Prolog zur Jobsiade Wie der Verfasser der Jobsiade Lebte und meinte, und was er tate, Steht im Meyer und im Brockhaus Gründlich, ausführlich und durchaus. Auch ist vollkommen klein schon gespalten, Was man von seinem Humore muß halten, Und was von seiner Knittelei Quoad Ästhetik zu meinen sei. Darüber legten so Bartels wie Meyer Entzückend ovale kritische Eier, Und übrigens liebt das Publikum Hundert Jahre und länger Hieronimum. Bin also einigermaßen verlegen, Was ich noch soll für Eier legen. Bei allem Drücken und aller Qual Wird schließlich meins auch bloß oval. Seis drum: ich legs. Gleich andern wackern Kritischen Hennen kann ich auch gackern, Und, legt mein Ei man in Kortums Sol, Findt mans auch schließlich gesalzen wohl. Und so beginn ich denn unverweilen Das Allerwichtigste mitzuteilen: Karl Arnold Kortum, Doktor der Medizin war nebenbei bloß Poet. Denn er hielte nicht wenig auf seinen Magen Und meinte, das Hungertüchernagen Sei weder gesund, noch angenehm; Drum dichtete er bloß außerdem. Und legte sich fleißig aufs Krankekurieren, Oper-, Purg-, Ordin- und Medizinieren, Weshalb ihm die Ärzte in Bochum zuletzt Und nicht die Poeten ein Denkmal gesetzt. Doch ist es gewiß, daß von seinen Rezepten Ihn keine, doch Verse viel überlebten. Das Rezipe schuf den Bauch ihm breit, Der Pegasus wiehert Unsterblichkeit. Sonst ist nicht viel von ihm zu berichten. Was tat er denn Großes? Heilen und dichten. Er war kein Heiliger und kein Held, Hat nirgends nichts, krach, auf den Kopf gestellt. Lebte bloß so mit seinen Talenten, Medikamenten und Instrumenten Unscheinbar dahin zu Bochum der Stadt, Die jetzt mehr als damals Einwohner hat. Es gab da noch keine Metallgießereien, Doch hörte man zahlreiche Vierfüßler schreien; An Stelle der Gußstahlindustrie Prädominierte das nützliche Vieh. Das fand schon auf der Straße sein Futter, Revanchierte sich fleißig mit Milch und Butter Und gab am Ende, wenns leider tot, Das Material zum Boeuf à la mode. Doch war man wenig auf Fleisch versessen, Hat lieber Gemüse und Brot gegessen, Stand nur der Wippap in der Näh, Das ist der Kessel voll dünnem Kaffee. Aus diesem Grunde (meint Doktor Kortum) Ging selten gefährliche Kränke dort um. Item: man war nicht üppig bei Kost, Auch hatte das Städtchen keine fahrende Post. Auch das war dem Wohlsein kaum gegenteilig; Man wird nervös, hat man es eilig. Von Kortums Patienten klagte nie Ein einziger über Neurasthenie. Wie aber will bei solchen Umständen Ein geistreicher Arzt seine Zeit verwenden? Entweder: er säuft (und das ist gemein), Oder: es fallen ihm Verse ein. O Spiritus! Von allen Produkten Der Gärung von Lissabon bis Mukden Bist du das stärkste. Von Pol zu Pol Rühmen die Völker den Alkohol. Es tranken die Griechen, Römer, Hebräer, (Makkabä-, Mannichä-, Sadduzäer), Und auch beim Turmbau zu Babylon Tranken so Maurer wie Zimmerer schon. Am Euphrat, am Tigris, am Ganges, am Nile, In Mexiko, Mecklenburg, Lobenstein, Chile, Auf dem Himalaya, der Jungfrau, selbst auf dem Popo- Katepetl war immer des Trunkes man froh. Engländer und Russen, Sachs-, Preußen, Franzosen, Worin sind sie