2. Schon blökt ins Feld die erste Hammelheerde, Der Hof hielt seine letzte Soiree, Und grasgrün überdeckt die alte Erde Coquett ihr weißes Winternegligee. Der Wald rauscht wieder seine Lenzgeschichten Und mir im Schädel rasselt kreuz und quer Ein ganzer Rattenkönig von Gedichten, Ein Reim- und Rhythmenungethüm umher. Wie Gold in meine ärmliche Mansarde Durchs offne Fenster fällt der Sonnenschein, Und graubefrackt lärmt eine Spatzengarde: Ich schnitt es gern in alle Rinden ein! Die Luft weht lau und eine Linde spreitet Grün übers Dach ihr junges Laubpanier Und vor mir auf dem Tisch liegt ausgebreitet Fein säuberlich ein Bogen Schreibpapier. O lang ist's her, daß mir's im Hirne blitzte! Im Winterschnee erfror die Phantasie; Erst heute war's, daß ich den Bleistift spitzte, Erst heut in dieser Frühlingsscenerie. Weh, mein Talent versickert schon im Sande, Des eitlen Nichtsthuns bin ich endlich satt, Drum, da ich ihn noch nie sah auf dem Lande, Besing' ich nun den Frühling in der Stadt. Denn nicht am Waldrand bin ich aufgewachsen Und kein Naturkind gab mir das Geleit, Ich seh die Welt sich drehn um ihre Achsen Als Kind der Großstadt und der neuen Zeit. Tagaus, tagein umrollt vom Qualm der Essen, War's oft mein Herz, das lautauf schlug und schrie, Und dennoch, dennoch hab ich nie vergessen Das goldne Wort: Auch dies ist Poesie! O wie so anders, als die Herren singen, Stellt sich der Lenz hier in der Großstadt ein! Er weiß sich auch noch anders zu verdingen, Als nur als Vogelsang und Vollmondschein. Er heult als Südwind um die morschen Dächer Und wimmert wie ein kranker Komödiant, Bis licht die Sonne ihren goldnen Fächer Durch Wolken lächelnd auseinanderspannt. Und Frühling! Frühling! schallt's aus allen Kehlen, Der Bettler hört's und weint des Nachts am Quai; Ein süßer Schauer rinnt durch alle Seelen Und durch die Straßen der geschmolzne Schnee. Die Damen tragen wieder lange Schleppen, Zum Schneider eilt nun, wer sich's leisten kann; Die Kinder spielen lärmend auf den Treppen Und auf den Höfen singt der Leiermann. Schon legt der Bäcker sich auf Osterkringel Und seine Fenster putzt der Photograph, Der blaue Milchmann mit der gelben Klingel Stört uns tagtäglich nun den Morgenschlaf. Mit Kupfern illustrirt die Frauenzeitung Die neusten Frühjahrsmoden aus Paris, Ihr Feuilleton bringt zur Geschmacksverbreitung Den neusten Schundroman von Dumas fils. Es tritt der Strohhut und der Sonnenknicker Nun wieder in sein angestammtes Recht Und coquettirend mit dem Nasenzwicker Durchstreift den Park der Promenadenhecht. Das ist so recht die Schmachtzeit für Blondinen Und ach, so mancher wird das Herzlein schwer; Ein Duft von Veilchen und von Apfelsinen Schwingt wie im Traum sich übers Häusermeer. Am Arm das Körbchen mit den weißen Glöckchen, Das blonde Haar zerweht vom Frühlingswind, Lehnt bleich und zitternd im verschossnen Röckchen Am Prunkpalast das Proletarierkind. Geschminkte Dämchen und gezierte Stutzer, Doch Niemand, der ihm schenkt ein freundlich Wort; Und naht sich Abends der Laternenputzer, Dann schleicht es weinend sich ins Dunkel fort! Verfolgt vom blutgen Schwarm der Manichäer, Um irrt nun Bruder Studio wie gehetzt, Bis er sich endlich rettet zum Hebräer Und seinen Winterpaletot versetzt. Der Hypochonder sinnt auf Frühjahrskuren Und wettert auf die Stickluft der Salons, Der Italiano formt sich Gypsfiguren Und zieht vors Thor mit seinen Luftballons. Nun geht die Welt kopfüber und kopfunter, Auf Sommerwohnung zieht schon der Rentier, Die Anschlagsäulen werden immer bunter Und nächtlich wimmert oft das Portemonnaie. Der Schornsteinfeger klettert auf die Leiter Und grinst uns an als Vogelperspecteur, Vor Klingeln kommt die Pferdebahn nicht weiter Und Alles brüllt: »He, schneller, Conducteur!