6. (Zwischen Macon und Pontarevant la Chapelle, 28. Oktober 1900.) Was wär ich, hätt ich nicht die hohe Kunst Des schön gesetzten Wortes und die Kraft, Mit einem Strom von Strophen mir den Schmerz Und alles Dumpfe aus der Brust zu schwemmen. Wieviel versäumt ich! Wieviel Früchte ließ Ich auf der Lebenstafel unberührt! Wieviel versah ich! Wieviel Böses sann Mein Herz, und wieviel sündigte die Hand! Doch einen schönen Reim zu ründen war Ich nie zu träge, und ich frevelte Nie bösen Sinnes gegen dich, oh Gut Der Güter, das mir in der Wiege lag, Als ich der Mutter Wort zum ersten Mal Vernahm: Oh deutsche Sprache, allerherrlichste! Kein Kind wird einst von mir im Leben stehn, Wenn ich ins Nichts zurückgegangen bin Und all mein Leben, all mein Schmerz und Lust Vorüber und verschwunden wie die Wolke ist, Die eben noch, durchglüht von Sonnengold, Wie eine ganze Welt voll Licht und Saft Am hohen Himmel stand. – Dann wird vielleicht Ein kleiner Vers von mir lebendig noch In eines deutschen Mädchens Herzen blühn, Und meine Worte werden voll und warm Von ihren Lippen wehen, wie der Duft, Der aus dem Innersten der Rose kommt.