16. Uber Hohel. 1. v. 14. Mein freund ist mir ein püschel Myrrhen, der zwischen meinen brüsten übernachtet. Wie: Jesu deine tieffe wunden. 1. Wenn vernunfft von Christi leiden Und von dessen nutzen spricht: Will sie sich von aussen weiden Mit dem trost, den sie erdicht. Oder kommt es hoch, so kan Sie viel klagens fangen an Uber Christi pein und schmertzen, Gleichwol gehts ihr nie von hertzen. 2. Aber meines Geistes sehnen Zielt auff die gemeinschafft hin, Stäts zum sterben zu gewehnen Den so tieff verderbten sinn. Hier heng ich den Myrrhen-strauch Nicht nur auff die brust zum brauch: In den tieffsten grund der seelen Soll der Geist die krafft verhölen. 3. Diß geheimnis wird verborgen Und als thorheit angesehn: Aber meine größte sorgen Sollen auff diß wunder gehn, Daß nur Christi tod in mir Durch ersterben für und für Zu dem leben außgebiehret, Im gericht den sieg außführet. 4. Drum such ich den freund im grunde Meines hertzens, wo er sich Aus dem sonst verschloßnen munde Mir einflößt so süßiglich Seine gantze sterbens-krafft, Die ein neues wesen schafft: Als die rosen in dem Lentzen Nach dem todt des Winters gläntzen. 5. Wenn ich denn vom Oster-lamme Mit recht bittern salsen speiß; Das die heisse liebes-flamme Selbst in mir zu braten weiß: Frag ich nicht erst, wer er sey, Weil ich ihn selbst esse frey, Und wenns noch an kräfften fehlet, Ist er mir zu Alls erwehlet. 6. Diß druckt mich in hoffart nieder, In betrübnis hälts empor Gibt in schwachheit stärcke wieder Aus verzweifflung ziehts hervor, Hält mich zwischen lieb und leid In der rechten mässigkeit: Ja ich find die tieffste stille, Wenn am creutze hangt mein wille. 7. O geheimnis-reiche liebe, Die sich im verborgnen schenckt! Öffne die geheimen triebe, Wenn mein sinn ans creutz hin denckt: Keine leidens-krafft von dir Müsse jemals manglen mir. Außer mir mag alls vergehen, Bleibe du in mir nur stehen!