6. Ein Kind wollt' Blumen pflücken gehn Des Morgens früh im Taue, Und tausend Blümlein bunt und schön Entblühten auf der Aue; Lenz war es rings und Sonnenschein, Und alle Blümlein groß und klein Standen da in süßer Freude. Und als das Kindlein tritt ins Feld, Die Blümlein werden munter, Und jedes gleich sein Köpfchen hält Hinaufwärts und hinunter, Wohin des Kindchens Händchen langt: Ein jedes Blümlein sehr verlangt In seiner Hand zu sterben. Da plötzlich tritt ein Engel weiß Gar freundlich zwischen beide Und spricht: »Gegrüßt der Jugend Preis! Und Blümlein auf der Heide! Voll Himmelslust und Himmelschein, Von innen und von außen rein, Blumen schön und fromme Kinder! Willkommen, Veilchen still und zart! Willkommen, Lilie reine! Und du, von Königinnenart Und Königin alleine, Du Rose, hohes Purpurrot! Euch, Holde, segne alle Gott, Wie er dies Kindlein segnet!« Er drauf das Kindlein freundlich küßt Und küßt die Blumen schöne, Dann rauscht er, wie er kommen ist, Dahin wie Saitentöne. Das Kindlein schaut ihm brünstig nach Und lauscht den Worten, die er sprach, Und ruft: »Ach! komm doch wieder!« Und als er doch nicht wiederkömmt, So geht es traurig weiter, Und nichts die heißen Tränen hemmt, Die fallen auf die Kräuter Und auf die Blumen ringsumher; Dem Kindlein wird das Herz so schwer Und will ihm fast zerbrechen. Da, siehe! wie ein Himmelschein Fällt ihm ein Glanz entgegen, Es schießt ein helles Kränzelein Herab als Himmelssegen Und fällt dem Kindlein in den Schoß, Ihm wird das Herz in Freuden groß Wohl ob dem lieben Kränzel. Und diesen Kranz von Engelhand Das Kindlein hat getragen, Solang es ging im Erdentand, In Nächten und an Tagen. Das Kränzlein schön von Himmelsart Hat weiß und rein das Kind bewahrt Und ihm das Herz behütet. Sooft nun Kinder Blumen sehn, Sie solln des Engels denken, Daß ihnen auch er wolle schön Ein solches Kränzel schenken. Mit Erdenblumen spielt der Wind, Doch Blumen, die vom Himmel sind, Die blühen unvergänglich.