Cornelius Hermann von Ayrenhoff Virginia oder Das abgeschaffte Decemvirat Trauerspiel in vier Aufzügen Dem Herrn Abbte de' Giorgi Bertòla gewidmet Personen Personen. Virginia. Virginius, derselben Vater. Numitorius, dessen Schwäher. Icilius, Virginiens Bräutigam. Albina, Virginiens Gouvernante. Appius Claudius, der erste Decemvir. Marcus Claudius. Lälia, des Marcus Gemahlinn. Valerius, Chef der Besatzung des Capitols. Lucius, ein Offizier des Appius. Ruffus, Quintus, , Römische Bürger. Wachen, Lictoren, vier Sklaven des Marcus, und Volk, worunter auch Weiber sind. Zuschrift an den Herrn Abbt von Bertòla Zuschrift an den Herrn Abbt von Bertòla. Schätzbarster Freund! Der schmeichelhafte Beyfall, mit welchem ich meine Kleopatra in Ihrer Idea della bella Letteratura Alemanna aufgenommen fand, ermunterte mich zu einem neuen tragischen Versuche. Lesen Sie ihn! und erwägen Sie dann, ob Sie Gutes oder Übels gestiftet haben. Ich wählte mir die Geschichte der Virginia lieber als eine andere, theils, weil dieselbe, gleich der Geschichte der Kleopatra, sowohl durch ihre tragische als politische Wichtigkeit, in den Jahrbüchern Roms Epoche machet, theils, weil ich in einer meiner kritischen Schriften über die dramatische Kunst 1 , mich geäußert hatte, wie meines Bedünkens, dieser Stoff zu behandeln wäre, wenn man ihm diejenige Art von Interesse und Würde ertheilen wollte wodurch das heroische Trauerspiel sich von mindern Gattungen unterscheiden muß. – Ungeachtet Sie, als ausgezeichneter Kenner Ihrer National-Litteratur, aus einigen Stellen meines ersten und zweyten Akts gewahr werden können, daß mir die Virginia ihres Grafen von Alfieri nicht unbekannt ist, werden Sie doch auch erkennen, daß nicht sie, sondern die wahre Geschichte meine Führerinn war. Der ganze Inhalt der beyden ersten Akte liegt beynahe wie hier in der Histoire des revolutions de la republique Romaine vom Vertot. Der dritte Akt besteht zwar größtentheils aus meinen eignen, aber doch solchen Erdichtungen, zu denen mir die eben genannte Geschichte Wink oder Anlaß gab. Dahin gehört Icils Vorschlag zur Flucht nach dem heiligen Berge – die Ermordung seines Bruders durch Miethmörder, und die vermeinte Ermordung des Virginius. Nur im vierten Akte wagte ich ein Paar ganz unhistorische Erdichtungen. Der Angriff Icils auf den Marcus Claudius und Alles, was daraus entstehet, ist so wie die Gemahlinn dieses Marcus, ganz mein eignes Geschöpf. Die erste von den beyden Erdichtungen hielt ich für gut, weil sie auf eine natürliche Weise, unerwartete und (wie es mich däuchte) interessante Veränderungen hervorbringet, ohne den Gang der Haupthandlung zu verändern oder aufzuhalten: Die zweyte hingegen hielt ich platterdings für nothwendig, weil erst durch sie die Katastrophe denjenigen Grad von Wahrheit und Deutlichkeit erhält, welchen der echte Kunstrichter fodert, und fodern muß. Der Zuschauer wird zwar schon im ersten Auftritte meines Stücks von des Decemvirs schändlichem Anschlag auf Virginien unterrichtet, und in der Folge durch dessen eigene Geständnisse vergewissert; aber Valerius und das römische Volk, welche die Katastrophe bewirken, werden es erst durch die Entdeckung der Lälia. Ohne diese, oder eine ähnliche Überzeugung, hätten die Römer nicht hinlänglichen Beweggrund, gegen ihren Decemvir so zu handeln, wie ich sie in meinem Stücke handeln lasse; wie sie der Geschichte nach wirklich gehandelt haben: und im guten Drama müssen alle Begebenheiten, am meisten aber diejenigen, woraus die Katastrophe entstehet, genugsam und deutlich motivirt seyn. Dem Geschichtschreiber glauben wir auf sein ehrliches Wort alle nicht unmöglichen Dinge, die er uns erzählet, und Er selbst fodert nicht viel mehr als diesen Glauben von uns; aber der tragische Dichter (der, ungeachtet sein ehrliches Wort gar nicht in Betrachtung kommt, weit mehr als bloßen Glauben von uns fodert, da er uns durch seine Vorstellungen die heftigsten Empfindungen der Furcht und des Mitleids abzwingen will,) muß seinen Zweck zu erreichen, einen desto höhern Grad von unzweifelhafter Wahrheit in seine Vorstellungen legen, und deßhalb uns alle Gründe, nach welchen seine Personen handeln, genau bekannt machen; weil unser Herz unmöglich heftigen Antheil an einer Sache nehmen kann, so lange unser Verstand befugt ist, an der Wahrheit der Sache zu zweifeln. Und in dieser Rücksicht ist es unwidersprechlich, daß auf dem Theater wahrscheinliche Erdichtung mehr Werth habe, als die Wahrheit selbst, sobald diese weniger wahrscheinlich, als die Erdichtung ist. – Übrigens bin ich versichert, mir Ihren Beyfall dadurch verdienet zu haben, daß ich in diesem, wie in meinen übrigen Theaterprodukten, die Regeln der Alten pünktlich zu befolgen getrachtet habe. Die Regel: Neve minor, neu fit quinto productior actu fabula! gehört weniger als alle andern für uns Neuere, da sie nicht wie die Regeln der Einheiten, die Illusion (den Hauptzweck des Drama, wie aller schönen Künste) befördern hilft. Vielleicht war sie den Alten, ihrer Chöre, auch anderer Ursachen wegen, zur Form ihrer Tragödien wesentlicher als uns; aber sie war doch immer nur eine conventionelle, nie eine nothwendige Regel. Meines Erachtens gibt es wenig einfache tragische Handlungen, die man füglich gerade in fünf Akte eintheilen kann, ohne sich ganz willkührliche und zwecklose Zwischenakte, oder (nach Art der meisten englischen Dichter) entbehrliche, und deßhalb fehlerhafte Episoden zu erlauben, oder (nach der nicht ungewöhnlichen Art der Franzosen) ganze Akte mit einer erzählenden Exposition auszufüllen. Die Eintheilung des Stoffs muß also unstreitig der Beurtheilung des Dichters heimgestellt bleiben, so wie es der Beurtheilung des Geschichtmalers heimgestellt ist, in einem großen Gemälde (auch wann ihm Inhalt und Raum vorgeschrieben werden) die Anzahl seiner Gruppen selbst zu bestimmen. – Doch warum erwähne ich dieses Umstands gegen Sie? Meine Kleopatra ist wie diese Virginia in vier Akten, und sie erhielt Ihren Beyfall. Ein Umstand, welcher mehr eine Erwähnung verdienet, ist die Verschiedenheit der Versart, in welcher die beyden Stücke geschrieben sind. Unsere deutschen Theater-Dichter und Richter find noch nicht ganz einig, welche Gattung der Verse der Tragödie vorzüglich anpasse, ob der reimlose fünffüssige Jambus (worin diese Virginia erscheinet) oder der gereimte Alexandriner, dessen ich mich bey der Kleopatra und meinen übrigen Tragödien bedienet habe. Viele unsrer neuern Dichter, die sich die Arbeit recht bequem machen wollen, und viele unsrer berühmtesten Akteurs (deren ganz prosaische Natur gar keine Verse vertragen kann, weil sie dieselben nicht zu deklamiren wissen) bestreben sich, alle Verse überhaupt von unserm Theater zu verbannen. Gegen dies Meinung brauche ich wohl nichts zu sagen; sie hat das Zeugniß aller Zeiten und aller Nationen wider sich. Was aber die Wahl der tragischen Versart betrifft, bekenne ich noch immer meine Vorliebe für den gereimten Alexandriner, aus den Gründen, die ich in de Vorrede zu meiner Antiope angeführt habe. Allein eben diese Versart ist jetzt auf unserm Theater am wenigsten beliebt. Um zu zeigen, daß ich keinerdings eigensinnig bin, ließ ich in gegenwärtigem Stücke meine Helden in reimlosen Versen sprechen, und fand – meine Arbeit um vieles leichter. Gleichviel erhält nur das Ganze Ihren Beyfall, so ist mein Hauptziel erreichet; so bringe ich Ihnen in meiner Virginia kein ganz unwürdiges Opfer meiner Hochachtung, und rechtfertige zu gleicher Zeit, doch einigermaßen, das – zu günstige Urtheil, welches Sie in Ihrer Idea etc. über meine dramatischen Versuche gefället haben. Wien den 15ten März 1790. Ihr ganz ergebenster Diener und Freund Ayrenhoff. Fußnoten 1 In dem Schreiben über Deutschlands Theaterwesen und Kunstrichterey. Auch berührte ich diesen Gegenstand nachher in meinem fünfzehnten Briefe über Italien. 1. Akt 1. Auftritt Erster Auftritt. Marcus mit vier Sklaven. Lucius. Bald, Lucius, entweicht mir die Geduld. So lange weilt kein Flamen in dem Tempel wie dieses Mädchen. Wahr! – Nun schließe, Freund, von Deiner Ungeduld auf die, die jetzt des Appius Erwartung spannt! Sein Herz scheint ein Vulkan entflammter Leidenschaft. Kaum war es Mitternacht, so ließ er schon mich rufen, daß ich ja dich früh genug zur That ermahnte, früh genug ihm dann vom Ausschlag Nachricht brächte. Sollte denn Verhaftung eines Weibs, noch beynah Kinds, ein Werk von ungewissem Ausschlag seyn? Selbst diese Furcht des Allgewaltigen verräth die Stärke seiner Leidenschaft. Doch Marcus – oft vernahm ich von dir selbst, in deiner Lälia getreuen Brust herrsch' Eifersucht mit unzähmbarer Macht: wird sie wohl ruhig sehn, daß du das schönste von allen Mädchen Roms nach Hause bringest? Dieß würde Keine Gattinn. Doch sie weiß – und Überzeugung hat es ihr bewähret – Daß Appius die Schöne liebt, Ich nur als Freund, Befördrer seiner Wünsche bin. Blick hin, sie naht sich nun! – Citherens Bild! Behandle sie mit Glimpf! Ich weiß zu wohl, daß jeder Lärm hier zu vermeiden ist. 2. Auftritt Zweyter Auftritt. Virginia, Albina aus dem Tempel. Die Vorigen. Dann Volk. etwas leiser. Nun Knechte! Zween Sklaven ergreiffen Virginien. Wie Verwegene? warum ergreifft ihr mich? Was für Gewaltsamkeit! Erschrick nicht schönes Kind! dir soll kein Leid – ich bürge dir – geschehn; zeigst du dich nur bescheiden, still, und folgsam meinem Rathe. Durch Trotz verschlimmerst du dir dein Loos. Folg ißt ohn' alle Furcht mir in mein Haus! Ich Dir? – wer bis du denn, der du Gewalt an mich zu legen wagst? Mein Nahm' ist Marcus. Ich bin aus dem Geschlecht der Claudier, Patrizier, dein Herr – in dessen Hand dein künftig Schicksal liegt! Mein Herr – und Ich? Du meine Sklavinn! Du verkennest mich Patrizier! ich bin Virginia die einz'ge Tochter des Centurio Virginius, des Mannes, dessen Nahm' im ganzen Heere Roms ein Lobspruch ist. Dieß wähnst du nur zu seyn; du bist es nicht. Mehr Licht hievon werd' ich dir bald ertheilen. Quintus, Ruffus und einiges Volk zeigen sich in der Ferne. Folg itzt nur unverweilt mir in mein Haus! Dort kannst du mich nur todt, Verwegner, sehn. Fort Knechte! Nein, Grausame! tödtet mich! Herbey ihr Römer! helft! beym Jupiter beschwör ich euch. Helft! helft! 3. Auftritt Dritter Auftritt. Quintus, Ruffus. Die Vorigen. Was geht hier vor? Ruffus und das Volk nähern sich allmählich. Entehrung eines edlen Mädchens! Schützt, ihr Römer, um der Götter Willen, sie! Fort, sag ich euch, mit ihr! Zur Albina. Du Kühne, schweig, soll deinen Lästermund der Tod nicht schließen! Ihr Sklaven haltet ein! – was fodert ihr? Ich nehm' in Dieser hier, mein Eigenthum, um das man mich betrog, zurück: denn sie war meine Sklavinn. Nein, ihr wackern Bürger! Ich bin die Tochter des Virginius, der ruhmvoll bey dem Heere Vibulans für Vaterland und Euch die Waffen führt. Virgin? – ich kenn' ihn gut den tapfern Mann. Sprichst du nur wahr, so ist es unsre Pflicht dir beyzustehn. Beym Himmel schwör' ich euch. Dort, Römer, ist das Haus des Numitor; er ist der Oheim der Virginia: denn Numitoria, des Greises Schwester, war ihre Mutter. Dort erkundigt euch nach ihrem Stand und Wandel! zu einem Bürger. Eile hin, von diesem Zufall ihn zu unterrichten Einer geht ab. Auch Numitorius ist mir bekannt, mit Ruhm bekannt. Nimmst du daher dein Recht mich im Vollzuge Meines Rechts zu stören? Glaubt man mehr Sklaven als Patriziern? Nein, Marcus! unser Wunsch ist nur zu wissen, wie Sie so dreust dein Recht verläugnen kann. Fehlt es ihr am Beweis, so schützt kein Bürger die Sklavinn gegen den Patrizier: Sind ihre Reden wahr – der Menschheit Rechte sind heiliger als die patrizischen. Ein Wort vom Numitor klärt alles auf. Ihm ist von dem Betrug nicht mehr bekannt als ihr; und ihn beweisen kann nur Ich. Dieß werd ich vor Gericht. Weh jedem dann, der jetzt sich hier so kühn als unbedachtsam, Mir, einem Claudier, zum Richter setzt! 