einig? In Spirituosen; Man bechert von Potschappel bis Paris Und denkt nicht an Rheuma und Nierengries. Doch Kortum war Arzt, und er wußte: die Schnäpse Haben zur Folge verschiedene Kolläpse, Und auch nach zu vielem Bier und Wein Stellt sich allzugern allerhand Kränkliches ein. Viel ungefährlicher ist das Skandieren; Man kann dabei höchstens den Verstand verlieren, Und das auch nur dann, wenn man sowieso Nicht ganz grundfest ist im Kapitolio. Im ganzen ist der Verkehr mit den Musen Vorzuziehen dem mit Spiritussen, Wenn man, wie sichs am Rand versteht, Dabei nicht gleich bis zum Laster geht. Das wußte Karl Arnold. Er trieb es mit Maßen Und scherzte blos mit den himmlischen Basen! Griff sie, wo sie weich sind, nahm sie aufs Knie, Aber Débauchen beging er nie. Doch eins, ja, das: Er hatte ne Neigung Zu nicht immer ganz sänftlicher Liebesbezeigung, Zerknüllte gerne Röckchen sowohl wie Frisur, – Kurz, er machte den Musen handgreiflich die Cour. Da rutschte manch Schleifchen, zerriß manche Spitze, Man sah auch manchmal dabei in der Hitze Ein nackigtes Stückchen an Stellen, wo Es weder damals noch heut comme il faut. Doch das war am Ende nicht weiter bedenklich, Die Madames waren damals recht leicht einhenklich, Denn mit der Moral stands leider bös. Das achtzehnte Jahrhundert war amourös. Dagegen war eins nicht à la mode In dieser mehr zierlichen Zeitperiode, Was Doktor Kortum gar sehr behagt: Er hat gerne alles graderaus gesagt. Er war nicht fürs Wortepomadisieren, Und, mochte Euterpchen sich noch so sehr zieren, Er brachte ihr ungeniert Ausdrücke bei, Als ob sie in Bochum geboren sei. »Komm, Phyllis, zu wallen im Lustparadiese!« Unsinn: Komm Grete, geh mit auf die Wiese. »O siehe, wie Luna die Lilien küßt!« Unsinn: Komm raus, weils Vollmond ist. Und, wie er kein Freund war vom Phrasenscherwenzeln, So liebte er wenig das zierliche Tänzeln In höfischen Formen, galant und kokett; Er war mehr fürn Hopser, als fürs Menuett. Nach Flöte und Geige gefällig zu schleifen War nicht seine Sache, die Dudelsackpfeifen Gaben seinem Gestampfe den holprigen Takt, Wenn er Fräulein Euterpen hat hüftlings gepackt. Doch das sind schließlich bloß Äußerlichkeiten. Den Pegasus kann man verschiedentlich reiten: Im spanischen Tritt und im Bauerngalopp, Der Sitz macht den Reiter, nicht Trab oder Hopp. Und das wird man Kortumen nachsagen müssen: Sein struppiger Gaul hat nicht ab ihn geschmissen, Wie sehr auch manchmal ausschlug das Beest, Doktor Kortum ist immer oben gewest. Ihm machten Vergnügen die wilden Kapriolen, Hat sich in Freiheit dressiert das Dichterfohlen Just grade auf Quersprung und Zuckeltrott. Gefolgt hats doch seinem Hüh und Hott. Mir scheint, als ob man nicht ganz nach Verdienste Schätzte des Jobsdoktors Reiterkünste. Sie sehen ja aus, als obs gar nichts wär, Und doch ist diese Art Zotteln schwer. Er glaubte Hans Sachsen nachzuspotten Mit seinem stolpernden, holpernden Trotten. Doch hat er dem nichts am Zeuge geflickt; Der Schuster ritt anders und sehr geschickt. Hansens Verse sind gar nicht komisch und holprig; Nur auf dem Papiere macht es sich stolprig; Gelesen