. Bei dem Durcheinander von Antworten schien der Streit jetzt erst recht anzufangen. Wenn man nicht darüber ins Reine kam, wer ausgeschlagen habe, was weniger darüber, wer ausgeschimpft hatte? Die Frau Hoflackir schien für die geputzten Damen mehr Sympathie zu empfinden, während ihre Cousine die armen Jungen in so fern in Schutz nahm, als man nicht gleich losschlagen müsse, wenn Einer mit der Zunge blökt. Wenn die Damen im Wagen schon verriethen, daß sie im Inquiriren nicht geschickt waren, so viel weniger der Hoflackir, der sich einige Blößen gab, welche auch von diesem Auditorium gefühlt wurden. Schwierig war allerdings seine Stellung, wenn er außer den Parteien auch noch den Meinungszwiespalt zwischen seinen Beisitzerinnen schlichten sollte; man soll sich aber nicht zum Richter bestellen, wenn man nicht das Zeug dazu hat, sagte nachher ein ehrbarer Mann. Die Frau Hoflackir musste durch eine sehr unanständige Geste eines Straßenjungen in ihrem Zartgefühl verletzt sein, denn sie schrie auf, wie ihr Mann auch dazu komme, unter dem Pöbel sie zur Schau zu halten! Hatte sie dabei unglücklicherweise auf die geputzten Schwestern ihren Blick gerichtet, denn diese – der Zorn macht blind – nahmen den Affront auf sich. »Pöbel! Wer ist denn hier Ihr Pöbel!« griffen aber zehn Stimmen zugleich die Beleidigung auf. Jetzt war es an Charlotten auch die ihre zu erheben: »Und wer sind Sie denn, meine Damen, wenn ich fragen darf? Das ist meine Cousine, die Frau Hoflackir, und der Herr Hoflackir, mein Cousin, hat immer nur mit anständigen Leuten zu thun.« – »Sie meinen wohl, wir wären nicht anständig,« schrie die eine Geputzte, die den im Streit ihr abgerissenen Hut wieder auf das glühende Gesicht gesetzt hatte, nur nicht ganz in der vorigen Façon. – »Da müsste doch die Polizei mitsprechen!« rief die Zweite – »Die Polizei,« rief Charlotte, »die kennt ihre Leute, und weiß, wer sich Abends, wenn er aus der Tanzstunde nach Hause geht, von Referendarien in Konditorläden führen lässt.« – »In Konditorläden! Das ist eine ausverschämte Lüge! Das sollen Sie mir vor dem Kriminal beweisen, meine Dame. Der Herr Referendar invitirten mich, aber ich sagte: das würde sich wohl nicht schicken, Herr Referendar! Und wir sind da nicht hineingegangen.« – »Es kommt mir auch gar nicht darauf an, wo Sie die Rosinen gegessen haben,« replicirte Charlotte mit einem sehr feinen Blick. – Die zweite Schwester hielt die Höflichkeit nicht mehr für angebracht: »Und woher Sie die Rosinen in Ihrem großen Munde haben, weiß man auch!« – »Ja, manche Leute,« fiel Charlotte ein, »manche Leute haben einen sehr großen Mund, und sehen Wunder wie aus, Sonntags vorm Brandenburger Thor, wo sie Keiner kennt, aber vorm Hamburger Thor kennt man sie auch.« – »Vorm Hamburger Thor!« schrie die Eine. »Vorm Hamburger Thor!« wiederholte die Andere. »Da hätte man sie ja raus geschmissen, Knall und Fall, wenn's nicht der Herr Wachtmeister gewesen wäre.« – »Mit Schmiedegesellen geben wir uns allerdings nicht ab,« trumpfte Charlotte drein, »die sind uns zu russig!« – »Sie ist ja eine Köchin!« fuhr die Jüngste auf. »Eine Geheimrathsköchin! Und eine für Alles! Die ursprünglichen Parteien waren aufgelöst, vermischt; es gab nur einen gemeinsamen Kampf gegen die im Wagen Sitzenden. Wer die allgemeine Lachlust gegen sich hat, ist verloren. Wie schwer der Herr Hoflackir auch zur Empfindung zu bringen war, denn die Frau Hoflackir musste ihm mit der Faust in den Rücken pauken, damit er nur merkte, daß sie ohnmächtig ward, jetzt glaubte er fluchen zu müssen. Es geschah zwar mit einer gewaltigen Bierstimme, aber weder mit den rechten Ausdrücken, noch mit der rechten Folge. Zuerst Flüche aus dem Stall, dann Gründe. Ein Donnern, das mit dem Säuseln des Windes endet, verfehlt seine Wirkung. Im Hohngelächter der Buben blieb ihm nur das letzte Mittel, nach der Polizei zu rufen, und er schwor, so wahr er Seiner Majestät Hoflackirer wäre, wolle er sie alle durch die Bank in die Stadtvogtei schmeißen lassen. Ehe sich einer dessen gewärtigte, war Charlotte plötzlich vom Sitz aufgesprungen, hatte sich übergelehnt, dem Schwager Zügel und Peitsche entrissen, und ließ mit einem: ›Platz!‹ die Peitsche knallen. Das muthige Pferd, des langen Geredes überdrüssig, bäumte sich mit einem Satz, der dem Wagen zwar einen Stoß versetzte, daß die Frau Hoflackir ihre Ohnmacht vergessen musste; aber der Peitschenhieb hatte auch den gordischen Knoten zerhauen, den zu lösen dem Herrn Hoflackir am schwersten geworden wäre. Der Haufe, der auf die Rodomontade schon zu Thätlichkeiten Miene machte, flog auseinander, und Kies und Funken stoben.« »Kikelkakel Polizei!« rief Charlotte, als sie Zügel und Peitsche dem verdutzten Herrn Schwager wieder in die Hand warf. »Darum lohnt sich's auch!« Die aus der Ohnmacht erwachende Frau Hoflachir stöhnte: das komme davon, wenn man sich mit gemeinen Leuten einlasse. – »Gemeine Leute, das geht schon,« entgegnete Charlotte, deren Herz jetzt warm wurde, und ihre Zunge löste sich. »Aber wenn gemeine Leute wollen gebildet thun, Cousine, das ist um die Crepance zu kriegen. Die Schmiedetöchter da an der Panke, Hufschmied war er für die Fuhrleute und Bauern! Aber seit er den Knopfladen in der Stadt angenommen, da sollte es oben raus. 'Ne Mamsell lässt sich auch gleich machen, habe ich oft zu meinem Geheimrath gesagt. Das kostet Geld und Bildung, mit ´nem langen Plunderkleid ist's nicht gethan. Da mussten sie in die Komödie, vom Tanzboden ins Corps de Ballet. Ging's nicht so, dachten sie, geht's so. Das kennt man ja. Und Airs geben sie sich, wenn ein Offizier mal auf der Redoute: ›Meine Damen!‹ gesagt hat. Als ob man nicht wüsste, wie sie mal barfuß laufen mussten und Reisig auf der Hucke tragen, das ist noch keine Sünde nicht, aber pfui, wer sich schämt, was er gewesen ist. Und gegen den Vater wäre auch gar nichts zu sagen, wenn er nicht so schreckliche Manieren hätte. Man merkt doch gleich den Grobschmied raus. Und wo er zuschlägt, wächst kein Gras. Aber er ist doch mal ihr Vater, und gestohlen hat er doch auch nicht. Aber die Mutter, na, lieber Gott, wenn man von der erzählen wollte! Unter der Haube ist sie nun mal, aber von vorher weiß man Geschichten. Gott bewahre mich, daß ich was sagte. Wer Allen die Haube vom Kopfe reißen wollte, die jetzt hochmüthig thun, und auf Andere schief runter sehen, da hätte man viel zu thun. Einer den Andern verreden, da ist die Schlechtigkeit der Menschheit, und bis das nicht abgeschafft ist, Cousin, da können Sie mir glauben, ist's nichts in der Welt.« Einmal auf dem Einspänner, mussten wir ihn doch bis ans Thor begleiten. Wir zweifeln nicht, daß Charlottens Lunge, die das auf dem damaligen Berlier Strahenpflaster vermocht, auch draußen auf dem welchen Erdreich des Thiergartens noch lange fortgefahren ist. Sie verschaffte dem Hoflackirschen Ehepaare jedenfalls den Vortheil, nichts von den Spitzreden zu hören, die unter lautem Hohngelächter ihnen nachschallten. Hier war nur eine Partei zurückgeblieben, man möchte sagen, eine Herzensseligkeit, und die geputzten Mamsellen fielen sich mit den Straßenjungen um die Wette ins Wort, um den Fortgerollte etwas Kränkendes nachzuschicken. Der Zorn, wenn er auch nicht mehr trifft, muß sich selbst genügen. – Nein, wenn solche Leute sich herausnehmen wollen, die nichts sind! – Wer unter der Gassenjugend kannte nicht die Geheimraths Charlotte! Wenn die anfängt, müssen die Fischweiber unterducken. – Ja, mit den Fischweibern mag sie Trödel anfangen, da ist sie unter ihres Gleichen, aber sich unterstehen, anständige Personen auf der Straße zu attaquiren! – Eine Köchin so aufgedonnert, ein Skandal, was die Polizei verbieten müsste. – Die Polizei fragt freilich nicht, wo eine Köchin ihr Umschlagetuch her hat. – Vom Wachtmeister hat sie es gewiß nicht erhalten? – Wenn Charlotte sich einbildete, daß der Geheimrath sie heirathen würde, hier auf der Straße war es eine ausgemachte Sache, daß sie die Rechnung ohne den Wirth gemacht. – Und ihre Cousine, mit der sie so groß that! – Ja, wenn man nicht Alles wüsste, wenn man sie nicht gekannt hätte! – Ja, der Herr Hoflackir war ein honetter, proprer Herr, der auf sich was hielt. Immer adrett. Er zahlte baar. Der arme Hoflackir, daß er sich von der Person hat herumkriegen lassen! Aber es war ihm schon recht, warum war er ein solcher Schafskopf! – Die Wage des armen Hoflackirs ward immer leichter. Arbeiten verstünde er, das müsste man ihm lassen, aber sonst – ein Einfaltspinsel. – Und ohne die Weiber was wäre er! – Barfuß, die Stiefel auf dem Rücken, war er durchs Hallesche Thor einwandert. Aus dem Voigtlande! Ja, wenn seine Meisterin nicht ein Auge auf ihn geworfen! Und wie hatte er es ihr vergolten! – Alls dem Voigtlande musste er herkommen, um Andern das Verdienst wegzuschnappen, und dann will er er noch Polizei spielen über Berliner Stadtkinder! Himmelschreiende Anmaßung! Der honette, propre, adrette, immer baar zahlende Herr Hoflackirer wäre gewiß noch schlimmer mitgenommen worden, hätte nicht die Polizei jetzt wirklich mit vielem Geräusch versucht, die Gruppirung auseinander zu treiben. Sie jagte sich mit den Gassenjungen. Die anständigen Leute ersuchte sie auseinander zu gehen, denn je weniger jetzt zu sehen war, um so mehr drängten sich, um noch zu sehen, was Andere vor ihnen gesehen hatten. Die ursprünglichen Tumultuanten waren langst entwischt, und die ehrbare Familie des weiland Hufschmied, jetzigen Knopfhändlers, schon auf dem Wege nach dem Hofjäger, wo sie, nach einigen Nachrichten, die wir aber nicht verbürgen wollen, sich mit der des Hoflackirers verständigte, indem sie herausfanden, daß es nichts als ein Mißverständniß gewesen, was sie an einander gebracht. Unter den ehrbaren Bürgern war sehr ernsthafter Disput über den Vorfall. Um so besseres Streiten, als kaum Einer von denen, die stritten, noch mit Augen gesehen, um was es sich stritt. In einem Punkt nur waren Alle einig: Warum war die Polizei nicht früher gekommen? »War denn die Polizei überhaupt nöthig?« sagte der Begleiter einer ältlichen Dame, der etwas Fremdartiges an sich hatte. Er war aus Amerika nach einem langen Aufenthalt daselbst in seine Vaterstadt zurückgekehrt. Man sah ihn verwundert an. »Haben Sie denn da keine Polizei?« – »Wo man sie braucht. Was sich von selbst schlichtet, dazu ruft man sie nicht.« – Die ehrbaren Männer schüttelten den Kopf: Es war ja ein Skandal! – »Doch nur für die, welche sich um solche Bagatellenstritten.« Aber es ward ein Auflauf: es hätte noch schlimmer werden können. Einer musste doch beispringen. »Hätten die Nachbarn und ehrbare Bürger sich nicht selbst helfen können, wenn es ihnen zu arg ward?« Man verstand ihn nicht. Das wäre noch hübscher, ehrbare Bürger um so was zu inkommodiren! Die meisten Nachbarn meinten, es liege an der Unvollkommenheit der Gesetze, man solle andere machen; nur waren sie verschiedener Ansicht über das wie? Den Straßenjungen sollte verboten werden, auf der Straße zu schreien, verlangte der Herr Tabakskrämer drüben. Der Schullehrer meinte: den Frauenzimmern müsse untersagt sein, in einem Putz auf der Straße zu erscheinen, der über ihren Stand ginge, denn daher komme doch die ganze Geschichte. Ein Dritter: man solle nicht Jedem erlauben, auf der Straße zu plumpen, denn das sei der eigentliche Quell. Man kam zu keiner Einigung. Als die Leute erfahren, der Mann sei ein Amerikaner, erregte er den Respekt, welchen in Berlin Alles beansprucht, was weither ist. Mehrere der ehrbaren Leute, die zugleich auch wißbegierig waren, umringten ihn mit bescheidenen Fragen über amerikanische Einrichtungen. Einer, der ihm aufmerksam und beistimmend zugehört, sagte: »In alledem, mein geehrter Herr, mögen Sie Recht haben, aber ich frage Sie, wenn Sie keine Schilderhäuser und Schildwachen in Amerika haben und keine Polizeikommissare und Sergeanten, wer reißt denn den Handwerksburschen die Pfeifen aus dem Mund?« – »Niemand.« – »Ja, mein Gott, wie kann denn aber da Ordnung in Amerika sein!« Die guten Bürger schüttelten den Kopf. Die ältliche Dame, welche sich von dem Amerikaner führen ließ, und zu ihm in dem Verhältniß einer Verwandten oder Bekannten stehen mochte, die, einst seine mütterliche Lehrerin, die langen Jahre vergisst, welche den Knaben zum Mann erhoben, sagte mit der Feierlichkeit überlegenen Wissens und doch mit dem gutmüthigen Lächeln einer mütterlichen Freundin, die Verirrungen sanft aufnimmt, weil wir Alle irren: »Du wirst überall Ungläubige treffen, mein lieber Friedrich, wenn Du von den Vorzügen Deiner neuen Welt da drüben sprichst. Und Dir selbst wird, wenn Du Dich nur wieder zurecht findest, auch das Auge aufgehen, daß in keinem Staate so väterlich für das Wohl der Bürger gesorgt ist, als in dem unseren. Nur in dem Einen hast Du Recht, da ist es besser bei Euch, daß sie die Kirchen heizen! – Ja, ich habe es immer gesagt, wenn die Obrigkeit dafür bei uns sorgte, was hätten die Leute dann noch zu klagen! – Nun, wer weiß, wenn ich die Augen schließe, kommt man wohl auch noch dahin! Die großen Herren hier haben immer an Anderes zu denken, was ihnen wichtiger scheint, darüber vergessen sie das Nächste. –« »An diesem heißen Augusttage ist es doch wohl nicht das Nächste, liebe Tante,« entgegnete der Amerikaner. – »Wenn wir aber nicht im Sommer für den Winter sorgen, dann ist es im Winter zu spät. Im Winter aber denken sie, nun, es ist ja noch Zeit, es kommt ja der Sommer. So wechseln Winter und Sommer und es geschieht nichts.« Es war eine alte bekannte Dame der Residenz, gleich geschätzt wegen ihrer Wohlthätigkeit und Frömmigkeit als wegen ihres klaren Geistes. Nur war sie eben so bekannt wegen dieses Steckenpferdes, das ihr zur fixen Idee geworden. Sie meinte, die Armuth fühle sich erst recht, wenn sie in ihren Lumpen in den kalten Gotteshäusern stehe, wogegen die Verlassenen und Gedrückten mit einem ganz anderen Gefühl gegen ihren Schöpfer und ihre Mitmenschen aus den warmen Kirchen zurückkehren würden, gleich wie ein Satter gegen die Verdrießlichkeiten des Lebens geharnischt sei, wo ein Hungernder auf den ersten Angriff fällt. So wusste sie zu beweisen, daß aus dem Heizen der Kirchen nicht allein christlich frommer Sinn, allgemeine Menschenliebe, sondern auch Zufriedenheit, Selbstbescheidung und Gehorsam gegen die Obrigkeit, kurz ein glückliches, vollkommenes Gemeinwesen entspringen müsse. Die Straße war wieder still geworden und Walter saß am Schreibtisch. Er schlug die Augen nieder. Es war eine ermattende Luft. Er schüttelte die Träume, aber die Wirklichkeit kehrte als Traumbild zurück. Eine Seite stand fertig geschrieben, als er die Feder wieder fortlegte und sich zurücklehnte: »Lohnt es sich denn um dieses Volk! Will es anders sein als es ist! Weiß es, was es wollen muß, um aus der Dumpfheit der Eristenz –« Er trat noch einmal ans Fenster. 68. Kapitel. Blicke aus eines Ministers Fenster ins innere Leben Achtundsechszigstes Kapitel. Blicke aus eines Ministers Fenster ins innere Leben. Es war nicht gerade kühler geworden, aber die Sonne prallte nicht mehr vom Pflaster und den hellen Häusermauern zurück. Sie war hinter das Dach eines hohen Hauses gesunken. Ein vornehmeres Publikum bewegte sich langsam zum Thore hinaus. Da ging sein Vater, im Arm den Rittmeister von Dohleneck. Seltsame Freundschaft vom neuesten Datum! Er lächelte über das Gerücht, das der Witz der Berliner Börse erfunden: sein Vater wolle ihn enterben, weil er keine Schulden gemacht, um den Rittmeister zu adoptiren, der viel Schulden hatte; denn die Firma Walter van Asten verdanke ihren Kredit Denen, die keinen hätten. Ihre Schuldigkeit sei es daher, das Schuldenmachen zu begünstigen. Er wusste nun, was seinen Vater und den Offizier aufs Neue verband. Es war kein angenehmer Gedanke. Er wollte nicht durch einen Vater, noch weniger durch einen Gensd'arme-Rittmeister, es war sein Stolz gewesen, nur durch sich empfohlen zu sein. »War das nicht auch vielleicht Phantasie,« fuhr er aus seinen Träumen auf, »eine fixe Idee, wie die der guten alten Oberkirchenräthin? Bewegen wir uns nicht Alle in einem großen Gespinnst, über das wir nie hinausfliegen, wie wir uns auch anstrengen? Wir sehen nur nicht das Gängelband, an dem man uns führt. Ja, Alle sind wir eingeführt in die Kreise, wo wir wirken sollen; der durch seinen Namen, Herkunft, der durch die glatten Wangen, das Geld des Vaters, es war ihm mitgegeben, als er geboren ward. Der ruft den Schneider, den Coiffeur, den Tanzmeister zu Hülfe. Sie lesen, bilden sich, um zu wirken. Was wäre unser ernstestes Studium, wenn uns nicht doch, als endliches Ziel, ein Wirkungskreis vor Augen stände, der uns gefällig machen soll, uns unter den Menschen erhebt, einen Einfluß verschafft! Warum nun, wo wir immerfort Hülfe suchen müssen, um die Lücken unseres dürftigen Ichs auszufüllen, die von uns stoßen, die man uns darreicht, die von selbst da ist! Das Netz, das uns umschlingt, heißt Konnexionswesen. Ist's nicht in unsere Natur eingeimpft, bedingt durch unsere Gesellschaft, unser Gemeinwesen, lag es nicht ausgeprägt in unserm zünftigen, deutschen Sippschaftswesen? Der Sohn schlüpfte in die Kundschaft, Rüstung, die Lehen seines Vaters, die Gesetze drückten ein Auge zu, die Freundschaft half und die Gewohnheit machte die Vererbung zu einem Recht. So überall. Wir sehen freilich Lumpe auf diesem Wege steigen, wo das Verdienst zur Thür hinausgewiesen wird. Warum lässt es sich ausweisen? Warum greift es nicht zu den Mitteln, welche die Vorsehung ihm bot? Ist das nicht viel mehr Hochmuth, vielleicht der impertinenteste Dünkel, sich nur selbst genügen zu wollen? Sollen wir nicht klug sein, wie die Schlangen? Und was Klugheit! Grassirt nicht unter diesen Menschen die Manie zu protegiren? Sie locken uns; wir brauchen nur zuzugreifen. Es ist der Kitzel des Stolzes und der Armseligkeit Derer, die aus sich nichts machen können, Andere zu erheben, die sich ihnen fügen, ihren Launen schmeicheln, in ihre Gedanken hineinlügen. So entstanden Schulen, künstlerische, philosophische, religiöse, so erwuchs das Königthum zu der mythischen Größe. Man erhob sich, weil man Kleinere unter sich groß werden ließ. Man unterließ den Pyramidenbau, weil man inne ward, daß man doch nicht über die Wolken dringe; aber je mehr Abstufungen man zu seinen Füßen betrachtete, um so erhabener dünkte man sich selbst. Es ist ihr Spielzeug, warum erfassen wir es nicht, und lassen sie spielen zu unserm Zwecke!« Sein Blick fiel auf eine Fensterreihe, schräg dem Hotel gegenüber. Ein Theil dieser Fenster war mit grünen Jalousieen verschlossen; sie schienen nicht erst heute gegen den Sonnenbrand herabgelassen, der dicke Staub darauf sprach von einem langen Verschluß. Das ganze Haus sah still und öde aus wie eines, worin Krankenluft wehte. Ein Leiterwagen mit Strohbunden kam langsam herangefahren. Er hielt seitwärts. Man streute das Stroh langsam auf das Pflaster vor dem Hause. Jetzt rollte vor einem der Mittelfenster die Jalousie langsam auf, eine weibliche Gestalt sah auf die Arbeiter hinaus. Die Geheimräthin Lupinus gab den Leuten Anweisungen, die er nicht hörte. Sie hatte wieder ein Tuch vor dem Munde und wehte sich frische Luft zu. – Man nannte die Lupinus eine unglückliche, schwer vom Schicksal heimgesuchte Frau. Man rühmte sie wegen der stoischen Ruhe, mit welcher sie die harten Unfälle, die Schlag auf Schlag sie trafen, ertrug. Sie widmete sich Tag und Nacht der Pflege des kranken Gatten, und musste von ihren Bekannten an die Pflicht erinnert werden, zuweilen auch an sich selbst zu denken. Die Zufälle des Geheimraths sollten besonderer Art sein, und er seine Pflegerin durch wunderbare Phantasieen plagen. Von alledem merkte man nichts, wenn sie in der Gesellschaft erschien. Sie sprach von dem, was ihr bevorstehe, mit Ruhe und Fassung. Sie mache sich keine Illusionen, wenn auch die Ärzte ihr Trost zusprächen: mit einem Seufzer fügte sie hinzu, sie habe in ihrem Leben die Trugschlüsse dieser Wissenschaft hinlänglich kennen gelernt. Sie citirte gern Stellen aus Mendelssohns Plato. Was sei denn das Leben anders, als ein Gefängniß oder ein Wachtposten, aus dem die Seele sich hinaussehnt nach Befreiung oder Ablösung. Sie blickte auch wohl nach den Sternen, und schien über sich selbst zu lächeln, wenn sie in zwei kleinen, die sie bezeichnete, die lieblichen Kinder zu sehen glaubte, die unter ihrer mütterlichen Pflege in das Jenseits entschweben müssen. »Halten Sie mich um deswillen nicht für eine Schwärmerin,« setzte sie mit einem sanften Händedruck hinzu, »dazu bin ich verdorben. Meine Freunde sagen zu oft, daß ich es am Ende glauben muß, ich sei eine Philosophin. Die Leidenschaften, die uns verwirren und aufregen, wer kann von sich rühmen, daß er sie ganz bewältigt, um zu der Ruhe der Seele zu gelangen, welche uns zu wahrhaft Freien macht! Bin ich nicht eine schlechte Philosophin, wenn ich nicht einmal so weit Herr über mich ward, wie mein guter Mann? Er sieht seiner Auflösung mit der Ruhe des Gerechten entgegen, froh wie ein Kind jeden Augenblick genießend, der ihm noch geschenkt ist; der Sonnenstrahl, der in sein Zimmer fällt, presst ihm ein Lächeln aus, er weht mit der Hand durch die Sonnenstäubchen; er streichelt den Kater über den Rücken: was wird aus Dir nach meinem Tode werden? Er kann noch scherzen: ob man nicht Versorgungsanstalten für treue Hausthiere einrichten solle? Mein Herz blutet bei diesen Scherzen, und das sollte eine Philosophin nicht. Sie sollte auch nicht mehr hoffen, wo der Verstand ihr sagt, daß hinter der Hoffnung ein Strich gemacht werden muß. Ich kann es noch nicht,« sprach sie, sich plötzlich abwendend, das Tuch am Gesicht, »da sehen Sie, was ich für eine Philosophin bin!« Die Geheimräthin Lupinus ward allgemein bewundert, aber man fröstelte bei dieser Bewunderung und man vermied sie. Walter hatte scharfe Augen. Das Gesicht kam ihm heute besonders spitz vor. Sie schielte ja. Fiel nicht ihr Blick seitwärts über die ganze Straße? Wie kam ihm die Vorstellung von einem Brennglas, das in der Ferne zünden soll? Er hatte niemals Zuneigung für sie empfunden. Wie oft hatte er im Gespräch über ernste wissenschaftliche Gegenstände die Schärfe ihres Verstandes, ihre Phantasie im Kombiniren bewundert, aber es war, als ob ein bleigrauer Schleier gleich darauf die Anschauung überzog, eine ätzende Substanz, welche die eben noch blühenden Farben verzehrte; aus dem Gemälde ward ein blauer Kupferstich. Er war nie erhoben durch ihr Gespräch, er ging nie froh von ihr. Was wollte diese Frau? Jetzt eine Philosophin, die das Firmament durchdringen will nach dem Ewigen; jetzt schien ihre Brust sich zu heben von Hochgefühlen für Vaterland, Freiheit, für die Heroen der Menschheit. Fand sie eine Schranke, eine eiserne Wand, vor der sie zurücksank nach verzehrendem Kampf? – Nein, ihre Flügel schienen schon erlahmt, wenn die Zuschauer fortsahen. Und dann wie das Vogelgeschlecht, das auch Flügel hat, aber nie in die Wolken sich erhebt, flatterte sie im Frivolen, Eitlen, gehoben von keinem andern Drang als dem der Gefallsucht. Tausende, die nach dem Interessantsein haschen, zufrieden, wenn irgend etwas als vorzüglich anerkannt wird, sei es auch nur eine Lieblingsarie am Klavier, ein kleiner Fuß. ihr feines Whistspiel. Wo blieb sie denn stehen, woran hielt sie sich? fragte er sich. Wäre sie sich selbst genug? Auch die Vorstellung, von Allen verkannt zu sein, es ist eine bittere Wollust, aber sie mag zur Säule werden, auf die zuletzt allenfalls eine Säulenheilige klettert und in schwindelndem Stolz auf das Gewühl herabsieht. Aber – nein, dazu pulste ihr Blut zu ruhig. Der holde Wahnsinn spielte nicht um ihre Schläfe, sie, jeden Augenblick die sich bewusste Beherrscherin ihrer Worte, ihrer Mienen. Wusste sie ja sogar, daß sie den Männern nicht gefiel, daß Frauen vor ihren Liebkosungen erschraken. Gefühlvolle erkältete ihr Gespräch, Geistvolle fühlten sich gelähmt, nur Solche geriethen in Entzückungen über ihren Geist, die von ihr sich heben und tragen lassen wollten, und auch diese nur so lange, bis sie ihrer nicht mehr bedurften. Und auch das wusste die Unglückselige! Wohin er blickte, was sie gelten wollte, sie erreichte es nicht. Schwärmte sie für Napoleon, studirte sie Plato, begeisterte sie Fichte, erglühte sie für die Schönheitsformen des Alterthums, war sie plötzlich von patriotischen Gefühlen für die Ehre des Vaterlandes erweckt, war sie die liebevolle Pflegerin des kränkelnden Gatten? Nichts von alledem! Walter hatte mathematische Beweise dafür. Sie schloß jetzt wieder die Jalousieen. Die spitzen Finger der magern Hand waren noch sichtbar, wie sie sich mühten eine Schlinge an einen Wandnagel zu befestigen. Es gelang nicht so schnell. Das Spiel der einsamen Hand hatte etwas Unheimliches für Walter. Was wird sie nun drinnen in der dunklen Stube anfangen? Handarbeiten? Sie nahm sie nur vor, wenn Fremde da waren, gewisse angefangene Stücke, die er gut kannte. Stickereien, Nähtereien, die aber nie fertig wurden. Würde sie sich ans Bett des Kranken setzen, den Schweiß von seiner Stirn wischen, seine magere Hand liebevoll streicheln? Er glaubte durch die Mauer zu sehen, daß sie mit Schaudern vom Kranken sich abwandte. Vielleicht ergriff sie eine Lektüre? – Was sollte sie lesen? Und am Krankenbett! Da lagen gewisse Bücher, Mendelssohns Plato, Tiedge's Urania, Fichte, Schleiermacher, aufgeschlagen oder mit Zeichen unter ihrem Arbeitstische. Je nach dem Besuch, der sich meldete, ward eins auf den Tisch gelegt. Die Geheimräthin galt für eine sehr belesene Frau, sie sprach mit Geist über die Novitäten, die – sie nicht gelesen hatte. Walter hatte sie für sie lesen, ihr den Inhalt vortragen müssen. O er wusste Bescheid im Hause; und wie viel hatte ihm Adelheid mitgetheilt! – Ein Schmerz, ein Gedanke, ein Blitz zuckte durch seine Brust. Was hatte sie mit Adelheid gewollt? – Nicht drei Tage waren vergangen, und sie hatte sie gequält, alle ätzende Schärfe des Verstandes auf das Kind der Natur ausgegossen. Was war denn ihre Absicht? Sein Herz pochte immer heftiger. Ein Möbel, ein Schmuck des Hauses, den man ankauft, um Gäste anzulocken, verdirbt man nicht, man bemüht sich nicht, ihm die natürliche Farbe, seinen Glanz zu rauben. Aber hatte nicht diese Frau – Adelheid hatte es nie ausgesprochen, in ihrem stocken, ihrem Zittern hatte er es gelesen. Mein Gott, was sie gewollt! – Dunkle Bilder wogten vor seiner Stirn – der Legationsrath, sein räthselhaftes Verhältniß zur Lupinus! Hatte sie einen Kuppelhandel treiben wollen? – Nein, vergiften – sie vergiften. Aber warum, womit? Weil Unglückliche den Anblick von Glücklichen nicht ertragen können? Weil der Adel einer rein gottgeschaffenen Seele zum beständigen Vorwurf für Die wird, welche diesen Adel eingebüßt. Es war plötzlich eine Überzeugung. die ihn durchdrang. Aber war es nur Instinkt gewesen, oder hatte sie systematisch gearbeitet? Mein Gott, ist es denn möglich, daß eine Frau systematisch an ein solches Geschäft geht! Es war wohl nur ein Gebilde des Argwohns, und doch – alle ihre Handlungen – und boten Erfahrung und Geschichte ihm. nicht hundert Beispiele einer solchen Verführungslust blos aus dem Gelüst zu verführen? Wie man dem Tobsüchtigen Wasserstürze giebt, hatte sie auf alle ihre warmen Gefühle einen Eisguß geschüttet. Das junge warme Herz, ja es sollte systematisch erkalten, vor der Zeit absterben, – nicht an eigenen bitteren Erfahrungen, an denen einer egoistischen Seele, die nicht mehr Liebe, Glaube, Hoffnung kannte. Ein blühendes Geschöpf, von der Natur mit allen Frühlingsregungen begabt, wollte sie zum ausgebrannten Vulkan machen. War sie das selbst? – Nein, etwas lebte doch in der Frau, ein geheimes Feuer – Haß, Neid, eine stille Wollust des Egoismus. Eine kaltherzige Egoistin ist zu Allem fähig. – So wollte sie Adelheid präpariren, zu einer Mitsünderin, einer Verlorenen, Trostlosen. Und er selbst! – Stand er ohne Schuld da? Hatte ihn nicht längst eine Ahnung überschlichen, daß die Lupinus dies beabsichtigte? Und hatte er die Ahnung nicht aus dem Sinn geschlagen, und aus Eigennutz? War es nicht sein Wunsch gewesen, daß seine Braut dort aushalte, weil er in diesem Hause freien Zutritt hatte, weil in letzter Zeit wenigstens die Geheimräthin seinen Wünschen entgegen zu kommen schien, weil er unter andern Verhältnissen, in einem andern Hause für seine Hoffnungen fürchten musste? Darum hatte er, zwar nicht gegen seine Pflicht gehandelt, aber doch – die Gedankensünde begangen. Selbst ein Egoist, wagte er Andere anzuklagen! Da rollte die Equipage der Fürstin vorüber, im Fond diese mit Adelheid, auf dem Rücksitz saß Louis Bovillard. Die Fürstin schien zu schlummern. Adelheid und Louis sahen nichts, sie sahen nur sich. Der Wagen war verschwunden, eine Erscheinung. Ein »Gott sei Dank!« löste sich aus Walters Brust, vielleicht von seinen Lippen. Er fühlte eine wohlthätige Transpiration. Das Schicksal hat es so, es hat es vielleicht zum Besten gefügt. Ja, im Kontobuch stand noch seine Schuld auf der Seite »Soll«,.aber sie war ausgeglichen auf der Seite »Hat«. Er hatte nichts mehr. Seine Geliebte war die Geliebte eines Anderen. Sie war gerettet, und er – verloren? Nein, er war nur frei geworden, um sein ganzes Ich, ohne Egoismus, hinzugeben einer andern Geliebten, liebten, dem Vaterlande, der Idee, als deren letztes Ziel in der Ferne – Deutschlands Errettung vom Fremdjoch schwebte. Mit Eifer setzte er sich an den Schreibtisch und seine Arbeit förderte sich. Er war fertig, als der Minister eintrat. 69. Kapitel. Alles für einen Andern Neunundsechszigstes Kapitel. Alles für einen Andern. Die verfinsterte Stirn des Ministers, mit welcher er eingetreten, erheiterte sich nicht, als er das Papier durchlas. Er flog es nur noch über, als er es auf den Tisch fallen ließ. »Das ist nichts – gar nichts.« – »Euer Excellenz Ideen –« »Die Ausführung taugt nichts. Dilettantenarbeit für Herrn Merkel in den Freimüthigen. Oder an die Zeitung da in Leipzig. Wir arbeiten hier nicht für die elegante Welt.« Walter hielt den Hut schon unter dem Arm und verengte sich, den Entlassungswink anticipirend. »Empfindlich! Das taugt nicht für die Staatskarriere.« – »Da meine Schrift nichts taugt, kommt wohl darauf nichts mehr an.« – »Man darf nicht der Empfindlichkeit nachhängen, wenn man sich berufen fühlt, für das Gemeinwesen thätig zu sein.« – »Mir wird eben der Beruf abgesprochen.« Der Minister hatte, ohne ihm zu antworten, das Papier wieder in die Hand genommen, und klopfte, indem er sprach, mit der umgekehrten Hand darauf. – »Dürfte« – »sollte« – »wagte!« »Wie soll das wirken! Das gleitet an den blasirten Ohren vorüber, wie eine obligate Flöte, die den Waldsturm akkompagniren will. Das Gleichniß vorn, machen Sie ein Gedicht daraus. Diesen hier muß man derb, Schlag auf Schlag, die Nothwendigkeit vors Auge führen. Da ist ein guter Passus, aber die Worte auch wieder viel zu gehobelt. Und wie sollten sie die Anspielung verstehen? Mit der Trompete ihnen ins Ohr blasen, es ist noch immer sanftere Musik als die Kanonen.« Walter äußerte etwas davon, daß die Stellung eines Anfängers, der kaum in das Geschäftsleben geblickt, ihm nicht erlaube, sich so fort in die Stellung des Ministers gegen seine Kollegen, oder gegen die Majestät des Königs zu finden. »Das glaube ich gern,« sagte der Minister, der, sichtlich erschöpft und mit andern Gedanken beschäftigt, sich auf das Ruhebett geworfen. »Man muß Vieles erst lernen.« Walter wartete noch immer auf das Zeichen der Entlassung. Der Minister blätterte in einem Notizbuch. Hatte er ihn vergessen? Plötzlich sprach er: »Setzen Sie sich und schreiben!« Walter folgte mechanisch. »Nein, hier neben mir; ich will Ihnen ins Gesicht sehen.« Der Minister sah ihm, kaum zwei Schritte entfernt, ins Gesicht. War das wieder eine seiner eigenthümlichen réparations d'honneur oder sollte es eine Prüfung sein? Der Minister dachte an beides nicht. Er übersann ein Thema, mit dem er nicht fertig werden mochte, er steckte das Gedenkbuch wie der in die Tasche: »Es ist gut, ein ander Mal.« Was sollte das heißen? – Er bestimmte ihm einen anderen Tag. Nein, morgen: überhaupt erwarte er ihn jeden Tag um die und die Stunde. Weshalb? Wozu? »Die Form Ihrer Anstellung wird sich später finden. Die Branche, für die Sie sich eignen, muß sich erst ermitteln.« Walter sah ihn mit stummer Verwunderung an: »Eben war ich auf das Schmerzlichste in meiner Ehre gekränkt –« »Das ist ausgeglichen,« fiel der Andere ein. »Sie wollen Ihre Freiheit aufgeben, sich dem Staatsdienst widmen. Ich nehme Ihr Anerbieten an. Wie gesagt, bis sich etwas Bestimmteres findet, betrachte ich Sie als meinen Privat-Sekretär. Ich kann in vielen Dingen Ihre Feder gebrauchen.« – »Ich bin noch nicht gereinigt. Nach einer so schweren Anklage muß der Angeschuldigte auf einen klaren Richterspruch bestehen.« – »Sind Sie so punktiliös? Ich sprach mit Fuchsius. Die Sache klärt sich einfach auf. Während er in der Bearbeitung meines Entwurfs war, kam ihm Ihre Schrift zu Händen.« – »Er räumte ein –?« »Daß er sie benutzt hat.« – »Wer gab ihm ein Recht dazu?« – »Er hielt die Schrift für eine preisgegebene, verschollene – machen Sie das mit ihm aus.« – »So entblödete er sich nicht, eine fremde Arbeit für die seine auszugeben.« – »Er entnahm Ihnen nur die Entwicklung der Gründe, die Ausführung –« »Dreiviertel seiner Schrift –« »Unter anderen Verhältnissen auch würde ich es nicht gut heißen. Hier galt es, eine schwierige Arbeit bald und zum Zwecke tauglich herzustellen. Die suprema lex, das salus reipublicae. Warum doppelt schreiben, was einmal zum Zweck genug ist?« Der Minister wollte den Regierungsrath gerechtfertigt sehen, es wäre von Walter thöricht gewesen, jetzt mit Hartnäckigkeit auf seiner Meinung bestehen. Er gab sie nicht auf, aber er schwieg, weil er auf des Staatsmannes Stirn andere Gedanken gelagert sah. »Ich brauche Jemand, auf den ich mich verlassen kann, der, offenen Kopfes, fähig ist, im Umgang, in der Gesellschaft sich geltend zu machen. Verstehen Sie, Jemanden, der nicht mit de Thür ins Haus fällt, was man mir wohl zum Vorwurf macht der das Metall der Gesinnung in eine gefällige Form zu schmelze weiß. Nicht ein Haarbreit darf er abgeben, aber den Widerstößen soll er eine gewisse Elasticität entgegensetzen. Ich muß ihn brauchen können, nicht zu förmlichen Missionen, für die Form ist Vorrath die Fülle, aber zu gelegentlichen. Keinen Spion, aber er soll die Sinne wach haben. Keinen –« der Minister hielt inne, und als er Walters sich röthende Stirn bemerkte, kam er schnell dem Mißverständniß entgegen. »Er muß von Geburt sein, einen Namen haben, der ihm überall Eingang verschafft, auch am Hofe. Das ist das Traurige, daß die Minister nie mit voller Kraft nach außen und nach innen wirken können, daß sie der Vermittler, Unterhändler bedürfen, nennen Sie's immerhin Kundschafter, die sie mit dem Hofe, den höchsten Personen in Rapport setzen und zugleich Kabinetsräthen aufpassen. Jammervoll, unnatürlich ist es, ein Kraftzersplittern, was die besten Intentionen erlahmt, aber es ist nun mal so, und gegen ein Gift braucht man ein Gegengift.« »Unter den Männern von Geburt werden Excellenz eine reiche Auswahl haben.« Der Staatsmann verstand den kleinen Parirhieb, aber mit einem vornehm leichten Aufzucken ging er über etwas hinweg, was zu beachten er nicht für werth hielt. »Die besten sind geschulte Puppen, wenn redlich, steif wie ein Wegweiser. Sie machen Front dahin, wo sie vor zwanzig, dreißig Jahren den Feind sahen; daß die Dinge sich verändert, daß er jetzt von den Flanken, vom Rücken droht, ist ihnen nicht begreiflich zu machen. Friedrichs Schule hat sich schlecht bewährt. Über das Militär rede ich nicht, nur vom Civil. Da stehn die Posten, wo man sie hingestellt, sich brüstend, daß sie die Stelle nie um einen halben Fuß breit verlassen, aber unaufmerksam, wenn die Contrebande drei Schritte von ihnen bei hellem Tage über die Grenze dringt. Was geht es sie an, sie thun ihre Pflicht! Wenn die dumpfe Tugendtreue, eigentlich nur Bequemlichkeit, sie auszuhalten drängt, so wäre ihre höhere Tugend und Treue, ihre Befehlshaber aufmerksam zu machen, daß man ihre Kräfte besser verwende. Vor dieser Anmaßung, Überschreitung ihres Dienstes, erschrecken diese Menschen wie vor einer Sünde gegen den heiligen Geist. Mag das Vaterland untergehen, wenn sie nur an ihrem Schilderhaus präsentiren. So nicht Einer, nein, Alle, keine Freiheit des Urtheils, keine selbsteigene Bewegungskraft. Je besser die Normalpreußen geschniegelt, gebürstet und geschnürt sind, so kleiner der Kern des Menschen darin. Ja, in Manchem, wenn man ihn aushülst, ist's hohl, das Mark in die Rinde geschossen.« »Die Klage der Patrioten ist doch, daß von dieser Schule sich nur zu Viele frei gemacht,« entgegnete Walter. – »Wo aus dem Leibe die Seele längst entwichen ist, was wundern wir uns über die Überläufer zum andern Extrem? Diese Ungebundenheit, Frechheit, Lascivität in der Meinung und den Sitten, preise man sie immerhin als Geistesfreiheit, Aufklärung und Liberalität, es sind nur die Symptome einer Auflösung –« »Vor der Gott uns bewahre!« fiel Walter ein. – »Und nicht bewahren wird, wenn wir nicht selbst etwas dazuthun, wenn wir nicht –« Der Minister war aufgesprungen, er unterbrach sich selbst gewaltsam. Daß er so weit in der ersten Stunde des Vertrauens gegen seinen neuen Bekannten gegangen, schien diesem ein besseres Zeichen der Ehrenrettung. – »Kennen Sie den Legationsrath Wandel?« fragte der Minister plötzlich. – »Er ist ein Ausländer.« – »Ausländer!« – Mit einem Lächeln fuhr der Minister fort: »Scheint doch dieser Staat destinirt, von Ausländern seine Impulse und seine ausgezeichneten Männer zu empfangen. Schwerin war ein Schwedisch-Pommer, Keith ein Brite, Derfflinger ein Österreicher; auch ist der wackere Blücher ein Mecklenburger, Hardenberg ein Hannoveraner. Moses Mendelssohn stammt auch nicht aus den Marken, und die Väter eines guten Theils unserer Diplomatie, unserer Staatsmänner und Offiziere wussten vor den Dragonaden in ihrer Normandie und Provence kaum von der Existenz eines Landes, das Brandenburg heißt. Vergessen Sie auch nicht, junger Mann, daß die Hohenzollern aus Franken oder gar aus Schwaben sind. Eingewanderte, wenn Sie wollen, ich hielt sie für mehr, für Eroberer, – wie der Nilstrom Ägypten erobert hat.« – »Man sagt, Herr von Wandel sei im Thüringischen angesessen. Noch Andere geben ihm die Niederlande oder eine dänische Kolonie zum Vaterlande.« – »Meinethalben Island oder Teneriffa, wenn – man muß sich gewöhnen, Preußen anders zu betrachten, als nach dem Naturprozeß. Nation und Staat waren hier nicht eins, sie wurden es. Es kostet auch mich zuweilen Mühe, von den mitgebrachten Vorstellungen zu lassen. Aber es geht nur so, nicht Anders, oder Alles zerfällt. Es war allein der Geist dieser großen Fürstin, der das Verschiedene, Fremdartige aneinander kittete, einen Hauch hineingoß. Diesen Geist muß man lebendig erhalten, immer wieder wärmen die junge Tradition, damit sie nicht alt wird. Finden wir innerhalb unserer Grenzen nicht den Licht und Wärmestoff. so greifet nach draußen. Was anderwärts Verbrechen, hier ist es erlaubt, Gebot der Notwendigkeit, der Selbsterhaltung.« »Ich habe nicht die Ehre, Herrn von Wandel näher zu kennen.« »Das Mysteriöse, womit er sich umgiebt, schreckt die Menschen zurück. Ich mag Die nicht tadeln, welche sich hier vor den Blasirtenen verschließen. Eine eiserne Maske vors Gesicht, um die warmen Pulsschläge des Herzens nicht zu verrathen!« – »Man gesteht ihm ebenso die Gabe zu fesseln zu, als abzustoßen.« – »Charaktere und ernste Sitte bedarf die Nation; der Staat darf es nicht so genau nehmen. Eine Libertinage, die nicht die publiken Sitten verletzt, darf ich übersehen. Er weiß das Siegel des Anstandes darauf zu drücken. Er beobachtet scharf, hat merveillöse Kenntnisse, Takt, mit seiner Suada entlockt er Geständnisse, ohne selbst etwas zu verrathen, er ist bei den Frauen beliebt, eine fast unerlässliche Eigenschaft eines Diplomaten, den man brauchen will,« setzte der Minister lächelnd hinzu. – »Seine Liaisons mit der Fürstin Gargazin sind Stadtgespräch.« – »Die sind in diesem Augenblick nicht hinderlich. Und zudem kann Haugwitz ihn nicht leiden, er fürchtet ihn. Das spricht zu seinen Gunsten.« – »So haben Excellenz bereits entschieden –« »Wenn er Feuer in der Brust sich bewahrt hat. Er muß noch glauben können, wenn er nicht mehr lieben kann, hassen, doch aus Herzensgrunde, das Schlechte, Erbärmliche, die Verrätherei, das Schönthun mit den Fremden; er muß noch hassen können, denn wer nur im Sumpfe fortschwimmt, mit der Resignation, endlich doch zu ertrinken, passt nicht für mich.« – »Er gilt als in intimem Conner mit den Männern der Lombardischen Clique.« – »Wissen Sie, ob er diese Kreaturen nicht nur belauschen, durch Gefälligkeiten ihre innerste Natur, wenn sie eine haben, ihre geheimsten Gedanken herauslocken will? Wissen Sie, ob hinter dieser Indifferenz, diesem blasirten Weltbürgerthum nicht ein Haß glimmt, wie ich ihn wünsche? Ja, dahin sind wir gekommen: bis er seine philanthropischen Schwärmereien, jenen Allerweltsgerechtigkeitssinn, ohne sich selbst je gerecht zu werden, nicht durch Kasteiungen und Blut sühnt, bis er nicht wieder zum Egoisten wird, ist Deutschland verloren.« »Ich glaube, Excellenz, in diesen Studien befindet sich auch unser Volk.« – »Studien!« Da liegt das Elend. Studien vor einer Krisis! »Der Haß, der seine Verwünschungen ins Firmament speit, thut es nicht, der Weltsturm treibt die Dünste fort, ehe es zum Gewitter kommt! Handeln! und bis dahin ließen wir's kommen, daß wir nicht mehr offen handeln dürfen; die Tugend, die Thatkraft muß sich verbergen, hinter einer Larve agiren. Schlimm, daß es ist, aber es ist. Wir brauchen die Tugenden der Brutus, behüte uns Gott vor ihren Dolchen, aber jener zähen Festigkeit, die ihre Gefühle nicht bei jedem Gegenstand aufflackern lässt, sondern sie verschließt, im Stillen nährt, bis der Augenblick der That kam. Weshalb preisen wir jenen Mann, mit dem unsere Geschichte anfing? Spielte der römische Rittmeister in Rom den deutschen Patrioten, radotirte Arminius in den Kaffeehäusern über Deutschlands Unglück, sang er Lieder zur Guitarre, zum Ruhm seines unvergänglichen Vaterlandes, damit die Römerinnen dem blondhaarigen Schwärmer Bravo klatschten? Er schwieg und hatte die Augen auf, er schwieg und diente, um zu lernen, er schwieg und sammelte Haß und Haß, bis es ein Stock ward, den Feind zu zermalmen. – Wir sind herabgedrückt, entwürdigt, bis zu dieser Lage.« fuhr der Minister nach einer Pause fort; »aber noch schlimmer als die wirkliche Thatsache. wenn wir sie uns zu verbergen suchen. Offen es uns selbst eingestanden, daß ist der erste unerlässliche Schritt zur Rettung. Mir graut vor diesem Bramarbasiren, vor diesem Kornetsdünkel. Ich liebe die stillen Menschen, die sich des Urtheils enthalten, weil ich denke, sie könnten doch Vernünftiges, denken, wo die lauten Denker nur Unsinn zu Tage bringen.« Der Minister hatte ausgesprochen. Er ging noch in Aufregung umher, aber sein Blick forderte unsern Freund auf, seine Meinung auszusprechen. »Einige, dünkt mich, sind still aus Überzeugung, weil ihre Ansicht nicht verstanden würde, Andere aus Furcht, die Mehrzahl aber, meine ich, aus Spekulation, um sich nicht zu kompromittiren, wenn die Dinge anders ausschlagen, als sie berechnet hatten.« »So kennen Sie Wandel?« fragte der Minister scharf, vor ihm stehen bleibend. – »Ich sehe ungern in dies unbewegliche Gesicht.« – »Das stimmt mit Fuchsius. Weiter!« – »Ich kenne – ihn wirklich nicht, Excellenz.« – »Weiter!« sprach der Minister. – »Wenn der tiefste Grund des Menschen sich auf dem Gesichte irgend ein Mal abspiegelt, so erschrecke ich, daß ich nie einen Zug auf seinem sah, der den Menschen verrieth. Die Diplomatie mag andere Gesetze haben, ich aber könnte Dem nie vertrauen, der stets Herr ist über sich. Wer alle Gefühle und Leidenschaften kostete, wie Mithridates die Gifte, um sich ihrer zu erwehren, hat den göttlichen Menschen in sich ertödtet. Wer den Ausdruck für Liebe, Haß, Furcht, Ehrgeiz, Lüsternheit und Habgier bis zum unkenntlichen Schattenspiel überwunden hat, scheidet für mich aus der Reihe der sinnlichen Geschöpfe. Ohne Sinnlichkeit kann ich mir aber keine Sittlichkeit denken, und keinen Charakter, der nicht die Sitte zum Fundament hat.« Der Minister sah ihn eine Weile an. Die Schärfe seines Blickes ging in Wohlgefallen über. Er klopfte ihm auf die Schulter: »Wir werden uns näher kennen lernen. – Aber – ich will ihn doch noch nicht aufgeben. Ich glaubte indeß, das in ihm zu entdecken, was ich hier nirgend finde. Dies unausstehliche Sich spreizen und Knistern, um vornehmer scheinen zu wollen, als man ist, macht für mich diese Menschen um zehn Prozent schlechter, als sie sind. Wir wollen ihn auf die Probe stellen, Sie sollen behüflich sein.« – »Als Kundschafter!« – »Ihr Vater steht mit ihm in Relation, wie Fuchsius mir mittheilte. Ein guter Kaufmann giebt nur Kredit Dem, der Kredit hat.« – »Auch ein Kaufmann ist Illusionen unterworfen.« – »Das sollen Sie ermitteln, mit Fuchsius sollen Sie sich darüber verständigen. Fuchsius hat Antipathieen gegen Wandel. Das muß ein Staatsbeamter sein lassen, ich meine persönliche Antipathieen. Aber er will Renseignements haben, erinnere ich mich recht, aus den Niederlanden, daß hässliche Schatten ihm folgen. – Irgendwo hat ein Glücksritter – es ist ein Entführungsroman, mit Tod, Erbschleichers und so weiter gekuppelt, – für Romane habe ich keinen Sinn, Fuchsius wird Ihnen das Nähere mittheilen. Aber auch er mag in seinem Argwohn zu weit gehen. – Haben Sie Bedenken?« – »Ich kenne bis jetzt weder den Roman, noch die Wahrheit.« – »Oder wissen Sie ein taugliches Subjekt? Ein seiner Beobachter, oder ein blitzendes Talent. Auch Sarkastik oder Humor wären treffliche Eigenschaften, Feuer, wenn auch mit etwas Qualm, daß die Salonmenschen hinreißt. Mag er auch sonst ein verlorener Sohn sei, wenn er nur kein verlorener Sohn vom Vaterland ist. Es giebt viele verlorene Söhne, die nur eines Impulses bedürfen, damit das erstickte Feuer aus der Schlacke auflodere. Englands erste Staatsmänner gingen diesen Weg, aus einem Rouné ward ein Charles For. – Sie denken an Jemand. Sinnen Sie nach. Er darf nicht scheuen, die Stellung anzunehmen. Es ist ein Sort. Den Rathcharakter, mit einem ansehnlichen Gehalt, habe ich, um der Form zu genügen, für ihn bereit; die eigentlichen Dienste ergeben sich mit der Zeit. Morgen sehen wir uns wieder. – Jetzt gehen Sie ins Bureau, und besprechen sich mit Herrn von Fuchsius.« Walter trat einen Schritt zurück: »Excellenz. eine erste Bitte, und wenn sie mir abgeschlagen würde, meine letzte, erlassen Sie mir diese Konferenz. Ich kann nicht mit Herrn von Fuchsius – dienen.« – Die Brauen des Freiherrn zogen sich zusammen, die Augen wurden kleiner, ohne die Schärfe ihres Blickes zu verlieren. Er warf einen Gegenstand, den er in der Hand hielt, auf den Tisch. »Soll ich etwa ihn um Sie aufgeben! – Herr, ihn kenne ich, Sie noch nicht.« Er wandte sich wieder, um nach einigen Schritten zurückzukehren. Das Ungewitter war verzogen und die Stirne war heiterer, als er zum zweiten Mal die Hand auf Walters Schulter legte: »Junger Mann, Sie müssen noch viel lernen. Glücklicherweise nur, was jeder Fant, der ein Jahr in der Routine ist, an den Fingern weg hat. Ist ein Staatsmann ein Gott, ein Deukalion. daß er seine Menschen sich machen kann, wenn ihm die nicht gefallen, die ihm das Schicksal zuweist? Er hat genug gethan, wenn er Jeden an den Platz stellt, den er füllt. Findet er nur das heraus, ist er schon weise. Den er zum Steineklopfen braucht, von dem darf er nicht fordern, daß er Nähnadeln spitzt. Und wen er zum Schatzmeister gemacht, und seine Läden bleiben verwahlt, soll er ihn fortjagen, weil er sich einmal einfallen ließ, in seines Herrn Sonntagsrock auf der Promenade zu stolziren? Hab' ich etwa hier Vorrath, daß ich nur zu wählen brauche? Wollte ich Alle um solches Vergehen fortjagen, so könnte ich vom Thürsteher bis zum ersten Geheimrath die Geschäfte allein übernehmen. Herr von Fuchsius ist ja jung, und sieht in die Zukunft, er denkt ans Vaterland und denkt richtig, soll ich ihn zum Teufel schicken, weil er nebenher auch an sich denkt? Fordere vollkommene Menschen, und Du wirst als Eremit zu Grabe gehen. Kein Wort mehr davon. Die Ehre meiner Beamten, die ich mir bildete, ist meine Ehre. Es kann Ihnen auch einmal zu Gute kommen.« Jetzt war Walter entlassen. An der Thür blieb er stehen. »Ich wüsste« – Er stockte; es schickte sich nicht mehr. – »Presst es die Brust, heraus damit« – »Einen Mann« – »Der geeignet. Nennen Sie ihn. Ich sann eben auch nach.« – »Er ist mein Freund« – Walter stockte. – »Desto besser.« – »Ja, ich kann aus vollem Herzen sagen, er ist der Mann, wie Excellenz ihn suchen.« – »Sein Name?« – »Wird ihn hier nicht empfehlen.« – »Wenn es ein guter ist?« – »Der Sohn des Geheimrath von Bovillard.« – »Der Tolle?« – »Louis von Bovillard. Für sein Herz, das fürs Vaterland schlägt, sag' ich gut. Das erstickte Feuer kann aus der Asche zu einer Flamme aufglühen, wenn er an edle Schmiede kommt.« Walter blickte zweifelnd auf den Minister, der nachdenkend stand: »Senden Sie ihn zu mir, ich glaube, Sie haben gut getroffen. Er hat seine Wiener Mission mit mehr Eifer ausgeführt, als Haugwitz wünschte. Aber« – »Euer Excellenz Bedenken soll mir Befehl sein.« – »Nein – der alte Bovillard hat ja seinen provencalischen Adel renoviren lassen. Es sind die Bovillard Maitres de Cerise. Ich danke Ihnen, Herr van Asten, daß Sie mich an ihn erinnert haben. Über wen diese Menschen hier entrüstet sind, muß kein gewöhnlicher Mensch sein. – Bringen Sie ihn mir. – Ist er noch mit seinem Vater überworfen? Gleichviel. Die Bovillard de Cerisé waren schon in den Kreuzzügen genannt, und was mehr ist, wahrscheinlich von reiner keltischer Abkunft. Fast unbegreiflich, wie ein solches Mondkalb von Vater da hinein kam. Schicken, bringen Sie ihn bald. – Da erinnere ich mich, dem jungen Mann wird eine fixe Anstellung jetzt sehr gelegen kommen.« – »Um die Aussöhnung mit dem Vater zu erleichtern?« – »Nein, die Gargazin sagte mir neulich, er ist so gut wie verlobt mit einem schönen jungen Mädchen, einer Beauté der Stadt, es wäre aber viel Jammer von beiden Seiten, weil nichts daraus werden kann. Nun kann ja etwas daraus werden. Wie gesagt, führen sie ihn zu mir, und freuen sich, daß Sie Ihres Freundes Glück machen.« »Ich freue mich,« entgegnete Walter mit voller Stimme, aber sie klang wie ein Grabesgeläut, und entfernte sich. 70. Kapitel. Theorie und Praxis des Egoismus Siebenzigstes Kapitel. Theorie und Praxis des Egoismus. Als Walter aus dem Hause trat, war es nicht mehr so heiß, daß er darum die Weste sich aufreißen musste. Er wollte auch nicht Kühlung, der schwere Athemzug bedeutete etwas anderes. Er eilte nach Louis Bovillards Wohnung. Noch eine schwere Last von der Brust und dann war er frei. Die Vorübergehenden dünkte der junge Mann mit der gerötheten Stirn, dem stieren Blick, der nicht um sich sah, nicht auswich, ein Trunkener; sie wichen ihm aus. Er hörte nicht das Rollen der heimkehrenden Wagen, nicht den Tambour, der den Zapfenstreich schlug, er hörte überall nur ein dumpfes Grabgeläut. Auch den Wagen der Fürstin sah er nicht, die doch dicht an ihm vorüber fuhr. Er hörte nicht Adelheids Stimme mit einem so schelmischen Silberklang, wie auch wir seit den Tagen ihrer kindischen Lust sie nicht gehört. Es waren Nachtigallentöne mit Lerchengewirbel, in denen sie der Wonne, die die Brust sprengte, Luft machte, nur Accorde, aber wer, der ihr ins Auge sah, verstand sie nicht! So sahen wir es niemals glänzen, lachen; sie neckte den ernsten Geliebten, sie war Muthwillen und Ausgelassenheit. Louis' Auge glänzte auch, dunkel schön, nur auf sie den Blick gerichtet, aber den Zug des Muthwillens. des Übermuths, der seinen Ironie, die sonst um seine Lippen spielten, in seinen Augen blitzten, suchte man umsonst. Die Fürstin, in ihre Wagenecke gedrückt, sah mit stillem Lächeln zu. Walter sah und hörte nichts. Auch Die im Wagen bemerkten ihn nicht. Es war für Beide gut. Je näher er dem Hause kam, so langsamer ging er. Nicht daß er unschlüssig geworden, er sann nur über die Weise, wie er dem Freunde sein Glück mittheilen wolle, ohne seinen Stolz zu verletzen, ohne ihn auf immer zum Sklaven der Dankbarkeit gegen sich zu machen. Wusste, ahnte Bovillard, daß er der Räuber grade an seinem Glück war? Er hatte Grund zu glauben, daß es Bovillard bis jetzt verborgen geblieben, und er scheute eine Scene, die das Verhältniß enthüllt. Er war in einer heroischen Stimmung, und wünschte sie durch einen Auftritt nicht gedämpft, der ohne sentimentale Regung nicht abgehen konnte. Oben auf der Treppe hörte er eine zänkische Frauenstimme, er glaubte sie zu kennen; eine andere schüchterne, die er nicht kannte. Eine Mädchengestalt kam ihm, die Treppe herab, entgegen: ihre bestaubte Kleidung, ihr schwankender Tritt schien von Ermüdung, vielleicht nach einer weiten Fußwanderung zu sprechen. Ihr Gesicht sah er nur halb, sie hielt das Taschentuch vor. Als sie ihm rasch vorüber war, brach das unterdrückte Weinen rasch heraus. Unten noch eine Weile zaudernd, stürzte sie nach einem noch heftigeren Aufschluchzen zur Hausthür hinaus. Die Wirthin kannte Waltern. Der Herr von Bovillard war nicht zu Hause, aber er könne wohl jeden Augenblick kommen. Als Walter seinen Wunsch ausgesprochen, ihn zu erwarten, hatte sie kein Bedenken, ihm die Wohnung aufzuschließen und Licht anzuzünden. »Denn,« setzte sie schmunzelnd hinzu, »ich weiß wohl, wen ich einlassen darf, und wer mir nicht über die Schwelle darf. Nein, machte mir die Person nicht ein Lamento. Der Herr van Asten müssen's ja noch gehört haben. Aber, wenn sie noch mal kommt, laß ich die Polizei rufen.« – »Wer ist sie?« – Die Wirthin verzog noch spitziger den Mund: »Ja, wer wird sie sein! – Sie wird keine andere geworden sein, als sie damals war, wir aber sind andere geworden, und das müsste solche Person doch bedenken Und diese vor Allem. So nobel und honorig haben Herr von Bovillard sich gegen sie benommen, daß es ihre verfluchte Schuldigkeit wäre, nun uns nicht mehr zu belästigen. Aber nein« – Walter wollte nichts davon hören, aber die Frau wollte noch reden. Sie achtete sein abwehrendes Zeichen nicht. »Nein, Herr van Asten, von dieser grade ist's ausverschämt. Sie hat dazumal hinten im Stübchen auf dem Hofe gewohnt, das ihr der gnädige Herr chambregarnirt hatte. Gott weiß, was er für einen Narren an ihr gefressen. Sie ließen zwar mal fallen, das Mädchen hätte Ihnen das Leben gerettet. Na, was das sein wird, kennt man schon. Ein paar Ritze hat sie allerdings an der Schulter. I Gott, solche Mädchen lassen sich auch nicht gleich für Einen todtstechen, Ich kenne sie ja. Ist's nicht Der, so ist's ein Anderer.« Waltern durchzuckte eine Erinnerung. Erst später hatte er den Zusammenhang der Geschichte gehört. Da war es, wo.Louis Adelheid zuerst gesehen! Mit einem Seufzer, den die Frau nicht hören sollte, warf er sich auf das Kanapé. Die gute Frau hatte ihn aber doch gehört. »Sie haben schon recht, über solche Undankbarkeit muß man seufzen. Er hatte sie von Kopf bis zu Fuß gekleidet. Sie hatte ja keinen ganzen Strumpf auf dem Leibe, als sie aus dem Prison kam. Und dann, wie's nun genug war. hat er ihr Geld auf den Weg mitgegeben, ich will gar nicht sagen, wie viel, denn ich weiß es nicht; aber wenig war's nicht, denn das Halsband von der seligen Frau Mutter und die emaillirte Uhr gingen drum zum Pfandjuden, dem alten Joel. Er hat's mir selbst gezeigt, nämlich der alte Joel; er war kein übler Mann, und schund die jungen Leute nicht so, wie jetzt sein Sohn. Aber geben mussten wir's, da hätte auch gar keine Raison geholfen; denn er hat ein gar zu gutes Herz. Diese Ohrringe habe ich auch von ihm, aber Alles in Ehren. Als Sie von Ihrer großen Reise retournirten, und krank wurden, ich habe ihn gepflegt, rechtschaffen, das kann ich wohl sagen, und der alte Geheimrath haben's auch gesagt: wenn sein Sohn immer mit so rechtschaffenen Weibspersonen zu thun gehabt hätte! Jetzt sind wir nun, Gott sei Dank, besser situirt, und wenn uns mal was fehlt, brauchen wir nicht zu dem Judenschinder.« »Das ist schon lange her, daß er das Mädchen fortschickte?« unterbrach Walter, eigentlich nur, um den Redefluß zu unterbrechen. »I freilich, das war ja – warten Sie mal – nun, das thut nichts zur Sache – richtig, wie sie ihn todtschießen wollten, er ward aber nur eingesperrt. Das Mädchen machte da noch Spektakel, nämlich, das muß ich sagten, ganz in der Stille. Sie weinte auf ihrer Kammer, daß es zum Herzbrechen war. Manchmal glaubte ich doch, sie würde – wenn ich sie aufrichtete, sank sie zusammen. Mein Kind, das hilft doch nun mal nichts, sagte ich, raus musst Du, fort musst Du. – Und da packte sie ihre Sächelchen ins Bündelchen. Na, wenn ich denke, wie sie die Treppe runter ging, und unten blieb sie noch stehen und japzte nur so.« »Und seitdem hat sie ihn nicht wieder gesehen?« »Gott bewahre, was denken Sie? – Heute morgen zuerst, da war ich nicht zu Hause, er auch nicht. Und kommt wieder! Ich war wie aus den Wolken gefallen! Na, ich habe ihr denn aber auch das Kapitel gelesen. Jetzt, wo der Herr Vater sich wieder nobilitiren lassen, – wir haben noch nicht das neue Schild an der Klingel, aber ich hab's bestellt. – Jetzt untersteht sich das ausverschämte Mädchen, meinen Herrn in Disreputation zu bringen. Jetzt, mein Kind, wenn er so was will, wird er sich anderwärts suchen, sagte ich.« – »Und sie?« – »Na, Sie können wohl denken. Thränen haben die immer parat.« – »Nicht Alle. Was wollte sie?« – »Was wird sie wollen! – Lieber Gott, man hat doch auch ein Herz, wenn's auch solche Menschen nicht verdienen, und da ließ ich sie denn hier am Tische kritzeln. Da liegt ja das Schnitzel. Aber ich ließ sie nicht aus den Augen. Stibitzt hat sie nichts, obgleich ich ihr nachsagen muß, reine Finger hatte sie immer.« »Sie sah wie eine Unglückliche aus.« »Das mag schon sein, mein Herr van Asten, muß man aber Andere darum unglücklich machen wollen, wenn man's selbst ist! Jetzt kann man wohl davon sprechen, unser junger Herr ist ein Bräutigam; wenn's auch noch nicht deklarirt ist, das weiß jedes Kind. Freilich, der alte Geheimrath wollen nicht recht dran, denn die Mamsell hat Nichts, das ist wahr, und sie sagen auch, er könnte sie nicht gut ansehen, weil sie bei der Lupinus Kind im Hause gewesen, und da überrieselt's ihn immer, weiter die nicht ausstehen kann.« »Die Per – meine das unglückliche Mädchen macht doch nicht etwa selbst Ansprüche?« – Ein unbeschreibliches Erstaunen malte sich auf dem Gesichte der Frau Wirthin. Worte fand sie nicht sogleich, bis die ganze Wucht ihrer Gedanken in der Silbe Die! sich konzentrirte. Walter war beruhigt, wenn er überhaupt der Beruhigung bedurfte; aber er wollte Ruhe haben, nämlich von der Gegenwart des geschwätzigen Weibes befreit sein. Sie ging in einen weinerlichen Ton über, indem sie ihren Drahtleuchter ergriff. »Viele haben schlecht von ihm gedacht, das weiß ich, denn die Welt ist auch schlecht, und Iugend muß austoben; und wer weiß, wer besser ist, ob der alte Herr, oder mein junger. Und wie's bei den vornehmsten Geheimräthen aussieht, Herr Jesus, lieber Herr van Asten, bei diesen vornehmen Herrschaften, da ist ja eine Zucht, daß mal der Gottseibei uns drein schlagen möchte. Er thut's auch noch, glauben Sie's mir, und die Julchen, die wir auf der Straße nicht ansehen mögen, ist nicht schlechter, als viele von den vornehmen Damen in Brüsseler Spitzen. Wenn die sich schämen wollten, man sieht's nur nicht, weil sie so dick geschminkt sind. Jugend muß austoben, sonst kommt's nachher, aber dann einen Strich gemacht. So hab' ich's auch meinem Seligen gesagt: nu sei zufrieden, was Du hast, und um was rückwärts ist, da hast Du Dich nicht zu kümmern. Mein guter Herr, nun ja, tolle Streiche genug. Nüchtern ist er nicht immer nach Haus gekommen, und ist allerdings auch sonst nicht immer nach Haus gekommen, und den Regenschirm hat er im Theater aufgespannt, dafür ward er arretirt und er ist oft arretirt worden, aber wenn sie Alle ins Prison bringen wollten, die's verdient haben, da ist der König nicht reich genug, um Gefängnisse zu bauen. Und wenn ein Armer kam, da blieb kein Groschen in der Tasche. – Und nun hat er sich gebessert, und ich wollte ja Jeden die Treppe runter schmeißen, der sich mausig machte und ihm vorhielte, was sonst geschehen ist. Das ist jetzt vorbei, mein Herr! würde ich sagen. Und alle seine Freunde müssten das sagen, denn ich bin nur eine arme Frau, und verstehe mich viel darauf, wie sie da parliren und mit den Augen zwinkern. Aber Freundschaft ist Freundschaft. Und wer ein rechter Freund ist, der muß seinem Freunde Alles hingeben, auch sein Liebstes. Das ist Freundschaft, und wenn Alle so thäten, dann wäre die Welt gut.« Ob sie dann wirklich gut wäre! dachte Walter, als er allein war. Wenn wir den Egoismus ausgerottet, wie die Raubthiere, wie ein schädlich Unkraut, ob sie die vollkommene würde, von der wir träumen! – Sprang der erste Schiffer in den schaukelnden Kahn, um den Vater zu retten, wie die Idylle erzählt, oder war's ein Kaufmann, ein Verfolgter, ein Räuber, der sein Leben retten, der Früchte, Gold, Mädchen, Sklaven von den reichen, im goldnen Meere dämmernden Inseln holen wollte? Und fing das Menschengeschlecht wirklich an mit einer Idylle, so war es eine kurze; ein sanfter Hauch der Engel, der am rauhen Hauch der Elementgeister erstarrte. Die kurze Idylle war aus, und die lange Gechichte fing an – mit Brudermord. Wir Alle aber sind nicht die Kinder der Idylle, sondern die Erzeugten der Geschichte. Der Egoismus führte uns über Meere, gründete Staaten, erhob Könige auf den schwindelnden Thron, schuf Republiken, er trieb uns in die Schachte der Erde, in die Lüfte auch, daß wir den Lauf der Gestirne berechneten. Alles, Alles, wir wollten Gold machen und fanden, nicht Regenwürmer, die Künste, die uns zu Gebietern der Natur erhoben. – Und dieses mächtige Movens unseres Daseins sollten wir ausrotten, ausbrennen, wie den Nerv in unsern Zähnen, damit wir nicht mehr Zahnschmerzen haben! Thorheit, die materia peccans bleibt, und wirst sich nur auf andre Theile, edlere vielleicht. Emancipiren sollten wir uns wollen, von unsrer Bildung, aus der Geschichte, die uns machte, heraus und zwängen in ein wesenloses Dasein, in das Traumleben einer schönen Phantasie, das nie existirt hat, nie existiren wird. Und doch fordern es Religion und Philosophie, beide, schroff und mild, je nachdem; aus dem Gewissen, weil es verderbt ist, sollen wir uns ins Vage setzen, den Reiz ertödten, der uns über das Thier erhob, zu den wunderbaren Erfindungen trieb, das Menschengeschlecht zu seinen großen Thaten inspirirt hat. Und grade, die sich am höchsten dünken über das Thier, die fühlen wieder den Drang, den Feuerathem in der Brust, mit Flügeln wollen sie in Äther schweben, göttergleich sein, sich vergessend, nur für das All, und – sind aus Koth! Er ging mit sich unzufrieden auf und ab; er griff nach dem Zettel auf dem Tisch und warf ihn wieder hin. »Was wird sie ihm schreiben! – Er soll sie wieder lieb haben, ihr Geld geben!« Warum warf er das Papier so verächtlich fort? War das ein spezieller Egoismus, den er nach der Verteidigungsrede für den generellen verwerfen musste? Er hatte sich mit untergeschlagenen Armen an die Fensterbrüstung gestellt. Er bereute nicht, daß er der Geliebten entsagt, nicht, daß er sie dem Freunde überließ, ohne Klage, nicht, daß er ihn noch außerdem in den Stand setzen wollte, sein Glück zu genießen; das lag hinter ihm als abgethane Notwendigkeit. Er war ein deutscher Denker, klar wollte er sich machen, warum er gegen ein Prinzip gehandelt, das er sich eben künstlich entwickelt. Weil sie ihn nicht mehr liebte, weil sie ihn vielleicht nie geliebt? Diesen einfachen, natürlichen Grund schien er bei Seite zu schieben, und fand den wahren nur in dem Drange, sich dem Vaterlande ganz hinzugeben. Was ist die Wahrheit einer Überzeugung'? Der höchste Verstandesrausch, über den wir nicht hinaus können. Wo wir dies endliche Ziel im Irdischen fanden, sollen wir stehen bleiben, darauf alle unsere Gedanken, Kräfte werfen. Und es giebt keinen höheren Begriff, als das Vaterland. Wir haben humanistisch, philanthropisch auch dies zu ersetzen versucht, und wohin hat es uns geführt! In ein Meer von schwimmenden Inseln und Fata Morganen. Wenn wir unser Schiff herantrieben, landen wollten, verschwanden die Thürme und die Berge in die Wolken, die Gärten der Armida wurden schillernde Sumpfpflanzen, die der Sturm auseinander wehte. Keine dieser Ideen, wie auch vom Morgenroth gefärbt, gewann einen Leib, den wir umarmen, keine ward eine Säule, ein Fels, an den wir uns im Sturme klammern konnten. Nur das Vaterland ist die Eiche, an die wir uns klammern können, nur sie hat das Recht, Opfer von uns zu fordern, das höchste, letzte auch, uns selbst. Die tausend Götzen sonst haben keines. Ihnen gegenüber tritt das volle, heilige Recht des Ichs ein. Louis kam noch nicht zurück. Das Talglicht auf dem Tische brannte immer düsterer. Sein halb verkohlter Docht beugte sich in einer Wölbung immer höher über die Flamme. Walter hatte aufmerksam dem Verbrennungsprozeß zugesehen, ohne sich gemuthet zu fühlen, nach der Putzscheere zu greifen. Er brauchte kein Licht. Das ewige Gleichniß der Kerze und des Lebens gaukelte vor ihm in den matten Schwingungen der Flamme. Da fiel das dicke schwarze Kopfende von der eigenen Schwere herab auf den Zettel; der noch glimmende Schweif fing an in das mürbe Papier ein Loch zu sengen. Walter löschte, ehe es ein Brand ward. Dabei musste er den Zettel wieder aufnehmen. Die Schriftzüge verriethen keine ganz ungebildete Hand, sie flogen über das Papier. Er fing an zu lesen, und hörte erst auf, als es zu Ende war. Du mein Alles! Ja. die böse Frau hat Recht, Du darfst mich nicht wiedersehen. Die Frau ist nicht böse. Wer Dich lieb hat, ist gut. Wer Dir Schmerzen sparen will, ist ein Engel. Nein, Du sollst mich nie mehr sehen. – Vergieb mir, Du mein einzig Geliebter, daß ich darum kam. Nur darum – mein Kopf brennt mir, ich weiß nicht, was ich schreibe. Ich sah Dich nur unglücklich, nun wollte ich Dich glücklich sehen. Ist das auch eine Sünde? – Es sollte meine einzige letzte Freude sein. Mit einer einzigen Freude aus der Welt gehn, ist das zu viel gefordert! – Sie sagte – ach Gott, ich klage sie nicht an. Wahr und wahrhaftig, Louis, bei Allem, was Dir theuer ist, glaube mir, ich kam nicht, um von Dir zu pressen, nicht, um Dein Glück zu stören – ich Dich stören! – Und Du sollst mich auch nicht für eine ausverschämte Person halten, die Dich aussog und es lüderlich verbracht hat, und wenn das Geld fortgerollt, kommt sie wieder. Glaube ihr nicht, Louis, und darum schon muß ich Dir schreiben. Ich vergebe ihr auch das, denn sie hat's nicht gesehen, wie ich damals aus dem Thore wankte. Ich glaubte, die Luft würde es gut thun, aber die Luft that's nicht gut. Irgendwo, ich habe den hässlichen Ort vergessen, blieb ich liegen – nein, ich wollte da nicht – draußen auf der Landstraße aber fiel ich um, da hoben sie mich auf einen Leiterwagen und fuhren mich rein, in ein großes Haus. Ach, die hässlichen Gesichter, wie sie sich stritten; Der Bürgermeister war sehr zornig, er wollte mich wieder aufladen lassen und zur Stadt hinaus, Gott weiß wohin. Sie fluchten. Ich habe Dich fluchen gehört, aber so nicht. Einer schrie, das gäbe eine Untersuchung und mache noch mehr Kosten. Aber wie kommen wir zu der Last! schrieen sechs Andere. Sie müssen's uns ja vergüten auf Heller und Pfennig! – Eigentlich müsste der Abdecker auch solche kriegen! lachte Einer. – Louis! Louis! ich lag da, sinnlos, starr, wie ein gefallen Thier, um das die Raubvögel sich streiten. Wer das erlebt – der hat kein Recht mehr auf dieser Welt. Und ich sollte noch Dein Glück stören wollen! Endlich hieß es, man muß doch was finden, wo sie hingehört, und dann hätten sie mich wieder auf den Karren geladen, und das hätte ich nicht ausgehalten; es wäre wohl so am besten gewesen. Aber als sie darauf suchten, fanden sie Dein Geld. Hätte ich schreien können: es gehört ja Dir, hätte ich es ihnen fortreißen können. Aber ich konnte keinen Finger rühren, keinen Laut rausbringen. Da ward es stille: sie schmunzelten und führten wieder hässliche, lustige Reden. Der Inspektor sagte, die wolle er schon gut und lange pflegen. Da ward mir das Haar geschoren, da stürzten sie kaltes Wasser über den Kopf mir, o, es war doch immer so heiß! Da sah ich immer Dich, wenn mir wohler ward. Du zucktest die Achseln und sagtest: Sie ist doch auch eine Kreatur Gottes. Ach, Du warst nur wie ein Nebel auf dem Berge. Wärst Du in Person dagewesen, Du hättest ihnen wohl gesagt, daß sie's sanfter machten, die rohen Männer, die mich bei den Armen und Beinen in den Badekübel warfen. Es that weh, aber ich fühlte es ja nur halb. »Ich ward gesund. Gott weiß wozu. Sie gaben mir ein langes Papier, das war meine Rechnung, und den Geldbeutel, der war ganz klein geworden. Louis, ich hatte noch keinen Groschen davon ausgegeben. Ich wanderte nun nach meiner Vaterstadt. Unterwegs habe ich nicht an Dich gedacht, nur an meinen alten Vater, und was ich ihm sagen wollte, wenn ich vor ihm auf die Knie stürzte. Ich wusste es Alles auswendig. Ich Habs ihm aber nicht gesagt. – Als ich durch's alte Thor kam, trugen sie ihn heraus. Ich stieß einen Schrei aus, sie stießen mich fort. Ich lief ihnen nach. Als sie die Bahre auf dem Kirchhof niedersetzten, drängte ich mich durch; da warf ich mich auf die Knie, wollte es dem Todten sagen, was ich dem Lebendigen nicht mehr sagen konnte. Da haben sie mich erkannt. Da wiesen sie mit den Fingern auf mich, und zischelten. Dann murrten sie laut. Endlich sah ich Gesichter, o Herr Gott, dem Bürgermeister und dem Inspektor seine, die waren freundlicher, hätten sie doch nur laut geflucht! Aber der Herr Prediger that es. Als mich der Büttel am Armgelenk gefasst und aufgerissen – an der eingefallenen Kirchhofsmauer ließ er mich wenigstens, da durfte ich knieen – da hörte ich des Herrn Predigers Rede. Mich ließen sie keine Erde ihm in die Gruft nachwerfen, aber auf mich warf der Herr Prediger – das kann ich nicht wieder schreiben. Und es war nicht wahr – ich habe meinen Vater nicht umgebracht! – Und die Blicke nachher, wie sie an mir vorübergingen! Gott sei Dank, dann ward es frei, der stille Abend, da lag ich über seinem Grabe, und der Lindenbaum fluchte nicht, in seinen Blättern säuselte es wie süße Lieder, und ich schlief ein, bis das Morgenroth mich aus dem Frieden weckte. Um die Mauer schlich ich von hinten nach dem Hause, wo er starb, wo ich geboren bin. War denn das ein Verbrechen, daß ich es zum letzten Mal sehen wollte! Bürgerfrauen hatten mich bemerkt. Der Rathsdiener, mit dem Schild auf der Brust, kam und sagte – ach, was er mir sagte, ich weiß es nicht: von lüderlichem Gesindel und auf die Finger sehen, und hinausbringen, und ich hätte kein Heimatsrecht mehr!