4. Auftritt Vierter Auftritt. Numitorius. Die Vorigen. Komm Numitorius! hier ist ein Streit entstanden, der am sichersten durch Dich ... Virginia! Du hier? Ach Herr! und hier, als aus dem Tempel ich nach Hause kehrte, von einem Grausamen beschimpft, der mich als seine Sklavinn mit sich schleppen will! Als Sklavinn? träumest du? Sie Sklavinn? Sie? Virginia? die Tochter meiner Schwester? Von Sylvien – jetzt meiner Sklavinn noch – ward sie geboren, und durch sträflichen Betrug, der unfruchtbar, des Gatten Haß befürchtenden, Gemahlinn des Virgin verkauft. Und dieß, o Marcus! glaubest du? Man täuschet dich, vielfältig täuscht man dich. Eh meine Schwester dem Gemahl dieß Kind geboren, hatte sie schon Kinder ihm gebracht. Ein Träumer nur kann unfruchtbar sie nennen; nur ein Träumer ihren Kauf des Sklavenkinds behaupten: denn sie bracht in meinem Haus Virginien zur Welt. Doch wie? wenn eben so wie den Virgin, man Dich betrogen hätte? – Glaubst du wohl allein der Mann zu seyn, deß Falkenblicke kein Netz der Weiberlist verborgen bleibt? Dir selbst, o Marcus! setz' ich diese Frage. Dein Irrthum stammt gewiß von Weibern her; vielleicht von Sklavinnen, die Sylvien zu stürzen, den Betrug erdichteten. Und wenn selbst Sylvia mir ihn entdeckt – aus Reu sich selber angeklaget hätte? Wenn andre Zeugen mehr – – Doch alles dieß hört ihr nach wenig Stunden vor Gericht. Dort leg' ich Rechenschaft, nicht hier euch ab. Ach, übereil dich nicht, betrogner Mann! Du würdest diesen Schritt zu spät bereuen. Beladen mit dem Haß der Freyen Roms, verabscheut in den Herzen aller Mütter, verspottet von dem Rest der Sterblichen, zögst du gewiß mit Reu vom Forum ab. Es ist ein harter Rechtsstreit, einem Vater wie Dieser ist, die Tochter abzurechten, ein Wagestück, den Nahmen einer Gattinn wie Diese war, im Grabe noch zu schänden. Erwäg dieß wohl, o Marcus. Es ist wahr! Virginius war stets ein Ehrenmann und tapfrer Krieger. Ihn verehrt ganz Rom. Und Niemand mehr als ich. Mit Gram im Herzen bestreit' ich ihn. Doch darf ein Sterblicher verwerfen, was der Götter Huld ihm schenket? – Ich fodre drum aus Pflicht mein Eigenthum; und Er, der Ehrenmann – vernimmt er nur die Gründe meines Rechts – verschmerzet leicht ein Gut, das unrechtmäßig er besaß. O Himmel! sollt ich wirklich Sklavinn seyn, nicht frey, nicht Römerinn? O Götter! Götter! in welchen Jammer stürzt ihr plötzlich mich! Mich rührt dein Mißgeschick: – doch tröste dich! vielleicht wirds minder hart, als es nun scheinet. Glaub, ich bin Mensch, behandle menschlich auch den Sklaven. Zeig nur nicht den ersten Tag durch Widerstand dich unwerth meiner Huld! – Folg mir! Nein Grausamer! und schuff mich auch der Himmel, wie du sagst, zur Sklavinn dir, von allen deinen Rechten über mich sollst du des einzigen, mich ungestraft zu tödten, dich erfreu'n! Ha, welch ein Trotz! Nun fühle die Gewalt! ergreifft sie Knechte! Helft Römer! schützet, oder tödtet mich! 5. Auftritt Fünfter Auftritt. Icilius mit dem Bürger, der im dritten Auftritt den Numitor zu hohlen abgegangen war. Die Vorigen. Halt! haltet Sklaven! Tod und Jammer Dem, der seine kühne Faust nicht von ihr zieht! Zurück Unglücklicher! Zu einem, der Hand an ihr hat. O mein Icil! Werd' itzt ein Schild der Ehre deiner Braut! sie umarmend. Virginia! – so ists denn wahr! – o Wuth! Und Du! Du bists, der sie mir rauben will? Du Frevler hasts gewagt, Virginien, die reinste Tugend, zu mißhandeln? Du? Was hält noch meinen Arm, daß er dieß Schwert nicht schon in dein verruchtes Herz getaucht? Zwar deine Kühnheit ist ganz Rom bekannt. Allein zum Glück, hat dieses Rom Gesetze, (und Ihr, ihr Bürger selbst habt sie gemacht!) Kraft welcher mir dein Drohn nicht Furcht erregt. Nennt gleich das Mädchen itzt sich deine Braut – weil sie dadurch vielleicht sich freyer dünkt – so wird ... Sie ist es! Ich betheure dieß. Wohl! dieses Liebes-Feur wird Roms Gericht nicht blenden – so wie dort dein Ungestüm nicht über Recht und Wahrheit siegen wird. Denn Roms Gesetze – sind sie gleich für Dich nie heilig gnug – sind heilig dort befolgt. Ah Heuchler! thörichtster der Heuchler! Ich Gesetz-Verächter? und dieß sagest du dem Volke? Glaubt du wohl, daß deine List nur Einen Römer täuscht? Sie wissen Alle wie oft ich als Tribut, selbst mir zum Schaden, für die Gesetze stritt, und Gut und Leben bey jedem Plebiscit mit Freuden wagte. Ein Gegner der Gesetze war ich nur, wann Herrschsucht oder Geitz patrizischer Tyrannen das durch List betrogne Volk mit eisernen Gesetzen fesseln wollten. Kein solch Gesetz wird je mir heilig seyn. – Ihr Römer kennet längst uns Beyde: fället ein Urtheil zwischen Mir – und diesem Heuchler, der Roms Gesetze preist, indem er Roms, der Menschheit, heiligste Gesetze bricht; die tugendhafteste der Jungfraun Roms auf Roms Gerichtplatz raubt, um (Wer kann zweifeln?) an ihr der Wollust Glut zu kühlen. Auf! urtheilet zwischen mir und diesem Manne. Wahr ist's! Icil war stets ein Freund des Volks, und gegen die patrizische Gewalt ein Damm: wann Alles wich, wich Er ihr nicht. Auch lieben wir ihn als der Freyheit Stütze. Doch ists auch wahr, Icil, daß vor Gericht, nicht hier, die Foderung des Claudiers geprüfet werden muß. So spricht Vernunft. Seyd mir gepriesen, ihr Beförderer der Billigkeit! Als biedre, weise Bürger erkennet ihr, daß jedes Römers Glück in Unverletzlichkeit der Rechte lieget. Mein Recht wird vor Gericht noch heute kund! Ich lad' euch Alle hin; – auch Dich, der hier vermessen Das von mir ertrotzen will, was sicher dort ein Rechtsspruch Mir ertheilt! Hier hätte Glimpf dir mehr als Drohn genützt. Von eurer Liebe war mir nichts bekannt, und junger Sklavinnen hab ich so viele, daß diese mir nicht unentbehrlich wäre. O so begib dich deiner Foderung! Es ist zu spät. Nun zwinget mich mein Ruhm, den drückenden Verdacht, den Er erweckte, von mir zu wälzen, Rom mein Recht zu zeigen. Rom weiß bis itzo nichts von eurem Streit; Wir Wenigen ... Ihr Wengen seyd mehr, als Tausende von minderm Werthe. Nein! ich kann nun euern Wunsch, so ganz er auch dem meinen ähnlich ist, nicht mehr vollziehn. Vielleicht, wann meiner Ehre gnug geschehn, folg ich der Großmuth Trieben – eher nicht: und dieß hängt von Icils Betragen ab. – Nun Römer, wißt ihr gnug. Trennt euch! harrt nicht in Haufen auf die Stunde des Gerichts! daß die Versammlung nicht Rottirung scheine! Du Mädchen! folg indeß mir ohne Furcht. Dir folgen? Ihrem Herrn! Der bist du nicht! Icils Verlobte soll, beym Jupiter! nicht deine Sklavinn seyn. Beym Jupiter, und allen Göttern wird des Marcus Sklavinn nie deine Gattinn! fort! Ergreift sie Knechte! indem er sein Schwert zücket. Du stirbst, legt Einer seine Hand an sie. Ach haltet ein! – Zu weit treibst du dein Recht, O Marcus, ists auch wirklich ganz gegründet! Mir hat Virginius – der edle Mann, dem Achtung, mit ganz Rom du schuldig bist, das Mädchen anvertraut, als er zum Heere für uns zu kämpfen zog. Nimm sie mir nicht, bevor der Rechtsspruch sie dir zuerkennt! Ist sie mir sicher gnug in deiner Hand? Ich selbst verbürge mich mit Hab und Ehre. Ich nehme nicht die Bürgschaft an. Nun Römer! begreiffet ihr noch nicht des Frevlers List, der Großmuth erst geheuchelt, mich zu trügen, Euch zu bethören? Fühlt ihr nicht den Stolz des unverschämten Optimaten, der verdienst- und tugendlos, Verdienst und Tugend im Vater meiner Braut verachten darf? O dann seyd ihr schon reif zur Sklaverey, Ich thöricht, Hülfe noch von euch zu hoffen. Das Mittel, so mir noch zur Rettung bleibt, ist, als der letzte Römer zu erblassen! Du irrst Icil! wir billigen es nichts daß man Virginien vom Oheim trenne. Du Marcus, kannst sie nicht ihm eh'r entziehn, als der Decemvir es für Recht erkennt. So Römer, däucht es mich. Auch Mich! Uns alle. nach einer Pause. Wohlan! so kränkend mir der Ausspruch ist – von meiner Achtung euch zu überzeugen, nehm' ich ihn an. Sie folge Numitoren – der Bürgschaft mir für sie zu leisten hat. Mit meiner Hab' und mit mir selbst. Lebt wohl! Marcus geht auf der einen, und Lucius, der immer von ferne zugehört hatte, auf der andern Seite ab. 6. Auftritt Sechster Auftritt. Virginia, Albina, Icilius, Numitorius, Volk. Dank euch, ihr Freunde! Dank für euern Schutz! Ohn' Euch wär' itzt vielleicht Virginia mir schon geraubt, vielleicht Icil ein Mörder! Und wär' ichs nicht aus heil'ger Pflicht geworden? Umarmt sie. zum Volke. Nun aber bitt' ich euch, laßt uns sogleich uns trennen! daß den Feinden des Icil auch nicht ein Scheingrund bleib', Empörungsgeist ihm Schuld zu geben. Wie schon mehrmahl es der Gegner Arglist that, wann als Tribun er uns die Schlingen der Tyrannen wies. Kommt! Zum Numit. Bey Gericht sollt ihr uns wiedersehn! Das Volk geht auf verschiedenen Orten ab. 7. Auftritt Siebenter Auftritt. Virginia, Albina, Numitorius, Icilius. Komm nun Virginia! Bleib Numitor! noch hab ich nicht mich von dem Schlag erholt! – O theure Gattinn! dich, dich – und mit dir mein ganzes Glück, will der Barbar mir rauben? Ich zittre, mein Icil! Ich nicht! – Mir ist als ob ein Gott mir sagt: Fürchte nicht Icil! ein großer Sieg steht dir bevor! Ich glaub' es, fühl' es; denn unmöglich kann's der Götter Wille seyn, daß über uns dies Ungeheur, zum Hohn der Tugend siege. Du kennest ihn? Wer kennt den Buben nicht? den stolzesten der stolzen Claudier, den Lasterhaftesten von allen Römern, und – ganz zu schildern ihn mit Einem Worte – den Liebling des Decemvirs Appius. Des Appius? – Wie? Marcus ist ein Liebling des Appius? Sein trautster Busenfreund! O Himmel! Welch ein Licht strahlt plötzlich mir! Der, Der ein Busenfreund des Appius? Und aller seiner Frevel Mitgenoß! Albina merkst du nun den ganzen Gräul des Anschlags? Alles liegt jetzt klar am Tage. Was? – Was Geliebte? sprich! Ein schreckliches Geheimniß, nur zu denken schaudervoll! Geheimniß? Du Geheimnisse, vor Mir? Nur Dieß Icil. Mit des Decemvirs Macht, und deinem Hasse gegen ihn, bekannt, verschwieg ichs dir: ich hätt' es ewig dir verschwiegen, müßt' ich nicht es jetzt entdecken. Wiß, dieser mächtige Beherrscher Roms – liebt mich, und heischte dringend Gegenliebe. Kein Fallstrick der Verführung, keine List blieb unversucht. Er schickte Mittlerinnen des Lasters mir ins Haus; versprach mir Reichthum, erlauchten Rang, Erfüllung jedes Wunsches. Bewarb auch um Albinens Hülfe sich indem er Summen Goldes Ihr auch both. Doch, mit Verachtung stets vergolten, schien seyn Trieb seit ein'ger Zeit von Schaam erstickt. Vielleicht entwarf indeß mit seinem Freund er den verfluchten Plan, der jetzt beginnet. Vielleicht? nur zu gewiß! – Ha Bösewicht! verruchter Bösewicht! Der Umstand Freund ist schreckenvoll! Wir sind verloren! Nein! nein Numitorius! noch sind wirs nicht! so lang' ich athme, nicht! Noch hoff ich Schutz zu finden; Noch ist Rom nicht ganz entblößt von Bürgern, die dem Joch der Zehner fluchen, und für die Freyheit gern ihr Leben opfern. Nur auf Gelegenheit harrt noch ihr Muth. Die zeigt sich nun; und sie soll ungenützt uns nicht entgehn! Ich will des Wüthrichs Zweck auf allen Gassen Roms versündigen; um Hülfe wider ihn und Rache schrey'n; mit Farben des Cocyt Roms Zustand schildern, und Furien in jede Seele rufen. Und wären, an ihr Sklavenjoch gewöhnt, die Römer schon zu feig mir beyzustehn, so bleibet Mir noch Muth und Kraft genug dem Ungeheur den Dolch ins Herz zu stoßen. Nur hüth', o Freund! vor Übereilung dich! Zu großer Eifer bringt fast nie zum Ziele. Dein Gegner Appius ist schlau; sey Du's nicht minder! seine Macht ist fürchterlich. Nicht fällen, untergraben muß man ihn. Vor allem werde nun Virginius von unsrer Feinde Zweck genau belehrt! Er muß ohn' Aufenthalt das Heer verlassen, noch diese Nacht hier einzutreffen, Nichts ist uns so nöthig, nichts dem Appius gefährlicher als seine Gegenwart. Nur muß ein sichrer Bothe dieß ... Der sey mein Bruder! – Eh Virgin hier angelangt, soll der Tyrann, bey allen Göttern! dich mir nicht entreissen. – Kommt! so thätig auch sich wider uns die Macht des Lasters zeigt, laßt für die Tugend uns noch thät'ger seyn! Alle gehen ab. Ende des ersten Aufzugs. 