Eine Scene zwischen einem Vater und einem unvorsichtigen jungen Manne »Herr – – –«, sagte der Vater des jungen Fräulein zu dem jungen Manne, »verzeihen Sie, Sie beginnen zu weinen über ein Buch, welches Sie da im Café lesen. Und gestern sollen Sie im Restaurant meine Tochter beleidigt haben, die Sie gar nicht kennen?!« »Ich sass an einem entfernten Tische. Ihre Tochter sass mit dem Rücken gegen mich, Herr –.« »Sie sollen eigenthümliche Blicke gerichtet haben. Ich sehe Sie weinen über ein Buch. Welches ist es?!« »Beatrice Harraden, Schiffe – – –.« »Vor allen Leuten weinen Sie?! Sie sind kein alter Mann. Geht es schlecht aus?!« »Jawohl. Es ist das Leben!« »So – –?! Ich werde es vielleicht kaufen. Die Abende sind so lang am Lande. Ihre Rekommandation bedeutet nicht viel. Warum haben Sie meine Tochter beleidigt?!« »Ihre Tochter sass mit dem Rücken gegen mich –.« »Sie sollen sie dennoch controllirt haben – –. Wie heisst das Buch?!« »Schiffe, von Beatrice Harraden – – –.« »Ist es denn so traurig?!« »Ja. Bernhardine stirbt unter einem Lasten-Wag gon.« »Es ist ein brutaler Schluss. Meine Frau erzählte mir, Edith hätte auf ihre Veranlassung Platz wechseln müssen. Es war sehr peinlich natürlich. Ich kümmere mich nicht um diese Sachen. Aber da ich mit Ihnen bekannt bin – – –.« »Ich fühle mich schuldig« sagte der junge Mann. »Sie haben wegen Bernhardine geweint. War sie jung?!« »Natürlich.« »Warum legte sie sich unter einen Lasten-Waggon?! Es ist kein amüsanter Platz.« »Sie hatte nichts mehr zu thun. Zum Schluss hatte sie Bücher abgestaubt in der Bibliothek ihres alten Onkels. Endlich waren alle Bücher abgestaubt, Alles in Ordnung. Da begab sie sich unter den Lasten-Waggon.« »Meine Tochter Edith, welche neben ihrem Bräutigam sass, das heisst neben dem jungen Dr. von S., musste aufstehen und Platz wechseln. Das war sehr unangenehm. Meine Frau erzählte es mir. Ich hätte Sie nie interpellirt, selbstverständlich, wenn ich nicht gesehen hätte, dass Sie über Bernhardine weinen.« »Bernhardine ist eine Königin!« »Was kostet dieses Buch?!« »Broschiert 50 Pfennige.« »Sie fühlen sich schuldig?!« »Ja. Ich betrachtete unaufhörlich die Gestalt Ihrer Tochter, ihre Bewegungen, die Art ihres Sitzens. Die Herrschaften tranken Bordeaux, dann Champagner.« »Aber Edith sass mit dem Rücken gegen Sie?!« »Immerhin. Ich beobachtete ihre Bewegungen. Ich controllirte sie.« »Warum thaten Sie es?!« Ich dachte: »Wann wird das ›reale Leben‹ hereinbrechen?! Hier herrscht noch Gracie und Beweglichkeit. Die habe ich physiologisch bestimmt als ›Sinnen-Beherrscher‹. Das riesige Leben liegt noch allein in den braunen Augen, in den feinen Händen Edith's. Wann wird es sich hinabbegeben, sinken, schwerfällig werden?! Die Feinde ›Wein und Liebe‹ rücken heran!« »Was erwarteten Sie?!« »Wann wirst Du mit den Knieen deinen Herrn berühren?!« dachte ich. »Fand es statt?« »Nein. Mein physiologisches Prinzip siegte! Es siegt immer. Ich reichte ihr den Lorbeer. Da stand Ihre Frau auf und warnte das Fräulein. Sie sagte ziemlich laut: ›Setze Dich nach rechts, Edith, ja, bitte –.‹« »Das war sehr peinlich.« »Ihre Frau hielt mich für einen Fripon.« »Und Edith?!« »Das Fräulein wandte sich um nach mir und ich verneigte mich tief vor ihr mit meinen beiden Augen. Sie verstand mich nicht und setzte sich traurig nach rechts und schwieg. Aber ich rief ihr mit meinen Augen zu: ›Evviva!‹« »Es wäre fast zu einer Katastrophe gekommen. Der Bräutigam, der Herr Dr. von S. – – – –. Machen Sie doch Ihre physiologischen Studien wo anders – – –.« »Ihre Tochter hat gesiegt – – –! Ich reichte ihr den Lorbeer – – –.« »Starb Bernhardine gleich, als sie unter dem Lastenwaggon lag?!« »Nein, sie wurde in's Hospital gebracht. Bevor sie starb, liess sie dem ›unangenehmen Menschen‹ sagen, er solle in den Curort gehen für Lungenkranke, Ihr zuliebe – – –. Das war auch eine Siegerin. Eine Sich-selbst-Besiegerin!« »War ihre Aufgabe damit vollendet?!« »Ja; damit war sie vollendet. Sie konnte sich unter den Lasten-Waggon begeben.« »Leihen Sie mir das Buch.« »Bitte – – –.« »Sie waren unvorsichtig. Es war ein öffentliches Lokal. Ich mische mich nicht in diese Sachen. Meine Frau sagte mir, dass Sie Edith controllirt hätten.« »Ja, ich hatte die Contrôle-Augen des Schöpfers, der herabsieht, ob in den Menschenseelen dunkle Flecken sind oder ob sie erstrahlen!?« »Sie sind überspannt. Ich werde Ihnen das Buch jedesfalls morgen zurückbringen. Vielleicht gebe ich es Edith zu lesen – – –.« »Bitte – – –.« Ich werde zu ihr sagen: »Was hältst Du von Bernhardine?! Der ›unverschämte Mensch‹ hat über sie geweint – – –.«