« »Nein, Louis, ich habe keine Heimat; wie ich da am rauschenden Wasser stand, da sahen keine rothen Gesichter heraus vom Bürgermeister, und nicht die hässlichen spitzen der Bürgerfrauen – und da – da hörte ich, daß Du glücklich wärst – ich wusste es schon, unter der Linde auf dem Kirchhofe hatte ich Dich gesehen, und die Herrschaften, die im Wagen vor der Schenke schwätzten, derweil ihre Pferde Muth tranken, und ich trank auch Muth, sie sagten mir nichts Neues – und da stach es mich, und trieb mich, Dich wollte ich noch einmal glücklich sehen. – Und das hab' ich nun auch aufgegeben, da ich weiß – – « Hier waren einige Zeilen von Thränen verwischt. »Das Geld brauchst Du nicht – das kümmert mich auch nicht mehr, – und mich wirst Du vergessen – aber wenn ich nur etwas wüsste, was Dir recht lieb wäre, ich wollte Alles thun, mir einen Finger abschneiden, mich wieder verkaufen, wenn ich nur wüsste – Und nicht wahr, das war nicht unrecht von mir. Manche hat sich betrunken, ehe sie ins Wasser sprang. Ich wollte ja nur Dich noch einmal sehen, Dich sehen, wenn Dein schön Auge so recht aus voller Seele lacht. – Nein, ich werde es nicht mehr sehen – Lebe wohl, Du mein Alles –« Die Unterschrift war wieder von den Thränen ausgelöscht. Aber dahinter noch einige kaum lesbare Zeilen: »Aber ich muß Dich sehen – hilf mir Gott, wenn ich mein Wort breche. Wenn Du in die Kirche gehst mit ihr. Ganz von ferne – sieh Dich nicht um, Du wirst mich nicht entdecken. Trinken muß ich den Strahl aus Deinem Auge, und dann –« Die letzten Worte gingen in ein fieberhaftes Gekritzel über, Walter war von der Lektüre aufgeregt; aber sein Entschluß schnell gefasst. »Es giebt doch etwas auch neben dem Vaterlande, um was der Mensch sein Höchstes einsetzt, sich selbst. Und wo ist der Sittenrichter, der es kalt verdammt?« Er nahm das Papier, salzte es und that es in seine Brieftasche: »Ich will ihr Testamentsvollstrecker sein. Wenn sie nur etwas wüsste, was ihm recht lieb wäre, was sie zu seinem Heile thun könnte! Ich übernehme es für sie. Sein Liebesglück darf durch diese Erinnerung nicht vergiftet werden. Was könnte er ihr helfen, ohne ihre Liebe zu erwidern! Sie bleibe vor ihm verschwunden, spurlos. Die Wirthin werde ich instruiren. Was er – ohne Liebe, aus Erbarmen für sie thun könnte, kann ich ebenso gut.« Seinen Vorsatz, auf Louis' Rückkehr zu warten, um mündlich der Überbringer der frohen Botschaft zu sein, gab er jetzt auf. Der Freund weilte zu lange bei seinem Glück. Er nahm Papier und Feder und theilte ihm kurz und klar, was seiner warte, was von ihm gefordert werde, mit. Er stellte sich in den Hintergrund und ließ den neuen Minister selbst den sein, der zuerst sein Auge auf Louis Bovillard geworfen, für sich die bescheidene Rolle eines um Rath Befragten vindicirend, welcher nur aus vollem Herzen die Eigenschaften bestätigen können, welche der Minister bereits in ihm entdeckt. 71. Kapitel. Ein volles Bekenntniß Einundsiebenzigstes Kapitel. Ein volles Bekenntniß. Im Hause der Fürstin hatte sich seit jenem Gesellschaftsabend Vieles ereignet, von dem wir nicht Zeuge waren; es drückte sich auf den Physiognomien ab. Adelheid war heut beim Theetisch eine Hebe; sie ging nicht, sie schwebte. Sie schien fortwährend zu singen. Man hörte es nicht, aber man fühlte es. Ihr Gesicht hatte einen andern Ausdruck. Der Legationsrath bemerkte es gegen die Fürstin. »Ei!« sagte die Gargazin mit einem besondern Blick. »Ich glaubte, dafür hätten Sie keine Augen?« – »Für die Schönheit!« – »Nur für die, welche Sie zergliedern können. Adelheid giebt das den Reiz, was Sie nicht lieben, die Harmonie der Seligkeit.« – »Ein Nebelbild!« – Wandel blickte dabei scharf aber ruhig auf Louis Bovillard, der in sich versunken im Fauteuil saß, und die Theetasse mit einem verstohlenen Kuß auf die Hand hinnahm, welche sie ihm reichte. Die Beiden hätten das Gespräch kaum gehört, auch wenn es laut geführt worden. Wer sich aber wundert, den Legationsrath auch in dem kleinen Kreise zu erblicken, in dem Louis Bovillard ihm gegenübersitzt, dem sagen wir, daß in der Stadt ein Gerücht umlief, daß zwei Kavaliere neulich in der Jungfernhaide ihre Pistolen versucht; es sei kein Blut geflossen, aber einige dürre Zweige wären abgefallen. Was ging Louis der Legationsrath noch an? auch der Legationsrath hatte an anderes zu denken. Er war heut nur auf eine Viertelstunde gelegentlich angesprochen, nachdem die Familie aus dem Thiergarten zurückgekehrt. »Was geht Sie das an?« replicirte die Fürstin, ihre Stickerei wieder vornehmend. – »Alles Leben ist ein Traum!« rief der Legationsrath nach einer Pause. Die Fürstin hielt die Nadel an: »Fallen Sie nicht aus der Rolle, Herr von Wandel?« – »Welcher?« – »Die Sie die Güte haben, vor sich selbst aufzuführen. A propos, ich bemerke, Sie fangen an, wenig zu essen und vom Glase nur zu nippen. Das ist für Berlin zu spät, man kennt Sie einmal als Gutschmecker. Sparen Sie sich die Rolle des St. Germain für Sibirien. Sie können sich dort mit einem Schamanenzauberer associiren. Vielleicht kommen Sie in einer ganz neuen Incarnation nach Europa zurück.« Wandel bewunderte die Laune der Fürstin und die Farben ihrer Stickerei. Sie stieß halb muthwillig seine Hand fort. – »Mir ist immer bange, wenn Sie etwas anfassen, daß die Farbe ausgeht. Haben Sie nicht wieder eine chemische Tinktur an der Hand kleben?« – »Erlaucht vergessen, daß die Chemie die schönsten Farbestoffe präparirt.« – »Bis sie nicht die Schminke erfindet, die einen Todten lebendig macht, geb' ich nichts auf Ihre Wissenschaft.« – »Sie fordern zu viel. Den Schein des Lebens herzustellen, gilt doch für das höchste –« »Was sie geleistet hat,« fiel die Fürstin ein, »und eben darum hasse ich sie. Eine scheinbare Tugend, ein scheinbarer Reichthum, ein anscheinend blühender Staat, und Alles übertünchte Gräber – durch Ihre Chemie. – Was fixiren Sie Adelheids Freund?« Wandel senkte die Augen: »Hippokratische Züge.« – » Qu'importe! Schmeckt der Blumenhonig den Schmetterlingen darum weniger süß, weil sie nur ein Schmetterlingsleben führen?« – »Der Schmetterling weiß freilich nicht, wie lang sein Lebensfaden ihm zugemessen ist, aber –« der Legationsrath beugte sich näher zur Fürstin – »aber, ich kann Ihnen nicht verhehlen, man begreift meine erlauchte Freundin nicht. Sie begünstigten das Verhältniß, und thun nichts, ihm eine Zukunft zu sichern.« – »Was heißt Zukunft?« – »Der alte Bovillard stellt sich auf die Hinterfüße. Seit er die Flasche alten Weines, die seinen provencalischen Adel enthält, entkorkt, ist der Duft ihm ins Gehirn gestiegen. Er will nichts für seinen Sohn thun. Mamsell Alltags Vater ist eben so närrisch von seiner neuen Würde benommen. Am Hofe hat man noch einen Degout gegen den jungen Wüstling. Wenn Niemand etwas für sie thut! Verschaffen Erlaucht ihm bei Ihrer Legation eine Stellung, und er ist vernünftig genug geworden, um zu wissen, was der Begriff Vaterland werth ist.« – »Haben Sie für nichts Anderes zu sorgen?« sagte die Füistin, wieder mit ihrer Arbeit beschäftigt. Der Legationsrath griff gedankenlos nach dem Hut. Es kam zwischen Seufzen und Gähnen heraus: »Wenn man nur nicht so viel Gefälligkeiten übernommen hätte!« – »Und sich nicht so rücksichtslos für seine Freunde und Freundinnen opferte!« fiel die Gargazin ein. – »Spotten Sie nur! Mir wird der Kopf zuweilen wüst.« – »Dafür haben Sie ja Arkana zur Hand.« – »Die larmoyante Liebelei des Rittmeisters und der Baronin ennuyirt die Freunde.« – » Les Georges Dandins l'ont voulu. « – »Nun soll ich die Platoniker wieder auseinander bringen, oder vielmehr aneinander. Man wünscht ein Gezänk, wobei sie sich in die Haare geriethen, einen Eclat, einen coup de main, eine Pulverexplosion.« – »Ich auch,« sagte die Fürstin. »Die Luft wird unerträglich schwül.« – »Der Mann, der Baron, ist zu gar nichts zu gebrauchen. Das ist das Schlimme.« – »Die Baronin scheinen Sie seit einiger Zeit wirklich in Affection genommen zu haben.« – »Ich?« – Pardon! Ich vergaß, daß Sie keine Affrktionen haben. »Gehen Sie morgen wieder zur Lupinus?« – »Die unglückliche Frau bedarf des Trostes.« – »Der Mann wohl nicht?« – »Er ist in Momenten so glücklich. Er kann sich über das Geringste, was seinen Phantasieen schmeichelt, wie ein Kind freuen. Ein alter Einband, eine neue Lesart, die er entdeckt zu haben glaubt. Auch., meine erlauchte Freundin würde ihre Lust daran haben, denn man kann sagen, es schwebt gewissermaßen schon die Glorie der Erlösung um seine Stirn. Lange wird er es nicht machen. Da ist es denn Pflicht seiner Freunde, was sie vermögen, die letzten Augenblicke ihm zu versüßen.« – »Die Luft im Krankenhause soll abscheulich sein. Nehmen Sie sich in Acht.« – »Die Geheimräthin ist zu eifrig in ihrer Pflege, zu excentrisch, um immer die gehörige Vorsicht zu beobachten. Sie erinnern sich, bei dem Jean Paulfeste, wie Adelheid beinahe verbrannt wäre.« Die Fürstin sah über die Arbeit starr vor sich hin: »Es ist etwas eigenes, das Kapitel von Sympathieen und Antipathieen.« – »Von den Sympathieen haben wir das corpus delicti vor uns,« lächelte Wandel, auf das Liebespaar blickend. – »Aber die Antipathieen haben etwas Monströses,« sagte die Gargazin, »weil wir sie mit allem Verstande uns nicht zu erklären wissen. Giebt es einen Gegensatz zum Magnet, einen Stein, der abstößt?« – »Feuer und Wasser mischen sich nicht.« – »Das ist es nicht, was ich meine. Das eine löscht doch, das andere durchglüht das andere. Aber wer erklärt diese innere Seelen- und Körperangst, die ein vernünftiges Wesen oft vom ersten Erblicken an gegen das andere empfindet? den angebornen Widerwillen, den geheimen Schauder, wo gar kein vernünftiger Grund da ist?« – »Doch vielleicht der Kitzel zu Paradorieen! Das häßlich zu finden, was Andere entzückt, fordert der Widerspruchsgeist von selbst auf, der gerade begabten Naturen eigen ist.« – »Warum fürchtet sich Haugwitz vor Ihnen?« Wandel schien etwas betroffen. Er wollte von dem Unglück sprechen, von geheimen Feinden verredet zu werden, wo ein Ehrenmann sich nicht veitheidigen kann, weil ihm die Anklage selbst unbekannt blieb. Das war es nicht, was die Fürstin meinte. »Warum hat Louis' Vater einen angebornen Widerwillen gegen die Lupinus? Ich weiß, er hat diese Antipathie. Er kann sie weder sich noch Andern erklären. Solch eine magische Scheu zieht sich durchs Leben, unzertrennbar von unsrer Persönlichkeit, wie wir von unserm Schatten. Was ist das nun? Ich, von meinem Standpunkte, könnte es mir deuten; aber ich wünschte Ihre Ansicht zu zu kennen. Sie Rationalist. Ihre Wissenschaft muß wenigstens vor sich selbst Alles zurecht legen können, was in der Natur erscheint.« Wandel hub an von den sich anziehenden und den sich abstoßenden Kräften, von den Stoffen, die als Wärmeableiter dienen, er ging zur Electricität über und stand beim Blitzableiter, ohne daß wir wissen, wie weit er sich in die Wolken, und von ihnen herab wieder in die psychische Welt versenkt hätte, als ihn die Fürstin abermals unterbrach. Möglich, daß er nicht ohne Absicht in die Doctrin sich verlor, weil er wußte, daß die Fürstin nie aufgelegt war, Vorlesungen anzuhören, und er in dem Augenblicke noch weniger, sie zu halten. »Warum ist sie auch mir zuwider?« – »Zwei Sonnen vertragen sich nicht am Himmel, pflegt man zu sagen. Aber von Rivalität kann nicht mehr die Rede sein, wo die eine unterging.« – »Wenn ich Ihnen auch zugestände, daß ein solches Gefühl einmal da war, das ist es nicht. Es ist etwas Anderes. Ich kann mit ihr Komödie spielen, aber nachher überfröstelt es mich, wie Jemand zu Muthe sein muß, der erfährt, daß er mit einem von der Pest Inficirten Hände geschüttelt. Nach jenem letzten Abende erschien sie mir im Traum. Ihre kostbaren Kleider fielen in Lumpen, eines nach dem andern, ihr vom Leibe. Ich schrie aus, ich floh vor dem scheußlichen Gerippe. Ich war plötzlich aus dem Bette, und es stand noch immer vor mir, ja es dauerte eine Weile, als ich schon die Augen mit Gewalt aufgerissen hatte, bis es in den Boden versank. Was ist das? Erklären Sie's mir.« – »Vielleicht die polarische Attractionskraft der Gegensätze. Wir träumen das Gegentheil von dem, was wir fühlten, dachten, erlebten, liebten. Das ist der Inhalt der Traumbücher. Die Geheimräthin ist immer sehr gewählt gekleidet, sie spricht und denkt ebenso, alles Rohe und Nackte überkleidet.« – »Darum erschien sie mir roh, nackt, scheußlich. – Wandel, ich möchte Sie einmal im Traum sehen.« Der Haushofmeister war schon ein Weile näher getreten, als er sich jetzt über den Stuhl der Fürstin neigte und einige Worte ihr ins Ohr flüsterte. Die Fürstin ließ die Arbeit sinken, sie stützte den Kopf im Arm. Die verbissenen Lippen sprachen von einer unangenehmen Nachricht. Der Haushofmeister flüsterte sie auch dem Legationsrath zu: »Er ist eben verschieden!« – »Le pauvre diable!« – sprach Wandel, die Achsel zuckend. »Hat er noch viel gelitten? Ich meine, hat er noch wie neulich phantasirt?« – »Er warf sich noch einige Male unruhig, kreuzte sich, wiederholte den Namen der Fürstin, japste ein paar Mal auf, als wollte er etwas sagen. Solchen Kutscher kriegen wir nicht wieder!« hatte der Haushofmeister erwidert. »Warum musste auch jetzt gerade diese Störung kommen?« sagte der Legationsrath und beugte sich über den Lehnsessel der Fürstin. »Wissen Sie theuerste Freundin, mich schaudert doch zuweilen vor der Leibeigenschaft.« Sie blickte verwundert zu ihm auf. »Ihre beredte Vertheidigung hat mich allerdings von der Naturnothwendigkeit des Institutes überzeugt. Ich erkenne, welche unaussprechliche Wohlthat sie für diese Geschöpfe, Familien, ja diese ganzen Völkerschaften ist, die sich über ihre Naturdumpfheiten nicht erheben mögen. Ja, es ist ein berauschendes Gefühl für die von Gott dazu Erwählten, für diese Armen, Verlassenen, Urtheilsunfähigen ihr Alles zu sein, Vater, Mutter und Vormund, für sie zu fühlen und zu denken, die Sorge für unser eigen Wohl hintenanzusetzen, um für Hunderte und Tausende von Seelen zu sorgen, welche die Vorsehung in unsre Hand legte. Von dieser Seite erscheint auch mir die Institution eine wunderbare, heilsame, aber der Exceß der Gefühle von der andern Seite hat doch etwas Bedenkliches.« Sie verstand ihn nicht. »Was hat diesem Menschen den Tod gebracht, nachdem er in der Genesung so vorgeschritten, der Arzt hatte zuversichtlich seine völlige Heilung versprochen, als die Angst, Gewissensbisse kann man sagen, daß er so lange nutzlos liegen musste, ohne die Güte seiner Herrin durch seine Dienste erwidern zu können. Wie durchzuckte es ihn. als er hörte, daß Euer Erlaucht einen Berliner Kutscher interimistisch angenommen. Er biß sich in die Lippen und ballte die Hand, dah ein Anderer, ein Fremder, seine geliebte Herrin fahren sollte. Wir verbargen es Ihnen, er sprang nachher heimlich auf, kleidete sich an, und war schon auf dem Wege nach dem Stall. Wir kamen noch zur rechten Zeit. Als man ihn wieder ins Bett brachte, überfiel ihn der Parorysmus; er phantasirte nur von Peitsche und Pferden, er umklammerte sein Kopfkissen, wie man Einen erwürgt, und nannte es Christian. Nenne man es Eifersucht, Brodneid, es war etwas Edleres, meine ich, aber von da ab gab der Doktor die Hoffnung auf. Es thut mir leid, von einem Todten es zu sagen, aber der Mensch hat sich selbst umgebracht. Ein Selbstmord aus Pflichtgefühl. Diese Excesse des Gefühls, Sie mögen mich darum tadeln, aber ich kann sie nicht gut heißen. Etwas Egoismus ist jeder Creatur nothwendig, oder sie hört auf zu existiren. Selbsterhaltungstrieb und einige vernünftige Überlegung wären Sie auch Ihren Leibeigenen einzuimpfen ihnen und sich selbst schuldig.« Die Fürstin warf ihm einen dankbaren Blick zu. Es giebt Momente, wo ein Kluger von einer groben, handgreiflichen Lüge angenehmer berührt ist, als von einer feinen, die wie ein lauer Abendwind sich als Wahrheit in sein Herz zu schmeicheln sucht. Ihr zweiter Blick war auf die Andern gerichtet; aber sie waren schon verschwunden. Es war ihr lieb: »Adelheid darf nichts davon erfahren,« sprach sie, zum Haushofmeister sich umwendend. »Sie sind nun ganz d'accord, wie Sie es wünschen?« warf der Legationsrath hin. – »Heut im Thiergarten scheint die letzte Scheidewand gefallen.« – »Welche?« – »Die Affektion für ihren Lehrer. Sie haben Recht, Wandel, es giebt auch Excesse einer geistigen Leibeigenschaft.« – »Ich hielt diese fürüberwunden seit jenem Abend.« – »Das Bekenntniß der Liebe stöhnte noch immer unter den Fußklammern des Gewissens. Was der Mensch sich selbst quälen kann! Sie hat ihm bekannt, wen sie um seinetwillen geopfert, das hat einige Thränen, Schluchzen, platonische Herzschläge verursacht, denn die Rivalen waren Freunde, aber sie sind auf gutem Wege.« Des Haushofmeisters Verbeugung war eine Frage, welche die Fürstin verstand. »Wollen Sie mit mir – den guten Paulowitsch sehen?« fragte die Fürstin den Legationsrath. Wandel schien ungewiß, welche Antwort sie erwartete: »Man hat es der Geheimräthin Lupinus verdacht, daß sie die Leiche ihres Dieners wie die eines Familiengliedes pflegte und schmückte. Es ist hierorts nicht Sitte.« – »Man muß sich in die des Ortes fügen,« sagte befriedigt und laut die Fürstin, und richtete den Blick nach oben. »Ich werde den treuen Paulowitsch noch oft sehen. Den irdischen Qualen enthoben, schwebt sein verklärter Geist in die Räume des Lichtes. Ob es da Hohe und Niedere, ob Herren und Leibeigene giebt, ob wir Alle wie Atome in der Seligkeit verschmelzen, die nichts Gesondertes duldet, alle Accorde in dem großen Hallelujah, Glockentöne in der ewigen Harmonie!« Sie sprach es, sich selbst anregend, mit silberreiner Stimme. Aus dem andern Zimmer respondirte das Klavier, in Phantasien, die der Stimmung entsprachen; ein ernster Grundton, wie das Wogen des Meeres, aber wie Schaumwellen sprühte die Freude dann und wann auf. Es war Adelheid. Wandel hatte, um der Stimmung auch zu entsprechen, die Hände vor sich gefaltet. Als die Fürstin es bemerkte, trat sie an ihn und riß seinen Arm zurück: »Das sollen Sie nicht. Sie können gehen.« Er schien einen andern Befehl erwartet zu haben, aber mit einer spitzen Stimme wiederholte sie: »Gute Nacht, Herr von Wandel, ich will im Thomas a Kempis lesen. Die Lektüre interessirt Sie nicht.« Als der Legationsrath langsam die Hintertreppe hinunter über den Hof ging, sah er auf dem Balkon, der nach dem Garten führte, Louis Bovillard auf einer Bank ruhend. Unter Myrthen- und Orangestöcken schien er, den Kopf im Arme, auf die Töne im Zimmer zu lauschen. Oder auch nicht. Als der helle Mondenstrahl, hinter einer Wolke vorkommend, auf sein Gesicht fiel, wäre der Beobachter vor dem finstern Ausdruck erschrocken, wenn es in Wandels Art gelegen hätte, zu erschrecken. In den einsamen Gängen des Thiergartens erst hatte Louis erfahren, wem er sein Schönstes geraubt. Es war eine Gewitterwolke am klaren Horizonte; aber der dunkle Schatten, der auf seine Stirn fiel, zeigte die Gegend ringsum nur um so lachender. Welche Bekenntnisse entlockte er der Geliebten! Darum ihre Kälte, Scheu; und nun hatte ein Wort sie frei gegeben, Alles gelöst, sie wollte ihm Alles geben, was sie so lange ihm vorenthalten. Und was hatte er denn dem Freunde geraubt? Sein Schönstes, ja, aber nicht sein Alles. Hatte nicht Adelheid gestern einen Brief empfangen von Walter, einen freundlich heitern, eine Urkunde war es, worin er das ihm anvertraute köstliche Gut, wie er es nannte, der Eigenthümerin zur freien Disposition zurückstellte. Mit welchem Scharfsinn hatte er auseinandergesetzt, daß er nie ein Recht darauf gehabt, daß es höchste Undankbarkeit sei, was die Dankbarkeit im überströmenden Gefühl des Augenblicks auf den Altar legt, als verfallen anzunehmen, als unwiderrufliches Eigenthum. Hatte er nicht klar auseinandergesetzt, daß er nicht die Eigenschaften besitze, um Adelheid so glücklich zu machen, wie sie verdiene, dahin, in die glänzenden Höhen sie zu führen, wozu ihre Schönheit, Natur, die sichtliche Fügung des Himmels sie bestimmt. Er sei ein stiller, sinnender Mann, sie berufen zu glänzen. Sein Verdienst wäre vielleicht, daß dieser Glanz ein echter werden müsse, daß er sie gehütet vor dem Flitter und Schimmer, daß er die Hochgefühle einer deutschen Jungfrau in ihr geweckt; dar auf sei er stolz; aber hatte er sich nicht zugleich angeklagt, daß er diese Überzeugung, gewaltsam unterdrückt, daß er so lange sich getäuscht, daß er, schon mit dem Bewusstsein, wie ihre Liebe nur Achtung sei, ein Pflichtopfer, sich fort und fort getäuscht, es könnten doch andere Gefühle für ihn zum Durchbruch kommen, und daß nicht ein freies Opfer von seiner Seite, sondern erst ein Zufall, ein Impuls des Momentes, die lange Kette des Truges gesprengt habe? Und hatte er nicht endlich versichert, auch er fühle sich jetzt frei, glücklich, sie dürfe um ihn nicht sorgen, denn er sei nun zurückgegeben der heiligen, ernsten, höchsten Pflicht des Mannes, ganz seinem Vaterland zu leben. Mit Begeisterung hatte Adelheid den Brief vorgelesen, dort auf der unter Brombeeren und Hagebutten versteckten Birkenbank, während der Wagen der Fürstin auf der Chaussee langsam auf und ab rollte. »Nun bist Du doch zufrieden,« hatte sie gesprochen, und mit der Hand die Falten aus seiner Stirn geglättet. Er hatte geschwiegen, und seine Zufriedenheit in einem Kuß auf ihren Arm gehaucht. – Jetzt fuhr sie wieder mit der Hand über seine Stirn: »Kalt und feucht! Die Abendlust könnte Dir schaden!« Die Nachtvögel zeigten ihnen den Weg. Sie flatterten, an die hellen Scheiben der Glasthür die Köpfe stoßend. Trüb brannte das Licht im kleinen Gartenzimmer. Sie hatten sich noch so viel ohne Zeugen zu sagen. Es war still im Hause, nur aus dem Souterrain tönte dumpfes Geflüster der Leute, die Fürstin saß in ihrem Armstuhl und hörte über den Thomas a Kempis nicht, wie Adelheid durch die Thür blickte. Aber als sie zurückkehrte, hörte auch Louis nicht ihr Kommen. In sich zusammengesunken, saß er auf dem kleinen Kanapé. Es war nicht die Erwartung, von der der Dichter gesungen. Erst ihr Arm, der sich sanft um seinen Nacken schlang, erweckte ihn. »Noch immer – Walter! Ist das recht!« sprach sie. »Der ist glücklich!« seufzte Louis. »Glücklich!« Sie blickte ihn vorwurfsvoll an. – »Ist's die Lerche nicht, die in den Morgennebeln nach der Sonne steigt. Ist's der Träumer nicht, der die ganze Menschheit an die Brust schließen möchte! Ich möchte sie lieber erwürgen!« – »Sprich nicht so. Das ist der Nest Deiner Krankheit.« »Vielleicht ein anderer Nest!« – Er blickte starr vor sich nieder. »Bin ich nicht ein Feuerbrand, bestimmt, was er anrührt, zu zerstören! Sie hatten's mir verhehlt, aber ich erfuhr es: als ich geboren ward, hab' ich meine Mutter umgebracht. Der Zerstörungstrieb war die Mitgift an meiner Wiege, und hat sie nicht in meinem Leben lustig gewuchert! Meinen Vater – doch davon still. Ich ward ein wüster Mensch auf der Universität, nicht so ganz schlecht als Andere, aber indem ich gegen die Schlechten losging, ward ich ein Störenfried unter den Guten. Die Guten sagen, um das Leben gut zu machen, muß man sich vertragen lernen, auch mit den Schlechten. Ich habe es nie gelernt. – Ich habe in's Leben gerast. Ich wollte Niemand vernichten, und wie Viele habe ich zertreten. Kennst Du denn mein Leben, Adelheid? Soll ich das Alles herausziehen aus dem Sumpfe, denn zwischen uns muß Wahrheit sein. Wie sie mich aus den Häusern gestoßen, auf der Straße mir auswichen, mit den Fingern auf mich gezeigt, bis –« »Bis Du Dich selbst aufrafftest!« »Nein, bis ich auch Dich ins Verderben riß – damals – bis ich auch den einzigen, den treuesten, wahrsten Freund nun um sein Heiligthum betrügen muß. Was ich berühre, opfere ich. Soll ich es hinnehmen, wie die Götter der Alten an dem rauchenden Blut der ihnen geschlachteten Menschen sich weideten! Was ist's denn in mir, frage ich, dies düster glühende Auge, das Zucken meiner Lippen, der nie gestillte Durst meiner Seele, daß mir das Beste, Köstlichste aufbewahrt ist! – Nun ich siech bin, trostlos hinter mir, trostlos vor mir, willst Du blühendes, junges, reines Leben Dich an den morschen Stamm ranken, ich soll, muß Dich zerstören, weil Du mein bist. – Ja, Walter hat Recht, nicht für ihn, aber Du bist auch nicht für mich.« »Für wen denn?« sprach sie, und der Ernst, der aus Louis' Worten hauchte, schien plötzlich auf sie übergegangen. Aber Louis' Ernst war ein düsterer, ihre Worte waren ein sonorer Metallklang. Er hatte es nicht gesehen, wie sie in krampfhafter Erschütterung den Arm von seiner Schulter zurückgezogen hatte, und das Gesicht mit beiden Händen bedeckte. So setzte sie sich in die andere Ecke des Sopha's, und eine Pause trat ein. »Weinst Du? Habe ich Dich gekränkt, Adelheid?« »Ich weine nicht,« sagte sie im selben Tone, »und Du kannst mich nicht beleidigen. Ich dachte nur über mein Schicksal nach, und – bei Deinen Worten brach es heraus, ach, von so lange her! Louis, das Schicksal schleudert mich ja in Deine Arme. Was würde ich denn, was bin ich? O, mein Gott, es ist schrecklich, wenn die Binde so mit einem Mal von den Augen fällt!« – »Du bist die gefeierte –« »Puppe von – ich weiß nicht wie Vielen. War ich denn nicht herausgerissen auch dem Schooß meiner Familie, dem Glück, der Bildung, für die ich geboren war, haben sie nicht Alle an mir gearbeitet, mich zu erziehen, der Eine so, der Andere so, um aus mir zu machen, was ich nicht war, um mich zuzustutzen zu etwas, sie wussten selbst nicht, was, aber ihr Ziel haben sie Alle erreicht, die vielen Künstler, ich bin wie der Vogel, den man aus dem Neste nahm und buntes Gefieder ihm anklebte. Die, denen das Gefieder gehört, erkennen ihn doch nicht an, sie spotten still über den Eindringling, aber zu den Seinen darf er auch nicht zurück. Er gehört da nicht mehr hin.« »Welche Phantasieen, meine Adelheid!« »Ich sehe nur zu klar, und nur zu lange ließ ich mich von der süßen, eitlen Gewohnheit einschläfern, daß ich die Augen nicht aufschlug, daß ich die Stimme nicht hörte, die im Innern immer deutlicher rief. Jenes abscheuliche Weib – o sie war noch die Beste, sie wollte mich nur einfach verderben; da war ich unschuldig: wie der Vogel, der aus dem Neste flattert, fiel ich in das Netz, das sie ausgespannt. Aber die Andere, o, mein Geliebter, ich fühle das Gift, das sie in meine Adern spritzte, es schleicht noch jetzt, es zehrt noch.« – »Die Geheimräthin wollte Dir wohl!« – »Sie will, sie kann Niemand wohl wollen, glaube es mir, Louis. Sie hat kein Herz; darum wird ihr unwohl, wo ein Herz warm schlägt. Ich las von einem Gespensterthier, das Nachts sich auf die Schlafenden legt und das Blut ihnen aussaugt. Sie saugt auch das Blut aus, mit ihren spitzen Reden, ihren spitzen Blicken. Ich wäre schlecht geworden, Louis, das fühle ich, ich ward schon eine Andere, wie ein in Eis getauchtes Tuch warf sie's um die Brust, wenn edlere Empfindungen aufzuckten.« »Was wollte sie mit Dir?« – »Martern will sie, sie muß martern, was glücklicher ist. Sie konnte den Kanarienvogel quälen, wenn er zu lustig schmetterte; sie beneidete das arme Thier im Käfig, sie marterte ihre Domestiken, ihren Mann, sich selbst auch, wenn sie sich ertappte, daß sie lebhafter gewesen, als sie scheinen wollte. O, Liebster, es ist entsetzlich, wenn ich daran denke, ein Traum, und mich schaudert, er ist vielleicht noch gräßlicher, als ich zu träumen wagte!« – »Und alle Welt bewundert sie.« – »Die Welt hat Recht. Diese Frau und dieser Mann dazu –« »Welcher?« – »Der Legationsrath. – Sie sind Beide – hohl, verrathe mich nicht, Louis, ausgehöhlte Gespenster. Sie habe« alles menschliche Gefühl aus sich gesogen, gepresst. – »›Man muß die Empfindungen und Regungen, die uns stören, aus sich heraus destilliren‹, hörte ich ihn einmal sagen, und das haben sie, sie haben daraus präparirt die schöne Glätte, den glänzenden Firniß, den die Welt bewundert.« – »Mein Gott, woher kam Dir die Erkenntniß?« – »Weiß ich's? Sie hielten mich für das Schooßkind, das man ausputzt, in den Armen schaukelt, mit Glanz und Süßigkeiten nährt, von dem man alles Unangenehme fern hält, auch die Gedanken – und die Gedanken kamen doch, von selbst – ich war unaussprechich unglücklich!« – »Dich mißhandelt?« Sie nickte: »Es waren unsichtbare, feine Geißelschläge, die Luft fühlte sie kaum. Wie ein feiner, ätzender Staub auf die Lunge geworfen.« – »Und Du musstest es dulden?« – »Wie schließt man das Auge vor dem Zucken des Blitzes, das blaue Licht schießt durch die geschlossenen Lider. – Ich musste es dulden, ohne ihr entfliehen zu können, und es war mir auch nicht erlaubt zu klagen. Und ich musste immer lügen – lügen von unermesslicher Dankbarkeil; wenn ich es nicht ausgehalten, wäre ja das Urtheil der Welt über mich zusammengebrochen –« Er warf, die Hände faltend, sein Gesicht in ihren Schooß: »Und daran war ich schuld!« – »Nein, klage Dich nicht an. Es war eine Kette von Bestimmungen. Aber untergegangen wäre ich in der Lüge, das fühle ich. Je größer sie ward, so kälter schlug's mir ans Herz.« – »Gott sei Dank, eine Frau, die warm fühlt, nahm Dich zu sich.« Adelheid war aufgestanden. Sie schüttelte den Kopf. Eine hohe Röthe überzog ihr Gesicht, als sie sich zu ihm umwandte, die Hände sanft auf seine Schultern legte und seine Augen küsste: »Laß uns davon nicht sprechen, Liebster.« – »Du zweifelst an der Güte der Fürstin?« – »Meine Augen wurden geöffnet, wunderbar klar liegt es vor mir; Blicke, um die mich Niemand beneiden darf. Das ist die entsetzliche Schule der Lupinus. Nein, mein Geliebter, laß uns davon schweigen.« – »Auch hier nicht glücklich?« – »Ich werde glücklich, denn ich werde wieder ich selbst.« Er blickte sie fragend an. »Bin ich denn mehr, als ich dort war! Da wollte man den seltenen Vogel in ein Bauer sperren, dort flatterte ich an einer unsichtbaren Kette, hier lässt man mich frei fliegen, weil man weiß, ich kann nicht entfliehen. Ich habe ja kein Haus, wohin.« Eine Leibeigene bin ich, nicht anders als die da unten auf den Bänken schlafen müssen. Jeden braucht man, wozu er gut ist, und so lange er dazu gut ist. Mich staffirt man aus mit allem Glanze, so lange es sich lohnt. Wenn ich nicht mehr hübsch bin, nicht singen, Musik machen, nicht mehr tanzen kann, nicht mehr muntere Antworten gebe, nicht mehr die Herzen entzücke, dann wirst man mich fort, wie jedes andere unnütze Werkzeug. Sie hat so wenig ein Herz für mich, als die Lupinus. Und die Andern! Sehe ich denn nicht, wie man mich abschätzt? Gehöre ich zu diesen Erwählten? Fühle ich nicht unter ihren Komplimenten und schmeichelnden Reden heraus, was ich ihnen bin, was ich ihnen wäre ohne den geliehenen Lustre? Rümpfen diese vornehmen Damen nicht die Nase, wenn ihre Töchter mich einladen, mich mit ihren Freundschaftsversicherungen überschütten? Zittern die Mütter nicht, wenn die Söhne mir zu viel Aufmerksamkeit erwiesen? Nahte sich mir denn mit ernster Absicht in der langen Zeit nur ein edler Mann aus diesen Kreisen? Herr von Fuchsius ist ehrlich genug: er trat bald zurück, weil ich kein Vermögen besitze. Die Andern sagten es nicht, aber ich lese ihre Gedanken. Mitten im Zauberwirbel der Geselligkeit, der Pracht und rauschenden Lust, bin ich eine Fremde, mitten in den Schaaren, die mich umdrängen, eine Gemiedene. »Wer wird sie denn nehmen!« hörte ich eine vornehme Dame zu einer andern flüstern, nachdem sie nachher nicht Worte genug gefunden, mir Schönes zu sagen. »Sie ist doch nur eine Gesellschafterin,« erwiderte die Andre; »ein vornehmer Lockvogel.« – »Dann kommt zuletzt doch noch Einer, der erste Beste,« setzte die Andere tröstend hinzu. »Und unter der Haube ist unter der Haube.« »Warum hört Adelheid auf das Geschnatter!« »Weil ich es hinter ihrem geschlossenen Munde lesen würde. Ja, ich bin eine Gebrandmarkte – erschrick nicht, Louis, vor dem Wort, es ist nicht so übel, es sind viel bessere als ich, ich könnte zuweilen sogar stolz darauf sein. So stolz, daß ich auch meines Gleichen suche. Brauchst Du noch Beruhigung um Deinen Freund, so wisse, ich hätte jetzt Waltern nicht mehr die Hand gereicht. Er war mein Mentor, mein Schutzengel, er hob mich, ihm danke ich, daß ich nicht unterging in dem Sumpfe; aber nun steht er mir auch so hoch da, daß ich den stillen, reinen Strom seines Lebens durch meine Berührung nicht trüben, nicht stören darf und will. – Du bist mein Retter. Wir haben uns nichts vorzuwerfen, wir sind beide Fremde, Mißverstandene, Gemiedene, Ausgestoßene, und unsere Herzen schlagen zu einander. Das hinter uns lassen wir ruhen, und blicken – wir flüchten Beide – in eine bessere Zukunft.« »Wie Du selbstquälerisch Dich erniedrigst,« sprach er, ihre Hand an sein Herz drückend. »Wenn der gerechte Richter die Wage hält, ist die Schwere Deiner Schuld wie die Flaumfeder, die in der Luft sich wiegt.« »Die Welt ist kein gerechter Richter; sie wägt auch nicht die Schuld, sie wägt nur die Verhältnisse ab. Auch der gerechte Richter fragt, was ich bin, nicht was ich hätte sein können. Was bin ich denn! Nicht hier, nicht dort eine Wahrheit! Ein halbes Kind, herausgerissen aus dem elterlichen Hause, lernte ich tänzeln, ehe ich gehen konnte, Komödie musste ich spielen, ehe ich von dem etwas wusste, was ich spielen sollte. Ehe ich eigen gedacht, empfunden, gelebt, lernte ich reflektiren. Die schlichte Bürgerstochter, plötzlich gestoßen in Kreise der ersten Geister und der vornehmen blasirten Menschen, musste ich Angelerntes hersagen. Louis, erschrickst Du nicht, wie ich rede! Ist das die natürliche Sprache eines zwanzigjährigen Mädchens? Soll, darf sie reflektiren, wie ein Mann, der die Lebensschule durchgemacht hat! Ich erschrecke oft vor mir selbst; ich schaudere, wenn ich in den Spiegel sehe. So haben sie mich herausgeschraubt zu einem unnatürlichen Dasein. Ich frage mich oft in Stunden der Verzweiflung: kann mich wer so lieben? wer sich mir so vertrauensvoll hingeben? Statt eines kindlichen Mädchens eine, die die Schlechtigkeit der Menschen im tiefsten Grunde kennen gelernt –« »Aber unberührt von ihr blieb. Deine schöne Natur hat gesiegt.« Sie strich ihm die Locken aus der Stirn: »Sei ehrlich! Wäre es Dir nicht lieber, wenn ich ein Kind wäre, das arglos, neckisch, vertrauensvoll sich in Deine Arme würfe? So zerdrücke ich oft eine stille Thräne, wenn ich im Hause bin, wo ich nicht mehr zu Hause bin, wenn die jüngern Schwestern mich mit neugierigen Fragen bestürmen, über die ich lächeln muß. Wäre ich wieder so! ruft es, aber ich möchte doch wieder nicht so sein, ich könnte nicht wieder so sein, – es ist eine Kluft gerissen, und ich gehöre hierhin, nicht dorthin. Das ist der Fluch –« »Nicht Deiner Schuld.« Sie blickte sinnend vor sich hin und schüttelte langsam den Kopf: »Wenn mein Herz blutete und springen wollte unter der schillernden Maske, log ich nicht, indem ich nicht aus der Rolle fiel? Mischte sich nicht da etwas Falschheit unwillkürlich in mein Denken und Thun? Ich log mir Entschuldigungsgründe vor. Die Phantasie ist unerschöpflich. Ich log mir vor die Vortrefflichkeit meiner zweiten Mutter, der Gesellschaft, der Welt, bis es nicht mehr ging, bis das Bewusstsein herausplatzte. Schon da an dem schrecklichen Orte! Dein Blick hatte mich verwundet, aber die Wunde that nicht weh. Hatte sich Dein Gesicht mir nicht eingeprägt! Es durchschauerte mich mit Angst, als Du mich verfolgtest, aber es war eine bange, süße Angst, bis an jenem Abend, wo Du –« »Da schon! Entzückendes Bekenntniß!« Sie nickte, die Hände vorm Gesicht. »Ja, da schon, wie ich Dich mit kaltem Mitleid von mir stieß, Dir verzieh unter der Bedingung, daß Du mich nicht wieder sähest, als ich Dir sagte, ich könne Dich nie lieben, es war schon eine Lüge. Ich presste das Feuer mit aller Gewalt in die Brust zurück. Ich log mir vor, daß es nur Mitleid, daß ich Dich verabscheue, und ich log weiter. Es war die Angst vor Dir, vor mir selbst, ich wollte mich retten aus dem Strudel, aus dem Haus, Selbstsucht war's, als ich an Walters Brust bekannte; ja es war Liebe, aber nicht ihr Sonnenschein, ein süßes Mondenlicht, die Liebe der Achtung, der Dankbarkeit, der Bewunderung. Jahre sind über diese Lüge hingegangen, sie machte mich bitter, unzufrieden, ich musste mich selbst verachten, und – ist das keine entsetzliche Schuld, daß ich zwei Jahr das Lebensglück des edelsten Mannes erschüttern musste? – Schuld gegen Schuld, Geliebter, wir haben Beide zu büßen und gut zu machen. Einer muß sich am Andern stützen, aufrichten, – Einer dem Andern Muth zusprechen. Das Leben hinter uns begraben und wir fangen Beide ein neues an.« Von der düster brennenden Kerze war ein verglimmendes Dochtstück nach dem andern gefallen; hier ohne Schaden auf die Marmorplatte des Tisches. Auch war es nicht dunkel im Zimmer, der Mond und das dämmernde Morgenlicht erhellten es. »Das Licht ist mein Vaterland!« murmelte Louis, in das Licht starrend. Adelheid fühlte wunderbare Kraft; er schien zerknickt. Mit wie leuchtenden Blicken er auch ihren Reden zugehört, das Leuchten verschwand allmälig, das Auge ward matt, ein wehmüthiges Lächeln spielte um seinen Mund, und die Augenwimpern senkten sich wie die eines Einschlummernden. Und sie hatte doch, eine begeisterte Prophetin, gesprochen. Den Weg zum neuen Leben hatte sie ihm gezeigt – es gab nur einen – das Vaterland. Und das eine Vaterland war ein größeres geworden. Es war nicht heut erst der Gegenstand ihres Gesprächs. Warum hatte Louis immer durch ein stilles Nicken, was eben so gut dem schönen Munde und den schönen Worten galt, geantwortet? Er seufzte tief auf: »Wo ist denn Deutschland?« »Ich spreche nicht von dem Traum hinter uns, Lieber,« sagte sie lächelnd, »nicht vom Kyffhäuser und der Kaiserherrlichkeit. Du moquirst Dich darüber. Das deutsche Vaterland liegt vor uns –« »Das Walter Dir malte,« unterbrach er. – »Walter und Hunderte und Tausende unserer Edelsten!« – »Was in der eigenen Brust des Schwärmers lebt, überträgt er auf die Millionen Kreaturen, in denen nichts lebt, als der Gedanke, wie sie morgen satt werden.« – »Als wüsste ich nicht, wie Du voriges Jahr in edler Begeisterung selbst Deinen Vater aufwecktest!« – »Damals! Seitdem – Gieb die Hoffnung auf. – Dies Volk erwacht nicht wieder, es ist kein Volk. – Deutschland ist ein Traum der Dichter!« – »Und eben floß Palms Blut dafür. Es raucht zum Himmel.« – »Und ist übermorgen vergessen.« – »Ueberall knirscht die verhaltene Entrüstung. Greise, Knaben, schwache Frauen, kannst Du ihre Stimmen verleugnen, die Thränen der Wuth, die am stillen Herde geweint werden!« »Es lebt nur Einer,« rief er aufstehend – »er, der Gigant, vor dem diese Misere daliegt, wie das Blachfeld vom höchsten Thurm gesehen. Er wird ihr Wohlthäter werden, nicht wie unsere Philanthropen faseln, nicht weil er sie erheben, verständiger, besser, glücklich machen, weil er die Qual ihres Daseins enden wird. Wer, die nicht glauben können, schnell sterben lässt, ist ihr Wohlthäter. Sein Siegeswagen mit schnaubenden Rossen wird über die Staaten und Throne rasseln, und die zerbrochenen Szepter liegen wie Spreu an den Landstraßen. Was bauten sie die Throne nicht fester, warum stahlen sie der Sonne den Schein, um ihre Kronen zu vergolden! Beim feuchten Herbstwinde kommt das schlechte Metall zum Vorschein. Warum brauchten sie die Stäbe nicht als weise Richter, warum als Korporalstöcke! Warum ward die Weisheit schimmlig, die Kraft stockig? Ihnen geschieht Recht und den Völkern. Zum Kehraus wird geblasen, mit Posaunen, Pauken und Kanonen. Er ist der Mann dazu, seine Seele Stahl. Die Weichherzigen, die Gemüthlichen haben ausgespielt; die Menschheitsthränen sind in den Sumpf gefallen, aus dem kein reiner Bach mehr entspringt; es muß wettern, blitzen, donnern, daß das Unterste sich zu oberst kehrt. Meine Seele jauchzt, ein Weltgericht ist im Anzug und das neue Evangelium in Blut und Brand getauft.« Adelheid erschrak nicht, es zückte ein Freudenstrahl in ihrem Auge. Das war ja das Schütteln eines Fiebers. Louis zitterte, indem er den Rock vor der Morgenluft sich zuknöpfte; aber ein hitziges Fieber bringt eine Krisis hervor, das schleichende nur ist ohne Hoffnung. Stahl war noch in dieser Seele. »Du bist für ihn begeistert?« sprach sie rasch. »Du bist ein freier Mann,« fuhr sie fort, als er schwieg. »Senke nicht den Blick, ich erschrecke nicht darüber, ich freue mich, daß Du begeistert bist. Louis Bovillard, ist das französische Blut in Dir erwacht? Du begehst dann kein Verbrechen, wenn Du das erworbene Land Deiner Väter abstreifst, wo Dich nichts mehr fesselt. Du kehrst zurück in das Land Deiner Vorfahren. Siehst Du da nur Leben, Rettung, für einen großen Gedanken, für Dich, o so zaudere nicht, aber offen, ehrlich, kehre dahin zurück, zu ihm, den Du für einen Heros und Heiland hältst, schlürfe den Feuerathem ein aus seiner mächtigen Brust, diene ihm, wie Du willst, Du wirst in jeder Gestalt willkommen sein, und lebe auf als Mann.« – Er schwieg noch immer. – »Dein Vater hat es Dir ja leicht gemacht. Er hat seine französischen Erinnerungen wieder ans Licht gezogen, so etwas gefällt jetzt an Napoleons Hof.« Er schwieg noch immer, dann brach es heraus: »Ich kann ihn aber nicht lieben.« »Aber, Louis, Du bist ein Mann. Ein Mann muß lieben oder hassen; in wetterschweren Zeiten darf er nicht die Hände in den Schooß legen, abwarten, was kommt. Mein innig Geliebter, Du darfst nicht unter die Alltagsmenschen versinken. Dein edles Selbst darf nicht untergehen in dem Schwarm, den Du verachtest; nein, aufrichten sollst Du Dich, stärken am Anblick der Jämmerlichen, deren Unentschiedenheit das Elend über uns gebracht. Du musst Dich entscheiden; hast Du gewählt, o, dann wird der Funke wieder sprühen, er wird Dich drängen zum Handeln. Wo Du wählst, ich folge Dir.« Er hielt seine Hand auf ihre Stirn: »Wäre ich Sachse gewesen, und hätte den großen Karl bewundert, ich glaube doch nicht, daß ich gegen mein Volk streiten könnte.« Ihr Auge blickte ihn freudig an. »In dieser Luft bin ich, sind meine Väter geboren, in diesen Sitten, Gewohnheiten sogen sie das Leben ein, zeugten ihre Kinder. Wir erwarben ein Vaterland, und es hat uns erworben. Ich hätte in den Reihen der Sachsen gestritten, Adelheid, auch wenn ich gewusst, daß Karl sie zertreten musste.« Sie hatte gesiegt, er war wieder gewonnen, doppelt gewonnen. Es waren Momente der Seligkeit, die Feder und Farbe umsonst zu malen versuchen. Die Morgenluft wehte schon frisch ins Zimmer, als sie die Balkonthür öffneten, die ersten Vögel erhoben ihre zwitschernden Stimmen in den dunkeln Gebüschen und ein röthlicher Streifen färbte den östlichen Horizont. Im Himmel und in den Büschen war noch Poesie. Adelheid führte ihren Freund auf dem Wege, den vorhin Wandel genommen, durch das Souterrain nach der Hofpforte. Als sie die steinerne Wendeltreppe hinab waren, kam ihnen Lichtschein entgegen. In der Mitte des Flurs lag eine Leiche, die Diener hatten Kerzen darum angezündet. Sie starrten zurück. »Eine Leiche!« Adelheid unterdrückte einen Schrei. In dem Augenblick ward ihr Name oben von der Fürstin gerufen. »Wir müssen scheiden!« – »Bei einer Leiche! Das ist ein böses Omen, Adelheid.« – »Ein gutes!« rief sie an seinem Halse. »Auch der Tod soll uns nicht erschrecken, auch der Tod nicht trennen!« Die Fürstin war sehr blaß. Mit gläsernen, durchwachten Augen starrte sie das junge Mädchen an, aber nicht verwundert, sie noch wach zu finden. Sie fragte auch nicht woher sie komme. Es war eine innere Bewegung, als sie Adelheid an sich drückte und sie bat, bei ihr zu wachen, oder auf dem Sopha zu schlafen. Sie hatte gelesen, das Buch war ihr entfallen, und sie hatte böse Träume gehabt, oder Visionen, wie sie sagte. Man sah, sie fürchtete sich in der unheimlichen Einsamkeit des grauenden Morgens. Adelheid wollte die Kammerfrau wecken. Die Fürstin schüttelte den Kopf: »Thun Sie es diesmal selbst mir zu Liebe.« Sie zitterte heftig, als Adelheid sie entkleidete; sie hatte nie die Fürstin zittern gesehen. Auch war sie seit lange nicht so zärtlich gewesen. Als sie ihr zum Schlafengehen die Hand drückte, sprach sie: » A propos, ich vergaß Ihnen zu sagen, die Königin hat sich wieder durch die Voß nach Ihnen erkundigen lassen. Bereiten Sie sich vor, bei nächster passender Gelegenheit werde ich Sie der Majestät vorstellen. Sie werden ihr sehr gefallen.« Die aufsteigende Sonne konnte nicht durch die schweren Jalousieläden in das dunkle Zimmer dringen, sonst hätte sie auf dem Sopha ein sehr frohes Gesicht gesehen. Das Lächeln blieb, als Adelheid einschlief. Sie hatte sich bis heut vor der angekündigten und immer wieder aufgeschobenen Vorstellung vor der Königin gescheut. Heut träumte sie, daß Engel sie zu ihr führten. Als Louis Bovillard in sein Zimmer trat, goß die Tageskönigin ihr erstes Roth durch das Fenster. Alle Gegenstände waren purpurn, am leuchtendsten aber sein Gesicht, als er in dem Goldschein Walters Brief las und überlas. Er mochte zuerst glauben, es sei ein Traum. – Er zerdrückte eine Thräne, die sich über die Wimpern schleichen wollte, riß das Fenster auf, schlürfte die wonnige Morgenluft ein und warf sich dann lächelnd aufs Sopha. Es war am späten Vormittag, als er erwachte, aber sein Gesicht lächelte noch immer. 72. Kapitel. Verfallene Wechsel Zweiundsiebenzigstes Kapitel. Verfallene Wechsel. Wer nicht beobachtet sein will, verhängt seine Fenster. Wer Geheimes schafft, verstopft auch die Schlüssellöcher. Das weiß ein Dummkopf, aber den Klügsten, welche den Luftzug berechneten, der durch ein Mauseloch dringen mag, passirt wohl, daß sie vergaßen, den Schlüssel in der Thür umzudrehen. – Weise sagen, wenn den Klugen das nicht zuweilen passirte, wär's in der Welt nicht auszuhalten; die Affekte, die sie unbesonnen handeln lassen, seien das Salz, welches das Leben vor der Fäulniß schützt. Behaupten doch noch Weisere: wenn alle Menschen verständig wären und Charakter hätten, müsse die Welt vor lauter Reibung in Flammen aufgehen. Der Legationsrath von Wandel wollte heute gewiß nicht beobachtet sein. Er war in seinem Laboratorium, eine kleine alte Küche nach dem Hofe hinaus, die, unbenutzt zum gewöhnlichen Gebrauch, an seine Zimmer stieß. Es war kaum nöthig gewesen, die Fenster mit Matten zu behängen; durch ihre, alle Farben schillernden, mit Staub und Spinneweben umzogenen Scheiben wäre kein Blick gedrungen. Hier durfte kein Diener Ordnung schaffen, keine Aufwärterin den Staub wegkehren. Es ward Niemand eingelassen, außer bei besonderen Gelegenheiten der Assessor und Apotheker Flittner, der Geheimrath Hermbstädt und andere bekannte Chemiker. Aber dann hatte die Küche ein etwas verändertes Ansehen. Um irgend ein glänzendes Experiment zu zeigen, waren Töpfe, Tiegel fortgestellt, es war der übrige Apparat mehr theatralisch geordnet. Auch wurden ein Gerippe, und zwei Frauenbilder, die an der Wand hingen, beseitigt. Wahrscheinlich saß auch der Legationsrath nicht ganz in dem Kostüm wie heute vor der Retorte – in Hemdsärmeln, weiten Unterbeinkleidern, um den Kopf einen turbanartigen Bund gewickelt, auf der Nase eine große Brille mit Ohrenklappen, und mit einem seidenen Halstuch, das über die Lippen und halb über die Ohren ging. In dem einen Tiegel kochte ein Stoff. Er schob das Tuch höher und drückte den Turban tiefer in die Stirn, wenn er mit einem Spahn darin rührte, und neue Ingredienzien hinzuthat. Alsdann schien er dem Kräuseln des Rauches, der sich in den Schlot verlor, mit Aufmerksamkeit zu folgen. Das erste Experiment musste geglückt sein, das Residuum des Tiegels ward in eine Retorte gethan, und der Legationsrath sah dem Entwicklungsprozeß des Gases mit einem stillen Vergnügen zu. Darauf deutete wenigstens der halb verzogene Mund und der schlaue Blick des halb schielenden Auges, während er auf dem Schemel zurückgelehnt saß, ein Bein über dem andern wiegend. Sein Blick siel aber auch auf die beiden Frauenbilder. Wie er mit den Augen zwinkerte, schien er mit ihnen ein eigenthümliches Gespräch zu führen. Seine Lippen bewegten sich, er gestikulirte mit den Händen. Ein Diagnostiker hätte vielleicht bemerkt, daß ihm die Unterhaltung einige Anstrengung kostete. Wenn er noch schärfer sah, würde er aber auch bemerkt haben, daß es Wandels Absicht war, sich zu etwas zu zwingen, was ihm Pein verursachte. Es giebt eine Wollust, die auch den Schmerz aufsucht. Die beiden Bilder waren in Wasserfarben, beide schöne Frauengesichter. Die Aeltere, blaß und kränklich, hatte einen schmachtenden Blick; die jüngere Nußbraune schaute mit ihren funkelnden Augen kecker in die Welt hinein. Wandel schien sich lieber mit der Aelteren zu unterhalten, als einer genaueren Vertrauten. Wohl nickte er der Jüngeren und warf ihr eine Kußhand zu, aber es war, als ob er das Funkeln ihrer Augen nicht lange ertrug. Er schlug zuweilen seine Augen nieder. Beide waren unzweifelhaft Schwestern, dem wohlhabenden Stande angehörig, wie ihre reichen Kleider, nach der Mode der vergangenen Jahrzehnte, andeuteten. Seine Lippen flüsterten, Laute, freilich nur für die Geister, welche im Sonnenstrahl als Ständchen sich schaukelten, aber auch der Dichter darf sie hören: »Schöne Molly, warum ließest Du nicht den Vorwitz! Deine Kohlenaugen funkelten vielleicht noch, munterer als auf dem Bilde, und Dein Leib wäre so wonnig und voll, denn Du hattest Anlage zum Embonpoint, als Deine arme Schwester da täglich magerer und dürrer wird. Wenn ich nicht mit Draht hülfe, fiele sie auseinander. – Arme Angelika, Dir konnte ich nicht anders helfen. Hadre mit der Natur, daß sie Dir keinen besseren Brustkasten schuf. Du dankst mir auch, daß ich Deine Schmerzen schneller endete. Ja, ich weiß es, Angelika, wir sind Freunde geblieben – wenn die Wolke durch den Mond streift, und Du mir im Nebelgeriesel einen feuchten Kuß auf die Wange hauchst, es ist ein Kuß des Dankes und der Liebe. Ich versichere Dich auch, ich habe Dich geliebt. Du warst sanftmüthig, voller Ergebung, eine Schwärmerin freilich, aber klug genug, von einem Manne nicht mehr zu fordern, als er geben kann. Ein Mann hat viele Ausgaben, das sahest Du ein. Und darum Dein schönes Testament, das wahrhafte Zeichen einer schönen Seele, obgleich ich gestehen muß, daß ich es eigentlich diktirt. Um dieses Testamentes willen wirst Du mir ewig unvergesslich bleiben! Nein, ohne Spaß, das Andre seitdem ist alles Spaß, Du gabst Alles für mich auf, in Brüssel Deinen Mann, in Paris Dich selbst. Mit solcher Aufopferung, Entsagung, solchem Fanatismus hat mich Keine geliebt. Um deswillen versprach ich Dir, was Du in der Fieberhitze des Todtenbettes fordertest – das letzte heilige Gelöbniß, Dich auch im Tode nicht von mir zu lassen. Vernünftige Menschen würden es eine unsinnige Plackerei nennen! Ich habe Dich verstanden – nicht Dein Geist, das ist eben Alfanzerei! aber Deine Materie, was sich von Dir erhalten ließ, soll mich umschweben. Ein bescheidener Platz am Nagel. Nein, mehr. So hast Du meinen Muth geliebt, der sich nicht scheute, Dich schneller ausleben zu lassen, Du wolltest, daß ich an diesem Anblick die Nerven immer stähle, wenn sie schwach würden, immer mehr Herr über jene Empfindungen würde, die der Mensch sein Erbtheil nennt. Wenn Du Deine Augen aufschlagen könntest! Wie hat das Recipe gewirkt. Ich schüttle Deine Hand, klapperndes Gebein. Ich fürchte mich nicht vor Dir, vor nichts!« Und doch schienen seine Knie beim Niedersetzen nicht ganz so fest, als das Todtengerippe an der Wand noch hin und her rasselte, bis es die vorige Ruhe gewonnen. Er biß sich in die Lippen. Dann schlug er das Auge zum andern Bilde auf: »Die Schelmin! – Noch sehe ich Dich, Du allerliebstes Geschöpf, wie ich Dich am Schlüsselloch ertappte. War es denn Lüge, als ich Dir die Kehle zuhielt und den Mund mit Küssen erstickte. Ich liebte Dich ja, das war Wahrheit. Nur Dir zu Liebe hätte ich's! Was ging's Dich an, ob das auch Wahrheit war? – Du wardst glücklich, selig in meinen Armen. Die todte Schwester hinderte es so wenig, als die kranke es gehindert hatte. Sie wusste es, sie hat sehr viel gewusst, ehe sie starb, und mich darum nicht minder geliebt. Eine Närrin, Molly eine abscheuliche Thörin warst Du, Du hättest noch lange glücklich sein können, wer weiß wie lange! Denn Du hattest die Kunst, Dich zu konserviren, Du wärst witzig geblieben und hättest meinen Geist aufgefrischt – ich hätte es Dir wirklich nachgesehen. Aber Du bekamst Gewissensbisse – Thorheit, es war zu spät, meine liebe Molly; es war auch nur die Angst, daß es Dir wie Angelika erginge. Das wollte ich Dir verzeihen, liebes Mädchen, aber so dumm zu sein, daß Du es nicht bei Dir behieltest, daß Du es mir in einer schwachen Stunde vertrautest! Das war die größte Sünde, die der Mensch begeht, die Sünde gegen sich selbst, und Du musst gestehen, das verdiente schon die Strafe. Nachher ward der kleine Schelm pfiffig. Allen meinen Küssen, Seufzern widerstandest Du, Du wolltest kein Testament machen. Ich verdenke es Dir nicht. Es verlängerte Dein Leben, und mich zwang es zur Verschwendung. Musste ich nicht meine ganze Liebenswürdigkeit auf Dich ausschütten, musste ich nicht allen zarten Saiten meines Daseins süße Töne entlocken, um Dich nur zum Schweigen zu bewegen? Mein Kind, das hat mich viel Anstrengung gekostet, denn Du warst mir sehr gleichgültig geworden, und mir entging darum eine schöne Irländerin, auf die ich mein Aug' geworfen. Nachher schwiegst Du nicht – Du schriebst einen Brief – Du schriebst Dir selbst Dein Urtheil – darüber kannst Du nicht klagen. Aber ich –« Er verzog das Gesicht und ballte die Faust gegen das Bild: »Der Brief – den ich fand, ist zu Aschenstäubchen aufgelodert, aber es stand darin von einem andern Briefe, der meiner Wachsamkeit entschlüpft war – Molly! Molly! –« Sein Gesicht bekam einen furchtbar hässlichen Ausdruck; die Zähne fletschten zwischen den zurückgekniffenen Lippen wie die Hauer eines Ebers, die Augen sprühten das grünliche Feuer einer wilden Katze. Aber der Parorysmus der Wuth und Angst war schnell vorüber, die aschgraue Urnenruhe lagerte sich wieder auf dem gelben Gesichte, die Finger entklammerten sich. – »Possen! In einem Dutzend Jahren und nicht zum Vorschein gekommen! Feuer – Regengüsse – Feuchtigkeit – Staub und dünnes Briefpapier! – Lacht Ihr, daß ich mich zuweilen ängstigen kann! – Mes dames! was wollen Sie? Ich beweise Ihnen ja das vollste Vertrauen – Ja, Sie sehen Alles. Sie brauchen jetzt durch kein Schlüsselloch zu observiren, ich verhänge nicht einmal Ihr Gesicht. Was verlangen Sie mehr? Einige Galanterie? – Mes dames de Bruckerode, je vous assure, que tout ce que vous voyez n'est que moutarde après dîner, rien qu'un dessert maigre après un repas délicieux. – Wirklich, Angelika – das waren andere Zeiten, andere Genüsse, voller Empfindung, Sympathieen, Leidenschaften. Was ist es jetzt? Asche! Damals glühende Kohlen! Calculatorische Geschäfte! Wo sind Deine süß schmollenden Lippen, meine Molly? So etwas giebt es nicht mehr. Deine ängstlichen Blicke, als Du die Chocolade trankst, ich musste vorher nippen, und dann, o das war Wonne! O Du meine Angelika, Du hattest nicht genippt. Fest mich anblickend, ohne Angst, Vorwurf, nur das tiefe Seelenverständniß im Auge, leertest Du die Schaale, und drücktest mit der feuchten kalten Hand meine. Du hattest mich verstanden, ich Dich. Ils sont passés, ces jours de fête! « »Schönen guten Morgen, mein lieber Herr Geheimer Legationsrath!« unterbrach eine heisere Baßstimme diese Schwärmereien des Einsamen, und vor ihm stand der Kaufmann van Asten. Es war so, – keine Erscheinung der Traumwelt. Der alte van Asten war der letzte Mann, der in ein Traumgewebe gepasst hätte. Trotz seiner schweren rindsledernen Schnallenschuhe war er unbemerkt durch die beiden Zimmer gekommen, und drückte jetzt die Thür hinter sich zu, während dem Legationsrath die Binde vom Kinn rutschte, und er, aufspringend, an der Lehne des Stuhles sich hielt. »Na, wie gehts Ihnen denn, mein lieber Herr von Wandel. Haben sich ja so lange nicht sehen lassen. Ist das Freundschaft?« Der Turban und die Brille waren vom Kopf des Legationsrathes verschwunden, eine Operation, die ihm Zeit ließ, seine Fassung wieder zu gewinnen. So war es; man merkte nichts von Bestürzung, kein Zittern mehr, es war das feste eiskalte Gesicht, mit den durchforschenden Augen, als der Legationsrath den Kaufmann anredete. »Wie kommen Sie hierher?« »Durch die Thüre. Herr Legationsrath hatte vergessen, den Schlüssel umzudrehen. Sehen Sie mal, liebster Herr von Wandel, in unsern unsichern Zeiten! Wie viel Gesindel schleicht um. Hätten ja Ihren Sopha forttragen können. Sie hätten's in Ihren Meditationen nicht gemerkt. Aber ich habe hinter mir zugeschlossen; wir können jetzt ganz sicher sein.« »Tausendmal Vergebung, mein theuerster Freund, daß Sie mich in diesem Kostüm und hier – Kommen Sie in meine Wohnstube. Diese unerwartete Freude –« Er wollte ihn unter den Arm fassen; eben so schnell aber hatte der Kaufmann einen Schemel vor die Thür gestellt und darauf Platz genommen. Wo van Asten einmal Platz genommen, hätte es anderer Kräfte bedurft, ihn wieder fortzubringen. Breitbeinig saß er, die Füße fest auf den Boden, die Arme auf den Stock gestützt. Der Stock schon hatte etwas Respekt gebietendes, er schien mit Blei ausgegossen, als er auf die gebrannten Fliesen sank. »Werde mich ja nicht unterstehen, Sie zu derangiren. Wo ich Sie finde, sind mir Herr Legationsrath lieb.« »Wie Sie wollen!« sagte Wandel und nahm auf dem Stuhle Platz, so nachlässig, wie seine innere Aufregung erlaubte, den Rücken dem Herde zugekehrt, ein Bein über das andere streckend. Wie der Kaufmann in seiner Positur dem Rath den Weg durch die Thür versperrte, schien dieser den zum Herde zu verbarrikadiren. Der Kaufmann ließ seine Augen im Laboratorium wandern. »Was sind denn das für Frauenbilder?« – »Wären Ihnen die Züge vielleicht bekannt?« fragte Wandel, ihn scharf fixirend. – »Kam nie aus Berlin heraus. Aber das sind keine deutschen Frauenzimmer.« – »Welcher Kennerblick! Die Aeltere eine Schwedin, die Jüngere eine Italienerin.« – »So! so! Ich hätte sie für Schwestern gehalten, und sie kommen mir so niederländisch vor. Sie müssen nämlich wissen, ich bin auch aus flämischem Blute.« Der Legationsrath verzog faunisch das Gesicht: »Ich strenge mich vergebens an, eine Aehnlichkeit zwischen Ihnen und den Damen zu entdecken.« – »So wenig, als zwischen mir und dem Skelett da. – War auch wohl eine Dame?« – »Ich führe es mit mir zu anatomischen Studien. Schon seit länger. Ich kaufte es einmal von einem Todtengräber, ich erinnere mich wirklich nicht, wo.« – »Gleichviel! Der Tod ist jetzt umsonst, und Leichen wohlfeil. Aber die italienische und die schwedische Schwester, das müssen ein paar hübsche Mädchen gewesen sein. Gönne es Ihnen, Recreations der Jugend, geht mich nichts an.« Die umschweifenden Blicke schienen je mehr und mehr den Legationsrath in eine unbehagliche Spannung zu versetzen. Er kämpfte sichtbar mit einem Entschluß, der ihm ebenfalls schwer ward, aber es brach heraus: »Was verschafft mir die Ehre Ihres Besuchs?« – »Eine kleine Geschäftssache.« – »Welche, theuerster Freund? Doch nicht –« »Ein kleiner Wechsel –« »Richtig!« Der Legationsrath schlug sich an die Stirn. »Der ist aber erst in acht Tagen fällig!« »Freut mich, daß Sie sich so genau erinnern. Ich habe immer gesagt, Sie sind ein prompter Mann. Ja, in acht Tagen fünftausend Thaler.« – »Die Sache ist mir sehr erinnerlich – zu Ende der Hundstage, aber ich glaubte, Sie hätten die Bagatelle längst abgegeben.« – »Auch geschehen, mir aber wieder zurückcedirt. Hat viele Herren gehabt; das macht sich wohl so im Geschäft.« Als der Kaufmann sein Taschenbuch aus der Brust zog, wobei er aber etwas sorgsamer zu Werke ging, als an jenem Abend, wo er die Wechsel vor dem Rittmeister auf den Tisch ausstreute, fiel Wandel ihm ins Wort: »Aber lassen wir das bis nachher. Die Sache ist ja kaum der Rede werth. Wie geht es jedoch Ihnen? Sie sehen nicht ganz wohl aus. Daß die Partie Ihres Herrn Sohnes rückgängig ward, konnte Sie doch nicht touchiren. Er ist im Gegentheil in sich gegangen und hat beim neuen Minister eine kleine Stellung angenommen. Ich parire, er wird ein vernünftiger Mensch werden.« »Kann sein. Söhne kosten immer Geld, so oder so; ob sie vernünftig sind oder toll.« – »In jenem Zustande wird er auch die vernünftige Partie, welche ein geliebter Vater für ihn ausgesucht, nicht länger von der Hand weisen.« – »Kann sein, kann auch nicht sein. So oder so. Hilft auch nichts, wenn Krieg wird. Es weiß Niemand, wo den Andern der Schuh drückt, mein Herr Geheimer Legationsrath.« – »Ich bin simpel Legationsrath,« lächelte Wandel. – »Sie sind ein geborner Geheimer. Ja, wenn Sie das wüssten, Sie müssten aber noch mehr wissen.« Wandel hatte unverwandt das etwas schwer zu studirende Gesicht des Kaufmanns beobachtet, und glaubte darauf gelesen zu haben, was ihm Ruhe gab. Der Mann war innerlich bewegt. Plötzlich griff er nach seiner Hand, oder vielmehr nach dem untern Arm, es ist aber möglich, daß der treuherzige Freundesdruck auch der Wucht des Stockes galt, den er mit dem Arme schüttelte und sehr schwer fand. Mit einer Stimme, dem Widerhall eines vollen Herzens, sprach er: »Herr van Asten, Sie drückt etwas. Ich bedaure, daß es mir nicht gelungen, Ihr volles Vertrauen zu erwerben. Könnten Sie an der Brust eines Freundes Ihren Kummer ausschütten, schon das würde Sie erleichtern. Ein unbefangener Freund sieht aber oft klarer, und Auswege und Mittel, die dem selbst Bedrängten entgehen. Mein Gott, sollte der drohende Krieg – aber ich schweige –« Mit voller Ruhe erwiderte der Kaufmann: »Geheimes will ich Ihnen gar nichts sagen, aber was die ganze Börse erfahren hat, das können Sie auch wissen. Wir hatten für 10,000 Thaler Weine aus Bordeaux bestellt –« »Wir? – Ah, das ist das kleine Kompagnongeschäft mit Seiner Excellenz. Sie exportirten dafür Holz und Bretter von Seiner Excellenz Gütern.« – »Wissen Sie das auch? – Schadet nichts.« – »Das Schiff muß jetzt in Stettin angekommen sein.« – »Ist! – Mit Weinen, delikaten Weinen – volle Ladung zum Werth von 100,000 Thalern unter Brüdern.« – »Hundertausend! Eine volle Null zu viel.« – »Da liegt es, das Geheime, mein Herr Legationsrath. Nur eine einzige Null zu viel bei der Bestellung. Der Casus ist klar – ein Schreibfehler. Wer ihn beging ist gleichgültig. Der Zufall kann einen Artillerielteutenant auf den Kaiserthron bringen, und der Zufall ein großes Reich stürzen, warum nicht auch ein großes Handlungshaus.« – »Es beweist nur, welchen Kredit Ihre Firma in Bordeaux haben muß.« – »Es beweist, daß Einem auch der Kredit den Hals zuschnüren kann.« – »Ich begreife Ihre Lage, die Waare ist für den Augenblick nicht abzusetzen, sie übersteigt weit den momentanen Bedarf. Alles schränkt sich ein. Indeß wird jetzt Ihr Kredit sich beweisen. Ihre Freunde werden sich zeigen.« – »Haben sich schon gezeigt.« – »Sie werden Ihnen beispringen.« – »Sind schon gesprungen. Kommen lauter kleine Wechselchen zurück: Werden noch mehr kommen.« – »Excellenz der Minister –« »Pst! Excellenz sind ja kein Kaufmann, lassen mich nicht vor. Verdenk's ihnen auch nicht, sind ja nicht in die Gilde eingeschrieben. Wollten nur gelegentlich eine kleine Chance mitmachen. Alles kordial, mündlich. Setzten ein großes Vertrauen in mich, was ich sehr ästimire. Wenn wir den Profit gemacht, war's ja beim alten van Asten, ob er die Hälfte auszahlen wollte. Verklagt hätte er mich nimmer.« – »Aber er setzte den Werth seiner Hölzer auf's Spiel.« – »Wird kein Narr gewesen sein! Auf Höhe dessen hatte er sich vorher auf mein Haus in der Spandauerstraße intabuliren lassen. Jedes Kind sieht nun ein, daß ich mit Excellenz nicht die Schuld eines Schreibfehlers halbiren kann, und Excellenz haben zwar einen vortrefflichen Magen, aber die Hälfte von meinem Wein trinkt auch er nicht aus.« Eine Pause trat ein. Der Legationsrath blickte mit verschränkten Armen vor sich nieder: »Ihre Lage ist traurig, aber nur wer sich selbst aufgiebt, ist verloren. Die Weine unter dem Steuerverschluß, gleichviel ob hier oder in Stettin, sind ein todtes Kapital, welches das größte Haus ruiniren könnte. Wäre Ihr Medoc nicht ein Kapital, das zwei-, dreihundert Prozent eintrüge, wenn Sie es an einer Nordküste lagern hätten, wo Napoleons Kontinentalsperre schon Kraft hat? Wird die Schifffahrt geschlossen, sind Sie wieder ein Krösus.« »Alle Zeichen deuten, daß wir Krieg anfangen.« »Alle Zeichen sind trügerisch, wo kein Wille ist. Noch schwankt die Wage. Die Kabinetsräthe sehen es ein, der König möchte den Frieden erhalten, und wenn sie doch das Wort Krieg aussprechen, ist's weil sie gezwungen werden, weil sie keine Unterstützung gegen die jungen Schreier und Fanatiker finden. Mein Herr van Asten, warum treten denn nicht die Patrioten zusammen, ich meine die, welche Mittel haben, warum unterstützen sie nicht des Kabinet? Das ist noch möglich. Fragen Sie sich doch, was es gilt? Bleibt Friede, bleibt er nur durch eine Allianz mit Napoleon, es giebt nichts Drittes. Krieg mit ihm oder Anschluß. Im letzten Falle Beitritt zu seinem Kontinentalsystem, die Häfen sind gesperrt, und Ihr Bordeauxwein, ohne Konkurrenz, ist wenigstens dreihunderttausend Thaler werth. Nun rechnen Sie, wenn Krieg wird, wenn es nur bleibt, wie es ist! Ihr Wein ein todtes Kapital, Ihre Gläubiger lebendige Quälgeister, Ihr Haus erschüttert, vielleicht – Man schätzt Sie auf über zweihunderttausend, wenn indeß Ihre Aktiva nichts werden, Ihre Passiva – ich schweige davon. Aber in solchem äußersten Fall muß der Mann das Aeußerste wagen. Und sind Sie allein in dem Falle? Verabreden Sie sich, schießen Sie zusammen. Lucchesini, Haugwitz, Lombard, sie Alle sind ja zugänglich, die freundlichsten Männer. Sie erwarten ja nur, daß man sie unterstützt, gewichtige Stimmen aus dem Publikum. Schaffen Sie, womit man Ihnen hilft, um den Schreiern den Mund zu stopfen. – Mit hunderttausend Thalern übernehme ich's.« Der Kaufmann verstand jetzt, aber er war sichtlich von einer Vorstellung betroffen, die ihn schwindlig machte. Das Argument des Legationsraths hatte etwas Verführerisches, die Verhältnisse waren, wie er sie schilderte, aber er erschrak zuerst vor dem Gedanken, daß ein einfacher Bürger sich unterfangen dürfe, in das Schicksal eines Staates einzugreifen, dann, daß er dies sein könne; zuletzt, wenn er die angenehme Maske von der Sache fortzog, erschrak er, denn was war die patriotische Operation –? Van Asten war ein rechtlicher Mann. »Mein theuerster Herr!« sprach der Legationsrath wieder mit der gewohnten Ueberlegenheit des vornehmen Mannes, und auch sein Kostüm hinderte ihn nicht, die Situation, die er liebte, einzunehmen, ein Bein über das andere, den Hinterkopf mit der Lehne, die Finger der rechten Hand mit sich selbst spielend. »Mein theurer Herr, wenn wir uns doch gewöhnten, die Verhältnisse zu betrachten, wie sie sind. Was sind die Menschen in ihrer Massenhaftigkeit anders, als Heerden zweibeiniger Geschöpfe, bestimmt, von Anderen, die klüger sind, geleitet zu werden. Fragen wir uns: Wer denn überhaupt die Welt beherrscht? Einige wenige Könige, die Genies waren oder Feldherrn aus Passion; das waren seltene Ausnahmen. In der Regel waren es kluge Minister, schlaue Favoriten, noch schlauere Maitressen. Sie herrschten um so sicherer, je feiner sie es zu verstecken wussten. Oder wollen Sie nach Klassen gehen? Die Hohenpriester fingen an, dann kamen die Könige, dann militärischer Adel, dann Priester, Könige und Feudalritter im bunten Gemisch, bis die Könige wieder glaubten, das Oberwasser zu haben; da nahmen es ihnen die Philosophen. Das Schiboleth, früher Glauben geheißen, hieß nun Aufklärung. Bei allem diesem Wechsel, mein theuerster Freund, ist nur das beständig, daß die Pfiffigsten das Heft in der Hand behalten. Nun sehe ich aber nicht ab, warum die reichen Leute nicht einmal den Priestern, Rittern und Philosophen das Geschäft abnehmen, warum sie nicht auch einmal pfiffig sein und regieren wollen? Sie ahnen nicht, mein werther Herr, welche Macht in Ihren Komptoirstuben, Ihren Wechseln, in Ihren Federstrichen ruht, durch welche Sie Welttheile verbinden. Im vollen Ernst, Ihnen, den großen Kaufleuten, Fabrikanten, blüht die künftige Weltherrschaft entgegen. Wenn Sie nur sich etwas verständigen wollten, etwas mit den Ackerbau treibenden Herrschaften, etwas mit den Herren von der Feder, es braucht da nur kleine Aufmerksamkeiten und Gefälligkeiten, ein klein wenig auch mit den Ideen, welche, was man nennt, beim Volke im Schwunge sind, so prophezeie ich Ihnen, Sie, die Herren von der Industrie, werden bald die wahre, reelle, effektive Universalmonarchie in Händen haben, wie die großen Handelsherren in dem kleinen Venedig ehedem, wie im großen England und im noch größeren Amerika jetzt schon und in Zukunft noch mehr. Sie, Sie, Theuerster, fingen ja schon an. Bravo! Ihre Associèschast en commandite mit der Excellenz war eine großartige Idee, nur muß man sich von den vornehmen Herren nicht übers Ohr hauen lassen. Wenn Sie geschickt agiren, haben Sie den Herrn ja noch jetzt in Händen, er muß jeden Eklat vermeiden, während Sie vis-à-vis de rien Alles einsetzen müssen. Also, Courage, für Frieden und Ruhe Alles dran gesetzt, Frieden und Ruhe, welche die Nation und Ihr König wünschen. Also warum nicht frisch und kühn, ein Auge zugedrückt und in die Tasche gegriffen!« Herr van Asten griff auch in die Tasche, aber nur, um seine Brieftasche vorzuholen. Er war während der langen Rede wieder seiner Herr geworden: »Weil mir ein Sperling auf der Hand lieber ist als eine Taube auf dem Dache. Weil mein Fuß zu dick ist, um ihn in Diplomaten schuhe zu stecken. Weil ich auf glattem Boden nicht gehen kann, und weil ich in der Schule gelernt habe, daß, wer besticht, eben so ein Schurke ist, als wer Bestechung nimmt. – Hier ist Ihr erster Wechsel.« Das Bleistift, welches die Brieftasche verschlossen, zwischen den Zähnen haltend, zog der Kaufmann den Papierstreifen heraus. »In acht Tagen stehe ich zu Dienst,« entgegnete Wandel mit einem Versuch zu lächeln. »Pressirt es so, Herr van Asten?« – »Mich nicht. Glaubte vielleicht, daß es Sie pressiren würde, den Wechsel einzulösen.« – »Zeigen Sie. Sollt' ich mich im Datum geirrt haben!« Der Kaufmann hielt den Wechsel seitwärts in die Höhe. Sein Bein und Stock blieben die Barriere. »Sie haben ja wohl gute Augen. – Sehen Sie? – Sie sehen vielleicht nicht Alles. Ich auch nicht. – Die Schrift ist blaß. Herr Legationsrath, seit acht Tagen wird sie jeden Tag blässer, und in acht Tagen hätte ich einen weißen Papierstreifen in der Tasche. Ist das nicht kurios?« Wandel hielt die Hand vors Gesicht, um besser zu sehen. Plötzlich drehte er sich auf dem Hacken um, und sank auf den Stuhl zurück mit einem lauten Auflachen. Van Asten verlor keine seiner Bewegungen aus dem Auge. – »Das ist kurios.