2. Akt 1. Auftritt Erster Auftritt. Ruffus, Quintus und einiges Volk. Nie harrt' ich ängstlicher auf einem Spruch. Ich fürchte für das Mädchen. Ohne Grund macht Marcus nicht die kühne Foderung. Icil und Numitor, und mehr als Die, Virginius, sind Gegner von Gewicht, an die nicht ohne Recht sich Marcus wagt. Der Ruf zählt Diesen zu den Günstlingen des Appius. Weh ihm, baut er darauf! – Stolz, grausam auch ist Appius, doch stets gerecht; auch seine Feinde sprechen so. Unglücklichs Mädchen! als des würdigen Icil Verlobten, brach der Tag ihr an, und in der Knechtschaft findt der Abend sie! Ich könnte nicht so hart wie Marcus seyn. Dem reich begüterten Patrizier ist Eine Sklavin mehr, kein großes Gu Vielleicht ist Eins hier mehr als taufend: denn dieß Eins ist Schönheit, und Die zählt oft viel. 2. Auftritt Zweyter Auftritt. Lucius. Die Vorigen. Heil euch ihr Bürger! – ihr erwartet wohl mit Neugier schon das heutige Gericht? Auch wird es wichtig seyn, gelanget ja der Streit Virginiens schon heut zum Spruche. Wird er nur angebracht; denn Appius schöb' eh das Athmen auf, als ein Geschäft. Er trifft heut früher hier im Forum ein, um früher heut – ich sag' euch seine Worte – sein liebes Volk zu sehn; weil eben heut der Jahrstag ist, da zur Prätur ihr ihm mit so viel Beyfall eure Stimmen gabt. Er ist gerecht: wir wählten deshalb ihn. Er ist auch dankbar. Dieß zu zeigen, schrieb er jetzt nach Ostia um fünfzig Schiffe sicilisches Getreid, es morgen schon als sein Geschenk, dem Volke zu vertheilen. Dank ihm dem Gütigen! er mindert sehr durch diese Wohlthat uns der Theurung Last, die hart uns itzo drückt. Er leb! Er lebe! Doch Lucius! was hält der edle Mann von der Begebenheit Virginiens? Noch weiß er nichts davon. Bey diesem Spruch' erwehrt er sich gewiß des Mitleids nicht. So glaubst du, daß das Recht beym Marcus ist? Ich glaub es leider! – Stark, voll hellsten Lichts, ist dem Verlaute nach, sein Rechtsbeweis. Unglücklichs Mädchen! Sie verdient so viel Betauern, als Virgins Gemahlinn Haß im Grabe noch. Die stürzt ein ganzes Haus, das durch Betrug sie zu beglücken dachte, in großes Leid. Und so gedeihen nie die Früchte des Betrugs durch lange Zeit. denn – läg er unter einem Fels versteckt – er kömmt bestraft zu werden, an den Tag. Schon naht sich Appius 3. Auftritt Dritter Auftritt. Appius, Wachen und Lictoren gehen vor ihm her. Der curulische Stuhl wird aufgestellt. Die Wachen reihen sich hinter demselben. Ruffus, Quintus, und das Volk treten hinter die Wachen. Wann Appius auftritt, ruft. Er lebe! lebe! Appius bleibt einen Augenblick stehen, und nicket mit dem Kopfe dem Volk auf beyden Seiten seinen Dank zu; geht er mit Lucius vorwärts. Ist dieser Gruß schon Wirkung des Geschenks? Ja Herr! Sieht Niemand noch in das Geheimniß? Kein Aug' in Rom. Noch heut umarmest du. Virginien. O sagtest du doch wahr! – Der kühnste Schreyer Roms ist wider mich! Wie viel Entwürfe, reif zur Wirklichkeit, hat als Tribun der Freche mir vernichtet! Ihr Liebesbündniß war mir nicht bekannt: ich hätte sicher sonst nicht diesen Weg, den steilen Weg, zu meinem Zweck gewählet. Gewiß hat ihn nun schon Virginia von meiner Leidenschaft ... Da kein Beweis in ihren Händen ist, was können sie? – Rom ist Icils Geschrey nun schon gewohnt; es wirkt nur noch aufs Ohr, nicht mehr aufs Herz. Dort kommt sie schon – dem Frevler an der Seite! Und Marcus weilt noch? Ich geboth es ihm. Appius setzt sich auf den Richterstuhl; einige Beamte und die Lictoren stellen sich ihm zur Seite. 4. Auftritt Vierter Auftritt. Virginia, Icilius, Numitorius, mit ihnen einiges Volk, und die Vorigen. Decemvir! in des röm'schen Volkes Nahmen, ruf' ich um Recht, und deinen Schutz dich an. Hast du nur Recht, mein Schutz ist dir gewiß. Virginien, die Tochter jenes tapfern Centurio Virginius, griff heut, auf offnem Platz, mit frevelhafter Faust ein Bösewicht ... Halt ein! – Du schimpfst Icil! Dieß ist hier nicht erlaubt. Wer jetzt in Rom nicht schimpfet – fühlet nicht. Ich sprach! – – Zudem! da für Virginien du Klage führst, warum im Nahmen Roms? Erborgst du stets bey Fällen, oft kaum Deines Nahmens werth, den großen Nahmen Roms? Du bist nicht mehr Tribun des Volks – das oft, getäuscht von dir, zum Schaden sich, dir seinen Nahmen lieh. Die unerhörte Schmach, Ihr angethan, trifft Alle Freyen Roms! Vor Allen Mich – der Aller Wohl aus Pflicht besorgen muß. Doch ist Virginia die Klägerinn, wie kömmts, daß Du für sie das Recht begehrst? Sie ist mir schon als Braut verlobt. Auch schon vom Vater dir zur Aufsicht übergeben? Nein Herr! Mir übergab der Vater sie, als Rom zu schützen, er sich Rom entzog. Wohl Numitorius! Du bists, der hier an Vaters Statt ihr Recht verwalten muß. Sprich! Sechzehn Jahre sind es nun, o Herr, daß Numitoria (durch deren Tod die liebste Schwester Ich, Virginius die zärtliche der Gattinnen verlor) dieß Kind in meinem Haus gebahr. Daselbst erwuchs es dann bis jetzt, des Hauses Luft mir und den Ältern stets vor Augen, stets für eines edlen Vaters Kind, und stets für seiner werth durch Tugenden erkannt. Der schreckliche Verdacht, sie sey nicht frey, sey nur die Frucht von einer Sklaven-Ehe, kam, weil sie lebt, in keines Menschen Sinn. Und heute fällt sie Marcus Claudius hier auf dem Forum an; erkläret sie für seine Sklavinn und – erfleht sie nicht bey fremdem Mitleid Schutz, so schleppt ein Schwarm von seinen Diener sie zur Knechtschaft fort. – An ihres Vaters Statt begehr ich nun von Dir, o Herr, und den Gesetzen Roms, die Ehrenrettung der Beleidigten, und des Beleidigers Bestrafung. Billig! Unfehlbar wird sein Angriff, öffentlich vollbracht, durch Zeugen ihm erweislich seyn? Durch hundert! Diese That, so rasch, so kühn und so gewaltsam, scheint mir so wie Dir verdammlich. Marcus soll, beym Jupiter! der Strafe nicht entgehn – rechtfertigt er nicht seinen kühnen Schritt durch starke Gründe. Wer immer frevelhaft die Sicherheit, die Ruh des freyen Bürgers stört, der zittre – so lang als Appius Roms Richter ist! Dieß Numitor, ist Alles, was ich jetzt zum tröstlichen Bescheid dir sagen kann. Ob Marcus Anspruch auf Virginien gegründt, sie Sklavinn oder frey geboren, wahr oder falsch ihr Nahme sey, bleibt, bis den Marcus ich vernommen, unentschieden. Wie? Numitors Bericht von der Geburt Virginiens, entschiede Nichts? auch Nichts ihr sechzehn Jahre nie bestrittnes Recht? – Auch hättst du noch den Marcus nicht vernommen? den Marcus nicht vernommen? O vielleicht ist dieser Marcus gar dir unbekannt? Ich kenn' ihn: wisse! dieser Marcus ist die Schande Roms, ein Niederträchtiger, ein Kuppler! Alles dieß glaub' auf dein Wort ich nicht. Dein Schmähn beweist mehr deinen Trotz als seinen Unwerth. Schon verboth ich dir, an diesem Ort zu lästern; zwing mich nicht, Gehorsam durch Lictoren dich zu lehren! Hoff nicht Verwegener, Roms Richterstuhl der Ehrfurcht heischt, von dir entweiht zu sehn! O Himmel! mäß'ge dich Icil! Hier ist schon Marcus. Numitor! nun ists an uns auch Ihn zu hören. 5. Auftritt Fünfter Auftritt. Marcus mit einem Römer, einem Sklaven und einer Sklavinn. Die Vorigen. Herr! seh' ich gleich hier durch List und Eile meiner Gegner, mich schon angeklagt, so komm ich dennoch als ein Kläger vor dein heiliges Gericht – nicht von erbethnem Volk und Günstlingen, von meinem Rechte nur und meinen Zeugen begleitet – nicht mit Schreyn und kühnem Trotz – mit Ehrfurcht, dem Gefühl des guten Bürgers. Verdienst du deßhalb Lob, so bringet doch der Schritt, den diesen Morgen du gewagt, nicht mindern Tadel dir. Mit welchem Rechte fielst du Virginien auf offnem Platze ja! räuberisch beynah, mit Knechten an? Vergib! den Herren ists von dem Gesetz erlaubt, entwichne Sklaven, wo sie sind zu greiffen. Daß ich Herr des Mädchens bin, werd' ich beweisen. Das, was mich bewog, durch Überfall mich ihrer zu bemeistern, war ihre Freundschaft mit Icilen, Ihm, dem mehr als jedes Recht, sein Vortheil gilt, wär auch Gewalt und Mord der Weg dazu. Dem auszubeugen faßt' ich den Entschluß, sie still und unvermuthet einzuziehn. Und doch war meiner Vorsicht Nutzen klein. Vermuthlich schon belehrt von meinem Recht' auf seine – Freundinn, sprang bewaffnet er sogleich herbey, entflammte gegen mich des Volkes Zorn, und raubte mir, das Schwert in kühner Faust, bey tausend Lästrungen mein Eigenthum. Du hast dein Schwert gezückt? Dem Bösewicht das Herz, ständ' er nicht ab von seinem Frevel, zu durchbohren. – Gnug! Die ganze Schuld des sträflichen Tumults, und aller Folgen, trifft nur Den von euch, Deß Anspruch auf das Mädchen ungegründt. Erweise nun den deinen, Marcus! sonst verdammt mein Urtheil Dich. Virginia – aus Irrthum so bis diesen Tag genannt – ist Dieser, meiner strafbarn Sklavinn Kind. Ihr both vor der Geburt für ihre Frucht die Gattinn des Centurio Virgin sechs tausend Stück Sesterzien. Treulos schlug die Sklavinn ein – und treulos brachte gleich nach der Geburt – Der hier, der Sklavinn Mann, der Käuferinn das Kind; und ward bezahlt. Und Dieser hier, ein freyer Mann, bezeugt, daß dazumal sein Weib ein ganzes Jahr im Hause Numitors, dem Nahmen nach als Wärterinn des Kinds, doch insgeheim als dessen Amme war. Zwölf Tage sinds, daß mir der Mutter Reue den Betrug entdeckte – den sodann auch diese beyden bekannten und beschworen. Gab ihr Eid mir nicht das Recht zu nehmen, was Gesetz und Schicksal mir als Eigenthum verliehn? – So war die Sache Herr! vernimm nun selbst durch einen neuen Eid, und vor ganz Rom, die Zeugen! – Mir hingegen, den der Himmel mit Gütern segnet, bleibt nichts mehr zu thun, als folgsam einem warmen Trieb des Herzens, die Summe Geldes, die Virginius durch diesen Kauf verlor, dem Ehrenmanne verdoppelt zu ersetzen. Er reicht dem Appius einen Beutel mit Geld. Laß es Herr! indeß für ihn verwahren. indem er den Beutel nimmt, und einem Officier gibt. Diese That ist deines Nahmens werth. – Man nehme gleich den Eid der Zeugen auf! hier öffentlich! Nicht nur die Rechtenden, ganz Rom hör' ihn! – Nun Numitor! was wendest du noch ein? – Leg' in die Waag' Asträens ein Gewicht, das dem Gewichte deines Gegners gleicht! – Begehrst du noch Bestrafung seiner That? – Herr! Alles was ich noch begehren muß, ist Zeitverlängerung, Verschub des Eides. Virgin, den dieser Eid unglücklich macht. ist wenig Meilen nur von Rom entfernt, Sein Werth ist, wie ganz, Rom auch Dir bekannt. Er blutet jetzt vielleicht für Rom und Dich. Kann man in dieser Zeit ihm, unverhört, ein Urtheil, ein so schmerzlich Urtheil, sprechen? Nützt' im geringsten nur der Aufschub ihm, ich spräche: ja! Doch, was vermag er hier? Er weiß nicht mehr als Du von dem Betruge der Gattinn; und sein Schmerz wird noch ... Sein Schmerz? dich rührt sein Schmerz? Dich? – Wohl, ich glaube dir: nur zeig' in Thaten erst uns dieß Gefühl! Was Numitor begehrt, ist Billigkeit, ist Pflicht. Vernimm den Vater erst, eh du sein einzig Kind auf Anklag – eines Marcus, ihm absprichst, und im Schattenreiche noch die Gattinn ihm entehrst! Wer weiß, ist Ihm, ist ihm allein, nicht irgend eine That bekannt, ein Umstand, vortheilhaft für ihn, ein Fall, der seiner Gegner Ungrund zeigt, der ihren Meineid hemmt, und der Dich selbst vor einem schrecklichen Vergehn bewahrt. Es entsteht Bewegung und Geräusch unter dem Volk. Schweig Kühner! – Däuchst du dich vielleicht gleich Mir als Richter hier zu seyn? – Selbst im Olymp ist Einer nur! Der aber niemals irrt! In Rom dünkt Niemand noch sich unfehlbar. Du nennst mich kühn? ich bins! bin strafbar auch, Wenn nicht der größte Theil der Edlen hier Auf das Volk zeigend. Mit Mir gleich denkt und fühlt. In ihren Blicken erkenn' ich dieß Gefühl Auf Römer! sprecht! sagt mit dem freyen Muth, der Römern ziemet, ob ihr nicht Eines Sinnes mit mir seyd! Ich bins! Ich bins! Wir Alle sind's! Denk nun, Decemvir, wie ... Genug! Ich hörte dich. Dein Frevlermund, der Lästerungen Sitz, hat nie für mich der Überredung Kraft. Allein das Volk verlangt die Gegenwart Virgins; was Dieß verlangt, beacht' ich stets. Ich friste noch bis Morgen Meinen Spruch. Fünf Stunden nur bedarf Virginius zur Reise. Vibulan soll ihn sogleich uns senden! Bis dahin bleib' Jedermann in Ruh – versichert meiner untäuschbaren und strengen Billigkeit! Er will aufstehen. Herr! deinen Willen – zwar höchst ungünstig mir – bestreit ich nicht. Doch Herr! mein Recht, das als erwiesen, Kraft schon vor dem Spruche hat, erlaubt, erheischt, daß ich das Mädchen jetzt in Meine Hut, aus dem Besitze meiner Gegner bringe. Ich nehme sie mit mir. Nein Claudier! bey allen Göttern schwör' ich, Nein! Willst Du vielleicht der Schönen Hüter seyn? Nicht Ich! ihr Oheim, der den Vater noch vertritt. Wo freyer Zugang dir verstattet ist? – Nein Herr! das geht zu weit! Ihm und ganz Rom um Hohngelächter dienen will ich nicht. Das sollst du nicht. Nach altem Brauche wach' indeß das Auge des Gerichtes über sie! Zum Lucius. Nimm in Verwahrung sie! indem er sie bey der Hand ergreifft. Nein! Niemand soll nur einen Augenblick sie mir entziehn! Ha Frevler! Schein ich gleich das itzt zu seyn, so bist doch Du Tyrann es mehr als Ich! Hört Römer, einen Plan des Frevels, nie gehört! so wichtig für ganz Rom, als Mich! Nicht unsre Freyheit nur ist in Gefahr, auch eure Ehr' ihr Väter! eure Tugend ihr Töchter! eure Ruh ihr Gatten! ists. Der Bösewicht ... Lictoren! reißt ihn fort! ein Sturz vom Felsen lähm' auf ewig ihm die Lästerzunge! Fort! Die Wachen ergreiffen ihn. O Himmel! Schon' ihn Herr! bey Allem was dir heilig ist! Könnt ihr das sehn ihr Römer? gebt ihr zu, daß man mich tödtet, eh ihr mich gehört? Die Wache will ihn abführen. Laß uns ihn