53. Volkssagen aus Franken. 1. In Rothenburg an der Tauber ist ein Gäßchen, das heißt das Freudengäßchen. Dort hat vor Zeiten der Scharfrichter seine Behausung gehabt. Wie aber dasselbe zu dem Namen gekommen, davon wird folgende Geschichte erzählt. Als nach der Schlacht bei Nördlingen der Tilly in Rothenburg eingezogen, hatte man ihm und seinen Leuten ein staatliches Mahl zubereitet auf dem Rathhause. Dabei ward ihnen denn auch in einem großen Humpen, der noch heutigs Tags zu sehen ist, Wein kredenzt vom Rothenburger Gewächs, dem besten. Wie nun Tilly den Mund ansetze, fand er den Wein ganz abscheulich; und vermeinend, daß die Rothenburger ihm diesen Trank zum Spotte gereicht, ergrimmte er in Zorn, und sprach zu Bürgermeister und Rathsherren: Dieser euer Wein soll euch schlecht bekommen. Denn ich sage euch: wenn nicht einer von euch diesen Humpen in einem Zuge austrinkt, so seid ihr alle des Todes. Und er ließ auch sogleich den Scharfrichter holen, daß er bereit stehe mit seinem Schwerte, um einem nach dem andern den Kopf abzuhauen. Da erbarmte sich aus Patriotismus einer der jüngern Rathsherren der übrigen, und trat vor, und trank den Wein allen in Einem Zuge aus, wie es der grausame Tilly verlangt hatte. Also sind Bürgermeister und Rathsherren mit dem Leben davon gekommen und der Scharfrichter ist unverrichteter Dinge wieder abgezogen. Darüber ist nun in Rothenburg große Freude gewesen. Und es wurde, um dieses Ereignisses wegen, jenes Gäßchen, in welchem der Scharfrichter seine Wohnung gehabt, von der Zeit an das Freudengäßchen genannt.