708. Fräulein Podica Überm Städtlein Lichtenfels, allwo man es noch heute den Burgplatz nennt, lag eine Burg der alten Grafen von Meran. Dort wandelt der ruhelose Geist des Fräuleins Podica von Schaumberg, stammend aus einem gar weit verzweigten edeln Geschlechte dieser Gegenden, deren Stammburg über dem Städtlein Schalkau zwischen Koburg und Eisfeld gelegen war und auch nur noch geringe Überreste zeigt. Das Fräulein hatte einen Bräutigam des Namens Kunemund, der zog mit in eine bedeutende Fehde, die bei Scheßlitz im Hochstift Bamberg zu einer Entscheidungsschlacht gedieh. Podica von Schaumberg gab ihrem Erkorenen einen Handschuh mit, und er schwur, denselben lebend oder tot ihr zum Pfande seiner Treue zurückzubringen, allein der Jüngling brachte den Handschuh nicht zurück. In der Schlacht bei Scheßlitz fiel der treue Junker Kunemund, und als Fräulein Podica von Schaumberg die Trauermär erfuhr, nahm sie sich’s alsosehr zu Herzen, daß sie vor Gram und Kummer starb. Seitdem geht sie bei nächtlicher Weile im Gemäuer der alten meranischen Burg um und ruft mit leiser seufzender Stimme: Kommt noch nicht mein Kunemund? – Ihre Erlösung ist einzig an die Bedingung geknüpft, daß ein Sterblichgeborener ihr erwidern soll: Längst fiel dein Kunemund bei Scheßlitz! – So leicht diese Bedingung erscheint, so ist sie doch noch immer nicht erfüllt worden, denn denen, welche die Wandelnde erblickten, entfiel vor Schreck das rechte Wort, oder der Name des Geliebten, oder der des Städtleins Scheßlitz, und denen, so vielleicht richtig geantwortet hätten, mag sie wohl nicht erschienen sein. Und so wandelt der arme ruhelose Geist von einem Jahrhundert in das andere hinüber. Oben auf Bergen und Burgen, in ätherischer Hülle wandelnd, die ewig lebende Sage, und unten der Dampfwagen, über die Eisenbahn brausend, die den deutschen Norden mit dem deutschen Süden verbindet und beider Verkehr vermittelt.