hören Appius! er will von seinem Recht und unsrer Freyheit sprechen. Wer das ihm wehret, ist ein Feind des Volks! Euch täuschen, Mich verleumden will er nur. Dann stürz' er vom Tarpejer Fels, eh nicht! Auch Du Verwegner, willst gebieten hier? Er fodert Billigkeit; es sprech' Icil! Es sprech' Icil! Vernehmt ihr Bürger Roms! Der kühne Wüthrich, der Virginien dem Oheim rauben und Mich tödten will, strebt lange Zeit schon ihrer Ehre nach. Nie hat die Höll' ein Mittel der Verführung ersonnen, das nicht dieser Wollüstling versucht. Umsonst bemüht, durch Ränke sie in sein verfluchtes Netz zu ziehn, entwarf mit seinem Freund und Kuppler er den Plan, für dessen Sklavinn sie, durch Miethlinge des Meineids zu erklären. Nun erwägt ihr Römer! ob nicht Ehr und Freyheit Roms ... Genug ist! – Kein Rednerblumen – wie du täglich, als des Aufruhrs Saamen, streu'st! die Klag' ist angebracht! Beweise nun! und Appius verdammt sich selbst – wo nicht – den kühnsten der Verleumder, zu dem Tode. – Kannst du durch sichtbare Beweise, Rom, daß deine Klage wahr ist, überführen? Dem Auge zeigbare, besitz ich nicht. Sahst Du, sah sonst Ein Römer jemals mich mit Dieser sprechen? mich nur nähern ihr? – Du sprachst durch Unterhändler. Nenne sie! Ich will die Frevler sehn, die meinen Nahmen mißbrauchten. Zeige sie! daß Ich – entlarvt als Lügner sie, den Römern zeigen kann! und ihr Verbrechen wird Entschuldigung des deinigen. – Sie sind nur Dir bekannt. – Verwegener! du hast den Tod verdient: und sollst ihm nicht entgehn! Ach Appius! verzeih! Ich bin es, Ich, die sterben muß! Ich sag' ihm, daß man oft Auffodrungen zur Lieb' in deinem Nahmen mir gebracht. Wer brachte sie? Mir Unbekannte, die ... Betrüger! – Doch ich merke deinen Zweck. Du nimmst vergebens Theil an seiner Schuld. Nur Er hat mich beschimpft: – nichts rettet ihn! – Nun Römer! sagt' ich es euch nicht vorher, Euch täuschen, Mich verleumden würd' er nur? – Und doch begehrtet ihr mit Ungestüm von mir, den Lästerer zu hören? Ihn, der nie den Mund eröffnet, als um Gift auf mich und meine Handlungen zu hauchen? Ihn, der mich hassen muß, weil aufmerksam auf jeden seiner Schritt', ich glücklich schon so manch Geweb des Aufruhrs ihm zerstörte? – Doch – eure Neugier, Römer nützet mir: sie schafft mir Licht, sein Herz euch zu beleuchten. Fehlt es ihm an Beweisen wider Mich, Mir fehlt es nicht daran, wie schamlos er mir Liebe für dieß Mädchen angedichtet, euch darzuthun. Nur muß erst Marcus Sache, die listig er zu unterbrechen sucht, entschieden seyn! Verzeih, o Herr! Warum ließ' Appius aus Eifer sich herab, was schon erwiesen ist – die Lüg' Icils – noch Einmal zu beweisen? Wäre sie selbst Wahrheit – brächte sie wohl Vortheil ihm? Hätt' er auf meine Sklavinn denn mehr Recht, wenn deiner Liebe du sie würdigtest? und daß sie Sklavinn ist, hab ich gezeigt. Auch würd' ich, angeklagt von Jemand andern, mit diesem Siege mich begnügen, und gehüllt in meine Unschuld – ihm verzeih'n. Bey Diesem Gegner ist das nicht das Ziel, wo Roms und meine Rache ruhen darf. Sein Tod nur ists – die lang verschobne Strafe des Meuterers, der Zwist und Unheil schon so vielmal unter uns gebrütet hat; dem Rathschlüss' und Gesetze Spielwerk sind; der täglich Rom in seinen Häuptern schmäht und Spott auf unsre Staatsverfassung wirft; der – um ein Mädchen – heut vielleicht den Staat in Aufruhr, Rom in Brand zu setzen waget. Zwar könnt' ich – trotz dem Anhang, der dich stützt, sogleich, Verleumder, dich zur Strafe ziehn; Doch bis zum Ausgang Seiner Sache Des Marcus. sollst du leben! frey, selbst Augenzeuge seyn! Noch mehr! bis morgen kann Virginia in ihres Oheims Haus – doch ohne Dich Den Icil. zu sehn, verbleiben. Herr! soll ich nun sie, die jetzt vom höchsten Werthe für mich ist, dem Oheim, der nicht Oheim ist, vertrau'n? Wer leistet Bürgschaft mir? Ich selbst! Bist Du mir Mann? Ich bürge mit! indem er den Arm empor strecket. Auch ich! eben so. Wir alle! indem er aufsteht. Genug ihr Bürger Roms! verlasset nun ohn' Aufenthalt das Forum; ich will selbst der Letzte hier verbleiben! meidet es bis morgen zu der Stunde des Gerichts, damit Roms Ruh indeß kein Zufall störe! Alle gehen auf verschiednen Orten ab. 6. Auftritt Sechster Auftritt. Appius, Lucius, Lictoren, und Wachen. indem er vorwärts gehet. Ha Lucius! kaum kenn' ich mich vor Wuth! Mir solchen Schimpf? Mir diesen kühnen Trotz – von diesem Volk – das zitternd sonst mich hörte? Mir Appius? Gewiß Herr! gegen Dich erhob die Frechheit nie das Haupt so hoch. – Doch alles übels Grund ist bloß Icil. Wird nur – doch so behutsam und geheim wie Siccius – Er aus der Welt geschafft, so trotzet sicher dir kein Römer mehr. Er sterbe! Doch nicht jetzt. Rom würde – leicht errathend das Geheimniß seines Todes – mir fluchen. – O Virginia! welch ein verhaßter Damm stellt zwischen meine Wünsche und deine Reize sich! – Doch will ich hin, und müßte Blut von Tausenden die Bahn bezeichnen! – Lucius! besorge du, daß die Besatzung ganz vom Capitol zum morgigen Gericht herunter rücke! Hätt' ich dieß Mittel heut schon angewandt, so wär' Icil nicht mehr – Ich im Besitze Virginiens. Gezwungen spielt' ich da den Nachsichtsvollen, um in Einem Spiele nicht alles zu verlieren. Jedes Volk ist furchtbar, wann es sich gefürchtet glaubt, und zittert, wann es selbst zu fürchten hat. Auch räth die Gegenwart Virgins, noch mehr auf Vorsicht zu ... Die Gegenwart Virgins? Nein Lucius! Die stört uns sicher nicht. Ich müßte Mündling noch an Klugheit seyn. Sogleich verfüg' ich es, daß Vibulan die Reise des Virgin vehindre, bis – ein Trank auf ewig mich von ihm befreyt. Auch werde gleich der Zugang in die Stadt durch ausgestellte Mörder ihm gesperrt, die – glückt ihms auch dort zu entfliehn – ihn hier, verkappt als Räuber, tödten! – Lucius! Kann ich auf deinen Dienst auch hierin bau'n? Auch auf die klügste Wahl der Miethlinge! Besorge das! – Den Marcus wünsch' ich nicht zu sehn, eh Dunkelheit der Nacht ihn mir verborgen bringt. – Ha Rom! umsonst erboßt dein kühner Pöbel sich! Du bist zu schwach, der Wünsche feurigsten mir zu vernichten! Alle gehen ab. Ende des zweyten Aufzugs. Es wird Racht, doch nur durch Verdunklung der vordern Lampen-Reihe. 3. Akt 1. Auftritt Erster Auftritt. Ruffus, Quintus und einiges Volk, welches sich dann allmählich vermehrt. Bist du es Ruffus? Ja Freund! Sahst du schon Icilen? Nein! und weiß auch nicht, was ihn vor Tages Anbruch schon bewogen, uns hierher zu bitten. Trotz des Appius Verboth! – ist das nach Deinem Dünken nicht ein zu gewagter Schritt? Das scheint er. Doch gewiß ists, das Icil nichts unternimmt, was nicht auf der Plebejer Vortheil zweckt. Und an den Beyfall des Decemvirs, liegt seit gestern wenig mir – beschenkt' er auch mich zehnmal mit sicilischem Getreide. Auch Mir mißfiel sein gestriges Verfahren, ob er sich gleich mit viel Beredsamkeit rechtfertigte. Rechtfertigte? – Glaub Freund! der meiste Trug in Rom geschieht durch Zungen. – Doch sieh! er kömmt. Mit Fackeln? ein Beweis, daß die Versammlung kein Geheimniß ist. 2. Auftritt Zweyter Auftritt. Icilius mit zwey Fackelträgern, einem am Kopfe verwundeten Sklaven, und einigem Volke. Die Vorigen. Dank euch, ihr Freunde! Dank, daß euer Ohr auch dießmal meinen Ruf so willig hörte! Ich wünsch' in Dingen, wichtig für ganz Rom, mir euern Rath. Die Meinung nur Icil! das Rathen bleibe stets Dir vorbehalten! Doch – deinen überlauten Ruf, Icil, wird Appius ihn nicht mißbilligen? Gewiß mißbilligt ihr den Anlaß, den er selbst dazu mir gab, nicht weniger. Ihr Römer kennt ihr diesen Blutenden? – Wer ist er? Ein getreuer Knecht Virgins. Virgins? Virgins! das heißt wahrscheinlich jetzt: Knecht eines todten Herrn. Todt? todt Virgin? So todt, unfehlbar, als mein Bruder, mein geliebter Bruder, der zugleich mit ihm gemordet ward, und diesen Augenblick in meinen Armen starb. Dein Bruder todt? O schreckenvolle Nachricht! Hört den Gräul, desgleichen man in Rom noch nie gehört! – Gleich gestern nach des Marcus Angriff auf Virginien, schickt ich den besten Bruder mit dieser Nachricht zum Virginius. Sein Kind zu retten, brach der zärtlichste der Väter unverweilt mit meinem Bruder und dem getreuen Knecht von Algid auf. Kaum tausend Schrittte noch von Rom entfernt, bemerken sie, dicht an der Straße, sechs Bewaffnete. Sie zücken nun ihr Schwert. Sogleich fragt Einer: Ist nicht unter euch Virginius? – Wer seyd ihr? spricht Virgin. Er ists! ruft Einer – als ein Andrer schon den tapfern Mann durchbohren will. Doch Er lenkt ab den Stoß, indem des Mörders Haupt mein Bruder spaltet. Aber ach! Den stößt ein Andrer mit der Lanze von dem Pferd', und bringt ihm liegend noch vier Wunden bey. Beynah zugleich stürzt man den Diener auch durch einen Schwertstreich auf den Kopf, vom Roß. Man glaubet Beyde todt. Virginius bleibt itzt allein im Kampf mit Fünfen. Schließt auf sein Geschick – das jetzt noch unbekannt! – Nach einer Weil' erhohlet sich der todt geglaubte Diener: denn sein Zustand war Betäubung nur von einem harten Streiche, der doch zum Glück, nicht eindrang. Er sieht nun nicht seinen Herrn, und nicht die Mörder mehr. Mein Bruder nur liegt sterbend da. Den nimmt der edle, treue Sklav' auf seine Schultern, und trägt, selbst blutend, ihn bis in die Stadt. Doch ach! er ist nicht mehr! Von meiner Brust rafft' ihn, ihr Römer, mir der Tod hinweg. Kaum hatt' er Kräfte, mich Unglücklichen, mich Mitursach' an seinem frühen Tode, noch seiner Liebe zu versichern, und um Rache seines Bluts, die Höllengötter noch anzuflehn! O Gräul! Beym Jupiter! wie du gesagt, in Rom noch nie gehört! Und Wo gehört? – Nun Römer, euern Rath! Mein Bruder und Virgin sind euch bekannt: däucht dieser Edlen Mord nicht sträflich euch? Ward ein so sträflicher noch je verübt? Gewiß nicht! Doch an Wem soll man ihn strafen? Wer scheinet wohl der Thäter euch zu seyn? Der Schein sagt, Marcus! Nein! sagt, Appius! sagt, der Tyrann, deß Kuppler Marcus ist – der ohne nur den Vater eh zu hören, die Tochter in des Kupplers Hand zu spielen getrachtet, bis mit Ernst Ihr es verwehret. Für wahr! den Appius trifft mehr Verdacht, als deinen Gegner selbst. – O schwarze That vom mächtigsten der zehn Beherrscher Roms! Nur leider! nicht die letzte dieser Art, sind wir noch länger feig genug, das Joch der zehn verbündeten Tyrannen Roms zu tragen, feig genug den Wüthrichen Roms Freyheit, Glück und Ehre preis zu geben. Und Wer ist seines Glückes sicher – Wer des Lebens nur, da nicht Virgin es war? Wer kann noch für ein Gut sein Daseyn schätzen? Wer wünschen, Kinder für den Staat zu zeugen, darf ungestraft ein mächt'ger Wüthrich ihm die Söhne morden, und zur geilen Lust die Töchter rauben? – Sagt, ihr Bürger Roms! Zu welchem Zweck habt ihr die Könige verjagt? War's ihre Laster einst von andern Tyrannen höher noch getrieben, Euch noch tiefer unters Joch gebeugt zu sehn? War nicht Ein Wüthrich euch erträglicher als Zehn – als tausend denn, empfindet ihr den Druck all ihrer Anverwandten nicht, der unersättlichen Patrizier, die eure Güter euch aus Habsucht rauben, und euch aus Stolz verachten? Beydes dürfen, seitdem euch Appius, in den Tribunen, den Zaum aristokratscher Macht entriß. – Und Was denn, welch Verdienst hebt über Euch die stolzen Wüthriche so hoch empor? Ists Tapferkeit? O zählt den feigen Schwarm der ihrer Pflicht vergeßnen Optimaten, die sich dem Krieg entziehn und Schamlos, Rom und sich, von uns Plebejern schützen lassen. Ists Liebe für das Vaterland? Weht wohl ihr Geist in denen, die dem Vaterlande bald Sicciuse, bald Virgine morden? Die Haufen Golds zu sammeln, Nebenbürger zu Bettlern wuchern; die wie Marcius, 1 Roms Feinden wider Rom als Führer dienen? – Sinds andere Tugenden? O Tugend! kennt die zügellose Brut, so lange schon in Rom der Sitten Pest, und jeder Art Lasters Beyspiel, deinen Werth? – Doch warum sprech' ich noch von Dingen euch, die Jedem so bekannt sind als mir selbst? Wer fühlt den Unwerth der Tyrannen Roms nicht eben so, wie ihre Tyranney? Sie zu vernichten sey jetzt unser Zweck! und dazu beuth sich uns Gelegenheit. Hört Freunde! dieser Mord kann in ganz Rom nur Ein Gefühl, nur Einen Trieb erregen: Tyrannenhaß und Rache! Jetzt schon denkt Roms größter Theil wie wir. Der Tod Virgins ist Zunder für ein allgemeines Feur im ganzen Staat. Nur Einen muth'gen Streich zum Zeichen der Entschlossenheit! so stürzet der zehenköpfige Koloß, die Schmach und Geißel Roms, noch heut zu euern Füssen. Auf Brüder! Laßt uns aus der Knechtschaft Schoos entfliehn, und heute noch die heil'ge Höh', schon unsern Vätern einst der Freyhet Wall, besteigen – laßt alldort uns standhaft harren, bis von dem Joch der Zehner wir befreyt, wir wieder Römer sind – und im Triumph zurücke kehren, Dank für unser Glück den großen Göttern zu entrichten! kommt! Laßt uns vertheilt, nach unsern Wohnungen hineilen, stets mit lautem Ruf den Mord Virgins, und unsern Zweck verkündigend! Laßt uns die beste Hab' und Gattinnen und Kinder, so behend den sieben Hügeln entführen, daß wir eh den Anio erreichen, als Gewalt uns hindern kann; daß Roms Tyrann schon bey dem heutigen Gericht, nicht Einen echten Römer sehe! – Kommt! – – Doch – ihr regt euch nicht? ihr schweigt? – Erklärt mir Freunde dieß! Mißfällt mein Vorschlag euch? – Sprich edler Ruffus! Mir, Icil, mißfällt kein Vorschlag, zweckend auf Tyrannensturz. Doch Dieser Vorschlag – ist er nicht bedenklich? Zu wahr nur leider! ist die Schilderung, die du von unserm Zustand uns gemacht: auch wahr, daß jedes Römers Pflicht es ist, sich von der Knechtschaft Ketten los zu reiffen. Doch ists nicht Übereilung, um den Tod Virgins, aus Rom zu fliehn, eh man mit Grund ein Werk des Appius ihn nennen kann? – Gesetzt, der Schein betrög', und Appius erwiese schuldlos sich: wie wenig blieb' uns dann zu hoffen von des Heeres Beystand! Wir wären nicht, beym grösten Muth und Glück, vermögend uns vor des Decemvirs Macht ... So zweifelst du, daß Er der Mörder ist? Ich glaub' es, – doch, kann bloßer Glaube da, wo selbst der leuchtendste Beweis noch kaum ... 