« – »Nur kurios, Herr Legationsrath?« – »Waren Sie besorgt, daß ich den Wechsel um deswillen nicht honoriren würde?« – »Besorgt eigentlich nicht, Herr Legationsrath, ich ließ nur, als ich's merkte, vom Notar eine vidimirte Abschrift nehmen, und den kuriosen Fall ad protocollum vermerken.« – »Die Geschichte wird immer hübscher. Ich hatte damals eine sympathetische Dinte präparirt, und tauchte wahrscheinlich aus Versehen die Feder beim Ausfüllen des Wechsels hinein. Wollen Sie gefälligst hergeben, der Schade ist im Moment reparirt.« Er stellte eines der Kohlenbecken vom Herde auf den Fenstersims. »Wie Sie wollen,« lächelte der vornehme Mann, als van Asten das Papier hinter seinen Rücken hielt. »Probiren Sie selbst, eine Sekunde leise über den Kohlendampf und die natürliche Schwärze ist wieder hergestellt.« Der Kaufmann besann sich einen Moment. Er schien seine Position nicht verändern zu wollen, bei der Operation am Fenster hätte er dem Rath den Rücken wenden müssen. Er überreichte ihm den Wechsel, von dem er ja eine vidimirte Kopie besaß, strengte aber jetzt seine Augen noch mehr an, jede Bewegung des Andern zu verfolgen. Wandel fuhr nur leicht ein paar Mal über das Kohlenbecken und reichte den Wechsel, ohne ihn selbst anzusehen, zurück: »Prüfen Sie jetzt selbst.« Die Schrift stand wieder schwarz da, aber das Papier schien sehr mürbe geworden. »Soll ich Ihnen vielleicht einen neuen Wechsel schreiben? – Sie scheinen etwas ängstlich. – Ich vergebe Ihnen, ein Kaufmann soll vorsichtig sein. Mit dem größten Vergnügen.« Er schob aus dem Winkel einen kleinen Tisch mit Schreibzeug hervor, bestimmt, um seine Notate bei den chemischen Experimenten zu machen, und – schrieb. Van Asten hatte zu dem Anerbieten weder ja gesagt, noch nein. Er benutzte den freien Moment, sich umzuschauen. Es war ein stiller Sonntag Nachmittag, das ganze Haus schien ins Freie ausgeflogen, er war auf der Treppe Niemand begegnet. Im Hofe knarrte nicht der Brunnen, keine Stimme; man hörte nur das Zwitschern der Sperlinge, in der Küche das Picken des Holzwurms in dem alten Gebälk. Van Asten war auch ein muthiger Mann, aber ihm war eigen zu Muthe, wenn sein Blick auf das Gerippe fiel, auf die eisernen Geräthschaften, die eben so viel Waffen werden konnten. Waren nicht auch vielleicht auf dem Herde, in den Tiegeln und Destillirkolben geheime Waffen! Wenn der Koch mit dem Löffel daraus auf ihn spritzte, mochte nicht eine Essenz darin enthalten sein, die ihn betäubte, ihn selbst im Augenblick blaß machte wie die Schrift auf dem Wechsel? Waren nicht die Blicke, die der Schreibende seitwärts dann und wann auf ihn gleiten ließ, auch Waffen! Der Kaufmann stand hinter seinem Schemel, den darauf gestemmten Stock noch fester in die Hände pressend. An einer schwarzen Tafel standen mit Kreide arithmetische Figuren, darunter Berechnungen, die des Kaufmanns Aufmerksamkeit anzogen, große Zahlen addirt. An der einen Ecke: 80,000 + 15,000 – 40 Jahr p.p. + + + zu viel. Summa: 95,000 – 40 Jahr p.p. + + + zu viel. an der andern: 90,000 + 28 Jahr – Verstand. p.p. 90,000 180,000 + 28 Jahr – Verstand.??? Der Legationsrath war fertig und hielt ihm die Schrift hin: »Wollen Sie probiren – englische Immortell-Dinte, neueste Erfindung von Parry – es ließe sich darin ein Geschäft machen. Um alle Simulation zu vermeiden, habe ich unter heutigem Datum acceptirt.« – »Wollen Herr Legationsrath noch gefälligst darunter notiren: Duplikat des an dem und dem acceptirten Solawechsels.« – »Wozu, theuerster Mann, wir tauschen die Papiere aus und damit ist die Sache abgemacht.« – »Möchte gern den ersten Wechsel auch behalten, nur aus Kuriosität, von wegen der sympathetischen Tinte. Geschieht Ihnen ja kein Schade dadurch, lieber Herr Legationsrath. Können noch, der Sicherheit wegen, hinzubemerken: Duplikat u.s.w. wodurch der Primawechsel außer Kraft gesetzt ist Weiter nichts. Bin ein Raritätensammler, und trenne mich nicht gern von Seltenheiten.« Wandel war in die Höhe gesprungen, wie der Tiger beim Geräusch des herangeschlichenen Jägers. So funkelte auch sein Auge, als er krampfhaft die Stuhllehne presste. Der Stuhl in seiner Hand hätte zur Waffe werden können, aber nicht gegen Den, der ihm gegenüber stand. Die markigen Hände des Kaufmanns umklammerten den Stock, sein Kinn lehnte sich darauf und seine hellblauen Augen fielen ohne Blinkern auf die gelbglühenden des Andern. »Was wollen Sie noch?« fragte Wandel. – »Sie haben noch einen Wechsel, von mir acceptirt, auf Höhe von zehn Tausend Thalern.« – »Der am vierzehnten Oktober fällig ist, mein Herr.« – »Weiß es, wir könnten aber doch vielleicht noch ein Geschäftchen machen. Schreiben Sie mir noch ein solches Duplikat – der Wechsel wird auch blaß.« – Wandel verkniff die Lippen. Nach einer Pause sagte er: »Wie Sie wünschen.« – »Ist mir lieb, daß Sie so gefällig sind; den Verfalltag wünsch' ich nur etwas anders. Schreiben Sie gütigst: acceptirt zum ersten September.« – »Herr! Das sind nicht vierzehn Tage.« – »Weiß es.« – »Das könnte mich derangiren.« – »Würde mir sehr leid thun.« – »Das ist unverschämt.« – »Kann sein. Ein Kaufmann muß die Konjunkturen benutzen. Ist sich Jeder selbst der Nächste, darin werden Sie mir Recht geben« – »Ihre Gründe, Herr von Asten! Durch das Duplikat verschwindet jede Besorgniß wegen der Dinte.« – »Gründe wollen Sie! So viel Sie wollen: bis zum vierzehnten Oktober kann Krieg ausgebrochen, Sie können todt, bankerott, Sie können nach Asien und Sibirien gereist sein. Ich könnte Ihnen noch viel mehr Gründe sagen, der Hauptgrund aber ist, ich will mein Geld haben.« – »Das ist ein sehr verständlicher, mein Herr van Asten. Wenn ich mich recht besinne, könnte ich mich dazu bestimmen lassen. Ich erwarte Rimessen aus Thüringen, die jeden Augenblick eintreffen müssen. Indessen, Kaufmann gegen Kaufmann – dies unbeschadet unserer Freundschaft – was geben Sie für die Gefälligkeit?« – »Die Wechsel fürs Geld.« – »Und die Prima für die Anticipation?« Beide sahen sich durchdringend an. Beide waren Kaufleute durch und durch in dem Augenblick, die durchbohrenden Blicke wurden milder, die Drohung schmolz in ein Lächeln. Wandel schrieb auch den zweiten Wechsel um, und nachdem van Asten ihn sorgsam geprüft, tauschte er beide neue Wechsel gegen die Primawechsel aus. Von dem geschraubten Ton vorhin merkte man nichts mehr. Die Unterhaltung floß noch einige Augenblicke über gleichgültige Dinge, wie zwischen Geschäftsmännern, die eine unangenehme Disharmonie durch freundliches Entgegenkommen verlöschen wollen. Van Asten versicherte, daß er die Differenz schon so gut wie vergessen habe, Wandel lobte es, wer erfolgreich leben wolle, müsse an die Zukunft und so wenig als möglich an die Vergangenheit denken. Auch vor Raritäten müsse man sich hüten, sie würden am Ende todtes Kapital, in welchem unser Lebensstock immer sparsamer, dünner wird. »Da! –« er riß aus einer Lade unter der schwarzen Tafel eine Partie Papiere hervor – »was habe ich davon, daß ich diese Assignate zwölf Jahre aufhob, eine halbe Million und darüber!« »Freilich jetzt nur Raritäten,« sagte nachdenklich der Kaufmann. »Kein Gläubiger ist mehr so dumm, sie für Activa anzusehen. Vor fünf bis sechs Jahren konnte man wohl noch etwas darauf erschwindeln.« – »Fidibus, Theuerster! Zum Feueranmachen brauche ich sie.« – »Ueber eine halbe Million! Na – sie werden Ihnen auch nicht so viel gekostet haben.« – »Es kommt darauf an,« entgegnete der Legationsrath mit einem eigenen Zucken um die Lippen. »Was haben Herr Legationsrath denn da an der Tafel ausgerechnet? Thaler und Verstand ist ein kurioses Additionsexempel.« – »Phantasiebelustigungen! Vielleicht Geschäfte, die ich vor habe.« – »Das sind hohe Summen.« – »Ich habe größere Geschäfte gemacht.« – »Das Facit des einen ist fünf und neunzig Tausend, das des andern hundert und achtzig Tausend ohne den Krimskrams dran von unbekannten und irrationalen Größen.« – »Sie sind ein unbefangener Mann, aber von glücklichem Takt. Beide Geschäfte kann ich nicht zusammen machen. Es gilt die Wahl. Zu welchem rathen Sie?« – »Wenn ich hundert und achtzig Tausend machen kann, ziehe ich sie fünf und neunzig Tausend vor.« – »Ich auch,« lachte der Legationsrath. »Nur habe ich die achtzig Tausend so gut wie in der Hand; beim andern Geschäft aber sind Schwierigkeiten zu überwinden; es ist, würde der Engländer sagen, ein steeple chase mit Hindernissen.« – » Sie winden sich durch, Herr Legationsrath.« – »Ich nehme es als ein gutes Omen an,« lächelte Wandel. »Wir scheiden doch als Freunde.« – »Wie vorher.« Der Legationsrath hatte den Kaufmann bis zur Thür begleitet. »Nun sehen Sie, da wir als Freunde scheiden, und Sie sich so honett gezeigt, ist ein Dienst des andern werth. Sie haben mich gerettet, ich gesteh's Ihnen, für den Moment. Und aus purer Gefälligkeit! Der alte Asten ist aber kein Bettler. Er nimmt nichts umsonst. Also erstens dafür: tiefste Verschwiegenheit; von mir hört Keiner eine Sylbe. Zweitens eine Maxime: ein Kaufmann darf nicht zu viel Speculationen vor sich haben. Wenn er zu lange wählt, entschließt er sich zu spät. Sieht er zu eifrig nach der Taube auf dem Dache, so fliegt ihm auch der Sperling aus der Hand. Merken Sie sich das; rasch zugegriffen. Und drittens ist mir lange schon für sie was eingefallen. Machen Sie sich doch an Madame Braunbiegler. Das wäre eine Partie für Sie, so reich wie dick. Hundertzwanzig Tausend unter Brüdern. Der alte Braunbiegler verstand's. Lauter solide Hypotheken und Pfandbriefe. Und die halbe Fabrik! Unter uns hundertfunfzig Tausend wenigstens. Und Sie mit Ihrer Chemie, können das Tuch noch dünner strecken! Zugegriffen; ein Bischen Schwierigkeiten, aber Sie kriegen sie.« Die Treppen dröhnten unter den schweren Tritten des Kaufmanns, er sah nicht mehr die Blässe auf dem Gesicht des Legationsraths; nicht, wie er in die Küche zurück wankte, nicht, wie er an der Thürpfoste stehen bleibend, das kalte Gesicht mit beiden Händen bedeckte. Da verließ ihn seine Kraft. Ihn schwindelte, es drehte sich um ihn wie im Kreise, die Bilder, das Gerippe, die Retorten. Er fletschte die Zähne, die Augen traten aus den Höhlen, er ballte die Faust gegen die Bilder: »Lachen Sie nur, › Mes dames de Bruckerode! ‹ Dann wankten die Knie. Der starke Mann sank auf den Schemel, es war auch ihm zu viel gewesen. Die Retorte fiel von der Erschütterung vom Gestell und verschüttete ihren Inhalt in die Kohlen, der Staub wühlte auf, die Bilder bewegten sich, das Gerippe rasselte an der Wand.« 73. Kapitel. Eine Spinne in ihrem Netz gefangen Dreiundsiebenzigstes Kapitel. Eine Spinne in ihrem Netz gefangen. »Sie kommen so vergnügt von ihm?« empfing die Geheimräthin den eintretenden Legationsrath. Er sah allerdings anders aus, als wir ihn neulich verließen. In sorgfältiger Toilette und Coiffüre, ein Ordensband im Knopfloch, ein anderes, das sich unter dem Halstuch versteckte, schien er mehr zum Besuch bei Hofe als im Krankenzimmer ajustirt. Es ist indeß zu bemerken, daß er seit Kurzem seiner Kleidung eine Sorgfalt widmete, welche seine Freunde in der letzten Zeit vermisst hatten. Der Kleidung entsprach der heitere Gesichtsausdruck. »Wie haben Sie ihn gefunden?« setzte die Lupinus hinzu. »Wie meine Freundin mich findet – vergnügt.« Sie blickte ihn verwundert an. »Sie wissen, daß er in seiner Kollektion eine seltene Ausgabe des Horaz nicht besitzt, die mit verschlungenen Händen und einem Todtenkopf unter dem Druckort.« – »Leyden, Anfang des siebzehnten Jahrhunderts, Initialen von der und der Form,« unterbrach ihn die Lupinus; »ich habe es oft genug hören müssen. Er hatte alle Kommissionäre in Requisition gesetzt und große Summen geboten, immer umsonst.« – »Und jetzt hat er sie.« – »Wie ist das möglich! Sie selbst sagten, die Ausgabe wäre nicht mehr aufzutreiben.« – »Um einem Sterbenden einen letzten heitern Augenblick zu machen, dünkt mich, ist Alles möglich und – erlaubt.« – »Erlaubt!« wiederholte die Lupinus betonend, und blickte ihn fragend an. »Es thut mir leid, daß Sie nicht zugegen waren. Wie seine Augen aufblitzten; er traute ihnen kaum, und hatte auch gewissermaßen Recht. Bekanntlich ward diese Ausgabe in Leyden während der schweren Belagerung der Stadt gedruckt. Die Setzer waren einer nach dem andern auf den Mauern gefallen. Die Typen wurden zu Kugeln umgeschmolzen. Aber der Faktor, der Letzte in der Druckerei, hatte selbst sein Letztes daran gesetzt, diesen Horaz, die Ehre der Offizin, zu vollenden. Mochte dann die Freiheit, der Protestantismus, Holland, die Stadt Leyden untergehen, wenn nur die Leydener Horazausgabe für die Nachwelt lebte. Von allen seinen Typen, die schon als Kugeln um die Schanzen pfiffen, hatte er nur so viel sich losgebettelt, um den Titel noch zu drucken, er selbst Setzer, Drucker. Da, im Vorgefühl seines Schicksals, setzte er unter die Jahreszahl und das Wort Leyden einen kleinen Todtenkopf. Nur eine geringe Zahl Exemplare hatte er abgezogen, da verließen ihn die Kräfte. Er sank um, mehr vom Hunger als von der Arbeit erschöpft. Die Soldaten drangen ein, auch die letzten Buchstaben fortzunehmen, als die Glocken der Stadt ertönten. Der Entsatz war gekommen. Leyden war frei, der Faktor starb zwar am selben Tage, auch der größte Theil der Bürgerwehr war von Hunger, Seuchen, Kugeln fortgerafft, aber er starb mit frohem Gesicht – seine Horazausgabe, Leydens Ehre, war gerettet. – Ist es nicht ein rührendes Kapitel aus der Geschichte der Menschheit? Erhebt es nicht das Gefühl, daß ein armer Setzer für eine Idee sein Leben daran setzte und glücklich starb?« »Allerdings, aber –« »Wer glücklich starb, hat glücklich gelebt. Es waren nur fünf und neunzig Exemplare des Titels mit dem Todtenkopf gedruckt. Sie sollten das Ehrendenkmal für den Patrioten bleiben. Der Magistrat ließ die übrigen Titel mit einer Aenderung abziehen. Auch sie sind von hohem Werh; dia aber mit dem Todtenkopf und dem Todtenschweiß des Armen unschätzbar. Sie wurden an hohe Potentaten verschenkt, sie finden sich jetzt nur in den Königlichen Bibliotheken von Schweden – Gustav Adolf führte sein Exemplar im Felde immer mit sich –, England, Dänemark. Durch die Einnahme von Breda kamen mehrere nach Spanien. Man hielt es in Holland für eine große Kalamität. Bei den endlichen Friedensverhandlungen gab dies manchen Anstoß. Die Generalstaaten gaben sich umsonst alle Mühe, die Exemplare zurück zu erhalten. Später sind durch die Verführung des Geldes und die Macht des Handels auch Exemplare nach Amerika gegangen.« »Von daher haben Sie keins bezogen.« – »Gewiß nicht, sie sind auch gar nicht mehr im Handel.« – »Sie haben ihm ein nachgemachtes Exemplar gebracht.« Mit einem weichen Lächeln drückte er ihr die Hand: »Finden Sie das unrecht, Freundin, wenn ich seit Wochen ein solches Titelblatt nachbilden ließ? Es kostete einige Mühe, Druckerschwärze und Papier dem Braun des Alterthums ähnlich zu vergelben, allein die geschickte Unger'sche Offizin überwand alle Schwierigkeiten. – Er ist so glücklich wie jener Setzer in Leyden, ein letzter Sonnenstrahl fiel in den Dämmerschein seines Lebens. Schadet es ihm, daß es nur eine Illusion ist! Was ist denn unser Aller Glück anderes. Sind nicht alle unsere frohen Stimmungen auch nur das Produkt von Illusionen! Die frohen, meine Gönnerin, wie die bösen. Die Wahrheit finden wir nur in uns selbst, wenn wir alle Täuschung abgestreift.« »Ihre Leydner Geschichte, so rührend sie ist, erinnert mich nur zu sehr an die Kindheit des Menschengeschlechts. Ueber diese naiven Zustände von Ehre sollten wir doch hinaus sein!« Sie saßen auf dem Kanapé der halb dunklen Stube. » Sollten !« rief er, sich in die Ecke zurücklehnend, »und wir sind immer nur Kinder wie am ersten Tag. Nur das Spielzeug wechseln wir, oft auch nur wie es in Familien mit beschränkten Mitteln geschieht. Die Mütter nehmen ihren Kleinen die Puppen und Soldaten allmälig fort, an denen sie sich das Jahr durch satt gespielt, um sie ihnen frisch lackirt und neu angezogen zu Weihnachten wieder zu schenken. Die klügsten Kinder merken es nicht. So das ganze Menschengeschlecht. Nur die Erwählten kommen mit sich ins Klare. – Ja, wenn sie so weit sind, wenn alle Nebel, Dämmerscheine, chromatische Täuschungen, Vorurtheile gesunken, wenn sie wissen, ihre Kreise und sich selbst zu beherrschen, wenn sie sich das Zeugniß ablegen können, daß sie durch nichts sich beirren lassen, keine Missgriffe thun, rein und grad auf ihren Zweck hinsteuern, – dann – das muß ein Göttergefühl eigener Art sein.« Die Geheimräthin senkte in ihrer Sophaecke den Kopf: »Wer kann das von sich sagen!« – »Ich kenne eine Frau, die das kann!« Er sah vor sich auf die Diele. Es war etwas Eigenes heut im Benehmen des Legationsrathes. So weich sein Ton, so sanft vorhin sein Händedruck, so geschmeidig, fast herzlich sein ganzes Benehmen; aber er sah sie nicht an, er streckte nicht die Hand aus, um sie auf ihren Arm zu legen, er saß isolirt wie ein Träumer, und nur durch das Medium der Töne waren sie in Berührung. – »Die Klügste kann sich darin täuschen!« Er schien es nicht gehört zu haben. Er legte den Arm auf die Lehne und seine Finger hämmerten gedankenlos auf das polirte Ebenholz, während seine Augen jetzt an der Decke hafteten. »Mögen Sie sich immerhin momentan isolirt fühlen, was ist das gegen das beruhigende Gefühl, wie ein Gott in Ihren Kreisen gewaltet zu haben. Sind nicht, seit Sie mit sich klar wurden, Ihre Wünsche in Erfüllung gegangen; ich meine, ist nicht Alles geschehen, was Sie für gut, für nothwendig erachteten? Jenes undankbare Mädchen, das wirklich Ihr Lebensglück störte, musste sie verlassen, ohne daß Sie der geringste Vorwurf trifft. Man entführte sie Ihnen, die Menschen bedauern sie sogar wegen der hinterlistigen Art, wie es geschah, ohne zu ahnen, welche Wohlthat Ihnen damit widerfuhr Damit wurden Sie zugleich die lästigen Gesellschaften los, die sie hinderten, ganz sich selbst zu leben. Wie oft fand ich meine Freundin in Sorgen um das Schicksal des kränklichen Bedienten. Was stand dem armen Geschöpf bevor, sobald Sie sich seiner nicht mehr annehmen kannten? Bettelstab, Hospital! Da hat Gott seiner sich erbarmt, ihn zu sich genommen. Gott nimmt sich aber nur da der Menschen an, wo er ihren ernsten Willen, ihre angestrengte Thätigkeit sieht, sich selbst zu helfen. – Wie belohnten jene unartigen Kinder Ihre mehr als mütterliche Aufmerksamkeit! Ich darf Ihnen wohl sagen, man verdachte es Ihnen, daß Sie sich selbst diesen verwahrlosten Geschöpfen opferten. Man hielt es für eine Art Ostentation, man meinte, Sie wären auf die Sprünge der Fürstin Gargazin gekommen. Das sind die Urtheile der Menschen! Kann ein Vernünftiger noch davor Respekt haben! Sie lernten nur zu bald, daß für diese Unglückseligen nichts Besseres sei, als – wenn auch ihrer eine unsichtbare Hand sich erbarme. Diese so früh verdorbenen Kinder wären ja unter der Aufsicht des nichtigen, läppischen Vaters, unter der Erziehung dieser Köchin in Grund und Boden verworfene Geschöpfe geworden. Und am Ende hätte Sie noch ein Vorwurf getroffen. Aber das Unkraut konnten Sie nicht mehr ausziehen, Sie nicht mehr Weizen säen. Verzeihung, daß ich so offen es ausspreche, auf die Gefahr hin, Sie zu beleidigen, die Kinder mussten sterben.« »Mussten –« wiederholte mehr fragend als trumpfend die Geheimräthin. »Ja, theuerste Frau,« sagte er mit Nachdruck. »Ich habe es mir oft überlegt. Hätten Sie einen Vortheil davon gehabt, daß sie starben, wäre eine Erbschaft im Spiel gewesen, dann war es anders. Was jetzt die Leute sagen, darauf kommt es nicht an.« Sie schielte innerlich bebend zu ihm hinüber, wagte aber die Frage: »was sagen denn die Leute?« nicht über die Lippe zu bringen. »Die Geschichte der Medea halte ich für eine unglücklich erfundene Fabel,« fuhr er in derselben Ruhe fort. »Eine Mutter ihre Kinder schlachten, um ihren Geliebten zu retten! Das wäre eine Verirrung der Natur. – Ja, wer über diese Empfindungen hinaus ist; ich könnte mir eine Medea denken, ohne die brennende Gluth des Südens, eine, deren Blut eiskalt geworden, eine Seherin des Nordens, die abgerissen, abgeschüttelt hat alle die Fibern und Blutadern, die sie mit den Lebendigen zusammenhalten, eine Norne, welche im ehernen Becher die Loose der Menschen schüttelt; wer fallen muß, der fällt, sie kann nicht weinen, sie kann nicht lächeln, es muß. – Sind wir nicht Alle auf diesen Prozeß angewiesen, ist es nicht der natürliche des Daseins? Das Blut wird mit den Jahren kälter, was uns in der Jugend entzückte, gleichgültig. Unsere Träume, Phantasieen, Projekte belächeln wir. Werden die Menschen mit Runzeln liebenswürdiger? Wir erkennen ihre Schwächen, die Ideale sind längst gesunken, ihre Eigenheiten treten heraus, sie werden uns widerwärtig. Nein, nicht widerwärtig, Freundin, nur gleichgültig. Wir hören eine Todespost verwundert an: Hat Der noch gelebt, wir dachten, er sei längst todt? Wir sterben mit, wo Alles um uns stirbt, und lassen darum sterben, was nicht leben kann! Einer weniger, der Anderen in die Quere kam. Einer weniger, der mit verbrannten Flügeln nach der Sonne flattern wollte? Wem sind sie denn nicht verbrannt? Wir sind allezeit bereite Todtengräber – aus Mitleid, Adepten der Nothwendigkeit. – Das ist weit natürlicher als die andere Erklärung, daß wir's aus Neid wären, aus Haß, Haß gegen die ganze Menschheit. Ist denn die Menschheit werth, daß wir sie hassen? So wenig als unserer Liebe. Allerdings lehrt uns der Instinkt, zu stechen, wo wir gestochen werden. Sticht uns ein Größerer, stechen wir den Kleineren. Dagegen ist nicht anzukämpfen, es ist das Naturgesetz der Kreatur. Wo wir's überwinden, ist Unnatur; die Verweichlichung der Moral, die wir umsonst Religion taufen, es bleibt Verkehrtheit, die sich rächt. Aber nur nicht aus Haß, Erbitterung; wir spielen mit Tod und Leben, wie man mit uns spielt; die Folterschrauben, die man uns ansetzt, probiren wir an Andern, um zu erfahren, wie viel ein Mensch aushalten kann. Das führt zu einem Ziele; der Haß ist immer eine irrationale Potenz, die ins wüste Blaue treibt, wo Niemand das Ende absieht. Pfui, Blutrache! pfui, das alte mosaische: Zahn um Zahn! Wem hat es genutzt, und alles Unnütze ist Verbrechen. Dagegen begreife ich wohl, was der Alltagsmensch Rache nennt, und was doch weiter nichts ist, als der Schuß nach einem Ziele. Napoleon hat Palm erschießen lassen. Er hat Recht gethan, man soll ihn fürchten. Die Schriftsteller sollen sich nicht unterstehen, ihn unangenehm zu kitzeln. Das Recht hat Jeder – sich furchtbar, sich gefürchtet zu machen. Aber mit Klugheit, mit Vorsicht es benutzt! Nicht Jeder ist Napoleon, aber Jeder kann wie die kleine Spinne aus seinen eigenen Säften ein Netz sich weben, um Die zu fangen und zu verderben, die sich in seine Region drängen. Haben Sie einmal die Spinne beobachtet? Es ist für mich ein furchtbares Thier. Da liegt sie still, zusammen gekauert, ich möchte sagen, fromm, im Centrum ihres Kreises, sie scheint zu schlafen, aber sie ist nur pensiv, sie brütet über ihr ungerechtes Loos. Warum gab die Natur den Fliegen, Bremsen, Mücken, Wespen Flügel? Sie flattern, spielen in den Lüften ein gedankenloses Spiel, sie naschen an den Blumen, sie schlürfen den Mondenschein. Die Spinne ist stiefmütterlich behandelt, sie, die arbeitsame, denkende Schöpferin, muß an Mauern kriechen, in Winkeln ihr Gehänge spinnen, aus ihrer besten Kraft, nur um sich zu halten, zu existiren. Sie ist gescheut, verachtet. Soll sie nicht dem Schicksal, dem ungerechten, zürnen, nicht Grimm im Herzen tragen! Beim Allmächtigen, meine Freundin, welcher Gerechte fordert das von ihr! Sie fügt sich in das Unabänderliche, sie wartet und lauert; einmal kommt doch der Augenblick, um das Gefühl der Rache zu kühlen. Dann – auch dann stürzt sie noch nicht wie eine Harpye auf ihr Opfer los. Sie scheint fortzuschlafen, bis der unbesonnene Wildfang sich in das Netz verwickelt hat, strampelt. Dann – Was ich plaudere! – Da halte ich Sie ab von der Pflege des armen Kranken. – Es wird ja ohnedem nicht mehr lange dauern. – Sollte der Krieg losbrechen, ach Gott, eine wahre Wohlthat, wenn der liebe Gott den Dulder früher zu sich nimmt. Denken Sie den armen Gelehrten, wenn der Feind einrückte! Oder Berlin wird gestürmt; welches Loos, wenn er mit seinem noli turbare circulos meos dem französischen Chasseur entgegenträte. Im besten Fall, es ist Napoleons Art, alle Einwohner einer eroberten Stadt müssen zum innern Schutz in die Nationalgarde treten. Stellen Sie sich den Geheimrath vor mit dem Gewehr auf dem Rücken, einen Säbel an der Seite! – Nein, aus Liebe für ihn muß man ihm bald den ewigen Frieden wünschen. – A propos, ich vergaß, womit haben Sie denn vorhin geräuchert?« Die Geheimräthin hatte vielleicht mit ganz andern Empfindungen auf dem Sopha Platz genommen. Sie ahnte nicht, daß eine Schreckensstunde ihres Lebens nahte. In ein laues Bad, umduftet mit Wonnegerüchen, glauben wir geführt zu werden, und sie haben uns in ein kaltes Sturzbad gelockt. O, das ist nichts, wo es mit einem Male herabrauscht, aber wenn man uns festgebunden, und tropfenweis stärker und stärker, fällt es auf unsern Schädel, endlich öffnet sich das ganze Reservoir – Sie versuchte zu ihm aufzusehen, aber sie ertrug nicht den eiskalten, durchbohrenden Blick. »Wie mei nen Sie das?« »Ich meine, welche Ingredienzen schütteten Sie in die Kohlenpfanne? Denn daß Sie räuchern, dagegen ist nichts zu sagen, es ist vielmehr nothwendig. Der Staub, die Ausdünstungen, der Katergeruch, es hat Alles zusammen genommen etwas Eblouirendes. Es muß dagegen gewirkt werden. Aber Vorsicht, meine Freundin, man muß sich gegen den Verdacht im Voraus schützen.« Sie wollte aufstehen; sie sank aufs Kanapé zurück. »Mit nichts, als was ich von Ihnen habe,« sprang es aus der gepressten Brust. »Sie meinen die kleine Apotheke, meine Gönnerin, die ich Ihnen aus Herrn Flittners Apotheke zum Hausbedarf zusammenstellen ließ. Die wird vor jedem Medicinalkollegium die Prüfung bestehen. Es sind die unschuldigsten Mittel, wenn man sie unschuldig gebraucht. Freilich, wenn man sich vergreift, dann stehe ich für nichts. Wasser das beste Heilmittel, man kann auch mit Wasser ermorden.« Ein zweiter Versuch, aufzuspringen, scheiterte an der Schwäche ihrer Knie; aber sie lehnte sich zurück und die Kraft hatte sie gewonnen, ihm starr ins Gesicht zu sehen. – O, dies unveränderliche Gesicht! War es nur auch eine Muskelbewegung, die eine Aufregung, Furcht, Schadenfreude, Mitgefühl verrieth! So hätte er eine Liebeserklärung machen, so ein Todesurtheil aussprechen können. Er erfasste die Spitze ihrer Hand: »Verständigen wir uns doch! Das Nothwendige erkenne ich an. Wo der Bruch da ist, der zur Auflösung führt, soll der Wahrhaftige nicht Salbe darüber streichen. Er muß sich in das finden, was nun einmal nicht zu ändern ging; ich kann es auch nicht tadeln, wenn er der Nothwendigkeit einen Schritt entgegen that. Aber –« »Bei allen Mächten, warum foltern Sie mich? –« »Opiate, narkotische Mittel, alle Säfte aus Vegetabilien dunsten und verdunsten, wie Veilchen und Rose duften und verduften. Sie lassen Materielles nicht zurück, wogegen alles Mineralische ein Residuum, einen Satz, einen Ausschlag zurücklässt. In wie veränderter Form es auch sei, die Wissenschaft findet ihn. Wenn wir doch diese wohlthätige Weisung der Natur nie aus dem Auge ließen! Das Lebendige im Pflanzen- und animalischen Leben ist bestimmt, zu blühen, reifen, um sich dann zu verflüchtigen, damit es, im Aether scheinbar verschwimmend, irgend wo wieder ansetzt zu neuem Leben. Diese Aussicht kann uns angenehm berühren, zu welchen Träumen giebt sie nicht Stoff! Aber erschrecken kann es uns nicht. Dagegen repräsentirt der Stein, das Metall die irdische, niederdrückende Schwere. Wir mögen den Stein noch so hoch in die Luft schleudern, er kehrt wieder zurück. Er kann uns auf die Brust fallen, unser Fuß stolpert daran, und wenn wir ihn zerreiben zu Pulver, Staub, er fällt wieder auf die Lunge, und bei der Sektion findet ihn der Arzt.« Die Geheimräthin hatte sich jetzt aufgerafft; mit beiden Händen an die Sophalehne sich haltend, sah sie über die Schultern auf den Sprecher zurück: »Welche Verständigung, – was wollen Sie?« »Ich, für mein Theil, meine Gönnerin, was kann ich wollen! Was könnte ich bezeugen? Gar nichts! – Daß ich bei Herrn Flittner auf Ihren Wunsch eine Hausapotheke entnahm! Das ist Alles dort in die Bücher eingetragen. Eine exakte Apotheke. – Und wer sagt denn, daß das Physikat zu einer Obduktion zu schreiten sich veranlasst finden wird! Reine Vermuthungen von mir. Nur in Ihrem Interesse, ein Freund stellt sich oft das Schlimmste vor. Denn wer in aller Welt draußen wird auf die Vermuthung kommen, weil in diesem Hause so kurz hinter einander bedenkliche Todesfälle eingetreten sind, daß hier eine ungesunde Luft ist, aus irgend einer nicht ergründeten Ursache. Die Polizei hat jetzt an Anderes zu denken.« »Aber wenn – wenn sie daran dächte?« – »Da sind tausend Möglichkeiten, wie man ihr ein X für ein U macht.« – »Aber wenn man Sie –« »Sie meinen, wenn man mich als Zeugen aufriefe. Frau Geheimräthin, das ist eigentlich eine Beleidigung. Zweifeln Sie, daß ich gegen mein Herz reden, und nicht meine höchste Achtung vor Ihrem Charakter aussprechen würde?« – »Nach meinem Charakter würde man nicht fragen.« »Man wird Thatsachen fordern. Was kann ich denn über Thatsachen aussagen! Daß die Kinder näschig waren, daß sie zugriffen, wo sie nicht sollten; daß sie in ihrer Naschgier eine schädliche Speise vom höchsten Küchenbrett holten. Oder wird man mich inquiriren, ob ich den Geruch in der Krankenstube abscheulich fand? Da würden die Experten sich nicht mit Meinungen befassen. – Doch, was ich Ihnen zu sagen vergaß, es war sehr klug, daß Sie dem todten Johann den Blumenkranz so tief in die Stirn drückten. Da kam ein häßlicher blauer Fleck über der Schläfe zum Vorschein –« Es war der entsetzlichste Blick, den wir von ihr sahen – nein, den sahen wir hier noch nicht. – Es war einer, der einen Abschnitt im Leben bedeutet. Mit solchem warf der Wütherich den Schlüssel zum Hungerthurm, worin er seinen Freund gesperrt, in den Fluß, mit solchem scheidet man von der Hoffnung, man stößt den Kahn zurück ins Meer, der uns an die Wüste trug, um darin zu verschmachten. Aber ein Blick war's, wie ein Eisendruck, der die erschlafften Nerven plötzlich stählt. »Herr Legationsrath, was fordern Sie von mir?« – »Fordern – ich!« – »Ihre Prinzipien verbieten Ihnen, etwas Unnützes zu thun. – Kurz, schnell, damit wir ins Reine kommen.« – »Ich wollte Sie weder ängstigen, noch derangiren – nur eine kleine Bitte. Eine Zahlung von fünftausend Thalern übermorgen genirt mich, weil mir eine Deckung aus Hamburg ausblieb. Sie haben wohl die Güte, mir mit den fünftausend, welche Sie asserviren, augenblicklich beizuspringen, bis meine Rimessen aus Thüringen ankommen.« – »Ich – ich werde sie Ihnen schicken.« – »Wozu Dritte impliciren – es giebt so leicht Nachfragen. Nur eine Feder, meine Gönnerin, um die Schuldschrift aufzusetzen.« Sie wankte an den Sekretair; die Goldrollen aus dem verborgenen Fach lagen auf der Platte. Sie wies stumm darauf hin. Er machte das Zeichen des Schreibens. »Wozu das?« – »Es ist doch der Ordnung wegen.« – Um ihm zum Schreiben Platz zu machen, trug sie die Rollen auf einen andern Tisch. Die Rollen waren schwer, ihre Glieder waren wie gebrochen. Eine entglitt ihr, einige Goldstücke rollten umher, die sie aufzuheben sich bückte. »O, mein Gott, Sie geben sich meinetwegen so viel Mühe!« rief er, auf dem Stuhl sich umwendend, schrieb aber weiter. Er wandte sich wieder um: »Wie wollen Sie es mit den Zinsen gehalten haben?« Sie antwortete nicht. »Es ist doch wegen des Lebens und Sterbens, verehrte Freundin. Ich würde sechs Prozent schreiben, aber Sie könnten, da Sie nicht kaufmännische Rechte haben, dadurch in Verlegenheiten kommen. Sehr möglich auch, daß der Zinsfuß in dieser Krisis noch steigt. Ich setze daher lieber; je nach dem höchsten Börsensatz.« Sie winkte ihm Schweigen mit einem krächzenden Hohngelächter. Er schrieb weiter. Was schrieb er noch! Er war aufgestanden und hatte ihr mit einer verbindlichen Verbeugung den Schuldschein überreicht. Sie warf ihn auf den Tisch, ohne ihn anzusehen. Jetzt war nichts mehr von Angst, Scheu, Bangigkeit in diesem Gesichte, es wogte ein wildes Feuer in der Brust, ihre Augen vermieden ihn nicht, sie sah mit einer Art böser Freude auf ihn: »Was ist Ihnen noch sonst gefällig? – Da ist der Schrank mit meinem Silberzeug – dort meine Geschmeide, Ketten, Ohrringe – meine Juwelen. Da im Korb die Schlüssel zum ganzen Hause. Erbrechen Sie, nehmen Sie fort, was Sie Lust haben.« »Ich erkenne Ihre Güte, unter welcher Form sie sich auch ausspricht. In Bezug darauf habe ich mir noch eine zweite Bitte erlaubt. Zum ersten September läuft ein Wechsel auf mich von zehntausend Thalern ab. Nur für den unerwarteten Fall, daß meine Rimessen auch bis dahin nicht einträfen, wünschte ich mich hier sicher zu stellen. Für Frau Geheimräthin Lupinus liegen fünfzehntausend Thaler auf der Seehandlung disponibel. Ich habe mir erlaubt, ein Cessionsinstrument auf Höhe von zehntausend dort aufzusetzen. Zugleich ein eventuelles Recipisse. Wenn Sie die Cession gefälligst unterzeichnen, befreien Sie mich, ich gestehe es, von einer momentanen Verlegenheit. Momentan, sage ich, denn –« er lächelte – »meine Aussichten sind gut. Es kostete nur den Entschluß zu einem sehr glücklichen Geschäft, dessen Chancen so gut wie in meiner Hand liegen. Glauben Sie mir, ich bin sicher auf höher als diese Bagatelle.« »Wie hoch schätzen Sie sich, mein Herr?« Der Hohn in der Frage berührte ihn nicht. »Auf über zweihunderttausend Thaler, meine Gnädige,« antwortete er freundlich und überreichte ihr die eingetauchte Feder. Sie warf sich auf den Stuhl, sie überlas, ohne zu lesen, sie schrieb ihren Namen darunter; zu seiner Befriedigung, indem er über die Achsel sah, deutlich genug. Sie stand auf, sie sah, sie hörte nichts mehr, quer durch das Zimmer wankend, stürzte sie auf's Sopha. Thränen, um zu weinen, fand sie nicht, die Augen brannten unter den vorgehaltenen Händen. Endlich ward es ein krampfhaftes Schlucken, Schluchzen, ihre Füße klappten auf dem Boden, ihre Brust hob und senkte sich, sie holte Luft. Wandel falzte das Papier und steckte es in die Brieftasche, die Goldrollen hatten in den Taschen nicht rechten Platz. Er schlang um einen Theil sein seidenes Tuch, legte das Pack in den Hut und wollte leise zur Thür hinaus, als – ihm ein anderer Gedanke kam. Er saß neben der Lupinus, als sie die Augen aufschlug. »Noch martern!« rief sie zusammenzuckend. »Nein,« war die Antwort mit fester Stimme, »nur zu stählen wünschte ich meine Freundin.« – »Das Wort nicht mehr aus Ihrem Munde! Kennen Sie, was Erbarmen heißt, bäte ich Sie, mir aus den Augen, aus meiner Nähe! Ein Todtengerippe könnte mit seinen hohlen Augen mich nicht so entsetzlich anstarren.« »Denken Sie, ich wäre eines,« lächelte er. »Ich habe ein solches stets neben mir – eine einst heißgeliebte Freundin. Wenn ich verzweifeln wollte, das Blut gegen die Stirn presste, wenn ich einen dummen Streich zu begehen im Begriff war – dumm sind alle Handlungen, deren Impuls im Blute liegt – dann drück' ich ihr die Knochenhand, ich presse mich an ihre Brust, sie muß neben mir ruhen und ich werde gesund. Sie war ein liebliches Wesen, das nur den Impulsen des Herzens folgte, sie kannte keinen andern Regulator ihrer Handlungen, und – was ist sie nun? – Ein Traum ihr Leben, nur ihre Treue, Hingebung war mehr – sie, im Tode, giebt mir Kraft im Leben, sie gießt Eisen in mein Blut, Stahl in meine Nerven. O, erheben Sie sich, – so dürfen wir nicht scheiden.« – »Die Kette ist gesprengt – auf ewig.« – »Wenn uns die Verhältnisse auseinanderreißen, warum denn in Feindschaft? – War denn unsre Freundschaft auf Affekte begründet? – Ruhe ist die erste Pflicht, um in einem Schiffbruch nach dem Kahn auszublicken, der uns retten kann. Ich bewunderte Ihre klare Ruhe und Klugheit, die Ihnen die Entschlossenheit gab – wie lange handelten Sie in dieser Konsequenz, und nun soll die Aufwallung eines Augenblicks –« »Wo die Hölle sich vor mir aufthut –« »Gut, nennen Sie es Hölle, mich einen Dämon, Teufel, weil ich nach derselben Konsequenz handle, wie meine Freundin gehandelt hat. Aber wer in die Hölle steigt, um in dem Bilde, was Sie beliebten, zu bleiben, würde dort sehr einsam leben, wenn er nur mit Heiligen umgehen wollte. Wir selbst sollen uns das Ziel sein, aber die Association ist das Mittel. – Ist das undenkbar, daß wir uns gegenseitig noch Hülfe leisten könnten! Weil Sie mir jetzt helfen – meinethalben helfen mussten, – können Sie nie in die Lage kommen, wo Sie von mir Hülfe erwarteten? – O still, meine Freundin, ich weiß, was dieses Aufathmen sagen soll: Sie stürzten lieber in den Abgrund, als sie von mir annehmen! Ich lasse diesem natürlichen Gefühl sein Recht, wie die Alten schreien mussten, um ihren Schmerz loszuwerden. Schreien Sie, meine Freundin, innerlich, weinen Sie, wenn Sie wieder Thränen finden, verfluchen mich! Nichts von Resignation, Vergebung edler Seelen; ein Palliativ, was die Natur abschwächt. Nein, ergehen Sie sich in Ihrem ganzen Haß, aber dann – dann bedenken Sie, daß wir Beide uns kennen, daß der Zufall in der Welt eine bedeutende Rolle spielt, daß, wo kein Thron mehr sicher steht, die sicherste Stellung es im Leben nicht mehr ist, daß Fälle denkbar sind –« Sie sah ihn scheu an: »Sie meinen –« »Ich gebe nichts auf Ahnungen, aber – einen Wunsch, eine Weisung lass' ich Ihnen zurück, als letztes Angebinde. Sie haben sich stark gezeigt, bleiben Sie es, wenn das Unglück da ist. Welches Recht haben diese Menschen, die wir kennen, über uns? Etwa uns ins Herz zu schauen! Der Pöbel! Wer in aller Welt giebt ihnen das: unsre innersten Gedanken auszufragen? Ins Gefängniß mögen sie den Freien schleppen, auf den Rabenstein uns schleifen, nicht uns zwingen, daß wir uns selbst verrathen und verdammen. Das Recht hat keiner Mutter Sohn, er stehe so hoch er will. Der Pöbel kann uns nicht, wir können ihn , wenn wir fest bleiben, überwinden. Die Märtyrer wurden mit Recht Heilige, nur daß sie thöricht waren, sich für Andere martern zu lassen. Wir würden es für uns. Sie versprechen es mir, Schwester im Bunde, ewig zu schweigen, ich schweige auch. Darauf ein Bruderkuß!« Er war fort; seine letzten Tritte verhallten auf der Treppe. Sie hörte die Hausthür öffnen, zuschlagen. Aber er war noch bei ihr . Sein Bruderkuß brannte wie Feuer, jetzt wie Eis. Sie war gebrandmarkt, der Druck des Stempels drang von der Stirn bis ins Herz; sie fühlte ihn von den Fingerspitzen bis zur Zeh. Warum bin ich ein Weib! lachte es in ihr. Vergeltung – Ohnmacht! – So viel kleine Opfer, und der Dämon selbst, sein Hohngelächter zitterte in der Luft, er umschwirrte sie, unerreichbar. Und hätte er zu ihren Füßen gelegen, ohnmächtig gebunden, woher denn Marterwerkzeuge nehmen, die ihren Rachedurst gestillt! Welche Schmerzen konnten das Maß ihrer Schmerzen ausgleichen! Und durfte sie's? Ein Laut, ein Schrei, ein Wort des Gemarterten, und die Klingeln und Glocken hätten in den Lüften geklungen bis ans Ende der Welt, wo Gerechtigkeit ist. Wo ist denn Gerechtigkeit! Nein, sie war noch an ihn gekettet an einer feinen, unsichtbaren Stahlkette – jede Rachezuckung und sie vibrirte wieder, elektrisch, in ihm, er hob die Faust – nein, er lachte sie nur an, mit seinen Haifischzähnen: Wenn mich, vernichtest Du Dich! – Zu entsetzlich, er war, er blieb ihr unsichtbarer Bundesgenosse. – Wer in diese Strudel trieb, muß eine Säule finden, woran er sich aufrecht hält. – Ein Todtengerippe! Was ist ein fühlloses Todtengerippe Schreckliches mit einem verglichen, was die Augen noch rollen kann in den Höhlungen? Ja, sie bedurfte solches Stahlgusses, solcher Stärkung, des glühenden Eisens, das zur Wollust werden kann, wenn es den Nerv in dem nagenden Zahne ausbrennt. Sie stürzte in das Krankenzimmer. Ja, das war noch schrecklicher als ein Gerippe an der Wand. Er stand aufrecht. Wie die letzte Flamme in einem verglimmenden Feuer auflodert, spielte der letzte Athem in dem lebendigen Knochenmann. Er musste furchtbar gespielt haben. Da lagen zerschlagene Gläser, Geschirre, die kostbaren Horazbände auf die Erde geworfen; ein dicker Staub wirbelte durch das Sonnenlicht, das ohnedem nur dunstig durch die trüben Scheiben drang, wie eine dumpfe abendliche Kirchenbeleuchtung durch gelbe Scheiben. Auch die Decke vom Schreibtisch herabgerissen und der Kater oben, mit gekrümmtem Rücken und orangeglühenden Augen, spinnend. Was hatte das ruhige alte Thier in diese Unruhe versetzt! Hatte er, vom Schmerz ergriffen, diese Verwüstung angerichtet? Körperliche Schmerzen waren es nicht. Diese schienen überwunden. Das Gespenst, den Schlafrock weit auf, ein Gerippe darunter, so wankte er auf die Frau zu. Die Brust schlug noch – heftig, in den Skelethänden hielt er ihr ein Buch entgegen. Das Buch zitterte durch die Luft. Das war ein wüster Blick in dem Auge, sein letzter, das war ein Schrei aus tiefer Brust, auch sein letzter: »Weib! es ist falsch – Alles falsch!« »Alles ist falsch!« antwortete sie tonlos. Er hatte nicht mehr die Antwort gehört. Er lag auf der Diele, er hatte ausgelitten. Der Kater war vom Tisch gesprungen und bäumte sich über den Leich nam. Die Geheimräthin irrte in der Stube umher und konnte den Spiegel nicht finden. Als sie ihn gefunden, konnte sie nichts drin sehen. Sie rieb und rieb, aber der Spiegel blieb blind. »Mein Gott, ich muß doch die Wahrheit sehen!« rief sie und suchte nach einem Tuche. Jetzt meinte sie, der letzte Hauch sei abgerieben. Sie sah sich und sie sah sich nicht. »Allmächtiger –!« schrie sie auf und presste die Hände über ihren Scheitel. Diese Bewegung sah sie, aber sonst nur Umrisse. Umsonst quollen die Augäpfel aus den Höhlungen hervor. Mit einem neuen, entsetzlichen Schrei fuhr sie zurück. Die Gestalt im Spiegel fuhr auch zurück: »Ich bin ja hohl!« Es war ein heulender Ton. Ihr Diener fand sie nachher halb auf der Erde liegend, den Kopf aufs Sopha gefallen. Sie sträubte sich verzweifelt, als man sie ins Bett bringen wollte und rief einmal über das andere, man werde gewiß nichts finden. 74. Kapitel. Ein treuer Freund seines Herrn Vierundsiebenzigstes Kapitel. Ein treuer Freund seines Herrn. Noch lag ein offizieller Schleier über der nächsten Zukunft, aber er war so durchlöchert, daß wer nur das Auge aufriß, durchsah. In Paris war der Rheinbund gestiftet und Preußen war nicht dazu geladen, ja es hatte noch nichts davon erfahren. Die Fürsten, welche an der Leimruthe saßen, auffliegen konnten sie nicht mehr, aber frei mit ihren Flügeln flattern, und der Großmüthige hatte sie dafür entschädigt mit den Beutestücken in seinem Netze, mit den freien Städten, den Gütern der Stifter, Klöster, der Reichsritterschaft, mit der Souveränität im eigenen Lande. Frei, von Niemand behindert, durften sie mit den Flügeln Die schlagen, die darunter ein Recht hatten auf Schutz. Ihre Rechte, die besiegelt standen in allen Verträgen, waren durch einen Federstrich ausgelöscht. Und die duftende Zeitungsphrase des Moniteurs sagte: »Des Kaisers Absichten hätten sich hier wie immer mit den wahren Interessen Deutschlands übereinstimmend gezeigt.« – Und wohin sollten sie schreien, wohin Hülfe flehend die Arme strecken? Der Kaiser hatte die römische Kaiserwürde niedergelegt, »da er außer Stande sei, seine beschworenen Pflichten gegen das Reich zu erfüllen.« Wo war das Reich, wo das deutsche Volk! Osterreich, des langen, ehrenwerthen Kampfes müde, hatte sich in sein Schneckenhaus gezogen, das halbe Reich hing im Netz des Eroberers, und nur Preußen stand allein im Winkel, ohne den Muth, ohne den Beruf, ohne die Mittel. Das fühlte Jeder in Preußen. Wenn eine Ueberzeugung auf dem trocknen Boden aufschießt, von dem wir reden, so haben Spötter behauptet, daß sie, wie ein Unkraut, das die Wolken säen, plötzlich die Felder überwuchert, oder wie ein Haidebrand über Berge und Thäler sich ergießt. Dann ist kein Widerstand mehr. Aber jeder Fanatismus berührt in der Regel nur gewisse Kreise, nur die an der Straße Wohnenden, die auf den Höhen Sichtbaren. Die in den tiefen Niederungen nur sich selbst leben, unbekümmert um was nicht ihre nächste Sorge angeht, berührt er nur selten. Aber der Fall war hier. Des Herzogs von Enghien Aufhebung und Füsillade hatte nur die politisch Denkenden und Fühlenden getroffen, was gehen den guten Bürger Staatsakte an! Darum haben sich Die zu kümmern, die dazu geboren sind, oder dafür bezahlt werden. Aber daß er den Buchhändler Palm in Braunau erschießen lassen, berührte das Gefühl des Menschen, sogar den Gedanken des Bürgers. War Palm nicht ein Bürger, eingeschrieben in die Bürgerrolle, der ruhig seinem Verdienste nachgegangen und ruhig seine Abgaben gezahlt hatte? Was ging ihn die Schrift an, die er verlegt, und noch dazu starb er den Heldentod, weil er Den nicht nennen wollte, dem er sein Wort gegeben zu schweigen! Das konnte Jedem »passiren!« Ist ein guter Bürger da, um den Heldentod zu sterben! Es war ein Brand, der durch alle Glieder ging, vom Wirbel bis zur Zeh. Die Entrüstung fand keine Worte dafür, und je gebundener die Meinung in dem andern gefesselten Deutschland war, so lauter sprach sie sich in Preußen aus. Man fühlte, was Freiheit war, und fing an zu begreifen, daß sie ein Gut, ein heiliges Menschenrecht ist. Zur Unterstützung der Familie des ermordeten Mannes wurden überall im Lande reiche Sammlungen veranstaltet, und die Regierung schritt nicht ein, weder aus Furcht vor dem Kaiser, noch wegen unbefugten Kollektirens. So sah es in den Bürgerhäusern aus. Wie es in den Palästen der Großen, in den Hotels der Minister aussah? In dem des neuen Ministers saß in dem Zimmer, das wir schon kennen, Walter van Asten am Schreibtisch. Aber die Flügelthüren waren zu dem neben anstoßenden Audienzsaal geöffnet, wo der Regierungsrath von Fuchsius auf und ab ging. Zuweilen blätterte er in Schriften, zuweilen trat er zu dem neuen Sekretair, um Bemerkungen mit ihm zu wechseln. Er wartete auf eine Audienz und hatte schon lange gewartet, der Minister war in den oberen Zimmern mit dem jungen Bovillard. Walter war bei einer Arbeit, aber er ließ oft selbst die Feder ruhen, und das gelegentliche Gespräch mit dem Rathe schien ihm keine unangenehme Unterbrechung. »Sie haben sich da einen gefährlichen Rivalen zugeführt,« sagte der Rath. » Sie beschäftigt er mit Berichten über sein Papiergeld und Herrn von Bovillard schließt er in seinen Intimis das Herz auf.« »Das war die ihm zugedachte Stellung,« entgegnete Walter, die Feder weglegend, und stand auf. »Wir sind Jugendfreunde, die Verhältnisse haben darin nichts geändert, und wenn sie es hätten, was kommt es jetzt darauf an, wo der Beste ist – der handeln kann.« »Wer handeln kann!« rief Fuchsius mit einem wehmüthigen Lächeln. »Welche bittere Erfahrungen stehen Ihnen hier noch bevor!« »Denen Herren von Fuchsius enthoben ist, weil er freiwillig seine Stellung aufgab.« »Das soll eine Spitze sein, lieber Asten, aber sie verwundet mich nicht. – Ich bin dennoch freiwillig abgetreten und zu meiner juristischen Karriere zurückgekehrt, trotz alledem, was Sie das Gegentheil zu glauben berechtigt.« »Ich setze voraus,« sagte Walter und reichte ihm die Hand, »daß Sie nach dem, was zwischen uns dar über verhandelt ist, in mir keine persönliche Rancune mehr vermuthen. Sie wäre jetzt ein Verbrechen.« Der Rath drückte die gebotene Hand. »Ich bin keinen Augenblick in Zweifel über Ihre Intentionen, und eben darum thun Sie mir leid. Sie werden das Meer der Täuschungen von vorn an ausschlürfen. – Zugeben will ich Ihnen übrigens, daß jener Umstand vielleicht der äußere Anlaß war, aber der Entschluß datirt von länger. Der Gedanke, daß Seine Excellenz, von jetzt ab, meine Arbeiten mit einer Reserve von Mißtrauen kontrolliren dürfte, änderte meine bisherige Stellung zu ihm; indessen, werthester Freund, was sind Stellungen, wo Alles Schattenbilder sind in einer Laterna magica, wir Alle Tropfen in einem Meer – Sie einer, Bovillard, der Freiherr selbst, Alle, Alle, die das Bessere wollen.« »Wer sich verloren giebt, ist verloren,« entgegnete Walter. »Wir sind künstlich isolirt, ja, umgürtet von Gräben, Wasser, Sandwällen, und unser Feuer droht in sich selbst sich zu verzehren. Das ist Ihre, das ist Vieler Ansicht. Aber wer berechnet die Macht des Feuers, wo ringsum trockene Stoffe lagern! Mag, einmal entzündet, es nicht zu einer Lohe aufschlagen, die über Deutschland sich ergießt. Mag sie nicht Europa in Flammen setzen!« »Und was dann! – Ich redete nicht davon. – Der Krieg liegt, ein so wüstes, trostloses, verworrenes Bild vor mir wie der Friede. – Ihr wollt das Volk wecken, einen Nationalkrieg entzünden – die Idee liegt doch dunkel im Hintergrunde?« »Und Sie theilten sie nicht?« »Ich habe sie getheilt – aber das ist vorüber. Einen Sturm wollen Sie los lassen, und was wirbelt er auf? – Staub.« »Und wofür leben Sie jetzt?« »Für die Verbrecherwelt. Die Wahrheit, die ich in der Psychologie des Staates nicht fand, suche ich in der der Gefängnisse. Es ist eigentlich derselbe Stempel, nur ursprünglicher, frischer. Das Schillersche Weltgericht finde ich hier viel conciser, konkreter. Die Kreise eines Verbrechers, klein fangen sie an, um rasch größer zu werden, bis er noch schneller seine Katastrophe erreicht; dann verengen sie sich wieder, immer rascher, bis sie zur Schlinge werden. Dort sehen wir nur Stückwerk, hier Totalitäten.« »Aber nichts, was das Gefühl erhebt.« »Wie aus dem unscheinbaren Keim eine ganze Verbrecherlaufbahn entspringt, wie die erste Unterlassungssünde, die Scham darüber, das Streben, es zu verbergen, ebenso oft als der Kitzel der Lust das Individuum weiter treibt, gäbe das keine Anschauungen, Belehrung, ja Erhebung? Da, in der großen Geschichte vertuscht man es, wie aus dem Kleinen das Ungeheure sich ballt, hier ist kein Grund dazu, die Diplomaten und Historiker fehlen, die das Schlechte schön malen, dem Albernen einen tiefen Sinn unterlegen. Die Natur giebt sich, wie sie ist, und versucht's ein Verbrecher, durch Lügen sich einen besseren Schein zu geben, so braucht man ihn nur fortlügen zu lassen, er verstrickt sich mit jedem Worte tiefer, unlösbarer, und die Wahrheit fällt wie der reife Apfel vom Baume. Und wenn mitten aus der Verworfenheit ein schöner menschlicher Zug, wie ein Licht aus bessern Welten, vorschießt, da kann dem Kriminalisten eine Thräne ins Auge treten, und er kann den Verbrecher lieben, den er verdammen muß. Ja, Theuerster, der Sprung aus der Politik in die Kriminalistik ist für mich zur Rettung geworden aus einer Welt der Verwesung, über der der gleißende Schein immer mehr reißt, in eine Naturwelt, wo es noch chaotisch daliegt, unschön, meinethalben ekelhaft, aber es ist die grelle Naturwahrheit, die der Mensch bessern, veredeln sollte, gewiß, es war seine Aufgabe, aber er hat sie verpfuscht. Jetzt begreife ich die Völkerwanderung. Die Barbaren, welche die römische Kulturwelt mit ihren Keulen niederschlugen, waren nicht etwa rohe Engel aus dem Paradiese, auch unter ihnen grassirten Laster, Blutsünde und Gräuel aller Art, aber sie waren der frische Abdruck des gigantischen Menschengeschlechts.« »Den finden Sie doch nicht unter Ihren Verbrechern in den Voigteien? Ich konnte sie immer nur als den Abdruck unserer Sittenverderbniß betrachten.« »Nun, so studire ich in ihnen das Schattenspiel unser selbst.« »Aber wo unter hundert Fällen neun und neunzig nur die Verwechselung des Mein und Dein zum Gegenstand haben.« Fuchsius sah ihn lächelnd an: »Ist das nicht die große Frage, die Alles regiert! Nur daß die Groben für Andere die Feinen für sich einen Mantel darüber hängen. Von meinen Verbrechern wollen die Wenigsten sich selbst täuschen, es ist daher viel leichter, die Bemäntelung abzureißen und der Sache auf den Grund zu kommen. Uebrigens versichere ich Sie, daß ich die interessantesten Studien vorhabe. Wir stimmen darin, wenn Sie in der Verbrecherwelt nur einen andern Abklatsch der höheren Stände erblicken. So zergliedere, arrangire ich sie mir; ich finde die Erklärung für Vieles, was oben im Licht geschieht, in meinem Schattenreich. Ich dringe in manchen intrikaten Dingen bis in die Familien, auch in recht angesehene, und finde immer den Abdruck desselben Stempels. Die Zerlassenheit, das laxe Wesen, die Maximen, Prinzipien dringen von oben nach unten durch wie eine ätzende Säure. Hier verschenkt man freilich nicht Staatsgüter, die Hunderttausende werth sind, zur Erinnerung für gute Compagnieschaft bei einer Orgie, noch schwarze Adlerorden an Roués für eine Galanterie; man giebt am Sterbebette eines Monarchen keinen Judaskuß seiner Maitresse um eine letzte Gnadenbezeugung und um sie desto sicherer zu machen, damit, wenn er die Augen geschlossen, man sie auf die Wache schickt. Noch trifft man auf vornehme Damen, die, wenn die Sünde sie verlässt, doch von der Sünde nicht lassen können, und unbescholtene Töchter guter Familien in ihre Zauberkreise verlocken, nicht aus Eigennutz, rein aus Vergnügen, und noch weniger verstehen meine Schelme, Betrüger, Galgenvögel, darüber den Schleier von Philosophie und Humanität zu breiten, aber – Sie werden vielleicht nächstens Dinge sehen, die Sie nicht erwarten, und die Gesellschaft wird die Augen aufreißen. Leben Sie wohl – Excellenz verkehrt mir zu lange mit Herrn von Bovillard.« »Sie scheinen wichtigen Entdeckungen auf der Spur.« Fuchsius nickte. »Dann müssten Sie eilen. Mich dünkt, das große Ungeheuer Krieg verschlingt die kleinen.« »Falsch geschlossen, Herr van Asten. Die Kriminalistik hat die Beständigkeit vor der Politik voraus. Wer auch siegt, das Jagdrecht der Justiz und Polizei auf die gemeinen Verbrecher bleibt unangetastet. Spitzbuben, Räuber und Giftmischer liefern die Kriegführenden sich mit gegenseitiger Kourtoisie aus, und der Strick ist der sicherste Orden für den, der eine Expectanz darauf erwarb.« Der Rath schien doch noch etwas sagen zu wollen, als er den Thürgriff langsam aufdrückte, Walter kam ihm zu Hülfe. Wenn er aus seiner Wissenschaft ihm etwas mittheilen könne, möge er kommandiren; er glaube nicht zu versichern nöthig zu haben, daß er auf seine volle Verschwiegenheit rechnen könne. »Fand in letzter Zeit eine Communication zwischen dem Minister und dem Legationsrath Wandel statt?« – »Ich glaube, es positiv verneinen zu können.« Der Rath schien zufrieden: »Sie selbst kamen nie mit ihm in nähere Berührung?« – »In keine andere, als welche die gesellschaftlichen Beziehungen im Hause der Geheimräthin Lupinus mit sich brachten.« – »Mit der schien er in Relation zu stehen –« »Welche das Geklätsch zu andern machte, als sie vielleicht waren. Sprach man doch auch, daß die Geheimräthin sich scheiden lassen und ihn heirathen wolle. Da, so viel mir bekannt, ihre Verbindung seit dem Tode des Geheimraths sich gelöst hat, so war auch das gewiß ein falsches Gerücht.« – »Um so mehr, als jetzt verlautet, daß Herr von Wandel auf Freiersfüßen bei der reichen Braunbiegler aus und ein geht.« – »In der That?« Der Rath fasste freundlich Walters Hand und mit demselben Tone sagte er: »Herr van Asten, verzeihen Sie die Indiskretion, an der Börse meint man, daß Ihres Herrn Vaters Angelegenheiten schlimm stehen. Er hat sich in einer Spekulation verrechnet –« »Und wird hoffentlich, wenn sie fehl schlägt, der Mann sein, der seinen ehrlichen Namen mit dem Letzten, was er besitzt, löst.« »Daran zweifle ich nicht, und wünsche ihm, daß er ohne dieses Opfer sich aus der Klemme zieht. Aber er steht in Geschäftsverkehr mit Wandel, er hat Wechsel von ihm, er hat Mittel gefunden, während man glaubte, daß Wandel auf Prolongation dringen werde, ihn zu bestimmen, daß er diese Wechsel in andere auf kürzere Sicht umschrieb. Schon das ist merkwürdig. Noch auffälliger, daß, während man Ursache hatte, an des Legationsraths Verlegenheit zu glauben, dieser aus Mitteln, die man nicht kennt, Ihren Vater prompt befriedigt hat.« »Man dürfte doch auch bei den Gerichten wissen, was in der Stadt ein lautes Geheimniß ist, daß Herr von Wandel mit diplomatischen Ambassaden in vertrauten Relationen steht.« »Pah!« sagte der Rath. »Spione hier werden nicht mehr theuer bezahlt, seit man die Geheimnisse wohlfeiler hat. So viel haben wir heraus: was seine politischen Mysterien anlangt, ist er ein Windbeutel, nur mit der Russin steht er noch in einer Verbindung. Sie ist keine Verschwenderin und bezahlt ihn mit der Münze, die er bringt. Mit Versprechungen löst man aber nicht Wechsel von zehn- und zwanzigtausend Thalern. Ich will, mein theuerster Herr, nicht hoffen, daß Ihr Vater sich näher mit ihm einließ.« – »Sie erschrecken mich –« »Wenn Sie für Ihren Vater einstehen, gewiß ohne Grund. Aber warnen Sie ihn, soweit ein Sohn es darf, der zugleich seine Pflichten kennt gegen den Staat und die Gerechtigkeit.« Er zog Walter an sich, und die Hand am Munde, sprach er ihm ins Ohr: »Ich habe den dringendsten Verdacht, daß dieser Herr von Wandel –« In dem Augenblick hörte man starke Fußtritte auf der Treppe. »Der Minister!« – »Und sehr ungnädig,« sagte Fuchsius, die Thür öffnend. »Die Audienz ist ungünstig ausgefallen. – Schade, daß Bovillard nicht Ihr Rival ist, er wird unfreundlich entlassen, und ich habe nicht Lust, den Zornerguß Seiner Excellenz auf mich zu laden. – Von dem Bewussten ein ander Mal. Bis dahin Verschwiegenheit!« Der Rath war durch das Audienzzimmer nach der andern Ausgangsthür geeilt, ehe der Minister in jenes eingetreten war. – Der Minister war aufgeregt. Auf-und abgehend ließ er seinen Getreuen über den Grund nicht lange im Unklaren. Ihm war es darum zu thun, dem jungen Bovillard eine offizielle Stellung zu geben, die ihm einen Zutritt bei Hofe verschaffe. Bis gestern hatte man ihm Hoffnung gemacht, heut war Bovillard durch Vertraute insinnirt worden, daß er, um der Person des Ministers einen abschlägigen Bescheid zu ersparen, lieber freiwillig zurückstehen möchte. »Excellenz' Feinde also auch da geschäftig!« – »Diesmal sind sie unschuldig.« – »Hätte mein Freund selbst eine Unbesonnenheit –!« Ein »Freilich! wer denn sonst!« sprudelte von den Lippen, und verbot dem Sekretär fortzufahren. »Warum hat er nicht wie ein Karthäuser gelebt, warum hat er tolle Streiche gemacht, warum hat er im Parterre den Regenschirm aufgespannt, als die Thränen um den Jammer der Eulalia aus den Logen flossen.« Also der Zorn war Ironie. Walter ließ eine Bemerkung fallen, daß für Jugendsünden die Zeit das beste Heilmittel sei. Der Freiherr war noch nicht in der versöhnlichen Laune. »Jede Sünde rächt sich,« rief er und schien seine Schritte zu verdoppeln, aber die Gedanken waren weit darüber fortgeflogen. »Warum hat er nicht Komödie gespielt wie die Andern? Warum sich nicht mit Tugend und Anstand geschminkt! War das so schwer. Brauchte nur seinen trefflichen Vater zu imitiren.« »Geheimrath Bovillard ist mir in der That unbegreiflich. Wiegt ihm die Gunst, die Euer Excellenz seinem Sohne schenken, das Glück desselben auf! Ihm wäre es doch ein Leichtes, Haugwitz und die Andern umzustimmen.« »Was kümmern mich Die! Die Königin will ihn nicht.« »Die Königin! – Sie ist doch sonst nicht so streng in ihrem Umgang.« »Wenn sie's wäre! – Freilich, sie müsste drei Viertel des Hofes fortjagen. – Nun hat sie sich auf Diesen gesetzt. Man hat ihn ihr als den Ausbund von frecher Sittenlosigkeit geschildert. Sie betrachtet es als einen Hohn, einen Kavalier von dem Rufe in ihre Antichambres zu bringen. Sie hasst auch wohl im Sohn den Vater. Kurzum, Weiberphantasien sind einmal nicht zu berechnen.« Ein Ausruf des Sekretärs protestirte dagegen. »Frauen, mein Lieber, wollen besonders behandelt sein, auch die ausgezeichnetsten. In ihren Vorurtheilen gegen Personen gehorchen sie dem Impulse. Sie käme mir wohl mit dem Spruch des Dichters von dem, was sich schickt: Da fragt nur bei edlen Frauen nach! Und sie hätte Recht. Schöne Seelen werden nicht durch Gründe, nur durch eine schöne Regung überwunden. Wenn er nicht darauf eingehen will, was ich ihm sagte, so ist es nichts.« »Es stände in Bovillards Willen?« »Seine Braut ist die schöne Person, die neulich die Geschichte mit Ihrer Majestät hatte. Ich weiß es bestimmt, die Königin ist, wie hohe Personen sind, für das Mädchen enthusiasmirt; wenn er den Vortheil benutzte –« Der Minister hielt inne; nicht weil er die Röthe auf Walters Gesicht bemerkte, sondern weil er selbst etwas von Erröthen fühlte. Ein ernster Staatsmann darf auch die Intrigue spielen lassen, weil leider keine Staatskunst ohne sie bestanden hat, aber schon der Schein ist gefährlich, daß er im Ernst sich in ihr Spiel verliert. Der Minister griff nach den Skripturen auf dem Tisch und schien von der Lektüre absorbirt, während Walter mit einem wehmüthigen Lächeln einer Erinnerung nachhing. * * * Der Vorfall, auf den der Freiherr angespielt, war eine bekannte Stadtgeschichte, die vor einigen Tagen sich ereignet. Wir müssen mit unsern Lesern aus dem Hotel des Ministers einen Seitensprung nach einem öffentlichen Ball thun, den eine Korporation zu Ehren der Majestäten veranstaltet hatte. Die Königin Luise hatte das schöne Mädchen bemerkt und ein Dienstthuender mochte aus Unkenntniß eine mißverstandene Vorstellung gemacht haben, als sie im Vorübergehen die Frage an Adelheid gerichtet: »Was sind Sie für eine Geborne?« Die Baronin Eitelbach, welche neben Adelheid gestanden, wollte, erschrocken, dem jungen Mädchen zu Hülfe kommen, und hatte die historisch gewordene Antwort gegeben: »Ach, Ihre Majestät verzeihen, sie ist gar keine Geborne.« – Nur die Gegenwart der Königin hatte ein Gelächter zurückgehalten, was wie ein Gewitterschauer auf den Gesichtern der Umstehenden drohte. Ihre ganze Huld und Majestät hatte die Fürstin zusammengenommen, um jene strafenden Worte zu sprechen, die ebenfalls in die Geschichte übergegangen sind, und nach verschiedenen Berichten am wahrscheinlichsten so lauteten: »Ei, Frau Baronin, Ihre naiv satirische Antwort sollte gewiß das junge Mädchen nicht kränken. Von Geburt sind wenigstens alle Menschen ohne Ausnahme gleich. Ist es auch ermunternd und erhebend, von Eltern und Vorfahren abzustammen, die sich durch Verdienst und Tugenden auszeichneten, und wer wollte den Werth nicht anerkennen und sich nicht selbst geehrt fühlen durch de Ehre, aus einer guten Familie zu sein! Aber Gott Lob, das gilt für alle Stände gleich und aus den untersten sind die größten Wohlthäter des Menschengeschlechts hervorgegangen. Stand und Würde kann man erben, aber innere persönliche Würdigkeit, worauf am Ende doch Alles ankommt, muß Jeder sich selbst erwerben. Der Weg dahin ist die Selbstbeherrschung, und ich bin überzeugt, wenn ich in den Zügen des jungen Mädchens lese, daß ihre Seele diesen Weg längst gefunden hat. – Ihnen, liebe Baronin, danke ich, daß Sie mir Gelegenheit gaben, den Anwesenden meine Meinung darüber zu sagen. Es ist die Meinung, welche auch im Herzen meines Gatten, des Königs, lebt.« Der strafende Blick der Königin, der leichthin über die Reihen flog, hatte sich in den huldvollsten verwandelt, als er Adelheid wieder traf. Sie wechselte einige Worte mit ihr, die nur die Wenigsten hörten, aber Beider Augen verriethen den Sinn. Mit dem gnädigsten Nicken war sie vorüber geschwebt. Die Scene hatte sich im Augenblick verwandelt. Die moquanten Mienen von vorhin waren zu langen Gesichtern geworden. Das junge Mädchen war noch eben als ein Eindringling in diese Kreise betrachtet und gemieden worden; fast isolirt hatte sie neben der Eitelbach gesessen, kein Tänzer sich ihr genaht. Welche Urtheile waren hinter ihrem Rücken gefällt worden! Ach, selbst ihre Jugendgeschichte hatte man hervorgezogen. – Ist das die ! hatten zwei Hofdamen sich erschreckt angeblickt, mit dem Versuch, über die Erinnerung zu erröthen, der indeß unter dem dicken Karmin erstickt war. Und nun, wie Nebel bei einem Sonnenblick, war Alles anders geworden. Woltmann berichtet von der Königin Luise, daß, wenn sie mit Häßlichen gesprochen, auch diese allmälig den Umstehenden schön gedünkt; solchen Zauber strahlte die Fülle ihrer Anmuth aus. Eine ähnliche Magie hatte Luise hier geübt. – Nein, wie schön sie ist! hörte die Eitelbach jetzt hinter sich flüstern. Welcher Anstand! – Es ist etwas Geborenes darin! – Die Eitelbach war ohne Neid; mit Vergnügen sah sie die Lorgnetten auf ihren Schützling gerichtet. Sie lächelte die Dame an, die sich an ihren Arm hing: »Nein, liebste Baronin, was müssen Sie für eine Freude haben, einen solchen Engel zu bemuttern! Aber sie ist auch der besten Obhut anvertraut.« – Damen und Herren ließen sich Adelheid vorstellen. Ihre Antworten entzückten. – Da, um das Glück vollständig zu machen, hatte sich auch der König ihr genähert. Auch er sprach gnädig; freundlich sah er zum schönen Mädchen nieder, man hörte durch das Geräusch huldvolle Worte; viel von gehört haben – sehr freuen – einen braven Vater haben. – Auch die jüngeren Prinzen waren herangetreten, der König scherzte mit ihnen. Ein Scherz von den gewichtigsten Folgen. Bald durchflog die Säle die Neuigkeit: die Prinzen tanzen mit der Alltag. Sie war der Stern des Abends. Sie blieb der Gegenstand des Gespräches in den Equipagen, die nach Hause rollten. Ueber ihre Schönheit war nur eine Stimme. Nur etwas zu ernst! Aber die Holdseligkeit der Königin hatte ihr auch davon angehaucht. Welche naive, frappante Antworten sie gegeben! Wie hatte sie den jungen Prinzen August auf eine etwas kecke Frage anlaufen lassen! Aber wie hatte der ältere Bruder, Prinz Louis, sich benommen? – Eine solche spirituelle Schönheit musste doch auf den galantesten Ritter wirken. – Er war an ihr vorübergegangen. – Unmöglich! hieß es; aber Viele versicherten es. Der unglückliche Prinz sieht jetzt nur Gespenster! Die Aussicht auf den Krieg schüttelt in ihm wie ein kaltes Fieber. – Aber nein, er war zurückgekehrt, er hatte mit ihr Worte gewechselt. Es klang unglaublich, was der Lauscher gehört. Er hatte sie wehmüthig angeblickt, wie Hamlet Ophelien: »Was wollen Sie in dieser Atmosphäre? Die ist nur für kranke Seelen.« – Und sie, was hatte sie geantwortet? »Gnädigster Herr, ich meinte, wer gesund ist, bringe Lebensluft in jede Atmosphäre mit.« – Unbegreiflich fanden es Viele – ein simples Bürgermädchen, die Tochter von dem alten Geheimrath Alltag! Er wird wohl nun geadelt werden, meinten Einige. Andere schüttelten schlau den Kopf: Wer weiß denn, ob er ihr Vater ist! Eine Dame fand in Adelheids Gesicht Züge, die an den vorigen König erinnerten. Drei Tage lang sprach man am Hofe, sieben in der Stadt, nur von der schönen Adelheid. Dann waren andere Gegenstände gekommen. Die Königin hatte sie nicht rufen lassen, die Königin hatte an Anderes zu denken. Die Fürstin mochte auch an Anderes denken, sie sagte nichts, aber wenn sie Adelheid sah, schien ihr lächelnder Blick zu sprechen: wenn eine Königin vergaß, uns rufen zu lassen, so wäre es an uns, sie anzurufen, damit sie sich unserer wieder erinnere. Zur Diplomatin ist sie nicht geboren. Der Minister mochte das und seine letzte Bemerkung längst vergessen haben, indem er mit der Schrift sich auf das Kanapé geworfen und mit dem Daumennagel Zeichen am Rande machte, als er auch das Papier sinken ließ. »Lesen Sie!« sprach er. Walter nahm das Papier, welches Jener auf das Kanapé fallen lassen. Der Minister schüttelte mit dem Kopf. »Zuvor die Hauptpassus, die wir aus dem vorigen Memorial heraushoben. Man muß sich diese erst vergegenwärtigen. Es wird nicht mehr Alles für heute passen.« Walter griff nach einem andern Heft und las: ›Bedrohte Selbstständigkeit – Unwille der Nation über den Verlust ihres alten, wohlerworbenen Ruhmes.‹ Der Minister schüttelte den Kopf: »Dies bleibt nun weg. Wüster Lärm genug.« Walter las weiter: ›Affiliirung der Kabinetsregierung mit Haugwitz. An den Ministern haftet die Verantwortlichkeit für das, was sie nicht beschlossen, vor dem Publikum.‹ »Oeffentliche Meinung!« korrigirte der Minister. »Weiter.« ›Man schämt sich einer Stelle, deren Schatten man nur besitzt.‹ »Habe ich das im April geschrieben?« seine Lippen warfen sich zu einem höhnischen Lächeln. – »Illusionen! Wenn sich Einige geschämt haben, jetzt haben sie sich anders besonnen. Das bleibt weg.« Walter fuhr fort: ›Das Ehrgefühl der Beamten wird unter einer solchen Regierung unterdrückt, ihr Pflichtgefühl abgestumpft. – Subalterne gehorchen nur noch halb, sie suchen ihr Heil bei den Götzen des Tages.‹ »Das bleibt. Das hat gewirkt, es kann noch wirken. Für die Reputation ihres Beamtenheeres haben sie noch einiges Tendre. Weiter!« ›Der Monarch lebt in völliger Abgeschiedenheit von seinen Ministern. Von Allem, was geschieht, erhält er nur einseitige Eindrücke durch das Organ seiner Kabinetsräthe.‹ »Sie halten inne. Haben Sie da Bedenken?« – »Könnten wir nicht die Person des Monarchen aus der Sache lassen?« »Wir leben nicht in England. – Wir leben in Preußen, wo der Monarch mit dem Volke identisch ist. Es scheint eine Anomalie, aber es ist eine Wahrheit. Wehe ihm und dem Volke, wenn es nur ein Schein werden könnte. Wo ein Fürst diese abnorme Stellung hat, wo der Kopf sich eins fühlt mit dem Körper, muß er auch das vertragen können, was die anderen Glieder. Preußens König ist so wenig ein Kaiser Karl und König Artus, die als Pagoden dasitzen, drei Köpfe höher als ihre Tafelrunde, als er ein Fürst ist, dem die Konstitution ein glänzendes Altentheil angewiesen hat. Er ist nur der er ist, indem er eine Partikel seines Volkes ist. Exceptionell, ja, ja, durchaus exceptionell, aber so ist's. Wir dürfen's nie aus dem Auge lassen. Er muß empfinden wie wir – das Streicheln und die Schläge. Man muß ihn anfassen können, schütteln ein wenig, ein derbes Wort sagen. Verträgt er es nicht – doch weiter, weiter!« – »Nun folgen die subjektiven Gründe. ›Wer hat dies unbedingte königliche Vertrauen? Beyme und Lombard, von ihnen ganz abhängig Haugwitz. Jener – guter Jurist, ward übermüthig, absprechend, korrumpirt – Verbindung mit Lombard untergrub seine Sittenreinheit – gemeine Aufgeblasenheit seiner –‹« Der Minister wehte mit der Hand. »Die Frauen mögen jetzt fortbleiben.« »Wahrscheinlich auch die folgende Charakteristik: ›Physisch und moralisch gleich gelähmt und abgestumpft. Seine Kenntnisse französische Schöngeisterei. Ernsthafte Wissenschaften haben diesen frivolen Menschen nie beschäftigt, frühzeitige Theilnahme an den Orgien der Rietzischen Familie sein moralisches Gefühl erstickt.‹ Soll das auch bleiben?« – »Weiter!« – ›In den unreinen und schwachen Händen eines französischen Dichterlings von niederer Herkunft, eines Roués, der seine Zeit im Umgang mit leeren Menschen, mit Spiel und Polissonnerien vergeudet, ist die Leitung der diplomatischen Verhältnisse, und in einer Periode, die in der neuern Staatengeschichte nicht ihres Gleichen findet.