sind sie schmiegsam wie Wachs. Respekt vor dem Versemeister Hans Sachs! Respekt aber auch vor dem Knitteler Kortum! Er führte herbei manchen Versabortum Und meinte, das wäre bloß Travestie. War aber mehr. War Harmonie Im Disharmonischen, war ein Treffer Im komischen Stile. Kein Nachäffer War unser Doktor, war originell. Drum saß im Ohre sein Ton so schnell. Weil ihm nicht weniger als Hans Sachsen Ein eigener Schnabel zum Singen war gewachsen, Weil er nicht sang, wie jedermann sung: Das brachte sein Lied so rasch in Schwung. Er war, um zu reden mit Liliencronen, Ein Neutöner in den sterilen Zonen Des deutschen komischen Heldengedichts, Schuf seine Manier sich aus dem Nichts. Sonst wäre trotz all seinem Geist und Humore Hieronimus Jobs nicht durch so viele Tore Jahrzehnt auf Jahrzehnt geschritten bis heut, Da die »Insel« ihn nagelneu alt herbeut. Mehr wüßte ich eigentlich nicht zu sagen, Denn reichlich unnütz scheint mir das Fragen, Ob niedrig, ob hoch die Gattung sei Dieser Art komischen Poesei. Ich behaupte getrost: der Jobs ist klassisch, Sei er bloß bochumsch oder parnassisch. Was sich unmariniert so lange frisch erhält, Sei, ob es auch klein, neben Großes gestellt. Doch eins noch, das: Es geht das Gerede, Die zwei Fortsetzungen, alle beede, Seien durchaus vom Überfluß; Tot hätte solln bleiben Hieronimus. Dann hätte das Kunstwerk seine Rundheit Bewahrt und streng ästhetische Gesundheit, Indessen jetzt Teil zwei und drei Nichts weiter als schädliche Wucherung sei. O Gott, ihr Herren vom kritischen Knaster, Laßt ihr nicht endlich mal ab von dem Laster, Immer nur Warzen und Auswuchs zu sehn, Wo die Triebe der Kraft etwas üppiger stehn? Ich dächte, wir haben uns nicht zu beklagen, Daß Hieronimus auferstand aus dem Schragen, Denn so der zweite wie dritte Teil Bereiten uns gar keine Langeweil. Ich möchte sie beide durchaus nicht missen Und bin sehr glücklich, aus ihnen zu wissen, Daß Doktor Kortum noch allerhand Außer dem scharfen Schinden verstand. Zum Beispiel: Ein Mädchen zu malen wie Esther. Ich wünschte, ich hätte so eine Schwester. Wobei ich gar nicht böse wär, Würde der Baron dann mein Schwageer. Auch muß ich gestehen: Wie der Nachtwächter, Gefällt mir der Pastor Jobs. Kein schlechter Zug scheint mir auch das zu sein, Daß er begraben sein will beim Amalein; Obwohl die, wie wir es deutlich lesen, Durchaus kein Tugendausbund gewesen. Fehlte das, käm mir des Doktors Humor Beträchtlich weniger süße vor. Ja, ich bekenne: die Fortsetzungen Haben mich immer erst ganz bezwungen, Weil ich daraus mit Freuden erfuhr: Karl Arnold hatte nicht Schärfe nur. Er war ein Poet auch aus dem Herzen, Er konnte auch ohne Höllenstein scherzen. Der rasse Wein wird mählich mild, Der schroffe Schnitt wird zum runden Bild. Und keiner kann sagen: die Sache wird soßig, Der Witz wird schal, der Humor wird klosig. Es geht nur, wie es im Leben geht: Der Gang wird ruhig, beschaulich, stät. Was der Dichter mit splitternden Hieben begonnen, Hat schließlich das Ansehn von Schnitzwerk gewonnen; Die harte Kontur kriegt weicheren Schwung. Beschere Gott jedem solche Fortsetzung!