3. Auftritt Dritter Auftritt. Virginia. Albina. Die Vorigen. Ah Römer! wer ihr immer seyd! entdeckt ... Virginia! Ha mein Icil! – ists wahr, wahr das entsetzlichste Gerücht, es sey mein Vater, der verehrungswürdigste der Väter, auf der Straß' ermordet worden? – Du schweigest – Götter! Sie sinkt Albinen in die Arme. Hilf o Himmel! hilf der edelsten und tugendhaftstes Seele, womit die Schöpfung je geprangt! – O Freunde! Seht hier, wohin in Rom die Tugend führt! Seht am Decemvir, was das Laster gilt! Unglücklichs Paar! wie jammert mich dein Loos! Virginia! – – blick auf geliebte Braut! Icil, dein zärtlicher Icil, fleht dich darum! Icil? – – Mein Vater todt – gemordet todt? O Himmel! lohnest du der Tugend so? – – Wer? Wer hat ihn gemordet? Zum Ruffus. Du? doch nein! du bist der edle Mann, der gestern mich ergrimmten Löwen aus den Klauen riß, – Du hast nicht wohl gethan, zu güt'ger Freund! Ohn deinen Beystand wär' ich schon erblaßt, und Er, mein lieber Vater, lebte noch! – Doch – habe Dank! du dachtest gut für mich. – Nur hilf itzt, edelmüthger Mann, mir auch den Vater rächen! Sieh! sein Schatten schwebt um mich! ruft laut mir Rache zu! hilf mir ihn rächen! hilf mir! ich beschwöre dich! – Komm! Ach Virginia! erhohle dich! Erhohlen? – Sollt' ich das bedürfen? – Ha! du glaubst, ich schwärme? – nein Icil! – Ist denn der Trieb, des Vaters Mord zu rächen, nicht der Tochter Pflicht? – Doch mein Geliebter! sprich: was brachte dich hieher? Vergaßt du denn daß Mich zu sehn, dir nicht verstattet ist? Fleuch mein Icil! dein Gegner Appius ist mächtig; mit dem Felsen droht er dir: Er kann im Grabe Mütter noch entehren, und Väter morden, um die Töchter dann zu schänden. Schrecklich! – Doch beym Jupiter! das Letzte wird er nicht! das schwache Mädchen weiß noch ein Mittel, unentehrt zu sterben. Zur Rache nur, zur Rach' ist sie zu schwach – denn Thränen rächen nicht solch Blut. – Zu schwach? – O Nein! brauch ich denn mehr als einen Dolch und Muth? Besitz' ich Beydes nicht schon itzt? Ja Vater, heiligster der Schatten! ja! Schon eil' ich hin zu deinem Mörder, ihm den Dolch ins Herz zu stoßen! stärke Du nur meinen Arm, mein Muth ist stark genug! Sie will fort. indem er sie zurückhält. Virginia! bey allen Göttern! bleib! Willst du dem Bösewicht, der auf dich lauert selbst in die Schlinge gehn? – sich besinnend. Nein! – – nein Icil! – Das wäre schrecklich! – Doch – – Ah mein Verstand! – O Römer! rührt euch Alles dieses nichts? Ganz werde der zu Stein! den es nicht rührt! Wohlan! helft mir sie retten, edle Freunde! das Mittel sagt' ich euch. Mich retten? Sie? Könnt ihr es Römer? O so rettet mich! für Ihn, für den Geliebten, rettet mich! Nur Römer! Laßt den ersten Schritt zur Rettung des Vaters Rache seyn: Versühnen wir nicht seinen Geist, so bleibt kein Heil für mich. Mein Vorschlag führt zu Beydem uns zugleich. O dann ihr Römer, rettet mich! Entreißt dem Unthier mich, das mich verschlingen will! Euch lohnen kann ich nicht; ich habe nichts als Thränen und ein dankbars Herz. Allein ich weiß, ihr liebtet meinen Vater, liebt Icilen, und bewahret Herzen in der Brust, die fühlbar für das Leid der Unschuld sind. O seht mich knieend euch um Hülfe flehn! Nicht nur für Mich, für alle Töchter Roms, für eure Töchter und Gemahlinnen, beschwör' ich euch um Schutz: denn aller Ehre wird gleich der meinigen bedroht. Verschmäht des Unglücks Thränen nicht, ihr edlen Seelen! und laßt mich nicht des Lasters Beute werden! indem er sie aufhebt. Halt ein Virginia! du folterst mich, durchbohrst mit jedem Worte mir das Herz! Ich kann nicht widerstehn. Icilius! ich folge deinem Rath. Auch Ich, Icil! und hießest du mich nach dem Orkus zieh'n An meine Brust ihr Freunde. Er umarmet beyde. Zum Volke. Ganz gewiß regt, Brüder, sich in euch ein gleich Gefühl? Ja! Ja! Wohlan! in größter Eile nun zu Werk! Auf Wiedersehn am Anio! Indem sie eben auseinander gehen, kommt Virginius. 4. Auftritt Vierter Auftritt. Es wird Tag. Virginius mit einem Bürger. Die Vorigen. Weilt Römer! weilet noch! Virginius! ALBINA, ICILIUS, QUINTUS zugleich. Virginius? Mein Vater! Sie eilet ihn zu umarmen. O mein Kind! Dich seh ich wieder! seh trotz den Entwürfen der Hölle, dich noch frey! – noch unbefleckt? Ja liebster Vater, ganz noch Deiner werth, sonst hättest du nicht lebend mich gefunden. Dank Himmel! ich erkenn' an diesen Worten die Tochter – spräche sie ganz Rom mir ab! Noch Einmal, liebes Kind, an meine Brust! – Und Du Freund, ohne den schon tochterlos ich wäre, Du mein Sohn! laß dich umarmen. Sie umarmen einander. Doch sprich Icil – ich zittre bey der Frage! – weißt du vom Schicksal deines Bruders nichts? Ach Alles, Herr – bis an sein Ende! Götter! – Dein guter Diener Er zeigt auf ihn. bracht' ihn – sterbend mir. O Himmel! – um sein Blut floß Meinetwegen! Floß aller Römer, und der Freyheit wegen. Und deßhalb gibt ihm Rom – sie hier! – auch Rächer. Doch Herr! durch welches Gottes Hülf' entgingst Du selbst dem dir gelegten Todes Netze? Gewiß, mich retten konnte nur ein Gott! – Furcht schreckte mir die Mörder in die Flucht, nachdem ich zween davon erleget hatte. Aus Vorsicht wand ich dann mich ab vom Weg', und traf durch Nävia hier glücklich ein. Am glücklichsten für Mich, die nun die Hand noch küsset, die man schon erstarrt geglaubt! Befried'ge nun Icil, auch meine Neugier! Von den Ereignissen des gestrigen Gerichts bin ich durch diesen Freund belehrt: Entdecke Du mir, was seinem geschah! Nebst dem begangnen Mord, ist vom Bemühn der Gegner mir nur dieß bekannt! daß heut zum erstenmale während des Gerichts die ganze Krieger-Schaar des Capitols das Forum wird besetzen. Ihren Zweck errieth man leicht. Doch desto schwerer wars, eh die so nahe Donnerwolke bricht, ein Schutzdach, stark genug zum Widerstand, zu finden. Alle meine Sinneskraft entdeckte nur Ein Rettungsmittel noch, und dieß ist: schnelle Flucht. Flucht? Flucht! Wohin? Nach der beglückten Höh', auf welcher Rom schon Einmal Rettung, Glück und Freyheit fand. Die Edlen alle hier, entflammt wie mich ein heißer Trieb, den Schimpf, den dieser Frevel auf Alle wirft, an der tyrannschen Macht, die solche Frevel wagen darf, zu rächen, und das Panier der Freyheit aufzustecken. Der Augenblick, da wir dich wiederfahn, war eben der, da wir uns trennten, um das große Werk in Eile zu beginnen. Und dein vermeinter Tod, der Rache schrie, war nicht das schwächste Triebwerk des Entschlusses. Doch Himmel! habe Dank! du schenkst ihn uns, den weisen, tapfern Mann! du schenkst ihn uns, des großen Werkes Seel' und Arm zu seyn! Ich bin entzückt, ihr großmuthvollen Freunde, daß ihr mein Blut der Rache werth geachtet. Begehrt! ich bin bereit für euer Wohl es hinzugeben – Doch Icil! den Zweck aus Rom zu fliehn – kann ich nicht billigen. Ich kenne ganz dein edles, zärtlichs Herz: Virginiens Gefahr hat es empört. Doch Sohn! soll sie zu retten, denn kein Mittel als dieß gewaltsame, mehr übrig seyn? Muß man vor eines Wollüstlings Versuchen die Tugend eines Weibs bewahrt zu sehn, ganz Rom erschüttern? Wunden gar vielleicht dem Vaterlande schlagen? Vaterland? – Hat ein im Staube lechzend, an den Ketten unmenschlicher Tyrannen kriechend Volk ein Vaterland? O dieß uns Römern einst so heil'ge Wort wird kaum von Zungen noch genennt, von Hrrzen nicht gefühlt. Nur dort, Virginius, wohin Roms bester Theil mit uns sich flüchtet, kann von neuem uns ein Vaterland entstehn – unmöglich hier im Sitz der Sklaverey, der Furcht und Schande. Man seh, wie tief herab das schwere Joch der Zehner, jede Seelenkraft in Rom schon drückte! Was nicht schon durch Sie geschah, vollführt der Optimaten Übermuth. Des Staats Umkehrung nur kann auf die Höh', wo jetzt das Laster steht, die Tugend bringen. Ist diese wichtige Veränderung nicht des Versuches werth? und kann dazu ein Zeitpunkt günstiger als Dieser seyn? Du irrst, mein Sohn. Der Zeitpunkt des in Rom so tief gesunknen Muths begünstigt nicht Versuche, die des höchsten Muths bedürfen. Ein Schritt, so wichtig Tausenden, so kühn wie dieser ist, sey nie der Hitze Werk! – O wüßtest du, wie groß, im Heere selbst, Gewalt und Ansehn der Decemvirn ist! Wie muth'ge Krieger dort – die Augen ganz für der Tyrannen Unwerth offen – sie verachtend – doch auf ihre Winke sterben! Wie? die Mißhandlung des gepriesensten Centuriers, sollt' unsre Krieger nicht zur Rach' entflammen? sollt' ... Ich wag es nicht, in dieser Hoffnung dich zu stärken. Zwar verließ ich nicht die Legion, ohn' erst den Mitcenturiern und besten Freunden mein Leid zu klagen: und ich zweifle nicht, daß sie mit Nachdruck es dem Heere schildern. Allein wer weiß, ist unfruchtbares Mitleid nicht Alles, was ihr Eifer mir bewirkt! – Wär' es nicht kühn, dem Appius zu trotzen, eh dort für uns ein Stern der Hoffnung strahlt? – O nein! kein Römer geb um Meinetwillen sein Glück, nur seine Ruh, dem Zufall preis! Der Schritt, den ihr zu wagen euch entschloßt, setzt Aller Glück und Leben in Gefahr. Wer achtet es dieß Leben voller Schmach? Nur Sklaven können das; und Sklavenleben hat keinen Werth. Wer römisch fühlt, der zieht den schreckenvollsten Tod der Knechtschaft vor. Ja mein Icil! und Niemand mehr als Du. Auch schätz' ich dich vor Tausenden. Ich gab, als meine Wahl zum Eidam dich erkohr, Beweis davon. Doch diesmal entbrannte dein Muth zu schnell. Hätt' Übereilung nie Gefahr und Reu gezeugt; hier würde sie's. Der kluge Schiffer sticht beym Gegenwinde nicht in die See; er harrt auf günstigen: Laß ihn dein Beyspiel seyn! Es kömmt die Zeit, da Rom mit weniger Gefahr als itzt sein Joch zertrümmern und uns rächen wird. Vom Stolz getrieben, schreitet Herrschbegier so hastig stets und unbedachtsam fort, daß endlich sie zum Abgrund kommen muß, der ihren Sturz vollendet. Roms Tyrannen gelangen sicher bald an dieses Ziel. Und hielt' im frechen Lauf – Zevs wolle dieß! – ein edles Reugefühl sie noch zurück; O desto besser! Glaubt, ihr Freunde, Ruh' im Staat' ist jedes Bürgers Erstes Glück, und muß der Erste seiner Wünsche seyn. Von hundert Staatsverändrungen – auf Bergen von Bürger-Leichen oft errichtet – frommt kaum Eine der erschlagnen Väter Kindern. Zwar ists – ich fühle das! – ein hartes Loos, sein Leben unterm Druck unwürdiger Tyrannen zu verseufzen: doch, Geduld und Hoffnung sind ein Balsam kranker Seelen, der gegen jedes Leid sie mächtig stärkt. Auch strafen Götter oft an einem Volke Verbrechen durch den Arm der Staatsbeherrscher. Das lehrt uns Nachsicht gegen diese brauchen, und lehrt, das Böse, das an uns sie thun, als Fügung höhrer Macht, nach Möglichkeit erdulden. Ja Virgin! Doch bleibe uns jetzt noch diese Möglichkeit? Erwägst du nicht daß sich die Stunde des Gerichtes nähert? Unglückliche Geliebte! nur auf Dich vergißt dein Vater bey den Gründen, die ... ihrem Vater die Hand küssend. O Nein Icil! Dieß kann der gütigste, der beste Vater nicht! du irrest ... Ach! Was läge, nebst dem Vaterlande, mir so nah am Herzen wie mein liebes Kind? Sey doch aus Zärtlichkeit nicht ungerecht mein Sohn! Noch ward nicht Alles für ihr Heil versucht – von Mir noch Nichts! Ich sah noch nicht den Appius; hab' es doch nicht versucht, ihm Edelmuth und Tugend in das Herz zu sprechen, nichts versucht, die Leidenschaft, von der man seine Brust entflammet glaubt, zu mäßigen. Erinnrungen des Vaters, für dessen Tochter er von Liebe glüht, sind wirksamer für ihn, als Drohungen des Nebenbuhlers, den er stets gehaßt. Und wäre seine Brust von Erz, mein Flehn, gestützet durch die Kraft so starker Gründe, wie meine sind, durchdringet sie gewiß. 