‹ »Auch das?« – »Ist's nicht wahr?« – »Aber wozu der Vorwurf niederer Herkunft?« – »Das verstehen Sie nicht.« Der Minister war aufgesprungen. »Brüstet er sich nicht selbst bei jeder Gelegenheit, daß er der Sohn eines Perrückenmachers ist! Ein Skandal! eine Verworfenheit ohne Gleichen. – Ja, wenn sie den Adel nicht systematisch zu Lakaien depravirt hätten, es stände anders. – Ihnen geschieht recht. – Laß sie an der Frucht ihrer Schuld nagen.« »Das folgende, persönlich gegen den Minister Gerichtete ist schon so oft gesagt –« »Kann aber nicht oft genug wiederholt werden.« Walter las mit Zaudern: ›Sein Leben eine ununterbrochene Folge von Verschrobenheiten oder Aeußerungen von Verderbtheiten. Sein Urtheil seicht und unkräftig, sein Betragen süßlich und geschmeidig. – Als Gelehrter Phantast – dann Mystiker aus Liederlichkeit – Geisterseher aus Mode – Herrenhuter aus Bequemlichkeit – verschwendet die dem Staate gehörige Zeit am Lhombretisch. Abgestumpfter Wollüstling, gebrandmarkt im Publikum mit dem Namen eines listigen Verräthers seiner täglichen Gesellschafter und eines Mannes ohne Wahrheit und Wahrhaftigkeit.‹ Walter hielt inne und blickte auf den Minister. »War's eine zu schwere Aufgabe für Ihre Feder?« – »Ich frage mich nur, ob dieser persönliche Angriff nothwendig ist?« – »Man muß Personen ändern, wenn man Maßregeln will, habe ich Ihnen diktirt. Man muß die Personen niederschlagen, daß sie das Aufstehen vergessen, wenn sie zur Vordertreppe hinabgeworfen, auf der Hintertreppe immer wiederkommen. Man muß sie zertreten, tödten, vernichten, wenn mit ihnen die Maßregeln unmöglich sind. Schonung aus Mitleid wird Verbrechen.« »Wenn wir auf den Erfolg rechnen können! Seine Majestät erwiderten auf das erste Memorial, worin Excellenz auf Aenderung des Kabinets drangen: Sie wünschten nur, daß man Ihnen Beweise der Verrätherei dieser Leute gäbe, so würden Sie keinen Anstand nehmen sie zu entfernen. Die Beweise – sagt wenigstens das Publikum – liegen seitdem zu Tage – und –« »Es bleibt Alles, wie es gewesen. – Und das, Herr, soll uns bestimmen, nicht unsere Pflicht zu thun? Nicht zu rütteln an den faulen Aesten, so lange wir Mark in den Gliedern haben, nicht zu schreien, rufen, warnen, so lange wir Athem haben und man uns nicht den Mund verbindet. Wie?« »Ich schweige in Ehrerbietung vor Eurer Excellenz gerechter Entrüstung.« – »Nein, Sie sollen sprechen, Ihre Meinung sagen, dazu sind Sie hier; darum ließ ich mich in das Gespräch mit Ihnen ein. – Sie meinen, auch diese Denkschrift wird ohne Wirkung bleiben?« – »Man weiß, daß auch der alte General Blücher deshalb vergebens an den König geschrieben hat.« »Und jetzt werden diese Denkschrift die Prinzen Wilhelm, Heinrich, Louis, Ferdinand, Rüchel und ich unterzeichnen. Damit keiner meiner Freunde mir vorwirft, daß sie in der Hitze und Galle aufs Papier geworfen ist, wird Johannes Müller sie vor der Unterschrift überarbeiten. Wenn solche Namen zusammenklingen, solche Männer die Arme verschlingen, solche Gründe ihm ins Ohr donnern, über welche Zaubermacht müssten diese Wichte gebieten, wenn er widerstehen kann. – Hier ist Müllers Konzept. Er schließt: ›Dieses Kabinet, welches nach und nach zwischen Eure Majestät und das Ministerium sich eingedrungen hat, daß Jedermann weiß, was bei uns geschieht, geschehe nur und allein durch die drei oder vier Männer, hat, besonders in Staatssachen, alles und jedes Vertrauen längst eingebüßt. Ja, Majestät, die öffentliche Stimme redet fürchterlich deutlich und bestimmt von Bestechung.‹« »So wird er Ihnen entgegnen: Beweis't es! Excellenz, dies eine Wort kann Alles verderben. Können wir, kann irgend Einer den Beweis führen? Ja, die Hand aufs Herz, kann einer dieser Hochgestellten und Gefeierten vor Gott die Betheuerung aussprechen: ich bin fest überzeugt, daß französisches Geld in ihren Taschen klimpert! Haben wir nicht vielmehr die moralische Ueberzeugung, daß sie mehr aus Indolenz, Eitelkeit, Dünkel, aus eigener Ueberhebung, aus Schlaffheit und Faulheit im Denken, sich gegen das Vaterland versündigen, als daß sie wirklich Verbrecher sind!« Der Minister machte, die Hände auf dem Rücken, die Augen niederschlagend, wieder seine Zimmerpromenade: »Sie mögen Recht haben, Gott hat sie nicht in seinem Zorn erschaffen, nur in seinem Mißmuth: daß, zu unserer Beschämung, auch solches Gewürm herum kriechen muß.« – »Vermöge ihrer zwei Beine müssen sie doch aufrecht gehen, und aufrecht gehend müssen sie die Augen aufschlagen, sie müssen sehen, was vor ihnen ist. In Augenblicken, wo sie aus ihrem wüsten Taumel erwachen, müssen sie auch an den Richterspruch der Nachwelt denken.« – »Was kümmert dies Gesindel die Nachwelt! Den Bauch vollgeschlagen, die Taschen gefüllt, so weit es die Honettität erlaubt, das heißt die Rücksicht vor den Leuten, mit denen sie mal Lhombre spielen können, und nach ihnen die Sündfluth!« – »Das Gefühl für Schimpf und Schande –« »Prallt von den bunten Blechschilden ab, vorausgesetzt, daß sie mit Gehalt, Pensionen, Güterschenkungen gefüttert sind.« – »Excellenz, Lombard sprudelt und spricht jetzt nur Krieg, Lucchesini er klärt laut und offen, es ginge nicht anders, Haugwitz lässt den Kopf hängen –« »Weil sie sich vor'm Pöbel fürchten.« – »Kann der Strahl nicht auch in Ihnen gezündet haben?« »Noch ein Optimist! Da walte Gott. Pack sie am Kragen und schmeiß sie zur Thür hinaus, so kommen sie zur Hinterthür wieder hereingetänzelt und fragen mit einem süßen Händedruck, es sei doch wohl nicht ernst gemeint gewesen? Wirf ihnen einen Schurken ins Gesicht, so lächeln sie über den liebenswürdigen Scherz. Was ist ein Fußtritt in einen Plunderhaufen! Sie wollen Minister bleiben, Geheimräthe, weiter nichts, und sie haben Recht. Was wären sie, wenn sie es nicht sind!« »Und wenn denn doch eine innere Röthe der Scham –« »Wenn die einmal herauskommt, treten sie vor den Spiegel und liebäugeln mit sich wie der Pharisäer. Werfen sich in die Brust, denn was sie vor sich sehen, ist ja ein treuer Diener ihres Königs. Das ist der rechte bequeme Bettelmantel für diese Menschen. Wenn sie etwas Dummes und Schlechtes gemacht, was sie vor Gott und Menschen und sich selbst nicht rechtfertigen können, haben sie es nur als treue Diener ihres Herrn gethan. Alles für ihren König! Mag Land und Volk darüber untergehen, wenn sie nur hinter der Decke der treuen Dienerschaft salvirt sind. Scham in diesen Lakaienseelen! Die sich nicht schämen, ihre eigenen Fehler und Sünden Dem aufzupacken, als dessen Götzendiener sie sich anstellen! Der, den sie als das strahlende Abbild göttlicher Majestät anpreisen, als Kratzbürste zu brauchen, an der ihr Schmutz kleben bleibt! – O dies Gezücht schämt sich auch nicht, wenn es umschlägt, die Achseln zu zucken und mit den Augen zu zwinkern: Er wollte ja nicht anders, wir konnten nichts thun! Wer seine eigene Menschenwürde opfert, dem ist nichts heilig, er opfert Alles, zuletzt den Götzen selbst, wenn ein mächtigerer da ist.« Walter sagte nach einer Pause: »Sind Eure Excellenz überzeugt, daß Haugwitz auf seiner Reise ohne Instruktionen gehandelt hat?« Der Minister fasste leicht seinen Rockzipfel: »Ein König, mein Lieber, ist ein Mensch, und ein Mensch noch nicht ein Chamäleon, wenn die Meinungen in ihm schwanken. Die Friedrich und Joseph, die Ludwig und Karle der Vorzeit sind Ausnahmen. Die Mehrzahl der Fürsten sind Menschen wie wir. Das Gute und das Böse, das Richtige und das Falsche rollirt in ihnen wie in einem Glücksrad. Da ist es Pflicht der gewissenhaften Räthe, den Augenblick ergreifen, wo das Gute und Richtige oben liegt. Da müssen sie das Rad stille halten, sie müssen es, sage ich, auf die Gefahr hin, daß es sie ergreift und zerdrückt. Trauen sie sich das nicht zu, sollen sie in der Schreibstube bleiben, oder ihrem Ehrgeiz mit Kammerherrnschlüsseln genügen lassen. – Wer so dreist ist, da oben stehen zu wollen, hat vor Gott, vor dem Volke, vor seinem Könige selber die Pflicht, ihm dreist ins Gesicht zu sehen. Nicht seine gute Launen soll er belauschen, um Gefälliges sich und Anderen zu wirken, seine ernsten Augenblicke soll er ihm abstehlen, und wollen sie entfliehen, soll er sie festhalten, mit eisernem Händedruck, er darf die Runzeln des Unmuths nicht sehen, er soll den sprudelnden Zorn nicht achten. Es ist ein anderer Zeuge dann über ihm, über Beiden steht ein anderer König, vor dem der Purpur und die Staatsweisheit Plunder sind. – Und dringt er absolut nicht durch, soll er vor seinem Könige sich neigen und sprechen: ›nimm das Amt zurück, das noch rein ist in meinen Händen! Wehe dem, der ein leichter Gewissen hat, es zu beflecken.‹ Das ist ein wahrhaft treuer Diener. Die armen Könige, die keine Männer finden, nur treue Diener wie diese hier!« setzte der Minister mit gedämpfter Stimme hinzu und trat, die Arme unterschlagend, ans Fenster. – »Die armen Könige!« wiederholte er, »ich könnte sie bedauern. Solche treue Diener waren es, die die Throne unterhöhlt, Dynastien gestürzt. Ein arglistiger böser Staatsmann hinterlässt Flecke; die kann man auswaschen, ausbeizen. Ein Chamäleon, das von jedem Regenbogenstrahl der königlichen Laune durchschauert ist, und ihn in Reskripten und Gesetzen austräufen lässt in alle Adern des Landes und Volks, dem Flüchtigen den Stempel der Autorität aufdrückend, der verdirbt die Völker und die Monarchien. Ich sage Ihnen, –« Ein Geräusch in der Ferne unterbrach ihn, zugleich brachte der Diener Licht. Es war Abend geworden. 75. Kapitel. Gewetzte Degen Fünfundsiebenzigstes Kapitel. Gewetzte Degen. Der Lärm war ein wirres Stimmenmeer, unterbrochen von schallendem Gelächter. Ein schärfer Ohr hätte das Klirren von Stahl herausgehört, aber die Fenster, die ringsum von Neugierigen aufgeschlagen wurden, ließen es nicht zu. Auch der Minister öffnete einen Flügel: »Wahrscheinlich wieder ein Theaterfurore!« – »Die Schick spielt heut die Elisabeth und die Unzelmann die Maria Stuart,« bemerkte Walter. »Man sprach davon, daß es unter ihren Anhängern einen Skandal geben könne.« – Der Minister blickte hinaus: »Ich sehe Uniformen, wenn ich nicht irre, Gensdarmen. – Der Lärm kommt näher.« Das Gelächter war jetzt mit lebhaften Hussas, Bravos und einem schrillen Pfeifen untermischt. »Etwa noch eine Schlittenfahrt! Daß Gott erbarm, diese Menschen lernen nichts.« Eine Menschenmasse wälzte sich auf die Straße zu, und die klappenden Hacken auf dem Pflaster deuteten auf ein Laufen. Eine Art Verfolgung musste sein, aber die Verfolgten, wie immer Straßenjungen voran, jauchzten zugleich wie in einem Triumphgesang. »Die Sache wird ernsthafter. Sie möchten sich umsehn, Asten, was es giebt.« Die Dienerschaft unten hatte sich schon umgesehen und der Haushofmeister kam eben mit einem Rapport herauf, der von den Ausrufungen, die man jetzt deutlich von der Straße hörte, unterstützt ward. Es war allerdings ein Straßenskandal, doch ernsterer Art. Viel junge Gensdarmen und Garde du Corps waren von einem lustigen Gelage in Charlottenburg spät zurückgekehrt. Der Wein sollte in Strömen geflossen sein. Gläser klangen, zerbrachen, einige waren sogar durch die Fenster geflogen. Es galt aber weder der Schick noch der Unzelmann, sondern den Franzosen und Napoleon. Man hatte sich in einen Harnisch getrunken, gesungen und votirt. Beim weiten Wege durch den nächtlichen Thiergarten war der Rausch nicht verraucht, vielleicht hatte der Anblick der Viktoria auf dem Brandenburger Thore ihn noch erhöht. Die Kühnsten vorauf waren als Sieger durchgesprengt. Wo es beschlossen worden, ob hier erst, oder schon in Charlottenburg, weiß man nicht. Plötzlich war man abgesessen und nach dem Hotel des französischen Gesandten gezogen. Der eigentliche Hergang ward verschieden erzählt, man hatte Ursache, die Sache zu vertuschen. Ob man Spottweisen angestimmt, was man schrie, welche Reden man sich gegen den Bevollmächtigten des französischen Kaisers erlaubt, blieb unausgemacht, aber junge Offiziere hatten ihre Säbel gezogen, und auf den Treppenstufen zum Hotel gewetzt. Es konnte im Dunkeln geschehen. Weder die Sterne am Himmel, noch die spärliche Straßenbeleuchtung machten die Uebermüthigen kenntlich. Aber plötzlich, wie durch einen Zauberschlag, wurde es im Hotel hell. Die Fenster, von denen man die Läden fortriß, glänzten von so schnell angezündeten Kerzen, daß die Vermuthung wenigstens da war, der Ambassadeur habe, wie von Allem, auch von diesem Impromptu Witterung gehabt. Symbol für Symbol. Wir kündigen den Frieden, rief der Klang; ich nehme die Kündigung an, antwortete der Lichterschein. Uebrigens blieb es todtenstill im Haus, kein Kopf zeigte sich an den Fenstern. Die älteren und besonneneren Offiziere waren bei dieser unheimlichen Manifestation zurückgesprungen, und hüllten sich in ihre Mäntel. Nur einige jüngere, in denen der Wein glühte, waren durch den Lichtschein, auch wohl durch die Akklamationen des Straßenpublikums, das sich in immer dichteren Schaaren sammelte, noch mehr entzündet. Aber während ihre geschwungenen Pallasche funkelten, vernahmen Andere schon deutlich Hufschlag und in der Scheide klirrende Säbel. War auch hier ein Verrath, eine Denunziation, eine geheime Sympathie im Spiele? Die Thatsache war, im Gouvernementsgebäude musste der Feldmarschall Möllendorf, oder wer ihn vertrat, wach gewesen sein, denn Husaren und Polizeidiener sprengten heran, um dem Unfug zu steuern, die Thäter zu ergreifen. Der Lärm wuchs. Die sympathisirenden Zuschauer bildeten noch einen Wall gegen die andringende Polizeimacht. Unter den besonnenen Theilnehmern an dem Abenteuer war die Gewissensfrage, ob sie für ihre Personen sich ins Dunkel salviren, und die jüngern Unbesonnenen, die nichts von der Gefahr ahnten, ihrem Schicksal überlassen sollten, oder ob ihre Pflicht erheische, sie mit ihnen zu theilen? Bei einem Rittmeister, den mittleren Jahren näher als denen der Jugend, war der Entschluß schnell zum Durchbruch gekommen, denn aus dem Dunkel der Bäume, wo er sich den Mantel schon fest umgeknöpft, sprang er plötzlich zurück, umfasste einen jüngern Offizier, der eben mit seiner Degenspitze eine Scheibe im Fenster des Erdgeschosses berührte – in welcher Absicht, wusste der junge Mensch nachher selbst nicht – und mit den Worten: »Fritz, bist Du toll?« schleuderte oder riß der starke Mann ihn zurück. Fritz schrie Worte, die vor jedem Gericht als Landesverrath gelten mussten, der Rittmeister küsste sie ihm von den Lippen: »Ja, Fritz, wenn's losgeht, schlagen wir ihn mit einander todt. Du nicht allein. Fritz, Respect, ich bin Dein Onkel, Dein Chef, ich schlage mit. Aber jetzt, Ordre parirt! – Mäuschenstill!« Damit hatte er den eigenen Mantel losgerissen und um die Schultern des Neffen geknüpft. Der Neffe parirte auch, er schulterte, ein Gliedermann, aber in der Hand den blanken Degen. – »Platz! Platz!« riefen die Polizeimänner. – »Retten Sie sich!« riefen viele Stimmen aus den Gruppen; die Gruppen machten diesmal Partei mit Offizieren und Junkern, deren Uebermuth so oft doch ihre lauten Aeußerungen des Unwillens hervorgerufen hatte. Der Rittmeister hatte rasch den Pallasch seinem Neffen aus der Hand gerissen und ebenso rasch hatten wohlmeinende Bürger den jungen Offizier untergefasst und ins Gedränge geführt. Er war gerettet, aber sein Retter – in der leuchtenden Uniform, den blanken Degen in der Hand! »Da steht er!« rief der Kommandirende der Patrouille und meinte wohl damit denjenigen, den die Reiter schon von fern gesehen, mit der Degenspitze an den Fenstern klirren. »Platz! Platz!« Der Platz aber war gerade das, was fehlte und wo er noch war, trat die hülfreiche Straßenjugend ein, ihn zu versperren. Es war von je in ihrer Art, die Polizei zu necken, und wir verschwören nicht, daß sie der Patrouille falsche Weisung gab, um ihren Eifer vom gesuchten Ziele abzulenken. Aber auch der Rittmeister fühlte sich plötzlich von einem Mann unter den Arm gefasst und fortgerissen. »Eilen Sie, schnell dort um die Ecke!« rief eine ihm nicht unbekannte Stimme. Als sie um die Ecke waren, und der Offizier einen Augenblick Athem schöpfte, erkannte er wohl in dem Dienstbeflissenen den Sohn seines Freundes van Asten, der nur einen andern ihm früher erzeigten Dienst vergolten hatte; es überkamen ihn aber andre Empfindungen, als die des Dankgefühls, indem er den Schweiß von der Stirn wischte. »Ein Offizier darf doch nicht Reißaus nehmen!« »Nicht vor dem Feinde,« entgegnete Walter, »aber vor einem Skandal. Schnell fort, bester Herr von Dohleneck.« Der Herr von Dohleneck, der, wenn auch nicht so viel als sein Neffe, doch auch viel des süßen Weines getrunken hatte, erhob den blanken Degen in die Luft: »Stehen oder fallen!« »Gegen die Franzosen, Rittmeister, nicht gegen die Polizei.« Er zog ihn weiter. Aber der Rittmeister blieb wieder stehen. Er lehnte sich an einen Brunnen. »Das ist ja eine verfluchte Geschichte –« »Die noch übler werden kann. Eine Verhöhnung des Gesandten, eine Verletzung des Völkerrechtes. Um Gotteswillen kommen Sie, schnell – weiter. – Werfen Sie den Degen fort!« – »Ein Stier von Dohleneck seinen Degen fortwerfen! – Wer sagt das!« – »Es ist ja nicht Ihr Degen. Ein fremder Pallasch, den Sie einem Ruhestörer aus der Hand rissen. Ihr Degen steckt ruhig in der Scheide. – Ich will's bezeugen, wenn's zum Schlimmsten kommt. Sie wollten nur Ordnung herstellen, Sie haben Ihren Degen nicht gewetzt. – Aber es darf nicht zum Schlimmen kommen. Es könnte sehr schlimm werden, außerordentlich schlimm, Herr von Dohleneck.« »Hol' mich der und jener, das ist grade eine Geschichte wie damals bei der Schlittenfahrt –« »Schlimmer,« drängte Walter; »damals profanirten Sie Luther, der es Ihnen gewiß vergeben hat, heut Bonaparte, der es nie vergiebt, nicht Ihnen, nicht uns, nicht dem Könige.« – »Der König auch nicht!« rief der Rittmeister. »Ach Gott, ich bin ja Katharina von Bora.« – »Besinnen Sie sich.« – »Nein – richtig – ich war nur ihr Kammermädchen. Das ist alles eins. Wenn er's erfährt, bin ich kassirt.« – »Theuerster Herr von Dohleneck, ich wünschte, die Weihe der Kraft überkäme Sie, und Sie beschleunigten Ihre Schritte.« Dabei blickte sich Walter um, ob nicht irgendwo eine Hausthür sich öffne, in die er seinen Begleiter schieben könnte. Aber es war einige ruhige Straße, man hatte mit der Bürgerglocke geschlossen. Nur an den erhellten obern Fenstern blickten Neugierige heraus. Es war nicht der aufsteigende Weingeist, der schwarze Bilder vor Dohlenecks Hirn malte. Jene berüchtigte Schlittenfahrt der Gensdarmen-Offiziere, in der sie Luther, Katharina von Bora und deren Klosterkonviktualinnen in sehr frivoler Nebenbedeutung dargestellt, ein Ereigniß, das ganz Berlin in Aufruhr gebracht, hatte den langmüthigsten König aufs Empfindlichste gereizt: sein eigner Wille war diesmal durchgedrungen, und wenn die Thäter auch nicht so gestraft wurden, wie er für angemessen hielt, wurden doch die Urheber des Unfugs gestraft, seit langer Zeit ein Ereigniß, was noch mehr überraschte, noch mehr von sich sprechen machte, als der tolle Streich selbst. Er brauchte nicht der Erklärung, die man versucht hatte, daß dieser oder jener Minister, oder ihre Frauen, eine Pique gegen einen oder den andern der Offiziere gehabt, es war der religiöse Sinn des Monarchen, der die Profanationen rächte. Man wusste auch schon, daß er derartige Kränkungen nicht vergaß, und Die, welche damals der Strafe entgangen waren, blieben doch in seinem vortrefflichen Gedächtniß notirt. Da rollte eine Equipage vorüber, von links und rechts, von beiden Seiten der Straße zeigten sich berittene Piquets. Das Halt! welches Walter dem Kutscher zurief, hatte eine glückliche Wirkung. Das war ein Moment. Im zweiten hatte er den Kutschenschlag aufgerissen. Es saß nur eine Dame darin. Walter rief hinein: »Wer Sie auch sind, es gilt, einen Verfolgten retten. Kein Widerspruch, kein Laut!« Man wird sich nicht wundern, wenn die Dame, trotz des kategorischen Befehls, ihm nicht ganz nachkam, denn welche Dame in gleicher Lage mit der Baronin Eitelbach erschräke nicht, wenn auf solche Anmeldung ein Offizier mit blankem Degen ohne ein Wort, ohne einen Laut zu ihr in den Wagen springt. Sie schrie auf: »Herr Jesus, was ist das!« – Das folgende: »Er bringt mich um!« erstickte aber schon auf ihren Lippen, als von denen des Offiziers unter einem schweren Seufzer zuerst ein Fluch hervorbrach, dann die Worte: »Ich kann nicht dafür!« Sie mochte die Stimme früher erkannt haben als den Mann, der auf den Rücksitz – halb sank er hin, halb warf er sich. Der Degen rollte aus seiner Hand. Die Baronin fing ihn auf; er war scharf – natürlich er war gewetzt, und an den Sandsteinstufen des französischen Gesandten! – und sie verwundete ihre Finger. – Nach Hause –– das schicken wir hier vorauf – kam sie, die Hand umwunden mit ihrem Battisttuch. Ob sie sich selbst verbunden, ob der Rittmeister den Chirurgen gespielt, darüber schweigen unsre beglaubigten Nachrichten. Das war der zweite Moment gewesen. Im dritten hatte Walter den Wagenschlag zugeworfen und dem Kutscher zugerufen: »Nun zugefahren, was das Zeug hält!« Der Kutscher gehorchte pünktlicher als seine Herrin dem kategorischen Befehl und der Wagen kam unangefochten durch das Polizeipiquet. Nicht so ganz unangefochten kam Walter selbst davon. Das Husarenpiquet, welches eben um die Ecke schwenkte, als der Wagen abfuhr, schien Miene zu machen, ihm nachzusetzen. Der Kommandirende, welcher unsern Freund zu kennen schien, salutirte ihm schon von fern leicht mit dem Säbel, um die Frage einzuleiten: ob nicht ein Militair in die Kutsche gesprungen sei? »Der Schlag ward geöffnet,« entgegnete Walter, »und die darin sitzende Dame nahm, wenn ich nicht irre, einen Bekannten auf.« »Ein Offizier mit blankem Degen?« – »Der Degen, wenn ich recht verstand, war mit den Fensterscheiben des Herrn von Laforest in Berührung gekommen.« – »Kornet Wolfskehl,« rief der eine Husarenoffizier. »Sagt ich's nicht!« – »Ich lasse mich nicht täuschen,« erwiderte der Kommandirende, »das war Dohlenecks Statur. Sie müssen ihn ja kennen, Herr van Asten?« – »Sollte der Rittmeister so jugendlicher Tollheit zugänglich sein! Es war zu dunkel. Aber meine Herren, da entsinne ich mich ja, der Rittmeister war heut zu Exzellenz Schulenburg auf eine Lhombrepartie eingeladen, Exzellenz Blüchers wegen. War Lombard oder Herr Crelinger der Vierte, darüber bin ich nicht recht gewiß, aber – warten Sie, – es wird mir gleich einfallen –« Der Kommandirende lächelte: »Wir danken für den Avis.« – »Kornet Wolfskehl wird wohl zu fangen sein,« meinte der Zweite. Die Husaren sprengten ihrer vorausgeeilten Patrouille nach. Wir verschwören nicht, daß in ihrer Verhandlung mit dem Ministerialsekretär nicht die wohlmeinende Absicht mitgespielt hat, dem Verfolgten Zeit zu lassen. Der Wagen der Baronin Eitelbach entging glücklich der Polizei und den Husaren, und als er vor dem Hause der Madame Braunbiegler hielt, war nichts Gefährliches passirt, als daß eine Scheibe im Kutschenschlage – wahrscheinlich durch einen zufälligen Ellenbogenstoß – entzwei gegangen war. Auch hatte sich seltsamer Weise ein Fußgänger, nach einer Verständigung mit dem Kutscher, zu ihm auf den Bock gesetzt. Dieser war, schneller als der Kutscher herab gesprungen, und bereits verschwunden, als letzterer sich langsam herunter machte, um, in Ermangelung eines Bedienten, den Wagen zu öffnen. Ehe das geschah, hatte sich aber die Wagenthür gegenüber schon von selbst geöffnet und der Rittmeister war nach einem langen zärtlichen Kuß auf die Hand der Baronin entschlüpft. Die Eitelbach war nie so langsam als heute die Treppe zu einer Gesellschaft hinaufgestiegen. Auch im Vorzimmer hatte sie noch so viel mit ihrer Toilette zu thun. Ein Glück, daß die große Gesellschaft, welche sich noch spät bei der Braunbiegler versammelt, mit andern Dingen beschäftigt war, um auf ihre Verlegenheit Acht geben zu können. Diese Verlegenheit hätte sich eigentlich noch um ein Bedeutendes steigern müssen, als die Wirthin ihr mit dem Bedauern entgegen kam, daß sie ihre Hand an der Fensterscheibe verwundet habe, sie hoffe, es werde doch nicht üble Folgen haben. Die Wirthin hatte nicht Zeit, ihr Erröthen zu bemerken, sie hatte überhaupt in dem Gewirr nicht Zeit für einen einzelnen Gast. Auch Andere, die an ihr vorüber streiften, beklagten die schöne Hand. »Es wird aber gewiß nichts auf sich haben.« Wusste denn Jeder nicht nur die Thatsache, sondern schon das Märchen, was sie sich künstlich zurecht gelegt, um die Wahrheit verbergen zu dürfen? – Von wem hatten sie's erfahren? – Gott sei Dank, daß sie wenigstens das nicht gehört, von dem nichts wussten, was – es war das erste Geheimniß, was sie unter ihrer pochenden Brust verbarg. Die Brust blutete vielleicht heftiger als die Hand. In solchen Stimmungen kann eine große Gesellschaft, wo Keiner Zeit und Raum hat, auf den Andern Acht zu geben, zur Wohlthat für ein geängstetes Gemüth werden. Ein Hofmann hätte es eine gemischte genannt, sie bestand mehr aus den Optimaten des Reichthums als der Geburt. Der Reichthum hing von den Decken als Kronenleuchter, Armleuchter, Festons, Seiden- und Damastgardinen; er lastete in den Aufsätzen der Nischen und Ecktische, in den Teppichen auf dem Boden, vor allem auf und an der Wirthin. Zum Schildern ist nicht mehr Zeit. Die Juwelen, Ketten, Ringe, Aufsätze, die Madame Braunbiegler vom Wirbel bis zum Gürtel, von den Schultern bis zu den Fingerspitzen trug, waren in Berlin sprichwörtlich. Reichthum, überall, wohin man sah, nicht ausgebreitet, sondern aufgeschichtet, lastend, prahlerisch, ohne Geschmack. In solchen Kreisen pflegt die Unterhaltung der Lebendigen, der Hauch, der über eine Gesellschaft hinfliegen soll, den Widerschein und Abdruck des Apparates anzunehmen. Der Patriotismus hier war anderer Schattirung als der, welcher den Scheiben des französischen Gesandten gedroht. Das große Ereigniß, welches die Straßen, die höheren Kreise heut Abend in Bewegung versetzt, die diplomatischen in Entsetzen, hatte weniger Wirkung hervorgebracht. Man betrachtete den Krieg als etwas Ausgemachtes, Nothwendiges, die Dehors desselben kümmerten die Anwesenden weniger. Nur die jüngern Leute versuchten in einer Nebenstube am Klavier die sechs neuen eben erschienenen Kriegslieder, komponirt von Helwig, zu singen. Allgemeinsten Beifall erntete aber das Kriegslied der Preußen von Karl Müchler, komponirt von Mappes: »Endlich tönt der Ruf der Lust!« Aber es war ein anderer, näher liegender Gegenstand, der die praktischen Leute beschäftigte. Gestern war eine Frage entschieden, die schon Wochen lang die Gemüther beschäftigt hatte: ob die Infanteristen Mäntel haben müssten? Es war eine Frage gewesen, so wichtig, so ernst behandelt und so lebhaft als irgend eine, welche zuweilen als Riesenschlange durch alle Gesellschaften in Berlin, von den Spitzen der Thürme bis in die Winkel der Kellerwohnungen sich gewunden und dort ihre Streiter gefunden hat. Fragen wie die, ob das neue Jahrhundert um Mitternacht zu 1800 oder zu 1801 gefeiert werden müsse, ob Fleck oder Iffland ein größerer Schauspieler, Friedrich oder Napoleon ein größerer Feldherr gewesen? Es war eine ungeheure Neuerung, das gestand sich Jeder, Vielen schien sie gefährlich, weil den Franzosen nachgebildet. Ja, ein Husar, ohne Mantel gedacht, war kein Husar mehr; aber was blieb er noch, wenn auch Musketiere, Füsiliere, Grenadiere Mäntel erhielten! Der Unterschied von Kavallerie und Infanterie schien über den Haufen geworfen, ein so unübersehbarer Eingriff in die bestehende Ordnung, als heute Vielen eine Gemeindeordnung bedünkt, die den Unterschied von Stadt und Land aufhebt. Friedrich hatte mit einer Infanterie ohne Mäntel gesiegt, er musste doch wissen, warum es so besser war. Ein guter Soldat muß nicht frieren, wenn sein König befiehlt, daß er warm ist. Aber die Neuerer hatten eingewandt, daß auch der Infanterist ein Mensch ist, und daß jeder Mensch friert, wenn es kalt ist, daß der Regen den einen durchnässt wie den andern, daß der Krieg seit Friedrich eine andere Façon angenommen, daß Napoleon die Winterkantonirungen nicht mehr respektire, daß er seine Feinde zu Winterfeldzügen nöthigte. Die Mäntelpartei hatte gesiegt. Gestern hatte ein Erlaß der Geheimen Ober-Finanz-, Kriegs- und Domainen-Direktion das Publikum davon avertirt: wie Seine Majestät, der König, schon längst darauf Bedacht genommen, daß der Soldat im Kriege nicht frieren dürfe, und wie es Seiner Majestät Wunsch sei, daß alle seine braven Krieger eine wärmere Winterkleidung erhielten, namentlich die Infanterie Mäntel mit Aermeln, die Kavallerie wollene Unterhosen. Da aber selbige aus allgemeinen Mitteln zu beschaffen in gegenwärtiger Zeit auf mannigfache Schwierigkeiten stoße, so werde die Bereitwilligkeit der Nation angerufen, das Unternehmen des geliebten Landesvaters zu unterstützen und ihren warmen Patriotismus durch die That zu bewähren. Mäntel! war das Loosungswort durch die Stadt, im Civil, während das Militär nur Krieg wollte, mit oder ohne Mäntel. Zum ersten Mal war das Publikum aufgerufen, ein großes Werk des Allgemeinwohls zu unterstützen, ja die Initiative war ihm in die Hand gegeben. Wen darf es wundern, wenn es umher brauste und schwirrte, eine Thätigkeit sich entwickelte, die sich selbst hemmte und verwirrte. Der Staat hatte bisher für Alles gesorgt, nun sollte der Bürger nicht allein für sich, auch für den Staat sorgen! Kommissionen und Ausschüsse zu bilden, wo sollte man gelernt haben, was sich jetzt von selbst macht! Der Magistrat, der es in die Hand genommen, fand dafür kein ander Mittel als eine Subskription, die von Stadtverordneten Haus für Haus umhergetragen werden sollte. Das war ein langer Weg. Aber nun fühlte sich Jeder berufen, auf seine Hand es in die Hand zu nehmen; die Nähterinnen und die Geheimräthinnen, auf den Kanzeln und in den Werkstuben, im Theater und in den Weinhäusern, auch in andern Häusern, es war überall nur ein Wort, überall wollte man helfen, noch lieber Rathschläge geben, wie man helfen könne. In der Gesellschaft der Braunbiegler hatte die Sache noch eine andere Seite. Auf dem Conto Debet stand Patriotismus und Tuch. Was Madame Braunbiegler gezeichnet, konnte man auf ihrem strahlenden Gesichte fast in Zahlen lesen. Die Dame selbst wog mit ihrem treffenden Blicke die Gäste ab; auch sie las auf jedem Gesichte, wie viel ist der Mann werth? Wie viel hätte er zeichnen müssen? Wie viel hat er zu wenig gezeichnet? Wie viel zu viel, um sich höher zu stellen? Endlich – wie tief stehen sie alle unter dir! Ihr zunächst musste der Baron Eitelbach stehen. War er doch ihr Kompagnon! – Aber er stand nicht, er ging, er flankirte mit seinem strahlenden Gesicht durch die Gruppen. » A propos, ma belle! « rief der witzige Baron, als er seine Gattin zu Gesicht bekam, »was ist denn das für ein Kutschenfensterscheibengestoße? Denkst Du, Glas kostet kein Geld? Werde die Thüren mit Brettern vernageln lassen, profit tout clair! Dann sieht auch Keiner, mit wem Du drin sitzest.« – »Du weißt –« Ihre weißen Perlenzähne starrten ihn an. »Ziert sich, weil er ihr den schönen Arm küssen will, und stößt dabei die Scheibe ein.« Ihre Perlenzähne verschlossen sich, aber ihre schönen Augen wurden größer. »Mir schenkt man reinen Wein.« – Jetzt erst platzte das »Um Gotteswillen wer?« heraus. »Wer anders als der Legationsrath! Was war's denn nun, daß er zu Dir in die Kutsche sprang? Muß man sich darum so haben?« – »Der Legationsrath?« – »Ist ein gescheidter Mann und wird nicht plaudern.« – »Du kannst ihn ja aber nicht ausstehn.« – »Man kann Viele nicht ausstehn, ma chère, und trinkt doch mit ihnen Brüderschaft.« In sprachlosem Erstaunen sah die Baronin ihn an. » Ma chère, verstehe mich. Die Sache ist ganz simpel. Wandel reitet mit Achten vorgespannt ins Herz der Braunbiegler – Wenn's zum Klappen kommt, wird sie – den Teufel – so dumm sein und einschlagen. Aber 's ist doch die Möglichkeit, wer kennt die Weiberherzen. – Und ein solcher Kompagnon ins Geschäft, na, da gratulire ich! Also –« »Was denn?« – »Um's kurz und klein zu machen, laß ich Dir von ihm die Cour machen, so viel er Lust hat, und wenn er zu Dir in den Wagen springt, schrei nicht auf.« – »Der Legationsrath!« Weiter wusste die schöne Frau nichts zu sagen, denn der Legationsrath stand vor ihnen. Es ging zur Tafel. Der Baron legte den Arm seiner Frau in den des Rathes: »Sie schmachtet nach Ihrer Unterhaltung. Sein Sie liebenswürdig, so viel Sie können, es wird Niemand eifersüchtig –« In sich lachend, setzte er hinzu: – »außer wer es soll!« Das Opfer ging neben Dem, dem sie geopfert schien. So roh, widerwärtig, war ihr Gatte ihr nie vorgekommen. Wandel ging im würdigsten Ernst. Er sprach Gleichgültiges, unbefangen. So war er bei Tisch der liebenswürdigste Nachbar, aber sein Gespräch, seine Erzählungen waren für Alle, sie mussten Jeden interessiren. Der Baron hatte seine Absicht nicht erreicht, die Braunbiegler ward nicht eifersüchtig, die Baronin aber saß auf Kohlen. Nachher kam ein Moment, um mit Wandel, in eine Fensternische von den Aufbrechenden zurückgedrängt, unbemerkt ein kurzes Gespräch zu pflegen. »Um Gotteswillen, was ist das?« Wandel antwortete, mit der Quaste der Gardine spielend, als unterhalte er sich mit seiner Dame über irgend eine Trivialität: »Seien Sie unbesorgt. – Ich bin, ich bleibe der Wächter Ihrer Ehre – der Kutscher ist von mir gewonnen: es wird noch Alles gut werden, wenn Sie sich nicht selbst verrathen.« – »Mein Gott, Herr von Wandel, wie komme ich dazu!« – »Still! Ich beschwöre Sie, nur keine Emotion! Sie haben sich beherrscht, ich habe Sie bewundert. Fahren Sie so fort. In meiner Brust ruht Ihr Geheimniß wie im Schooß der Erde – vertrauen Sie mir –« »Aber, lieber Gott, wenn ich's recht bedenke, was ist es denn eigentlich –« »Denken Sie nicht, um Gotteswillen, denken Sie jetzt nicht. Dem Reinen ist Alles rein, aber wer ist vor Diesen rein? Ein Rendezvous in der Kutsche – bei Nachtzeit – Ihre verwundete Hand! die zerschlagene Scheibe – die Lüge! O verzeihen Sie, ich rede nur, was Diese reden würden. Grässlich, wenn Auguste morgen der Gegenstand des Stadtgesprächs – Nein, nimmermehr! Denken Sie nicht, Sie sind in Agitation – lassen Sie jetzt Andre für sich denken, die ruhiger sind, die wenigstens ruhiger scheinen,« setzte er seufzend hinzu. Sie reichte ihm bewegt die Hand: »Sie meinen es gut.« – »Gnädige Frau,« sagte er, respektvoll zurücktretend, »Mancher ist doch besser, als man glaubt.« »Charmant!« sagte der hinzutretende Baron, um seine Frau fortzuführen. »Kontinuiren Sie, Herr Legationsrath, noch bin ich nicht eifersüchtig. Aber was nicht ist, kann noch werden.« 76. Kapitel. Nur eine Kleinigkeit Sechsundsiebenzigstes Kapitel. Nur eine Kleinigkeit. Es war schon Nacht, als Walter mit seinen Erkundigungen in das Hotel des Ministers zurückkehrte. Depeschen wichtigen Inhalts waren diesem kommunicirt worden: Napoleon hatte endlich offiziell dem Berliner Kabinet die Stiftung des Rheinbundes notifizirt mit einer formellen Aufforderung, dieser Konförderation zum Wohl des gesammten Deutschlands beizutreten. Ein bittrerer diplomatischer Hohn ließ sich kaum denken. Eben als Laforest von seiner Meldung zurückgekehrt, hatte er die Serenade der Gensdarmen empfangen! Walter meinte, daß Laforest zu verständig sei, eine Insulte trunkener Jünglinge anders zu betrachten, als sie war. »Gewiß,« hatte der Freiherr erwidert, »Napoleon wird um dieser Albernheit willen keine Stunde früher losschlagen, als seine Absicht ist. Aber eben, weil wir und er noch nicht gerüstet sind, weil wir beide die Maske der Freundlichkeit noch nicht abwerfen dürfen, zu welchen Lügen zwingt uns abermals die Unbesonnenheit! Man muß die jungen Leute härter strafen, als nöthig. Hardenberg muß wieder mit süßschwellenden Lippen Betheuerungen unserer freundschaftlichen Gesinnung machen. Das ist der Fluch unserer Gedankenlosigkeit,« setzte er hinzu, »des Allesgehenlassens, daß sich Zustände, Stimmungen entwickeln, die naturgemäß heraus müssen; wir ließen sie zu, wir nährten sie sogar, und wenn es zur Explosion kommt, erschrecken wir, stehen rathlos, und möchten mit Keulen das Kind zurückschlagen, das aus der Mutter Leibe will.« Der Minister stand wieder am offenen Fenster. Athmete er die frische Herbstluft ein, oder verfolgte sein Auge das sternenbesäete Firmament? Zuweilen schien er auf die Blaseinstrumente zu horchen, deren Töne der Luftzug aus entfernten Tabagieen und Gärten herantrug. Es war immer der Dessauer Marsch. »Der alte Dessauer sang ja auch wohl die Kirchenlieder nach der Weise! – Es ist Alles hier eine Weise. Das ist's, was den Muth dämpft.« Walter meinte, in Ansichten sei doch eine Musterkarte vorhanden. »Nein, die Uniform ist ins Blut gedrungen. Das ist's! das ist das Uebel. Ein König war einmal ein Wütherich der Sitte, da wurde das Volk puritanisch, ein anderer ein Freidenker, da wurden sie Freigeister. Dann Libertins, zur Abwechselung Träumer, magnetisch verzückt, Geisterseher. Aus Ueberdruß auch wieder tugendhaft, häuslich. Sie wären Encyklopädisten, Freimaurer, bureaukratisch fischblütige Jacobiner geworden, wenn Menken länger gelebt, und Beyme nicht in die Stricke der Andern gefallen wäre! – Und was das Uebelste vom Uebel, sie halten diese Virtuosität des Nachspringens noch für Bravour und Tugend.« – »Und hat nicht diese Virtuosität oder Tugend unsern Staat zu dem gemacht, was er ist?« – »Respekt vor dem Geschlecht, junger Freund! Die großen Männer waren es, die Riesengeister, von jenen Bergen stammend, auf denen auch der Hohenstaufen in die Wolken sah.« Auch die Stammburg des Ministers schaute von einem Berge in die Wolken. Der Minister musste den lächelnden Zug um seine Augen verstanden haben; es lag wieder etwas wegwerfende Härte in seinem Ton: » Sie können nicht dafür, daß Sie es nicht begreifen. Ihre ganze Erziehung, die Bildung hier ist daran schuld. – Es war ein Experiment, wie es in der Weltgeschichte noch nicht einmal vorgekommen. Daß eine Dynastie, ein Fürstengeschlecht ein Volk machte ! Zusammengeleimt widerstrebende Theile mit seinem Blute. Ich sage Ihnen, ich habe den höchsten Respekt vor diesem Blute. Welche Eisentheile, welche Attraktionskraft, Klarheit muß die Schöpferin Natur da einmal in ihrer übermüthigen Laune hineingegossen haben! Aber wenn ein Volk, wenn Stämme, wenn die Natur selbst darüber untergingen, dann erlaube ich mir wenigstens eine Thräne an ihrem Grabe.« – Nach einer Pause hub er wieder an: »Ich sage Ihnen, ohne Aristokratieen ist kein Leben in der Natur, kein Fortschritt in der Menschheit. Die Weltgeschichte wäre ein mongolisch-chinesischer Brei, ohne Halt, Erhebung, tragische Größe. Wenn man die Kirchtürme abbricht und die Schornsteine höher mauert, die Berge planirt und mit Schubkarren Hügel aufführt, ist das Ersatz? Was wäre der Erdball ohne sein Granitgerippe, das ihn zusammenhält gegen Orkane und Fluthen, Wälle gegen Sonnenbrand und Steppensand! Wo entspringen die Flüsse? In dem ewigen Schnee, der auf ihren Firnen lagert. Die Menschennatur ist nicht anders. Hab' ich eine Stimme wie die Catalani? Sind Sie schön wie Adonis? Können wir's uns geben? Sie würden mich, ich Sie einen Thor nennen, wenn wir danach trachteten. Wohin hat die Gleichmacherei der Jacobiner geführt! Frankreich seufzt unter einem neuen Marschallsadel; so dünn plattirtes Gold es sei, das Volk muß es von seinem Schweiße hergeben, wie es die Säckel der Direktoren füllen, die Guillotinen mit seinem Gelde bauen musste! Ist der alte Adel darum todt? Er lauert nur, und lässt seine Nägel wachsen, ums wieder an sich zu scharren, wenn die Gelegenheit kommt. Das die Wirkung der Impetuosen.« »Hier liegt aber vor uns die Arbeit eines Jahrhunderts und darüber. Wir sehen nicht mehr die Arbeit, nur das fertige Werk.« – »Ist es fertig?« – Er schüttelte den Kopf. – »Was wäre der schönste Gliederbau werth, dem der Kopf fehlte? – Man fängt an, auf Friedrich zu schmälen. Man hat Unrecht, auch der wackere Arndt irrt. Was er als Sünde des Individuums züchtigt, war nur der Instinkt des Blutes, es war die wunderbare Aufgabe der Dynastie, die Naturen und ihre Summitäten zu ertödten, um aus sich heraus allein das Werk zu erschaffen. Wär's ihnen gelungen, gelingt es ihnen, dann sind sie im Recht, es war eine Mission, eine Aufgabe von Gott, aber –« Das plötzliche Verstummen des Ministers war nicht von den Zeichen begleitet, welche den Willen, ein Gespräch abzubrechen, andeuten. Er wollte Widerspruch. Walter aber lenkte es von einer Seite ab, von der er wusste, daß sie für den Freiherrn immer empfindlich war. Er lenkte es auf die Fragen hin: ob denn die großen Reorganisationspläne des Staatsmannes grade in dem kritischen Augenblicke an der Zeit seien? »Jetzt oder nie!« fiel der Freiherr ein. »Preußens Geschichte laß ich als eine seltene Rarität unberührt. Wir empfingen das Werk mit dem Stempel, den seine Schöpfer darauf gedrückt. Diese Schöpfer sind todt. Und wenn sie als Geister aus ihren Grüften um uns schwebten, sie könnten uns doch nicht zuflüstern, was wir thun müssen, denn ihre Kenntniß ist aus ihrer Zeit. Wir müssen aus der schöpfen, die ist. Ein stolzes Orlogschiff schaukelt im stürmischen Meere. Seine Kapitäne und Steuerleute sind gestorben, ihre Papiere verloren, selbst die Traditionen, wohin es steuern müsse, sind es. Was soll man thun? Die Hände in den Schooß legen, es den Winden überlassen, wohin sie treiben? – Ja, dann verdienten sie, Mann und Maus, elendiglich auf dem Wrack umzukommen. – Nein, das Volk wird zusammentreten, berathen, die Tüchtigsten aus sich, die Erfahrensten, die Kühnsten auswählen, sie in die Masten schicken, ihnen das Steuer in die Hand geben, und, mit Gott, sie werden thun, was an ihnen ist, sich und das Fahrzeug zu retten. – Ein solches Schiff ist Preußen, ein solcher Augenblick ist dieser. – Jetzt gilt es das Volk aufrufen, jetzt oder nie. Erwacht, erwägt, was es Euch ist, dies Vaterland, ob es werth, daß Ihr Alles dran setzt, Alles, nicht nur Gut und Blut, auch die Gewöhnung, das eingeschrumpfte Dasein, den Stolz. Sie müssen neu geboren, sie müssen wieder Kinder werden, um der Gnade empfänglich.« – »Und wenn das Volk den Ruf nicht hörte!« – » So haben wir gerufen, und der Schall vibrirt fort durch die Luft – er weckt nach uns, Andre werden uns hören, wenn wir längst untergegangen.« Der Freiherr ging wieder in Gedanken versunken auf und ab. Er blickte noch einmal zum Fenster hin aus, und das Sternenlicht schien wieder seine Ruhe und Klarheit auf das charakterfeste Gesicht des Mannes gehaucht zu haben, als er zurückkehrend sich Walter gegenüber am Tische niedersetzte. »Wir dürfen uns nicht in Empfindungen verlieren, es drängt. Nehmen Sie wieder die Feder –« Walter schrieb – hingeworfene Sätze, die von den Lippen des Ministers, wie ein immer lebendigerer Quell, sprudelten. »Gedenken Excellenz auch dieses Memorial durch die Hand der Königin an die höchste Stelle zu befördern?« – »Ja, die Königin – wenn sie –!« Die Gedanken flogen, sie drängten und überstürzten sich, konvulsivisch, wie die Bewegungen der Lippen. »Und warum es uns verhehlen, was eine nur zu sichere Ahnung uns sagt! Auch dieser Versuch wird scheitern! Zu einem Titus in Tagen des Friedens war er geboren. Die Zeit forderte einen Sulla. Dieser bürgerliche Gerechtigkeitssinn reicht aus in Zeiten, wo das Rechte aufhört. Daß es da ein Höheres giebt, was der geweihte Priester aus den Wolken greifen muß, wer darf ihn tadeln, daß ihn Gott zu diesem Glauben nicht geweiht. Er hat eine Scheu vor außerordentlichen Schritten – es wird ad acta gelegt werden wie das andere. Sollen wir darum nicht unsere Pflicht thun? – Wir werden Napoleon unterliegen.« – »Seiner Uebermacht?« – »Nein, unserer Unmacht! Unserm Dünkel, der den im Sturm und Donner neu schaffenden Gott nicht sieht. – Schreiben Sie weiter –« »Und mit dieser Vorahnung –« »Vorbewusstsein,« korrigirte der Minister, »will ich ihnen einen Spiegel hinhalten. Desto besser, wenn sie ihn im Zorn zerschlagen, weil sie so hässlich darin aussehen. Wenn die Zuchtruthe des Herrn über sie kommt, lernen die Völker beten. Mit Gebet allein aber, mit dem Insichgehn ist's nicht gethan, sie sollen aus sich herausgehn. An Verstand hat's nicht gefehlt, aber an Muth, ihn auszuprägen. Wir werden nicht ernten, aber säen wollen wir. Der Krieg wird die Saat zerstampfen, aber ein Körnlein geht doch auf.« Es war lange nach Mitternacht, als Walter die Feder niederlegte. Es war nicht ungewöhnlich, daß der Minister nach gallichten Ergüssen seiner Heftigkeit selbst die Gescholtenen zur Widerrede aufforderte. Zur Ruhe zurückgekehrt, hörte er sie auch ruhig an. Walter glaubte, daß er in mehreren Punkten die Wirklichkeit schwärzer gemalt, als sie sei. »Das ist nur der Fluch der Parteistellung. Im Eifer fliegen wir über das Maß hinaus, in der Anschuldigung wie in der Vertheidigung. Es lässt sich nicht anders thun, der redlichste Wille wird unterthan dem Zwecke. Götter sind wir nicht, und der Allmächtige wird wissen, warum er uns nicht Engelsseelen gab. – Uebrigens solcher Liederlichkeit ist auch Gift ein Heilmittel. Heim braucht jetzt Arsenik, wenn das kalte Fieber absolut nicht weichen will.« Walter legte aufstehend die Papiere zusammen. Die Sitzung war geschlossen. Draußen klirrten Schleppsäbel auf dem Pflaster, junge Offiziere, von einem verspäteten Zechgelage heimkehrend, gingen lachend und singend vorüber. »Es sind Theilnehmer an der Bravade von heut darunter,« sagte Walter, der sich dem Fenster genähert hatte. »Sie sind des Erfolges sicher.« Der Minister legte seine Hand auf Walters Schulte: »Und welchen andern, mein Freund, hätte diese Bravade gehabt, wenn ein Jahr früher! Damals hätte es zünden müssen. Damals, als das Pulver gestreut lag. Laforest hätte seine Pässe fordern müssen, es ging nicht anders. Hardenberg hätte sie ihm auf der Stelle zugesandt – der Sturm war los, die Schleusen gebrochen, und die Sonne von Austerlitz wäre anders untergegangen! Warum trieb der Champagner ihr Blut nicht durch die Adern! – Warum da nicht? Warum zu spät? Das sind die Fragen, die unsere Philosophie aus ihren Angeln heben.« Der Ministerialsekretär war schon aus der Thür, als er ihn wieder zurückrief. »Ich wollte Sie nur um einen kleinen Dienst bitten, klein für Sie, groß für mich. Es liegt mir viel, sehr viel daran, daß Bovillard Zutritt bei Hofe erhält. Grade jetzt, wenn das Memorial eingeht. – Er wird eigensinnig bleiben. – Thun Sie mir da den Gefallen und gehn zu dem schönen Mädchen, ich meine seine Braut. Stellen Sie ihr die Sache ernstlich vor, daß ihr eigen Glück davon abhäugt, seine definitive Placirung. Wenn sie um Audienz bei der Königin bittet, wenn sie das Sentiment, ihre eigne Herzenslage schildert, wird es ihr nicht schwer werden, auch Luisens Herz zu rühren. Die Lafontaineschen Romane spuken da noch immer. Ein Familienjammer ist außerordentlich wirksam. Sie kann ja auch einfließen lassen, daß nur auf diese Weise die Abneigung des alten Bovillard zu bewältigen ist.« Walter schwieg: »Liegt denn Euer Excellenz so – überaus viel an –« »An Kleinigkeiten,« fiel ihm der Freiherr ins Wort. »Die Kieselsteine, die in ein Räderwerk, der Staub, der in eine Taschenuhr fällt, soll der Müller und der Uhrmacher sie liegen lassen, weil er der Vortrefflichkeit seiner Maschinen vertraut? Ja, Lieber, der Staatsmann, der auf die Kleinigkeiten nicht zu achten brauchte, wäre größer, als je Einer in der Welt es war. Sie sind da, um unsern Scharfsinn wach zu halten, und der sie nicht ergreift, wo sie ihm günstig sind, versündigt sich vor dem, der sie ihm in die Hände spielte. Also morgen schon, wo möglich.« – »Excellenz, wie komme ich dazu?« – »Sie waren ja ihr Lehrer. Einige Schmeichelworte, einige Autorität. Einem so beredten Lehrer schlägt eine Schülerin nichts ab.« – »Excellenz, diese Aufgabe –« »Kostet Sie Ueberwindung. Desto ehrenwerther. Haben Sie vielleicht selbst einmal – zu tief in die schönen Augen geblickt? – Um so schöner noch Ihre Aufgabe. Wir sind Alle zur Entsagung geboren.« 77. Kapitel. Zur Königin Siebenundsiebzigstes Kapitel. Zur Königin. Es war ein seltsames Zusammentreffen. Die Fürstin Gargazin war heute mit einem Gedanken aufgestanden, der sie beim Frühstück beschäftigte. Sie wollte bei der Königin eine Audienz erbitten, um Adelheid zu präsentiren. Vielleicht die Frucht eines Traumes; auch unsere Träume sind nur die Früchte einer Saat, die wir selbst gesäet. Adelheid fing an sie zu geniren. Weshalb? – Das Gesetz ihres Zusammenlebens war ja, daß Keine die Andere geniren durfte! Und doch – zuweilen, wenn ihre Blicke sich begegneten, schlug die Fürstin die Augen nieder. Die Augen des Mädchens leuchteten so hell und klug. Sie erinnerte sich unwillkürlich an das, was Wandel über sie gesagt. Warum blieb er kalt vor dieser Schönheit? Warum empfand er ein Unbehagen in ihrer Gegenwart? – Wandel war ein blasirter Mensch, aber – ein Menschenkenner, es war etwas, worin Beide in ihren Gefühlen stimmten. – Und was sollte das Mädchen noch in ihrem Hause! – Kaiser Alexander war fern, er hatte andere Gedanken; wenn er kam, kam er im Kriegerrock, und dann – dann! Die besten Berechnungen schlagen am ehesten fehl. – Und wenn Krieg ward, was sollte Adelheid in ihrer Begleitung! – Aber was sollte sie bei der Königin? – Das würde Gott am besten fügen. Die Fürstin war heute von einem Gottvertrauen, das durch die Ereignisse bestärkt werden sollte. Denn während sie noch am Frühstückstisch saß, war die Hofdame der Königin, Fräulein von Viereck, vorgefahren und hatte unter andern Dingen von der Verwunderung der Königin gesprochen, daß Erlaucht ihre Pflegetochter Ihrer Majestät noch nicht vorgestellt. Die andern Dinge waren bald bei Seite geschoben, die Viereck war nur darum gekommen. Die Königin durfte es nicht offiziell wünschen, auch war die Façon schwer zu finden, wie die Fürstin das junge Bürgermädchen präsentiren solle. Also sollte ein gelegentliches Zusammentreffen arrangirt werden. Die Kammerfrau der Königin, Mamsell Schadow, war eine Bekannte der Alltagschen Familie. Adelheid konnte die Kammerfrau besuchen, und so wenig dabei etwas Auffälliges war, konnte es sein, wenn Ihre Majestät bei der Gelegenheit das junge Mädchen traf. Die Fürstin war über den Vorschlag um so mehr erfreut, als sie nicht nöthig hatte Mutterrolle zu spielen. Sie fürchtete nur Widerstand von dem kapriziösen Kopfe ihres Schützlings, eine Befürchtung, die um so größer ward, als sie hörte, daß Herr van Asten sich schon früh am Morgen bei Adelheid melden lassen, daß er angenommen worden und noch jetzt bei ihr sei. Was wollte der abgesetzte Liebhaber bei ihr! Er konnte doch nicht beabsichtigen, seinen Nebenbuhler und Freund wieder aus dem Sattel zu heben? Das Kammermädchen hatte zwar an der Thür gehorcht, aber nichts von Thränen und Betheuerungen. Die Sprache hatte so ernst geklungen, feierlich und – doch auch zärtlich, meinte das Kammermädchen. Sie musste die Sprache, welche drinnen gesprochen ward, nicht verstehen. Jetzt ging er. Adelheid begleitete ihn bis an die Gartentreppe. Die Fürstin sah durch die Glasthür wenigstens den Abschied. Der junge Mann schien verändert, aber zu seinem Vortheil, seine Haltung war fester, entschlossener, vornehmer. Er ergriff Adelheids Hand, er schien sie an die Lippen bringen zu wollen, aber besann sich. Er hob sie nur bis ungefähr an die Brust und drückte dann seine Hand darauf. Er sah sie dabei nicht zärtlich, aber innig an. Sie musste ihn wieder so ansehen. Sie sprachen noch einige Worte, welche die Gargazin nicht hörte. Dann war es Adelheid, welche ihm kräftig die Hand schüttelte und etwas ihm nachrief. Als er verschwunden, kehrte sie um und trat durch die Glasthür. Sie war nicht betroffen, als sie der Fürstin hier begegnete. Das Betroffensein war an der Gargazin, als Adelheid ohne Umschweife, bescheiden, aber kurz und entschlossen, mit der Bitte vorrückte, die Fürstin möge ihr vergönnen, die Königin heut um eine Audienz angehn zu dürfen. – Mamsell Schadow empfing das schöne Mädchen mit Herzlichkeit, obwohl sie wusste, daß der Besuch nicht ihr gelte, und führte sie sogleich in den Garten und in den Gang, wo die Königin ihre Morgenpromenade zu machen pflegte. »Wir gehen hier an den Gebüschen langsam auf und ab, und wenn sie kommt, thun wir, als sähen wir sie nicht. Wenn sie in Gedanken ist und uns nicht sehen will, was man gleich merkt, treten wir ins Gebüsch zurück. Will sie uns aber sehen, dann thun wir sehr überrascht und etwas erschrocken. Das lieben die hohen Herrschaften und dann encouragiren sie uns.« Eine Mittheilung der Schadow war aber nicht geeignet, Adelheid zu encouragiren. Ihr Vater, der Geheimrath, hatte vor einigen Tagen eine kurze Unterhaltung mit der Königin gehabt. Adelheids Name war dabei genannt worden. »Das ist schade, das darf nicht sein!« hatte die Königin geäußert. Nachher hatte die Schadow Ihre Majestät zur Viereck sagen gehört: »Ich muß das junge Mädchen einmal sprechen.« Adelheids Vater hatte eine Abneigung gegen ihre Verlobung mit Louis Bovillard. Die Mutter betrachtete sie als ein Glück. Sie wusste von häuslichem Verdruß deshalb. Ueber diesen Kampf war Adelheid hinaus. Beim kindlichsten Gefühl der Dankbarkeit fühlte sie sich frei geworden. Sie hatte es keinen Hehl gegen ihren Vater gehabt: Ihr habt mich hinausgesetzt in eine andere Welt, wo andere Gesetze gelten. Wenn ich mich den Pflichten unterwerfen musste, die sie fordern, so darf ich auch ihre Rechte für mich anrufen So war ungefähr der Sinn eines Gespräches, in dem der Vater unterlegen war. Es war ja nicht eigentlich sein Departement; er fühlte, daß der Geist seiner Tochter auf Fittigen flog, die im Staube des Aktenlebens nicht wachsen. Nun, wenn er in seinem Mißmuth Seufzern und Klagen gegen die erhabene Person Luft gegeben, so fühlte Adelheid eine andere Lebensluft in sich. – Sie fühlte sich nicht decouragirt. Die Königin kam, aber nicht allein. Ein Kavalier ging an ihrer Seite, mit dem sie in lebhaftem Gespräche schien. Es war ein stattlicher, schöner Mann, von einem gewinnenden Ansehen, jede Bewegung weltmännische Grazie, obwohl sein rechter Arm, früh vom Schlage getroffen, gelähmt an der Seite hing. »Graf Hoym,« flüsterte die Schadow, »der Vicekönig von Schlesien. Wir müssen zurücktreten.« Beide gingen vorüber, und die Königin bemerkte sie in ihrer Aufregung wirklich nicht. »Palm! Palm! lieber Hoym, das bleibt doch das Abscheulichste. – So unschuldig, in der Nacht fortgerissen von Frau und Kindern – um – o mein Gott, ich glaube oft seinen Schatten zu sehen, wenn ich unter diesen Bäumen gehe.« – »Die Hunderttausende, gnädige Frau, die auf den Schlachtfeldern auch die Kugel traf –« »Nein, Hoym, das ist nicht das. Er schreitet über Leichen, das ist der Weg des Grässlichen. Aber der Mord an einem schuldlosen Familienvater –« Das Säuseln der Bäume und die größere Entfernung nahmen die andern Worte fort. »Wie fühlen Sie sich, meine Liebe?« fragte die Schadow, um ihr Muth zu machen. »Nur Geduld es wird Alles ganz gut gehen.« – »Mich dünkt, die arme Königin ist in großer Aufregung. Ist denn Graf Hoym jetzt ihr Vertrauter?« – »Die arme Königin! Sie haben Recht, sie so zu nennen. Ach, unter uns, sie hat Niemand, dem sie ihr Herz ausschütten könnte.« »Ihr Herz?« Das war ein kluger Blick, welcher der Kammerfrau Muth machte, mehr zu sagen, als Kammerfrauen eigentlich dürfen. »Ja, wenn sie ganz ihrem Herzen leben dürfte! Dafür hat sie ihre Kinder, ihren Gemahl, sich selbst; aber die großen Staatsangelegenhriten müssen fürchterlich stehen. Das, ich möchte sagen, zersprengt ihr oft das Herz. Liebe Demoiselle Alltag, ich möchte Manchen, der die Könige beneidet, einen Blick da hinein thun lassen, und sie würden Gott danken, daß sie so glücklich in ihrem Hause sind.« Die Spaziergänger hatten sich umgewendet und gingen wieder vorüber. Die Königin schien noch immer in derselben Stimmung: »Er sieht die ganze Gefahr, klar und deutlich. Er könnte retten, und diesen einzigen Mann, der retten könnte, ihn lässt man brach liegen.« Aus Hoyms Antwort konnte man nur die Worte hören: »Aber der Freiherr von Stein –« Die Schadow hatte Adelheid tiefer ins Gebüsch gezogen. »Das ist ihr Hauptkummer jetzt. Unsereins darf freilich nichts davon wissen, und noch weniger sich darum kümmern, aber man müsste ja nicht Ohren und Augen haben. Je mehr es eine hohe Person schmerzt, um so heftiger bricht es unwillkürlich heraus, und uns beachten sie doch eigentlich nicht als Geschöpfe, die es angeht und die es verstehen.« – »Ihre Majestät wünscht den Freiherrn von Stein zum Rathgeber des Königs?« Die Kammerfrau sah Adelheid verwundert an: »Das wissen Sie auch! – Man mag im Publikum freilich Manches wissen, von dem die hohen Herrschaften glauben, daß sie es allein besitzen. Es ist so. Der Herr hat sich bei Hofe nicht beliebt gemacht; er hat viel Feinde. Das geht bis zu den Lakaien hinunter, Sie wissen nicht, wie das bei uns ist. Wen sie oben von Einfluß sehen, dessen Worte sprechen sie nach.« »Aber wenn die Königin –« »Es ist das Schlimme, liebe Demoiselle, daß der König selbst den Herrn nicht liebt – er ist ihm unbequem. Ganz unter uns, er fühlt oft, daß es besser wäre, wenn die Andern, gegen die jetzt das Geschrei ist, fort wären, er möchte sie auch zuweilen los sein, denn er ist der edelste, beste Herr von der Welt, aber sie sind ihm bequem, er hat sich an sie gewöhnt. Er entlässt ja keinen seiner alten Diener.« Die Spaziergänger waren abermals zurückgekehrt. »In den Provinzen theilt man Ihro Majestät Entrüstung,« sagte Hoym, »Allen ist es ein Räthsel: Friedrichs Staat in den eines französischen Roturiers!« Die Königin blieb stehen: »Sagen Sie lieber, eines charakterlosen Libertins, der mit den höchsten Gütern, den Tugenden, der Ehre des schönsten Reiches leichtsinnig spielt wie mit den Geldrollen, die er alle Abend am Pharotisch verliert.« – »Jammerschade, daß unser Haugwitz sich von ihm leiten lässt. Sonst ein so liebenswürdiger heller Geist.« – »Mich dünkt, es ist der höchste Grad des Unverstandes, das Werkzeug der Verworfenheit And rer zu werden.« Auf einen solchen Ausspruch aus dem Munde einer Königin muß der Unterthan in Ehrfurcht schweigen. Hoym schwieg; auch die Königin schwieg einen Augenblick, wie im Gefühl, mehr gesagt zu haben, als die Etikette einer Königin zu sagen erlaubt. Die leichte Röthe war wieder von ihrem huldstrahlenden Gesicht verschwunden, als sie fortfuhr: »Ihm, ihm allein verdanken wir es, daß das Ungeheuer mit kaltem Hohn auf uns herabblickt. Er verachtet unsre Machthaber, weil wir solchen an ihn bevollmächtigten. Ich sage nichts davon, wie er in Brünn sich fortschicken, in Wien behandeln, in Schönbrunn dupiren ließ; ich zerdrücke meinen Schmerz, daß er es war, der Hannover uns schenken ließ, der Brocken, an dem unser Adler ersticken sollte. Daß er aber nach dieser Erfahrung, belastet von den Verwünschungen einer ganzen edlen Nation, jetzt in Paris wieder dieselbe Rolle der Insouciance spielen konnte!« – »Er war vielleicht, wie Lombard in Brüssel, von der Grandeur der neuen Majestät eblouirt. Il est un peu phantaste, Mystiker, er glaubt zuweilen an Geistererscheinungen.« – »Nein, Hoym. Er glaubt nur an sich. Er schrieb damals her: ›Sobald ich ihn gesehen, ist Alles abgemacht; ich weiß ja, was er in Wien zu mir gesagt hat.‹« Solcher naive Glaube wäre rührend, wenn er nicht ein Staatsminister des Königs wäre, wenn nicht Seine Majestät das Wohl seines Volkes und seiner Krone in seine Hand gelegt hätte. Da, in der schrecklichen Audienz, die er am siebenten Tage auf vieles Bitten und Dringen erhielt, musste er sich von Bonaparte die Schmeichelei in's Gesicht sagen lassen: »Sie sind ehrlich, ich weiß es, aber Sie haben keinen Kredit mehr in Berlin; Hardenberg und ein paar andre hirnkranke Narren wühlen das Volk auf und beherrschen Ihren König.« Das musste er hören, der Abgesandte Preußens, aus dem Munde des Corsen, und – schwieg – musste schweigen – und – und – Als sie wieder vorüber waren, meinte Adelheid, die Königin sei jetzt wohl schwerlich gestimmt, ein unbedeutendes Mädchen zu empfangen; ob es nicht schicklicher wäre, wenn sie sich zurückzöge? Die Schadow verneinte es: »Das geht bald vorüber. Sie kann nicht lange zürnen, das ist ihr himmlisches Gemüth. Es ist, wie wenn ein Gewittersturm vorüberzog und dann die Abendsonne scheint. Dann athmet sie auf, sie kann sich an einer Feldblume freuen, und gerade dann wird sie erst recht gütig, wenn sie aufgebracht war, und möchte es an Allen, denen sie begegnet, wieder gut machen.« Aber das Gewitter war noch nicht ganz vorüber. Es war nur auf dem Rückzuge. Die Königin wandte in kürzeren Absätzen um. Diesmal schien Hoym der Ankläger gewesen zu sein. Die Fürstin schüttelte den Kopf: »Ich hielt ihn für ehrlich. Er hat ein so angenehmes Wesen.« – »Leider ist es in Paris so bekannt wie hier, daß Lucchesini nach Berlin nur das berichtet, was uns schmeichelt. Die Hauptsachen hat er verschwiegen.« – »Er ist ein Italiener. Ich will zugeben, daß seine Lust das Intriguiren ist, aber, Graf, er sieht sehr scharf die Dinge, wie sie sind.« – »Das streitet ihm Niemand ab, Ihre Majestät, aber sein Gesandtenposten in der französischen Hauptstadt gefiel ihm so außerordentlich, daß er das geschickt cachirt hat, was unser Kabinet genöthigt hätte, ihn auf der Stelle zurückzurufen. Noch weniger als er hatte seine Frau Lust Paris zu verlassen.« – »Muß auch das in unser Unglück hineinspielen!« – »Madame la Marquise haßt ihre Schwester, die Bischofswerder, auf Tod und Blut. Sie hat ihrem Gemahl erkärt, daß sie an Krämpfen verginge, wenn sie mit ihr unter dem Himmel einer Stadt leben müsste. Unser Ambassadeur ist ein so guter Ehemann! Ich kann ihn nicht entschuldigen; in milderem Lichte aber darf ich Haugwitz's Versehen betrachten. Ward er nicht immerfort, durch falsche Berichte getäuscht?« – »Ich möchte so ungern auch diesen Mann aufgeben! Ist sein Eifer jetzt für den Krieg auch Verstellung?« – »Nein, nur aufrichtige Erbitterung gegen Napoleon, der ihn nie leiden mochte und ihn endlich aus Paris fortschaffte.« – »O, lieber Hoym –« fuhr die Fürstin mit der Hand an die Stirn, »Menschen, wie sie sein sollten! – Sind denn die Könige verdammt, daß ihr Glanz nur die an sich zieht, die nicht sind, wie sie sein sollen!« »Jetzt entlässt sie ihn bald,« flüsterte die Schadow. »Geben Sie Acht, sie wenden noch kürzer.« Adelheids Herz schlug lebhafter. Eine angenehme Wärme durchdrang sie, sie fühlte eine Lust, dieser Königin Angesicht gegen Angesicht zu stehen. Es waren wirklich die Abschiedsworte, als sie zum letzten Mal vorüber gingen. »– Und diese Mäntelgeschichte, welche das Land in Aufruhr bringt, wird man es künftig glauben, daß man erst jetzt, im letzten Augenblick daran denkt! Eine Sottise, bedürfte es noch der Epigramme, es giebt kein schlagenderes auf die Unfähigkeit unserer Verwalter. Und statt als wirklich treue Diener ihres Herrn die Schuld auf sich zu nehmen, lassen sie Seine Majestät den König in kläglichen Lauten zum Publikum sprechen, sie legen meinem Gemahl Worte in den Mund, über die ich mich in der Seele schäme. Sie haben nicht daran gedacht, und ihre Pflicht war es. Ist das Loyalität? – Auch im Kriegswesen sagte mir Rüchel Unbegreifliches. Für das Nöthigste nicht gesorgt! Unsre Festungen zu armiren, dazu schickt man sich jetzt erst an. Es ist unerhört, man wird es künftig nicht glauben. Wozu bezogen sie die großen Besoldungen, wozu wurden ihnen Güter über Güter geschenkt! – Nein, lieber Graf, das Kabinet, was diesen gräßlichen Zustand möglich machte – es kann, darf nicht bleiben – oder –« Die Worte verhallten. Am Ende der Allee war der Vicekönig von Schlesien entlassen. Louise stand eine Weile sinnend. Ihre schöne, anmuthige Gestalt im weißen einfachen Morgenkleide ward noch vortheilhafter gehoben durch den grünen Rasenfleck, gegen den sie wie eine Marmorstatue abschnitt. Ein Sonnenstrahl, der durch die Baumwipfel auf ihren Scheitel fiel, setzte ihr eine goldene Krone auf, aber er goß zugleich ein wunderbares Leben auf das schöne Gesicht. Es war keine Bildsäule; die Königin schwebte die Allee wieder herab. Auf ihrem Gesicht schien jede Spur der Agitation verschwunden, als sie näher kam. Sie ging auf Beide zu. »Ihre Majestät entschuldigen,« wollte die Schadow anfangen, »es ist zufällig eine liebe gute Freundin –« »Es ist eine alte Bekannte und ein lieber Besuch,« unterbrach die Fürstin. »Wir sind ja hier unter uns, wozu die Komödie! – Es freut mich, Sie wieder zu sehen, liebes Kind, so wie Sie sind. Ich meine,« setzte sie lächelnd hinzn, »wie Sie bei Gottes schönem Sonnenlicht aussehen. Das Lampenlicht täuscht immer, und es ist mir lieb, daß ich mich nicht getäuscht habe.« Eine gebietende, aber graziöse Bewegung forderte Adelheid auf, an ihrer Seite weiter zu gehen. Der Schadow schien es zweifelhaft, ob sie nach diesem Empfange respektvoll unter dem Baume stehen bleiben, oder in ebenso respektvoller Entfernung folgen solle. Da wandte sich die Fürstin freundlich um: »Ach, liebe Schadow, da fällt mir ein, ich vergaß, als Hoym sich vorhin melden ließ, daß meine Lieblingsbücher auf dem Nähtisch liegen geblieben sind. Sehen Sie doch nach, damit die Kinder nicht darüber kommen.« Der Etikettenzweifel der Kammerfrau war gelöst, sie verneigte sich und die Königin und Adelheid waren allein. Es war ein wunderschöner Herbstmorgen, kein Wölkchen am sonnendurchglühten Himmel, die laue Luft spielte durch die angegelbten Baumwipfel, Sperlinge zwitscherten in den Büschen, weiße Herbstfäden flogen umher. Es war kein gezwungener Anfang des Gespräches, wie von selbst kamen die Worte von den Lippen der Königin: »Sind Sie auch eine Freundin der Natur?« »Sie streicht Balsam auf die Wunden der Leidenden und wessen Herz vor Freude jauchzt, wo findet er Laute dafür, als in ihrer stummen Sprache!« Das war zu starke Farbe für die Stimmung, sagen wir für die Poesie der Königin, aufgetragen. Sie blieb einen Augenblick stumm. Dann sprach sie Worte, die auch Andere behorcht haben müssen, denn wir finden sie schon verzeichnet. »Ich muß den Saiten meines Gemüthes jeden Tag einige Stunden Ruhe gönnen, und sie dadurch gleichsam immer wieder aufziehen, damit sie den rechten Ton und Anklang behalten. Das gelingt mir am besten in der Einsamkeit, aber nicht im Zimmer, ich muß hinaus in die freie Luft, in die stillen Schatten der Bäume. Unterlasse ich es, dann tritt gewöhnlich Verstimmung bei mir ein, und je geräuschvoller es um mich wird, um so ärger wird sie. Ach, es liegt ein ungemeiner Segen in dem abgeschlossenen Umgange mit uns selbst.« Das war viel von einer Fürstin gegen ein junges Mädchen, welches keine Ansprüche an ihre Vertraulichkeit hatte, welches sie zum zweiten Mal sah. Adelheid fühlte das Viele, es drückte sie indeß weder nieder, noch erhob es sie. Jene hatte wohl Recht: die auf den isolirten Höhen thronen, fühlen auch das Bedürfniß, ihre Gefühle mitzutheilen. Wenn sie keine Herzen, Seelen, Geister finden, die sie verstehen, klagen sie's der sternbesäeten Nacht. Sie schütten in der Verzweiflung ihr Herz auch aus vor den glatten Marmorwänden, lieber als vor marmorkalten und glatten Menschengesichtern. Adelheid gestand sich, sie war in diesem Augenblick nur eine Wand, ein Baum, an den die Fürstin ihr Herz ausschüttete. In der Art lag aber zugleich eine Korrektion. Die Königin hatte die Saiten auf den Ton gestimmt, der im Gespräche durchklingen sollte, es war ein elegisch-sentimentaler. Er passte nicht zu der Stimmung, welche Adelheid mitgebracht, und die in dem belauschten Gespräche neue Nahrung erhalten hatte. Weil Adelheids Saiten zu hoch gestimmt gewesen, schwieg sie, in Erwartung, daß der Einklang mit der Fürstin sich herstellen werde. »Sie sind eines von den glücklichen Wesen,« hub die Königin an, »an deren Wiege, wie die Dichter sagen, gütige Feen standen.« Adelheid öffnete die Lippen, aber verschluckte das Wort. Die Fürstin hatte den fragenden Blick aufgefangen und verstanden: »Wäre ich nicht die – stände ich Ihnen nicht so fern und fremd, so würden Sie mich gefragt haben: Was ist denn Glück?« – »An Ihre Maiestät erlaube ich mir nicht die Frage, aber an mich selbst: Was macht das Glück dieses Lebens aus?« – »Mich dünkt, der Stempel, den der Schöpfer seinen Geschöpfen aufgedrückt hat, ist die beste Antwort. Sie brauchen sich nicht im Spiegel zu sehen. Sehen Sie nur die Miene der Leute, denen Sie begegnen. Die schöne Adelheid Alltag ist überall willkommen.« – »Und doch verdankte ich neulich nur der Huld einer höheren Zauberin, daß ich dem Spotte und der Kränkung entging.« – »O das waren Unarten. Neidische und böse Menschen können den Frieden der Glücklichen nicht verkümmern. Dieser Friede ist ein Gut, was tiefer liegt. Ihre hässlichen Hände reichen da nicht hin.« – »Gnädigste Königin, ich preise allerdings mein Glück, weil ich früh einen Lehrer fand, der mich auf das Wahre hinwies.« – »Ich kenne Ihren Vater; er ist ein trefflicher Mann und treuer Staatsdiener, der nichts Höheres kennt, als die Erfüllung seiner Pflichten.« – »Mein Lehrer lehrte mich,« fuhr Adelheid rasch fort, »daß Leiden unsere besten Erzieher sind. Aus der Schule großen Unglücks entwickelt sich die Seele zur Freiheit und Selbstständigkeit.« – »Haben Sie auch diese Schule durchgemacht! – Doch das ist ja nun vorüber.« – »Wer kann sagen, daß er aus der Schule entlassen ist, so lange er lebt! Und wer sieht unter dem fröhlichen Gesicht die Schmerzen in der Brust!« Das war ein Ton, welcher anschlug, er vibrirte durch die Seele der Königin: »Und wer sieht heute, was morgen kommt!« Ein Seufzer machte sich aus ihrer Brust Luft. Da flog, von einem leisen Luftzug getragen, einer jener weißen flockigen Herbstfäden, wo die Allee sich bog, von der Wiese ihnen entgegen und legte sich um Beider Brust, indem er, von ihrer Bewegung festgehalten, sie umschlang. Beide waren durch ein Spiel der Natur an einander gefesselt. Adelheid hob den Arm, um den Faden vom Hals der Fürstin los zu machen, aber – es war die Wirkung und die That des Momentes, jene Einwirkung unsichtbarer Geister, die wir umsonst erklären, und, wenn erklärt, so wäre es nichts – die Thränen stürzten aus den Augen der Königin und sie drückte Adelheid an ihre Brust. Niemand sah es, es war weite sonntägliche Einsamkeit im Park. Die Sonne, obgleich sie Alles sieht, ist eine schweigende Zeugin, die Käfer schwirrten, die Frösche ächzten ihr monotones Lied in den feuchten Wiesen; vom Kirchthurm läuteten die gedämpften Glocken zum Begräbniß einer alten Frau. Die Lippen der Fürstin berührten Adelheids Wangen: »Ach, liebes Mädchen, wer weiß, was morgen kommt!« Es war da in dem Augenblick mehr zwischen ihnen vorgegangen, als Worte aussprechen. Die Königin sprach: » Sie schickte mir der allgütige Vater im Himmel zu einer Stunde, wo ich Trost bedurfte. Was man so gefunden, lässt man so leicht nicht wieder von sich.