Die heiligen Zeichen Romanze Wunder! schreit's durch alle Gassen, Auch die Priester Wunder! schreien: »Ihr sollt neuen Glauben fassen, Euch durch diese Zeichen weihen. Seht die Brust der kranken Nonne Ist bezeichnet mit dem Kreutze, Mit des Dornenkranzes Sonne Glüht die Stirn vom Schmerzensreitze. Und die heilgen Nägelmahle Schimmern roth an Händ' und Füßen, So will Gott im Erdenthale Lange Leiden ihr versüßen. Wie der Herr des Walds erst stellet Zeichen zu den schönsten Eichen, Eh er sie zur Kirche fället Die den Himmel soll erreichen; So ist Gott der Sohn gekommen Oeffnet mit den heilgen Wunden Kopf und Herz, die noch beklommen Von den letzten Erdenstunden. Seht sie sterben, seht sie scheiden Sie ist unser, bleibt uns eigen, Solcher Tod ist zu beneiden Und sie wird einst für uns zeugen. Auf dem Altar unsrer Kirche Wird der Leichnam bald verehret, Daß sie segnend Wunder wirke In dem Glauben, den sie lehret.« Tausend stehen an dem Bette, Einer ruft: »was soll ich denken, Gnädger Gott, die Heilge rette Statt dies Zeichen ihr zu schenken. Daß sie hier mit ihrer Lehre Aus dem nahen selgen Anschaun Unsern irdschen Wahn zerstöre Und des Herzens Eis mag aufthaun. Dieses Wunder mich nicht wärmet, Dieses Zeichen mir nicht strahlet, Wo ein Volk im Glauben schwärmet Ist ein Trugbild leicht gemahlet.« Zornig drohet ihm die Menge, Doch die Nonne winket Frieden, Wieder kniet nun das Gedränge, Ruft nach Segen bey der Müden. Und mit ihrem letzten Athem Hebt die Fromme ihre Stimme: »Segne Gott, der mich berathen, Der mich führt, wohin ich klimme. Achtet höher nicht die Zeichen Als den Geist, der ist das Wesen, Diese Zeichen müssen weichen Dem Genesen, dem Verwesen. In dem ausgezehrten Leibe Wurden frey der Seele Flügel, Und im heilgen Zeitvertreibe Drückte sie mir auf das Siegel. Wo ich innen Gott gefühlet, Aeusserlich das Kreutz geschlagen, Wo die Hände mich gekühlet, Wenn der Geist zu Gott getragen. Wo die Händ' im Schlaf gefalten, Und die Füße sich geschlossen, Mußte Krankheit mir gestalten, Was mich innerlich durchflossen. Kron und Kreutz auf Stirn und Herzen Sind der Leiden blutge Kunde, Linderten der Krankheit Schmerzen, Floß das Blut aus jeder Wunde. Wenn mein Herz zu Gott beweget An dem Tag, wo er gelitten, Floß das Blut, vom Geist erreget, Wohlseyn lohnte meine Bitten. Fühlt den Schmerz, den ich gelitten, Betet stets bey diesen Zeichen, Und natürlich wird erstritten, Was dem Wunder wohl mag gleichen. Eine Wahrheit glaubt den Zeichen, Daß ich nie vom Herrn gewichen, Nur der Geist kann ihn erreichen Nie hat er den Leib bestrichen. Wenn die Zeichen hier erblassen Ehret ihn in seinen Worten, Die er sterbend uns gelassen, Sie eröffnen Himmelspforten. Betet nicht zu todten Leichen, Lebend Wort ist Fleisch geworden, Wohnet unter uns als Zeichen, Weihte mich zum keuschen Orden.« Bey dem Worte sinkt sie nieder, Und der Eine, der gesprochen, Ruft: »Ich seh dich Seele wieder, Wenn die Augen mir gebrochen. Fromme Lüge nahm mir Glauben Trieb aus Kirchen mich ins Freye, Wenn das Blatt fällt reifen Trauben, Wahrheit führt zurück zum Glauben. Wahrheit, die dem Volk gebeichtet Ist der echte Glaubens Zunder, Wahrheit wärmet und erleuchtet Nie erlischt ihr ewges Wunder.«