5. Auftritt Fünfter Auftritt. Lucius. Mit Wachen. Die Vorigen. Ihr Römer! Appius gebietet euch bey der Bedrohung seines schweren Zorns das Forum zu verlassen. Zum Gericht wird heut der Tuba Schall vom Capitol den Ruf verkündigen. Die vor der Zeit auf irgend einem Platz in Rotten sich versammeln, machen sich als Meuterer des Todes schuldig. Trennt euch unverweilt! sonst folgt sogleich der Warnung Strafe nach. Einige Römer gehen ab. Nur Du Centurio, bleib noch! Es kömmt mit dir zu sprechen der Decemvir her. Ich ehre sein Geboth. – Virginia! verlaß mich nun! und nimm mit diesem Kusse des Vaters Segen! Virginia und Albina gehen ab. Ihr, ihr edlen Freunde. folgt meinem Beyspiel nach! gehorcht! Die übrigen Römer gehen ab. Virgin, indem er Icilen umarmt. Icil! mein theurer Eidam! – bald siehst du mich wieder. Ich schweige – denn du willst's – Leb wohl! Icil geht ab; Lucius ebenfalls, aber an einem andern Orte. Leb wohl! 6. Auftritt Sechster Auftritt. Virginius. Wachen. Er kömmt mit mir zu sprechen? – Zuviel Huld! – vielleicht, zu tücksche List! – doch stets erwünscht! Nicht lange mehr, so liest mein forschend Aug' in seinem eignen Herz, was wahr und falsch an der erschrecklichen Vermuthung ist. O Himmel! leg in diesem Augenblick der Überredung Kraft in meinen Mund, und Menschlichkeit in das verderbte Herz des übermüthigen Decemvirs! – Doch – wie rasch naht er sich schon! 7. Auftritt Siebenter Auftritt. Virginius, Appius, Lucius, Lictoren. Appius geht vorwärts zum Virgin; Lucius und die Lictoren treten zurück zu den Wachen. Virgin! kamst du nach Rom die Tochter zu vertheid'gen, oder ein Haupt strafbarer Meuterer zu seyn? – Ich kam als Bürger Roms – der Vater ist. Der echte Bürger flieht Tumult im Staate. Drum löscht' ich eben jetzt ein wider dich im Volke lodernd Feur. – Nicht für die That, doch für den Willen dank' ich dir: er zeigt, daß ich mit Recht dich schätze. – Doch Virgin! ist dir des Marcus Fodrung schon bekannt? Ja Herr! Auch seine Rechtsbeweise? Ganz! Was wirst du seiner Klag' entgegen setzen? Vor Allem die Gerechtigkeit des Richters. Die handlet leidend. Des Gesetzes Diener, vollzieht der Richter, was ihm Dieß gebeuth. Und das Gesetz, Virgin spricht für den Marcus. Vor des Betrugs und Meineids Täuschung mehr bewahret – spräch' es sicher wider ihn. Des Marcus Zeugnisse sind unverwerflich. Man liefre nur die Zeugen Mir, so wird ... Wer darf es? – Träume nicht Unmöglichkeiten! Such Hülfe dir, die das Gesetz erlaubt! – Weißt du zur Wehre dir nicht stärkre Waffen als die, womit schon Numitor gestritten? Wo fänd' ich sie? Wo fänd' ein Andrer sie, dem irgend ein meineid'ger Bösewicht, nach dieser Art sein Kind zum Sklave schwöre? Kann so nicht Jeder ohne Scheu Gesetz und Wahrheit äffen? Ich beklage dich, bedrängter edler Mann! Beklagen nicht, ihm helfen mußt du Herr, dem edlen Manne. Ich wills – und weiß ein Mittel – doch nur Eins! Ach Herr! Ein Mittel, das Virginien – sie sey nun deine Tochter oder nicht! – errettet, und zugleich Befördrung dir für manch noch unbelohnt Verdienst verspricht. Wie Herr? Dein Gegner Marcus gab schon oft Beweise seiner Lieb und Freundschaft mir. Aus dieser Freundschaft soll dein Heil entstehn! und ich kann ihrer Wirkung dich versichern, versicherst du – mich Deiner Freundschaft auch. Der Freundschaft? Wie? du kannst von deiner Höhe herunter bis zu meiner Freundschaft denken? O setze tiefer nicht dich selbst herab, als Jeder, der dich kennt, ganz Rom, dich setzet! Auch kehrst du – ich schwör's beym Jupiter! – als Legions-Tribun zum Heer zurück. Und deine folgenden Befördrungen bis zu dem höchsten Rang, sind meine Sorge. Nur deine Freundschaft o Virgin! nur sie! – Darf ich hoffen? Herr! ist wirklich sie von ein'gem Werthe dir – so rechne drauf! Wohl! sie berechtigt mich, verpflichtet mich, mein ganzes Herz dir aufzudecken. Wiß Virgin! – ich liebe deine Tochter. Du? Ja Freund! und nie hat edler, zärtlicher, ein Sterblicher geliebt. Sie zu beglücken, beglückt von ihr zu werden, ist der Wunsch der nun seit einem Jahr allein mein Herz erfüllt, und der – ich fühle das in mir! – es nie verlassen wird. Ich hätte längst dir meine Lieb' entdeckt: doch das Gesetz, das Ehebündnisse Patriziern mit den Plebejern untersagt, verschloß mir stets den Mund. Ich hoffte, diese Glut durch Hülfe der Vernunft einst zu ersticken: Allein die Pflicht, als Richter jetzt die selbst, die mich entzückt, verurtheilen zu müssen, reißt die noch ungeheilte Wunde mir mit Höllenpein in meinen Herzen auf. Nur Du kannst noch o Freund – indem du Retter der Tochter wirst – mein Arzt und Retter seyn. Ein einzig Wort von dir beglücket mich, besiegt das Mißgeschick Virginiens, und macht auf ewig mich zu Deinem Schuldner. O Himmel! also wahr? von Dir bewähret, die schreckliche, verwünschte Leidenschaft – die gestern öffentlich du leugnetest? Sollt' ich wohl zum Vertrauten meines Herzens Roms Pöbel machen? Du! sonst Niemand, Freund, ist in mein Inneres zu schauen werth. Und nur von Dir erwart ich auch mein Glück. Wie? – Noch begreiff' ich deinen Anschlag nicht. Willst du, daß meine Tochter Sicherheit vor Marcus Fodrungen, als Buhlerinn, in deinen Armen suche? Nein Virgin! mißdeute nicht den redlichsten Entschluß! mein Herz verehrt Virginien und Dich. Als Gattinn liefre sie mir in die Arme! Als Gattinn – vom Gesetz nicht anerkannt? von deinem eignen, Rom entzweyenden Gesetz, das die Natur der Phantasie des Stolzes unterjocht, nicht anerkannt? Verweise mir nicht noch den Fehl, den ich schon oft bereut, jetzt schmerzlich büßen muß! Zum Glück, ist noch ein Weg zur Ausflucht offen. In Jahres Frist, – die Götter zeugen mir! – ist dieß unselige Gesetz nicht mehr. O wär' es minder neu – ich tilgt' es heute! Jedoch mein Ruhm begehrt den Augenblick des Widerrufes, erst vorzubereiten. Bis dahin kette mich ein heimlich Bündniß (doch vor der Laren Angesicht beschworen!) an deine Tochter, an die theure Hand, die, willst du nur, uns alle glücklich macht! – Erkennst du nun Virgin, den Freund in Mir? – Du schweigst – doch nicht aus Unentschlossenheit? Nein! aus Erstaunen, Herr! denn Ehr' und Pflicht bewahren mich vor Unentschlossenheit. – Virginia kann nicht die Deine werden! ihr Herz, mein Ehrenwort – hat schon Icil. Icil? – Beachte nicht dieß Ehrenwort: Icil muß sterben! Sterben? Als Empörer! Den Tod des Cassius! O daß dich nie dein Schutzgott diese That vollbringen lasse! Icil ist furchtbarer als dich es dünkt. Ein großer Theil des Volks war itzt bereit den Weg, den Bellutus es einst geführet, zu neuer Drangsal Roms, mit ihm zu gehn. Aus seines Bruders Mord entbrannt' ein Feuer, das ich nicht ohne große Müh gelöschet. Aus seines Bruders Mord? Wann? und von Wem ward er ermordet? Heut – und man nennt Dich. O Kühnheit! Auch mir selbst war dieses Loos bestimmt. Was hör' ich! Gleich soll Untersuchung, Bestrafung dieser That, dich überzeugen ... Nicht meinetwegen! Ich, blieb unverletzt, und hatte nur zur Rettung meines Lebens zween Elende zu tödten. Auch kann ich solch eines Frevels dich unmöglich zeihn. Ich würd' ihn nicht erwähnen, wär' es nicht um dich vor seiner Wirkung, und noch mehr vor deinem Anschlag auf Icil, zu warnen. Und diese Warnung Herr – so gut gemeint – sey dir der erste Dienst des neuen Freundes! Auch unnütz, Dankeswerth. Nur nimm von Mir auch Warnung an, Virgin! Laß von Icils und seines Anhang Lärm dich nicht betäuben! Sie haben gegen Mich nicht mehr Gewalt als gegen Scyllas Fels des Meeres Wogen. Du weißt, daß meine Macht den Riesen Roms, und um so mehr, Icil dem Zwerge, trotzt; Du kennest mein Gefühl für deine Tochter; Auch sahst du tief genug schon in mein Herz, dort deines eignen Glücks Entwurf zu sehn: O laß nicht auf der Bahn zu diesem Glücke dich durch ein Nichts, durch ein aus Unbedacht ertheiltes Ehrenwort, zurücke schrecken! Zu strenge Tugend heißt nicht Tugend mehr; Stolz, Prahlsucht, nennt der kluge Weltmann sie; und billig hat für ihn das Laster selbst nicht mindern Werth. Auch nicht ein solcher Spruch in eines Herrschers Mund? – Nein Appius! mein Wort bleibt unverletzt. Ich wiederhol's: Virginia kann nicht die Deine werden! Undankbarer! – so werde sie des Marcus! Sein Recht ist unleugbar; und das was itzt zum Fall Virginiens Du selbst beschließest, bestätigt, daß du nicht ihr Vater bist. So wüthend, Grausamer, bestürmest du mein Vaterherz? ... Ach Appius! verlaß den tadelhaften Zweck! sey Mann! erstick in deiner Brust ein Jammer drohend Feuer! und ich gelobe dir ein ewig Schweigen. Durch diesen über dich erhaltnen Sieg ertheilst du deinem Nahmen neuen Glanz; wirst Richtern Beyspiel der Gerechtigkeit, und lenkest tausend Herren, jetzt dir feind, vom Haß zur Liebe. Selbst Icil wird ... Schweig von dem Verwegnen! Er und seine Rotte, Du selbst, der meine Huld verschmähet – zittert! Ich zittern? – Sieh dieß Haar! es ward im Dienste des Vaterlandes grau; sieh diese Narben! Er entblößet seine Brust. im Dienst des Vaterlands erhielt ich sie, mit einem Muth, der nie die Furcht gekannt. Und nun sollt' ich als Greis erst zittern lernen? Mich tödten kannst du Herr – mich schrecken nicht! Mehr schreckt das Übel ich, das dein Entwurf Rom und dir selbst bereitet. Glaub, du wirst mehr Widerstand, als du vorhersiehst, finden. Zwar stehst du hoch – allein du stehst nicht fest; du stehst auf Wolken. Nicht um dir zu drohn, mein Her dir auszuschütten, sag ich dieß. Dir zeigte schon das gestrige Gericht Des Volkes Hang zum Aufstand und Tumult. Sein Unmuth stieg seitdem zum höchsten Grade. Denk, welch ein wüthend Thier der Pöbel ist, entreißt er sich dem Bande, das ihn zähmt! Ein Theil der mächtigsten Patrizier, selbst manches Mitglied des Senats, wünscht nur Gelegenheit, aus dir ein Opfer – Der des Neides, Der des Hasses, sich zu machen. Das Kriegsheer, mir geneigt, vernimmt gewiß mit Gram und Zorn den mir erwies'nen Schimpf. Kurz. Alles Appius, räth Mäßigung, räth Klugheit dir – ich schweige von der Pflicht ... Gegen Ende obiger Rede zeigt sich Virginia verschleyert an einer Kulisse. Gnug Unbesonnener! Zu lange schon hör' ich des kühnsten Stolzes Lehren an. Bleib unbesorgt um Roms und Mein Geschick. Dafür sorgt Appius. Virginiens Bestimmung, wird ein Rechtsspruch nun entscheiden. Er will abgehen. 8. Auftritt Achter Auftritt. Virginia, die sich entschleiert und dem Appius in den Weg tritt. Die Vorigen. Ach weile, weile Herr! – Ich seh' du gehst erzürnt von meinem Vater: dieser Zorn ist meines Unglücks und des seinigen Verkündiger. Doch Herr! verschließt sich nicht ein Ohr dem Flehn unschuldig Leidender; hat für die Tugend eines edlen Vaters, für seiner Tochter Qual, dein Herz Gefühl; o so beweis es heut, und bringe nicht Verderben über uns! Virginia! Kein Sterblicher wünscht mehr als Appius dein Gluck; ist mehr bemüht, den harten Schlag, vom Schicksal dir gedrohet, abzuwenden. Nur ist das Mittel nicht in Meiner Macht; Er, der dein Vater heißt, Er, den ich selbst bis jetzt dafür zu halten, Neigung fühlte, Er hat es – und verwirfts aus Eigensinn. – Er mache meinen Plan zu deinem Glücke (dem höchsten, das in Rom dir werden kann) dir selbst bekannt! – Ich gehe. Trachte Du zur Menschlichkeit sein hartes Herz zu neigen, und von dem Roste seine rohe Tugend zu reinigen! Nur werde das bewirkt, eh man den furchtbarn Sitz aufstellt, wo des Richters Wünsche ganz verstummen müssen, weil das Gesetz alleine sprechen darf. Leb wohl. Er geht ab, die Wachen nach ihm. 9. Auftritt Neunter Auftritt. Virginius. Virginia. Darf ich ihn wissen, theurer Vater, den Plan, wovon er sprach? Du mußt so ganz ihn wissen, als dein freyes Urtheil, Ich – Nach eingestandner Leidenschaft versprach er jenes Zwangs-Gesetz der Ehen, ihm so widrig jetzt, in Jahres Frist zu tilgen, willst du sogleich kraft eines eidlichen, doch bis dahin verheimlichten Vertrages, dich ihm ergeben. – Ha Verruchter! Dieß! Dieß fehlte noch, das Maaß der Frevelthaten zu füllen! – Seyd gepriesen mir, ihr Götter! daß eure Huld mir Diesen Vater gab! Wie Mancher hätt' aus Ehrsucht oder Furcht den Trieben des Betrügers mich geopfert! Jedoch gesetzt! (und möglich ist es ja!) sein Vorschlag wäre rein von Hinterlist, entschlössest du dich, ihm Gehör zu geben? Dem Bösewicht? O Vater, welche Frage! Um dieses Ungeheur, der Menschheit Schmach, sollt' am Icil ich treulos werden können? und Du Herr, fragest mich? Ich wußte schon vorher die Antwort: und aus diesem Grunde sprach ich bereits ihm alle Hoffnung ab. Doch, liebste Tochter! dachtest du schon auch an die Gefahren deiner Weigerung? Die größte ist der Tod! Die Knechtschaft! Nein, mein Vater! durch den Tod entgeht man ihr. Hast du zum Tod auch Muth? Ich bäte dich, mich jetzt zu tödten, ließ' dich die Billigkeit der Götter nicht noch andre Rettung hoffen. sie umarmend. O Tochter! O mein Blut! mit solchem Muthe trotzt man Tyrannen, trotzt man dem Geschick. Erhalt' ihn stets so fest – hoff ich ihn gleich in solche Prüfung nie versetzt zu sehn! – Komm! Laß nun in Asträens Tempel uns das Zeichen zum Gericht getrost erwarten! Erflehn wir uns des Himmels mächt'gen Schutz, so stürmt der Hölle Macht umsonst auf uns. Gehen ab. Ende des dritten Aufzugs. 