« Die Emotionen haben ihr ewiges, unverjährbares Recht, unter den goldenen Decken der Schlösser wie unter den Schilfdächern der Hütten; aber hier dürfen sie austoben bis zur Erschöpfung, dort ist ihnen ein Maß gesteckt. Luise war wieder die Königin geworden, als sie weiter gingen, aber von einer Huld, welche die Majestät überstrahlte. Sie zeigte nach dem Pavillon mit chinesischem Dach, auf einer kleinen Höhe vor ihnen: »Dort wollen wir einen Augenblick ausruhen.« Ihr Gespräch, bis sie den Punkt erreicht, war lebhaft, aber es floß ruhig hin. Adelheids Aeußerungen mussten die ganze Aufmerksamkeit der Fürstin erregt haben. Sie hatte sie oft forschend angeblickt. Als sie auf der ländlichen, von Blüthenästen geflochtenen Bank Platz genommen, sagte Luise: »Sie sind noch so jung, und schon solche Erfahrungen!« Adelheid erröthete. »Sie kamen, wie Sie mir sagten, nie aus der Residenz, Sie lebten nur in guten Häusern, unter respektabeln Familien, und zuweilen blitzt es aus Ihren Reden, als wüssten oder ahnten Sie die Verworfenheit der schlechten Menschen. Ich glaubte, das wäre uns nur aufgespart, die wir von oben so Vieles sehen, was Ihnen unten verborgen bleibt. Wie die Motten nach dem Licht, so flattern uns Die zu, welche für ihre ungeordneten Begierden unten keinen Platz fänden. Wir müssen sie dulden, weil – ach, aus vielen Gründen! während die stillen, sittlichen, bürgerlichen Kreise ihnen die Thür verschließen dürfen. Man thut daher sehr Unrecht, uns zu beneiden, liebe Mamsell. Wir, die wir andern Pflichten zu gehorchen haben, könnten die Niederen beneiden, welche diese Rücksichten nicht kennen. Sie dürfen nach ihrem Penchant leben und ihre Freunde sich unter den Rechtschaffenen und Guten nach ihrem Gefallen aussuchen.« – »Ihre Majestät, ich meine, es giebt Rücksichten und Pflichten in jedem Lebenskreise.« – »Ganz gewiß, aber es ist leichter, in den Hütten ein stilles Glück sich zu bereiten und doch keine Pflicht zu vergessen, als wenn unsre Wiege dem Throne nahe stand.« Die Fürstin sprach es mit dem bewegt feierlichen Tone, der keinen Widerspruch zulässt. Ihr Auge sah dabei wie verklärt in die Ferne. Wo ihre Gedanken waren, ließ sie die Zuhörerin nicht lange errathen: »Auch ich habe einen Blick in dieses Glück gethan. Es waren die schönsten, glänzendsten Stunden meines Lebens. Damals, liebes Kind, hielt ich es auch für das höchste Glück, was das höchste Wesen unterm Sternenzelt einer Sterblichen gewähren könne, Königin zu sein über ein glückliches Volk.« Die Gedanken der Königin verfolgten die berühmte Huldigungsreise, welche sie nach der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms III. mit ihrem Gemahl gemacht. Luise letzte sich an der Erinnerung. Sie malte einzelne jener schönen Züge, von denen uns die Zeitgenossen berichten. Die Erscheinung des Königs und der Königin, einer jungen, von Liebreiz und Güte umflossenen, in Provinzen, wo auch die ältesten Greise sich nicht erinnern können, je eine Königin gesehen zu haben, glich der Erscheinung von Schutzgöttern des Vaterlandes, von erhabenen Genien der Gerechtigkeit und Milde, die überall wo sie sich zeigen, unüberwindliche Eroberer, jedes Herz gewinnen. Eine Reise war es gewesen fortwährender Triumphe, nein, eine ununterbrochene Reihe von Familienfesten. Da brannte die Sonne herab, daß man die Augen nicht aufthun konnte, und doch wich Keiner vom Platze, bis er seine Königin mit Augen gesehen. Da waren neunzehn weißgekleidete Mädchen an ihren Wagen gesprungen. Eines hatte der Königin zugeflüstert: Wir sind eigentlich zwanzig, aber die Eine ist nach Haus geschickt. Warum denn, liebes Kind? – Weil sie so hässlich ausgesehen. Da hatte Luise nach der armen Hässlichen geschickt und sprach am längsten und freundlichsten mit ihr. – Und jener alte Bauer, der sie so gern sehen wollen, und immer wieder von den Andern und den Gensd'armen zurückgedrängt war, die Königin hatte ihn wohl gesehen und heranrufen lassen, und noch sah sie ihn, wie der Greis sein Haupt entblößte und stumm, aber unverwandten Blickes, die Landesmutter anschaute. In dessen Herzen, wusste sie, lebte ihr Bild ewig fort! Und wie in einem andern Dorfe in Pommern die Bauernschaft den Wagen umringt hatte, und die Bauern in ihrem Plattdeutsch durchaus darauf bestanden, daß sie aussteigen müsse und sich »traktiren« lasse, damit die Städter nicht dächten, sie hätten das Vorrecht allein. Und die Königin war lächelnd ausgestiegen und in das Bauernhaus getreten, und hatte von dem großen ihr aufgetragenen Eierkuchen ein Stück gegessen, und versichert, daß er sehr schmackhaft sei. Und wie der König im Zelt an der Weichsel wo er als Gast der Elbinger tafelte, zu dem Landmann, der mit einer Bittschrift sich auf die Knie geworfen, in edlem Unwillen gerufen; »Nur vor Gott knien! Ein Mensch muß nicht vor einem andern Menschen knien!« »Da habe ich Blicke gethan auf den Herd meines Volkes,« schloß die Königin, »und weiß, wo die Zufriedenheit und Seelenruhe wohnt. – Sie frösteln, liebes Kind, Sie schaudern sogar –« »Ach, Ihre Majestät, es waren Gedanken –« Die Fürstin hatte sie gelesen: »Freilich weiß ich, nicht überall stehen Hütten von Philemon und Baucis, aber die Immoralität hat da keinen dauernden Wohnsitz, wo bewährte Tugenden, Patriotismus und Menschenliebe die Seelen umschlingen. Wenn wir wieder Ruhe und Frieden nach Außen haben, dann hoffe ich, soll es in den höheren – Gott gebe auch in den höchsten Kreisen besser werden. Aber Sie, liebes Mädchen, können doch nicht klagen, Ihr guter Genius führte Sie nur unter edle Menschen –« »Erlauchte Frau! ich meine, die Menschen sind in allen Kreisen Menschen, und verzeihe mir der Allgütige, wenn es Sünde ist, sie kommen mir oft wie ein Knäuel von Schlangen vor. Wenn Eine mich recht liebevoll anblickt, denke ich an den Tiger, der den Kopf auf die Krallen drückt, zum Satz auf sein Opfer.« – »Was sind das für Phantasieen!« – »Ich weiß es nicht. Aber ich sehe überall Larven und dahinter Verbrecher.« – »Calmiren Sie sich.« – »Es ist nun einmal mein Schicksal, ich ward von ihm herumgeschleudert, ich bin keine, ich will keine Clairvoyante sein, aber wie Vieles musste ich wider Willen belauschen, und da ist mir, wenn ich einen stillen Teich sehe, den kein Lüftchen kräuselt, als werde er plötzlich gähren, sich heben, toben und Ungeheures zu Tage kommen. Wo wir's am wenigsten erwartet, in den friedlichen Kreisen, die wir die glücklichen nennen, als braue unter der Ruhe Entsetzliches. Die Luft drückt mich, und zu weilen wünsche ich, daß der Sturm komme, die Elemente toben; ein Krieg erscheint mir nicht mehr so schreckenvoll, wenn diese brütende Stille nur aufhört.« »Das sind Imaginationen, vielleicht aus den neuen Büchern. Diese Schlegel, Tieck, Novalis sind aber eine excentrische Lektüre, welche das Blut erhitzt; keine für ein junges Mädchen, das Herz und Geist zum Umgang mit rechtschaffenen Menschen ausbilden will.« – »Mich dünkt, Ihre Majestät, die Zeit ist auch zu ernst, und fordert von uns andere Pflichten, als in der Märchenwelt zu lustwandeln.« – »Das ist verständig von Ihnen. Man eifert auch gegen das Lesen von Romanen und Schauspielen, aber man thut Unrecht. Unser Iffland führt uns doch immer rührende Beispiele vor, wie wir uns glücklich finden können in beschränkten Verhältnissen. Sie wollen es tadeln, daß er die bösen Menschen immer aus der vornehmen Welt nimmt. Aber hat Iffland Unrecht? Ich wenigstens und der König sehen uns immer mit Befriedigung an. Sie sollen sich nur ein Exempel dran nehmen, die es trifft, sagte neulich mein Gemahl. – Den Lafontaine möchten sie uns auch verleiden, aber wie viele herzliche und frohe Stunden verdanken wir ihm, wie vielen Trost, wenn wir Abends nach einem verdrießlichen Tage uns mit ihm auf dem Sopha vom Gewühl zurückzogen. O es giebt solche Tage, wo Fürsten nichts hören als Klagen, Gegenanschuldigungen, wo uns die Welt wie ganz verderbt erscheint, ein Knäuel von Schlangen, sagten Sie, wir wollen es nur ein Durcheinander von bösen Menschen nennen. Da, wenn wir uns fürchten mussten vor Allem, was uns nahe kam, da erquickte uns Lafontaine mit der rührenden Einfalt seiner Person, wir sahen uns an, und wenn wir uns nicht aussprachen, dachten wir es: es giebt doch noch gute Menschen. Warum sind die es nicht, welche die Vorsehung uns in den Weg führt. Zuweilen erhört dann der Himmel unsern Wunsch, und wenn wir es am wenigsten erwarten.« Der gütigste Blick ruhte auf Adelheid. »Was sind denn Ihre Lieblingscharaktere in Lafontaine?« fragte die Fürstin, um sie in ihrer sichtbaren Verlegenheit aufzumuntern. Die Gütige sah wohl die Wirkung, aber nicht die Ursache. Adelheid hatte an den Romanen nie Geschmack finden können: sie hatte die wenigsten durchgelesen. Sollte sie lügen vor einer Monarchin, die allen Schmuck der Hoheit vor ihr abgelegt, und nur in ihrem edelsten Selbst sich gab! Adelheid hätte in diesem Augenblick aufstehen und ihr zu Füßen stürzen können, um die Wahrheit in ihr zu verehren, die nicht in schönerer Gestalt sich verkörpern konnte, aber die Unwahrheit sprechen konnte sie nicht. Es floß von ihrem Munde, was sie dachte, mit einer kleinen Einfassung von Schmeichelei, die darum nicht Unwahrheit war: »Mich dünkt, des Dichters Aufgabe ist, die Menschen zu schildern, wie sie sind. Weil er Dichter ist, darf er das Schöne und Erhabene in seinem wunderbar geschliffenen Spiegel vergrößern und verschönern, und es mag ihm auch vielleicht erlaubt sein, das Hässliche und Schlechte noch etwas hässlicher zu machen. Doch das verstehe ich nicht und bescheide mich deshalb. Das Große und Schöne soll er indeß nicht hässlich und niedrig malen, sonst widersteht er unserm Gefühl, denn von der Dichtung verlangen wir Frauen wenigstens, daß sie unsre Gefühle erheben und uns die ewige Schönheit ahnen lassen soll. Aber wenn er umgekehrt das Kleinliche und Hässliche ausschmückt, und dem Gemeinen den Schein der Tugend und des Edelmuthes umhängt, damit uns das gefalle, was wir meiden und verabscheuen sollen, dann kommt es mir vor, als versündigte er sich an seinem hohen Beruf. Wenn ich durch die Wimpern einer edlen Fürstin eine Thräne sich drängen sehe, weil sie bang einer schweren Zukunft entgegen sieht, für ihre Familie, ihr Volk, ihr Land, oder ist's eine der Freude, daß ihr Gemahl siegreich aus dem Felde zurückkehrt, ihre Kinder ihr Freude bereiten, ihr Erstgeborner einen ersten Zug entfaltet, der an den Edelmuth und die Tapferkeit seiner Ahnen erinnert – das, dünkt mich, ist eine Thräne, die der Dichter auffassen muß wie ein Juwel im Sonnen schein. Aber entweiht er die schöne Thräne nicht, wenn er auch alle seine unbedeutenden Personen bei jeder Gelegenheit gerührt sein und weinen lässt, um Kleines und Geringfügiges, und wenn er dann die Thräne so schön ausmalt, daß die armen Leser mitweinen müssen! Sie wissen am Ende nicht recht, warum, aber er erhält die weinerliche Stimmung, weil er darauf rechnet, daß wir Alle schwach sind und es uns am Ende an ihn fesselt. So kommt mir Lafontaine vor, erlauchte Frau, er weiß, wo wir Alle schwach sind, und da versucht er uns zu streicheln, er drückt wehmüthig die Hand, schlägt verführerische Akkorde an, bis wir fortgerissen sind, und wenn wir wieder zu uns kommen, schämen wir uns darüber, denn er hat uns weich gemacht, wo wir stark sein sollten, und wo haben wir dann noch Gefühl, Stimmung, die unentweihte Thräne für das große Schicksal wirklicher großer Menschen« Die Königin hatte mit Aufmerksamkeit zugehört. Von Spöttern waren ihr ähnliche Urtheile über ihren frühern Lieblingsdichter schon zugedrungen. Dieser Ton war anders. Sie stimmte nicht bei, sie widersprach nicht, sie schien die Sache zur weitern Ueberlegung zurückzulegen, als sie sich seitwärts wandte. »Dann ist wohl Jean Paul Ihr Dichter? Dieser Liebling der Museu erhebt uns in die Höhen, wo unsre Adelheid sich wohl befindet. Ich liebe ihn auch, aber mir schwindelt zuweilen in seinen lichten Räumen, mitten in meiner Begeisterung und Bewunderung für ihn fühle ich mich beklommen. Daß ich es gerade heraussage, die Luft dieser erhabenen Wesen ist mir zu rein, meine Neigungen sind doch noch zu irdisch, ich fühle daß ich unter diesen Natalien und Lianen eine schlechte Rolle spielen würde. Es ist vielleicht die Eitelkeit« – setzte sie lächelnd hinzu – »die Königin möchte nicht gern die Magd spielen in der überirdischen Gesellschaft des edlen Dichters.« »Ihre Majestät verzeihen, wenn ein schlichtes Bürgermädchen diesen Stolz auch empfindet. Jean Pauls Frauen kommen mir oft vor wie aus Mondenschein und Sonnenstrahlen gewebt. Wenn man sich an sie hielte, zerflössen sie –« »Das dürfen Sie in Berlin nicht laut aussprechen, sonst verketzern sie uns,« fiel die Fürstin noch im selben Ton ein. – »Nein, alle Admiration dem herrlichen Manne, aber Sie haben wohl Recht, unsere Zeit fordert Männer, auch Frauen, welche den Dingen und Verhältnissen ins Gesicht zu sehen verstehen, und vor einer rauhen Berührung nicht zurückschrecken. Sie fordert, daß wir unsere Empfindungen beherrschen. Es ist schwer, mein liebes Kind, schwer für einen Jeden, die schlechten Menschen nicht merken zu lassen, daß man sie hasst, verachtet, was mehr für uns Fürsten! Das ist unsere gepriesene hohe Freiheit, wir müssen sogar freundlich scheinen gegen unsere Feinde, denen die Hand drücken, von denen wir wissen, daß sie in der Tasche den Dolch gegen uns versteckt halten. Das kostet etwas – eine Resignation, die oft unsere schwache Kraft übersteigt. – Wir träumen zu viel von dem Guten und Bessern. Das ist schön, aber wir dürfen nicht mehr träumen, wir Alle nicht. Jede muß ihre ganze Kraft anrufen, um gerüstet dem gegenüber zu stehen, was Gott zu unserer Prüfung schickt. Wir müssen uns bezwingen, entsagen zu können, auch dem, was uns das Theuerste, Liebste ist!« Der Ton ihrer Sprache hatte sich mit ihrer Stimmung plötzlich verwandelt. Es war auch um sie her anders geworden; die Sonne war hinter heraufziehende Wolken getreten, die Vorläufer des Windes hatten schon länger die gelben Blätter über die Füße der beiden Frauen getrieben, jetzt fing er an in den Büschen das Gezweig zu rütteln, in raschen Stößen rüttelte er von den entfernten Baumwipfeln das Laub. Die laue Luft hatte, wie auf einen Zauberhauch, einer empfindlichen, scharfen Kälte Platz gemacht, daß die Damen die Tücher enger um den Hals zogen. »Sie müssen Alle entsagen,« sprach die Königin feierlich, »auch Sie, Adelheid werden die Kraft haben. Ich habe das schöne Vertrauen, nachdem ich Ihre schöne Seele kennen gelernt.« Da war auch ein schöner Vorhang plötzlich gefallen, ein Vorhang gewebt aus Sonnenstäubchen, die in anmuthigem Spiel hin und her geschaukelt, und die bleierne graue Wahrheit lag vor ihnen, das, warum die Fürstin Adelheid zu sich beschieden; auch das blickte schon verrätherisch hervor, warum Adelheid gekommen war. Es giebt im Seelenleben Augenblicke, wo der Klügste sich keine Rechenschaft zu geben weiß, woher ein Gedanke aufquillt, dem er plötzlich zu folgen sich gedrungen fühlt, auch wenn er entgegen der Strömung ist, der all sein Fühlen und Denken sich hinneigt. Bei großen Mänern ist es ein Kitzel, mitten in Plänen, welche die Welt verrücken sollen, sich starr auf einen einzelnen Punkt zu setzen, der damit nichts zu thun hat, sorglos, ob die Emsigkeit, welche sie der Bagatelle widmen, sie an ihrem größern Schaffen hindert. Cäsar, mit dem Plan die Welt zu erobern im Kopfe, beschrieb, wie ein Liebender die Augen der Geliebten, die Konstruktion der hölzernen Rheinbrücke, die er erfunden. Es ist die ewige Mahnung an die großen Geister, daß all unser ernstes Thun vor einem höhern Auge Spielwerk ist. An Frauen es zu rügen, ist keinem Billigen eingekommen. Wenn sie gar nicht mehr spielen sollten, was wären sie sich – uns! Auf Königin Luisens Seele lastete Ungeheures. Seit der vorjährigen Gruftscene in Potsdam schien sie Vielen ihrer Umgebung wie ausgetauscht. Sie las nicht mehr Lafontaines Romane, daß sie heute sie gerühmt, war nur pietätvolle Erinnerung gewesen, sie lebte der ernsten Sorge vor der Gefahr, die über dem Hause ihres Gatten, dem Lande ihrer Liebe und Wahl schwebte. Keine Frau, vielleicht wenig Männer fühlten so schwer, innig, zuweilen klar die Bedeutung der Zeit, und doch hatte sie ein Etwas, was ganz außer diesem Kreise lag, mit Eifer aufgefasst. Sie hatte sich für das schöne Mädchen interessirt, von dem der Ruf so viel sprach, die erste Begegnung hatte dies Interesse erhöht. Sie wollte Adelheid, nach dem gelegentlichen Gespräch mit ihrem Vater, vor einer Verbindung bewahren, welche dieser beklagt, welche ihr als Unglück erschien. Wie ihre Phantasie plötzlich sich dieses Gegenstandes so bemächtigen können, bleibt uns ungesagt, aber es war so, es war nicht unnatürlich, und die Königin sprach wie eine lebende, zärtlich besorgte Mutter zu ihrem Kinde. Luisens Beredtsamkeit ward von ihren Zeitgenossen als so bezaubernd gerühmt. Jedes Wort aus ihrem Munde sei ein Schlag des Herzens, ein Klang der Seele gewesen, da wo eben das Wort nur die wahrhafte Aeußerung des wahrhaft im Innern Lebenden war. Der Zauber dieser Beredtsamkeit sei gewesen, daß sie nicht eine Kunst war, sondern eine Tugend. Wie ihre Briefe ein voller unverkümmerter Herzenserguß waren, so folgten in ihrer Rede, wenn das Herz sie diktirt, die Sprachfertigkeit dem raschen Schwunge ihrer Gedanken. So hatte die Königin zu Adelheid gesprochen. »Sein Sie, zeigen Sie sich jetzt stark. Drücken Sie Ihre Hand an das blutende Herz – ich weiß, daß es blutet, ich kenne auch diesen Schmerz – aber man kann ihn überwinden! Reichen Sie mir die andere, dann sehen Sie mich mit Ihren klaren Augen, die nicht lügen können, an und sprechen: Ja, ich will entsagen.« So schloß die Königin und hatte vielleicht erwartet, daß Adelheid auf die Kniee sinken, ihre Hand an die Lippen pressen, das Gesicht in ihrem Schooß verbergen würde. Gerührt von so vieler Güte und Theilnahme, musste sie das Gelöbniß stammeln, und Luise hätte sie dann in ihre Arme geschlossen und vielleicht gesprochen: »Nun sind Sie mir doppelt gewonnen!« Aber Adelheid sank nicht auf die Kniee, sie presste nicht die königliche Hand an die Lippen und verbarg auch nicht ihr Gesicht. Sie blickte so klar und ohne Trug, wie die Fürstin es verlangt, diese an und sprach: »Gegen wen, erlauchte Frau, wäre es Pflicht, dem schönsten Traume meines Lebens zu entsagen?« – »Gegen sich selbst! Können Sie keinen noch schöneren sich denken, das Bewusstsein, Ihre Tugend und ihr besseres Sein vor Ihren Affekten gerettet zu haben?« – »Ich fühle in mir nicht den Beruf eine Heilige zu werden,« erwiderte Adelheid. »Ich bin was ich bin, und will nicht mehr sein, ein Mädchen wie andere, von nicht zu heißem und nicht zu kaltem Blute. Ich glaube mich überwinden zu können, wenn ich muß, wo ich aber die Nothwendigkeit nicht absehe, glaube ich ein Recht zu haben, wie jedes lebende Wesen, wo Gottes Sonne auf mich scheint, mich zu freuen in ihrem Strahl.« »O mein armes Kind,« fiel die Fürstin ein, »ich sehe die Gluth Ihrer Leidenschaft, aber täuschen Sie sich nicht. Ich sehe mehr, Ihre tugendhafte Seele empfindet mit dem Verlorenen Mitleid, Sie wollen sich ihm opfern, um ihn glücklich zu machen, Sie fühlen den Drang schöner Seelen, eine Märtyrerin zu werden. Kennen Sie ihn ganz? Fragen Sie sich, ob er es werth ist, der Mann, der – wie viele, so unschuldig als Sie, mag er auf seinem Gewissen haben! Danach fragt die Welt freilich nicht, und die vornehmen jungen Wüstlinge machen sich daraus kein Gewissen. Aber Sie beobachten doch wenigstens den äußeren Anstand. Was man vom jungen Bovillard erzählt, o mich schaudert, ihn an Ihrer Seite zu sehen!« – »Ist er darum schlechter, weil er keinen Schleier um seine wüste Jugend gebreitet! Mich schaudert vor Denen, die die Welt lobt, weil die Welt nur das feine Kleid und die feine Miene sieht, hinter denen ihr verwüsteter Geist sich ver birgt.« – »Man spricht ihm kein langes Leben zu, die Frucht seiner Ausgelassenheit.« – »Rechnet die Liebe nach Jahren?« – »Doch soll die Ehe ein Bund der Seelen, eine Harmonie gleichgestimmter Geister sein.« – »Ist sie's denn immer?« – »Aber der Mann muß wenigstens die Gefühle einer edlen Frau zu würdigen wissen, wenn er auch dem kühnern Schwunge ihres Geistes nicht folgt.« Adelheid lächelte; »Sein Geist , gnädige Frau – O könnte ich Ihnen diesen edlen Geist malen, der rein blieb wie der Aether über dem aufgewühlten Schlamm, könnte ich Ihnen sein Herz öffnen, wie es mächtig pulst, für die Leiden, die Ehre des Vaterlandes, wie nur die Schmach, die er ansehen musste, Gift in die Adern spritzte –« »Lassen wir die Poesie, liebes Mädchen, es handelt sich von ernsten Dingen. Ich will Ihnen glauben, daß ein besserer Keim in ihm ist, daß große Talente in ihm schlummerten, daß Charakterstärke ihm von Gott gegeben war, ich will zu Ihrem Besten Alles zu seinen Gunsten glauben, aber warum gab er sich keiner geordneten Thätigkeit hin, warum zersplitterte er und vergeudete er diese Gaben. Bei seiner Geburt, dem Einfluß seines Vaters wäre ihm ein Wirkungskreis leicht geworden.« Adelheid sah die Königin mit einem eigenthümlichen Blicke an, es lag Frage, Bitte, ein Forschen darin. »Darf ich?« Sie hielt die Hände auf der Brust. Der Augenschlag der Königin winkte Gewährung. »Ich kenne Jemand, den die Geburt hoch gestellt, höher steht nur Einer. Sein Herz schlägt für das Vaterland, sein Blut glüht für seine Ehre. Mit dem ritterlichen Feuermuth der alten Zeit, schlägt doch dies Herz weich für das Edle, Schöne, Große, das alle Zeiten schmückte. Er möchte, er könnte ein Volk erheben, es glücklich machen, denn seine Gaben befähigten ihn zu dem Höchsten. Und klar liegt vor seinem Gesichte die Vergangenheit, sein Auge blickt in die Zukunft. Warum ist dies Auge trüb? – Weil der Horizont trüb ist. Warum sank dieser Feuergeist, dessen Flügel der Sturm durchschnitt, der der Sonne entgegenblickte, ohne zu zucken, in den Schlamm zurück? Weil die Atmosphäre zu schwer ist, sein Feuerathmen sie nicht durchdringt, seine beredte Lippe umsonst redet, seine kühnen Vorstellungen an der Macht der Menschen, an der Zähheit, der Gewöhnung, an der Macht der grauen Alltäglichkeit abglitten. Da ward er muthlos, er verzweifelte. Erhabene Königin, wie sollte ich es wissen! Ich spreche nur, was die Stimmen der Tausende, die Lüfte mir zutragen, aber sie flüstern und rufen es laut: Das ist unser Loos. Dies Firmament erdrückt Die, die zum Besseren aufwallen. Es ist einmal so in diesem Reiche. Wer daran Schuld, sagten sie nicht, aber sie zählen viele, viele edle Geister, die im fruchtlosen Kampf verkamen, untergingen. Wenn der edelste Prinz, der tapferste Held, dessen Lob auf allen Zungen, den die Armee vergöttert, diesem Loose nicht entging, dürfen wir Die verdammen, die dasselbe gewollt, und auch ihre Flügel verbrannten, sie sanken, tief, tief – Dürfen wir sie versinken lassen.« Luise hatte den Kopf halb abgewandt sinken lassen. »Meine Königin ist nicht die grausame Richterin, welche die Edlen büßen lässt, was Elende verbrachen! Man sagt –« fuhr Adelheid mit gedämpftem Tone fort – »der Prinz wäre zu retten gewesen, wenn er ein edles Weib gefunden, das seine Gedanken und seine Sorgen getheilt, wenn eine seiner würdige Gattin, seinem Geiste nahe, seiner Liebe werth, ihn aufgerichtet. Er suchte, und – fand sie nicht. Man sagt, man flüstert es wenigstens, daß er Eine gesehen, und er wäre gerettet, er wäre geworden, sie sagen ein Gott. Aber er verschloß, entsagend, die brennenden Wünsche in der Brust denn – die Eine gehörte schon einem Andern!« Adelheid fühlte, was sie gewagt, aber es war eine Macht über sie gekommen, der sie nicht widerstand, Auf Eine Karte war Alles gesetzt – Tod und Leben hieß die Krisis, es gab kein Mittel. Fieberhitze durchglühte sie, und sie schüttelte vor Frost, als sie aufgestanden. Auch die Königin stand auf. Noch wandte sie ihr Gesicht ab. Es war etwas – war's ein Kampf? – was sie vor sich selbst verbarg. Wenn sie sich jetzt umwandte, ein zürnender Blick, eine Handbewegung Adelheid zurückwies, wenn sie ohne eine Silbe den Hügel hinabschritt, Adelheid jetzt allein ließ, verstoßen verloren – Nein, sie wandte sich um, und im nächsten Augenblick drückte sie das verlassene Mädchen an ihre Brust. Worte sprach sie nicht, nur eine Thräne fühlte Adelheid über ihre Wangen rinnen. Als sie schweigend die Allee zurückgingen, hatte das Sterbegeläute vom Kirchthurm aufgehört; dafür schmetterten Trompeten, und ein kriegerischer Marsch der Garnison des Städtchens tönte über die Baumwipfel. »Gott sei Dank!« sprach die Königin. »Das erleichtert das Herz.« Am Schlosse beim Scheiden reichte sie Adelheid die Hand zum Kusse. Dabei flüsterte sie ihr zu: »Wir sehen uns bald wieder.« In ihren Appartements befahl die Königin ihrem Kammerherrn, zum Minister Stein zu fahren. Sie wünsche ihn zu sprechen. Darauf hatte sie eine längere Unterhaltung mit der Viereck. Die Hofdame erklärte nachher den Hofleuten, daß Ihre Majestät endlich so huldreich gewesen, in den Wunsch einzugehen, den sie schon längst gehegt, nämlich bei ihrem geschwächten Gesundheitszustande eine Gesellschafterin zu nehmen, welche in ihren Appartements wohnen dürfe. Sie denke die Tochter des Geheimraths Alltag, die sich dazu anstellig zeige, zu acquiriren. 78. Kapitel. Eine Maus und eine Mausefalle Achtundsiebzigstes Kapitel. Eine Maus und eine Mausefalle. Bei Madame Braunbiegler sollte Whist gespielt werden. Die Gesellschaft war nur klein, kam aber nicht zur Ruhe. Wenn man kaum die Karten gezogen, störte eine Nachricht, eine Person, die unerwartet hereinstürzte. Es war nun einmal Unruhe in der Stadt, die mit dem besten Willen sich nicht bewältigen ließ. Man wusste schon, daß das Heer jetzt wirklich auf den Kriegsfuß gesetzt werden solle. Wenn man nur abgewartet hätte, bis die Mäntelgelder beisammen waren! hatte Madame Braunbiegler gemeint; aber es waren noch nicht siebzigtausend Thaler gesammelt. – Und was hilft das Geld, wenn die Schneider fehlen! hatte der Legationsrath gesagt. Da brachte Herr von Fuchsius eine Nachricht, welche alle bisherigen in den Hintergrund drängte. Die Königin hatte endlich ihren Widerwillen gegen den jungen Bovillard aufgegeben, er war ihr vorgestellt worden, sie hatte ihn gnädig aufgenommen, sich günstig über ihn geäußert, zu Andern aber spitz gesagt, er müsse wohl viele Feinde haben, da er ihr ganz anders geschildert worden. Er war Tages darauf zum Legationssekretär, Andere meinten sogar zum Legationsrath ernannt wor den, beauftragt zu gewissen Vorträgen im Kabinet und in der persönlichen Nähe der höchsten Herrschaften. Man war getheilter Meinung, ob dahinter eine Intrigue des neuen Ministers stecke oder des alten Bovillard. Fuchsius lächelte, als eine Dame mit einem andern: Wissen Sie schon? hereinplatzte. Die Alltag ist zur Gesellschafterin der Viereck ernannt. Sie zieht ins Palais! – Ins Palais! – Was das zu bedeuten hatte, darüber war Niemand im Zweifel, als man auch von der gnädigen Audienz erfuhr, welche die Königin dem schönen Mädchen gewährt. – »Nun wird's ja Alles klipp und klar. Ja, wer nur 'ne hübsche Larve hat und Counexionen, dem fehlt's nicht.« So hatte Madame Braunbiegler gesagt. Madame Braunbiegler war ihrer Zeit eine berühmte Persönlichkeit in Berlin, was man heut nennen würde ein öffentlicher Charakter, von der sehr viele Dicta noch umgehen. Wenn der Raum unserer Erzählung, die zu Ende geht, es erlaubte, hätte sie das Recht und die Antwartschaft auf eine bedeutendere Rolle darin, als wir ihr angewiesen, aber der Rahmen schließt sich, und die Rücksicht auf den deutschen Stil und die Grammatik, die wir bis da nach unsern schwachen Kräften beachtet, verbietet uns, ein Bild in den Vordergrund zu stellen, welches für viele Leser unverständlich bliebe, ohne eine vorausgeschickte Abhandlung über den Mark-Brandenburgischen Unterschied zwischen Mir und Mich. So genüge denn für dieses Mal – denn es ist wohl möglich, daß wir ihr künftig wieder begegnen – ein Dictum, welches mit stereotypischer Genauigkeit aus den Akten jener Zeit entnommen ist. Ex ungue leonem. Madame Braunbiegler hatte das Gespräch über den betreffenden Gegenstand mit den Worten geschlossen: »Denn heirathet er ihr och noch! Da gratulir' ich. Er hat nischt und sie hat nischt. Des wird 'ne magere Kalbfleischsuppe. Ne sage ich doch, wenn pover Volk noch dicke thun will und vornehm sind, die können mich gestohlen werden.« Madame Braunbiegler musste sich dabei echauffirt haben; es kostete ihr immer eine Gemüthsbewegung, wenn sie von ordinären Leuten sprach, die es den Reichen gleich thun wollten. Sie war den liberalen Ideenabgeneigt und hielt auf Standesunterschied. Der Shawl war ihr beim Echauffement von den leuchtenden Schultern gerutscht. Herr von Wandel legte ihn ihr sanft wiederum: »Sie könnten sich erkälten, gnädige Frau,« flüsterte er mit der sanftesten Stimme. Der Ritter begehrten nicht den Dank der Dame. Wie zufällig, hatte er sich auf einen Stuhl am Spieltisch niedergelassen, wo Frau Geheimräthin Lupinus schon mit der Karte in der Hand saß. »Was sagt meine Freundin dazu?« »Was ich dazu sage? Das kommt doch nicht in Betracht. Was aber wird die Gargazin dazu sagen?« »Sie ist vielleicht auch froh, daß sie das Wunderthier los ist,« sagte Wandel leiser. »Besteht nicht unser Leben eigentlich aus Knüpfen und Lösen. Mit dem Knüpfen werden die Meisten bald fertig, aber am Lösen, weil sie nicht voraus daran gedacht, scheitert ein Bischen Verstand, und an den ungelösten Knoten des Daseins ging so Mancher unter. Es ist vielleicht die Aristokratie der Erwählten, diese Kunst sich anzueignen, bei Allem, was sie schaffen und wirken, schon an die Auflösung zu denken. O wer es dahin gebracht –« »Wenn Alles aufgelöst ist, was ist denn dann?« unterbrach ihn die Wittwe. »Freiheit, Chaos, wie Sie es nennen wollen, allgemeine Glückseligkeit: denn ist es nicht ein Glück, wenn wir nicht mehr zu sorgen und zu denken brauchen um Bagatellen! – Ist das Leben mehr, meine Freundin! – Pardon, ich halte Ihr Vergnügen auf, Madame wartet –« Er hatte der Braunbiegler Platz gemacht, die sich mit ihrer Karte dem Tisch näherte. Aber mit derselben Unbefangenheit war er zur Baronin Eitelbach getreten, die am Fenster stand. Er klopfte auf ihre schöne Hand, er brachte die Fingerspitzen an den Mund. »Immer pensiv?« – »Sagen Sie mal, Legationsrath, was sieht denn Fuchsius immer auf die Lupinus? Er ist doch nicht in sie verliebt?« »Ei, meine Freundin, eine so scharfe Beobachterin; man muß sich vor Ihnen in Acht nehmen.« – »Nein, er observirt, er lässt sie nicht aus den Augen. Ich sehe das schon eine halbe Stunde an.« – »Nun, wenn es ein süßes Spiel der Liebe wäre, was kümmert es uns Beide.« – »Ich bitte Sie! – Die Lupinus–« »Lassen Sie doch die arme Wittwe in Ruh. Haben Sie nicht an Anderes zu denken.« – »Sie sind ein guter Mann, ich kenne Ihr Herz und Sie meinen es von Herzen,« sagte die Baronin, »aber warum müssen Sie mich immer bei Seit ziehen?« – »Um alle Gedanken abzulenken. Denn mich,« sagte Wandel mit einem Seufzer, »wird man doch nicht für den Glücklichen halten können. Im Uebrigen bis jetzt geht Alles gut. Wenn wir nur auf seine Verschwiegenheit rechnen könnten. Offiziere plaudern gar zu gern – in der Wachtstube, bei einer Flasche Wein –« Er ward unterbrochen, durch den Eintritt einer neuen Person. Eben hatte sich Madame Braunbiegler auf ihren Stuhl niedergelassen, mit einem: »Na, kommt man denn endlich zur Ruhe. Das war doch heut eine Störung« – als eine neue schon wieder da war. Der Geheimrath Lupinus, nicht der selige, sondern von der Vogtei, war eingetreten, und sofort schien man zu wissen, weshalb. Die Wirthin gab dem allgemeinen Gefühl den Ausdruck: »Ach Gott, die Flanellleibbinden fehlten noch!« Die neueste Thätigkeit des Vogtei-Lupinus musste also eine bekannte Sache sein; was wird in Berlin nicht bald zu einer bekannten Sache. Wer etwas gelten wollte, musste sammeln, natürlich für die armen Krieger; wer sich hervorthun wollte, für einen neuen Zweck. Von Winkelsammlern wimmelte es in den Häusern und auf den Straßen. Der Geheimrath sammelte für wollene Leibbinden. Die Mäntel waren für die Infanterie, die wollenen Leibbinden für die Kavallerie. Weshalb grade der Vogtei-Lupinus diese Sache mit Eifer ergriffen, dafür wusste der böse Leumund auch einen Grund. Nachdem der Geheimrath seine Papiere und Listen aus der Mappe genommen, welche ein Beamter ihm nachtrug, hub er an von dem Nutzen der Leibbinden im Allgemeinen, er citirte Hufeland und Heim über die Wichtigkeit, daß der Magen eines Menschen warm gehalten werde; wenn die Funktionen desselben in Ordnung, sei der ganze Mensch in Ordnung. Das gelte aber ganz insbesondere von Soldaten. Er ging dann auf die Kavallerie über, und beschrieb, wie, Luft und Wind ausgesetzt, ein Kavallerist leichter am Magen sich erkälte, als ein Infanterist, der durch die Bewegung des Marschirens schon den Magen sich warm mache. Wenn nun der Letztere jedoch überdies noch Mäntel erhalte, so erfordere die Humanität und Billigkeit, daß man für den Soldaten zu Pferde auch etwas Uebriges thue. Er ging dann auf die drohende Herbst- und Winterkampagne über, und schilderte, wie ein Kavallerist friere, wenn er auf der Erde schlafen muß, denn die Zelte schützen nicht vor der Kälte, die aus dem Boden dringt und zuerst in den Magen geht, zumal, wenn er leer ist. Nun aber sorge ein guter Kavallerist allemal zuerst für den seines Pferdes, und komme es auf diese Weise oft, daß er für seinen eigenen nicht gesorgt hat. Mit einer glücklichen Wendung wieder zu den Leibbinden zurückgekehrt, zeigte er, wie sie am besten zugeschnitten und gebunden würden, gab zu, daß die von Wolle gestrickten allerdings zweckmäßiger, aber nicht so schnell zu beschaffen seien, daher die von Flanell dem Bedürfniß und Zeitgeist entsprächen, und schloß mit einer rührenden Deklamation an die Anwesenden, daß sie für König und Vaterland und die leiden de Menschheit ihr Herz und ihren Beutel zu einer milden Gabe öffnen möchten. Auch die geringste sei ihm willkommen, lieber jedoch die größeren. An der Aufnahme sah man, daß auch hier schon fertige Parteien waren, Infanteristen und Kavalleristen, Mäntel und Leibbinden, Tuch und Flanell. Indessen siegte der Flanell. Wer widersteht, wenn Andre ihm vorangehen und der Kontrolleur dabei steht. Nur Madame Braunbiegler fand es impertinent, grade ihr damit ins Haus zu rücken. Sie gehörte natürlich zur Tuch- und Mäntelpartei, und erklärte, sie würde nicht einen Pfennig rausrücken. »Eine Kleinigkeit doch!« flüsterte ihr der Legationsrath zu. Das brachte sie nur noch mehr auf: Wenn sie gäbe, lasse sie sich nicht lumpen, und wenn's honorig sei, greife sie in die Tasche, daß es sich sehn lassen könne, aber Bettelei könne sie nun ein für alle Mal nicht ausstehen. »Und wie kommt er denn dazu!« Wandel zog seine »edle Freundin« bei Seite. Er theilte ganz ihre Ansichten, ob sie es ihm aber verzeihen werde, wenn er eine Kleinigkeit nach Kräften beisteure: »Meine Stellung zum Hofe bringt es mit sich, und der Geheimrath ist wohl nicht ohne Auftrag hier.« Dies wirkte. Es konnte bei Hofe vermerkt werden, daß Madame Braunbiegler nichts für die Kavallerie gethan. – »Schreiben Sie mir auf mit zwanzig Thaler, Geheimrath!« rief die Wirthin, und die Blicke der stattlichen Frau überflogen die Gesellschaft, um für die Thaler das Erstaunen zu ernten. »Eine Prise, Baron!« Sie griff mit ihren markigen Fingern tief in die Dose und schien den Spaniol mit Befriedigung einzuschlürfen, während sie nicht mit gleicher Worte ihres Kompagnons vernahm: »Lupinus, Sie, hören Sie – notiren Sie mich auch mit zwanzig!« – »Na, na, Baron, nur keine Extravaganzen nicht! Seit wann haben Sie's denn so dicke sitzen?« – Allerdings hatte der Baron es nicht so dick sitzen als sein korpulenter weiblicher Kompagnon, aber er schlug mit der Hand an die Brust: »Wenn's Vaterland ruft!« Lupinus hatte die Hand, welche eben in der Dose gewühlt, mit Entzücken ergriffen und an seine Brust gedrückt: » Ah! Madame Braunbiegler est un ange. Votre exemple glorieux rendra notre chose victorieuse! « »Umgeguckt, Geheimrath, Ihre Schwägerin winkt, will Ihnen auch vielleicht 'nen Fuchs geben. Stecken Sie ein, was Sie kriegen.« Der Geheimrath Lupinus prallte buchstäblich zurück, als er sein Ohr an den Mund der Geheimräthin gelegt, und diese einige Worte ihm zugeflüstert hatte. »Hun – hundert!« – »Ich bitte, Schwager, sein Sie kein Narr!« sagte sie mit leisem, strafendem Ton und bittendem Blick. »Hundert Friedrichsd'or!« – »Aber ich habe Sie doch sehr gebeten; das war ja unter uns – Sie sind wirklich ein abscheulicher Mensch.« – »Hundert Friedrichsd'or!« lief es durch die Versammlung. – Hundert Friedrichsd'or für Flanell! Starre Blicke, geöffnete Münder. Am weitesten hatte die Wirthin ihn auf, es kam aber kein anderer Laut heraus, als ein: »Na nu –!« Die Geheimräthin Wittwe empfand das Unangenehme der Situation. Sie erhob sich etwas vom Stuhl: »Warum musste mein guter Schwager über Etwas an die große Glocke schlagen, was ganz unter uns abgethan werden sollte! Da es aber einmal ist, so bin ich meinen verehrten Freunden und Freundinnen Rechenschaft schuldig. Ich bin nicht so reich, um eine solche Summe zu diesem einen Zwecke beizusteuern. Ich er fülle darin nur den Wunsch und Willen meines seligen Gemahls. So wenig er sich im Frieden seiner Seele um Weltangelegenheiten kümmerte, sah er doch mit bangem Blick schwarze Gewitterwolken nahen, und es waren seine letzten Unterhaltungen mit mir, daß für diesen Fall ein guter Patriot, was er könne, zum Wohl des Ganzen beisteuern müsse. Namentlich ging ihm die Lage unserer armen Soldaten zu Herzen; er, den jedes kalte Lüftchen wie ein Eishauch berührte, erschrak vor dem Gedanken der Winterfeldzüge, die er für eine Barbarei der neueren Kriegskunst erklärte. Er malte sich in seinen letzten Fieberphantasien besonders lebhaft das Bild des Bivouaks, und rief mehr als einmal aus: ›Und sie haben nicht mal warme Kleider!‹ Wenn ein unerforschlicher Rathschluß ihn nicht plötzlich abgerufen, würde er in seinem Testament gewiß Legate dafür ausgesetzt haben. Wollen Sie es mir daher nicht verargen, wenn ich dies Testament für geschrieben halte, und in seinem Sinne zu handeln denke, indem ich thue, wie ich gethan. Nicht ich thue es, mir darf Niemand danken, mir Niemand Verschwendung vorwerfen, es ist sein Geist, der mich in diesem Augenblick umschwebt.« Während die Geheimräthin es sprach, waren Aller Blicke auf sie gerichtet. Es war eine Feierlichkeit in ihrem Wesen, ein sonorer Ton in der Sprache, der selbst der Braunbiegler imponirte. Mit ganz besonderen Blicken beobachteten sie aber zwei der Anwesenden, Wandel und Herr von Fuchsius; jenes Gesicht erheiterte sich, dieser behielt denselben Ausdruck. »Nun aber, lieber Schwager,« ging die Lupinus plötzlich in einen andern Ton über, »thun Sie uns den Gefallen und gehn zu Andern, denn Ihre Flanellbinden dürfen unsere Heiterkeit nicht stören. Was Sie mir gethan, ist vergeben und vergessen. Sie sehen, wir haben die Karten in der Hand, und brennen zu spielen.« Die Liebenswürdigkeit selbst! – Nein, eine Vornehmheit doch, und diese Sanftmuth dazu! – Wenn es nicht gesagt, wurde es gedacht. Wie herzlich, zutrauend, um es wieder gut zu machen, hatte sie dem Schwager, der so tief unter ihr stand, die Hand gereicht zum Abschied. Lupinus hatte die Hand an die Lippen gedrückt – etwas schauspielerhaft, sagten Einige. Wie ein Polisson – Andere. – »Er ist doch immer der Bruder meines seligen Mannes, der einzig Hinterbliebene der Familie!« hatte sie geseufzt. »Und was man auch immer gegen ihn sagen mag, von Herzen ist er gut.« Man erwähnte, daß die Königin sich günstig über den Eifer des Geheimraths in dieser Angelegenheit geäußert. Es sei schön, wenn ein alter Sünder durch gute Thaten seine schlimmen wieder gut zu machen suche. »Wenn's nur von ihm käme!« sprach die Braunbiegler. »Da habe ich auch nichts gegen. Er ist ja ein Mann in Amt und Brod, und der König wird wissen, warum er sich solche Geheimräthe gemacht hat. Aber alle Welt weiß auch, er ist nichts im Hause. Da steckt die Charlotte hinter, seine Köchin. Ich weiß nur gar nicht, wie die Familie den Skandal zulassen kann. Wenn das in meiner wäre, ich würde mich ja schämen –« »Madame Braunbiegler haben anzusagen.« sprach mit großer Milde die Lupinus. – »Mein Seliger.« setzte sie hinzu, »musste doch wissen, warum er mit seiner unendlichen Güte den Schwachheiten seines Bruders nachsah. Ich bin nur seine Erbin. Sein Wille ist meiner.« Das Spiel ging gut. Die Braunbiegler gewann. Das kühlt den Unmuth. Aber hinter dem Spieltisch ward das Gespräch etwas laut. Verschiedene Personen saßen an dem großen Trumeau, der die Spielgesellschaft in seinem Glase auffing. »Sie sind ja so munter, liebe Eitelbach?« fragte die Lupinus hinüber. – »Der Regierungsrath erzählt uns allerliebste Kriminalgeschichten.« Fuchsius hatte einen dankbaren Hörerkreis. »Das ist noch gar nichts,« sagte er. »Dann wird Sie eine andere Geschichte, die ich in einer englischen Zeitung las, noch mehr interessiren. Auf dem Lande lebte ein Gutsbesitzer oder Friedensrichter mit seiner Frau, wahre Muster in Sittlichkeit und Wohlthun. Man stellte die bei den Leute wirklich als Exempel auf. Sie waren schon in vorgerückten Jahren und ohne Kinder und, da ihnen Alles glücklich ging, bedauerte man sie nur, wenn ein Gatte dem andern in jene Welt vorausgehen sollte. Der Mann starb zuerst. Es hieß, er hätte sich zu wenig Bewegung gemacht, der viele Staub seiner Bibliothek, den er eingeschluckt, hätte sich auf seine Lunge geworfen.« »Die arme hinterbliebene Frau!« sagte die Eitelbach. »Frau Geheimräthin haben vergeben,« rief ein Spieler am Tisch. »Excus! es flimmerte mir etwas vor den Augen.« »Sie ward auch allgemein bedauert,« fuhr Fuchsius fort, »ertrug aber ihr Schicksal mit wunderbarer Fassung. Sie lebte nur dem Gedächtniß ihres Mannes und führte mit großen Opfern Alles aus, was er angeordnet. Man betrachtete sie als eine Art Heilige. Da fügte es der Zufall, daß durch einen Gewitterregen der an einem Abhange gelegene Kirchhof von aller Erde losgespült und durch die Gewalt des Wassers mehrere Särge den Abhang hinuntergestürzt wurden. Darunter war auch der, worin der selige Friedensrichter lag. Er zerbrach, und mit Erstaunen sah man die wohl konservirte Leiche, als wenn er noch lebte. Von einer besondern Luft konnte es nicht herrühren, denn die andern Leichen waren zerstört. Man fand aber bald die untrüglichen Merkmale einer Arsenikvergiftung. Werden Sie es glauben, wenn ich Ihnen sage, daß es sich ermittelt hat, die eigene Frau hat ihn umgebracht.« Einem unterdrückten Schrei folgte eine lange Stille: »Aber wie ist denn das gekommen? Warum denn? Sie hat ihn ja so geliebt!« rief die Baronin. Fuchsius, der mit übergebeugtem Leibe auf dem Stuhle saß, wie wohl Erzähler thun, die für eine lange Erzählung den gesammelten Stoff wie einen Faden aus sich herausspinnen, und dabei nicht rechts und links blicken, Fuchsius sah dabei unverwandt vor sich auf den Spiegel. »Gott sei Dank, das ist nicht möglich!« rief die Eitelbach. »Aber ungleich interessanter,« fuhr der Rath fort, »und vollständig ermittelt ist, wie sie ihren Mann umgebracht hat. Können Sie sich das denken, sie puderte ihn, in dem Puderstaub aber war Arsenik.« Am Spieltisch war eine Störung. Der Geheimräthin waren die Karten aus der Hand gefallen; sie sah blaß aus, ihr Kopf senkte sich. Das hatten aber die Wenigsten gesehen. Im selben Moment schon war der Legationsrath aufgesprungen: »Eine Maus!« Er zog das Taschentuch; damit fuhr er und schlug er an der Wand entlang, nach dem Boden. »Eine Maus, eine Maus!« – Vergebens schrie Madame Braunbiegler auf: »Wir haben keine Mäuse!« Es hatten noch Andre die Maus gesehen, denn worauf hätte sonst der Legationsrath sich so lebhaft geworfen! Wie auch die Wirthin dagegen protestirte, in ihrem Hause seien nie welche gewesen, noch sollten sie sich je zeigen, sie kam in dem allgemeinen Allarm nicht auf, besonders als auch der Regierungsrath, an ihr vorüberstreifend, ihr zuflüsterte: »Sie müssen sich schon zufrieden geben, es war eine Maus, Madame Braunbiegler.« An der Thür sagte er halb für sich: »Eine Falle wird ja auch im Hause sein.« Die Baronin meinte, er gehe eine zu holen, als er sich unbemerkt im allgemeinen Aufstand entfernte. Es war ein verdrießlicher Aufstand, am verdrießlichsten für die Geheimräthin Lupinus, welche die Ursache gewesen, denn sie konnte nun einmal keine Mäuse sehen, ohne einer Ohnmacht nahe zu kommen. Aber wie schnell hatte sie auch jetzt sich erholt, sie war die erste, welche ihre Karten wieder in der Hand hielt: »Warum mussten Sie mich verrathen!« schmollte sie mit einem eignen Blick zum Legationsrath. »Das Thier raschelte so ganz unerwartet zwischen Decke und Wand hervor. Was that das! Die Gesellschaft wäre doch in ihrer Assiette geblieben.« Die Gesellschaft war wieder in ihrer Assiette, aber die Maus noch nicht fort. Man erzählte von andern bekannten Personen, die auch eine Idiosynkrasie vor Mäusen hätten. Auch Herr von St. Real ward erwähnt. Er spränge trotz seines Krückenstockes, wenn er eine wittere, auf Stuhl und Tisch. »Sprang!« rief eine Stimme vom Spieltisch: »Ach, wissen Sie noch nicht, er ist todt, plötzlich am Schlagfluß gestorben.« – Ein allgemeines Bedauern, das sich in ein allgemeines wohlgefälliges Lächeln auflöste. Nicht der Kammerherr, sondern sein Onkel, der reiche Johannitercomthur Graf St. Real, war gestorben und sein Neffe Erbe seines Vermögens und seiner Titel geworden. Der Tribut allgemeiner Theilnahme ward dem unsichtbaren Erben gezollt. »Ach, ein so liebenswürdiger Herr, dem gönne ich's,« sagte die Wirthin. »Charmanter Kavalier,« schmunzelte ihr Kompagnon, der Baron. »Gefällig gegen Jedermann, hat noch die feinen alten Hofsitten. Wenn solchem Mann ein Glück zufällt, da kann man doch noch sagen, es ist Gerechtigkeit drin. Die Glückspilze sind mir zuwider.« Die Braunbiegler meinte, er wäre todt, und nun könnte man ihn in Ruhe lassen. »Wenn mir nu noch Ener kommt,« trumpfte sie auf den Tisch, »ob er todtig ist oder lebendig, des weeß ich, denn schmeiß ich die Karten fort. Zu ville ist zu ville. – Aber, Frau Geheimräthin, müssen Sie denn allemal vergeben?« Der Bediente war eingetreten, offenbar mit einer Meldung, aber er schien zu zaudern, als er die Lupinus im Begriff sah, die wieder aufgenommenen Karten zu mischen. »Es ist draußen – es steht draußen – es will Jemand Frau Geheimräthin Lupinus sprechen.« – »Wir haben hier auch zu sprechen.« – »Der sagt aber, er muß absolut.« – »Na, wer ist es denn, Jean?« – »Ich kenne ihn nicht, Madame Braunbiegler, – aber – aber er ist sehr dringend, er hat ein Schild auf der Brust und sagt, er muß partout. « Wandel hatte die Geheimräthin fixirt. Ein »à merveille!« entstieg unhörbar seinen Lippen, als sie die Karten vor sich niederlegte und aufstand. Sie verzog keine Miene: »Ich kann mir denken, was es ist; wahrscheinlich wegen eines Dokumentes aus meines Mannes Nachlaß, auf das eine auswärtige Behörde aus archivalischen Gründen einen Anspruch geltend macht. Es thut mir unendlich leid, daß ich abermals die Gesellschaft stören muß, hoffentlich nur auf einige Augenblicke.« Sie rückte den Stuhl zurück. Wandel reichte ihr den Arm und führte sie bis an die Thür. Ob und was er mit ihr gesprochen, weiß man nicht. Sie haben sich nicht wieder gesehen, heißt es. An der Thür blickte die Lupinus noch einmal über die Schulter, und die ihren Blick damals sahen, wollten ihn nie wieder vergessen haben. Mit einem Lächeln rief sie: »Ich bin am Geben, meine Damen, vergessen Sie es nicht und ich werde nicht wieder vergeben.« Es war eine peinliche Stille von einigen Minuten. Im Augenblick, wo man einen Wagen abfahren hörte, trat das Stubenmädchen ein, blaß, wie verstört: »Ach Gott, wissen Sie schon –« Die Sprache versagte ihr. »Was?« – »Sie wird abgeführt – sie ist kriminalisch –« die Thränen stürzten dem Mädchen aus den Augen. »Ach Gott, ach Gott! daß solchen Leuten auch so was passiren muß. Die gute Frau Geheimräthin!« – »Unmöglich! – Ein Mißverständniß!« Die Karten fielen, die Stühle und die Tische rückten. Ueberall blasse Gesichter. Mehrere Herren waren hinausgeeilt. Der Baron Eitelbach kam aber schon hereingestürzt. Es ist eine fatale Wahrnehmung für unser Humanitätsgefühl, aber es steht unstreitbar fest, mitten aus diesem Humanitätsgefühl schießt oft eine kannibalische Lust, wenn wir ungewöhnliches Unglück, von äußerem Schrecken begleitet, hören. In das Bedauern für die Leidenden mischt sich ein wollüstiger Kitzel. Es ist nicht immer Schadenfreude, oft nur die Freude, aus dem Alltäglichen heraus in die Regionen des Ungewöhnlichen uns versetzt zu sehen. Hören wir, daß es nur blinder Lärm war, kein Feuer, eine Mystifikation, so werden wir still. Wir äußern vielleicht ein Gott sei Dank! Aber ganz recht ist es uns nicht, daß die wunderbare Aufregung ohne Resultat geblieben. »'S ist richtig! Wissen Sie's?« schrie der Baron. »Um des Himmels Willen, was?« – »Sie hat ihrem Mann Rattengift gegeben. – Die Leiche ist heimlich ausgegraben – secirt. O wir werden noch mehr hören.« Die Wirkung auf die Gesellschaft zu beschreiben, unternehmen wir nicht, die aufgerissenen Augen, die bleichen Gesichter, die Taschentücher, die Eau de Cologneflaschen. Die »Unmöglichkeit! Es ist Verleumdung!« welche zuerst von den Lippen brachen, verstummten allmälig. Es kamen immer Mehr zurück, die es bestätigten, neue Details angaben. Die hatten die Gerichtsdiener, Andere Fuchsius, einen Kriminalrath, einen Gerichtsarzt gesprochen. Die Gesellschaft war aufgelöst; die Nachrichten wuchsen mit den Vermuthungen. Sie hatte nicht nur ihren Mann vergiftet, auch die Kinder, ihre Dienerschaft. Sie war eine Giftmischerin aus Profession, eine Brinvilliers. Sie hatte aus einer Apotheke alles Rattengift aufgekauft. »Daher kann sie keine Mäuse und Ratten sehen.« Eine Dame entsann sich, daß sie einmal eine ganze Schule zu sich gebeten und traktirt, und die Kinder waren nachher krank geworden. Sie hatte die ganze Schule vergiften wollen, das war keine Frage. Wir wissen nicht, ob in derselben Gesellschaft, aber am selben Abend schon erzählten Einige, daß die Lupinus die Intention gehabt, ihre Nachbarschaft, ja die ganze Jägerstraße aufzuräumen. »Und in unserer Stadt! – In dem aufgeklärten Berlin! – Man wird es auswärts nicht glauben. – Aber wir werden noch mehr hören.« Nachdem Madame Braunbiegler sich vom ersten Schreck erholt, war sie die aufgeregteste, wenigstens die lauteste: Wenn man sie nur gefragt, sie hätte es längst gewusst – nein, das freilich nicht, aber vorgeschwant hätte es ihr, daß es so oder so etwa kommen werde. Und der Frau hätte sie ja nicht um die Ecke getraut; so etwas Maliciöses im Gange und den Fingerspitzen, in den Locken und Lippen, und die cachirte Vornehmheit! An ihrem Gesichte konnte man ihr die Giftmischerin ansehen. Und wenn sie nur Den wüsste, der sie ihr zuerst ins Haus gebracht! War dies vielleicht die arme Baronin? Sie saß über ihren Stuhl gelehnt wie ein Bild des Entsetzens, blaß mit weit aufstarrenden Augen, sprachlos. Es war ihr Vieles im Leben begegnet, sie hatte einmal geglaubt, noch vor Kurzem, was sie dulden müsse, das dulde Keiner außer ihr, aber das, was sie jetzt erlebt, war mehr, es war zu viel. Sie hatte dafür keine Sprache, vielleicht auch keine Gedanken. Die Lupinus galt ihr, und war ihr immer vorgestellt worden als ein Muster von feiner, edler Bildung, von Herzensgüte und Verstand, das sie zwar nicht erreichen, aber auf das sie zur Nacheiferung, blicken, woran sie sich halten könne. Und glaubte die Eitelbach nicht, daß sie schon eine Andere, Bessere geworden! Hatte sie nicht erkannt, woran es ihr fehle, hatte sie es in einem gerührten Augenblicke nicht geradezu ausgesprochen, und die Lupinus hatte ihre Hand auf sie gelegt und mit herzgewinnender Güte gesagt: die einfältigen Herzens sind, denen ist das Himmelreich offen! – Und ja, sie war es wirklich, welche die Lupinus zuerst mit der Kompagnonin ihres Mannes bekannt gemacht hatte. Da brach es heraus. Schmerz, Aerger, Wuth: »Herr Gott, wenn die 'ne Giftmischerin ist, was sind wir dann Alle!« Der Legationsrath Wandel schien in dieser fürchterlichen Scene nicht die Fassung behalten zu haben, welche er in allen Lagen des Lebens an den Tag gelegt. Das Unglück einer theuren, langjährigen Freundin musste auch ihn momentan erschüttert haben. Er war wenigstens für die nächsten Minuten nicht ganz Herr seiner selbst. Er saß auf einem Stuhle, den Rücken der Gesellschaft zugewandt. Sein Kopf sank über. Plötzlich aber stand er auf, und trat in die Mitte des Zimmers. Sein Auge leuchtete, indem er die Anwesenden überschaute, ein hochmüthiger, fast verächtlicher Ton in seiner gehobenen Stimme: »Und wer sagt – ich frage, wer wagt die Frau, welche man aus unserm Kreise geführt, eines Verbrechens anzuklagen! Hat Jemand von Ihnen Beweise? Liest man in ihrem Herzen! Wer, ich frage, traut sich zu, auf bloßes Geschwätz, Vermuthungen hin, ein Urtheil über eine Dame zu fällen, die als ein leuchtendes Exempel von Tugend bis da in unserer Mitte stand? Wer? wieder hole ich, fühlt sich so reinen Herzens, um den Stein auf sie zu werfen! – Warum senken Sie die Köpfe? – Wie! Weil die Dienstleute ein Gerücht hereintrugen, ungebildete Gerichtsdiener, übereifrige Beamte sie verhaftet, vielleicht auf ein bloßes Mißverständniß, eine Verwechslung – Kommt das nicht vor? Giebt es nicht Justizmorde? – Wie, darum verdammen wir Die, die Sie Alle durch lange Jahre mit Bewunderung, Respekt betrachtet, die uns galt für ein Wesen höherer Art! Diese Bewunderung für ihre guten Eigenschaften, der Eindruck, den sie unwillkürlich auf uns Alle geübt, wäre erloschen, fortgewischt durch ein einziges Wort! O mein Gott, lassen Sie mich nicht so schlecht von uns Allen denken, daß ein unbesonnenes, überhastetes Wort die Thaten eines ganzen Lebens verlöschen könnte –« »Aber –« fiel ihm Jemand ins Wort. Wandel ließ ihn nicht zu Worte kommen. »Sie haben Recht, der Schein ist gegen sie. Ich vermesse mich auch in keiner Art hier Richter zu sein, noch ableugnen zu wollen, was etwa von emsigen Polizeibeamten zu Protokoll gegeben ist. Nein, von solcher Anmaßung bin ich weit entfernt. Aber meine verehrten Freunde, hüten wir uns Schlüsse zu ziehn aus dem, was scheint, was wir vermuthen. Wollte ich meinen Vermuthungen nachträumen, dem Scheine trauen, der eben wie ein Blitz vor mir aufzückt, ich müsste zum Ankläger werden gegen die edelsten Männer, die lautersten Charaktere Berlins. Sie traute keinem Arzte mehr, sie glaubte ihre Schwächen durchschaut zu haben, sie nannte sie insgesammt Charlatane; das wussten Heim, Selle; Mucius hat es auch gewusst. Sie präparirte sich selbst ihre Hausmittel, sie hatte sich eine kleine Apotheke von Herrn Flittner verschafft, wie ich ihr auch abrieth und vorstellte, daß es zu Mißdeutungen eben von Seiten der Aerzte führen könne. Es hat dazu, meine Herren, geführt, man hat Urtheile über sie ausgesprochen, die ich nicht wiederholen will. Wie nun, wenn ich diesem Schein nachginge, argumentirte: sie war eine sehr kluge Frau, die tiefer sah als Andere, darum waren Die, denen sie ins Handwerk schaute, ihre gebornen Widersacher, die ihr auf den Dienst lauerten, jede ihrer Handlungen mißdeuteten; diese Aerzte sind es, die, weil sie dieselben vom Todtenbette ihres Gatten fern gehalten, weil sie dieselben beleidigt, verhöhnt, an Ruf und Praxis geschädigt, sie sind es, welche den Verdacht gegen die Unglückliche ausgestreut, bis andere daraus eine Denunciation gebildet. O nein, meine Freunde, ich unterdrücke diese Vermuthung, und noch andere, ich versichere Sie, Vermuthungen, die einem Andern als mir zu Schlüssen würden. Nein, sie steht mir zu hoch, als daß ich ihr helfen sollte durch das Verderben Anderer. – Sie wundern sich über meinen persönlichen Eifer. Nun wohl denn, wenn Ihnen die Entrüstung eines Edelmanns über das Unrecht, das man einer edlen Frau anthut, nicht Grund genug ist, so habe ich keinen, unter so nahen Freunden zu verschweigen, daß meine Achtung und Bewunderung für Madame Lupinus mich nach dem Tode ihres Gatten trieb, um ihre Hand zu werben. Ich sprach es noch nicht aus, um ihre Gefühle zu schonen, aber schon bei einer bloßen Annäherung kam sie schonend, doch mit einer Würde mir entgegen, die alle meine Hoffnungen zurückwies. Sie gehöre dem Todten wie einem Lebenden an, und nichts dürfe sich zwischen sie und diese heilige Erinnerung drängen. Brauche ich Ihnen zu sagen, wie ich diese heilige Empfindung verstand und ehrte, da Jeder von Ihnen weiß, daß ich seitdem ihr Haus nicht mehr betrat. Und diese Frau wagt man zu beschuldigen, daß sie Hand gelegt an das theure Haupt ihres Verewigten! Diese Mittheilungen bin ich dem Kriminalgericht schuldig. Ich werde sie machen und zum Richter sprechen: Untersuchen Sie streng, das ist Ihre Pflicht, aber erlauben Sie mir auch, eine moralische Ueberzeugung vor Ihrem Stuhle auszusprechen. Möglich ist Alles, aber nur Die, welchen die Sünde in ihrem ersten Stadium, im Argwohn und Neid gegen die Besseren und Glücklichen, genaht ist, werden die Beschuldigung aussprechen, sie werden ein Behagen daran finden sie zu glauben, eine edle, reine Seele wird die Worte ausrufen, welche mir vorhin ins Ohr klangen: Wenn sie eine Giftmischerin ist, gütiger Gott, was sind wir dann Alle!« Der Eindruck der Rede war groß. Er hatte seinen Hut ergriffen, sich gegen die Gesellschaft verneigt, am tiefsten gegen Madame Braunbiegler. Die Gesellschaft verstand die Bedeutung. Trotz des allgemeinen Schauers, trotz der Unruhe des Aufsbruchs, denn die Meisten nahmen Abschied, bewunderte man den ritterlichen Mann, welcher so der Ehre einer Frau sich annahm, die ihm den Korb gegeben! Und seine hohe Gestalt, sein tiefglühendes Auge unter einer Stirn, die sich im edlen Zorn immer höher zu wölben schien! So hatte man ihn nur gesehen, als er im Hause der Obristin als Retter auftrat. Niemand schien vergnügter als Baron Eitelbach, er hätte, als Beide im Vorzimmer sich begegneten, dem Legationsrath um den Hals fallen können: Seine Frau übernahm es statt seiner. Eine Thräne glänzte in ihrem schönen Auge, als sie, vom Arm ihres Mannes sich losmachend, ihre Hände auf seine Schultern legen und, auf den Zehen sich erhebend, einen Kuß auf seine Stirn hauchte: »Eine schöne That verdient eine Belohnung. Eigentlich, daß Sie's wissen, habe ich Sie nicht leiden können – Sie sind ein guter Mensch, das wusste ich, aber es war mir doch immer daneben, als wenn sie ein schlechter Mensch wären – heute aber nein, Sie sind gar kein Mensch nicht, heute waren Sie wie ein Gott.« Schade, daß die schöne Scene durch ein kreischendes Gelächter unterbrochen ward. Nicht das des Barons, der nur etwas »grinste« und sich vor Schadenfreude die Hände rieb, sondern gespornte Stiefel polterten die Treppe herauf, und der Rittmeister schrie schon von draußen sein: »– Tralirum la! Krieg! Krieg! Ausmarschordre! – Laforest kriegt seine Pässe!« Es war ein Intermezzo, das überhaupt zu dem, was hier geschehen, nicht stimmte: Trompetengeschmetter, das einen Choralgesang, die Trauermusik eines Grabeszuges unterbricht. Glühte sein Gesicht nur von der Freude oder auch vom Wein? Gleichviel, es glühte und er war trunken. Er fiel um den Hals, wer ihm in Weg trat. »Krieg! es geht los!« begleitete den Kuß. Er hatte den Baron Eitelbach so umarmt, er drückte auch der Baronin seinen Bart und seine Lippen an die Wangen. Nur vor der aufrechten Gestalt des Legationsraths wich er zurück, um den General-Stabs-Chirurg Görecke ans Herz zu schließen. Herr von Wandel glaubte einen schmerzlichen Zug um die Augen der Baronin zu sehen. Er flüsterte ihr ins Ohr: »Nicht verzweifelt, meine Freundin. Man muß in solchen Momenten der Aufregung auch einer Rohheit nachsehen, die unter anderen Umständen unverzeihlich wäre. – Er kann sich bessern, obgleich – doch es kommt eben darauf an, ob er ein Diamant ist, oder nur ein Kieselstein.« 79. Kapitel. Wir werden Alle Blut sehen müssen Neunundsiebenzigstes Kapitel. Wir werden Alle Blut sehen müssen. Die blaugraue Dämmerung eines Nebelmorgens drang noch kaum durch die von der innern Wärme angeschlagenen Scheiben in das Zimmer der Fürstin, als diese im Negligé aus ihrem Kabinet trat. Wandel, der hinter ihr die Thür schloß, war schon fertig angezogen. Er sah blasser als gewöhnlich aus und schlang ein wollenes Tuch gegen die Morgenkälte um den Hals, ehe er sich anschickte, den Mantel umzuwerfen. Die Fürstin wies auf die Thür zur Hintertreppe: »Sie können durch den Gartensalon. Adelheid schläft schon seit gestern nicht mehr hier.« – »Der Abschied von der Tugendprinzessin war wohl sehr rührend?« Die Gargazin sagte nach einigem Besinnen: »Ja – ich habe geweint.« Was sie noch sagen wollte, verschluckte sie. » Tant mieux, Madame, sie kann uns nun protegiren. Le temps se change, mais pas les hommes. « – »Ich wünschte, Sie changirten,« sagte die Fürstin ernst. »Hat Sie der Anblick des jungen Mädchens nie gerührt? Zuweilen – wenn ich sah, wie alle Verlockungen und Verführungskünste von ihr abglitten – ja, zuweilen überkam es mich, ob sie nicht in einem unmittelbaren Schutze stehe.« – »Die Hand des Schutzengels, den der Himmel ihr gesandt, drück' ich jetzt an meine Lippen. Au revoir! Uebrigens habe ich ja auch ein wenig den Engel agirt.« Die Gargazin riß die Hand zurück und ihr strafender Blick hätte ihn zum Schweigen auffordern sollen, aber er schwieg nicht: »So war uns die Rolle des Verführers zugewiesen. Jede Rolle ist gut, wenn man sie nur gut spielt. – Sie schaudern, es ist ein frostiger Oktobermorgen. Sie werden sich erkälten, Sie sollten sich wieder zur Ruhe legen.« – »Ich schaudre, doch ich friere nicht.« Er sah verwundert, als sie nach der Klingelschnur griff. »Ich will nach der Hedwigskirche. – Wenn Sie gesündigt, fühlen Sie dann nie das Bedürfniß, Ihr Herz auszuschütten? Haben Sie gar keine Empfindung, keine Ahnung davon, welche Erleichterung, Wohlthat es ist, so belastet und gedrückt sich in den Staub zu werfen, und im Bekenntniß, in der Beichte zu den Füßen eines plénipotentiaire der Allmacht alles das niederzulegen, und jeden Winkel in uns auszukehren?« »Ich begreife es – ich begreife es vollkommen!« – »Und Sie verschmähen die Wohlthat.« – »Was dem Armen ein Schatz ist, wirft der Reiche oft aus dem Fenster.« – »O Sie reicher Mann!« Es war ein böser, aber scheuer Blick. »Weil sie so gewaltig stark sind. Weil Sie die Schwäche nicht kennen! – Ich hätte Sie von Anfang an hassen müssen –« »Aber Sie wollten mich bekehren, darum erbarmten Sie sich meiner und liebten mich.« – »Nein! – Eigentlich bewundere ich in Ihnen die Allmacht der Natur. Wie es möglich war, ein Geschöpf in Menschengestalt ohne Blut und Herz zu bilden! Sie waren mir neu, interessant, ich wollte Sie studiren. Ich klopfte an, ob nicht irgendwo eine schwache Seite herausklinge – aber kalter Marmor von außen und noch kälter von innen. Ich fragte mich, was bewegt denn diesen Block, den irgend ein Dämon aus dem kalten Gestein loshieb und gemeißelt ins Leben setzte, mit täuschender Menschenähnlichkeit, aber er ward kein Mensch.« – »Einige wollten behaupten, der Egoismus sei es allein, der diesen – Marmorblock in Thätigkeit bringt.« – »Aber die Lichter des Himmels blitzen Sie doch an, die Töne der Natur finden in Ihnen einen Widerhall. Es rauscht und strahlt zuweilen so harmonisch heraus, daß Sie blenden, berauschen, verführen. Sagen Sie, ist das Alles nur der Reflex eines Spiegels, den selbst nichts rührt? Haben Sie keine Seele, oder ist sie wie das Meer am Eispol, eingefroren seit ihrer Schöpfung?« »Viel näher, theuerste Freundin, läge doch der Vergleich mit dem Dämon, den der große Dichter ins Leben rief. Warum so ungeheuer weit suchen im Chaos des Möglichen und Unmöglichen, statt Goethe's Mephistopheles zu citiren? Die Ehre erzeigten mir Andere, sie nannten mich den Geist, der immer verneint. Höflichere hatten sogar die Freundlichkeit, den Schalk in mir zu wittern, von dem es dort heißt, daß unter allen Geistern, die verneinen, er dem Herrn der Schöpfung am wenigsten verhasst sei. Doch das lass' ich auf sich beruhen, es ist Geschmackssache, wie Alles in der Welt, Antipathieen und Sympathieen. Was sich anzieht, was sich abstößt, es ist Alles ein Spiel der Laune, die wir nicht ergründen, der Kern des Kernes, die Ursach der Ursach, nach der die schöne Königin Charlotte selbst einen Leibnitz umsonst fragte und quälte. Nein, danach müssen wir nicht grübeln, um Gottes willen; wir Alle sind ja nach Ihrem Glauben – Erwählte oder Verstoßene, denen die Gnade leuchtet, oder es blieb in ihnen finster. Haben Sie doch Erbarmen mit solchem Finstergebliebenen, er kann ja nicht für seine Maulwurfsaugen, noch daß sein Blut so kalt blieb als das arktische Meer. Wenn Sie da weiter fragen wollten, hohe Frau, auf welche Fragen stießen Sie, Räthsel, die selbst Ihr Glaube, der Berge versetzt, nicht löst. Zum Exempel, warum gab der Panurg sich die Mühe, Meer da oben am Nordpol zu schaffen, wenn es sofort zu Eis erstarrte? Wir Skeptiker würden fragen, warum schuf er nicht sogleich Eis? es wäre doch einfacher, bequemer, consequenter gewesen, Was hat dies arme Salzwasser verschuldet, daß es die schmerzliche Metamorphose erduldete? Muß es wie ein neugeboren Kind, die Sünden seiner Erzeuger büßen? und warum büßen in alle Ewigkeit, denn bis nicht ein Komet an diese alte Erde stößt, der Weltenbrand alles verzehrt, wird dies unglückliche, verzauberte Wasser doch aller Wahrscheinlichkeit nach nicht erlöst.« »Der Weltenbrand!« rief plötzlich die Fürstin auf, und ihr Gesicht glühte. Nicht die Wärme von innen, es war eine Purpurgluth, die von Außen daran schlug. Die Sonne war aufgegangen, die Wolken zerrissen, eine unförmlich große Feuerkugel tanzte im Dunstlicht. Aber bald sah man sie nicht mehr vor der Färbung, die sie dem ganzen Dunstmeer mittheilte. Das Firmament schien Feuer. Das Zimmer, eben noch im unheimlichen Grau, war von rothem Gefunkel übersprenkelt. Rasch hatte die Wirthin das Fenster aufgerissen, und die Dächer der Häuser, die weite Stadt, so weit man sie übersah, schwammen in einem Blutroth. Wenn sie überrascht war, schien es nicht die Ueberraschung des Schrecks, sondern einer dämonischen Freude. Sie streckte ihren entblößten Arm hinaus in die kalte Luft, während diese Kälte sie doch nöthigte, die Enveloppe mit der andern Hand fester um Brust und Hals zu drücken. »Sehen Sie!« – »Die Nebel zertheilen sich. Es wird ein schöner Herbsttag werden.« – »Der Tag der Vergeltung! Er bricht an. Feuer und Blut gemischt. O ich könnte mich freuen, ein entzückendes Schauspiel, wenn die wogenden Flammen über die Dächer sausten, das Lied der Vergeltung heulend. Des neuen Attila Mission ist groß, und ich sehe, sie ist noch nicht zu Ende. Die Leichen sollen sich noch zu Bergen thürmen und das Blut in Strömen fließen, wo wir noch kein Bett dafür sehen. – Ei, Sie schaudern, das freut mich. So blutig roth, wie dieser Morgen –« Wandel schauerte wirklich, er zog den Mantel um die Brust: »Sie wissen, ich kann kein Blut sehen, Alles – Andre – nur kein Blut –« Die Gargazin schien sich an seiner Angst oder an seinem Schreck zu weiden: »Steigt Ihnen es auch zu Wangen! – Wir werden Alle Blut sehen müssen, mein Herr von Wandel. Ohne das keine Erlösung aus diesem Dasein. Entweder stockt es, und wir gehen in Konvulsionen unter, oder es strömt in hellen Purpurquellen aus und das ist die leichtere. – Hören Sie die Trommeln wirbeln? Wie muthig und froh gehen die Tausende dahin, wo die eisernen Würfel fallen. – Ja, das Spiel ist aus, der Ernst beginnt, mein Herr. Verspüren Sie keine Lust? Hörten Sie's nicht singen: ›Im Felde, da ist der Mann noch was werth!‹ Regte es sich da nicht in Ihnen? Hier ist er gar nichts mehr werth.« Welcher Dämon war in die Frau gefahren? dachte der Legationsrath. »Um ins Feld zu ziehn, muß man –« »Muth haben,« unterbrach sie ihn. »Bewahre Ihr Genius oder Ihre Heiligen die Liebenswürdigste Ihres Geschlechts davor, eine Amazone zu werden!« Sie schien ihn nicht zu hören. »So rottenweis sie fallen, Reihe um Reihe unter dem Kartätschenhagel stürzen, das Feld sich lichten zu sehen, für einen Feldherrn soll es ein Götterschauspiel bieten. Da, wenn er auf der Höhe hält, den Tubus in der Hand, sein Schlachtroß unbeweglich unter seinen Lenden, da soll Napoleon ein Gott sein. Ein Bewegen mit dem kleinen Finger, ein Seitenblick, ein Zucken mit der Lippe, die Adjutanten verstehen es, neue Bataillone wälzen heran, sie füllen die Lücken, um wieder – Lücken zu werden. – Ich kann die Frau da begreifen, wenn es wahr ist, was sie von ihr erzählen. Mit Menschenleben spielen wie mit Schachpuppen, warum soll es nicht zum Kitzel werden, dem man nicht widersteht.« »Die Unglückliche! Sie wollte gewiß keine Verbrecherin werden.« – »Wer will das! Sie wollte nur Glück um sich verbreiten, aber weil die Menschen eigensinnig sich ihres auf eigne Weise suchen, ward sie erbittert, bis – bis – Ja – weil sie nicht Muth hatte zu sündigen, darum ward sie Verbrecherin. Eine Philosophin – sie hat ihre Götter sich selbst geknetet, – weiß ich, aus welchem Koth! – Wer den Gott des Lebens nicht kennt, seine Beseligung, dürstet doch nach einer anderen. Der Gott des Todes gewährt sie auch, und wem die großen Würgeengel nicht zu Kommando stehen, wie Bonaparte, lässt sich mit den kleinen genügen. Die Gemeinheit sagt, sie hätte es aus Rache gethan. Nein, ich vertheidige die Frau. Auch sie nur ein Werkzeug in seiner Hand.« – »Sie würde mit ihrer erlauchten Vertheidigerin schwerlich zufrieden sein.« – »Herr von Wandel wird sie allerdings besser vertheidigen, weil er sie besser kennt.« War das ein Basiliskenblick? – Er wollte sprechen – aber er stotterte nur von Gott und reinem Bewusstsein. Wenn sie unschuldig, werde jener sie schützen, dieses sie trösten. »Reden Sie doch nur in Sprachen, die Sie verstehen.« herrschte die Fürstin ihn an. »Wenn Gott seine Zuchtruthe am Himmel aushängt für die Völker, straft er auch die Einzelnen. Merken Sie sich das, Herr von Wandel. Wenn Pestilenz, Krieg, Verderben in einem Lande ausbricht, kommt es nicht angeweht vom Winde, es bricht von Innen heraus, wie ein Geschwür von den faulen Säften. Merken Sie das. – Werden Sie noch hier bleiben? Mich dünkt, hier ist nicht Ihres Weilens. Mich dünkt, Ihnen könnte Gefahr drohen. – Mich dünkt, man glaubt Sie zu kennen –« »Wer?« – »Ich nicht,« rief mit Nachdruck die Gargazin. »Ich will nicht, mir graut, Sie kennen zu lernen. Die Akademie will Sie nicht, aber für Gelegenheit nach Rußland lassen Sie mich sorgen – ich könnte Ihnen eine Professur in Kasan verschaffen.« Der Legationsrath verneigte sich zum Abschied: »Die Luft dort ist mir zu streng.« – »Was fesselt Sie hier?« – »Erlaucht wissen –« »Unmöglich – nein – abscheulich – das traue ich Ihnen doch nicht im Ernst zu.