33. Sagen aus Südbaiern. 1. Die verwüstete Alpe. An der Grenze des bairischen Oberlandes, unfern des Wendelsteins , ragen die Kaiserer empor, sehr hohe und schroffe Felsenwände, die einen großen Theil des Jahres mit Schnee bedeckt sind. In alten Zeiten sollen am nördlichen Abhang dieses Gebirges fruchtbare Alpen gewesen sein, und zahlreiche Heerden auf den fetten Matten geweidet haben, so daß die Menschen Ueberfluß hatten an Milch und Butter und Käs, und an allen zeitlichen Gütern. Aber wie das Sprüchwort sagt: Reichthum gebiert Uebermuth, und Uebermuth gebiert Armuth, also geschah es auch hier. In Hülle und Fülle, wie diese Leute lebten, arteten sie immer mehr aus, und trieben es zuletzt so arg, daß sie Gottes Gabe, statt dafür zu danken, zu eitlem, freventlichem Spiele mißbrauchten. Sie erbauten sich eine Kegelstätte von lauter Käslaiben; dazu formten sie Kegel aus Butter, und schossen darauf mit Kugeln aus Brod, und hatten ihren Jubel dabei, – das ruchlose Geschlecht! Da endlich ergrimmte der Himmel über sie, und es ereilte sie plötzlich Gottes schwere Rache. Denn in einer Nacht brach ein furchtbares Gewitter aus; Regenströme schwemmten von den Alpen alles fruchtbare Erdreich hinweg; die Felsen erbeten und stürzten über ihren Häuptern und Hütten zusammen. Und so ist es denn geschehen, daß von der Zeit an da, wo ehedem grüne Matten von Fett troffen, nur kahle, gähstotzige Felsenwände emporstarren, an denen kein Gras wächst, kein Gesträuch wuchert, kein Leben gedeiht, – eine große, menschenleere Wüste!