« Das Militair wirft sich in Drillichhosen Und übt sich schwitzend im Paradeschritt, Als ging's kopfüber gegen die Franzosen, Und krampfhaft schleppt es die Tornister mit. Und blitzt der Exercierplatz dann exotisch Wie ein gemaltes Farbenmosaik, Dann wird die Schusterjugend patriotisch Und lautauf spielt die Regimentsmusik. Schon dampft der Kaffee hie und da im Garten, Der Schooßhund bellt, es kreischt der Papagei, Papa studirt die kolorirten Karten Von Zoppot, Heringsdorf und Norderney. In den geschlossenen Theatern trauern Die weichen Polstersitze des Parquets Und rothe Zettel predgen an den Mauern Die goldne Aera der Retourbilletts. An eine Spritztour denkt manch armer Schlucker, Doch dreht sie leider sich ums Wörtchen »wenn«, Am gelben Gurt den schwarzeen Opernkucker Stelzt durchs Museum nun der Inglishman. Die Provinzialen aber schneiden Fratzen Dank ihrer anerzognen Prüderie, Und unbemerkt nur schleichen sie wie Katzen Um unsre liebe Frau von Medici. Doch drauß vorm Stadtthor rauscht es in den Bäumen, Dort tummelt sich die fashionable Welt, Und junge Dichter wandeln dort und träumen Von ewgem Ruhm, Unsterblichkeit – und Geld. Rings um die wiederweißen Marmormäler Spielt laut ein Kinderschwarm nun Blindekuh, Und heimlich giebt der Backfisch dem Pennäler Am Goldfischteich das erste Rendezvous. Und macht die Nacht dann ihre stille Runde Und blitzt es licht durchs dunkle Firmament, Dann ist's dieselbe Lenznacht, die zur Stunde Sich lagert um den Busen von Sorrent. Dann ist's derselbe Mond, der rings das Pflaster Weich überdeckt mit seinem goldnen Bließ, Den vor Jahrtausenden schon Zoroaster Als ewgen Herold aller Lenze pries. – O Frühling! Frühling, dem die Welt entlodert, Du führst im Schild ein Röslein ohne Dorn! Daß uns das Herz nicht ganz vermorscht und modert, Stößt du noch immer in dein Wunderhorn. Noch immer läßt du deine Nachtigallen Ins Frühroth schlagen, wie zur Zeit Homers, Und hebst empor die Engel, die gefallen, Die kranken Söhne Fausts und Ahasvers. Ob du vor Zeiten einst als junge Sonne Glorreich emporstiegst über Salamis, Indeß Diogenes in seiner Tonne Sich philosophisch in die Nägel biß; Und ob dir heute noch im fernsten Norden Ein Opfer bringt der fromme Eskimo, Wie weiland an des Südmeers blauen Borden Der alte Mythenkönig Pharao: Du bist und bleibst der einzig wahre Heiland, Dein schöner Wahlspruch jauchzt: »Empor! Empor!« Was soll uns noch ein waldumrauschtes Eiland? Du wandelst um den Stadtwall auch durchs Thor! Du bist nicht scheu wie deine Waldgespenster, Du setzt auch in die Großstadt deinen Fuß Und wehst tagtäglich durch das offne Fenster Mir in das Stübchen deinen Morgengruß. Und jetzt, wo schon der Abend seine Lichter Rothgolden über alle Dächer strahlt, Krönst du mich lächelnd nun zu deinem Dichter Und hast mir rhythmisch das Papier bemalt. Ich aber gebe dieses Blatt den Winden, Die Fangball spielen um den Kirchthurmknauf. Und wenn's noch heut die Straßenkehrer finden, Was kümmert's mich? Flieg auf, mein Lied, flieg auf! Doch fällst du einem schönen Kind zu Füßen, Das dich erröthend in den Busen steckt, Dann sprich zu ihm: »Der Frühling läßt Dich grüßen!« Bis sie mit Küssen das Papier bedeckt. Doch hascht ein Graukopf dich auf deinen Bahnen, So ein vergilbter Langohr-Recensent, Dann sprich zu ihm: »Respect vor meinen Ahnen! Mein Urtext steht im Sanskrit und im Zend! «