4. Akt 1. Auftritt Erster Auftritt. der vorwerts gehet, indem die capitolinische Besatzung das Forum besetzt. Woher der Unmuth dieser bangen Brust? die Scheu, vor der Erfüllung einer Pflicht? – Soll dieser Vorfall denn das wirklich seyn, wofür halb Rom ihn hält, ein Listgewebe des Appius? – O dann, dann wär er wohl der abscheuwürdigste, den Rom noch sah, Des Sextus Unthat selbst nicht ausgenommen. – Der Zweifel schon ist Stachel für mein Herz; statt Schirm der allgemeinen Ruh zu seyn, wär' ich des gräulichsten der Laster Schild. – So hoch stieg unsrer Herrscher Frevel schon, daß den betrognen Arm man ihnen oft zum Werkzeug sträflicher Verbrechen leiht, da man zum Wohl des Staats zu wirken glaubt! – Unglücklichs Vaterland! der Sitten Fall beschleunigt jeden Tag den deinigen; und Die der Sitten Beyspiel dir zu seyn, ihr höhrer Stand beruft, befördern ihn! – Er kömmt! vielleicht durch ihn erhalt' ich Licht. 2. Auftritt Zweyter Auftritt. Virginius mit einem Soldaten. Valerius. Virgin! du siehst in Mir den Ungenannten, der dich, mit dir zu sprechen, hieher bat. Doch – kennst du mich Virgin? Wie sollt' ich einen der ersten unserer Patrizier nicht kennen? Immer noch könnt' ich als Der der letzten Menschen einer seyn. Kennst du nicht näher mich? Du bist Valerius, das Haupt der Kriegesschaar im Capitol, ein edler, tapfrer Mann, deß Heldenmuth ich in so mancher Schlacht bewunderte. Dorther kenn' ich auch Dich – und bin dein Freund. Mir Lohn genug für mein gering Verdienst! Traf keine Nachricht dir vom Lager ein sei deinem Abbruch? Nein. Wohl aber Mir. Du hast getreue, thät'ge Freunde dort. Sie nehmen eifrig Theil an deinem Schicksal; bezweifeln laut, nicht nur des Marcus Recht, selbst des Decemvirs Unpartheylichkeit, und zeugen Regungen im ganzen Heere, die Vibulan nicht ohne Kummer sieht. Es scheint, man harre nur noch auf Bericht, wie bey dem Vorfall sich Roms Volk bezeige. Roms Volk bezeiget sich Auf die Soldaten zeigend. wie Jene wollen. Zu Jenen rechne Mich! – Wir wollen bloß Gerechtigkeit, und Jedes Untergang der anders will. Doch, wie bekannt, gelobten wir den Decemvirn Treu, Gehorsam, Schutz. Nur Mißbrauch ihrer Macht zur Tyranney, lös't unsern Eid. Zu hören von dir selbst, ob du bey deinem Streit nicht Unrecht ahndest, bat ich dich her. Du kannst in diesem Fall auf Jener Beystand und auf meinen hoffen. – Man zeiht des Marcus Zeugen Meineids, und Icil schilt öffentlich ein Werkzeug ihn der Leidenschaft des Appius. – Die That, erwiesen, wär' ein unverzeihliches Verbrechen, gegen Dich, das Heer und Rom. Du Freund, sollst mir den Flor vom Auge ziehn, der mir die Wahrheit noch mit Nacht bedeckt! Mit allem Zutraun Herr, wozu mein Herz durch deine Großmuth sich verpflichtet fühlt, vermag ichs nicht, für deine Zweifel dir ein heller Licht zu schaffen, als du hast. Ganz einem Blinden gleich, den man erwürgt, empfind' ich nur mein Weh, und seh' es nicht. Was nützt mir's, zuverlässiger als Du belehrt zu seyn, daß des Decemvirs Herz für meine Tochter brennt? Selbst der Beweis, wär' unnütz mir und meiner armen Tochter. Die Zeugnisse des Marcus sind die Last, die rettungslos mein Kind und mich erdrückt! Doch, es behauptet ein – vielzüngiges Gerücht, des Marcus Zeugen seyn erkauft: – Ist denn nichts Gründlichs dir davon bekannt? Nicht reich genug, die Wahrheit seinen Zeugen so theu'r, als Er die Lüge, zu bezahlen, wie wär' ich fähig ein, mit so viel Kunst verborgnes Werk der Nacht, ans Licht zu ziehn? Während der vorstehenden Rede kommt ein Abgeordneter des Appius, und sagt dem Valerius einige Worte ins Ohr. Dieser winket rückwärts, und man gibt vom Capitol durch Trompetenschall das Zeichen zur Versammlung, worauf sich sogleich – doch nach und nach – das Volk einfindet. Verehrungswürd'ger Mann! ich schwör' es dir! Nie klang die Tuba mir so fürchterlich. Ach! ihre Wirkung auf mein Vaterherz ist schrecklicher. Sonst froh bey diesem Schalle, wann in der Schlacht er Angriff mir geboth, beb' ich jetzt als ein Kind! – So bleibst du denn ganz ohne Hoffnung, ganz des Zufalls Ball? Kömmt nicht von Oben her mir Hülfe zu; erweichet ein mir günst'ger Gott das Herz des Richters nicht – wo hofft' ich Rettung noch! Des Richters Herz? Vielleicht erschüttert' ichs durch ein Gespräch von Ernst und Wahrheit voll! Vielleicht erweichten es der Tochter Thränen, da heut zum erstenmal sie mit ihm sprach! Es scheint unmöglich mir, daß, zum Besitz Der die man liebet zu gelangen, man derselben Schmach zum Mittel wählen könne! Hier naht sie sich, bedrängter Vater dir! 3. Auftritt Dritter Auftritt. Virginia. Numitorius. Albina. Die Vorigen. Ach Vater! Dich erblick' ich wieder! kann dein Knie vor meinem Tode noch umfassen! Kaum hofft' ich mehr auf dieses Glück. Warum geliebte Tochter? Was beraubte denn der Hoffnung dich? Ach Vater! eine Reihe furchtbarer Ahndungen, beängstigend Im Tempel mich, seitdem du mich verließest; Erscheinungen – vielleicht der Götter Werk, mein Schicksal mir in Bildern anzuzeigen. Doch Dank sey deinem Blick! vor ihm entweicht schon jedes Schreckenbild aus meinem Sinn. Sprich! was für Schreckenbilder könnten dich ... Ach Herr! Im wärmsten Eifer des Gebeths schien plötzlich mir ein Strom des Lichtes (doch viel sanftern Lichts als das Phöbeische) die Göttin zu umwallen. Statt des Ernstes Den sonst ihr Antlitz zeigt, trat augenblicklich der wehmuthsvollste Gram in ihre Miene. Sie öffnet ihren Mund, und ich vernehme; »Virginia! Du rettest Rom – Dich nichts!« Erschreckt durch diesen fürchterlichen Spruch, sank ich ohnmächtig in Albinens Arme. Doch in der Ohnmacht selbst erhielt ich Trost. Sie stellte leibhaft (nicht als Schattenbild) mir die Gewalt der theuern Mutter vor, die liebreich Schutz in ihren offnen Armen mir bot. Wie schön, elysisch schön, war sie! Ich flog an ihre Brust: und – welche Wonne genoß ich da! Gerettet bin ich nun! schrie laut ich auf (Albin' und Numitor Behaupten dieß) Gerettet in den Armen Der theuern Mutter! – Doch – nicht lange währte mein Glück; denn sie verschwand: und ich erblickt' an ihrer Statt – Dich liebster Vater! Dich, der einen blut'gen Dolch – in Seiner Hand – mit Blicken der Verzweiflung besah. Entsetzt vor diesem schaudervollen Bilde, will ich dich fragen, welches Frevlers Blut dein aufgereizter Arm vergossen habe; doch in dem Augenblick erschallt der Ruf um schrecklichen Gericht – er meinen Traum so schnell, als ein Orkan den Rauch, verjagt; der mir die Freude schafft, dein Angesicht, anstatt erzürnt, hier liebevoll zu sehn. sie umarmend. O meine Tochter! Ah mein Vater! – – Doch was seh' ich! deinem Aug' entrollen Thränen? Ach Vater! tröste dich! was mich geschreckt, war nur ein Traum, ein Bild der Phantasie! Du selbst hast mich belehrt, Erscheinungen seyn bloß die Zeichen einer kranken Seele, wo nicht verwirrter Sinne Mißgeschöpfe; sind sie wohl, Vater, deines Kummers werth? 4. Auftritt Vierter Auftritt. Icilius mit entblößtem Schwert. Quintus. Einige Römer. Die Vorigen. Heil dir Virginia! Heil Vater dir! Ich bring' euch Rettung, Rettung an dem Rand des Abgrunds, wo wir kaum sie mehr gehofft. O welche Nachricht, ihr Unsterblichen! Du bringst uns Rettung, mit entblößtem Schwerte? Woran noch Blut von unserm Feinde klebt, vom Frevler, tausendmal des Todes werth, vom Marcus! Marcus? mit obigen zugleich. Götter! Dort Virgin! nicht einen Pfeilflug fern von uns, verröchelt der Bösewicht die lasterhafte Seele. Er steckt sein Schwert ein. O Himmel, welch ein Mord! und Meuchelmord? Nein edler Vater, nein! dein Eidam ist kein Meuchelmörder, ist noch Deiner werth. – Hör den Verlauf der schönsten meiner Thaten! Da dir mein Zweck aus Rom zu fliehn, mißfiel, sah ich zur Rettung der geliebten Braut mir einen einz'gen Weg noch unversperrt, den Weg, des Bösewichts erkauften Zeugen die Wahrheit abzuzwingen. Ich beschloß, sie mit Gewalt, durch Beystand dieser Freunde, ihm zu entreißen, und in Gegenwart des ganzen Volks zu prüfen. Zum Vollzuge schien mir der Augenblick, da allesammt den Frevler zum Gericht begleiten mußten, der günstigste zu seyn. Wir lauerten an einer Eck' auf sie. – Sie nah'n sich uns. Doch Marcus, an der Spitze seiner Buben, sieht mich zu bald, und ahndet meinen Zweck. Er zückt sein Schwert, und winkt den Zeugen Flucht. O wie gewünscht! Sogleich ergreiff auch Ich mein Schwert. Wir schlagen uns – so muthig Er als Ich; dieß Lob muß ich ihm zugestehn. Nach einem langen Kampf gelingt mirs erst durchbohrt ihn hinzustürzen. – Doch schon eilet mit Wachen Lucius herbey. Ich fliehe sobald ich Den erblicke; denn ich wollte, bevor man mich verhaftet, selber euch von dem erwünschten Zufall Nachricht bringen. Erwünscht? – O wären es die Folgen auch! Sie sind es, durch die Rettung deiner Tochter. Welch eine Rettung! ach Icil! bedenk, welch Schicksal du dir selbst bereitet hast! Mir? – süßen Tod, für jenen schmerzlichen den Dein Geschick mir zubereitet hatte. Tod? Tod Icil? Konnt' ich ihm wohl entgehn? Hätt' ich den Urtheilsspruch, nach welchem jetzt ein Raub des Bösewichts du werden solltest, wohl überlebt? – Erwäge: Tod für Tod, ob einen glücklichern der Himmel mir verleihen konnt', als Den, der sterbend mich zu deinem Retter macht; das Glück mir schafft, er Tugend Schutz, des Lasters Sturz zu seyn. Gibts einen schönern Tod? Er drückt ihre Hand an seinen Mund. leise zum Numitorius. Rath' ihm die Flucht! Icil! dein großes Herz macht mich erstaunt. Kein Halbgott that für Lieb' und Freundschaft mehr. Doch, sollen wir die Früchte deines Muths genießen. O so rette jetzt dich selbst! Entfleuch aus Rom! Aus Rom? – Sieh Jenen dort! schon bin ich in Verhaft. Du bist es nicht! Nie wird's bey mir ein freyer Römer seyn eh der Decemvir ihn dazu verdammet. Fleuch, fleuch Icil! Wohin? Nach Thuscien, in das Samniter Land, wohin du willst. Wie? zu den Feinden Roms, ich Römer fliehn? um Schutz sie flehn? vielleicht gar Hülfe mir wie der Verräther Marcius, erbetteln? Nein Numitor; Icil erkauft um Schmach sein Leben nicht! Rom gabs – Rom nehm' es mir! indem er zu ihm eilt und ihn mit Heftigkeit umarmt. O mein Icil! O wackrer junger Mann! wie hoch erhebt dein muthiger Entschluß dich über deine Zeit! wie lieb ist mir aufs neu mein Vaterland, das dich erzeugte! Doch Sohn! selbst diese Tugend, werth, noch lange das Beyspiel Roms zu seyn, verpflichtet uns Erhaltung Deiner, Flucht dir anzurathen. Du brauchst bey Feinden nicht um Schutz zu flehn: Fleuch unerkannt nach Ostia: von dort bringt dich ein Kahn, wohin du willst. Im Lande der Sarden wird jedweder Bürger Roms als Freund empfangen, gegen Noth geschützt. Ein Abgeordneter des Appius kommt in Eile und spricht dem Vater einige Worte in das Ohr. Erreichst du diesen freundschaftlichen Strand, so harre, bis in Rom Lossprechung wir dir ausgewirkt; und wär' uns dieses auch nicht möglich, deine Braut und beste Habe dir überschiffen. Nur ... Icil! ich muß auf Appius Befehl Gefängniß dir im Capitol ankündigen. Ihr Götter! Zween Soldaten treten hinter den Icil: er überreicht ihnen sein Schwert. Der Abgeordnete geht ab. Nein Grausame! nicht Ihn! Um meinetwillen vergoß er Marcus Blut; mich strafe man! Virginia! bey jener Zärtlichkeit mit der wir uns geliebet, bey dem Gotte, durch dessen Hülf' ich dich gerettet! ringe nicht gegen mich, und meiner Schickung Schlüsse! Mir helfen kannst du nicht: der Himmel nur vermag es, und er wirds; er ist gerecht. Und wäre ja mein Tod beschlossen, glaub! durch Das, was er bewirkt, wird er mir süß Dein einziges Bemühn sey jetzt, dich selbst zum Trost des besten Vaters zu erhalten; Du weißt, dein edler Vater lebt in Dir: das Leid, das dir geschäh träf ihn zugleich. Tracht' also, deiner strengsten Pflicht getreu, noch länger ihm des Lebens Glück zu seyn, und seines Alters Stab dereinst zu werden! Icil! schon sieht man den Decemvir kommen. Virginia! – leb wohl! O Himmel! wohl? du gehst zum Tode! Nein! ich fühl' es, nein! mein Schutzgott sagt mir: nein! Umarme mich – als Römerin, nicht als Geliebte nur! als echte Römerinn, die Gut und Leben, doch niemals ihren Muth verlieren darf! – Und du mein Vater! Ihn umarmend. ach! zu viel empfindet mein Herz! verzeih den stummen Abschied mir! Ab. O welch ein Muth! Vortrefflicher Icil! Nie fühlt' ich, was Du jetzt mich fühlen lehrst! Schütz' ihn Roms Genius! daß nicht der Sturm Roms schönste Frucht, kaum sie gereift, zerstöre! 