« – »Eine mariage de raison, weiter nichts. Wenn wir mit den Leidenschaften und Phantasien zu Rande sind, behält die Vernunft das letzte Recht.« – »Mir aus den Augen!« – »Was that Madame Braunbiegler, Euer Erlaucht Zorn zu erregen?« – »O mehr als abscheulich – widerwärtig – eine Versündigung gegen Geschmack, Gefühl, Aesthetik! An einen trunkenen Silen konnte die Nymphe sich hängen, da war im Epheu holder Wahnsinn – aber das Thier, das im Schlamme der Gemeinheit sich wälzt, das wagten die Griechen selbst nicht – Und mit Bewusstsein, klar sehend – Mir aus den Augen – da ist die Treppe – wenden Sie sich nicht um – Ich will Ihnen nicht wieder ins Gesicht sehen – nie, nimmermehr!« Wandel hatte sich noch tiefer verneigt und – er stand schon auf der Treppe. Da aber wandte er sich doch um. Es musste ein eigner Blick sein. Sie ward roth und blaß: »Erinnern Sie sich,« rief sie ihm nach, »daß Sie keine Zeile Schriftliches von mir in Händen haben. – Ich kenne Sie nicht. – Fort – hinunter – Scheusal – schneller!« Er war symbolisch die Treppe hinuntergeworfen. Er machte sich keine Illusionen darüber. Aber warum? – Weil er das ästhetische Gefühl der Fürstin verletzt? Weil grade diese Rivalität ihren Schönheitssinn empörte? – Ein höhnisches Lächeln schwebte auf seinen Lippen. Er litt zum ersten Male ungerecht. Er hatte nie im Ernst an die Heirath gedacht. War es nur eine Weiberlaune, welche plötzlich in ihr aufgestiegen, und hatte die Aufwallung einer Phantasie so lange, künstliche, wenn auch nie ganz feste Bande gesprengt? Oder lag etwas Bestimmtes zu Grunde? Mit jedem Schritte gewann die letzte Vorstellung an Gewicht. Eine fürchterliche Ueberzeugung, aus Kettengliedern zu einer Kette geworden. Er war nicht mehr, oder vielmehr, er galt nicht mehr, was er gegolten. Wer giebt einem fadenscheinigen Rock seine Wolle wieder! Sein Kopf senkte sich, seine Füße wurden schwerer. Der frühe Morgen war ein Glück für ihn; er begegnete keinen Bekannten. Der große Menschenkünstler hätte seine Aufregung nicht verbergen können. Dort stand er an der Ecke, zaudernd, drei Wege vor ihm, der eine führte zur Post. Seine rechte Hand griff unter den Rock, an die Stelle wo das Herz sitzt. Ob er dessen Pochen hörte, es unterdrücken wollte? Ueber dem Herzen war aber auch die Brusttasche des Rockes, in dieser sein Taschenbuch, und in demselben steckte ein von allen Gesandschaften visirter Paß ins Ausland. Es waren auch vielleicht mehrere Pässe auf mehrere Namen. – Sein Sinnen in dem Augenblicke war, ob er nach der Post eilen, Extrapost nehmen, und die Stadt und das Land auf immer verlassen solle? Vielleicht ließ er damit mehr hier zurück, als den Staub seiner Füße – seinen Namen. An einem andern Orte tauchte er unter einem andern neugeboren auf; die Welt ist groß. Aber vor seinen Augen musste sie nicht so groß erscheinen, als er, mit den Zähnen die Unterlippe kneifend, vor sich hinstarrte. Auf der Landkarte, die sein Auge in der Luft vor sich zeichnete, sah er vielleicht Städte und Länder, die ihm schon verschlossen waren. Indem schallte Reitermusik die Straße herauf. Berittene Rekruten sangen das jetzt so beliebte: Frisch auf, Kameraden, aufs Pferd, aufs Pferd! Ins Feld, in die Freiheit gezogen! Sie schaukelten sich dabei, noch ungeschult, in toller Lustigkeit in den Sätteln. »Was ist diesen Bauernlümmeln Freiheit – was Vaterland!« rief es in ihm. »Der Stock ihr Meister, und doch gehn sie muthig dem entgegen, dem sie nicht ausweichen können; sie müssten denn desertiren. Und das Desertiren hat in diesem Lande mehr Gefahr, als – dem Feinde stehen. Ich will auch nicht desertiren.« Er ging weiter; nicht nach der Post, aber doch schien er noch unschlüssig, wohin. War es Zufall, daß seine Schritte sich nach dem Hotel des französischen Gesandten lenkten? Alles war hier in Thätigkeit, Packwagen standen unter dem offenen Thorweg; aber auch eine Kutsche angespannt auf der Straße. Laforest wollte Abschiedsbesuche machen. Wenn Wandel hier angeklopft, würde er bereitwillig aufgenommen sein; er ging unschlüssig bis an die Stufen, aber – er musste Gründe haben, weshalb er nicht anklopfte. Er ging rasch vorüber, und athmete auf. »Er ist doch nur ein Meteor!« sprach er für sich. »Wenn er untersinkt, wo bleibt Napoleons Schweif!« Wir glauben, daß Wandel sich hierin selbst belog. Er hatte andere Gründe, weshalb er Frankreich nicht mehr betrat. Er war auf eine Bank unter den Linden hingesunken. Zwei Morgenspaziergänger, die einen Brunnen tranken, setzten sich ebenfalls. Nachdem sie über die Wirkungen des Wassers sich des Längeren unterhalten, sprachen sie auch von der Lupinus und ihrer Verhaftung. Die Geschichte erhielt neue Wendungen. Sie war nach des Einen Konjektur eine geborne Giftmischerin aus Instinkt. Er wollte gehört haben, sie hätte schon in der Schule angegiftet, dann als fünfzehnjähriges Mädchen zuerst ihren Vater und darauf ihre Mutter komplet vergiftet. Die Zahl ihrer übrigen Opfer lasse sich gar nicht berechnen, und sie thue es ohne allen Zweck und Vortheil, nur weil es in ihrem Blut liege. Sie könne es nicht lassen. Der Andere wollte entgegengesetzte Nachrichten haben: sie sei eine wohlerzogene und treffliche Frau gewesen, aber die Neigung zu einem fremden Herrn habe sie aus Rand und Band gebracht. Sie hätte sich zuerst selbst vergiften wollen, weil er ihre Leidenschaft nicht erwidert, ihre Blicke nicht verstanden. Dann aber hätten sie sich verständigt, und der fremde Herr merken lassen, daß, wenn sie frei wäre, und nicht Manches sonst im Wege stände, er sie gern heirathen würde. Darauf hätte sie eine Pflegetochter und die Kinder ihres Schwagers vergeben. Bei der ersten sei es noch zur rechten Zeit gemerkt worden und man hätte sie aus dem Hause geschafft; die Kinder wären daraufgegangen. Der fremde Herr hätte darauf gesagt: so sei es gar nicht gemeint gewesen, und er habe auf immer von ihr Abschied genommen. Da aber hätte sie grade schon auch ihren Mann vergeben gehabt, und wäre von der Alteration außer sich gerathen. Alles wäre ja umsonst gethan. »Ich weiß nicht, Herr Geheimsekretär,« sagte der andere Geheimsekretär, »ich weiß nicht, ob ich nicht den andern vornehmen Herrn auch bei den Ohren fasste.« – »Wird auch geschehen,« rief der Angeredete dem klugen Manne ins Ohr. »Gestern im Kasino hörte ich so etwas, unter uns gesagt, daß der Herr Regierungsrath von Fuchsius auf ihn vigilire. Es ist da was, – man weiß nur nicht, was – indeß man wird ja davon hören.« – Bald darauf klingelte es heftig in der Wohnung des Rath Fuchsius, auch noch in früher Morgenstunde, denn der Rath saß im Schlafrock und Pantoffeln beim Kaffee und Pfeife. Ein fremder Herr wünschte in einer dringenden Angelegenheit ihn zu sprechen, und ehe noch der Bescheid hinausging, war der Legationsrath eingetreten. Zwei fein gebildete Männer sind um den Anfang eines Gesprächs nicht verlegen, ohne das Wetter zu Hülfe zu rufen. Aber Wandel unterbrach den schönsten Fluß der Introduktion, bei der Fuchsius ihn nicht einmal gefragt, was ihm die Ehre des Besuches verschafft, indem er den Hut auf die Erde fallen ließ und, mit beiden Ellenbogen auf den Tisch sich stützend, die Hände gegen die Stirn drückte: »Mein Gott wozu das Alles! – Sie wissen, warum ich hier bin. – Die Arme, Unglückselige! – Sie sehen mich in unaussprechlicher Angst und Verwirrung – ich kann kaum meine Worte fassen – Verzeihen Sie, wenn ich Ungehöriges rede – Sie wissen aus eigner Anschauung, in wie naher Verbindung ich mit ihr stand –« »Um so schmerzlicher, kann ich mir denken,« entgegnete Fuchsius, »muß die Beschuldigung, welche die Dame trifft, einen edelgesinnten Freund berühren.« – »Ich danke Ihnen für diese schonende Sprache. Eine Bitte voraus – wenn sie schuldig ist, ich meine nach Ihrer Ansicht, gleichviel, ob es nur Ihre moralische Ueberzeugung ist, oder eine die sich auf Beweise gründet, erlauben Sie mir wenigstens, ihrem ältesten Freunde, sie in unserm Gespräch als eine arme, unglückselige Dulderin zu bezeichnen.« »Da der Jurist die Regel gelten lässt: Quilibet bonus praesumitur, donec contrarium probetur, versteht sich dieses Recht für einen so intimen Freund von selbst.« »Und nun,« sagte Wandel mit fester Stimme, – »ohne Umschweife, wie es sich unter Männern ziemt: was haben Sie über mich disponirt?« – »Sie vergessen, daß ich mit der Diplomatie nichts mehr zu thun habe.« – »Mein Gott, wozu die Komödie! bin ich ein fugae suspectus? Haben Sie mich nicht in Ihrem Hause? Mit einem Worte: werden Sie mich verhaften lassen?« – »Ich – Sie? – Das ist eine sonderbare Frage. Sind Sie denn angeklagt?« – » Qui s'accuse, wollen Sie damit sagen. Wohlan, ich betrachte mich als ein Angeklagter, und frage Sie offen heraus: habe ich mich als ein Surveillirter zu betrachten, oder habe ich die Captur zu gewärtigen? Um Anordnungen wegen meiner Güter zu erlassen, liegt mir viel daran, es zu wissen, und ich würde Ihnen sehr dankbar sein, wenn Sie mir gradeaus Ihre Absicht mittheilten.« »Die Criminaljustiz schreitet bei uns nur im Fall dringender Verdachtsgründe zur Captur.« »Nun, sind das für Ihre Justiz nicht dringende Gründe, daß eines intimen Umganges mit der Geheimräthin das Gerücht mich bezüchtigt, und ich räume ein, es war mehr als Gerücht. Ich war fast täglich in ihrem Hause, ich führte ihre Geldgeschäfte, ich wusste um Dinge, die Niemand sonst weiß. Sie war eine nervös-hysterische Kranke, eines jener zartgestimmten Instrumente, die eine ganz besondere Behandlung erfordern, um nicht immer Disharmonien zu hören und von sich zu geben. Sie hatte einen Widerwillen gegen die Aerzte, welche sie nicht so zu behandeln verstanden, oder es nicht wollten. Ich musste ihr kleine sympathetische Mittel verschreiben; es war oft Betrug dabei, das gestehe ich ganz offen, denn solche Kranke, die sich stets selbst täuschen, verlangen, auch von ihren Aerzten getäuscht zu werden. Im Verlauf der Zeit war sie auch damit nicht zufrieden, sie wollte selbst operiren. Wie ich auch dagegen mich sträubte, sie bestellte sich bei Herrn Flittner eine kleine Hausapotheke, und ich musste den Vermittler spielen. Herr Regierungsrath, alles das sind schon Verdachtsgründe, auf die ein gewöhnlicher Richter mit beiden Fäusten zugreifen würde. Aber – ich empfand eine Achtung für die seltene Frau, die mit jedem Tage wuchs, die, weil ich sie erwidert glaubte, zu einer Seelenharmonie ward. Ich hatte daran gedacht, wenn sie frei ward, um ihre Hand zu bitten, mein Interesse war daher des Geheimraths früher Tod; er ist früher gestorben, als man erwartet, es heißt, nicht auf natürlichem Wege, ich war bis dahin, wenn nicht täglich, doch sehr oft, in ihrem Hause, im nächsten Verkehr mit der, welche man der Giftmischerei bezüchtigt, sie empfing Spezereien, wobei mein Name genannt ward – ich will mich auch gar nicht darauf berufen, daß ich grad in letzter Zeit seltener ansprach – ich hielt darauf wirklich um ihre Hand an, wollte also meinen Vortheil geltend machen. Nun, mein Herr, entscheiden Sie, ob das in Ihrem Lande dringende Verdachtsgründe sind.« Fuchsius hatte ihn fest angesehen: »Ich kehre die Frage um; was würden Sie in meiner Lage thun? Sie haben die Rechte studirt.« – »In Amerika ließe ich den Mann auf der Stelle verhaften. Ich erinnere mich eines ähnlichen Falles, wo ich als Friedensrichter so handelte. Es ergab sich nachher, er war unschuldig. Aber Sie müssen den amerikanischen Charakter, die besonderen Verhältnisse beachten. Standesrücksichten giebt es nicht; die feineren Bezüge der Seelenkunde gehören dort nicht vor Gericht, nichts als die matter of fact. Ich weiß, ich stoße so oft an, indem ich mich in die europäischen Verhältnisse noch nicht wieder zurechtfinde.« – »Ich höre zum ersten Mal, daß Sie in Amerika waren, Herr Legationsrath.« – »Eine Vorahnung, was die Revolution uns bringen würde, trieb mich schon bei ihrem Ausbruch dahin,« sagte Wandel mit einem Seufzer. »Wäre ich doch nie zurückgekehrt! Man muß gestehen, die Revolution hat mehr und Tieferes zerstört, als Königreiche und Fürstenthümer.« – »Vielleicht auch dem nur den letzten Stoß gegeben, was längst in sich zerstört war,« sagte der Rath. – »Sehr wahr! Eine tiefe Wahrheit, Herr Regierungsrath. Wenn ich der schlichten Sitten, der Natureinfalt gedenke in unserm Dorfe, nicht bei den Landbewohnern allein, auch in unserer Familie, wie sie traulich Abends unter den Lindenbäumen vor der Thür des reinlichen holländischen Hauses saßen und ihren Thee tranken bei der weißen Thonpfeife. Wer dachte bei diesen glücklichen Landbewohnern an das alte Herrengeschlecht der Vansitter. Und als ich zurückkehrte –« »Vansitter!« wiederholte Fuchsius, und blickte mit einer nicht erkünstelten Verwunderung Den an, von dessen Lippen dieses Wort geflossen war. Wandel, der sich nicht aus seiner Ruhe bringen ließ, lächelte fein: »Ja, wie Ihnen wohl auch schwerlich geheim blieb, gehöre ich zu dieser, leider nur zu ausgebreiteten Familie.« – »Sie stammen aus Geldern?« – »Wo die Familie herstammt, darüber befragen Sie die Heraldiker. Ja, ein großer Theil von Geldern, Yssel, glaube ich doch sogar mehrere der größeren friesischen Inseln, gehörten zu den Besitzthümern dieser alten sassischen Dynastien. Soll ich etwa stolz darauf sein? Von der Herrlichkeit der Familie blieb nichts über als die Vansitter in Kopenhagen, und dies reiche Handlungshaus, welches vermuthlich Ihre Notiznahme veranlasst, ist schon längst durch eine Erbtochter in andere Hände übergegangen. Sic transit gloria mundi, mein Herr Regierungsrath. Die echten Abkömmlinge der Vansitter sind über die Erde zerstreut, wie Ihre Becker und Schulzen. Der Zweig, dem ich angehörte, war schon seit einem Jahrhundert aus den Niederlanden nach Dänemark übergesiedelt, aber den Grad meiner Verwandtschaft mit der großen Firma bin ich nicht im Stande Ihnen anzugeben, denn schon mein Groß-Oheim, der Gouverneur von Surinam, äußerte lachend: wenn man alle Vansitter in einen Sack würfe, würde Gott im Himmel selbst seine Mühe haben, sie wieder zu rangiren und Jeden an seinen Platz zu stellen. Ehe ich nach Amerika ging, hatte allerdings mein Vater mit seinem Bruder Moritz Wilhelm eine unserer Stammbesitzungen in Geldern, Wandel, von entfernten Vettern wieder erstanden. Aber lassen Sie mich davon schweigen, wie ich es nach meiner Rückkehr wiederfand. Nach der Schlacht von Gemappes war's geplündert, ecrasirt, die Särge meiner Vorfahren – doch genug davon! Dennoch fand ich mich bewogen, wieder den Namen Wandel anzunehmen, mit welchem Recht, das interessirt Sie nicht – aber beruhigen Sie sich, ich hätte nöthigenfalls verbriefte Nachrichten über diese Berechtigung nachzuweisen, – aber das Motiv können Sie sich leicht denken. Nicht wegen des Vansitter, der von den holländischen Patrioten gehängt war, angeblich als preußischer Spion – der politischen Sphäre war ich längst fremd – aber ein anderer Vansitter hatte ja, – wars in Brüssel oder Brügge, die famose Entführungsgeschichte in der Familie Bruckerode – selbst bis in die amerikanischen Urwälder verfolgten mich die Zeitungen mit diesen saubern Familienerinnerungen. A propos, weiß man gar nicht, was aus diesem, meinem unglücklichen Vetter geworden ist?« »Wer weiß von allen Opfern, die im Strudel der Revolution untergingen!« – »Desto besser für ihn. Ich hörte einmal dunkel, er sei mit Napoleon nach Egypten gegangen, und in Syrien wie die andern Zurückgelassenen aus dieser Welt geschieden. Wie dem sei, er hat seine Thorheiten oder seine Vergehungen gebüßt, und so wenig ich auf meine altaristokratische Abkunft stolz bin, fühle ich mich verlegen durch die präsumtive Verwandtschaft mit einem Vaurien. Wir Alle, mein theuerster Regierungsrath, leben noch für die Gegenwart. Ihr und uns gehören wir an; ein Thor, wer weiter hinaus will, und nun, Excus für die Abschweifung, zu unserer unglücklichen Geheimräthin zurück. – Hat sie wirklich noch nichts eingestanden?« – »So nehmen Sie an, daß sie etwas einzugestehen hat?« Wandel war aufgestanden. Er schien ein schweres Wort aus der Brust zu pressen: »Ja, wie die Dinge stehen, kann ich einer Vermuthung mich nicht erwehren. Und – offenherzig – kann man ein notorisches Faktum bestreiten? Sie hat die ganze Schule an Königs Geburtstag nach den Zelten eingeladen; sie hat sie dort bewirthet mit Kaffee und Kuchen: sie selbst bereitete den Kaffee, sie hatte den Zucker mitgebracht, den Kuchen zu Haus gebacken. Die Lehrer und Hunderte von Zeugen standen umher und sahen –« »Daß drei oder vier Kinder unwohl wurden und nach Hause gefahren werden mussten, weil sie sich den Magen überladen hatten. Alle sind wieder hergestellt. Das ist ein leeres Stadtgeschwätz.« – »Gott sei Dank! Aber, unter uns, wir Beide waren im vorigen Jahre selbst Zeugen von der plötzlichen, unerwarteten gefährlichen Erkrankung der Kinder ihres Schwagers –« »Die ebenfalls auf dem natürlichsten Wege von der Welt erfolgte.« – »Das konnte sein, Herr Regierungsrath. Aber in Verbindung mit jenem nachfolgenden Faktum gewann die Sache für mich – ja, vor dem Richter ist es Pflicht, die innerste Ueberzeugung auszusprechen – sie gewann dadurch ein mehr als bedenkliches Ansehen.« Fuchsius blickte ihn verwundert an. »Mein Herr Regierungsrath, Hamlets Wort von dem zwischen Himmel und Erde hat eine Bedeutung, die wir mit unserer Philosophie nicht lösen. Erklären Sie mir den Instinkt der Kinder, der vielen jungen Mädchen, die ohne allen Grund, ohne ein denkbares Interesse, nur einem dunklen Triebe folgend, Feuer anlegen. Wie viele ähnliche, grauenhafte Erscheinungen zeigt die Kriminalgeschichte aller Völker, von sonderbaren Gelüsten, die zum Verbrechen, zur entsetzlichsten Atrocität sonst gut geartete Seelen antreiben. – Die Lupinus hat keine Kinder, ich weiß, wie der Mangel, die Sehnsucht danach auf Seiten ihres Gemüths hämmert. Sie springt Nachts aus dem Bette, wandelt umher, die Leuchter in der Hand – so sagten mir wenigstens ihre Kammermädchen – sie sucht an den Wänden und ruft: wo sind meine Kinder! Die Magie der Natur lehrt uns die Wahlverwandtschaft der Gegensätze. War der Prozeß so undenkbar, daß sie plötzlich das tödtlich hasste, was sie liebte und entbehrte, daß sie die glücklichern Eltern, die sie beneidete, verfolgte! Es ist ein schauerliches Geheimniß der Natur, eine Exception von der Regel, aber diese ganze Frau ist eine Anomalie. Angenommen dies, konnte ich sie nicht vertheidigen, vielleicht nicht mal entschuldigen, aber als mitfühlender Nebenmensch konnte ich an ihre That glauben und sie doch nicht verdammen.« »Ich kann Ihnen die Beruhigung geben,« sagte Fuchsius, »daß so wenig als die Schulkinder in den Zelten durch Kaffee, die der Lupinus durch die Chokolade vergiftet sind.« Wandel richtete sich auf, ein tiefer Athemzug schien ihn zu erleichtern und sein Gesicht klärte sich auf. Ehe Fuchsius sich dessen versah, fühlte er sich embrassirt: »Mein theuerster – Sie edler Mann, Ihr Wort ist Leben. Es hat eine Last, eine Angst, eine unbeschreibliche Angst von meinem Herzen gewälzt. Sie war rein, ich bin der Sünder, der das für möglich hielt, der mit seinem heillosen Argwohn – o Gott, ich weiß nicht, was ich rede – Dank, tausend Mal Dank, sie ist gerettet –« »Gemach, mein Herr!« – »Sie ist für mich gerettet. Um das Uebrige kümmere ich mich nicht.« – »Es bleibt, dünkt mich, noch viel übrig.« – »Das Andre, ich bitte Sie – nicht wahr, sie soll auch ihren Hausknecht vergiftet haben, und ihren Mann mit Bücherstaub, und ein Attentat mit Trüffelwürsten, die sie ihrem Schwager Lupinus schickte. Erlauben Sie mir, daß ich darüber lache. Nach einer so ernsthaften Stunde fühlt man zuweilen das Bedürfniß. Nun inquiriren Sie, Liebster, so viel Sie wollen, wenn Sie mir nur sagen, sie hat keine Kinder vergiftet –« »Das sagte ich nicht unbedingt.« – »Bedingt oder unbedingt, mir gleich viel.« – »Man hat eine Substanz gefunden –« »Die wie Arsenik aussieht. Liebster Fuchsius, ich will Ihnen etwas zugeben, ich will sehr viel zugeben, es ist Arsenik. O es ist zum Todtlachen! In den Bücherstaub soll sie ihn gemischt haben! Nicht wahr? Da muß sie ihn vorher im Mörser stampfen, reiben, ausschütten, in ein Behältniß, eine Schachtel füllen, damit gar nichts vorbeifällt; dann muß sie es in eine Streusandbüchse thun und nun in die Stube schütten, schwenken, sprengen. Erlauben Sie mir, wenn das die Frau vermochte, ohne sich selbst zu vergiften, verdiente sie ein Prämium der Akademieen.« »Der Staub auf seinen Lieblingsbüchern ist untersucht und Hermbstädt hat Arsenik darin gefunden.« »Der gute Hermbstädt! Verstehen Sie mich recht, ich zweifle gar nicht daran, ich wundre mich nur, daß Hermbstädt ihn gefunden hat. Ich will ihn finden, wo Sie wollen: da hier im alten Lederrücken des Stuhls, in Ihren Pantoffeln, Arsenik ist überall, selbst in Ihrem Blute. Es kommt nur darauf an, ihn zu sekretiren. Da rufen Sie mich, Theuerster, wenn Sie die Untersuchung nicht aufgeben, und Sie sollen das Wunder sehen, aus seinen schweinsledernen Folianten will ich, vor Ihren Augen, so viel Arsenikstaub entwickeln, um das ganze Kammergericht vom Präsidenten bis zum letzten Nuntius, damit zu vergeben. Da würden manche Leute triumphiren, die immer gesagt, daß in den Büchern Gift steckt! – Au revoir! « »Aber im Magen des Dieners stak positiv ein starker Arseniksatz. Wie erklären Sie das?« Wandel verbeugte sich: »Gar nicht; wo das Märchen anfängt, kriecht die Vernunft in ihr Schneckenhaus. Wenn der Märchendichter ein Motiv erfindet, warum die Lupinus ihren Hausknecht vergiften musste, um ihn los zu werden, wo es ganz einfach bei ihr stand, ihn fortzujagen, wenn er ihr nicht mehr gefiel, wird er auch ein Motiv dafür finden, warum sie dem Hausknecht bei einem Dejeuner Trüffelwürste servirte. Mein Verstand steht still, ich weiß aus dem Märchen keine andere Moral zu ziehen, als daß ein Hausknecht von einer Geheimräthin sich nicht mit Trüffelwürsten muß traktiren lassen.« Er hatte schon vorhin Hut und Stock genommen und drückte jetzt dem Rath die Hand. »Wohin so eilig?« – »Zu meinem alten Geschäftsfreunde, dem unglücklichen van Asten.« – »Es kam ja noch nicht zum Aeußersten. Der Wein lagert in Stettin. Bis der Konkurs regulirt ist, finden sich doch vielleicht Abnehmer.« »Wer redet davon! – Sein Sohn, sein einziger Sohn könnte ihn retten, wenn er das Mündel des Alten heirathet. Sechszigtausend – nein, mit den Zinsen müssen es jetzt achtzigtausend Thaler sein, und Demoiselle Schlarbaum ist ein hübsches, sittsames Mädchen, er hat nichts gegen sie einzuwenden, er bekäme eine vortreffliche Hausfrau, aber – der junge Mann denkt höher hinaus, sie ist ihm nicht ästhetisch genug, er hat dem Vater erklärt, betteln wolle er für ihn, nur könne er das Glück seines ganzen Lebens nicht tödten, das wäre Selbstmord an seiner Bestimmung, er gehöre nicht sich allein an, es gebe höhere Pflichten, und was der sentimentalen Redensarten mehr sind. Ich sah eine Thräne im Auge des Alten, als er es erzählte. Und um dieser Tiraden und Sentiments willen lässt der junge Herr, der als ein Muster von Tugend verschrieen ist, den würdigen alten Mann, seinen Vater – ruiniren. Und das loben noch Einige, er hat doch seinen Gefühlen gehorcht! – O Menschen!« Als der Legationsrath hinaus war sprach Herr von Fuchsius: »Sollte ich mich doch getäuscht haben?« Aber der Legationsrath trat wieder ein, ohne anzuklopfen; ja in seiner Aufregung vergaß er, den Hut abzuziehen. »Sie fanden ein Residuum von Arsenik im Magen des Menschen, des Bedienten oder Hausknechts?« – »Unzweifelhaftes Arsenikpräparat« Wandel fuhr mit beiden Händen an die Stirn, der Hut flog ab, er selbst sank auf einen Stuhl, einige Minuten sprachlos: »Dann bin ich sein Mörder – ich verschulde indirekt seinen Tod – ich gab den Rathschlag.« – »Erklären Sie sich deutlicher, wenn ich bitten darf. Es ist vermuthlich nur eine Phantasie.« – »Nein, Wahrheit! Der Mensch litt an einem perennirenden kalten Fieber. – Die Aerzte hatten es nicht erkannt, getäuscht durch zufällige Symptome. Heim macht jetzt Versuche, das Wechselfieber mit Arsenik zu kuriren. Er wendet es bei Unbemittelten an, seit die China durch den gehemmten ostindischen Handel so enorm aufschlug. Ich erzählte in einer Gesellschaft von der ersten glücklichen Kur. – Jetzt entsinne ich mich, die Lupinus hörte mit besonderer Aufmerksamkeit zu – dieser Blick, den ich damals nicht verstand! – Ihre Wißbegierde, ihre unselige Lust, alles Gewagte zu versuchen – o arme Freundin, jetzt wird mir Alles klar, und ich – Dein Mörder! Wollen Sie mich jetzt verhaften lassen; Sie haben ja ein vollständiges Bekenntniß!« sprach der Legationsrath aufstehend. Fuchsius hat ihn nicht verhaften lassen; aber als er jetzt hinaus war, um nicht wiederzukehren, sagte der Regierungsrath: »So kann man sich in einem Menschen täuschen. Das ist der Fluch der vorgefassten Meinungen.« 80. Kapitel. Verschlungene Hände Achtzigstes Kapitel. Verschlungene Hände. Ob die Fürstin in der Hedwigskirche ihr Herz ausgeschüttet, wissen wir nicht, aber einige Stunden, nachdem wir sie verlassen, finden wir sie schon in vollständiger Morgentoilette, wie sie mit einiger Verwunderung die Meldung eines Besuches anhört. Der Besuch ward angenommen und der Gesandte, Herr von Laforest, erschien im Zimmer, um bald darauf im Fauteuil ihr gegenüber zu sitzen. Die Fürstin hatte diese – Aufmerksamkeit, wie sie sagte, nicht erwartet. »Die Scheidestunde ist so ernst, daß man über die gewöhnlichen Höflichkeitsformeln wegsieht,« setzte sie hinzu. »Warum ernster, Fürstin, als jede andere Trennung?« – »Weil es eine auf immer ist.« – »Das Wort immer und ewig ist, dünkt mich, aus dem Lexikon der Diplomatie gestrichen. Nämlich aus dem zum Gebrauch der Adepten. In der Ausgabe, die ins Publikum kommt, ist es freilich dick unterstrichen; wir schließen immer ewige Verträge. Die Formeln aber dürfen wir nicht aus dem Auge lassen, sie sind die ewigen Fäden, an denen ein zerrissenes Gewebe wieder zusammengeknüpft wird. Man muß auch mit dem Teufel höflich sein, weil man nie weiß, ob man nicht seine Allianz einmal braucht« – »Sie können unmöglich glauben, daß man auch jetzt noch einmal den Bruch kittet.« – »Mit Diesen hier? Nein. Gott sei Dank, die Saat ist reif, zur Ernte, und die Sicheln geschliffen; für Körbe und Scheuern werden Napoleons Receveurs gesorgt haben. Preußen hat uns viel, sehr viel Geld gekostet. Es wird mit Zins auf Zins Alles wieder zahlen müssen, auch wenn es darüber drauf geht.« – »Ihre Assurance lass' ich auf sich beruhen, aber wir sind Preußens Alliirte.« Laforest fixirte sie lächelnd: »Ist der starke Mann, der einen Knaben hinter sich aufs Pferd nimmt, weil das Kind allein durch den Wald sich fürchtet, der Alliirte desselben? Eigentlich ist's ein Zwerg, der sich an die Croupe des Riesen klammert.« – »Durch zehn Jahre hat das große Frankreich unter allen seinen wechselnden Regimenten diesem Zwerge geschmeichelt.« – »Um so verdrießlicher sind wir gestimmt, und um so schärfer wird die Züchtigung ausfallen.« – »Wenn der Riese es zugiebt!« – »Das ist der Punkt, Prinzessin. Wir müssen uns darüber klar werden. Der Zwerg hinten auf der Croupe wird auf die Länge dem Reiter eine lästige Zugabe, er hindert ihn in seiner freien Bewegung und will wohl gar mitsprechen und das Pferd mitlenken. Wenn man ihn vor aller Welt aufhob, und von seiner Großmuth ein Fait machte, kann man ihn nicht immer ohne Weiteres wieder in den Staub setzen.« – »Lassen wir die Gleichnisse. Sie sind merveillös in Ihrer Zuversicht auf Sieg.« – »Mein Kaiser schlägt nur los, wenn er ihn schon in Händen hat.« – »Das kontrastirt furchtbar gegen den Glauben hier.« – »Desto besser. Seit Friedrichs Auge erlosch, sieht man hier durch eine Brille, die ihnen immer das Gegentheil von dem zeigt, wie die Dinge sind. Eine wahre Wohlthat der Vorsehung. Was braucht ein Maulwurf in die Sonne zu sehen! Den Lauf der Gestirne berechnen Andere.« – »Sie gefallen sich heute in Paradoxieen.« »Ohne alle Gleichnisse, Prinzessin, und aufrichtig, Gedanke gegen Gedanke! Wenn große Mächte über große Fragen miteinander in Streit liegen, so ist die Einmischung der kleinen immer verdrießlich. Was haben sie in die Wagschale zu legen, wo Kraft, Wille, Genie auf beiden Seiten stehen?« – »Wo das Zünglein der Wage hin und her schwankt, dünkt mich, giebt grade ein kleines Gewicht den Ausschlag.« – »Das bestreite ich. In der Theorie mag es richtig sein, in der Praxis grundfalsch. Bundesgenossen bringen Prätensionen mit, und beschweren, und hemmen die Macht, die zu entscheiden hat. Wodurch siegte Friedrich? Weil er keine Bagage von Alliirten hatte, weil er immer frei handeln konnte. Wodurch ist dies deutsche Reich mit seinem König und Kaiser römischer Nation, das ehedem die Weltherrschaft prätendirte, unter gegangen? Weil seine Kaiser nie frei handeln konnten; an den Rücksichten, die sie allen möglichen Berechtigungen in dem bunten Reiche gewähren mussten. Oesterreich verblutet, England lassen wir auf seinem Brett im Meer Rule Britannia singen, die Frage steht nur noch zwischen Frankreich und Rußland. Ich bin wenigstens des Glaubens, daß Rußlands große Staatsmänner die Sache so ins Auge fassen. Es ist der Kampf um die Herrschaft auf dem Continent zwischen dem Occident und dem Orient. Was soll, was hat da mitzusprechen in diesem Kampfe zwischen zwei Kolossen, die Bagatelle Preußens?« »Und doch ist jetzt von ihr allein die Rede. Sie ruft unsern Beistand an, wir gewähren ihn ihr. Alexander lässt marschiren. Herr von Laforest. Möge Ihr Kaiser auf einen ernsteren Zusammenstoß bereit sein, als – Sie denken.« – »Wir sind bereit und – freuen uns darauf, denn endlich muß es doch entschieden werden, wem zwischen zwei gleich großen Spielern das Schachbrett gehört. Aber das ist ein Kampf, der im Jahre 1806 noch nicht ausgefochten wird. Jetzt räumen wir nur das Feld von kleinen Mitspielern, unnützen Rathgebern; es könnte eigentlich beiden Großmächten gleichgültig sein, welche es über sich nimmt, diese Parteigänger fortzukehren, denn Beide haben den Vortheil, wenn das Feld frei wird. Ihre Armeen können sich entwickeln. Und« – setzte er aufstehend hinzu – »sie können ihre ganze Stärke zeigen, sie kämpfen nicht für einen Vorwand, sie kämpfen für sich – wer weiß, ob es dann zum Kampfe mit den Massen kommt, ob beide Gewaltige sich nicht besser im Frieden über die Theilung der Erde zu verständigen wissen.« »Nur nicht Menschheitsbeglückungsträume, Herr von Laforest!« sprach die Fürstin. »Mit dem Ossian konnten Sie diese hier nicht beschwatzen; uns in Rußland –« »Männer wird Napoleon nicht mit Kinderspielzeug fangen wollen. Die Welt bedarf der Autorität. Ein Stempel der Kraft muß den Völkern wieder aufgedrückt werden, damit sie nicht vom Winde der Meinungen wie Flugsand durcheinander treiben. In Frankreich hat sein Fuß die Jakobiner zertreten, er hat die zerrüttete Ruhe und Ordnung der Gesellschaft wiedergeschenkt, er ist des Willens, sie auch den Völkern wieder aufzudrücken, wenn – wenn nicht, die seine Bundesgenossen darin sein sollten, mit dem gemeinschaftlichen Feind gemeinschaftliche Sache machen.« Die Fürstin blickte ihn scharf an. Sie war verwundert, sie wollte mehr hören. Der Mund schien, halb geöffnet, als ein Zeichen der Aufmerksamkeit, aber er spitzte sich auch wohl schon zu einer satirischen Entgegnung, während Laforest fortfuhr: »Ist dies Preußen nicht das wahrhafte Wespennest der Sektirer, Illuminaten, wo täglich Ideen und Neuerungen geheckt werden, Laiche und Brut zu neuen Revolutionen? Und das Schlimmste, sie wurden von oben unterstützt, oder gingen von oben aus; die Philosophen lässt man Systeme bauen, man schmeichelt ihnen, ruft sie in den Staatsdienst, und was man niedertreten und ausrotten sollte, begießt man noch! Können wir, nach solchen Erfahrungen, uns noch täuschen, wie weit diese Systeme tragen, wie sie das Blut vergiften, den Glauben an die Autorität in Kirche und Staat untergraben, wo jeder dürftige Verstand sich anmaßt, selbst Alles von vorn an zu prüfen, bis in den Grund der Dinge hinein! Täuschen wir uns auch darüber nicht, daß die Könige von Preußen noch die Macht hätten, wenn sie wollten, das Unkraut auszujäten. Wir sahen ja, wie der Versuch unter dem vorigen Monarchen mißlang. Es hat sich so eingefressen in den fruchtbaren Boden, daß es den Weizen nicht mehr aufkommen lässt; ja, man wird noch oft Versuche machen, aber ich besorge, immer vergebens. Was hat selbst in Oesterreich das kurze Beispiel Josephs geschadet; nun bedenken Sie, was und wie tief eine sechsundvierzigjährige Regierung, und eines Friedrich, das Blut des Volkes vergiften musste! Voran dem Reigen ging, um das Maß voll zu machen, sogar eine philosophische Königin! Es ist in der Nation zur Tradition geworden, daß die Macht ihres Staates auf der sogenannten Intelligenz beruht, und sie hat, meines Dafürhaltens, darin nicht so ganz Unrecht. Darum, Prinzessin, darf dieser Staat keine Macht bleiben, oder wird der Funke zu einem Brande für alle Staaten. Und welche Verpflichtungen haben denn die alten Mächtigen, in ihrer Mitte einen Emporkömmling zu dulden, der auf seine Bildung sich geckenhaft brüstet, und sich zuweilen die Miene giebt, sie zu verachten; stand er nicht jetzt eben noch, es war unerhört, wie der Minos da, und maßte sich an, zwischen den Kombattanten über Europa's Schicksal zu richten?« Die Gargazin war ihm mit gespannter, dann, wie es schien, gesättigter Aufmerksamkeit gefolgt: »Herr von Laforest überraschen mich. Wer hätte das vermuthet. Auch Ihr Kaiser will, als ein neuer Sankt Georg, den Drachen des Unglaubens zertreten! Seit wann ging diese remarquable Veränderung in Sr. Majestät vor?« »Können Sie mit Spott das Einmaleins umändern, oder einen mathematischen Lehrsatz umstoßen? Der Satz heißt in diesem Falle: er folgt den Maximen, die er zu seiner Selbsterhaltung für nothwendig hält. Seine Pläne gehen tiefer, als Sie glauben. Von wo entspringt alles das Unheil, an dem die Völker leiden? Aus den Beispielen, die wir unvorsichtig aus dem Alterthum holten, aus der unverständigen Anwendung der Begriffe, die damals galten, auf die Verhältnisse von heut. Schon lange geht er mit dem Projekt um, das Studium der Klassiker von den Schulen zu verbannen. Das, was uns nützlich ist, soll daraus übersetzt werden, eine Uebersetzung unter dem Stempel der Autorität; mit dem anderen klassischen Kram fort als Zeitvertreib oder Gift. Stimmte dies nicht mit den Ansichten meiner erlauchten Frau? Ihre Kirche giebt aus der Bibel dem Volke nur, was sie für gut hält. Napoleon will dasselbe, das Heidenthum will er verbannen. Mich dünkt, da gehen wir noch Hand in Hand. Er hat die Pariser Universität zum Instrumente seiner Macht umgeschaffen. Sind wir da nicht auch einig? Er will nicht, daß, wie in Deutschland, so viel Lehrstühle sind, so viel Irrlehren der Jugend gepredigt werden. Der Staat soll eine Lehre prüfen, als gut und richtig approbiren, und diese soll dann in allen Schulen vorgetragen werden. Stimmen wir darin nicht? Er hasst die Ideologie, weil sie den Menschen vom Praktischen und Nothwendigen entfernt, weil sie ewig an der Autorität rüttelt, Stolz, Ueberhebung, Schwärmer hervorruft. Will Ihre Kirche die? darf der Staat des großen Czaren sie dulden? Deutschland ging daran unter. Preußen schmeichelt ihnen, weil die ganze Nation aus Ideologen besteht. Darum nennt mein Kaiser sie die Jakobiner des Nordens. Mich dünkt, eins der treffendsten Worte, die aus seinem Kopf entsprangen.« »Und was ist der langen Rede kurzer Sinn?« – »Das nur andeuten wollen, wäre Vermessenheit, wo die Weisheit eines Alexander selbst das Beste treffen und – Fürstin Gargazin das, was einschlägt, ihm anrathen wird.« – »Was aber würden Sie an meiner Statt meinem Kaiser rathen? Versetzen Sie sich einmal in meine Stelle.« – »Fürs Erste würde ich diese Don Quixoten anlaufen lassen, wie sie's verdienen. Wer den heißen Brei angerichtet, kann ihn aufessen. Ihnen ihren Willen gelassen! – Sie lächeln, das wäre gut französisch gerathen, und so arglistig dumm, daß es eigentlich eine Beleidigung sei, einer Fürstin Gargazin es ins Gesicht zu sagen. – Erlauben Sie mir die Bemerkung, es ist nicht so ganz dumm. Buxhövden hat in Riga den Befehl, zu rüsten. Vergönnen Sie mir auch, zu bemerken, der Befehl ist etwas spät an ihn ergangen, viel zu spät. Ich tadle darum Ihre Staatsmänner nicht, denn konnten sie wissen, daß es hier endlich Ernst, daß man sich nicht doch einmal wieder anders besinnen werde? Eine Mobilmachung kostet viel Geld; man thut es doch nicht immer blos zum Vergnügen, besonders dann nicht, wenn eine ernsthafte, große Rüstung uns bevorsteht. Für die spart ein weiser Staatsmann die vollen Kräfte. Nun rüstet Buxhövden. Es ist jetzt Anfang Oktober. Bis spätestens Ende Oktober stoßen die preußischen und französischen Heere auf einander; irgendwo im Herzen von Deutschland, geht es nach den Feuerköpfen hier, so weit wie möglich nach dem Rheine zu. Nun bitte ich Sie, wie viel Truppen kann der wackere Buxhövden bis dahin disponibel machen, bis dahin durch Kurland, Lithauen, Preußen, Pommern, Brandenburg, durch unwegsame Sandsteppen, aufgewühlte Wege, dem Gros der Preußen nachschicken? Ich will das Höchste annehmen, daß dreißigtausend Mann in forcirten Märschen bis zum Entscheidungstage die Preußen erreichen, daß sie dieselben noch nicht geschlagen finden: würden diese dreißigtausend abgematteten Krieger, aus Complaisance auf die Schlachtbank geführt, das Schicksal ändern? Sie würden mit den Preußen aufgerollt, vernichtet. Und gesetzt, die Preußen siegten, wie viel Brosamen Ehre würden die Bramarbasse dem russischen Succurs zukommen lassen? – Rußland wäre noch einmal moralisch geschlagen, ohne geschlagen zu haben. – Nein, erlauchte Frau, ich versetze mich ganz in die Seele Ihrer klugen Staatsmänner, und spreche zugleich im Stolz eines Franzosen, wenn ich sie sagen lasse: Rußland ist es sich selbst schuldig, nicht mehr durch Echantillons seiner Macht gegen den Giganten zu kämpfen, es darf nicht mehr das Schwert ziehen gelegentlich für Andere, es ist Pflicht seiner Ehre, Gehorsam gegen seine Machtstellung, seine ganze Macht zusammenzuhalten, um sie für sich auf den furchtbaren Rivalen loszuwälzen, wenn – die Zeit kam.« »Nachdem die preußische Armee vernichtet ist!« – »Die wird es ohnedies. In ihrem Dünkel wollen es die Herren, die den König zum Kriege zwingen, auf einen Schlag ankommen lassen. Durch einen Effektstreich soll wieder gut gemacht werden, was so lange Jahre durch versäumt ist. Sind sie besiegt, so ist Preußen zertrümmert, das Land liegt vor uns, eine offene Beute.« – »Und Rußland, das zusieht?« – »Behält die Kraft, auf einen Feind sich zu stürzen, der zwar Sieger ist, aber blutet. Denn auf einen verzweifelten Widerstand dieser zweimalhunderttausend Preußen sind wir gefasst. Was dann weiter, steht im Rath der Götter, aber ich meine, daß Kaiser Alexander, an der Spitze seines Reiches, soutenirt von seiner Grenze, ein Wort darin mitsprechen wird, das nicht verhallen kann. Wo zwei Gleiche sich gegenüberstehen, ist aber Zeit zum Verhandeln.« »Ich könnte es eine Gnade Gottes nennen, daß Preußen keine Staatsmänner hat, wie Herrn von Laforest.« »Und ich Rußland Glück wünschen, daß sein Czar eine Freundin hat, deren hellerem Blick er traut. Unter uns, Napoleon hat keine solche Freundin, er glaubt nicht an das wunderbare den Frauen geschenkte Ahnungsvermögen. Er traut nur auf sich. Das ist – ein Unglück, denn über aller menschlichen Weisheit schwebt doch ein Etwas – was wir mit dem Verstande nicht ergründen. – Gleichviel nun, ob Sie Buxhövden die Regimenter, die er zusammentreibt, marschiren lassen, oder ihn freundlich warnen, daß er die Dinge sich vorher ansieht, daß er mehr an Rußlands Ansehen denke, als an die momentane Freundschaftsaufwallung Alexanders für Friedrich Wilhelm – das, theuerste Frau, sind Bagatellen – so oder so, ein höherer Wille lenkt dennoch Alles, und – ich denke, unser Abschied ist nicht auf lange, wir sehen uns bald unter andern Verhältnissen wieder.« – An der Thür war der Gesandte noch einmal umgekehrt, und zog ein gedrucktes Blatt aus der Brusttasche: » A propos, Prinzessin, Sie kennen vermuthlich das noch nicht. Ein Korrekturabzug, durch Zufall mir in die Hände gerathen, ein Avantcoureur des kommenden Manifestes, in die Erfurter Zeitung gestreut. Bemerken Sie den Passus!« Die Fürstin überflog das Blatt: »Nicht blos Preußen, die deutsche Nation sollte, ihrer Selbstständigkeit beraubt, aus der Reihe unabhängiger Völker gestoßen, einer fremden Souverainetät untergeordnet werden. Diesem Schlage, dem schrecklichsten, der Deutschland noch treffen könnte, zu begegnen, ehe es zu spät ist, dieses ist, nach glaubwürdigen Nachrichten, der einzige Zweck von Preußens gegenwärtiger Rüstung. « » Qu'en dites-vous, Madame? Preußen rüstet nicht für sich, sondern für die deutsche Nation! Wenn es nicht so entsetzlich naiv wäre, könnten Andere als wir vor den Konsequenzen erschrecken. Aber ich hoffe, man wird weder in der Hofburg zu Wien blaß werden, noch in Sanct Petersburg roth, noch wird mein Kaiser fragen: wer in aller Welt gab denn Preußen die Vollmacht für die deutsche Nation? Denn in Wien, Petersburg und Paris weiß man, daß Phrasen tönender Wind sind. Nicht wahr? Aber ein wenig Achtung giebt man doch, wenn die Kinder in Phrasen zu sprechen anfangen, die sie freilich gelernt haben, aber man fragt doch: von wem?« Der französische Gesandte, Herr von Laforest, war längst in seinem Wagen fortgerollt. »Und doch betrügt er mich nur!« war das Ende eines langen Selbstgespräches, aus dem die Fürstin bei diesen Worten zu erwachen schien. »Aber man lässt sich zuweilen gern betrügen.« Sie setzte sich an ihren Sekretär, und schrieb hastig. Das Billet auf Rosenpapier mit der Aufschrift: »An den Legationsrath, Herrn von Wandel,« ward einem Diener übergeben, mit dem Befehl, auf der Stelle dahin zu fliegen und Antwort zu bringen. Die Antwort ließ doch eine Stunde auf sich warten, welche für die Prinzessin in sichtlicher Spannung verging. Mehrmals hatte sie sich wieder zum Schreiben niedergesetzt, aber Alles, was sie angefangen, gefiel ihr nicht, sie zerriß es wieder. »Es geht nicht schriftlich,« sprach sie. »Solche Botschaft kann nur mündlich an Buxhövden gebracht werden.« Endlich kam Wandels Antwort. Sie lautete: »Die ehrenvolle Mission, welche Fürstin Gargazin mir zugedacht, wie sie auch laute, ist mir der sicherste Beweis für das, was mein Herz mir sagt, daß es eine Selbsttäuschung war, als ich einen Moment glaubte, daß sie im Zorn von mir scheiden wollte. Eine Heilige kann nicht zürnen. Um so schmerzlicher trifft es mein Herz, daß ich dem Rufe nicht folgen kann. Meine Verhältnisse, meine Ehre gebieten mir, hier zu bleiben. Die Dame, um deren Hand ich mich bewerbe, wird eine Aufwallung, zu der ich mich hinreißen ließ, vergessen, und die Gerüchte, die man über eine Entzweiung aussprengt, selbst widerlegen. Wenn die geringen Gaben, welche die Natur mir schenkte, die Kenntnisse, welche ich mir erwarb, in Mancher Augen mir vielleicht eine höhere Sphäre anweisen, so fühle ich doch nur zu sehr, daß der Mensch, der immer in weiteren Peripherieen sein Glück sucht, so oft das übersieht, was ihm zunächst liegt, und worauf Natur oder Geburt ihn gleichsam hinstieß. Meine physikalischen und chemischen Kenntnisse berechtigen mich zum Glauben, daß ich in der Tuchfabrikation Verbesserungen einführen werde, welche dem Lande, dem ich fortan gehören will, von, wenn auch nur geringem, doch von Nutzen sein werden. Lächelt Fürstin Gargazin darüber, so denkt sie doch vielleicht milder, wenn sie den Spruch sich zuruft von dem, der sich selbst erniedrigt. Und doch würde ich Ihrem Rufe folgen, wenn nicht die heiligste Pflicht mich fesselte. Jene Aussichten bei Seite gesetzt, in diesem Augenblick kenne ich nur eine Pflicht, eine unschuldig verfolgte Frau, die mir einst theuer war, gegen die Barbarei der Gesetze zu schützen. Ja, ihr gehört mein Leben. Urtheilen Sie über mich, verdammen Sie mich, ich werde nie vergessen, was seiner Wohlthäterin, der edelsten Frau des Jahrhunderts, der Fürstin Gargazin verdankt Ihr unterthänigster –« Die Fürstin zerriß mit einem verächtlichen Lächeln den Brief in kleine Stücke: »Nun muß ich selbst –« In ihrem Hause war helle Unruhe. Um Mittag fuhr ihr Reisewagen, mit vier Courierpferden vorgespannt, aus dem Thore von Berlin. Eine Relaisbestellung bis Riga flog ihr voraus. Von der Höhe draußen wandte sie sich noch einmal um: »Lebe wohl, Babel! du und dein Reich sollen vergehen!« 81. Kapitel. Sie sind die Puten von Excellenz Einundachtzigstes Kapitel. Sie sind die Puten von Excellenz. In einem öffentlichen Garten der Vorstadt war an einem schönen Oktobernachmittage eine ungewöhnlich große Zahl von Gästen versammelt. Jene Zeit, wo die Schichten der Gesellschaft sich weit schroffer gegenüber standen, als es später der Fall war, hatte doch den Vorzug, oder, wenn man es nicht so nennen will, sie bot für das gesellige Leben den Vortheil, daß die öffentlichen Vergnügungsorte noch nicht in der Art schroff gesondert waren, daß die Anwesenheit von im Leben niedriger Gestellten die höher Gestellten abhielt, auch ihr Vergnügen zu suchen. Wo der Handwerksbursch Kegel schob, konnte auch der höhere Bürgerstand mit Ehren Weißbier trinken; Beider Gegenwart schreckte sogar den Königlichen Staatsbeamten und – was mehr sagen will – den Offizier nicht ab, seine Pfeife zu rauchen. Wenn auch der Respekt die Stände nicht an denselben Tischen vereinigte, wie es im glücklicheren Süden der Fall ist, so war doch Gottes freier Himmel, die bretternen Lauben und der schmucklose Saal, wenn es regnete, für Alle ein gleiches Asyl, wenn sie aus dem Staub und Geräusch der Stadt sich retten wollten. Zwar dem Staub und dem Geräusch waren Diese hier nicht entflohen, denn der Garten lag an der Landstraße und auf derselben wälzten sich vom frühen Morgen an die Züge der ausmarschirenden Truppen. Der Wind trug die Staubwirbel und Wolken bis mitten in die große Stadt, und die dicke Lyciumhecke, welche den erhöhten Garten wie eine Mauer von der Straße trennte, lag in einem braungrauen Puderkleide, welches nichts mehr von dem ursprünglichen Grün zum Vorschein kommen ließ. Auch gaben sich die Mägde und die Gäste gar nicht mehr Mühe, den dicken Staub von den Tischen abzuwischen, und empfahlen nur, die Porzellandeckel sorgsam wieder auf die Weißbiergläser zu stülpen. Gegen Staub, meinten die Herren, sei der Tabaksdampf die beste Waffe. Man war ja zu Staub und Geräusch gekommen, und von den offenen Balkonen oder Estraden an der Hecke konnte man den braven Kriegern, die zum Tod für König und Vaterland auszogen, ein Lebewohl rufen, man konnte seinen Bekannten allenfalls die Hand reichen oder einen frischen Trunk auf den Weg – den schon von der Sonne Gebräunten; denn wie weit her waren die Meisten marschirt und wie lange hatten sie auf den Sammelplätzen stehen müssen, ehe die Trommel zum Abmarsch wirbelte. Wie die Lyciumhecke, Alle vom Staub gepudert, vom Blau ihres Rockes, vom schönen weißen Mehl ihrer Locken war nichts mehr zu sehen. Aber die Spontons und Bajonette funkelten in der Sonne, die Federbüsche schüttelten in ihrer bunten Farbenpracht den Staub ab und – Alle sangen. Ohne Gesang kein deutscher Soldat. Die Disciplin kann Alles; das Singen wagt sie nicht zu verbieten. Lieder waren es, die kein Dichter für sie gedichtet, am wenigsten brauchten die Soldaten in Deutschland einen Tytäus; von den Zeiten des dreißigjährigen Krieges, der Landsknechte, ja noch weiter hinauf, sie machten sich ihre Lieder selbst, oder die Luft hauchte sie ihnen zu. Einige aus alter Zeit vom Scheiden und Meiden, von frühem Tod und Morgenroth, von grüner Erde und Lindenbäumen, klangen wohl noch wie das Wehen eines Frühlingshauches durch Blüthenwipfel, aber sie klangen selten. Der Soldat auf dem Marsche sehnt sich nach »cannibalischem Wohlsein.« Wenn Einer die Tabaksfreude anstimmt, den Krambambuli, das von den Müllersäcken und Müllermädeln, da stimmte der ganze Chorus ein; Lieder sind es, welche der Schrift nicht angehören, aber sie leben, schon viele Jahrhunderte, und wollen auch wohl noch Jahrhunderte leben. Daher mochte der Leiermann im Garten, so er wollte, seine Ballade anheben, die ein patriotischer Poet, um der Begeisterung aufzuhelfen, gedichtet, und die etwa anfing: Grad fünfzig Jahre sind es her, Da zog der große König aus Und hinter ihm sein muthig Heer, Den Feinden all zu Schreck und Graus. Die Militärs hörten gar nicht, die Bürger nur halb zu, trotz dem, daß jeder Vers eine Schlacht des alten Fritz illustrirte, von Mollwitz bis Torgau. Wenn aber die Füsiliere: »Ein Schifflein seh ich fahren« anstimmten, war Alles Aug' und Ohr und die Zuschauer schienen stumm die mit greller Lustigkeit gekreischten Verse mitzusingen: Wie kommen die Soldaten in den Himmel? Kapitän und Lieutenant, auf einem weißen Schimmel, Da reiten die Soldaten in den Himmel. Kapitän und Lieutenant, Fähndrich, Sergeant, Nimm das Mädel, nimm das Mädel bei der Hand, Soldaten, Kameraden, Soldaten Kameraden! Wie kommen die Offiziere in die Höllen? Kapitän und Lieutenant, auf einem schwarzen Fohlen, Da wird sie der Teufel schon alle holen. Kapitän, Lieutenant, Fähnderich, Sergeant, Nimm das Mädel u.s.w. Es saßen viele Offiziere, darunter sehr vornehme, auf den Estraden, den Scheidegruß ihren Kameraden zu geben, den sie morgen von den nach ihnen Scheidenden empfangen wollten. Aber die ernste Wehmuth, welche ernste Scheidestunden hervorrufen, hättest du auf wenigen Gesichtern gefunden. Plötzlich war der Gesang des Leiermanns verstummt, und eine grelle Beckenmusik schallte übertäubend aus dem Garten herauf – wie zur Freude Aller. Der General, den wir einst in der Gesellschaft der Lupinus kennen gelernt, und der jetzt auf einen der größern Balkone trat, hatte es im Vorübergehen so angeordnet. »Das war ja nicht mehr zum Aushalten,« sprach er zu den Offizieren, die sich respektvoll erhoben. »Was soll das Krächzen! Wenn der Soldat ins Feld zieht, muß er fidel gestimmt sein.« – Der General hielt auf seine Autorität und duldete keinen Widerspruch von unten; nach oben erlaubte er sich aber Widerspruch, weil er auch dahin auf seine Autorität hielt. Er galt für streng, tyrannisch in seinen Launen, ja Einige nannten ihn barbarisch in der Strenge gegen den gemeinen Soldaten, und von brutalem Stolz gegen das Civil. Heut erschien er milder. War es der Anblick der wohlgeordneten Kriegerscharen, war es die Assurance, mit diesem Heer zu siegen, oder der Ernst, welcher sich der Seele jedes denkenden Kriegers vor einer Schlacht bemeistert. »Weiß vielleicht Einer von den Herren,« unterbrach er das Schweigen, »was aus dem Obristwachtmeister von Eisenhauch geworden? Nach Oesterreich kam er voriges Jahr zu spät, die Campagne war vorüber. Dem nächst schrieb man, daß er aus Alteration gefährlich erkrankt sei. Es sollte mich doch wundern, ob er sich nicht wieder bei uns einfindet, wenn es Ernst wird.« Auf die Frage wusste Niemand Bescheid; sie wussten eben so wenig, ob der General etwas zum Lobe oder zum Tadel des genannten Offiziers hören wollte. Sie schwiegen. »Meine Herren, er ist ein Genieoffizier von admirablen Kenntnissen, hat auch manche vortreffliche Konceptionen. Ich gestehe Ihnen, einige waren wirklich acceptabel, und es that mir leid, als er den Abschied nahm. Verdachte es ihm freilich nicht. Wollte nicht bloß Rath geben, drauf los, ins Feuer; chevaleresque und von exemplarischer Conduite. Aber, offenherzig, es ist mir heute doch lieb, daß er nicht bei uns blieb. Wir wären auf manche Vorschläge eingegangen, wir hätten Vieles geändert. Vielleicht zum Guten – wer weiß es, wer hat die Probe gemacht! Heute gereicht es mir nun zur Genugthuung, daß auch nichts in unserm Armeewesen geändert ist. Wenn der große König aus den Wolken blickte, sähe er seine Armee, wie er sie verließ, kein Knopf an den Kamaschen mehr oder weniger. Und so soll und wird sie Bonaparte sehen. Meine Herren, Attention! Das ist etwas, was wir nicht zu gering anschlagen dürfen. Er muß bei dem Anblick gleichsam fühlen, daß er mit dem Genius des vorigen Jahrhunderts sich schlagen soll. Und da er ein Mann von einem gewissen Sentiment ist, muß dies einen moralischen Eindruck auf ihn machen. In seinem Moniteur lässt er uns Don Ouixoten nennen. Nun, wir wollen doch abwarten, wer Mühlenflügel und wer Geister gesehen hat!« Man konnte aber jetzt kaum noch etwas sehen und noch weniger hören. Der Staub war unerträglich geworden, zu Wolken aufwirbelnd fiel er als trockner Regen nieder. Dazu war ein Toben, Peitschengeknall, ein Gewieher der Pferde und ein Gekreisch der Troßknechte, daß die Kommandoworte nicht mehr durch das Gewirr drangen. Was halfen die Flüche und Klingen der Offiziere, die auf den Rücken der Säumigen fuchtelten, wo Alles stockte! Drei Batterieen hatten, nachdem die Dragonerregimenter das Ihre gethan, die Straße in Grund und Boden aufgewühlt, und jetzt, so weit das Auge vor und zurück sehen konnte, war sie mit Bagagewagen, Fourgons, mit Kaleschen und Küchenwagen bedeckt. So breit der Weg, hatten die Fuhrwerke sich doch verfahren und grad am Garten war eine totale Stockung eingetreten. Auch im Fuhrwesen war die alte Ordnung, aber in jeder Ordnung giebt es Ausnahmen, und Kutscher und Fuhrknechte sind darin verstockte Aristokraten, die auf Rang und Stand im Vorfahren unerbittlich halten. Wessen Generals, Obristen oder Kapitäns eigne Wagen vorfahren wollen, und dadurch die Verwirrung verursacht, war nicht mehr zu ermitteln; kurz, Räder, Deichseln, die Pferde und ihre Geschirre waren in ein wüstes Knäul gedrängt, daß die Campagnepferde der Offiziere dazwischen in Gefahr geriethen, und nicht Reiter noch Fußgänger mehr hindurch konnten, um zu sehen, wo die Stockung anfing und Abhülfe nöthig war. Die kommandirten Aufseher und Offiziere mussten über die Wagen wegklettern und springen, und wo sich auch das nicht thun ließ, schwangen sich Einzelne über die Hecke und suchten durch den Garten den Weg zu ihrem Ziel. Die Lyciumhecke war kein schirmender Wall mehr. Tische, Bänke und Estraden wurden, weil Alles überstieg und durchbrach, verlassen, um doch gleich wieder von Neugierigen besetzt zu werden. Eine Gefahr erschreckt nur im ersten Augenblick, im nächsten erregt sie schon den Kitzel, es mit ihr zu versuchen. Die rohe Wuth, die Leidenschaften waren entfesselt. Manches Gesicht glühte auch vom Branntewein, es konnte aus der Zänkerei ein Kampf werden. Die verschiedenen Truppentheile haben immer gegen einander Eifersucht. Da warfen sich die Feldkutscher vor, wer wider Recht den Vorrang erstreiten wollen; dort hechelten sie sich über den Inhalt und die Größe der Bagagewagen, und aus ihren versteckten Winken – wo man diese Rücksicht noch beobachtete – erfuhr das Publikum, daß mancher Offizier Dinge oder Gegenstände mitnahm, die eigentlich nicht ins Feld gehören. Wer daran zweifelte, sah wohl vorn aus dem Rüstwagen ein halbverhülltes Frauengesicht scheu vorblicken, das nicht füglich zu den Marketenderinnen zählen konnte. Doch waren das nur Ausnahmen. Aber zwischen dem Schreien, Fluchen und Wiehern tönten noch andere Stimmen, die weder Pferden noch Menschen angehörten, sondern eher auf das Dasein einer Menagerie schließen ließen. Die Menagerie war indeß gar kein Geheimniß, und wenn die großen Hühnerkörbe, hinten oder vorn auf den Generalswagen, bis da mit Decken verhängt gewesen, so waren diese beim Zusammenstoß, dem Klettern und den Manipulationen der Helfenwollenden von den Meisten abgefallen. Das geängstete Federvieh flatterte und gackerte und schien selbst wieder einen Bürgerkrieg in den Gitterkörben zu führen, als durch das Zurückstoßen eines Wagens mit Zeltstangen diese an den Fourgon eines Generals stießen. Der Wagen schwankte und fiel auf die Seite über, ohne doch ganz fallen zu können, der Hühnerkorb aber brach, stürzte, und die gefiederten Innewohner, so weit sie nicht von den Zeltstangen getödtet waren, krochen, flatterten und flogen heraus. Da der Korb nach der Seite der Hecke übergestürzt war, entlud sich die lebendige Bescherung in den Garten. Die Hühner, in glücklichem Rettungs-Instinkt, drängten sich nicht wie die Schafe in einen Keil, sondern über Köpfe und Tische flatternd, krochen sie hier unter die Hecke, dort zwischen die Beine der Gäste oder suchten in sympathischem Zuge den Hühnerstall des Kafetiers. Der Aufruhr war damit in den Garten getragen. Wo war die Disciplin, wenn rohe Trainknechte über die Hecke auf den Tisch springen konnten, wenn die Gläser von Stabsoffizieren unterm wuchtigen Tritt ihrer gespornten Reiterstiefel zitterten, wenn sie ohne Rücksicht auf Orden und Epauletten, nicht einmal die Honneurs machend, auf die Erde platzten, wenn entlaufenes Federvieh für diese Menschen alle Rücksichten, die der Autorität gebühren, aufwog! Wo, wenn selbst ordnungsliebende Bürger nicht davor schauderten, sondern es in der Ordnung fanden, denn durch den Garten verbreitete sich ein geflügeltes Gerücht. »Es sind ja Obrist Köckeritzens Truthähne!« – »Nein, riefen andere Stimmen, es sind Excellenz Feldmarschall Möllendorfs Puthühner!« Der Garten erstreckte sich weit in die Sandebene. Solche Gärten hatten auch stille Plätzchen, wohin gefühlvolle Gemüther sich aus dem Geräusch des Kegelschiebens und dem Klirren der Gläser zurückzogen. Auf einer Bank unter dem Lycium, das seine ausgewachsenen und schon vertrockneten Zweige zu einer Art wilden Laube über ihre Köpfe rankte, saßen Charlotte und ihr Wachtmeister. Es war die bittere Scheidestunde. Auch wir nähern uns der von unsern Lesern und scheuen uns deshalb, ihnen eine neue Figur vorzuführen, die – sie vielleicht nicht wiedersehn. Uebrigens sah ein Wachtmeister wie der andere aus. Charlotte musste das auch denken. Sie hatte geweint und hielt das Tuch noch an die Augen. Der Wachtmeister hatte wohl nicht grade geweint, aber sein Gesicht war roth, als er die rechte Locke unter dem Hute ajustirte. »Es geht nun mal nicht anders in der Welt; aber mit Kourage geht Alles.« – »Halten Sie sich nur recht warm.« schluchzte sie, »daß Sie sich nicht verkälten.« – »Halten Sie nur Ihren Geheimrath warm,« sagte er. »Darauf kommt Alles an. Denn die Civilversorgungen, das ist die Schwerenoth, die sind verflucht mager.« – »Und trinken Sie nicht so viel Schnaps, – und wenn eine Kugel kommt« – »Dann schreib ich's Ihnen.« – »Und wenn Sie mir nicht schreiben?« Da hub das Schluchzen von Neuem an; aber es war nur Charlotte. Der Wachtmeister hatte seine Handschuh angezogen, den Pallasch in die rechte Lage gebracht und sich grad aufgerichtet: »Demoiselle Charlotte, wozu hilft das Greinen! Sie müssen bedenken, der Soldat ist Soldat. Ist's nicht so, so ist's so. Sterben müssen wir Alle, und wenn's uns noch so gefällt in einem Quartier, einmal ziehen wir raus. Drum sagt unser Obristwachtmeister: Kerle, Ihr müsst denken, daß Andere nach Euch kommen, die wollen auch was finden. Und warum nicht! Sie sind ja auch Menschen. Und so ist das ganze Leben, sagt er, wir ziehen aus einem Quartier ins andere. Und wem's sein letztes war, das weiß Keiner nicht, denn 's kommt auf einmal, auf den Plutz. Da steht der Tod vor ihm roth und blaß auf der Mauer und kräht ihn an, und eh es ausgekräht« – Charlotte schrie auf. Es krähte ihn ja an. Auf der Hecke stand ein Kalekuter, seine rothen Lappen von der Sonne beschienen, seine Augen funkelnd vor Angst oder Zorn. Und eine Pute flog auch über die Hecke und ihr gar in die Arme. Aber auch die Trainknechte flogen den Gang herauf, schreiend, fluchend, die bösen Trainknechte, mit so zornfunkelnden Augen als der Hahn. Charlotte hatte sich wirklich die Pute nicht aneignen wollen, die sie unwillkürlich an ihr liebebedürftiges Herz gedrückt. Charlotte war selten um eine Antwort verlegen, aber kaum, daß sie über die Lippen war, musste sie es mit eignen Ohren hören, daß der Knecht sie anschrie: »Selbst Pute, sie!« und mit eignen Augen musste sie es sehen, daß der Wachtmeister, statt ihr beizuspringen, mit nach dem Kalekuter haschte. »Es sind ja Excellenz Möllendorfs eigene Truthühner!« rief ein Anderer, um sie zu Respekt und Raison zu bringen. Der Puter und die Pute waren längst fort, denn als Charlotte die Arme öffnete, hatte die letztere es vorgezogen, einen Satz in die Luft zu machen, als in die Arme des Knechts zu fliegen. »Bestien ihr, wartet!« war das letzte Wort, das sie hörte, und leider war ihr die Stimme sehr bekannt. Das wilde Heer war verschwunden, und das war der letzte Abschied von ihrem Wachtmeister. Die Frau Hoflackir, die herbeikam, fand Charlotten in Thränen. Der Herr Hoflackir, der seiner Gemahlin die beiden jüngsten Kinder auf den Armen nachtrug, derweil das Aelteste an seinem Rockschooß ging, fragte, warum die Cousine weine. – »Das frägt er noch!« sagte die Frau Hoflackir. – »Es frägt sich vieles,« sprach Charlotte mit einem Blick gen Himmel. »Ach, lieber Cousin, die Militärs in Ehren, aber ihnen geht doch das ab, was ein empfindungsvolles Gemüth bedarf, wenn es sich über das Gemeine des irdischen Daseins erheben soll. Die Montur und die Uniform sind etwas sehr Schönes für König und Vaterland, aber mehr Gefühle für Frauenwürde findet man doch beim Civil – selbst bei meinem lieben Geheimrath.« Und daß Puter und Pute, dieselben, noch ein zärtliches Paar aufschrecken, noch einen Abschied stören mussten! Den Obristwachtmeister Stier von Dohleneck und die Baronin Eitelbach, die in der einfachen Allee am Rande des Gartens promenirten. Es war die süße Verständigung nach so langen, langen Zweifeln. »Und nun grade uns trennen müssen!« Seltsam! war es doch hier das Widerspiel der anderen Abschiedsscene. Er schien der Geknickte und strich über die Augenwimpern. Thränen waren es nicht, aber ein Jucken und Drängen an den Augen, als fürchte er sich vor ihnen. »Wissen Sie, mir ist's manchmal, als wären wir Alle nur da, um uns zu trennen,« sprach die Baronin und sah in den blauen Himmel. »Und wir lebten nur, damit wir uns darauf vorbereiteten.« Er blickte sie verwundert an. »Die zu einander gehörten, müssten sich ihr Leben lang suchen, und wenn sie sich gefunden haben, wäre es nur, um von einander Abschied zu nehmen. Da geht Mamsell Alltag mit ihrem Vater in den Salon. Das ist doch ein kreuzbraves, schönes und gescheites Mädchen. Was hat die ausstehen und sich versuchen müssen, darüber ist doch nun alle Welt im Klaren, und nun's ihr endlich gut geht, und die schlechten Zungen schweigen müssen, und die Königin sich ihrer angenommen hat, und sie Den nun endlich heirathen soll, den sie von ganzem Herzen lieb hat da – da muß er den Tag vor der Hochzeit spornstreichs auf und davon.« – »Nur auf einer dringenden Mission vom Könige. Er wird wiederkommen.« – »Wenn sie ihn nun als Spion hängen!« Der Obristwachtmeister sah sie noch verwunderter an. Welche Lichter zückten plötzlich durch diese Seele! »Alles kommt anders, als wir's uns gedacht,« fuhr die Baronin fort, »und es ist überall so. Die arme unglückliche schreckliche Geheimräthin! Ich mag's noch immer nicht glauben, daß sie so schlimm ist, aber wenn sie ihn liebte und heirathen wollte, und es darum gethan hat, nun ist sie auch auf immer von ihm getrennt.« – »Von wem?« – »Vom Legationsrath. A propos, der ist Ihr aufrichtiger Freund, Dohleneck, Sie mögen es nun glauben oder nicht. Ein Freund in der Noth ist er, das kann ich Ihnen sagen. Sie packen ihm Alles auf, wer was zu tragen hat und wen was ängstet, und dafür verreden sie ihn noch. Aber er trägt es und lächelt. Er weiß auch, Dohleneck, daß er Ihnen unausstehlich ist, und doch sorgt er um Sie wie ein Vater, nein, wie ein Freund, der Alles thun möchte, um mir meinen liebsten Freund zu erhalten. Was giebt er mir nicht für Rathschläge, daß Sie in der Campagne zu Ihrer Gesundheit thun und mitnehmen sollen, und bittet mich, daß ich Sie beschwören soll. Sie möchten sich nicht zu sehr exponiren.« – »Wenn er mir den Rath ins Gesicht gäbe, würde ich wissen, wie ich ihm ins Gesicht antworte; ein Soldat thut nur seine Schuldigkeit.« Sie lächelte ihn ruhig an: »Ich weiß es schon. Grade so würden und müssten Sie sprechen, hat er zu mir gesagt. Darum hat er mir auch verboten, Ihnen von den Salben und Pulvern zu geben; Sie würden lachen und den Plunder in den Graben werfen. Der Beste und der Klügste ändert's nicht, was kommen soll, und das ist das Wunderbare in unsrer Bestimmung, sagt er, daß man das weiß, und sich doch immer wieder gedrungen fühlt, den Rath zu geben, der nicht befolgt wird. So hat er's auch mit der Lupinus gemacht. Wie er es ihr auch zu verstehen gegeben, daß es nur Achtung und Verehrung von ihm sei, sie hat's für Liebe gehalten. Und wie er jetzt auch sich Mühe giebt, daß ihre Unschuld an den Tag kommen soll, er weiß doch, sie werden nicht auf ihn hören, denn die Menschen rennen alle in ihr Verhängniß, und er preist die am glücklichsten, die nicht klug sind, und nicht Alles sehen wollen, denn ihnen werden viele Qualen gespart. Darum, sagt er, hat er uns so lieb, ob er schon weiß, daß ich ihm nicht gut bin und Sie ihn gar nicht mögen. Da ist auch alle Mühe umsonst, setzte er hinzu, alle Beweise helfen nichts, und der Mißtrauische weiß sogar in der guten That die man ihm erzeigt, eine heimliche böse Absicht herauszulesen.« Dem Herrn von Dohleneck ging es dumpf durch den Kopf: »Wenn man sich doch getäuscht hätte!« »Das sagt er ja auch. Wenn in der letzten Stunde nur die Enttäuschung käme! Wenn er da liegt auf dem Felde der Ehre, und die Lüfte trügen mir wenigstens mit Aeolsharfenklang sein Geständniß zu: Ich habe mich in Dir geirrt! Das wäre wenigstens ein Trost!« – »Donner und – Himmeldonner! Er macht mich doch nicht bei lebendigem Leibe todt!« Der Obristwachtmeister Stier von Dohleneck hatte nicht die Veränderung gesehen, die auf dem Gesicht der Baronin vorgegangen. Die Thränen stürzten aus ihren großen, schönen Augen; sie zitterte: »Ja, mein inniger, einziger Freund, er hat eine Ahnung – er wollte schweigen – ich erpresste ihm das Geständniß – Ihr zügelloser Muth – er sah Ihr Blut fließen – Wir ändern's nicht – ja, es ist nur zu wahr, es findet sich Alles nur, um sich zu trennen, die Herzen, um von einander gerissen zu werden, die Seelen und Geister, um sich schätzen zu lernen, wenn sie sich verloren haben, und das Glück ist nur da auf der Welt, daß es zerbricht! – Es ging ja auch nicht anders,« sagte sie, sich zurückbeugend, und blickte ihn mit freudiger Wehmuth an. »Wir konnten uns ja nur finden, um uns wieder zu trennen! – Freiwillig, nicht wahr, hatten wir es gethan? Und nun trennt uns eine höhere Hand.« – »Aber warum denn auf immer!« sagte der Offizier, ihre Hand an die Brust drückend. »Ohne Hoffnung –« »Darf der Mensch nicht leben und nicht sterben,« fiel sie ein. »Das hat er auch gesagt. Und sah dabei in den Himmel, und das war ein Blick! – Nein, nicht auf immer! sagte er, wer unvergänglich liebte, der liebt auch in die Ewigkeit. Ist denn das Blut ein Strom, der uns vom Jenseits trennt? Da liegt er auf der Haide, purpurn strömt es aus Brust des Redlichen. Sein letzter Hauch ist seine Freundin, sein letzter Blick für Sie. Wenn er Sie im Tode sah, warum sollen Sie ihn denn nicht im Tode sehen! Sie werden sich wiedersehen!« – »Nun, um Gottes Barmherzigkeit willen, ja, wir werden uns auch wiedersehen!« rief Dohleneck in ungewöhnlicher Aufregung. »Kein Krieg ohne Blut, aber warum gleich maustodt! Wozu giebt's denn Charpie und Pflasterkasten? Das Blut mag zwischen uns fließen, ja, ein tiefer Fluß, aber warum soll ich denn nicht rüberspringen und« – »Wir werden uns wiedersehen!« und die Baronin öffnete die Arme und der Obristwachtmeister auch – Da musste es um sie sausen, krächzen, und die wilde Jagd kam hinterher. »Fangt sie! – Da sind sie! – Die Brut!« Als die Unholde heranstürmten, war die Baronin schon durch die Oeffnung der Hecke geschlüpft. Der Obristwachtmeister warf einen Zornblick auf die Störenfriede, ja, seine Linke ruhte auf dem Degengriff. Ob Herr von Dohleneck ihn gezogen hätte, wir wissen es nicht; aber es war ja sein Wachtmeister, der, in Respekt erstarrend, vor ihm schulterte und aus den Lippen des vorgestreckten Kopfes die Worte flüsterte: »Halten zu Gnaden, Herr Obristwachtmeister, sie sind die Puten von Excellenz Feldmarschall Möllendorf!