5. Auftritt Fünfter Auftritt. Appius vor dem Wachen und Lictoren gehn; nach ihm. Lucius mit Marcus Zeugen und ein paar andern Bürgern. nachdem er sich gesetzet. Nie, Römer, hielt ich es für nöthiger, vor Unglück euch zu warnen als anitzt. Empörung, gestern nur in Worten kühn, tritt heute schon mit blut'gen Thaten auf. Der abscheuvolle Mord, den jetzt Icil an einem der erlauchtsten Bürger Roms verübt, ist ohne Zweifel euch bekannt. Noch mehr bekannt muß euch die Strafe seyn, die Bürgermördern das Gesetz bestimmt. Ich wünschte, heute noch des Mörders Blut euch weih'n zu können: doch, genöthiget, genaue Kenntniß der gräulvollen That und der Mitschuldigen, erst einzuziehn, verschieb' ich des Verbrechers Urtheil noch. Es liegt zu viel daran, daß endlich Rom ganz von der Frevlerbrut befreyet werde. die todt nur aufhört seiner Ruh zu drohn. Ein Trost kann euch indeß die Rache seyn, die jetzo schon – ein Gott! am Mörder übt. Sein Zweck bey diesem abscheuvollen Morde war offenbar, Virginiens Besitz. Die Schickung will, daß der gehoffte Preis noch heut ihm wunderbar entrissen werde. Mit Staunen werdet ihr des Himmels Werk in Dem, erkennen, was ihr jetzt vernehmt; erkennen, daß er den Gerechten noch nach seinem Tod in seinen Rechten schützt. Du, Lucius, hast nun gerichtlich hier, was sich mit dir ereignet, vorzutragen! Herr! unterrichtet von des Meuterers Icil Versuchen der vergangnen Nacht, bestellt' ich Augen heut, ihn zu bemerken. Man hinterbrachte mir, er lauschte dort am Weg', auf dem du stets zum Forum gehst, bewaffnet, in verdächtiger Gesellschaft. Sogleich eilt' ich mit ein'gen Wachen hin, aus seinem Hinterhalt ihn zu vertreiben. Noch fern von ihm seh' ich schon Schwerter blitzen, und Marcus Knechte sich in schneller Flucht mir nähren. Sie berichten mir: ihr Herr, gewaltsam von Icilen angefallen, sey, mit ihm kämpfend, in der größten Noth. Ihm beyzustehn, verdoppl' ich meine Schritte. Doch eh den Kampfplatz ich erreichen kann, stürzt Marcus schon zu Boden, und Icil ergreifst die Flucht. – Umströmt von seinem Blute, winkt Marcus mich zu sich. »Freund (sagt er mir) ich sterbe – glücklich noch im Tode Dich zu sehn. Empfiehl die Rache meines Bluts, und meine Gattinn, dem Decemvir! – Dir o theuerster Gefährte meines Lebens! Dir lass' ich als der Freundschaft letztes Pfand, Virginien, und all mein Recht auf sie. Euch Alle, die ihr hier mich sterben seh't, ruf' ich zu Zeugen dieser Schenkung auf: macht, daß mein Mörder nicht mein Erbe wird!« Mit diesem letzten Wort starb er mein Freund, der Menschheit Freund – und Opfer ihrer Tücke. Hier mächtiger und durch Gerechtigkeit berühmter Appius, sind meine Zeugen! Ihr Alle saht es, hörtet es? Ja Herr! Gleich ihnen kann ich dir die Wache selbst als Zeuginn der ... Genug! dein Recht ist klar, Virginia – war der Entseelte ja ihr Herr – durch Erbrecht itzt dein Eigenthum Doch Lucius! – sieh hier den wackern Mann! Er hat Virginien erzogen, stets aufs zärtlichste geliebt: du bautest dir ein Ehrenmaal der Großmuth, ständest du von deinem Anspruch ab. Verzeih! Die Pflicht wird nie bey mir der Großmuth Opfer werden. Des todten Freunds Geschenk verschmähn, wär' Undankbarkeit, und müßt im Orkus noch den Zorn des mir so theuern Schattens ... Den versühnt das Blut Icils. Das Blut Icils lös't nicht die heil'ge Pflicht des Lucius. Das letzte Wort des ... – Wohl! Mein Vorschlag war nur Wunsch, nicht Fodrung, auch nicht Rath. Doch wirst du nicht der Sklavinn Herr, so lang Virgin sich ihren Vater nennt. Sich nennen darf! Centurio Virgin, beweise nun, daß die Gefoderte dein echtes Kind, und Alles unwahr sey, was vom Betruge der Numitoria man hier behauptet! Hätt' ich mein edles Weib vor dem Gerichte der Götter, deren Blick durch Herzen schaut und in den Seelen lieset, zu vertreten; bald würd' ich die Verleumder ihres Ruhms mit der, Ihr zugedachten, Schmach bedecken: doch hier ... Hier, wo mit schwachem Menschenauge der Richter sieht, muß das Gesetz allein, gleich einem Pharus, ihm die Bahn beleuchten. Nach Gründen, guter Mann, nach Zeugnissen, gebeuth mir Roms Gesetz das Recht zu sprechen. O hätt' Ein Meineid hier nicht mehr Gewicht als hundert Gründe, dann siegt' ich gewiß. Es ist bekannt, daß Numitoria zwey Kinder eh als dieß geboren hat; und Marcus dichtet' ihr Unfruchtbarkeit als den Beweggrund ihres Kaufes an! – Gesetzt, es wäre der Betrug, deß man sie zeihet, möglich, da sie doch zur Zeit der Schwangerschaft mir stets vor Augen war, warum hätt' einer Sklavinn Kind, und nicht ein freygebornes sie gekauft – warum An eines Mädchens statt, nicht einen Knaben? warum endeckt erst itzt nach sechzehn Jahren die Sklavinn den Betrug? Und endlich! Wie kannst du Decemvir selbst, nachdem ihr Stand gekannt geworden, sie noch würdigen ... Genug der Fragen! Wer wird Zweifel Dir erläutern, da Gewißheit man von Dir vernehmen will? Wer hier auf Träumereyen dir Antwort träumen; da dein Gegentheil Vollziehung der Gesetze heischt? Willst du beschworne Wahrheit bloß durch Schein entkräften, so weilen wir zu lang bey diesem Streite der – Dir nur wichtig – doch um Bürgerblut schon Rom in Trauer setzt. Ihr Zeugen! schwöret! – Eid ist den Göttern selbst der Wahrheit Siegel, Uns heiliger Beweis der Rechte. da die Zeugen vortreten. – Bleibt! – Kein Meineid zieh' um Mich der Götter Zorn auf Rom! Der Eid ist euch von mir erlassen! Lictoren! übergebt des Marcus Sklavinn, nach dessen letztem Wunsch, dem Lucius! Die Lictoren befolgen den Befehl. Weh mir! O Vater! rette, rette mich! Herr! eh das Schicksal Sie – seit der Geburt durch ein so festes Band mit mir vereint – auf ewig von mir reißt, erlaube mir, daß ich noch Einmal an mein Herz sie drücke, und in das ihrige – so wund von Schmerz! – des Trostes und der Hoffnung Balsam gieße! Mit minder Gram kehr' auch ich selbst sodann um Heere wieder! Nie wehrt Appius, was Trost Unglücklichen zu schaffen dient. Die Unterredung ist – doch unterm Auge des Lucius – bewilligt. Komm, mein Kind – zum letztenmal an meine Brust! O Vater! Umarmung und Pause. Virginia! – hast du noch jetzt den Muth, wodurch du diesen Morgen mich entzücktest? Ja Vater! – rette mich! Küß meine Wange! Sie küßt ihn. Er sie. Stirb unentehrt! Er stoßt ihr einen Dolch in die Brust. niedersinkend. Dank dir mein Vater! Dank! Sie stirbt. Ha Frevler! welche Wuth! indem er den Dolch zu des Appius Füßen wirft. Hier Appius! dieß Blut bring über dich des Himmel Fluch, der Hölle Grimm! – Was, Unmensch, thatest du! Ich gab die Freyheit einer armen Sklavinn, und riß die Tugend aus des Lasters Rachen. Es donnre nun dein ganzer Zorn auf mich! ich bin zum Tod bereit. Er soll dir werden! Bald, wüthend Ungeheur! so schreckenvoll wie deine That! beym Gott des Höllenreichs! Lictoren, greiffet ihn! Er geht den Lictoren gelassen entgegen: zu gleicher Zeit entsteht Geräusch unter dem Volk. 6. Auftritt Sechster Auftritt. Lälia, die eilig kommt, und sich durch das Volk und die Wachen dränget. Ich muß vor ihn! Laßt mich! ich muß! aufgebracht. Welch ein Getöse. Herr! Des Marcus Gattinn dringt heran. Laßt sie! Sie wird um Rache für den Gatten fleh'n. mit einigen Papieren in der Hand. Sie trift, da sie durch das Volk kommt, gerade auf Virginiens Leichnam. O schrecklich! Hier auch Leichen? – O sie ists! es ist das edle Mädchen, dessen Reize der Keim vom Tode meines Gatten waren! O könnte doch dir seines Mörders Blut um Trost gereichen! bald, bedrängtes Weib, erhieltst du Trost. Der Bösewicht Icil ist schon verhaftet und ... Schweig Ungeheur! in Deinem Blut allein ist Trost für mich. Du bist es, wider den ich Rache fodre! Du selbst, der dieß beweinenswerthe Mädchen sich als der Wollust Opfer ausersah! Du, der den schändlichen Entwurf ersann, als einer Sklavinn Kind, durch Meineid sie dem Vater zu entreißen! Du, der durch Geschenke zum abscheulichen Vollzuge den Marcus ... Still, Wahnsinnige! bringt dich dein Schmerz zur Raserey; für Rasende ist hier kein Ort. Man führe sie von hier! Nein Römer! höret mich. Entfernet sie! indem sie die Briefe unter das Volk wirft. Valerius hebt sogleich einen auf, und liest ihn. Hier Römer, sind die gültigsten Beweise für Mich und wider Ihn. Sie zeigen euch im heilsten Licht die Schwärze seiner Seele, beleuchtet von des Frevlers eigner Hand! – Und Du Tyrann, willst mich verhindern, laut zu sagen, daß der Mörder meines Gatten Du bist? Du mich zur Wittwe, meine Kinder zu Waisen machtest? Fort Lictoren! schleppt sie fort! Man will sie abführen. Helft Römer! Haltet ein! – Ihr Mund spricht Wahrheit. – Dieß der Hölle würd'ge Blatt rechtfertigt den Verdacht, den dieser Streit dem halben Rom, mir selbst, erwecket hat. Ihr Römern! Appius ist ein Tyrann, ein Bösewicht. Zu einem Offizier. Icil sey frey! Der Offizier geht ab. Virgin! Lies', edelmüth'ger Greis, die Schande Roms, dein Ungluck! Er gibt Virgin den Brief; Dieser lieset, und wirft sich dann auf den Leichnam seiner Tochter. aufstehend zum Valer. Ha Verwegener! auch Du Verräther? – Denkt an euern Eidschwur, Ihr des Capitoliums Bewahrer! rächt an dem Meineid'gen mich! – Du hoffst umsonst auf ihren Schutz: ich habe sie gelehrt das Laster hassen – nicht vertheidigen. der einen von den Briefen zeiget. Auch Dieses Blatt erweiset sein Vergehn, ihr Römer! Und doch lebt der Wüthrich noch? besitzt noch kühn die höchste Stelle Roms? Harrt man vielleicht, bis Ich, ein Weib den Dolch ins Herz ihm stoße? Geräusch unter dem Volke. Nein, beym Jupiter! Dieß soll kein Weib! Er und einige Bürger gehen auf den Appius los. Dieser zücket sein unter der Toga verborgenes Schwert, indem er von den Richterstuhl herab tritt sich zur Wehre zu stellen. Zu gleicher Zeit stellt sich Valerius dem herannahenden Volke in den Weg, und ruft. Nicht Römern! mäßiget der Rache Trieb! Zu den Soldaten. Verhaftet ihn! Einige Soldaten springen auf ihn los. Und da er durch die nächste Kulisse abgeht, folgen sie ihm. Valerius spricht inzwischen fort, zu dem Volke. Nicht morden, ihn richten müssen wir! Die Tyranney, nicht der Tyrann allein, muß untergehn, soll Rom sich euers Muthes lang erfreuen! – Nimm es auf dich, o Numitorius, des Bösewichts uns zu versichern! Numitorius folgt eilig nach. Herr! dein Wunsch, vom Joche der Decemvirn frey zu werden, ist der Wunsch des ganzen Volks. Es sollen Consuln herrschen, und Tribunen für des Volkes Rechte wachen! Du, bester, würdigster der Senatoren, und längst vor Allen unsers Zutrauns werth! führ uns durch Rath und Beystand zu dem Ziele! Werd' erster Consul! und dein edler Freund Horatius sey zweyter! Meine Stimm' ist Aller Stimm', aller Herzen Roms Erklärerinn! der plötzlich aufsteht. Auch meines Herzens! Aller! Ihr! tretet hinter ihn Lictoren! Er ist unser Consul. Die Lictoren treten hinter ihn. Dank euch Römer! Dank für dieß Vertraun! es einst mir zu verdienen, nehm' ich den Ehrenruf mit Freuden an. Laßt uns vereinigt nun uns über Roms zu gründend Glück berathen! jede Kraft ... 7. Auftritt Letzter Auftritt. in Eile mit den Soldaten. Todt? todt Virginia! Wo ist sie? Wo? ... Ihr Götter! Er wirft sich auf den Leichnam. Welch ein Augenblick, o Himmel, für ein so zärtlich Herz! – Zum Numitor, der in Eile zurück kommt. Du schon zurück? Dir zu berichten, Herr, daß Appius sich selbst bestraft und Rom gerochen hat. Er stürzte, wenig Schritte nur von hier, sich in sein Schwert. – Für Ihn die schönste That vom ganzen Lebenslauf! nur ach! für Dich bedrängter Vater, schon zu spät! Doch nicht zu spät für Rom! Aus meinem Unglück stammt das Wohl des Vaterlands – Dank Götter Euch! Ende des Trauerspiels. Fußnoten 1 Marcius Coriolanus.