« 82. Kapitel. Die Scheidestunde schlug Zweiundachtzigstes Kapitel. Die Scheidestunde schlug. Als die Baronin durch die Hecke geschlüpft – sie hoffte, unbemerkt von den Verfolgern, – befand sie sich in einem schmalen Gange, der eigentlich nicht zum Spazierengehen, sondern zwischen der beschnittenen Baumhecke und einem alten Plankenzaune, mit Unkraut bewachsen und für den Kehricht des Gartens bestimmt war. Ihre Absicht war auch wohl gewesen, wenn das wilde Heer vorüber, in die Allee zu ihrem Freunde zurückzukehren. Davon wurde sie zu ihrem Schreck durch einen andern Mann, den sie nicht als ihren Freund betrachtete, abgehalten. Nein, sie fürchtete oder verabscheute den alten Herrn von Bovillard, und glaubte dazu hinlänglichen Grund zu haben, denn hatte nicht der Legationsrath in einer vertrauten Stunde ihr – wir sagen nicht Alles, aber doch Vieles vertraut, was sie nie erfahren durfte, wenn man nicht ohnedem wüsste, daß das Amtssiegel der Verschwiegenheit über die geheimen Staatsangelegenheiten in der Hinterstube des Geheimraths Bovillard nur zu oft erbrochen war. Und diesen selben Bovillard, der mit ihr und dem Rittmeister ein so grausames Spiel gespielt, dem sie in in ihrer Entrüstung geschworen, nie mehr ins Gesicht zu sehen, traf sie an dem einsamen Orte, er kam grad' auf sie zu, und hob grade den Kopf, den er gesenkt trug, ehe sie ausweichen konnte. Zu anderer Zeit kochte es in ihr, ihm Sottisen oder die Wahrheit zu sagen, was sollte sie ihm jetzt sagen, wenn er mit seinem medisanten Witze sie raillirte! Ach, aber der Geheimrath war ein Anderer, in kurzer Zeit schien er um Jahre älter geworden. Wohin war der elastische Schritt, die Jugendlichkeit, die er im Umgange affectirte? Er ging bedächtig und gesenkten Hauptes. Er litt an fixen Ideen, sagte man. War es sein Stammbaum, dessen Wurzeln bis zur Schöpfung der Welt zurückwuchsen, was seinen Blick auf der Erde wurzeln ließ? Man hielt es nur für eine momentane Phantasie des aufgeklärten Lebemannes; er benutzte sie, um seinem Depit gegen die Verbindung seines Sohnes mit der Demoiselle Alltag einen scheinbaren Grund unterzulegen. Er litt, wer sollte es glauben, an einer andern Idee, die er zwar nicht deutlich aussprach, aber aus seinen hervorgestoßenen Reden erschien es, daß er an gewissen Tagen sich für vergiftet hielt, von wem anders, als der Lupinus! Auf vernünftige Vorstellungen gab der vernünftige Mann zu, daß dies unmöglich sei, da er jede gesellige Berührung mit ihr vermieden hatte; aber er nahm doch in jenen Tagen viele und starke Laxanzen. Er, der erklärte Gegner der Romantik und alles Mysticismus, las in Büchern, die man nicht auf seinem Tisch erwarten sollen, und an Aerzte, die sich jener Richtung näherten, stellte er die verblümte Frage, was sie von dem bösen Blick hielten, an den die südlichen Nationen glauben, und ob nicht eine physische Möglichkeit sei daß er der Gesundheit Anderer schaden könne? Der Geheimrath Bovillard war bereits als malade imaginaire sprüchwörtlich. Sein Gönner, der Minister mit der aufrechten Haltung, hatte ihm seine Universalkur, Karlsbad, wiederholentlich empfohlen, der Geheimrath den Rath aber von der Hand gewiesen – für jetzt. Er fürchte, es werde ihm als Furcht ausgelegt, wenn er sich aus Preußen entferne, er sei ein Patriot, darum müsse er es zeigen. Darum zeigte er sich an öffentlichen Orten; wenn auch nicht grade an dem, wo die Baronin ihm begegnete. »Ach, meine gnädige Frau,« sagte er, nachdem von seiner Seite weder eine freudige noch eine andere Ueberraschung stattgefunden, er brachte vielmehr die Worte mit einer Art innerem Gähnen heraus, indem er neben ihr herging. »Ach, meine gnädige Frau, die Moralisten sagen, Alles in der Welt ist eitel; aber es ist nur die Wirkung aus der Ferne. Ich sehe in der Welt nicht ab, warum das eitel sein soll, was ich genieße, und es schmeckt mir. Eitel, das heißt, es verdirbt und vergeht, wird es nur durch die Einflüsse von außerhalb. Könnte Jeder seinem Penchant nachgehen, dann gäbe es keine Eitelkeit und keine Sünde, nur vergnügte Menschen. Sie lieben im Frühling die Veilchen, ich die Maibutter, wie schön duften sie am Morgen, wie aromatisch und frisch schmeckt sie zum Frühstück! Da muß ein Weltkörper viele Millionen Meilen von uns entfernt, so einwirken, das das Veilchen am Abende welk ist, auch die Philosophie hilft dagegen nicht. Der böse Magnet, Dämon, was es sei in der Ferne, unsere Pfeile erreichen ihn nicht, und, was noch schlimmer, wir wissen gar nicht, wo unser Feind sitzt. So ist der Klügste nicht sicher, woher's ihn einmal überkommt, ob er auf dem Eis einbrechen, oder im Tanzsaal ein Bein brechen soll. Was ist der Krieg? Die Soldaten bilden sich ein, sie trügen ihn, und sie bluteten für uns. Aber, contrair, sie haben das Vergnügen, und der Civilist hat die Leiden; er muß zahlen und zahlen, Handel und Gewerbe stocken und wir müssen Spott, Uebermuth und Einquartierung ertragen, bis wir aus der Haut fahren. Ich will mich nicht um die Welthändel kümmern, sagt der gute Bürger. Und hat er dazu nicht ein Recht? was er nicht eingerührt hat, braucht er nicht aufzuessen. Hat der Weizenbauer in Pyritz die französische Revolution gemacht, hat er consentirt zur Pillnitzer Alliance, oder hat er Napoleon zum Kai er ausgerufen? Gott bewahre, er weiß von alledem nichts, hat nie was von dem wissen wollen; aber büßen muß er jetzt: seine Pferde werden ihm ausgespannt, Fourage muß er liefern, seine Söhne muß er hergeben zum Todtschießen, und wenn die Franzosen gewinnen, frißt und prügelt ihn die Einquartierung, sie schmeißt ihn am Ende aus Haus und Bett, wenn er eine Frau hat, alles das die Wirkung aus der Ferne, und Niemand weiß, meine theuerste Baronin, wo das Uebel ihm sitzt und von wo es kommt.« Die Baronin schenkte ihm einen Blick, der zu verrathen schien, daß sie wenigstens die Ferne kenne, aus welcher sie die Wirkung empfunden. Der Geheimrath hatte für solche Blicke keine Augen und kein Gefühl. »Meine Beste,« sagte er, das Gesicht in eigenthümlicher Weise verkneifend, und beide Hände gegen die Seiten stemmend, »denken wir nicht an vergangene Thorheiten. Sie sollten nach Karlsbad. Hier, Gott weiß, was hier kommt; die schwere Luft und Niemand weiß, was er in den Sonnenstäubchen runterschluckt, die er einathmet, wenn er den Mund aufthut. – Da – da können Sie ungenirt und frei leben. Ich ginge ja auch herzensgern, aber – ein Staatsmann und die Rücksichten. – Excuse!« Mit einem raschen Sprung war er in den Gang zurück, aus dem er die Baronin unter so liebenswürdigem Gespräch bis in den Garten zurückgeführt hatte. Da trafen sich im Gewühl viele Bekannte, die wieder auf die Estraden stiegen. Die Stopfung auf der Straße war gelöst. Der Abendwind trieb den Staub nach einer jenseitigen Richtung. Herr von Fuchsius, der die vereinsamte Frau zuerst gewahrte, hatte ihr seinen Arm angeboten. Sie hätte wohl einen bessern Führer gewünscht, sagte er lächelnd, aber in dem Gedränge müsse man sich schon dem ersten Besten anvertrauen. »Wer in der Gefahr vereinsamt steht, ist verloren.« Ueberall Abschiedsscenen, Thränen, Tücher. »Sie waren eben Zeugin einer der tragischesten Abschiedsscenen!« Die Baronin sah ihn verwundert an. »Herr von Bovillard scheint förmlich von seinem Verstande sich geschieden zu haben. Es ist der Abschied eines Verschwenders von seinem verschleuderten Gute. Er ist auf dem Wege, ein vollständiger Hypochonder zu werden. – Aber beachten Sie den Abschied dort, er ist weit trauriger, zwischen Vater und Sohn.« »Zieht der junge van Asten auch ins Feld?« fragte die Baronin, denn dieser war es, dem sein Vater nach einem langen, wie es schien, eindringlichen Gespräch plötzlich den Rücken wandte. »Nur in die Freiheit – und der Alte vielleicht in das Schuldgefängniß.« Das Verhältniß war stadtkundig: »Mein Gott, wer hat denn da nun Recht? Der junge Walter ist auch ein so braver Mann!« Der Rath zuckte die Achseln: »Baroneß, das sind Fragen, auf die nur der liebe Gott Antwort weiß.« Die Baronin drückte plötzlich die Hand ihres Begleiters und der Freudenstrahl in ihrem Auge schien zu sprechen, daß der liebe Gott wohl Antwort gegeben habe. Der alte van Asten, der noch eben den Stock mit beiden Armen unmuthig auf die Erde gestampft und den Hut in die Stirn gedrückt hatte, um den Garten zu verlassen, war plötzlich stillgestanden. Eben so rasch wandte er sich um, und fiel dem Sohn, der ihm wehmüthig nachgesehen, um den Hals. Ob sie etwas gesprochen und was, wer konnte das hören, besonders jetzt, wo wieder ein feierlicher Marsch von Blaseinstrumenten durch die einbrechende Dämmerung schmetterte. Die Baronin riß ihren Führer auf die Estrade. War erst jetzt die Ordre gekommen? Die Gensdarmen zogen aus der Stadt, um in einem benachbarten Dorfe Nachtquartier zu halten. Noch war es hell genug um sich zu erkennen, und ein letzter rother Schimmer färbte die Federbüsche und Gesichter der Reiter. Die Baronin ließ ihr Tuch wehen, er sah es und salutirte mit dem Degen. Sie sprach kein Wort, aber unverwandten Blickes starrte sie hin, bis die Gestalt sich in der Menge verlor, dann lehnte sie sich, wie erschöpft, auf die Schulter des Rathes. »Wir werden uns wiedersehen!« kam es wie aus tiefster Brust. – Unfern von ihr schrie eine andere weibliche, Stimme: »Ich werde ihn nie wiedersehen! Was soll aus mir werden!« Charlotte war auf eine Bank gesunken. Zum Glück stand jetzt neben ihr ein ältlicher Herr – denn unter den übrigen Zuschauern schien keiner sich um den andern zu kümmern, ihre Blicke und ihre Gedanken gehörten den schönen, jungen ausmarschirenden Reitern allein an. Der ältliche Herr klopfte ihr auf die Schultern: »Charlotte, weine Sie nur nicht, gebe Sie sich zur Ruhe, es wird sich schon Alles finden, und ich verlasse Sie nicht.« Es war eine besondere Stimmung unter Allen, sehr verschieden von der lauten beim Vorüberziehen der frühern Regimenter. Hatte der Abend sie gemacht? Waren die Gensdarmen grade die Lieblinge der Zuschauer? Man hörte keine lauten Hurrahs, keinen jubelnden Zuruf, nur unterdrücktes Schluchzen. Vielleicht that's die Regimentsmusik; sie spielte die Melodie eines alten Volksliedes von Morgenroth und frühem Tod. Nachher flüsterte man sich zu: Prinz Louis sei in seinem Mantel verhüllt unter dieser Schwadron in der Stille mit ausmarschirt. In den Sälen, die als sehr bescheidene Pavillons des auch bescheidenen Restaurationsgebäudes in den Garten ausliefen, hatten einzelne Familien und Gesellschaften zum Abendbrod sich vereinigt. Die Lichter wurden schon angezündet, es sah aber wenig festlich aus, trotz der Astern und anderer Herbstblumen, die eine sorgende Hand wohl hie und da auf den Tisch gestellt. Luft und Boden, die Dielen auf dem Erdreich liegend, waren kalt und feucht, die Frauen hatten ihre Enveloppen, die Männer ihre Ueberröcke umgethan. Es war auch sonst ein Etwas, was die helle Freude nicht aufkommen ließ. In einem dieser Pavillons hatte der Geheime Kriegsrath Alltag seine Familie und einige Bekannte vereinigt. Als Fuchsius die Baronin vorüberführte, um sie nach ihrer Equipage zu geleiten, rief sie, durch die hellen Fenster blickend: »Herr Je – da geht ja Adelheid mit dem jungen van Asten.« – »Er war ihr hochverehrter Lehrer,« sagte der Rath, »und der alte Alltag hat zum Abschied alle nächsten Angehörigen zu sich gebeten« – »Geht er auch mit in den Krieg?« – »Er nicht, aber seine Tochter. Die Königin folgt ihrem Gemahl ins Hauptquartier, und Mamsell Alltag ist, als Gesellschafterin der Viereck, bestimmt. Ihre Majestät zu begleiten.« – »Das ist eigen,« sagte die Baronin, »das schöne junge Mädchen in den Krieg! Was man nicht erlebt! Wissen Sie wohl, was ich glaube?« – »Gewiß etwas Richtiges.« – »Der Alte mochte damals nicht die Brautschaft. Jetzt, glaube ich, gäbe er etwas drum, wenn die Adelheid beim jungen Asten geblieben wäre. Er ist ein solider Mensch, und die Leute meinen, er wird eine gute Karriere machen. Hübsch ist er nicht, aber es ist so etwas in ihm – man traut ihm aufs Wort.« Möglich, daß die Baronin das Richtige getroffen hatte. Der alte Alltag, der schweigsam in der Gesellschaft umherging, drückte bei einer Gelegenheit ganz besonders die Hand des jungen Asten, dankte ihm mit gerührter Stimme, daß er seine Tochter zu dem gemacht, was sie sei. Rührung war weder sonst noch jetzt das Departement des Geheimen Kriegsrathes. Die Geheimräthin brachte selten das Tuch von den Augen. Sie unterhielt sich mit dem alten Rittgarten, er musste ihr vom Krieg erzählen, wie weit man sich herangetrauen könne ohne Gefahr, ob die Franzosen auch auf Frauenzimmer schössen? Nie war sonst ihren Gedanken etwas entfernter gewesen. »Sie ist noch gar nicht gereist, das Kind, einmal nur bis Potsdam, und nun muß ihre erste Reise gleich in den Krieg sein! – Wer hätte das nur als möglich gedacht; es wird doch Alles anders, als es sonst war.« – »Alles – Alles!« sagte der alte Major, den Kopf schüttelnd, die Pfeife musste ihm heut nicht schmecken. »'S ist Fügung des Himmels; das muß uns wohl trösten,« sagte die Geheime Kriegsräthin, »aber – aber –« »Der Himmel fügt es, daß Alles aus dem Gefüge geht, und es wird noch mehr losgehen. Er weiß, warum. Es muß wohl nicht recht zusammengefügt gewesen sein.« Eine Konversation kam nicht auf. Wer zu sprechen anfing, brach plötzlich ab, im Gefühl, daß es Wichtigeres zu sprechen gab, und die Zeit war kostbar. Und dann hatte Jeder mit dem Andern etwas Besonderes zu sprechen. Wenn er fortgegangen, fiel ihm ein, daß er das vergessen, was ihm besonders auf dem Herzen lag. Welch ein Strom mütterlicher Ermahnungen war von den Lippen der Mutter geflossen, und immer besann sie sich, daß sie doch noch etwas Anderes, etwas Neues zu sagen hatte. Jetzt nahte die Scheidestunde. Adelheid konnte nicht zum Abendessen bleiben, der Wagen der Hofdame, der sie nach dem Palais bringen sollte, war angemeldet. Der Vater hatte eigentlich am wenigsten mit ihr gesprochen. Jetzt legte er seine Arme auf ihre Schultern: »Du, mein geliebtes Kind, mein Bijou! Nun ich Dich verlieren soll, begreife ich erst, was ich in Dir gehabt habe. Und was ich hätte in Dir haben können, dann wäre ich Dir mehr gewesen und Du mehr mir. Ich hätte Dich besser verstanden, und Manches wäre besser – vielleicht! Aber es hat nicht sein sollen. Andere sagen, der Mensch gehöre zuerst sich selbst und seiner Familie, und dann erst seiner Pflicht gegen den Staat. Ich verstand es anders. Gott wird wissen, wer Recht hat. Wenn Alles in der Welt wechselt, so wechseln wohl auch die Ansichten über die Pflichten. Aber ich glaube doch, wer das thut, was er gelernt hat, daß es recht sei, der thut Recht, und der himmlische Vater wird ihm vergeben, wenn er dabei auch mal Unrecht thut. –« Adelheid an seinem Halse wollte nichts davon wissen, daß ihr Vater gegen sie Unrecht gethan; sie habe sich anzuklagen, daß sie nicht alle Pflichten eines Kindes gegen ihn erfüllt. Er schüttelte den Kopf: »Du warst ein ausgezeichnetes Kind, und für die hat die Vorsehung wohl besondere Gesetze. Sie führt sie Wege, die uns nicht gut dünken, aber sie leiten zum Ziel, das wir nur nicht sehen. So ist's mit Dir gekommen, und so wird es noch weiter kommen. Es wird Vieles besser werden, als wir denken – und – wir werden uns wiedersehen und froher als heut –« Endlich musste doch die Glasthür geschlossen werden, von der Zugluft schmolzen schon die Talglichter. Die Geschwister wollten mit; anfänglich die Mutter auch, sie fühlte sich zu schwach. Die Kinder aber konnten sich im Gedräng und der Finsterniß verlieren. So machte es sich denn wie von selbst, daß van Asten seine ehemalige Braut allein nach dem Wagen begleitete. Die Sterne funkelten hell am klaren Herbsthorizont, als sie aus dem Baumgang traten. An der Hinterpforte stand der Wagen. Sie reichte ihm die Hand. Mit ihrer Silberstimme sprach sie: »Walter, hinter uns ist es klar; ich hoffe es wird auch vor uns immer klar bleiben.« Er schlug ein: »Es werden noch viele Nebel aufsteigen, bewahre Deinen hellen Blick und dann bleibt es zwischen uns klar.« – »In keinem Fältchen Deines Herzens ist ein Groll,« sprach sie »nicht wahr? – Das giebt mir Muth. Aber –« Sie zauderte. »Sprich es aus!« sagte er. »Es soll gar kein Fältchen zwischen uns bleiben.« – »Ich möchte Dich auch ganz zufrieden, ganz klar mit Dir selbst verlassen. Bin ich's noch, Walter, die wie eine Nachtwolke zwischen Dir und Deinem Vater schwebt, den Wünschen des Mannes, dessen Glück und Frieden Dir das Theuerste sein müsste?« »Und wenn Du es wärest, was kannst Du dafür? Kann der Nordpol dafür, daß der Magnet nach ihm zeigt? Es wäre die Arbeit eines Narren, den Magnet zwingen zu wollen, daß er nach einer andern Himmelsgegend weist. Das sind ewige Nothwendigkeiten, vor denen sie sich beugen sollen und müssen, die nicht Muth haben, sie freiwillig anzuerkennen. Dieser überreichen Welt an Allem fehlt nur etwas – Charaktere. Ich bilde mir nicht ein, sie bessern zu wollen, dazu fühle ich mich zu schwach, aber ich bin stark genug, mich nicht von ihr bilden, fortreißen zu lassen.« »Lebe wohl, Walter!« sprach sie mit erstickter Stimme. »Ich habe den Glauben: es ist kein Lebewohl für immer. Wir sehen uns wieder.« Sie drückte, sich auf den Zehen hebend, einen Kuß auf seine Stirn; dann schwebte sie in den Wagen, er rollte fort. 83. Kapitel. Der Schüler des Schauspielers Dreiundachtzigstes Kapitel. Der Schüler des Schauspielers. Es war eine wunderbar bewegte Nacht vom 13. zum 14. Oktober. Die Sterne warfen kein Licht auf das tiefe Saalethal, und die Tausende von Lichtern, die auf Befehl an den Fenstern der Stadt Jena brannten, verbreiteten nur einen ungewissen Schimmer, der die Dunkelheit noch dunkler zeigte. Durch die Krümmungen der Schlucht, so weit das Auge getragen hätte, das Ohr reichte, wogte und wallte es; es war kein Strom, der durch die Rippen der Erde bricht, keine Windsbraut, die die Wolken peitscht, keine Feuersbrunst, die über Dächerreihen prasselt, es war ein heimliches dumpfes Wirken und Schaffen, wie eine Sprache, die keine artikulirten Töne findet. Wie die Riesenschlange die Erde umfasst: in lautloser Wuth und Kraft drückt sie ihre Weichen, und da steigen gepresste Schmerzenstöne in die Luft, so durchbrach die Monotonie hier ein Schrei, dort ein Hallo, ein Zusammenstoß der Geschütze und Rüstwagen, ein Peitschenknallen, ein grässlicher Fluch. Dann aber tiefe Stille, man hörte nur den dumpfen, dröhnenden, ehernen Tritt der Tausende, die Erde stampfend, das Wiehern der Rosse, das wuchtige Rasseln der Kanonen. Die Heeressäulen der Franzosen wälzten sich durch das tiefe Saalethal; wie die fabelhafte Heerschlange, die im Thüringer Walde sich zeigt, eine Kette, Mann und Roß, von den Höhen der Berge bis schon hinaus viele Meilen über Jena, da, wo die Unstrut in die Saale fällt. Die Thüringer, die das Weh aller großen Kriege, welche Deutschland zerfleichten, in ihren schönen Thälern, an ihren Berggeländen recht aufgesogen und eingesammelt, hatten solche Massen Krieger nie gesehen. Eine Völkerwanderung schien es. Wo die Schlange sich in dem Lichtschein ringelte, blitzte es auf von den Bajonetten und Flintenläufen, den funkelnden Säbeln, von umbauschten Helmen. Da auf dem Markte preschten die Chasseure, Raum machend für den Gewaltigen, und die Glieder standen und präsentirten. Es war eine kurze, aber ernste Heeresschau. Tausende und Tausende wälzten sich durch die Thore weiter, aber Tausende und Tausende verschwanden aus der lichthellen Stadt, man wusste nicht, wohin. Keiner legte sich zur Ruhe, der Kaiser wachte! Für nicht wie viel Tausende sollte es die letzte Nacht sein, eine schlaflose Todesnacht. Steile Felsberge gipfeln sich über der Stadt; die Knaben üben sich im Spiel zu klettern, der Jenaer Bursch wagt in kecker Laune den gefährlichen graden Aufweg; wie wollen Mann und Roß und Kanonen zu uns herauf? scheinen die kahlen Berge höhnisch zu fragen. Aber ein siegreiches Kriegsheer hat für jede Mauer eine Leiter. Es ward eine Nacht voll Bewegung und Leben; Fackeln, brennende Kienscheite erhellten die Berge, die Axtschläge krachten durch das Thal. Es giebt keine noch so nackte und steile Höhe, die nicht durch Schlingungen und Wendungen zu gewinnen ist. Einige hat hier die Natur oder Vorzeit schon gebildet, der Berg am Mühlthal heißt die Schnecke, andere kann ein geübter Blick suchen, und wo die Natur vorgearbeitet, hilft die Kunst nach. Napoleon hatte in jener Nacht auch die Hülfe der deutschen Wissenschaft. Ein gelehrter Militär in seiner Suite, welcher einst in Jena studirt, wies den Ingenieuren die Stege, die er im tollen Uebermuth der Jugend erklettert. Was man in einer Wette thut um Kannen Bier, soll man's nicht, wo der Einsatz die Weltherrschaft ist! Schaufeln und Aexte halfen nach; Gerüll, in die Tiefen geschleudert, Baumstämme wurden zu Brücken und das Saalufer von Jena war kein schneebedeckter Simplon. Wo die Pferde nicht konnten, zogen Menschenarme das Geschütz. Napoleon schmähte in dieser Nacht nicht auf die Ideologie der deutschen Studenten. Lange, ehe der erste Hahn krähte, war es vollbracht. Die Massen der kaiserlichen Garden und Linientruppen standen, ein dicht gedrängt Quarré, auf dem Bergufer, und auf dem Landgrafenberg, dem höchsten Punkte, von dem das Auge eine weite Aus sicht hat auf die Hochebene, die sich nach Weimar erstreckt, erschien der Feldherr in der Mitte der Seinen. Fackeln beleuchteten den Mantelrock, das schöne, prüfende Auge des Siegers, während er längs der Reihen ritt, und den Jubel, der ihn begrüßte und verdoppelt bei jeder neuen Reihe in die Luft schallte, mit dem Lüften seines Hutes erwiderte. Seine Lippen blieben verschlossen, die Augen sprachen um so beredter: es ist morgen ein größerer Tag denn je! Der Jubel verhallte, er war in das Gebüsch geritten, um – zu ruhen, bis der Tag der Entscheidung anbrach. Auch seinen Kriegern war es jetzt vergönnt. Sie sanken hin, wo sie in Reih und Glied gestanden, die neben dem Pferde, die unter der Kanone; die kalte Nacht ihr Mantel. Hier brannten wenige Feuer, auch diese halb versteckt hinter Gebüsch und Erderhöhungen. Die Augen schlossen sich, ein allgemeines Schnarchen, ein Bild des Friedens wenige Stunden vor einem Gemälde des Todes, und welchem! Nicht Alle schliefen. Die dunklen Gestalten dort vorn, in ihre grauen Kapotmäntel gehüllt, das Gewehr in den Arm gedrückt, gegen einen Baum gelehnt, an einen Steinhaufen gekauert, hatten scharf das Aug geöffnet. Es verfolgte jeden Rauchwirbel, der über den Wachtfeuern des Feindes sich kräuselte, jeden Windzug, der in der Zeltleinwand spielte. Seit die Rotten und Glieder sich auf die Erde gestreckt konnte man das Schauspiel frei übersehen. So weit das Auge in die Nacht reichte, Wachtfeuer und Zeltreihen. Durch sechs Stunden dehnte sich das Schlachtfeld der Preußen aus, hell, licht, Alles in bequemer, hergebrachter Ordnung. Und hier auf engem Raum, um einen bewaldeten Berg zusammengedrängt, im Dunkel seiner Schatten und Nacht, und am Rande eines Abgrunds hinter ihm, der Feind. Die Wachtposten standen kaum auf Schußweite von einander entfernt; aber es fiel kein Schuß, kein Allarmzeichen, kein versprengtes Pferd störte die Ruhe. Schien es doch ein stillschweigend Abkommen, sie bedurften Beide der Ruhe, um morgen sich zu morden. Nicht Alle schliefen, auch von Denen nicht, welchen es vergönnt war. Unter einer Eiche lag ein zum Tode Verurtheilter. Der Offizier, der ihm zur Bewachung zubeordert, hatte ihm doch höflich das Bund Heu, das für sein Pferd bestimmt, zum Kopfkissen gegeben, daß er, so bequem es ging, eines letzten Schlafes vor seinem letzten Tage sich erfreue. Aber Louis Bovillard konnte nicht schlafen, oder er hatte schon genug geschlafen; er richtete sich auf und stützte den Kopf auf seinen gesunden rechten Arm. Der linke war verwundet, ein Verband war darum geschlungen. Vorgestern war er, als er, aus dem Saalethal aufgescheucht, über die Schwarzach setzen wollte, von französischen Jägern angerufen worden. Als er die Antwort schuldig blieb, hatten sie gefeuert. Am Arm verwundet, war er vom Pferde abgeschleudert und gefangen worden. Man hatte ihn nach Kahla gebracht und vor ein Kriegsgericht gestellt. Da er nichts sagen konnte oder wollte, als daß er in Aufträgen seiner Regierung nach Franken geschickt gewesen, und, beim Rückwege unter die Schaaren der Franzosen gerathen, den Versuch gemacht, durch den Thüringer Wald sich nach dem Hauptquartier seines Königs durchzuschlagen, hatte das Gericht ihn für einen Spion erklärt und zum Strang verurtheilt. Irgend ein Zufall, der schnelle Abmarsch, hatte die Exekution verhindert; man hatte ihn mitgeschleppt bis Jena. Auch hier war dazu keine Zeit, man hatte ihn auch auf den Berg mitgeschleppt. – Betrachtete er jetzt über sich den dürren Ast der Eiche, von dem er morgen herab schweben sollte, eine kalte Leiche? Oder suchte sein Auge durch den nebelgrau belegten Himmel nach einem Stern, an den er seine Hoffnung knüpfen wollte? Es war keine Hoffnung, die noch mit diesem Leben liebäugelt: das sprach sein umflorter Blick. Man hatte ihn immer menschlich, zuletzt mit chevaleresker Höflichkeit behandelt. Sein Wächter hatte ihm vorhin eine Cigarre angeboten, mit dem seltsamen Trost, wie in Spanien, woher er sie gebracht, die Sitte fordere, daß der Henker mit seinem Opfer eine Art Friedenspfeife raucht. »Der Tod ist ja der Frieden!« hatte der Gefangene er widert. Eine Schaar Krähen, von der momentanen Stille getäuscht, hatte sich auf den Aesten des Baumes niedergelassen; auch sie schienen wie der kluge Feldherr das große Feld zu überschauen, wo morgen Abend eine Tafel, und eine wie große, für sie gedeckt sein sollte. Der Offizier, der, mit verschränkten Armen auf einem Sattel sitzend, die Augen auf einen Moment geschlossen, schien durch das Gekreisch der Thiere erweckt, und sah mit Verwunderung die Stellung seines Gefangenen. Der Gedanke an einen Fluchtversuch konnte ihm nicht kommen: »Schreckten böse Träume Sie auf, oder die geflügelten Bestien da?« – »Ich bin auf mein Schicksal gefasst.« – Der Gefangene schwieg, der Andere sagte nach einer Pause: »Kamerad, aus Vorsicht möchte ich Ihnen anrathen, präpariren Sie sich noch für einige Momente auf das Leben. Sahen Sie nicht, daß der Kaiser einen eigenthümlichen Blick auf Sie warf? Er wandte noch einmal sein Pferd, um Sie wieder anzusehen.« – »Wie der Tiger sein Opfer, ehe er es zerreißt. Das war sein Blick auf Leichenhaufen.« – »Die sieht er vor jeder Schlacht. Ob eine mehr oder weniger, darauf kommt es –« »Dem Großhändler über Menschenleben freilich nicht an.« – »Sie haben den unnatürlichen Haß Ihrer Nation gegen ihn eingeimpft.« – »Nein!« antwortete Bovillard nach einigem Besinnen. »Dann würden Sie sich selbst sagen: wenn ein Fürst einen zum Tode Verurtheilten vor sein Auge ließ, bedeutete es sonst Gnade.« – »Sonst!« – »Sie prätendiren doch nicht, daß Napoleon einen persönlichen Haß gegen Sie hat, daß er an Ihrer Angst sich weiden wollte?« – »So wenig, als ich glaube, daß er den Herzog von Enghien persönlich hasste, auch nicht den Buchhändler Palm.« – »Sie nähren selbst einen bittern Haß gegen den großen Mann. Das thut mir von Ihnen leid.« – »Gegen den großen Mann! Nein. Es gab Stunden, wo ich ihn bewunderte. Ja, in dieser meiner letzten, darf ich es aussprechen, Momente, wo ich in ihm den neuen Heiland der modernen Weltordnung erblickte. Seitdem – genug! Der edle Prinz, den ich bei Saalfeld stürzen sah, war ein Bewunderer Ihres Kaisers. Einst rief er aus: ›Ich erlaube ihm ja, uns zu vernichten, aber moralisch zu meuchelmorden, das empört.‹« »Eine seltsame Konversation, Kamerad! Der zum Tode Verurtheilte richtet seinen Richter. Ich hätte gewünscht, daß Sie heute wenigstens noch sein Bewunderer wären, daß man ihn darauf aufmerksam machen könnte –« »Und daß er vor der Schlacht einen Komödienakt spielen, großmüthig mit einer Tirade aus Racine oder Corneille mich begnadigen könnte!« – »Was kümmerte Sie die Posse, wenn sie den ernsten Schluß hätte, daß Sie mit dem Leben davon kämen, vielleicht gar mit der Freiheit. Nachher könnten Sie darüber lachen, so viel Sie wollten. – Nun, im Ernst gesprochen – man weiß in seiner Suite, wer Sie sind –« »Da weiß man sehr viel!« – »Der Sohn eines Mannes von Einfluß, der lange die französische Partei an Ihrem Hofe gehalten, vielleicht noch jetzt. Das hat die Gemüther sanft gestimmt; Gott weiß, welche Konjekturen die Herren daran knüpfen, genug – ich glaube, es käme nur auf Sie an –« »Ich sterbe in der größten Tragödie, in der mein Vaterland untergeht.« Die Augen des Verwundeten stierten mit einem Fieberglanze auf die Wachtfeuer im Thale, deren Flammen jetzt sichtlich niederbrannten. Der Offizier sah ihn verwundert an: » Wir werden siegen, denn ich glaube fest an Napoleons Stern. Aber Sie, ein Preuße! Der kleine Sieg bei Saalfeld –« »Ward zum entscheidenden, da Ihre Feldherren ihn benutzten, die Saale in reißender Schnelligkeit zu okkupiren. Sie haben das preußische Herr umflügelt, von den Marken und Sachsen, woher es seine Lebenssäfte erhält, abgeschnitten, Sie haben die Höhen des Flusses, die Uebergangspunkte besetzt, Sie greifen es im Rücken an, und drängen es mit Ihrer Uebermacht in die Positionen, wo Sie Herren sind. Und hier vor meinen Augen sah ich die Nacht, das Lager von Hochkirchen wieder, sogar der verhängnißvolle Jahrestag ist's der Schlacht! Dort die weit zerstreuten Feuer der sorglos Gelagerten, ohne Schanzen, Verhau, natürliche Grenzen; hier zusammengekeilt auf der Höhe, welche das Plateau beherrscht, eine stärkere Kriegsmacht, die, beweglich und elastisch, wie ein Bergstrom hinabrauschend, die zerstreuten Feinde durchbrechen, trennen, aufrollen, vernichten muß. Und der größte Feldherr des Jahrhunderts gebietet über ein Heer, das eine Einheit ist. Ja, mein Herr, Diese verdienen vernichtet zu werden, die Sie auf die steilen Wände klimmen ließen, ohne den Versuch nur, Sie daran zu hindern. Die mit Mann und Roß und vollem Geschütz müßig, zaudernd, unschlüssig zusehen konnten, wie Napoleon sich auf diesen Höhen formirte, die keinen Angriff wagten und Ihre Kolonnen nicht in den Abgrund stürzten – die sind schon geschlagen, vernichtet.« Der Sprecher sank zurück und drückte sein Gesicht in das Heu. Mit gespannter Aufmerksamkeit hatte der Kapitän ihm zugehört. Mit Voranschickung eines französischen Fluches schloß er: »In Ihnen ist ein Soldat verloren!« – »Verloren – verloren!« murmelte Bovillard dumpf in sich. »Warum, Kamerad? Der Mann ist's nie, wenn er sich nicht selbst verloren giebt.« – »Oder eine höhere Hand ihn schlug! – Da wieder!« Er athmete krampfhaft auf. Die brennenden Augen stierten in den Morgennebel. Die Hand machte eine konvulsivische Bewegung, er war im Fieber: – »Morgen, morgen hinab – mit meinem Vaterland!« – »Sehn Sie Geister?« Der Kapitän fuhr mit Franzbranntwein über die eiskalte Stirn des Verwundeten. Er erholte sich, er hatte sich wieder aufgerichtet. Die Krähen flatterten, durch etwas erschreckt, schreiend in die Höhe, die Morgenluft strich durch die Wipfel des Holzes. Es war ein Bedürfniß, sich selbst Luft zu machen, als Louis mit tonloser Stimme vor sich hin sprach: »In Rudolstadt, am Tage vor seinem Tode, hatte der Prinz an der fürstlichen Tafel gespeist. Die Familie nahm ihn beim Aufbruch mit sich in ihre Gemächer; er winkte mir im Abgehen, daß ich auf ihn warte. Dort warf er sich ans Klavier und überließ sich seinen Phantasien. Er hat nie so schön gespielt. Ich stand allein in dem Saal, ein alterthümlich Zimmer, es dunkelte. Ich lehnte mich an den Fensterpfeiler und sah den Wolken zu, die über den Horizont strichen. Ich schloß wohl die Augen. Das waren Töne, die nicht die Finger den Tasten entlockten, die Seele wogte in düstern und schmerzlich weichen Melodien; er schüttete sein Innerstes aus. Die Prinzessinnen weinten. Wolken, nichts als Wolkengetreibe mit blutrothen Streifen. Da fuhr eine kalte Hand über meine Stirn, die Hand des Todes, und vom Druck öffneten sich meine Augen. Es gleitete an der Wand hin, ein Schein, ein Licht, wie ich es nie gesehen – ein Roß in den Wolken, Pulverdampf, Staub. Es bäumte sich mit seinem Reiter – ein Blitzschlag, oder ein Strahl, aus den Wolken niederzückend – der Schädel spaltete – die Brust klaffte – der Reiter sank vom Pferde – und es ward wieder Nacht. – Im selben Augenblicke schloß das Spiel am Klavier mit einer grellen Dissonanz, als sprängen die Saiten. – Der Prinz, blasser als je, trat heraus und winkte mir, ihm zu folgen. Er blieb einsilbig. Als er mich entließ, sprach er dumpf: ›Ich habe meinen Tod gesehen –‹ Er hatte gesehen, was ich sah.« – »Und?« – »Er fiel am nächsten Tage.« – »Und Sie?« – »Ich bin kein Fortepianospieler, der auf den Wellen der Melodien sein Schicksal beschwört. Und doch, vorhin drückte wieder dieselbe kalte Hand auf meine Stirn, die Wolken theilten sich und ich sah – ich sah nicht mehr, als ich schon längst gesehen, und ich sehe es wieder –« Er richtete sich plötzlich auf, er stand aufrecht. »Lachen Sie doch! – Wenn Sie ein Schüler von Voltaire und Diderot, so müssen Sie mich auslachen – ich sah mich selbst.« Der Kapitän lachte nicht, ihn fröstelte. Er sah eine Patrouille mit einem Ordonnanzoffizier heraneilen. Er reichte dem Gefangenen die Hand: »So wünsche ich Ihnen wenigstens Eines – vor Ihrer letzten Stunde einen letzten Sonnenblick.« Bovillard schüttelte die dargereichte: »Das ist ein guter Wunsch. Das Scheiden von diesem Leben wird mir nicht schwer, ist's doch nur ein Rest, den ein Verschwender ließ – aber scheiden mit einer hellen Aussicht, von Harmonien umrauscht – und es ist mir gewährt, ich sah ein Bild –« Der Ordonnanzoffizier war herangetreten: »Der Gefangene soll schleunigst vor Seine Majestät den Kaiser gebracht werden.« – »Glück auf!« flüsterte der Kapitän ihm zu. »Das ist Ihr schönes Bild.« In der kleinen Hütte eines Haidewärters stand der große Mann des Jahrhunderts. Sie war so klein, daß der Adjutant, der die Feder führte, sich in den Winkel drücken musste, um den Bewegungen des Kaisers Platz zu machen. Den Hut auf dem Kopfe, den Kapotrock über der Uniform, schritt er auf und ab, den Tubus in der behandschuhten Hand. Er diktirte, er sprach zu den Generalen, die im Halbkreis draußen standen, durch die offene Thür. Durch diesen vornehmen Wächterkreis war auch der Gefangene in die Hütte gebracht worden. Der Kaiser hatte ihn offiziell nicht bemerkt; er diktirte weiter, er observirte mit dem Tubus durch das Fenster. »Wenn die Sonne aufgeht, okkupiren am linken Flügel die Tirailleure das Kiefergebüsch!« kommandirte er zur Thür hinaus. Ein Adjutant flog fort. Jetzt, als er sich umwandte, bemerkte er den Eingebrachten offiziell. »Ein Spion!« – »Ein Gefangener, Sire!« Der Spion oder der Gefangene sank auch jetzt nicht auf die Knie, er zitterte nicht, er ertrug den kaiserlichen Blick, fest, ruhig. Vier Augen, die sich begegneten, ohne zu zucken. »Ihre Generale lassen die Spione hängen, ich lasse sie laufen.« Der Gefangene stürzte dem Großmüthigen nicht zu Füßen, er küsste nicht seine Füße. Der Angriff war fehlgeschlagen. Sonderbar, und doch stimmten Beide in ihren Empfindungen. Als der Kaiser jetzt wieder mit dem Tubus ans Fenster trat, glaubte der Adjutant ein Lächeln über seine Lippen schweben zu sehen. Auch über Bovillards Gesicht flog unwillkürlich eine Bewegung, die man so hätte deuten können. Wieder stand im Vorübergehn, wie zufällig, der Imperator vor dem Gefangenen still: »Ihr König hat Krieg gegen mich angefangen; ich weiß nicht warum.« – »Ich gehöre nicht zu den Vertrauten Seiner Majestät, meines gnädigsten Königs, auch nicht zu seinen Räthen,« entgegnete Bovillard. »Meine Räthe haben mir ein gedrucktes Papier aus Erfurt gezeigt. Da steht lauter Unsinn drin. Ich kann nicht glauben, daß der König von Preußen drum weiß.« Der Gefangene schwieg. Der Kaiser winkte einigen Generalen und gab ihnen leise Befehle. Es lichtete sich vor der Hütte. »Ihr König ist ein guter Mann,« fuhr der Cäsar fort, »aber er hat böse Räthe. Sie sind von England bestochen. Er hört nicht die Wahrheit. Ich habe einen Brief von ihm erhalten, er schreibt, er will nicht Krieg. Ich will ihn auch nicht. Aber die Konspirationen meiner Feinde zwingen mich; sie sind auch seine Feinde, aller Welt Feinde. Sie leben von Intriguen, sie möchten in ihrem Ehrgeiz, ihrer Rachsucht, die ganze Welt gegen mich aufwiegeln.« Der Gefangene schwieg. »Der Brief kam zu spät. Sagen Sie das Ihrem Könige. Das Blut, was vergossen wird, komme über ihre Häupter. Ich kenne sie – Alle – Alle!« Der Cäsar musste noch Zeit haben zum Zorn; aber die Gelegenheit war ungünstig. Wenn ein Gegner, der uns in Zorn bringen soll, schweigt, müssen wir uns selbst in Harnisch setzen. »Sie waren bei dem Prinzen Louis,« fuhr er dazwischen, – »ich meine in Saalfeld – Sie waren sein Freund.« – »Ich sah ihn fallen, den ritterlichen Fürsten, das edelste Blut, was für eine heilige Sache geflossen ist.« – »Er war betrunken, als er ausritt.« – »Er war der größte Bewunderer des größten militärischen Genius dieser Zeit, und sprach von Eurer Majestät mit der hohen Achtung, welche jeder große Mann einer andern Größe schuldig ist.« Die Antwort kam dem Cäsar ungelegen. Indem er sein Auge nach einem Punkte draußen richtete, rief sein Blick einen Obristen heran. Er mochte etwas sehen, was dem Feldherrn nicht gefiel. Nachdem er dem Unwillen gegen den Offizier Luft gemacht, hatte er den Ton gefunden, in dem er gegen den Gefangenen einfiel: »Diese Hitzköpfe sind es, diese Kriegspartei von hirnverbrannten Phantasten, diese Ideologen und Studenten! Der Prinz hat seinen Lohn weg. Viel zu gut! Wie, ist es erhört, hier schreibt mir der König von Preußen, er wünscht Frieden, er wünscht eine Zusammenkunft, eine Vermittelung. Die hätte sich so leicht gemacht. Und während sein König das mir schreibt, verlässt der Tollkopf seinen Posten, greift im rasenden Ehrgeiz meine Truppen an. Gleichviel ihm, wie viel Tausende darum ihr Leben ließen. Wollte durch die Attaque zur Schlacht zwingen. Und das nennt er Gehorsam gegen seinen Monarchen. Unerhört!« Es war die ernsteste Stunde in Louis Bovillards Leben. Dem größten Genius des Jahrhunderts stand er, der Unbedeutende, gegenüber, gewürdigt einer Unterhaltung, um die ihn Millionen beneidet hätten, und in der brennenden Krisis welchen Momentes! Und wie kam es, daß nicht Schauer vor der Größe, nicht Haß und Bewunderung wie Fieberfrost und Hitze, in ihm wechselten? Nein, er entsann sich des spöttischen Artikels einer englischen Zeitung, worin der angebliche Unterricht geschildert ward, den Talma dem neuen Kaiser im Ausdruck tragischer Affekte gebe. Er sah nicht den Gewaltigen vor sich, sondern den Schüler des Schauspielers. »Sire,« entgegnete er, »es ist die Taktik der Preußen, einen gewissen Angriff nicht abzuwarten, sondern ihm zuvor zu kommen.« Seine Majestät der Kaiser musste aus irgend einem Grunde auch diese Antwort nicht gehört haben. Er fuhr im vorigen Tone, als wäre gar nicht dazwischen geredet, fort: »Füsiliren ließe ich ihn, wäre ich Ihr König, wenn er noch lebte. Weiß Ihr König nicht, wie auf diesen Prinzen die Hoffnungen der preußischen Jakobiner gerichtet waren? Wer stand ihm dafür, daß sein Ehrgeiz nicht weiter ging? Von politischer Freiheit sprach er, er klagte, daß ich die liberalen Ideen ersticke – ich kann Briefe des Todten vorlegen – eine Krone wäre ihm nicht zu hoch gewesen, wenn seine Freunde sie ihm boten. Kennt Ihr König diese Freunde? Hab' ich umsonst die Jakobiner in Frankreich zertreten, damit sie in Preußen ihr Haupt erheben? Ihr König dauert mich. Er ist von Schwärmern und Jakobinern umgeben. Man will nicht sein Wohl, man will liberale Ideen. Ja, die will man!« – »Lasst die Todten ruhen!« sprach Bovillard. »Und die Weiber auch. – Mit toll gewordenen Frauen kämpfen müssen! Und man soll nicht in Harnisch gerathen! – Ich weiß Alles. – Warum ist die Königin bei der Armee? – Was thut eine Frau, wo die Waffen entscheiden? Ihre alten Generale sind außer sich. Weiber im Train, Weiber im Hauptquartier und eine Armee ist verloren. Ich sollte mich freuen. Nein, ich weiß, was sie soll. – Den König warm halten. Sie ist im Dienste Englands, von Alexander beschwatzt; sie ist die Hoffnung oder die Puppe der Schwärmer für Deutschland. Sie hat ihn angetrieben, sie das Feuer geschürt, sie ist die –« »Sire!« fuhr Bovillard auf, »muß ein Gefangener auf Alles schweigen!« Napoleons Schlachtroß war vorgeführt. »Gebt ihm die Briefe!« rief ihm der Kaiser, »und das schnellste Pferd aus meinem Stall.« Das Roß stampfte. Der Kaiser war so dicht an Bovillard getreten, daß die Gesichter sich fast berührten. »Junger Mann, die Sterne gehen ihren Lauf trotz der Weiberlaunen, und wehe, wenn in das Rad der Weltgeschicke eine Frauenhand greift. – Ich biete dem Könige von Preußen noch einmal meine Hand. Fliegen Sie mit dem Schreiben in sein Hauptquartier. Keinen Moment Rast, das Leben von Hunderttausend hängt an einem Haar. Dringen Sie zu ihm durch, selbst übergeben Sie ihm die Briefe, denn er ist von Verräthern umringt. Ich will den Angriff von Saalfeld, ich will Alles vergessen, aber keine Weiber zwischen uns. Die Königin muß fort. Sie bringen ihm, Ihrem Vaterlande Frieden, junger Mann. Rasch, ohne sich umzusehen, ohne zu athmen, wie der Blitz!« Das Schlachtroß bäumte sich unter dem Imperator. Der erste Kanonenschuß tönte dumpf aus der Tiefe, und in dem Augenblick ging die Sonne auf, eine unförmliche, bluthroth dunstende Kugel, den Herbstnebel färbend, der nicht weichen wollte. Auch des Imperators Haupt war einen Augenblick von ihr angeglüht, der Jubelruf seiner Garden schwellte in die Luft. In Louis Bovillard rief eine Stimme: »Dieser Sieger bringt der Welt nicht das Heil, er bringt ihr den Sieg der Lüge.« Kaum daß der Kaiser fortgesprengt, stand der schönste andalusische Renner vor der Thür, man hob ihn hinauf, vornehme Offiziere waren dabei geschäftig, man empfahl ihm dringend Eile, die Richtung, die er zu halten habe, rechts am linken Saaleufer fort, damit er aus dem Bereich der scharmutzirenden Parteigänger komme, dann müsse er nordwestlich nach der Gegend zwischen Weimar und Auerstädt sich halten, rasch direkt nach des Königs Hauptquartier. Der Kapitän geleitete ihn wieder bis zu den äußersten Vorposten. Las er die Fragen und Zweifel auf der Stirn des Entlassenen? Er flüsterte ihm zu: »Ein Emissär Napoleons, ein Herr von Montesquieu ist, wie ich eben hörte, von preußischen Parteigängern gefangen. Ihm könnte das Schicksal drohen, dem Sie entgingen. Die Großmuth ist vielleicht das Facit einer Rechnung. Gedenken Sie daran.« Das konnte es nicht sein! Auf einer Höhe hielt er einen Moment, um Athem zu schöpfen. Der mit Millionen Menschenleben spielte, konnte zu einem solchen Spiel in solchem Augenblick sich nicht gedrängt fühlen – um einen seiner Offiziere! Da hörten die einzelnen Signalschüsse auf, das Knattern der Tirailleure verstummte vor dem Krachen der Geschützsalven, es donnerte an den Bergen und die Erde unter ihm zitterte. Jetzt trieb ein frischer Morgenwind die Nebel aus einander. In dem Rahmen breitete sich zu seinen Füßen ein sonnenerhelltes Bild – die Schlacht von Jena. Und in ihm riß auch ein Vorhang, es ward heller und heller: dort will er den Fürsten von Hohenlohe schlagen, und er wird vernichtet, wenn das Hauptheer ihm nicht zeitig zu Hülfe eilt. Den König soll der Brief zweifelhaft machen, er soll, der Sirenenstimme der Friedenslockung horchend, den Moment versäumen, er soll zaudern, um selbst vernichtet zu sein! Louis Bovillard fühlte an sein Herz. Es schlug nicht, wie es sollte, er fühlte seinen Puls, er konnte die Schläge nicht zählen, er drückte die Hand an seine kalte Stirn. Ein tiefbanger Seufzer stieg aus seiner Brust: »O Du Lenker des Weltalls! – nur bis dahin – warum so groß die Mission, wenn der Athem so kurz ist. Kraft nur – dann – dann –« Der Andalusier unter ihm scharrte und schnaufte in frischer Morgenjugendlust: »Dank für das Geschenk!« rief Louis. »Trage mich, mein Segler, durch die Lüfte. Du und ich, wir mögen in Staub sinken, wenn der Athem nur ausreicht zu einem Wort – ein letztes Wort!« 84. Kapitel. In der Dorfkirche Vierundachtzigstes Kapitel. In der Dorfkirche. Im letzten Dorfe, welches die Königin passirte, hatten die Relaispferde gefehlt. Der Geistliche hatte seine Ackerpferde vorgespannt; aber sie waren auch müde, eben von einer Vorspannfahrt zurückgekehrt. Die Königin glaubte dem alten Manne die Sorge um seine Thiere anzusehn; sie hatte sich anfänglich geweigert sie anzunehmen. Der Prediger hatte erwidert: wer weiß, was heute sein ist, ob es morgen sein bleibt! Wer es hingiebt zu einem guten Werke, hat das Bewusstsein hinter sich. Es war noch keine Flucht; die Monarchin hatte endlich, von den tausend Stimmen, die laut und lauter gegen ihre Anwesenheit beim Heere sich aussprachen, gedrängt, das Hauptquartier verlassen; sie wollte über Naumburg nach ihrem geliebten Magdeburg zurück. Es war ein herzzerreißender Abschied gewesen von dem Gemahl – der Schatten einer Leiche schwebte schon über der Umarmung. Ihr schwarzes Kleid galt der blutigen Erinnerung an den Prinzen Louis Ferdinand. Tausend wüste Nachrichten schwirrten durch Weimar, als sie es verließ. Alles hatte sich verändert, der Feind kam nicht von daher, wo man ihn erwartete, sondern griff vom Rücken an. So viel wusste man schon, nicht, wie weit er vorgedrungen. Die festen Positionen an der Saale mussten ihn doch aufhalten! Aber Wirrwarr überall auf der Straße: verfahrenes Fuhrwerk, Marodeure, Kranke, umgestürzte, geplünderte Bagagewagen, versprengte Flüchtlinge, die, jenseits der Saale durch die ersten Angriffe der Franzosen geworfen, jetzt ihre Corps aufsuchten. Viele suchten sie auch nicht. Bei Lobeda war die sächsische Bagage, ehe die Franzosen erschienen, von den eignen Trainknechten aufgegeben, überfallen und geplündert worden. Wer mochte unter den Hunderten, die davon auf der Straße erzählten, die Vorfallenheiten vergrößerten, ausschmückten, die Beraubten immer von den Räubern unterscheiden! Wohin war schon jetzt der Zauber der Autorität, wenn man Mühe hatte, für den königlichen Wagen Platz zu machen. In jenem Dorfe mochte die Ankunft der Monarchin eine Katastrophe abgewendet haben. Verwilderte Schaaren Zersprengter, die sich eingelagert, machten Miene, das Mein und Dein zu vergessen. 'S ist Krieg, da hört Alles auf! hörte die Königin mit eignen Ohren. Welche Schadenfreude auf den Gesichtern jener Soldaten, die an der Hecke nicht schulterten, und sie trugen den preußischen Rock, sie wussten, daß es ihre Königin war. Es sind ausgehobene Polen! Sollte die Monarchin dies zugeflüsterte Wort beruhigen? Unter dem blauen Rock sei Herz und Verlaß, hatte man sie gelehrt. Wenn nun Tausende von Herzen darunter schlugen, auf die kein Verlaß war, und Friedrichs Disciplin fehlte! Daß diese nicht mehr sei, hatte sie in Weimar, Naumburg, selbst in Berlin von so vielen klagenden Stimmen gehört. Auf dem Kirchhof sangen Marodeure, die ihre Beute von Lobeda theilten, unter wildem Gekreisch das Räuberlied: Ein freies Leben führen wir, ein Leben voller Wonne! – Die Königin, während der Umspannung einen Augenblick abgestiegen, hatte in die offene Kirche treten wollen, der Geistliche aber bat sie, umzukehren, es seien da Verwundete, Sterbende untergebracht. Es mochte noch mancher andere Anblick sein, nicht geeignet für die Augen einer zarten Frau. Am Ausgang hatte sie ein hingesunkenes Weib bemerkt, die Züge des Todes auf ihrem blassen, schönen Gesicht. Der Prediger wollte den Anblick mit seinem Rücken decken, aber die edleren Züge des Mädchens in der widerwärtigen Umgebung interessirten unwillkürlich die Königin. Wie kommt die Unglückliche hierher? Der Geistliche hatte die Achseln gezuckt: »Eins von den Geschöpfen, welche die Soldaten mitschleppen, oder sie laufen ihnen von selbst nach. So was gehört freilich nicht in ein Gotteshaus, aber wer kann's hindern. Sie haben sie auch wohl arg mitgenommen da bei der Plünderung in Lobeda und geschlagen. Sie blutete.« Die Königin fühlte das Bedürfniß, der Armen etwas Wohlthätiges zu erweisen. Ach, sie hatte nichts, nicht einmal das, was jeder ihrer Diener bei sich führte, eine Börse. Sie wollte einen heranwinken, aber der Stallmeister stand schon mit der Miene banger Ungeduld am Wagenschlag. Aller Mienen sagten: hier ist nicht länger zu verweilen! Es war stiller geworden auf der Straße. Der Wagen mit den müden Pferden fuhr aber nur langsam in den aufgewühlten Wegen. Zuweilen ließ der Wind den Kanonendonner von der Mittagsseite herübertönen. Es schien eine stillschweigende Uebereinkunft, nicht darauf zu achten. Die Hofdamen, von Ueberanstrengung erschöpft, nickten. Auch die Königin hatte den Kopf in die Ecke gelehnt, zu schlafen geschienen. Jetzt richtete sie sich auf, warf den Schleier zurück und bedeckte das Gesicht mit beiden Händen. Nach einem kräftigen Athemholen löste sich ihr Schmerz in Thränen, sie glaubte ohne Zeugen; aber ihr gegenüber in der Wagenecke wachten zwei Augen. Adelheid Alltag, die hier in bescheidener Zurückgezogenheit gesessen, wagte die Hand der Fürstin zu ergreifen und, halb auf das Knie sinkend, sie an die Lippen zu drücken. »Es ist ja noch nichts verloren.« »Nichts!« sagte die Königin und schüttelte wehmüthig den Kopf. – »Aber Ihr Anblick, liebes Kind, sollte mir eigentlich Stärke geben. Würden Sie denn den Muth gehabt haben, Alles zu ertragen, wenn Sie voraus gewusst, was Ihnen bevorstand? Die gütige Vorsehung verhüllte es mit einem Schleier. So hat der Vater im Himmel es wohl auch mit mir gefügt. Hätte ich das, was ich jetzt erlebe, noch vor zwei Jahren ahnen können, und wer sagt, was mir noch bevorsteht! Da tänzeln wir im Flügelkleide der Lust und sehen überall Sonnenschein und Wiesengrün um uns, während die Herbststürme schon heranziehen. Aber es ist in seinem unerforschlichen Rathschluß, daß wir nichts davon ahnen, um gesund zu sein und stark, wenn sie hereinbrechen.« Adelheid versuchte von einer besseren nächsten Zukunft zu sprechen. Der Ton ihrer Stimme verrieth, daß sie nicht daran glaubte. »Nein, liebes Kind, ich täusche mich nicht mehr; es ist vieles in diesen Tagen vor meinen Augen gerissen. Es ist nicht mehr, wie es war. Wohin ist unser Ansehen, wohin die Kriegszucht, wenn so kleine Derangements schon solche Unordnung bringen. Die Offiziere mussten ein Auge zudrücken. Wenn das die preußische Armee betrifft! Wie hat man uns belogen! Ich hörte Stimmen aus dem Volke –« »Wir sind hier nicht in Preußen.« »Auch in unserem Heere selbst. Ich hatte nicht geglaubt, daß unsere Offiziere so gehasst sind! Dieser Widerwille gegen die Junkerherrschaft! Und sah ich's nicht mit eignen Augen! Die Brutalität gegen die armen Menschen, und diese alten Generale, denen drei Mann helfen mussten, um aufs Pferd zu steigen. Die in Weimar lachten, unsere Soldaten verzogen auch den Mund. Der wackere Rüchel suchte es mir zu verbergen. Ach, er ist auch gefürchtet und gehasst –« »Desto allgemeiner verehrt und geliebt ist Seine Majestät der König.« – »Gott sei Dank! Aber auch ich bin verredet, gehasst, verleumdet.« – »Um Gotteswillen, Ihro Majestät, es ist nur eine Stimme der Liebe und Bewunderung –« Durch einen Lärm draußen wurden sie unterbrochen. Eine durchdringende Stimme hatte schon aus der Ferne ein wiederholtes Zurück! gerufen. Die Pferde, entweder scheu geworden oder angehalten, hatten eine Bewegung nach rückwärts gemacht, auch der Wagen war davon zurückgestoßen, als man das Fenster von innen niederließ. Ein staubbedeckter Reiter sprengte mit verhängtem Zügel ihnen entgegen. Sein Wehen mit dem Tuche hatten sie in den Staubwirbeln, die um ihnen aufflogen, nicht gesehen. Jetzt hielt er am Kutschenschlag. – Da kam ein Schrei aus dem Wagen. Der Anblick konnte wohl ein zartes Frauenherz außer sich bringen. Er hing mehr, als er saß, auf dem Pferde, ein leichenblasses Todtengesicht mit gläsernen Augen und stierem Blick. Der Hut war ihm vom Kopf geflogen, die Haare hingen in zerrissenen Streifen vom Scheitel. Wie gänzlich vom Ritt erschöpft, hielt er sich mit den Händen am Sattelknopf, während die Lippen konvulsivisch bebten im Versuch, Worte hervorzubringen. Jetzt gelang es ihm, er riß zugleich Briefe aus der Brust, die Worte kamen abgebrochen vor: »Zurück – die Königin muß zurück – die Feinde in Naumburg – die Brücken genommen, Franzosen auf den Höhen von Kösen – ein Angriff von dort!« – »Die Franzosen!« schrien zehn Stimmen. »Wir sind verloren!« die Hofdamen. »Kehrt! Kehrt! Auf der Stelle Kehrt gemacht!« kommandirten die Stallmeister. »Ist schon Gefahr?« rief die Königin zum Fenster hinaus. Ihr Blick schien dem Erschöpften auf einen Augenblick Besinnung und Kraft wiederzugeben. »Noch nicht – noch um Stunden sind sie zurück – mein guter Renner – aber Majestät muß nach Weimar zurück, über den Harz ist noch ein sicherer Rückweg. – Diese Schreiben an den König! – Schreiben der Arglist – traue Niemand.« Die Briefe flogen aus seiner zitternden Hand grade noch in den Wagen, als dieser Kehrt machte und die Insitzenden den Reiter aus dem Gesicht verloren. Es war gut, daß die Hofdamen Riechfläschchen bei sich führten, ein Händedruck der Königin wirkte indeß vielleicht doch belebender. Luise hielt mit der Linken Adelheids Hand, während sie aus dem Fenster mit den Stallmeistern und den begleitenden Offizieren sprach. » Die Gefahr ist vorüber!« sagte sie, den Kopf zurückziehend. »Er stirbt!« rief Adelheid mit einer ohnmächtigen Bewegung, sich aufzurichten. Dann ward sie still und blickte ruhig vor sich hin. Wer Zeit und Sinn dafür gehabt, sie zu beobachten, würde jetzt ein Lächeln auf ihrem Gesicht erblickt haben. Wer hatte Sinn dafür, wer Zeit! Der Wagen schien sich nicht fortzubewegen: alles Peitschen und Fluchen war vergebens bei den müden Thieren. Endlich stürzten sie; es war aber am Eingang ins Dorf. Gefahr war nicht mehr, denn von der preußischen Avantgarde war das Dorf schon besetzt. Rüchel hatte einen Adjutanten der Königin nachgesandt, dessen Meldung mit der des Reiters übereinstimmte, sie müsse in Eil nach Weimar zurück, von dort seien Relais und Escorte nach Sondershausen und dem Harze für sie bereit. Aber noch fehlten die Pferde, auch am Wagen war etwas zu bessern. Die Königin ging ins Dorf zurück. Sie sprach lebhaft mit den Offizieren. Sie schien in raschen, scharfen Fragen den Sinn jeder Falte auf ihrem Gesicht entdecken zu wollen. Adelheid wankte allein. Er kam noch nicht. Sie wagte nicht zu fragen; sie stand, ohne zu wissen wie und warum, auf dem Kirchhof. Ein angelehntes Hinterpförtchen führte in die Kirche; eine einfache gothische Landkirche von Steinquadern, mit einer Balkendecke. Und doch hatten Reste von bunten Scheiben in den Spitzbogenfenstern sich erhalten; spinneumwebt, verdunkelt von Staub und Wetter, und doch genug Farbe enthaltend, um dem Sonnenschein, der eindrang, eine dumpfe, gelb brennende Färbung zu geben. Sie passte zu ihrer Stimmung. Ob der Schein sie lockte, ob eine Ahnung? Sie war eingetreten. Sie sah nichts von den Schrecken. Vielleicht waren sie schon entfernt. Auf den Stufen am Hochaltar lag der Bote, welcher der Königin die Rettungspost gebracht. Sein Pferd hatte sich losgerissen von den Vorreitern, die es auf einen Wink des Stallmeisters am Zügel führen sollten. Der Mann selbst war ja nicht mehr im Stande, es zu lenken. Im Dorfe war das Thier gestürzt mit seinem Herrn – ein heftiger, tödtlicher Blutsturz. Louis Bovillard hatte sich nicht mehr aufrichten können, der Pfarrer hatte ihn in die Kirche tragen lassen. Der Sonnenschein fiel durch die gelben Scheiben grade auf sein Gesicht, als Adelheid eintrat. Sie schrie nicht auf, sie rang nicht die Hände, ihre Knie zitterten nicht. Schien es doch, als sei es nur die Erfüllung von etwas, was sie längst gewusst. Die Hände faltend blieb sie noch in der Entfernung stehen und blickte auf ihn, wie man zum ersten Mal den Grabstein eines theuren Verblichenen erblickt. Nicht einmal eine Thräne stürzte aus ihrem Auge. Aber etwas hätte sie befremden mögen, – auf der Stufe drunter die jugendliche Gestalt eines Weibes; sie hatte ihr Tuch über seine Füße gebreitet und ihr Gesicht in seinen Schooß gedrückt. Ein Bildhauer hätte die Figur der Trauer nicht besser dargestellt. Ihr aufgelöstes Haar wallte um ihren Nacken. Auch die Anwesenheit dieser Trauernden störte sie nicht. Sie war jetzt neben ihm niedergekniet und hatte die kalte Hand erfasst, die sie an die Lippen drückte. Sie schien zu beten, als es hinter ihr rauschte; die Königin legte die Hände sanft auf ihren Scheitel; »Mein Kind, es trifft Jeden sein Theil und Du warst darauf vorbereitet.« – »Wenn er nur noch einmal die Augen aufschlüge!« athmete sie leise. – »Um meinen Dank in den Himmel mitzunehmen, denn er hat seine Königin gerettet. Ich kann ihm nicht mehr danken.« – »Doch, Königin.« sprach Adelheid, sich umwendend. »Gönnen Sie mir die Freiheit, lassen Sie mich hier zurück. Ich war seine Braut vor Gott und vor Ihnen, er darf nicht verlassen sterben. Die Pflege ist spät, aber den letzten Dienst kann ich ihm erzeigen. Lassen Sie mich ihm die Augen zudrücken.« Da richtete sich das verwilderte Mädchen etwas auf und starrte die Hinzugekommenen an. Der Traum der Wahrheit schien durch ihre brechenden Augen zu dämmern. Die Gräfin Voß war an die Königin, die zweifelnd dastand, getreten und flüsterte ihr zu: »Wenn Ihro Majestät das zugeben, ist es absolut unmöglich, daß die Demoiselle ferner, in welcher Stellung es sei, in Dero Nähe verweilt. Ja, wenn sie nur getraut wären –« In dem nächsten Augenblick geschah vieles. Der alte Geistliche hatte sich über den Sterbenden gebeugt: »Er athmet noch.« – Das Mädchen zu seinen Füßen rief wie in wahnsinniger Freude: »Louis schlägt die Augen auf.« Der Sonnenschein hatte eine rothe Scheibe getroffen, und ein rosiger Schein breitete sich über die eng zusammengedrängte Gruppe aus. Der Todte lebte noch, er schien zu lächeln, er erkannte die Gegenstände. Die Königin aber hatte im nächsten Augenblicke mit dem Prediger heimlich gesprochen. »Ich übernehme alle Verantwortung.« Der Geistliche erwiderte: »Auf die wage ich es selbst vor dem höchsten Richter, wo ich bald mit ihm erscheine. Aber hat er die Besinnung – und die junge Dame?« – »Sie wird ihr Ja deutlich sprechen,« hatte die Königin geantwortet und flüsterte Adelheid etwas ins Ohr: »Bleib' knieen, mein Kind!« Da wollte es der Zufall, während der Pfarrer in Kürze die liturgischen Formeln der Trauung sprach, daß ein Knabe des Küsters auf der Orgel intonirte. Der Sterbende wollte den Kopf aufrichten, das gelang ihm nicht, aber von seinen Lippen kam es: »Da rufen sie uns!« Der Prediger sah froh der Königin ins Gesicht, welche Adelheid schnell einen Ring an den Finger gesteckt hatte. Das fremde Mädchen aber hielt den Kopf des Sterbenden, während der Prediger die Ringe wechselte. Als er die entscheidende Frage that, antwortete ein Ja so wunderbar laut, daß es die Orgel übertönte. Es war sein letztes Wort. Kaum daß der Segen gesprochen, sank er röchelnd nieder. Der Brautkuß war der Sterbekuß. Das fremde Mädchen weinte und lachte: »Ich habe doch seinen letzten Händedruck.« – Die Königin sagte: »Ich konnte ihm doch danken.« Der Wagen stand fertig vor der Kirchenthür. »Frau von Bovillard! sprach feierlich die alte Voß, Ihro Majestät sind bereit.« Die Fürstin sah fragend auf die Trauernde. Ihr Blick schien zu sprechen: »Willst Du mich jetzt verlassen!« Der Geistliche sagte: »Für die Todten sorgt Gott und die Kirche. Wer noch Pflichten im Leben hat, fliehe von hier. Den Todten ist wohler in der Erde als den Lebendigen, wo die Verwüstung ihr Reich aufschlägt.« Das fremde Mädchen schrie wie im Irrsinn auf: »Er wird nicht allein begraben werden.« 85. Kapitel. Ein Frühstück bei Dallach Fünfundachtzigstes Kapitel. Ein Frühstück bei Dallach. Es ist in der Luft eine Magie, die unsere Wissenschaft noch nicht erklärt hat; eine Kommunikation durch unfassbare Organe, welche die Begebenheiten verbinden. Unergründlich nannten unsere Väter eine Tiefe, die sie noch nicht ergründet; unfassbar hätten sie das Lichtbild genannt, wir lernten es fassen und festigen auf der Platte, und an Drahtseilen fliegt der Gedanke hunderte von Meilen in Sekundenschnelle, und drückt sich auf die Tafel in bunten Buchstaben, für jedes Auge lesbar. Dieses Lichtbild spiegelte sich auch schon vor den Augen unserer Väter, der Gedanke flog auch da mit derselben Schnelle, nur fassten sie ihn nicht, weil ihnen die Verbindungsmittel unbekannt waren; weil sie die Platten und die Drahtseile nicht sahen, tauften sie es Wunder. Alte Leute entsinnen sich, daß man in der Stille der Nacht nach dem 14. October vor Berlin auf der Erde die Schläge des Kanonendonners von Auerstädt hatte hören können. Von Andern sagt man, daß sie am folgenden Tage schon den Ausgang der Schlacht gewusst. Aufgeklärte meinten, das sei nur die Nachdröhnung gewesen von dem unglücklichen Gefecht von Saalfeld, die als Vorahnung gespukt. Nicht Alle waren es, es waren nur Wenige, darunter zwei, die wir kennen. Der Rath Fuchsius konnte in der Nacht nicht schlafen, seine Beängstigung ward gegen Morgen immer größer. Er horte die Kanonenschläge, sein Bett schien unter ihm zu zittern; wie fest er auch die Augen zudrückte, er sah immer wieder den hellen Schein, wie ein Nordlicht, das am äußersten Horizont aus der Erde quillt. Er zündete das Licht an und ergriff eine Lekture, es war ein Band des Shakespeare. Die Stelle aus Macbeth, die er aufschlug, war nicht geeignet, seine Träume zu beschwichtigen: Die Nacht war stürmisch; wo wir schliefen, heul' es Den Schlott herab; und wie man sagt, erscholl Ein Wimmern in der Luft, ein Todesstöhnen, Ein Prophezein in fürchterlichem Laut, Von wildem Brand und gräflichen Geschichten, Neu ausgebrütet einer Zeit des Leidens, Der dunkle Vogel schrie die ganze Nacht durch: Man sagt, die Erde bebte fieberkrank. Er sah die Schlacht, die meilenweit sich dehnende, mit ihren wankenden und wogenden Linien, den dampfenden Batterieen, den Kavallerieattaquen, und so gewiß er das Herz unter der Brust pochen hörte, so centnerschwer drückte ihn eine Gewißheit – daß er nichts Frohes sah. Um den fürchterlichen Alp los zu werden, zündete er noch ein Licht an und begrub sich unter seinen Akten. Auch aus diesen Bergen stiegen Dünste, tiefe Schachte öffneten sich, deren Ende er nicht sah, und Sphinxe lagerten sich vor dem Eingang. »Ein Weib, das selbst eine Sphinx ist,« rief er, sich im Armsessel zurücklehnend, »und der Oedipus will nicht erscheinen. Die Thatsache liegt nackt da, und alle Bezüge, Fäden, die zu einem Motiv führen, plötzlich abgeschnitten!« Er blätterte weiter in einem Konvolut. Es waren Privatkorrespondenzen der gefangenen Geheimräthin: »Welcher Verstand! welche klare Erwägung der Verhältnisse, welche ruhige treffende Beobachtung im Urtheil über Personen! Und nirgends nur ein Wink von auswärts her! Alle ihre Verbindungen bestehen die Probe. Und vor allem dieser!« Er überlas noch einmal die Billette, welche Wandel an die Lupinus gerichtet, und die mit ihrer ganzen Korrespondenz zu den Akten genommen waren. Er fuhr, wie ein Unzufriedener mit sich selbst, mit beiden Händen über das Gesicht: »Wie ein Kriminalrichter sich in Acht nehmen muß, auch auf den dringendsten Verdacht hin, eine bestimmte Meinung zu fassen! Wie leicht verführt er sich, und wie schwer wird es ihm, dann wieder auf den richtigen Weg einzulenken! – War ich nicht schon innerlich überzeugt von der Identität jenes von der französischen Justiz verfolgten Aventuriers mit Herrn von Wandel! – Seine Verbindung mit meiner Giftmischerin erschien mir als ein nur zu deutlicher Fingerzeig! – Selbst die kecke Weise, wie er sich mir damals aufdrängte, konnte mich noch nicht ganz überzeugen. Man hat Beispiele – und er ist klug, sehr klug! – Aber diese Briefe an die Lupinus! – Der klarste Spiegel einer unbefangenen Seele, besser als er sich selbst darstellt. Er mag anderweitig – aber in dieser Sache ist er nicht implicirt. Nichts von Ostentation, Raffinement! Er schreibt wie ein welterfahrener Mann. Seine Rathschläge, wie vernünftig! Er warnt sie vor der Exaltation, ihr aufrichtiger Freund; anfänglich zwar scheint ein anderes Gefühl im Spiele, die Neigung steigert sich, aber dann dies allmälige Zurückfallen in den Ton der Achtung und des Respektes. – Schade, daß ihre Briefe fehlen! ja eine Ahnung von dem, was in ihr vorging, mag er gehabt haben, darum zog er sich zurück. Und soll ich es ihm als Verbrechen anrechnen, daß er sich jetzt Mühe giebt, eine von ihm hochverehrte Frau zu vertheidigen? – Als Kriminalist sollte ich es vielleicht, als Mensch kann ich es nicht.« Fuchsius war an ein anderes Konvolut, das auf einem Nebentisch lag, getreten. Es waren französische Akten, er nahm eine Silhouette heraus und hielt sie ans Licht: »Und was bedeutete die Aehnlichkeit eines Schattenbildes mit einem lebendigen Menschen, wenn sie zu entdecken wäre! – Und dann, wie vieler Jahre Staub hat an diesen Papieren gezehrt! – Uebrigens –« sagte er mit wehmüthigem Lächeln – »muß man die Gefälligkeit der französischen Behörden bewundern. Daß wir in einem Kampf auf Leben und Tod sind, in einem Kriege, der sie verpflichtet, Tausende und aber Tausende der Unsern umzubringen, hindert sie nicht, uns in unserm köstlichen Rechte beizustehen, damit wir ja nicht fehl gehen, ein uns verfallenes Justizopfer, und wäre es auch aus ihren Reihen, zum Tode zu fangen! Welche Zuvorkommenheit! Es war Laforest's letzter Akt hier, unserm Kanzler die Akten aus Paris zu kommuniciren. Eine schöne Sache um das Band der Civilisation! Die Revolutionen, die große Verbrecher krönen, retten die kleinen nicht vorm Galgen. Die ganze Welt wird für ihn zum Netz und ein Verbrecher findet in keinem Staat und keinem Volke mehr ein Asyl!« Er war ans Fenster getreten. Als er nach den Sternen ausschaute, sah er einen fernen Lichtschein. Es kam aus einem Hoffenster in einer jenseits gelegenen Straße. Er kannte die Straße, das Haus, das Fenster. Hier wohnte der Legationsrath. Das Fenster gehörte zu seiner Küche, die Küche diente ihm zum Laboratorium. Was konnte Wandel so früh hier zu schaffen haben? Er war ein Nachtschwärmer; er experimentirte nie anders als bei Tageslicht, hatte er selbst zu Fuchsius gesagt. Was präparirte er jetzt? Es war zwischen drei und vier. Und das Licht verschwand nicht. Gedanken durchzuckten ihn in rascher Folge. Was kann er in dieser Nachtstunde experimentiren? Warum die Heimlichkeit? Warum hat er, bei aller Offenherzigkeit in andern Dingen, Niemand klaren Wein über seine Vermögensverhältnisse eingeschenkt? Warum schweigt über ihn der alte van Asten, der einmal merken ließ, daß er etwas wisse, und jetzt behauptet, daß er nichts weiß? Er hatte Wechsel von ihm in der Hand! – Wechsel! Fuchsius sah Wandel schreiben. Er rieb sich wieder die Stirn. Plötzlich saß er am Tisch und wühlte in den französischen Akten. In einem kleinen vergilbten Handbillet verfolgte er mit dem Auge und mit dem Finger die Buchstaben. Ebenso rasch riß er das vorige Aktenstück herbei, und verglich Wort um Wort, es schien Buchstabe um Buchstabe. Es war ein französisch geschriebenes Billet Wandels an die Lupinus: »Welche täuschende Waffe die Aehnlichkeit der Schriftzüge! Wie man auch da sich in Acht nehmen muß!« Aber plötzlich vergrößerten sich seine Augen, sein Mund öffnete sich – ein, zwei – drei Worte – nicht nur die Schriftzüge der Buchstaben, die Schleifzüge, die Abbreviaturen waren dieselben, auch die ungewöhnliche Orthographie. »Florestan Vansitter!« rief er aufstehend, und es schien, als fröstele ihn. Er warf einen Blick in den Spiegel, sein Auge glänzte ihm entgegen, ein Glanz, den man der Freude beimisst. »Pfui,« entfuhr es seinen Lippen. »Ist das nicht die kannibalische Lust des Menschenfressers, wenn er sein Opfer auf Schußweite erblickt! O du Mantel der Humanität, der uns so schön sitzt, aus welchen Mondscheinspinnefäden bist du gewebt!« Als er sich angekleidet und der graue Tag schon durch die Fensterscheiben blickte, stand ein junger Mensch in unansehnlicher Kleidung vor dem Rathe. »Nichts von Wichtigkeit,« antwortete der Eingetretene auf eine Frage des Rathes. »Ihr Benehmen im Gefängniß bleibt dasselbe. Sie ließ den Hofrath Heim, der ihr die Wahrheit sagte, anlaufen und verbat sich seine fernere Theilnahme.« – »Sie kennen wir« , entgegnete Fuchsius, »aber mein Auftrag war, daß Sie auf alle Ereignisse und Bewegungen in dem Kreise Acht hätten, dem sie bis jetzt angehört. Was haben sie da beobachtet, Eckard?« – »Nicht das Geringste, was zur Sache gehört,« erwiderte Eckard mit einiger Selbstzufriedenheit. »Ob es dazu gehört, werde ich beurtheilen. Was macht ihr Schwager?« – »Er wird sich doch nicht freuen, daß er pensionirt ist. Der Auszug aus seiner Amtswohnung in der Voigtei liegt ihm noch in den Gliedern. Er spuckt. Neulich in der Weinstube bei Sala Tarone ließ er einen Witz los. Sie haben darüber gelacht. Das passirt ihm jetzt selten,« – »Welchen?« – »Damals, als er wirklich eine Bêtise begangen, sagte er, nämlich mit den Gefangenen, sei er mit blauem Aug' davongekommen, und jetzt müsse er büßen, wo er unschuldig sei wie ein neugeboren Kind. Er hätte doch seinem Bruder nie was zu trinken gegeben. Nun müsse er aus Haus und Brod, bloß weil es sich nicht schicke, daß er der Kerkermeister seiner Schwägerin würde.« – »Die Justiz ist blind, trifft aber in der Regel doch am rechten Fleck. Noch etwas von ihm?« – »Er heirathet sie. Das ist abgemacht. Im Dom ist schon die Trauung bestellt.« – »Aus Depit, daß er die Voigtei verlor?« – »Nun ja! Er sagt aber, weil er das Heulen der Charlotte nicht länger aushalten können. Das ist wahr, ihr Wachtmeister ist bei Saalfeld niedergehauen, als er den Prinzen raushauen wollte.« – »Was ist denn nicht wahr?« – »Daß der Major Stier von Dohleneck auch da geblieben wäre. Der ist nur blessirt vom Pferde gefallen. Sie haben ihn splitternackt ausgezogen, dann gefangen genommen, dann hat er ihnen sein Ehrenwort geben müssen, und so kommt er retour nach Berlin. Die Baroneß Eitelbach weiß es nur noch nicht; sie geht schwarz.« Der Vigilant musste sehr genau, auch mit den inneren Familienverhältnissen, vertraut sein. Ein flüchtiges Lächeln ging über die Lippen des Rathes. »Was macht Geheimrath Bovillard?« – »Sieht schon wie eine Leiche aus. Larirt einen Tag um den andern; zur Abwechselung nimmt er auch Vomissements. Der Legationsrath Wandel sagt, wenn er so fortführe, würde es ihm ans Leben gehen. Es sei kein Spaß damit. Die Ruhr geht ohnedies bei der Witterung um, und die Werderschen bringen unreifes Obst. Man wisse aber garnicht, was noch daraus werden könne, denn die Ruhr könne noch was ganz Anderes sein, woran jetzt kein Mensch denkt.« Fuchsius hatte nur auf den einen Namen Acht gegeben: »Läßt der Legationsrath sich viel beim Kranken sehn?« – »Nicht eben. Er steckt ja fast immer bei der Braunbiegler. Auch mit dem Baron Eitelbach hat er viel zu schaffen. Der mag ihn nicht; aber er läßt ihn nicht los. Besonders wenn er in der Fabrik ist, da spricht er in allen Dingen mit.« Der Baron sagte: »wenn er mal in den Farbekessel fiele, dann wäre auch nichts verdorben, als die Farbe.« – »Eckard!« Der Rath zog ihn in den Winkel, als könnte die Luft hören, was er ihm zu sagen hatte. Er schloß: »Von jetzt ab vigiliren Sie auf ihn, Schritt und Tritt. Sie lassen ihn keinen Moment aus dem Auge, wo er hingeht, an wen er Briefe abschickt, von wo er Briefe empfängt, und wo möglich sehen Sie durch seine Wände.« Auch der Legationsrath konnte in der Nacht nicht schlafen, auch er hörte den Kanonendonner, auch unter ihm zitterte das Bett, der Himmel leuchtete, er sah die Bataillelinien hin und her schwanken und war aufgesprungen, um Herr zu werden seiner Sinne. Er zündete eine chemisch präparirte Kerze an, welche einen besonders hellen Schein warf, und trat, was er wirklich selten bei Nacht that, in sein Laboratorium. Alles, wie er es am Abend verlassen, dort hingen die Bilder, da das Gerippe, die Retorten, Kolben, Tiegel auf dem Heerde; einige kleine Fläschchen, auf die sein Auge zuerst fiel, standen wie zur Abkühlung am Fenster. Er hielt den Athem an, wie um zu horchen. Es bewegte sich außer ihm etwas. Er biß sich in die Lippen: Thorheit! es ist die aufgeregte Phantasie! Da bewegte sich das Gerippe sichtlich, ein schrillender Ton kam aus der Mundhöhlung, es rauschte etwas heraus, es wehte durch die Luft und das Licht erlosch. Wandel sank nicht zu Boden, aber er presste den Leuchter so fest, daß das Metall eingebogen war, der Todtenschweiß, der von seiner Stirn tropfte, hatte ihn aus seinem Starrkrampf geweckt. »Von einem Nachtvogel sich erschrecken lassen, der in seiner Angst durch den Schornstein eindrang!« rief er, nachdem er mittelst eines chemischen Feuerzeuges das Licht wieder angezündet. »Flattre nur, Unhold, Du bist kein Leben, und lügst keines mehr der schönen Hülle an. Es giebt keine Geister, nur Spuk, den, den die Schwäche unserer Nerven gebiert. Aber ein Spuk und eine Verhöhnung unserer Kraft, daß wir uns zumeist von Denen in Angst setzen lassen, die selbst vor Angst aus sich herausgehen.« Aber weshalb war er hier? Um mit den Gespenstern, an die er nicht glaubte, eine Lanze zu brechen? – Warum hatte ihn die Dröhnung des Kannonendonners, warum das Phantasma der Schlacht aufgeschreckt? Berührte ihn der Ausgang, welcher es sei? – »Doch!« rief er plötzlich. »Das ist der Vortheil jener chaotischen Katastrophen, welche die kleine Menschenwelt und ihre Ameisenhaufen, Staat und Gesellschaft genannt, durcheinander werfen, daß wir uns da frei fühlen. Wo das Haus über ihren Köpfen zusammenbricht, merken sie nicht das Insekt, das sie sticht. – Die Kerker öffnen sich – vielleicht! Es wird vergessen, Alles – nein, doch Vieles – auch das? – Vielleicht.« Er nahm die Fläschchen, hielt sie gegen das Licht und that sie dann in ein Etui »So viele Arbeit um – eine Bagatell. Ich ging doch an schwerere mit leichterm Muth, fast im elastischen Tänzerschritt. Aber der alte Asten hatte Recht. Die Polypragmosyne hat mir Schaden gethan. Das erste Gesetz lautet: nicht zu Vieles im Aug! Dies Abwägen verwirrt und schwächt unsere Sehkraft. Rasch drauf los. Die Weisheit unserer Väter: Frisch gewagt, halb gewonnen! Es ist eine ewige alte Fabel vom Hunde und dem Fleisch, und doch, wer wehrt sich vor dem Blendwerk, daß ihn das große Bild im Wasser verlockt. Und das: Morgen, morgen, nur nicht heute – wie viel kühnen Entschlüssen brach es den Hals.« Und doch schien er selbst durch hervorgezogene Sprüchwörterphilosophie entweder sich Muth einzusprechen, oder sich immer noch einen Aufschub abzulisten. Er packte die Fläschchen aus, um zu sehen, ob sie auch eingewickelt, waren. Er befühlte auch Gegenstände, die er nicht mitnehmen wollte. Es war so heiß in der Küche, ob von der eingeschlossenen Luft oder von seiner inneren Hitze? Schon hatte er die Thür in der Hand, als er zurückkehrte. Ihm fiel ein, daß er auch auf die schlimmste Eventualität sich waffnen müsse. »Sie dürfen auch nicht das finden, was sie bei der Lupinus gefunden.« Er musste schon vorgearbeitet haben. Nur aus einem Tiegel schabte er vorsichtig den Bodensatz und warf ihn in den Abzugsgraben. Dann streute er verschiedenen Farbenpuder verschwenderisch umher. Die Küche bekam dadurch einen Wohlgeruch: »In meinen Schminkpräparaten mögen sie meine Arkane entdecken.« Dann näherte er sich dem Gerippe: »Wieder eifersüchtig? Gieb mir die Hand, Angelika.« Sie gab sie ihm, aber schüttelte er so heftig, oder war der Wandnagel lose? Das Knochenweib stürzte herab. Wir wissen nicht, ob er geschaudert, doch schnell hatte er sich und das Gerippe gefasst: »Das hätte ein böser Fall werden können, wie damals, als Du vom Pferde sprangst und ich Dich auffing. Du nanntest mich Deinen Lebensretter. Ja, ein theurer ward ich Dir. Zwei Mal für das eine Bischen Rettung nahm ich Dein Leben. Ihr armen jungen Weiber! Mit Eurem warmen Blut und leichten Sinn seid Ihr nun einmal vom Fatum destinirt, in unsere Netze zu flattern. Hier lernte ich Klügere, Kältere kennen, die auch denken, sogar berechnen konnten. Das war Euch unmöglich. Und doch weiß ich nicht, ob Ihr nicht die Glücklicheren seid. Ihr nipptet und dann schlürftet Ihr die Wonne des Lebens in vollen Zügen. Dann – mit einem Mal – war es aus! Aber jetzt – jetzt – mach' mir das Leben nicht schwer. Du könntest hier an der Wand in einem unbedachten Augenblick plaudern. Dort im Kasten bist Du nicht gefährlich, Du bist ein Präparat, eine anatomische Studie. Ruhe da sanft, und was würdest Du sagen, Liebchen, wenn ich Dir über Jahr und Tag eine Gesellschafterin zulegte? Schön und groß wie Du, aber etwas dumm. Was thut das? Sie wird Dich nicht langweilen. Sie ist stumm wie Du. Und wenn Ihr Beide dann friedlich neben einander ruht, sieh, den Trost gebe ich Dir, bei Dir wird mein Sinnen bleiben, wir werden nach wie vor kosen, bei Dir werde ich mir Rathes erholen, Du wirst mich verstehen. Die Andere ist eine Gliederpuppe, jetzt gelenkig, dann wie Du, aber Deine Folie. Adieu, mein Herz!« Und wer behauptet, daß seines nicht doch schlug, daß der kalte, grässliche Hohn auf seinen Lippen nicht nur der Mantel war, der die Natterstiche, das konvulsivische Aechzen, die Qualen, die keinen Namen haben, bedecken sollte? Nicht täglich, wie er der Lupinus log, drückte er das Gerippe an seine Brust. Es waren nur die fürchterlichsten Momente, wo er Kraft bedurfte, und er konnte sie in sich nicht finden. Wer sah den Angstschweiß auf seiner Stirn, wer, wie die Kniee wankten, wie er sich an das Treppengeländer hielt, als er herunter stieg. Es war ein saurer Gang. Warum? das wusste er sich nicht zu sagen. Er hatte schon viele Gänge der Art gemacht. Aber draußen sah man ihm nichts davon an. Wie der Hahn, um die Witterung anzukrähen, schlürfte er sie ein. Die Luft war grau, regenhaltig, eine bange Stimmung, wie sie einem großen Unglück vorangeht. Der Tausendkünstler hatte schnell die Physiognomie sich angeeignet. Wo fand er nicht auf der Straße Bekannte! Wo sah man sich nicht ängstlich an, hatte sich trübe Nachrichten, bange Ahnungen mitzutheilen. Schon wandelten Frauengestalten in Trauer, die frühe Nachwirkung des Gefechtes von Saalfeld. Der Baron Eitelbach ging zur Börse. Er ward unterwegs von Mehreren angesprochen. Man kondolirte ihm. »Wie nahm sie's auf?« – »Ich kann wohl sagen, sie deployirt eine große Seelenstärke.« – »Ist's denn auch ganz gewiß?« – »Na, warum denn nicht? Sein Neveu, der Wolfskehl, hat ihn selbst vom Pferde hauen sehen; er hat's hergeschrieben.« Der Legationsrath trat in dem Augenblick an die Gruppe, und es war der vollste Ausdruck inniger Theilnahme, mit der er dem Baron die Hand drückte: »Sie sind ein Mann.« Er zog ihn etwas bei Seite. »Und sie ist eine Frau, die durch Leiden geadelt wird. Ich bin überzeugt, daß dies Unglück den wahren Bund Ihrer Seelen nur fester schlingen wird. Es ist schön, es ist edel – ich sage nicht groß von Ihnen, daß Sie ihre Empfindungen durch solche Theilnahme ehren.« – Als noch Jemand an die Gruppe getreten, war der Legationsrath plötzlich fortgesprungen. Fuchsius sah ihm verwundert nach, aber noch verwundeter sah er dem zu, was Wandel begann. Er unterhandelte mit einer Obsthökerin. Er zog die Börse und schien eine ahnsehnliche Summe ihr in die Hand zu drücken. Dann nahm er plötzlich die Körbe mit Birnen und Pflaumen, den ganzen Vorrath der Händlerin, und warf ihn in einen der tiefen Rinnsteine, die den ganzen schwimmenden Vorrath alsbald in ein Abzugsloch trieben. Die Straßenjugend jubelte, Andere jubelten nicht, sie schimpften auf den vornehmen Herren, der so mit Gottes Gabe umgehe; statt armen Leuten sie zu schenken, verderbe er sie. Es gab einen kleinen Auflauf, aus welchem Wandel sich nur mit einiger Mühe losmachte. Die Herren in der Gruppe hatten zwar mit Verwunderung zugesehen, doch ahnten sie die Aufklärung. Wahrscheinlich war das Obst unreif, oder der Legationsrath hielt es dafür. Er hatte schon an mehreren Orten von der unverzeihlichen Nachlässigkeit der Polizei gesprochen, daß sie solchen Verkauf zulasse, wo die Ruhr in der Stadt grassire, man wisse ja nicht, was noch daraus entstehe. »Ihre Intention in Ehren.« sagte Jemand zu dem Zurückkehrenden, »in dieser allgemeinen Kalamität ist es aber nicht recht, Anlaß zum Skandal zu geben. Das Volk ist ohnedem aufsässig.« – »Und was helfen zwei Körbe weniger!« – »Sie haben vollkommen Recht, meine Herren,« sagte Wandel, »doch wer ist Herr über seine Impulse! Zudem sehe ich ein Gespenst, welches mir fürchterlicher dünkt als alle Kriegskalamitäten, die uns noch drohen mögen. Noch ist es nicht hier, aber es wogt aus dem fernen Asien herüber, eine Pest, gegen die der schwarze Tod, das gelbe Fieber, und was sonst den Namen führte, unbedeutend erscheinen werden. Eine Krankheit, die ganze Ortschaften, Landstriche hinrafft, entwickelt sich in dem britischen Indien. Die englischen Aerzte geben entsetzliche Schilderungen und behaupten, daß sie ihren Siegerzug durch die ganze Welt halten werde. Sie nennen sie Cholera morbus, und was das Schrecklichste, es ist kein ärztliches Mittel dagegen zu entdecken. Sie fängt mit Vomiren an, heftiger Dyssenterie, dies steigert sich in wenigen Stunden bis zum Tode. Der geringste Diätfehler, namentlich der Genuß von unreifem, ja, selbst von reifem Obst ruft sie hervor. Ich kann Ihnen meine Besorgniß nicht verhehlen, ich hörte durch Selle vorhin von Fällen, die mich fürchten machen, daß sie schon in den Ringmauern von Berlin ist. – Ich bitte, lassen Sie sich nicht ängstlich machen, meine Herren, aber hüten Sie sich ja vor jeder Erkältung, vor Obstgenuß. Ja, ja, meine Herren, wir wissen alle nicht, was uns bevorsteht, und welche neue Wendung das Schicksal nimmt. Wo diese Krankheit grassirt, hört der Krieg von selbst auf. – Sie fühlen sich doch nicht unwohl, liebster Baron, Sie fassen sich an den Magen?« Der Baron hatte Melonen gegessen. Die Gesichter einiger Andern verriethen die Nachwirkung einer zu lebhaften Schilderung. Da erst erblickte Wandel den Rath Fuchsius. Er ergriff seine Hand: »Ach, mein werthester Freund! Vorsicht, Vorsicht, meine Herren, weiter nichts! A propos, was macht denn unser Freund Bovillard? Ich sah ihn seit vorgestern nicht.« Der Rath zuckte die Achseln: »Durch seine Selbstkur –« »Thut er Buße,« fiel der Baron ein, für die Gänseleberpasteten und Trüffelwürste, um die er seine Nebenmenschen übervortheilt hat. »Es hat Einer ausgerechnet, was er in seinem Leben verschlungen hat – die Summe ist gar nicht auszusprechen.« »Ich bin sehr um ihn besorgt,« sagte Wandel, den Kopf schüttelnd. »Die fixe Idee kehrt immer wieder. Und sonst die Raison selbst! Bestätigt sich noch das grässliche Gerücht, daß sein Sohn gefangen und als Spion – das Leben verloren hat – so gebe ich auch den edlen Mann verloren. Heim will es nicht Wort haben, aber – glauben Sie mir –« sprach er, Fuchsius bei Seite ziehend, »das sind schon die veritablen Symptome der Cholera. Ach, mein Gott,« sprach er, seine Hand drückend, »theuerster Freund, was macht denn unsere Freundin?« »Sie wird mit der Rücksicht behandelt, die ihre Bildung beansprucht.« – »Davon bin ich bei solchem Inquisitor überzeugt. Aber noch kein Geständniß, keine Regung des Gewissens?« – »Stolz, fest, starr wie immer.« – »Dann bin ich von ihrer Unschuld überzeugt. Jedes Weib verräth sich, wenn der rechte Inquirent zu ihrem Gefühle spricht.« – »Dieser Ausspruch des vollendetsten Weiberkenners sollte auch mir Beruhigung geben.« – »Nein, nein, inquiriren Sie, scharf und schärfer, nehmen Sie sie ins Gebet, wie ich jetzt meinen Baron. Er will noch nichts davon wissen, er ist ein starrer Anhänger des Alten, der gute Eitelbach, aber bei einer Flasche Burgunder hoffe ich es ihm einleuchtend zu machen, denn er ist doch ein guter Patriot –« »Was?« – »Daß wir unpatriotisch, unverantwortlich handeln, wenn wir nach wie vor unser Tuch mit Indigo färben. Wozu den Engländern den Gewinnst gönnen, wenn wir das Blau im Lande haben?« – »Wollen Sie die Uniformen in Berliner Blau tauchen?« – »Kein Scherz. Die Mark producirt seit alter Zeit einen Färbestoff in ihrer Waidpflanze, welcher bis zur Entdeckung der Schifffahrt nach Ostindien nicht nur für das Bedürfniß ausreichte, sondern für Brandenburg zum ergiebigsten Handelsartikel ward. Da verließ man die Produktion, natürlich, weil der Indigo wohlfeiler, besser präparirt war. Jetzt, durch die Kriegsverhältnisse, ist er nicht mehr wohlfeil, durch Sperrung der Schifffahrt kann er uns sogar ganz abgeschnitten werden, es ist also Aufgabe der Industrie, ein Surrogat zu finden, welches in diesem Falle schon vor uns liegt. Ich wage zu behaupten, der Indigo ist jetzt nichts gegen den Waid. Im Ernst, die Sache verdient Aufmerksamkeit. Uns in jeder Beziehung unabhängig vom Auslande zu machen, ist, dünkt mich, die erste Aufgabe jedes Patrioten. Bester Rath, beehren Sie uns mit ihrer Gegenwart bei Dallach, und helfen Sie nur unsern Baron von seinem eigenen Vortheil überzeugen.« Fuchsius war vermuthlich der Ansicht, daß es für einen Patrioten in dem Augenblick näher liegende Aufgaben gebe, als die Blaufärberei; er lehnte die Einladung ab. Auch der Baron schien nur ungern vom Arm des Legationsrathes fortgerissen zu werden. »Aßen Sie viel Melone?« hörte man im Abgehen Wandel zum Baron sagen. »So springen wir vorher bei Selle an; er verschreibt Ihnen eine kleine Magenstärkung.« Die Zurückbleibenden hörten nicht die Antwort, sie haben den Baron nicht wieder gesehen. Die Indigo- und Waid-Angelegenheit schien diesen um so weniger zu interessiren, je mehr der Legationsrath in ein wahres Feuer der Begeisterung gerieth. Auf dem Frühstücktisch, in einem separaten Zimmer der Restauration gedeckt, nahmen die Proben Tuch, mit Indigo und Waid gefärbt, und die Fläschchen mit Färbesaft fast mehr Platz ein, als die Teller und Flaschen aus Herrn Dallachs Keller. »Alles ganz schön,« sagte der Baron, »wenn nur –« »In Gedanken! Was ist's?« – »Wenn wir überhaupt noch blaues Tuch brauchen!« – »Was, Sie Patriot und verzweifeln! Was wollen Sie da am Fenster?« – »Ich dachte, wenn es ein Courier wäre.« »Wir sind unter uns, Patrioten Beide. Hören Sie, liebster Baron, und wenn's denn wäre, Tuch brauchen sie, so lange die Welt steht. Ist's nicht blaues, dann grünes –« »Und wenn wir französisch würden?« – »Changiren wir nur etwas das Blau. – Qu'importe! Der Weltbürger ist auch ein Patriot. Aber Sie trinken nicht. Schmeckt Ihnen der Burgunder nicht?« – »Das könnte ich Ihnen wiedergeben.« – »Ich bin etwas trunken, nicht vom Wein; aber ich möchte heut aller Welt um den Hals fallen. Mir ist, als stände mir etwas Erfreuliches bevor.« Herr Dallach war eingetreten und erlaubte sich, seinen Stammgästen eine Prise zu offeriren: »Herr Baron sehn etwas angegriffen aus. Ihnen ist doch wohl?« – »Es wird vorübergehen« sagte Eitelbach. »Er ist ein Anglomane, will an seinem Indigo festhalten, da sehn Sie, Dallach, das ist mit Waid gefärbt, wie ich Ihnen sagte – halten Sie's gegen's Licht – Der Baron krümmt es sich einzugestehen, das passirt so obstinaten Leuten. Aber was Teufel, Eitelbach! hätte er sich beinah vergriffen und aus der Färbeflasche eingeschenkt.« »In der Stadt ist man sehr unruhig.« sagte Dallach. »Niemand weiß recht was, aber es sollen beunruhigende Nachrichten eingelaufen sein.« – »Pah! nichts von Politik. – Herzensmann. Sie essen zu viel Kompott! Nach der Melone, Vorsicht! Vorsicht! Das merken Sie sich auch, Herr Dallach, nicht zu viel Obst Ihren Gästen, Sie haben es zu verantworten. Schicken Sie uns Portwein, der wird dem Magen des Barons gutthun.« Ein Zeichen für Herren Dallach, sich zu entfernen. Auch der Baron war einen Augenblick aufgestanden und wiedergekommen. Der Portwein schien ihm wohlzuthun. Und doch saß er wieder in sich versunken. Es war nicht seine Art: »Eine niederträchtige Geschichte. Denken Sie sich, der Schmeckedanz, der Kerl auf dem Mühlendamm – ein verfluchter Jude –« »Hat doch nicht Wechsel auf Baron Eitelbach?« – »Aber Dohlenecks Wechsel aufgekauft, Gott weiß wie. – Und nun der todt ist –« »Bravo! kann er sich Fidibus davon machen.« – »Nein, er schickt sie meiner Frau.« –»O, das ist zum Todtlachen.« – »Nein, zum Einlösen.« – »Ist der Kerl verrückt?« – »Wenn nur nicht ein Brief dabei wäre –« »Von wem?« – »Vom todten Rittmeister, ich meine, vom Major Dohleneck.« – »Schreiben die Todten wieder Briefe?« – »Nein, eh' er ausmarschirte. Solch ein Galimathias. Wenn er fiele, sollt' er sich nur an meine Frau wenden, die sei so sterblich in ihn verliebt, daß sie seine Ehre auch nach dem Tode nicht sitzen ließe. Bei Lebzeiten hätte er sie können um den Finger wickeln, und sie hätte gehörig blechen müssen. Und wenn sie nach seinem Tode nicht zahlen wollte, so –« »Schnell noch ein Glas Port. Ich kann mir denken, wie die Niederträchtigkeit Sie afficirt.« Der Baron saß zurückgelehnt auf dem Stuhl, leichenblaß. »Die Erzählung hat Sie angegriffen. Hoffentlich hat der Jude nicht die Effronterie gehabt, Ihrer Frau Gemahlin den Brief zu schicken.« – »Hat's! Das ist es eben.« – »O pfui! Sind Sie auch sicher, daß der Brief wirklich von Dohleneck ist? Ich hielt ihn für sehr beschränkt, aber ehrlich.« – »Das ist's eben – darüber heult sie mehr, als daß er todt ist.« – »Gemeine Seelen! – Nun hat sie ihn kennen gelernt. – Sie hat doch den Brief in gerechtem Zorn zerrissen und die Wechsel auch?« – »Nein – sie will sie auslösen – sie ist obstinat. Ich soll's aus ihrem –« »O, das müssen wir hindern – auf der Stelle – wir wollen zu ihr – Was ist Ihnen?« – Der Baron stürzte hinaus. Er kam nach einer Weile, von einem Kellner geführt, wieder herein. Wandel schien die Verwandlung auf seinem Gesicht nicht zu bemerken; in solcher Agitation ging er im Zimmer auf und ab: »Ich kann's mir denken – ihren Seelenzustand! Sie verachtet ihn. Und doch, sie will sich dadurch an ihm rächen, daß sie seine Manen beschämt. Das soll das letzte Opfer sein, was sie aus ewig von ihm scheidet. O, dort in jener Ewigkeit – mit welchem stolzen, vernichtenden Blicke wird sie ihm entgegentreten –« Der Baron hörte nichts davon, er konnte nichts davon hören. Der Legationsrath that einen Schrei – er riß die Thüren auf. Herr Dallach und die Kellner, die hereintraten, sahen die liebende Theilnahme, mit welcher Wandel dem Erkrankten den Kopf hielt. »Ein Arzt!« – »Ein Wagen!« – »Die verdammte Melone! Habe ich ihn nicht gewarnt?« Herr Dallach reichte dem Kranken wieder ein Glas Portwein. Er wehrte es mit der Hand ab, Wandel schenkte ihm ein Glas Wasser ein. Er athmete wieder auf. »Ach, das Wasser,« sagte Wandel, »wenn die Aerzte erst seine wunderbare Heilkraft ganz kennten! – Jetzt nur frische Luft!« Es kam kein Arzt, kein Wagen. »Die Stadt ist in Verwirrung.« »Würden Sie sich stark finden, theuerster Baron, zu Fuß nach Ihrer Wohnung – ich führe Sie.« Der Baron war aufgestanden: »Es wird gehen, es wird schon besser werden. Ich erhole mich.« – »Die verfluchte Melone!« knirschte Wandel und stampfte; er stülpte den Hut auf. Er zog den Wirth noch ein Mal bei Seile: »Herr Dallach, habe ich's nicht gesagt? O, es wird noch ärger kommen. Wir können uns gratuliren.« – »Was ist denn, Herr Legationsrath?« – »Die Cholera!« schrie er ihm ins Ohr. »Ein Anfall der asiatischen Cholera morbus! Und der Leichtsinn! Aber still, liebster Dallach, erschrecken Sie nicht Ihre Gäste; wir werden bald mehr hören.« 86. Kapitel. Das große Trauerhaus Sechsundachtzigstes Kapitel. Das große Trauerhaus. Wo der Trauerhimmel über eine ganze Stadt ausgespannt ist, wer achtet da sehr auf ein einzelnes Trauerhaus! Die Aerzte, nach denen Wandel geschickt, waren nicht zu Hause gewesen. Sei doch der Krankheitsanfall einer Art, daß ein gesunder Körper sich selbst heile, hatte er geäußert, oder wenn – dann war er plötzlich aufgesprungen, und ließ doch noch einen Arzt rufen. Er hatte ihm im Vorzimmer die Symptome beschrieben, sie hatten gelacht, und als der Doktor ins Zimmer trat, hatte er lächelnd den Puls des Kranken befühlt und auch lächelnd zum Baron gesagt: »Etwas Kamillenthee und Einreibungen – das wird den Patienten bald auf die Beine bringen, aber wenn er auf den Beinen ist, gnädige Frau, dann thun Sie mir den Gefallen und lassen ihn nicht wieder Melone essen und sich erkälten.« Liebevoller, aufmerksamer, aufopfernder, hätte ein Bruder den Baron nicht pflegen können. Tag und Nacht saß er abwechselnd mit der Baronin an seinem Bette. Er trocknete, er rieb den Leib er schenkte ihm den Thee, den er selbst vorher kostete. – Wandel stand am Fenster. Lärm, Unruhe, Hin- und Hergelaufe, kernige Fluchworte, dazwischen ein Geschrei, das hier in Heulen überging. Ein Reiter sprengte auf der Straße vorüber: »Das ist der Rittmeister Dorville. Ich fürchte, er bringt Uebles vom Schlachtfelde.« Eine Stimme rief zum Fenster hinauf: »Verloren! Es ist Alles verloren.« Was eine Stimme, was Stimmen! Es war Alles in der Stadt nur eine, und das war ein entsetzlicher Wehruf. Wohl Denen, die ihn laut machen konnten; der stumme Schmerz ist der tiefere. Er sprengt nicht immer die Brust, aber er stopft die Adern, er wirkt einen Niederschlag, der alle Funktionen der Glieder lähmt. Das Herz, das so muthig noch eben schlug, scheint still zu stehen, die Gedanken, die gradaus schossen, zittern und verirren. Es war kein lauter Aufschrei in der Stadt; kein Todeshieb, der eine Wunde öffnete, aus der das Herzblut mit einem Mal ausströmt; es war eine Quetschung, ein Niederschlag. Ein Uhrwerk war's, dessen Räder noch gingen, aber keines griff ins andere. Ein Knäuel von Hiobsposten wälzte, flog durch die Straßen. Die Franzosen hatten gesiegt, die Armee war in die Flucht geschlagen; die Besonnenen hatten wohl Recht, wenn sie schrieen, man solle zukochen, heizen, für Stroh, Decken, Quartiere und Lazarethe der Flüchtlinge sorgen, Andere schrieen nach Waffen und Widerstand. Da schreckte Beide die Nachricht zu blassem Verstummen: Nichts von Flucht und Widerstand! Unsere Armee ist aufgerieben, vernichtet, alle Generale, der König, der Prinz gefallen! Das ward zwar von Unterrichteten dahin korrigirt: die preußische Armee sei von den Franzosen nur umgangen worden, Napoleon habe sich zuerst bei Jena auf das Corps Hohenlohe geworfen und es vernichtet, darauf oder zugleich sei die Hauptarmee, wo der König und die Prinzen, bei Auerstädt total geschlagen, der Herzog von Braunschweig, der Oberfeldherr im Getümmel erschossen, und beide geworfenen Corps, auf einander gedrängt, würden von den Franzosen nach dem Rheine zu verfolgt; aber für die Begriffe der Masse war das zu schwer zu entwirren. Wenn auch einige Kluge kalkulirten, dann entferne sich ja die Gefahr, wenn noch Klügere meinten, es sei nur eine Kriegslist, um den Krieg nach Frankreich zu wälzen, so hörten Andere dafür schon, wenn ein Piket Husaren durch eine entfernte Straße preschte, die Vorposten der Franzosen in die Stadt einreiten. Andere aber hatten besser gesehen oder gehört, es waren Russen oder Engländer, die gelandet oder geflogen waren um Berlin beizustehen. Man sah Einige durch die Massen sich drängen. Aber wo Rathes sich erholen? Die Lenker des Kabinettes sollten im Hauptquartier sein. Hier klopften sie umsonst an die Thür eines Großen. Er lag in einer heftigen Kolik und hatte befohlen, Niemand vorzulassen. Ein Anderer war bei einem Andern, der Andere war aber wieder anderswohin geeilt. Im Gedränge trafen sich Zwei, die sich einst gesehen und seitdem nicht wieder, Walter und der alte Rittgarten. »Zum Gouverneur!« rief der Invalide. »Er muß die Trommel rühren lassen.« – »Trommeln! Das fehlte noch,« rief ein gutgesinnter Bürger, »um den Wirrwarr voll zu machen.« – »Es giebt nur Einen, und wenn Er nicht Hülfe weiß –« Walter ward durch einen lauten Aufschrei unterbrochen, der durch die Stimmen von Tausenden immer neu anwuchs. Das waren Laute des Schmerzes, aber auch der Freude – »Die Königin! die Königin!« In der Entfernung, bog ein Reisewagen um die Straßenecke. Thränen, Schluchzen, Jubelrufe! Es war in dem Gewirr nichts zu verstehen. Ein Tuch, ein Arm wehte heraus. Die Beiden, die sich eben gefunden, wurden wieder getrennt. Jeder hatte ein anderes Ziel. Aber die Stimmung schien sich geändert zu haben. Der Anblick der Königin hatte gewirkt. Der alte Rittgarten traf auf entschlossene Gesichter. Kernworte, Flüche! Da schüttelte Einer seinen markigen Arm. Rittgarten ergriff ihn. Er sprach Worte, die zum Herzen drangen. Als sie das Hotel des Ministers erreicht, hatte sich die Zahl bedeutend verstärkt; es waren kräftige Männer, alte Soldaten darunter. Wuth und Freude strahlte auf den Gesichtern. Wo war die alte Ordnung, die heilige Ruhe, wenn man berußte Arme, Schurzfelle auf den Treppen sah, Einige sogar bis in das innere Heiligthum gedrungen. Es musste hier schon viel vorgegangen sein, wenn wir den Minister, denselben, welcher den jungen Walter nach Karlsbad schicken wollte, zwischen diesen, selbst für die Antichambre ungeeigneten Gestalten umhergehen sehen, ohne daß sein Auge Blicke der Entrüstung warf. Nein, er trug weder Uniform noch Hofkleid, auch keinen Stern an der Brust, er ging nicht aufrecht und die Stirn leuchtete nicht vom Widerschein seiner unantastbaren Würde. »Meine lieben Freunde!« sprach er, zwischen den Eingedrungenen sich bewegend. Seine feinen aristokratischen Hände, stets in einer Position erhalten, die sie vor jeder Berührung schützen sollte, berührten doch freiwillig die Arme der Bürger, er drückte dem Nagelschmied die Hand, er legte sie dem patriotischen Stadtwachtmeister auf die Schulter: »Mein liebster guter Freund, nur keine Uebereilung.« »Aber, Excellenz, sie stürmen Ihnen das Haus!« riefen drei, vier Stimmen. Der Hausflur war voll, die halbe Treppe, sie drängten von außen, Andere standen im Hofe und gafften mit hässlichen Blicken die Reisewagen an, die in Hast bepackt wurden. Die Excellenz beugte sich übers Geländer, sie rang die Hände, es war der mildeste, freundlichste Ton: »Um Gottes Willen, meine Freunde, keine Uebereilung! Was wollen Sie?« Da brach es los, wie, ich weiß es nicht; es war aber das Unglück, daß Keiner wusste, was er wissen sollte. Es war die Wuth, die in hundert Lauten sich Luft machte. »Wir sind verrathen!« – »Der König und die Königin sind verrathen!« – »Das Vaterland ist in Gefahr« – »Die Franzosen sind vor der Thür!« »Ja, ja, meine lieben Freunde, um Gottes Willen ja, es ist wahr, wir sind Alle in Gefahr – aber was wollt Ihr was sollen wir thun?« Die im Hofe zeigten auf die bepackten Reisewagen: »Er kratzt aus, uns lässt er im Stich.« Ein höhnisches Gelächter verschlimmerte die Lage der Autorität, die es nicht mehr war. Da ward der Ruf laut: »Widerstand! Waffen! Ein Schuft, wer seinen König verlässt!« »Um Gottes Willen, verehrte Mitbürger! Ich beschwöre Sie, bedenken Sie Ihre Familien, Ihre lieben Kinder, Ihre Lage, diese Stadt! Es ist ein Unglück, ja ein großes, ein unermessliches Unglück, unsre Armee ist geschlagen, total geschlagen, wir wissen nicht wo sie ist. Wo eine so tapfere Armee erliegen musste, ist es Thorheit, ich beschwöre Sie, es ist Raserei an den geringsten Widerstand noch zu denken.« – »War's Thorheit,« rief eine Stimme, es war der alte Rittgarten, »als Haddick in unsre Straßen sprengte, daß die Berliner nicht zu Kreuz krochen? Raserei, daß sie Schanzen aufwarfen, daß wer eine Muskete tragen konnte, der Trommel folgte, als die Russen ihre Kugeln in die Friedrichsstadt warfen? Des Königs Hauptstadt ward gerettet!« – »Meine lieben, theuren Mitbürger, bedenken Sie doch die veränderten Verhältnisse. Wer war Haddick, wer die Russen! Der Kaiser Napoleon ist unüberwindlich. Sie waren selbst Militär. O erklären Sie Ihren Mitbürgern, daß aller Patriotismus und alle Bravour gegen ein disziplinirtes Heer nichts ausrichten. O mein Gott, stehn Sie mir doch bei, diese braven, rechtlichen, unsere Mitbürger vor einer entsetzlichen Verirrung zu bewahren.« »Excellenz,« erwiderte Rittgarten, »eine Schlacht können wir den Franzosen nicht liefern, noch besteht Bürger und Bauer vor Denen, die den Krieg erlernt. Das weiß ein Kind. Aber hier gilt's, was Keiner erlernt, was geboren ist: das Herz zeigen am rechten Fleck. Ist der König geschlagen, so gilt's, ihm aufbewahren als treue Unterthanen, unsern Muth, unsre Treue, uns selbst. Er wird wissen, ob er Berlin halten soll oder aufgeben, und an uns ist's, ihm die Entscheidung offen erhalten. Das ist unsre Schuldigkeit. Es gilt, der Obrigkeit, die er zurückließ, gehorchen, und wenn sie stumm bleibt, sie fragen was müssen wir thun, daß dem Könige seine Hauptstadt gerettet wird? Sind Soldaten da, so sammelt sie, sind's Invaliden, ruft sie auf, sie werden dastehen. Sollen die Bürger ihnen zutragen, schanzen, Wache stehen? Sollen Wagen und Proviant hinaus, die Flüchtlinge einzuholen? Soll ihnen ein Lager abgesteckt werden? Soll junge Mannschaft geworben werden? Sollen wir Pulver holen, Kugeln gießen, abkochen für die Ankömmlinge? Alles das weiß der Bürger nicht, Excellenz, aber er hat ein Recht, von Denen es zu erfahren, die der König zurückließ an seiner Statt. Die müssen es wissen, Die uns vorangehen. Und Die und wir Alle haben die Verpflichtung, uns so zu zeigen, daß der Feind erfährt, er hat eine Stadt von Männern vor sich, nicht von Memmen.« Gewirkt hätte die Rede, wenn nicht zwei Umstände die Wirkung paralysirten. Von draußen schrie es: »die Königin! die Königin flieht aus Berlin!« – »Die Königin redet zu den Bürgern!« Darauf eilten die Entschlossensten nach dem Palais. Vielleicht war dort Rath und Hülfe. Im hintern Hofe aber hatten Andere einen Reisewagen umgestürzt. Wo mischt sich nicht schlechtes Gesindel hinein, wenn der Patriotismus aufbraust! »Sie plündern! Herr Major, hindern Sie's! Man weiß nicht, was draus wird! – Es sind Soldaten dabei.« Es bedurfte für den Offizier kaum der Aufforderung. Die Excellenz ließ ihren Wagen im Stich, sie hatte eine höhere Aufgabe, das Terrain war günstiger, die Haufen gelichtet, er glaubte geneigtere Gesichter zu sehen. Er war auf die letzte Stufe in ihren Kreis getreten: »Mitbürger! Theuerste Freunde! Der Augenblick ist entsetzlich, aber lassen Sie sich von unruhigen Köpfen nichts aufreden. Hier ist nicht zu helfen. Der Himmel hat es so gefügt, wir müssen uns drein finden. Der mindeste Widerstand, irgend ein unruhiges Benehmen von Ihrer Seite könnte die schrecklichsten Folgen haben. Denken Sie an Ihre Frauen, Ihre Kinder, denken Sie an Wien! Wie ungnädig hat Seine Majestät der Kaiser Napoleon das trotzige Benehmen der Bürger aufgenommen. Er ist nun einmal der Sieger. Er wird ein großmüthiger Sieger sein, wenn Sie der Vernunft Gehör schenken. Seien Sie freundlich, seien Sie sehr freundlich gegen ihn. Ueberwinden Sie sich; wenn er einzieht, rufen Sie Vive l'Empereur. Ich weiß, es wird Ihnen schwer werden, aber der Mensch kann sich überwinden, meine Herren, der Mensch kann viel, wenn die Noth ihn zwingt. Recht friedlich, recht besonnen! Illuminiren Sie! Das wird ihn überraschen, sein Herz wird sich aufschließen. Liebe Mitbürger, hören Sie auf den Rath eines Mannes, der's mit Ihnen wohl meint, es ist nicht für mich. Bedenken, erwägen Sie, ich wiederhole es nochmals, wie schrecklich sein Zorn auf Wien fiel. Sie sind keine Wiener, Sie sind Berliner, und das Beispiel wird Sie lehren, daß eine männliche, ruhige Hingebung im Unglück es allein ist, die den Patrioten ehrt.« In den Akten der Zeit wird man freilich diese Rede nicht aufgeschrieben finden. Aber man findet mehr – ein gedrucktes Aktenstück. An allen Straßenecken stand – an einem spätern Tage – folgendes Proklama und in den Berliner Zeitungen las man es am 21. Oktober 1806. In dem Proklama hieß es: »– Nur festes Anschließen an Diejenigen, welche das mühselige Geschäft übernehmen, die von einer solchen Begebenheit unvermeidlichen Folgen zu mindern, so wie die, mehr als jemals nöthig gewordene Ordnung zu handhaben, kann die schrecklichsten Folgen abwenden, welche der mindeste Widerstand oder irgend ein unruhiges Benehmen der Einwohner über die Hauptstadt verbreiten würde , und das noch neuerliche Andenken des Betragens, welches die Einwohner Wiens in einer ähnlichen traurigen Lage beobachtet haben, muß die Einwohner Berlins belehren: daß der Ueberwinder nur ruhige männliche Hingebung im Unglücke ehrt . – – – Ich ermahne Jeden (denn – hoffentlich werde ich es nicht nöthig haben zu befehlen) – – ruhig bei seinem Gewerbe zu bleiben, und alle Sorgen Denjenigen zu überlassen, welche sich rastlos mit seinem Wohl beschäftigen werden . Ich verbiete durchaus alles Zusammenlaufen, alles Schreien auf den Straßen, alles öffentliche Theilnehmen an denen so verschiedentlich einlaufenden Krieges-Gerüchten; denn ruhige Fassung ist dermalen unser Loos, unsere Aussichten müssen sich nicht über dasjenige entfernen, was in unsern Mauern vorgeht; dieses ist nur unser einziges höheres Interesse, mit welchem wir uns allein beschäftigen müssen – – – Berlin, den 19. Oktober 1806. Fürst von Hatzfeld .« Es mussten schon Flüchtlinge in der Stadt sein; vielleicht verbargen sie sich vor der Neugier oder dem Grimm des Volkes in den entfernteren Theilen. Aber das Volk suchte nach ihnen. Da hielt es eine staubbedeckte Reisekalesche an, und zwang einen Offizier herauszusteigen. Vergebens protestirte er, daß er die Schlacht nicht mitgemacht, nicht vom Schlachtfeld komme, vielmehr über Schlesien aus Oesterreich; der Wagen kam vom schlesischen Thor. Zum Gouverneur wollte er sich führen lassen, obgleich die Eskorte ihm unangenehm war, als Herr von Fuchsius ihm begegnete und von der verdächtigen Begleitung befreite. »Zu spät!« – »Wieder zu spät!« erwiderte Eisenhauch und drückte die ihm entgegen gehaltene Hand. »Das ist mehr als Austerlitz.« – »Zum Gouverneur! Kommen Sie mit? – So lange die Möglichkeit da ist –« »Die Gewißheit!« unterbrach der Rath. »Auch Sie ohne Trost und Hoffnung?« – »Die Gesetze der Natur sind ewig. Die Kugel rollt nur, bis sie den Abgrund erreicht, und der Verbrecher bleibt nur ungestraft, bis sein Maß voll ist.« Welche fast lüsterne Freude glänzte auf Fuchsius' Gesicht, als er dem alten Bundesgenossen die Hand rasch zum Abschied gedrückt. »Wohin? Wohin?« – »Das im Kleinen thun, was Gott im Großen vollenden wird, wenn – auch da das Maß voll ist. Jetzt entlarven – ein Scheusal!« Eisenhauch begriff ihn nicht. Wer konnte einer Bagatelle jetzt nachgehen! Das Reich der Pygmäen war ja aus. Er bedachte nicht, daß um deßwillen noch nicht das von Titanen beginnt. Er traf den Minister auf dem Flur – er kannte ihn, er wußte, was er unter andern Umständen von ihm erwarten durfte, aber jetzt. – Der Minister war zugleich preußischer Krieger, ein hoher General, er hatte einst ein Armeecorps kommandirt. Jetzt musste er den Zopf fortgeworfen haben, jetzt in Stahl und Eisen aufspringen, und wirklich der Minister schien erfreut, wie man erfreut ist nach einer guten That. Er erkannte sogleich den Freiherrn: »Gott sei Dank, mir gelang eben etwas, was von dieser Stadt eine große Gefahr abwendet.« Da rückte Eisenhauch rasch in kurzen Worten mit seinen Anträgen vor: er bot seine Dienste an, er stellte sich zur Disposition, wohin man ihn brauchen könne, er wollte noch mehr: einen unterwegs entworfenen strategischen Plan andeuten, wie man durch rasches Zusammenziehen der gebliebenen militärischen Kräfte und Benutzung der Lokalitäten Positionen einnehmen könne, nicht stark genug, um einem ernsten Angriff des siegreichen Feindes zu widerstehen, doch ausreichend, um die Hauptstadt vor dem ersten Anprall zu schützen, die zersprengten und flüchtigen Truppen aufzunehmen in Cadres, zu sammeln – als der Minister mit Entsetzen ihn unterbrach: »Sind Sie rasend! In ein brennend Haus sich stürzen! Wir – wir werben nicht – was neue Soldaten – sollen wir noch den Kaiser reizen! Wir können Gott danken –« »Wenn wir unser elendes Leben salviren,« rief eine stimme von der Hofthür her. »Machen Sie sich aus dem Staube, liebster Freiherr Eisenhauch, verschwinden Sie, schnell, schnell, ehe ein Spion Sie erblickt. Gott sei Dank, mir gelang wenigstens eins: das Pulver ist aus Berlin, ehe er eintrifft. Er wittert überall Verschwörungen, Empörungen, Herr Gott, er hätte in Zorn gerathen können –« »Ueber die Kreatur, die er zum Mann schuf, und sie ward ein Wurm!« rief eine Stimme und der alte Rittgarten hob seinen Stock. Es war ein erschrecken der Anblick, der Greis, der sichtlich auf den Füßen schwankte, seine Brust bebend, sein Gesicht vom Blutandrang geröthet, aber weiße, verrätherische Streifen zogen sich von der Nasenwurzel bis an die Mundwinkel. Seine Stimme polterte, aber die Laute waren nicht mehr artikulirt. Man konnte auf einen Schlaganfall aus Gemüthserschütterung schließen. Und den Stock in der Luft schwingend, drohte er das Gleichgewicht zu verlieren. Eisenhauch hatte ihn rasch unterfasst. Mit äußerster Anstrengung stieß der alte Krieger Worte vor: »Fluch – über die Verräther! – Diese Sykophanten an Friedrichs Thron, die sein Volk für nichts achteten – sie werden die ersten sein – die ihm die Füße lecken, dem neuen Herrn – Stempelt diesen, zeichnet ihn, daß man ihn wieder erkennt, – er wird die fremde Livrée tragen. – O fort, – hinaus, die Luft hier erstickt.« Rittgartens Stock hatte den Minister nicht getroffen, aber sein Blick und Wort. Er war verschwunden, in der nächsten Stunde auch aus Berlin. Die Prophezeiung des Sterbenden ging in Erfüllung. Der Minister – aber er nicht allein – ließ wenig Monate darauf sich ein neues bordirtes Galakleid anmessen; er antichambrirte im Ministerrock des Königs von Westphalen, so stolz und aufrecht, die Brust so reich geschmückt, und er sah so gnädig und herablassend auf Niedere, als damals, wo er nichts war und sein wollte, als ein treuer Diener seines Herrn, des Königs von Preußen. Kleider machen Leute, sagt das Sprüchwort, aber nicht auf Alle passt es, denn in der Politik giebt es Männer, für die alle Kleider passen. Ein Sterbender war der Major Rittgarten. Er athmete draußen noch einmal die freie Luft, er schien Eisenhauch zu erkennen, er erschrak nicht. Der führte ihn, den er einst auf Tod und Leben gefordert. Ein Anderer hatte die Loose geworfen, eine andere Hand die Kugel abgedrückt. Aber da lief ein Mann mit Pinsel und Zettel heran und klatschte ein Plakat an die Thür. Als er das gelesen, zitierte er zusammen, Eisenhauch fühlte eine Erschütterung in den Gliedern des Greises. Auf dem Plakate standen die Worte: »Der König hat eine Bataille verloren. Seine Majestät und dessen Brüder, Königliche Hoheit, sind am Leben und nicht verwundet. Ruhe ist die erste Bürgerpflicht . Ich bitte darum. Schulenburg.« »Es wird besser,« antwortete Rittgarten auf des Majors Frage, der Hülfeleistende heranwinkte. »Ja, es wird besser, es muß besser werden,« rief Eisenhauch. »O mein Gott, mein Vaterland!« – »Er kann nicht mehr allein stehen,« sagte Jemand. »Preußen!« athmete der Sterbende, an des Freiherrn Brust sinkend – es war sein letztes Wort. »Kann nicht mehr allein stehen,« wiederholte Eisenhauch dumpf. »Es hätte nicht allein stehen dürfen ohne Deutschland.« Der Schlag hatte den Invaliden getroffen. * * * Im Trauerhause, dem Hotel des Minister gegenüber, hatte auch ein Schlag getroffen. Die Baronin lag auf ihren Knieen am Bette, ihr Gesicht verbergend. Gott verzeih ihrer Seele, wenn sie nicht für die des Mannes betete, der eben, nach furchtbaren Konvulsionen, sanft entschlummert war. Warum war's eine Sünde, wenn ein edles Weib in ihrem Gebet an eine andere Seele dachte, wenn sie für diese um Vergebung flehte. Der Todte vor ihr hatte nie Jemand getäuscht, was er war, hatte immer zu Tage gelegen, der Richter überm Sternenzelt kannte ihn und würde nach seinem Werth oder Unwerth das Urtheil fällen. Aber die Seele des Einen war mit einem Fleck dahin gegangen. Ein einziger Fleck hatte die reinste Seele getrübt, und ehe er sich verantworten können, hatte das blitzende Schwert den Helden niedergeschmettert. Wußte sie, in welchen Aengsten, daß er Keinen hatte, dem er beichten, gegen den er sich von dem einzigen Fehler, der ihn drückte, entlasten konnte! Und war es denn eine Sünde, hatte er nicht wissen können, daß sie gern Alles für ihn hingab, daß sie mit Freuden seine Schulden bezahlt hätte, wenn er sich nur an sie gewandt! War das nicht edel, daß er es nicht gethan! Nur in einem schwachen Augenblick hatte er sich verführen lassen, auch nur vielleicht in Betreff des Wucherers, der ihn aus der Noth ziehen sollte. Und darum auf ewig verdammt! Nein, wenn Einer, er bedurfte des Mitleids. Und sie hatte zum Vater, von dem alle gute Gaben kommen, gebetet, daß er Dohleneck vergebe. Da war sie, fast erheitert, aufgestanden, sie hatte des Todten Hand gedrückt, auch er würde im Leben nichts dagegen einzuwenden gehabt haben, und in stiller Fassung saß sie im Lehnstuhl, die Augen schließend, als ein heftiger Schrei sie aufschreckte. Der Legationsrath, der, um Nachricht, ob Gefahr sei, einzuziehen, sie verlassen, war zurückgekehrt, er hatte sich über das Bett geworfen, der stöhnende konvulsivische Schrei kam von ihm. »Da ist ein edler Freund mir hingegangen. Er da oben nur weiß, was er mir war!« rief er, sich erhebend, die Hände über's Gesicht deckend. – Nur auf kurze Sekunden. Den nächsten Augenblick beugte er sich über die Wittwe, sie fühlte einen langen Kuß auf ihre Stirn gedrückt: »Das ist der Bruderkuß, der Schwester gegeben. Die Sterne wollen es so. Edler Todter, Deine Seele blickt auf uns, aber ich sehe Dich ruhig lächeln, denn Du weißt, daß ich Deine heiligen Pflichten gegen Dein Weib erfüllen werde. Durch diesen Kuß besiegle ich mein Gelöbniß.« Sie war vorhin überrascht worden, jetzt, als seine Lippen sich ihr näherten, stieß sie ihn zurück. Sie wollte sich auf die Leiche werfen, aber mit eben solcher Entschlossenheit riß er sie am Arme zurück: »Unglückselige! Wissen Sie, was Sie thun? Er ist an der Cholera gestorben. Sein Hauch ist Pest. Er muß noch heut unter die Erde.« Er stand gebieterisch zwischen ihr und der Leiche. Ehe sie Zeit zu antworten hatte, führte er sie schon, halb zwang er sie an den Schreibsekretär: »Schnell, keine Minute verloren! Ihre wichtigsten Papiere, Kleinodien, was Sie an Geldeswerth fassen können – in einen Kasten, was es ist. Ich besorge mit Ihrem Kammermädchen die nöthigsten Kleider. Der Wagen rollt vor –« »Was ist's, mein Herr!« – »Sie wissen nicht! In einer Viertelstunde spätestens müssen wir fort. Auf der Schöneberger Höhe sieht man schon die Avantgarde. Alles flieht, wer nur Pferde auftreibt. Die Königin beinahe in Lebensgefahr. Sie wird jetzt schon aus dem Thore sein. Gestreckter Galopp. Die Franzosen werden plündern, vielleicht die Stadt in Brand stecken. Napoleons Wuth ist unaussprechlich. Nur keine Frauen zurückgelassen, ruft es durch alle Straßen. Sie mißhandeln – Ihre Brutalität ist ohne Grenzen. Unglücklich Weib! Keinen Augenblick verloren!« Er hatte den Sekretär aufgerissen. Mechanisch folgte sie seinem Befehl; sie hatte keine Luft, keinen Athem zum Denken, zum Erwägen. Das Rädergerassel draußen, das Stimmengewirr unterstützten, was Wandel sagte. Eine Chatoulle war in lautloser Angst gepackt. »Nur nichts Unnützes!« rief er, als sie ein Pack eröffneter Briefe hineinwerfen wollte. »Wozu sich mit Erinnerungen beschweren! Nur nichts hinter uns.« Die Briefe fielen zerstreut auf die Tischplatte. Sie ließ Alles geschehen in sprachloser Erstarrung. Da nahm er einen: »Ah, Dohlenecks Hand. Selig sind die Todten, aber sie haben nichts zu schwatzen.« Ehe sie es hindern konnte, hatte er den Brief in kleine Stücke zerrissen. Aber sie hatte den Blick gesehen, der auf das Papier schoß, die Freude, die aus seinen Augen blitzte – es war eine ganz eigenthümliche Freude – das Weiße des Auges verzog sich, er kniff die Unterlippe mit den Zähnen ein. Da blitzte etwas in ihr; es war, als ob ein Vorhang riß. Einige Schritte zurückfahrend, maß sie ihn von Kopf bis zu Fuß. Es war ein fürchterliches Licht, das in ihr aufschoß. Ihr Gesicht röthete sich, ein Strahl von einer Freude schoß darüber, während sie unwillkürlich die weißen Zähne zeigte, und die Finger der schönen Hände sich krümmten. »Warum vernichten Sie gerade den Brief?« »Weil – weil ich im Interesse dieses heiligen Todten seiner Wittwe Erinnerungen sparen will, die den Seelenfrieden einer treuen Gattin trüben könnten.« Der imponirende Ton verfehlte seine Wirkung. Ein krampfhaftes Lachen erheiterte ihre Brust: »Falsch! es ist Alles falsch an Ihnen – jetzt – ich – ahne – Sie sind ein Mensch, dem Niemand trauen durfte – o mein Gott! – und da der todte Mann – Wer schützt mich!« Wir zweifeln nicht, daß der Legationsrath auch jetzt noch Mittel gefunden – wenigstens würde er danach gesucht haben, das Mißtrauen der Wittwe zu beschwichtigen, wenn sein Blick nicht plötzlich durch einen Gegenstand an der Thüre absorbirt worden wäre. Es lag in der Natur der Dinge, daß, nachdem durch die Diener die Nachricht von dem Tode des Barons bekannt geworden, eine Anzahl Freunde, Angehöriger und Theilnehmender sich in das Haus drängte. Eben so natürlich war es, wenn bei der obwaltenden Krisis Einige unangemeldet in das Zimmer drangen, zur Förmlichkeit eines Trauerbesuches war nicht mehr Zeit. Wandel glaubte, als die Thür aufgerissen ward, den rothen Kragen eines obern Polizeibeamten entdeckt zu haben. Der war zwar noch nicht eingetreten, aber wie aus einer geöffneten Schleuse ergossen sich Nachrichten, die ihm nicht alle angenehm waren. Dem »Wissen Sie schon?« der und jener Freundin folgte eine Reihe von Unglücksfällen und eine Todtenliste. Der ist erschossen, der gefangen, der niedergehauen! Rittmeister Dorville schien die Pandorabüchse, welche alle diese Hiobsposten ausgeschüttet hatte. »Sah er auch den Major Dohleneck fallen?« fragte sie sich selbst überwindend die Baronin schüchtern. »Den hat Dorville selbst gesprochen.« »Gesprochen! eh' er fiel?« – »Nur verwundet, aber nicht schwer. Er ist ranzionirt, oder losgegeben, er kommt direkt nach Berlin, nur darf er nicht mehr dienen in dem Kriege.« Wandel hatte nicht mehr Zeit den Blick zu sehen, den ihm Auguste Eitelbach zuwarf, ein triumphirender, durchbohrender Blick. Er sah auch nicht, wie ihre Brust sich hob, wie tief sie Athem schöpfte, um dann aus dem Stuhl zusammenzusinken, ihre Hände zu falten und ihr Gesicht zu verbergen. Der junge Mensch, den wir am Morgen bei Fuchsius sahen und den er Eckard nannte, hatte sich hinter ihn geschlichen und ihm zugeflüstert: »Es will Sie draußen Jemand sprechen.« Wandel fixirte den Menschen, ob er ihn einer Antwort zu würdigen habe, als sein Auge auf Fuchsius fiel, der unbeweglich an der Thür stand. »Ah, ein alter Freund!« sagte er. »Das glaube ich nicht,« entgegnete der junge Mensch. In dem Augenblick öffnete sich die Thür und ein Polizei-Inspektor schritt zum Befremden der Anwesenden auf Wandel zu, und sprach mit tönender Stimme: »Auf Requisition des Tribunals der Seine zu Paris, und auf ausdrückliches Ansuchen des Kaisers der Franzosen durch seine vormalige Gesandtschaft hier verhafte ich Sie.« Todtenstille. Wandel erblasste, doch nur auf einen Augenblick: »Das ist ein Mißverständniß!« er knöpfte sich zu, verbeugte sich leicht gegen die Anwesenden und folgte rasch dem Inspektor. Hinter ihm schnitt ein greller Pfiff durch die Luft. Der junge Vigilant hatte sich einen Spaß gemacht. Er schien ihn fortzusetzen, indem er beim Hinausgehen zu einem Angehörigen des Hauses sagte. »Sehen Sie nur im Sekretär nach, ob da nichts fehlt.« Der Inspektor brachte den Gefangenen in ein abgesondertes Zimmer zu flacher Erde, bis der bestellte Wagen ankam. Fuchsius Gesicht war undurchdringlich geblieben, als Wandel an ihm vorüberging. Das des Polizeimanns versprach ihm vielleicht mehr, als er mit verschlungenen Armen ihn beweglich anblickte: »So will man mich wirklich ausliefern – auf Requisition des Napoleonischen Gerichts?« – »Sie hörten es.« – »Wissen Sie, was mit mir geschieht? In vier und zwanzig Stunden bin ich erschossen. Ich wusste um eine Verschwörung gegen Bonaparte's Leben, ich war vielleicht selbst dabei implicirt. Der Kaiser weiß es; mein Loos ist entschieden. Ist Ihre Regierung so verzagt, mich ihrem Feinde auszuliefern, weil er droht, so sind vielleicht doch noch Patrioten im Volke, die den Vortheil ihres Vaterlandes und ihren eigenen bedenken.« Der fatale Pfiff des Vigilanten antwortete von draußen. Der Inspektor erwiderte ruhig: »Sie sind wegen Giftmordes verhaftet.« – »Das ist eine andere Sache,« hatte Wandel auch ruhig erwidert und sich nach dem Fenster gewandt. Nach einer kleinen Weile trat Herr von Fuchsius ein. Wandel begrüßte ihn höhnisch: »Ich gratulire, Ihr Staat macht noch in seinem Untergang Progressen zur Gesetzlichkeit. Als wäre ich in dem glücklichen England, hat man mir so eben das Verbrechen benannt, um was man Lust hatte, an mir einen Justizmord zu begehen. Ich danke Ihnen aufrichtig, Herr Regierungsrath, für die Berücksichtigung, da ich weiß, daß ich nach der alten Observanz sehr wohl ein halbes, auch Jahre in Ihrem freien Quartiere schmachten können, ohne mit einer Sterbenssilbe zu erfahren, was mir die Ehre verschaffe.« »Guido Florestan Baron Vansitter, genannt von Wandel!« redete Fuchsius ihn an. Er irrte, wenn er auf eine Bestürzung des Gefangenen gerechnet hatte. Nur ein moquanter Zug schwebte, um die Lippen desselben, als er erwiderte: »Ich bedaure die Mühe, die es Ihnen machen wird, meine Identität mit der meines genannten Vetters herzustellen. Die meisten Zeugen sind gestorben; bis Sie die überlebenden auftreiben und nach Berlin schaffen, darüber können Jahre vergehen. Der Untersuchungsrichter hat ein saures Geschäft, mein Herr von Fuchsius, wenn er Inquisiten vor sich hat, welche die Gesetze, die Menschen und ihre Inquirenten kennen. Aus persönlicher Freundschaft und Respekt vor Ihrem Charakter würde ich Ihnen rathen, die Untersuchung abzugeben. Sie erscheint Ihrem Ehrgeiz lockend, ich versichere Sie aber, ich ärgere Sie zu Tode.« »Aus Respekt vor Ihrer Bildung, und nur darum, habe ich zwei Worte mit Ihnen allein zu reden.« – »Allen Respekt vor Ihrer Versicherung, aber ich glaube Ihnen nicht, weil die Pflicht der Selbsterhaltung mir gebietet. Ihnen zu mißtrauen. Allein Ihnen, was Sie wünschen, aber vorher die Gewißheit, daß hinter der Tapete kein Protokollführer lauert.« – Wandel schien sich diese Gewißheit verschafft zu haben: »Was steht zu Ihren Diensten?« – »Führen Sie Gift bei sich? Ich meine Mittel, die es Ihnen ermöglichen, sich der Schande und der weltlichen Strafe Ihres Richters zu enziehen? Es ist meine Pflicht, mich davon zu vergewissern.« »Soll ich Ihnen mit Macbeth antworten: Weshalb sollt' ich den röm'schen Narren spielen. Sterbend durchs eigne Schwert? So lange Leben Noch vor mir sind, steh'n denen Wunden besser. So lange ich athme, will ich von dieser süßen Gewohnheit des Daseins nicht lassen. Besser Kerkerluft und schimmliche Brodrinde, als schwimmen ein Atom im grauen Nebel der wesenlosen Leere. Nein, da beruhigen Sie sich, Sie sollen mich als Epikuräer kennen lernen. Ich wollte Viel, ich lasse mich aber auch genügen am Wenigen. Die Welt ist ein Kerker, warum sollte nicht der Kerker zur Welt werden für Den, der noch Lust am Leben hat! Ich gebe Ihnen mein Wort, ich werde mich vertheidigen – besser als Ihr Staat gegen seinen Ueberwinder. Gewissermaßen soll jetzt mein Leben erst anfangen. Sie kennen mich doch einigermaßen, und wissen, wie ich in die Schranken trat. Man meinte, ich war ein glücklicher Advokat, ich setzte manches durch, noch mehr wandte ich ab. Alles für Andre! Nun, mein Herr, jetzt gilt es für mich selbst. Werde ich mich schlagen, wie Ihre Soldaten, für Kommisbrod, aus Furcht vor dem Korporalstock? Nein, wie der Pirat, den die Fregatten eingeholt. In dem Todeskampfe siegt er wohl zuweilen gegen die Uebermacht. es kommt öfter vor, daß er die Verfolger mit sich in die Luft sprengt. O, es soll ein Kampf werden, auf den ich mich freue; eine Beschäftigung für den Geist, wie ich sie wünsche. Sperren Sie mich in den engsten Kerker; je kleiner der Kessel, um so größer die Expansionskraft des Gases. Mein Kompliment Ihnen, ich weiß, wen ich vor mir habe: keine plumpe Kriminalspinne, die außer ihrer Aktenhöhle, blödsichtig, nicht um sich weiß, nein, einen feinen Welt- und Lebemann, der mit seinen Kenntnissen und psychologischen Erfahrungen mich umgarnen und harmlos saugen möchte. Grad auf solchen Gegner freue ich mich. Ich schätze Sie. Wir wollen uns in Minen und Contreminen begegnen. Das wird meinen Geist frisch erhalten; das erfrischt auch das Blut; weit mehr, als die körperliche Bewegung. Ich werde ein gesunder Gefangener bleiben. Auch Sie sollen Ihre Freude an mir haben. Ein Inquisitor verliebt sich am Ende in seinen Inquisiten – er sehnt sich in der Nacht auf den nächsten Morgen, wo er ihn wieder erblickt –« »Bis er ihn an einem Morgen dem Richter abliefert, der ihn nicht zurückliefert.« »Das bilden Sie sich ja nicht ein. Sie meinen das Schaffot. Was wollen wir wetten? Auf's Schaffot bringen Sie mich nicht. Ich kenne Ihre Gesetze, die Ansichten Ihrer Richter. Höchstens, wenn Alles gut geht, nämlich für Sie, eine außerordentliche Strafe. Zehn, fünfzehn, vielleicht zwanzig Jahr Gefängniß. Die ganze Welt ist ein Gefängniß; wie angestrichen, schwarz-weiß, blau, grün, schwarz-gelb, das ist am Ende gleichgiltig. Ja, wenn Sie mich nach Frankreich auslieferten, das wäre eine andere Frage, vor den Geschwornen, da hört unsre Logik auf. Aber Sie sind ein zu guter Patriot, und die Sache ist doch auch für Sie zu interessant, um sie aus der Hand zu geben.« »Der Baron Eitelbach ist nicht an der Cholera gestorben.« sprach Fuchsius, ihn fixirend. »Dann wäre es mir doch sehr interessant, zu erfahren, was man bei ihm finden wird! – Nichts Mineralisches, darauf können Sie sich verlassen,« – sprach Wandel mit höhnisch freundlicher Stimme, indem er die Frechheit hatte, dem Rath dabei sanft auf die Schulter zu klopfen. »Scheusal!« rief dieser zurückweichend. Der Wagen, der Wandel nach dem Gefängniß schaffen sollte, war vorgerollt. An der Thür wandte Fuchsius sich noch einmal um: »Herr von Wandel, es ist möglich, daß Sie Recht behalten, daß die Gerichte mit ihren groben Werkzeugen nicht in alle verborgenen Winkel Ihrer Verbrechen dringen, ich aber habe die volle moralische Ueberzeugung. Um deshalb werde ich die Untersuchung vielleicht einem unbefangenern Richter abgeben. Hier aber, vor Gott, vor der Ewigkeit, oder, wenn Sie wollen, vor der wesenlosen Leere, deren Annahen Sie grauen machte, möchte ich in Ihre Seele schauen und eine Frage thun –« »Deren Inhalt ich mir denken kann. Geben Sie sich nicht die fruchtlose Mühe. Nur ein Wort. Nicht wahr, vor dieser Ihrer moralischen Ueberzeugung bin ich ein gräßlicher Verbrecher, weil – weil ich mit Menschenleben gespielt habe, das nehmen Sie an, zu meinem Vortheil, der Wißbegier, des Vergnügens wegen, was es sei. Nun blicken Sie um sich, links und rechts, in West und Ost, in Nord und Süd, auf die großen Spieler. Die haben gespielt und spielen fort, mit tausenden, mit hunderttausenden von Menschenleben, und ich kleiner bescheidener Bankhalter! – Ja, die haben Motive, antworten Sie, Menschenliebe, Allgemeinwohl, Religion, Freiheit und Gleichheit, Thron und Altar, Sitte und Nationalität – Herr, wer sagt Ihnen, daß ich nicht auch Motive habe, Ideen, vor denen alle Rücksichten schwinden müssen? Kann ich sie nicht auch überkleistern mit Goldschaum und Tugendfloskeln? Das wahre Motiv, Herr, das ist überall dasselbe: der Größere frißt den Kleinern, wenn er Appetit hat und sein Magen es verträgt, und der Unterschied ist nur der: die großen Verbrecher kommen in die Geschichtsbücher und wir kleinen irgendwo in ein Kriminalregister. Wenn der Wurm auf uns Mahlzeit hält, ist's uns Beiden gleichgültig, ein Stein ist mir vom Herzen gewälzt, ein Quell sprudelte in der Wüste – ich habe nichts mit der verfluchten Politik zu thun. Dieser Verstellung, dieser Heuchelei, für Andre denken, fühlen zu sollen, bin ich quitt . Mögen sie sich todtschlagen, betrügen, verreden, glorificiren, wie sie Lust haben, mich kümmert's nicht mehr. Von nun an bin ich wahr, ja, mein Herr, ich fühle ganz die Seligkeit der Wahrheit, ich athme, kämpfe, lebe nur für mich.« Die Gerichtsdiener waren eingetreten. »Haben Sie mir nichts mehr zu sagen? Wir sehen uns wahrscheinlich zum letzten Mal.« »Das würde ich aufrichtig bedauern.« – »Nicht die Baronin Eitelbach, deren –« »Deren Glück ich gemacht, wollen Sie andeuten,« lachte Wandel auf. »Wider Willen allerdings, wenn es wäre! Wenn ihre Wunden und seine Wunden geheilt, die Trauermonate mit honetten Thränen anständig verweint sind, wird sie ihn heirathen, und wenn ich an das Glück dieser geistreichen Ehe denke – wahrhaftig, dann wird mein Gefängniß mir noch einmal so interessant erscheinen.« – »Und keinen Wunsch mehr?« – »Nur eine Bitte. Haben Sie die Güte und empfehlen mich der Frau Geheimräthin Lupinus. Ich traue ihr zwar zu, daß wenn sie von dem Evenement hört, eine kleine Schadenfreude in ihr aufblitzt. Warum nicht, sie bleibt doch eine charmante Frau. Wir verstanden uns, es war eine wirkliche Sympathie. Durch Mauern und Räume getrennt, werden wir noch mit einander leben, eine platonische Ehe; um so sicherer, denn unter einem Dach hätte sie mir doch vielleicht, aus Rache oder Liebe, einen ihrer Tränke gereicht, die für meinen Geschmack zu stark sind. Es hat sich so besser gefügt.« * * * Die Kutsche mit dem Gefangenen musste oft anhalten. Wagen, schwer rasselnd unter starker Militärescorte, versperrten die Straße. Es waren die Kassen, welche der neue Minister fortschaffen ließ. »So wird doch etwas gerettet,« murmelte der Transportirte. »Und wenn Preußen sagen kann: Tout est perdu, sauf l'argent, ist's am Ende ein Anfang zu einer neuen Existenz.« Walter van Asten gab aus dem Fenster des Ministers den Kommandirenden beim Transport Anweisungen. Auch der Geheimrath Alltag schien unter Denen, welche auf ihn hörten. Wandel, der den Zusammenhang gefasst, lächelte: »Die Welt dreht sich um: das kann was werden! Wer Geld bringt, kann eine Karriere machen. Die beste freilich wäre es, wenn der junge Mensch damit nach Amerika liefe.« Walter, der sich dem Auftrage des neuen Ministers mit Eifer unterzogen, war gekommen, um seinen letzten Bericht abzustatten. Er hoffe das Geld mit sichern Renten an den Ort seiner Bestimmung abzuliefern, aber – sein Bericht über die Volksstimmung war traurig, er hegte keine Hoffnungen, nach dem, was er gesehen, gehört. »Wie Jeder beobachtet.« sagte der Bankodirektor Niebuhr der ebenfalls vom Minister Abschied nahm. »Niemand kann an allen Orten zugleich sein.« »Diese jubelnden Tramknechte, diese gepressten Bauernbengel die froh sind, dem Stock und der Fuchtelklinge einmal entlaufen zu sein, sind freilich so wenig das Volk, als da die zitternden Käsekrämer und Schnittwaarenhändler,« hatte der Minister nachdenkend erwidert. »Und doch, Excellenz,« fiel Niebuhr ein, »auch unter ihnen regt sich schon eine andere Stimmung. Ich lernte, wie Sie, dies Volk erst kennen. Aber wenn Sie es jetzt kennten, wie ich, Sie würden es Ihrer Liebe werth finden. Ich habe in diesen Tagen nirgend mehr so viel Kraft, Ernst, Treue und Gutmüthigkeit zu finden erwartet. Von einem großen Sinne geleitet, wäre dieses Volk immer der ganzen Welt unbezwingbar geblieben, und wie sturmschnell auch die Fluth unser Land überschwemmt, noch jetzt drängte ein solcher Geist sie wieder zurück. Aber wo ist er, der große Geist, der es vermöchte!« 1 »Er wird erscheinen,« rief der Minister und seine Stirn leuchtete, indem er Niebuhrs Hand drückte, die andere reichte er Walter. »Warum sollen nur die Völker des Alterthums ihren Phönix haben! Ist das Christenthum nicht basirt auf dem Mysterium der Wiedergeburt! Sollten nur die germanischen Völker bestimmt sein, auszugehen und überzugehen in andre! Ich glaube an den Phönix, aber der Scheiterhaufen ist noch nicht hoch genug. Es muß noch vieles Morsche, Faule, Wurmstichige darin verbrennen, viel mehr, als wir wähnten, vieles, was wir gestern noch für gesund hielten, vielleicht was uns das Liebste und Theuerste war. Leben Sie wohl, meine Freunde, wir sehen uns wieder, wenn noch nicht in besserer Zeit, doch in einer, wo wir wieder hoffen dürfen.« In den Geschichtsbüchern steht, und es ist daraus nicht wegzulöschen, daß viele der gutgesinnten Bürger Berlins die Mahnung jenes Ministers befolgten. Sie schickten sich in die Zeit, denn es war böse Zeit. Sie schwenkten die Hüte vor dem einziehenden Napoleon und riefen Vive l'Empereur, und illuminirten ihre Häuser, daß der Kaiser selbst in jene Worte der Verwunderung, und der Schmach ausbrach, die wir nicht wiederholen wollen. Aber es gab Männer und Frauen auch, welche das Uebel beim rechten Namen nannten, und nicht erschraken, wenn es ihnen ein böses Gesicht machte. Diese Einigen waren die Kieselsteine, an denen der Stahl Funken schlagen sollte, aus denen der stille Brand ward, welcher später zum allmächtigen Feuer aufloderte. Gut Ding will Weile im deutschen Lande. Viele hat die Geschichte genannt, oder fängt jetzt an, ihre Namen zu nennen, aber wie viele sind schlummern gegangen, auf ihren Grabsteinen wächst Moos, und die Geschichte kratzt es nicht mehr ab, um von ihrem stillen Wirken Zeugniß zu geben. Da darf die Dichtung, die so viel Trauriges und Schlimmes nicht verschweigen durfte, auch an den einzelnen Muthigen erinnern, und wo wir solche Bilder muthloser Zerschlagenheit aus der preußischen Hauptstadt hinstellen mussten, um wahr zu sein, wird es zur Pflicht auch einiger Züge zu gedenken, die schon wie das ferne Wetterleuchten einer besseren Zeit am Horizont erscheinen: Da stand eine Deputation vor dem Gewaltigen, und er erwartete stammelnde Unterwürfigkeit, Bewunderung und demüthiges Flehen. Er konnte es erwarten nach dem, was vorging. Aber Einer im Priesterkleide trat vor und sprach: »Sire, ich wäre nicht werth des Kleides, das ich trage, des Königs, dem ich diene, des Wortes, das ich verkündige, wollte ich nicht bekennen, ich sehe – Eure Majestät nicht gern in Berlin.« – Was Napoleon erwidert, haben die Kinder der Zeitgenossen vergessen, aber im Verlauf des lebhaften Gesprächs, worin der kühne Mann den Sieger fragte, ob er denn in der Geschichte lieber als ein Räuber dastehen wolle, denn als ein christlicher Herrscher, trat der alte Erman plötzlich herzhaft auf den Kaiser zu, fasste seinen Arm, schüttelte ihn und sagte: » Ce bras victorieux sera bienfaisant! « Es wird erzählt, Napoleon sei erschrocken zurückgetreten. Das hätte er aus Berlin nicht erwartet. Später habe er zu seinen Adjutanten geäußert: » quel géant que ce vieux druide! Jamais prêtre ne m'a dit cela. « Erman, so weiß man, aber nicht aus dem Munde des bescheidenen Mannes, der selten davon sprach, wußte das Gespräch, als Napoleon eine gnädige Miene annahm, auf die Königin Louise zu lenken. Als warmer Lobredner der erhabenen Tugenden seiner Monarchin habe er versucht, die böse Meinung oder den bösen Willen des Kaisers zu beschämen. – Darüber ruht ein Schleier, den Niemand lüften wird. Nach der Rückkehr des Königspaares nach Berlin überreichte die Königin selbst Erman die Dekoration, welche der König ihm verliehen, mit der Anrede: Mon chevalier! Der vor Kurzem verstorbene Sohn jenes alten Erman, der auch wieder der alte Erman genannt ward, der berühmte Professor und Chemiker, schrieb in einem Briefe an eine Verwandte zur Zeit der Mobilmachung im Herbste 1850: »Ich denke jetzt oft an die Worte, die Napoleon an meinen Vater richtete: Votre reine m'a fait une guerre de petit fille et de petit garçon. Schon sieben Jahre später waren die Kinder der Knaben zu den Männern der Katzbach und von Leipzig erwachsen! Eine andere Deputation berief später der zürnende Kaiser nach Paris. Es waren Männer des Gerichts, eines hohen Tribunals, das gewagt, ein Urtheil zu fällen, welches dem Gewaltigen nicht gefiel. Sie hatten Einen, der von Paris aus verfolgt ward, freigesprochen, und Napoleon wollte ihn verurtheilt wissen. Napoleon donnerte sie an und schloß mit der Drohung, wenn der Fall wieder vorkäme: Je vous fusillerai! « Der Präsident des Tribunals erwiderte dem Imperator: » Sire, vous fusillerez la loi. « Napoleon leitete gegen ihn ein Disziplinarverfahren ein. Der Mann Rechtes, der die männliche Antwort gab, hieß Sethe . Ob der Fall in unsere Geschichte gehört? – Er geht über sie hinaus. Wandel ward von Paris aus verfolgt, das preußische Gericht fand aber die Beweise nicht zur Ueberzeugung geführt. Auch in Bezug auf seine Verbrechen in Berlin hatte Wandel gegen Fuchsius richtig vorausgesagt. Trotz der moralischen Ueberzeugung, welche das Gericht gewann, genügten die Beweise nicht, um gegen ihn die letzte Strafe zu diktiren. Er büßte, wie die Lupinus, für seine schweren Verbrechen nur durch eine lange Freiheitsstrafe. Beide überlebten sogar ihre Strafzeit. Viele von den Personen, die wir hier vorgeführt, haben auch den Tag überlebt, mit dem wir unsere Geschichte beschließen, es wäre sogar möglich, daß sie noch heute leben. Wenn sie die Theilnahme unserer Leser sich erwarben, wäre es möglich, daß wir auch von ihren ferneren Schicksalen Kunde gäben, denn es ist viel vorgegangen seit fünfzig Jahren und heut. * * * Das war der traurigste Auszug, den je Berlin gesehen. Selbst der Jubel des Volks, als die Wagen der Königin vorm Schlosse hielten, um Wäsche und das Nöthigste zu einer Reise ohne Ziel einzunehmen, war herzzerreißend für die hohe Frau. Sie hatte nicht Worte, nur Thränen. Dann die Straßen, die Tausende, die dem Wagen folgten, die zum letzten Mal die geliebte, schöne, milde, bürgerfreundliche Königin sehen wollten. Auch da schrien Viele, sie wollten ihr Gut und Blut lassen, man solle sie nur rufen. Was sollte Louise antworten! – Auf Wiedersehen, auf Wiedersehn! schluchzte es aus den Fenstern. Was konnte sie darauf antworten! Die Fenster alle aufgerissen, überall Kopf an Kopf, Tücher wehten und Tücher trockneten die Augen. Sie konnte nicht mehr hinauswehen, sie lehnte sich erschöpft zurück. Und doch fielen ihr zwei stattliche Häuser auf, da war es still, die Fenster, auch hie und da die Laden, waren geschlossen. Die Blicke ihrer Begleiter sahen mißvergnügt dahin. Die milde Fürstin sagte: »Gewiß sehr Kranke!« – »Da wohnt der Geheimrath Bovillard,« sagte die Hofdame verlegen, »er soll in der That krank sein!« Die Königin schütterte zusammen und fragte nicht mehr, auch nicht, wer in dem andern Hause wohne? Der Adjutant zu Seiten des Wagen flüsterte der Voß zu: »'S ist doch unglaublich vom Grafen St. Real. Er hat Angst, daß Napoleon es ihm übel vermerken könnte.« – »Aber ein nobler Kavalier sonst,« bemerkte die alte Gräfin. »Auch ein Kranker,« sagte sie zur Königin. Da war die Straße gesperrt in der Nähe des Doms. Ein Hochzeitszug kam aus der Kirche. Die Leute lachten, die Straßenjugend war sogar sehr laut; sie machten ihre Glossen zum Brautpaar. Auch die Kassenwagen hatten hier Halt machen müssen, und Walter war mit dem Geheimrath Alltag aus dem Wagen gesprungen, nicht aus Theilnahme für die Hochzeitleute, sondern weil Jeder den Augenblick nutzen wollte, um Abschied von einem Angehörigen zu nehmen. Walter presste seinen Vater an die Brust: »Ich suchte Sie vergebens in – Ihrem Hause. Aber, was bedeutet das, die Siegel waren abgenommen?« – »Freude, mein Sohn, es können ja nicht Alle trauern. Die Welt ist ein großes Kaufmannsspiel: wenn Viele verlieren, müssen doch Einige gewinnen, wo bliebe es sonst! Der Rothwein steigt, die Häfen werden gesperrt. Er ist schon gestiegen. Gestern bot man mir zehn Prozent über den Einkauf, heute zwanzig, wenn die Franzosen da sind, bieten sie funfzig. Soll ich mich freuen, daß die Franzosen da sind, oder soll ich weinen, daß unsre Junkeroffiziere Schläge bekommen haben? Dein Vater ist ein reicher Mann, er hat Kredit, Freunde überall, die ihm längst hätten helfen wollen, wenn sie nur gewusst, daß er in Noth war. Nicht wahr, die Menschen sind doch besser, als wir denken, wir merken's nur nicht! Lebewohl, mein Junge, behalt' im Gedächtniß, daß der beste Rechner oft die größten Fehler macht. Wer weiß, wenn der Bonaparte mal 'ne Null zu viel schreibt! Drum rechne nicht zu viel, schone Dein Leben, denn Du musst rechnen, daß Du wieder eines reichen Mannes Sohn bist und sein Erbe; und Minchen Schlarbaum, vor der brauchst Du Dich nicht zu fürchten, wenn Du wiederkommst, sie wird wohl den Herrn Fuchsius heirathen. Drum bleibe meinethalben romantisch, hast Recht, ich muß ja jetzt auch romantisch sein, auf jeden Fall aber bleibe – ein Patriot!« »Platz!« rief es, der Hochzeitszug bewegte sich fort. Aber als der Geheimrath Lupinus mit der ihm eben angetrauten Geheimräthin nach dem Lustgarten schritt, rief es wieder: »Platz! Ihre Majestät die Königin!« Der Zug stiebte auseinander, als der Wagen sich langsam Platz machte. Charlotte hatte in der Kirche viel geweint vor Gemüthsbewegung, und sie hatte Gründe: der Tod ihres Wachtmeisters, die unverhoffte Ehre, zu der er ihr endlich verhalf, und der Verdruß, daß sie keine Kutschen und Pferde erhalten können. Die waren alle requirirt zum Transport und für die Fliehenden. Ein Brautzug zu Fuß hatte ihr eine Entwürdigung der Ehe gedünkt. Was aber war das gegen ihr Gefühl, ihre Bestürzung, nein, es war ein Donner schlag, als man ihr auf die Schulter stieß: »Zurück! die Königin!« Die Königin hatte halten und warten müssen um Charlotten! – Sie sah das holdselige Gesicht der Königin, das verwundert über das Unerwartete zum Kutschenschlage herausblickte. Da war's um sie geschehen; es war zu viel. In ihrem Brautanzuge, der sehr kostbar war, aber doch vielleicht aus der Garderobe der seligen Frau Geheimräthin, war sie auf die Knie gestürzt, das schwere bauschigte Damastkleid im Gemüll der Straße! »Gnade, allerdurchlauchtigste Königin, aber ich kann nicht dafür. Er hat mich geheirathet.« Als die Königin, die vielleicht ein Bittgesuch vermuthete, den Kopf weiter vorbeugte, setzte der Geheimrath mit tiefer Verbeugung hinzu: »Majestät, nur wegen der allgemeinen Kalamität.« Ob die Königin in ihren Schmerzen gelächelt, ob sie wirklich eine Bewegung mit der Hand gemacht, die für eine Segnung gelten konnte? Sie hatte sich schnell wieder in die Kutsche zurückgelehnt. Alles war das Werk des Augenblicks. Walter zuckte plötzlich auf. Der Brautzug trennte ihn noch von jener Wagenreihe; aber er sah eine weibliche Gestalt in Trauer sich aus der dritten Kutsche hinauslehnen und dem alten Alltag einen Scheidekuß geben. Es war Adelheid. Ihre Augen trafen sich. »Eine junge Wittwe, die Frau von Bovillard,« sagte Jemand neben ihm. Der Wagen rollte den andern nach. Adelheid sah noch ein mal hinaus und winkte mit dem Tuche, er wusste nicht, ob ihm, ob ihrem Vater. Durch die Pappeln schwirrte ein Luftzug; ihm war es, als säusele er: Auf Wiedersehen! »Rebutant!« sagte die Gräfin Voß, als die königlichen Wagen außer dem Thore waren. »Daß Ihro Majestät zuletzt ein solcher ridiculer Auftritt in Dero Residenz begegnen musste. Man sieht, es ist mit aller Ordnung und Dehors dort aus.« Man musste Zeit gehabt haben, vielleicht um sie zu zerstreuen, die Fürstin von den Verhältnissen zu unterrichten. Auch hatte man sie aufmerksam gemacht, daß der alte wohlbekannte Kaufmann van Asten lächelnd an der Straße gestanden: »Er hätte doch wenigstens in solchem Augenblick seine Freude verbergen müssen.« Die Königin hatte schweigend dagesessen. Jetzt öffnete sie die Lippen: »Weshalb, meine Freunde, weil wir traurig sind und Millionen mit uns, sollen Alle trauern? Hat die Vorsehung es nicht so gefügt, daß während es hier Nacht ist, jenseits der Erde die Sonne scheint, und wir wissen, daß, wenn es dort dunkelt, hier der Tag anbricht. Wenn wir Alle in Finsterniß und Trauer vergingen, wie sollte der Hoffnungsstrahl uns erleuchten! Freuen wir uns doch, daß nicht alle Herzen brechen, daß sie sogar noch lachen können, während wir blutige Thränen weinen. Die heute ausruhen, sind morgen wach. – Ich will es als eine gute Vorbedeutung nehmen, daß wir eine Hochzeit, Lachende und Frohe sahen beim Abschied aus Berlin.« Als sie, um von der Höhe einen letzten Scheideblick auf die Königsstadt zu werfen, den Kopf aus dem Fenster steckte, theilte sich der Herbstnebel am Horizont und die Sonne strahlte aus dem blauen Firmament. Sie horchte auf die Lerchen in der Luft. Ob sie das Lied verstand? Es war kein letzter Seufzer des Mohrenkönigs, als er sein »Wehe mir, Alhama!« auf dem Berge sang, von dem er zum letzten Mal sein geliebtes Granada sah. Ende. Fußnoten 1 Historische Worte Niebuhrs aus jener Zeit.