Prolog zu Herrn Nicolai's neuester Reisebeschreibung von Obermayer Der bösen Kritik Ursprung fällt Gerade in das Jahr der Welt, Das man nicht darf bedeuten; Weil sich zwei große Kritiker, Petavius und Skaliger, Im Grabe d'rum noch streiten. Kurzum, der erste Kritiker War Cham: der ging zum Luzifer Sechs Monat' in die Lehre: Er zeigte bald recht viel Geschick, Und machte durch sein Meisterstück Dem Meister sehr viel Ehre. Denn als sein Herr Papa sich krank Am ersten Ratzerstorfer trank, (Und wie's im heissen Lande Oft Blössen gibt) so sah er ihn, Und zeigte mit dem Finger hin, Auf seines Vaters Schande. Doch, hätte schon um diese Zeit Von derlei Blössen Würdigkeit Präputius 1 geschrieben, Es wäre, das versichr' ich euch, Der unverschämte Fingerzeig Gewißlich unterblieben. So aber ward der Wein verflucht, Und macht nun dem, der ihn versucht, Koliken im Gehirne: Wir selbst sah'n noch zu uns'rer Zeit, Die Folgen seiner Schädlichkeit An Nicolai's Stirne. Allein davon ein andermal – Die Kritik ward nun überall Durch Cham's Geblüt verbreitet: Auf Sara's Runzeln, Abram's Bart, Aus Ziegen, Ochsen, Schafe ward Mit Fingern hingedeutet. Noch ärger ging's zu Babel her, Da war kein Ziegel, den das Heer Der Kritiker verschonte, Woher es denn auch kommen mag, Daß man damit bis diesen Tag Nicht fertig werden konnte. Und eben von dem Saus und Braus Bekam das grosse Schneckenhaus Den bösen Namen Babel; Denn als sie's gar zu bunt gemacht, Wuchs jedem Kritler über Nacht Zur Straf ein andr'er Schnabel. Das Kritlervolk zerstreute sich Nun unter jeden Himmelsstrich, Ward kecker in der Ferne, Und bellt nun, wenn es ihm gefällt, So wie der Hund den Mond anbellt, Hinan bis an die Sterne. Der Zeichendeuter Balaam 2 Ließ sich der erste ohne Schaam Mit Geld und Schimpfen dingen: Er wollte los gen Israel zieh'n, Doch glückt' es seinem Esel, ihn Noch zur Raison zu bringen. Dafür gelang's dem Semei, Der seinem Herrn in's Antlitz spie, Sich zu nobilitiren: Denn der Minister machte kund: Er sollt' hinfür den Titel: Hund , Im Prädikate führen 3 . Indeß die Kritik auf der Welt Ihr Amt bald gratis, bald um's Geld So ziemlich leidlich führte, Geschahe in der Himmelsburg Ein Unglück, das sie durch und durch Mit Giftschaum inprägnirte. Der alte Momus, der bisher Am Hof des Vaters Jupiter Den Tischhannswursten spielte, Als er einst Junons Möpschen stieß, Bekam von ihm solch einen Biß, Daß er vor Schmerzen brüllte. Und weil das Hündchen wüthig war, So ward es auch der arme Narr, Es schwoll ihm Mund und Kehle; Und jedes Wörtchen, das er sprach, Ward auf der Zunge Gift, und stach Die Götter in die Seele. Er tobt' und schäumte fürchterlich, Biß unter'n Göttern wild um sich Und ihren Kammerdienern; Kurzum, er spielte allen mit, Wie unlängst ein Nicolait Es machte mit den Wienern. Seit dieser Zeit ist Kritelei Und böse Hundswuth einerlei: Das Gift fieng an zu schleichen, Und ist, kömmt's gleich vom Himmel her, Den Menschen nun gleich schrecklicher, Als Pest und and're Seuchen. Denn ach! vom Kritlergifte wird Man augenblicklich inficirt Vom Fuß bis auf zum Scheitel; Ja vor dem Biß des Kritikus Schützt nicht einmal Merkurius – Nur höchstens noch sein Beutel. Dabei ist dieses Gift sehr fein, Man kann es in ein Briefelein Ganz leichtlich einballiren; Man liest, und ist des Giftes voll, Und so kann man von einem Pol Zum andern inficiren. Ja, was noch mehr, es ist so scharf, Daß man's nur sehen lassen darf, Um Unheil anzustiften; Auch kann man nach Jahrtausenden Damit die Abgeschiedenen Im Grabe noch vergiften. Nun sollt ihr Herr'n noch kurz und gut Von der besagten Krittlerwuth Den ganzen Stammbaum wissen: Gebt Acht: Man hat von Momus an Bis auf den heut'gen Tag fortan Einander sich gebissen. Mit rechtem Hundesappetit Biß einst Herr Momus den Thersit, So kam das Gift schon weiter: Weil der Gebißne beißen muß, So biß Thersit den Zoilus, Homerens Sylbenreiter. Herr Zoilus war auch nicht faul, Und biß den Aristarch in's Maul, Den grossen Splitterrichter; Der aber biß den Mevius, Mev aber biß nun aus Verdruß Herrn Martial, den Dichter. Und Skaliger, gelehrt, durch ihn, Biß den Muretus 4 – doch wohin? – Das müßt ihr mich nicht fragen: Und wenn es denn gesagt seyn muß, So gehet hin, – Präputius Wird euch's statt meiner sagen. Der hochgelehrte Fleischerhund Sciopius biß alles wund, Was er nur wahrgenommen, Und weil er die Jesuiten biß, So ist das Gift auch unter dieß Electum Vas gekommen, Hier ward es noch gefährlicher, Dann schleichend Gift und trieb nicht mehr Den Schaum heraus zum Munde; Es war oft, eh man sich's versah, Im Leibe des Gebißnen da, Doch sah man keine Wunde. Allein mit gifterfülltem Zahn Fiel Burmann einst Herrn Klotzen an, Und zwickt' ihn in die Wade; Klotz ward nun auch dem Wasser gram, Und wer ihm nur zu nahe kam, Den biß er ohne Gnade. Er biß gar schrecklich um sich her, Es wollte schon kein Autor mehr Auf off'ner Strasse gehen, Herr Doktor Lessing gab ihm zwar Zum Schwitzen ein, allein es war Nun schon einmal geschehen. Einst als die Wuth in's Hirn ihm schoß, Ging er auf Nikolai los, Und packt' ihn bei den Ohren: Der Arme schrie gar jämmerlich: Iha! Iha! – und fühlte sich Zum Kritler auserkohren. Nun war das Gift im rechten Mann: Er schäumte wild, und biß fortan Mit Jedem in die Wette, Die Polizei litt in Berlin Das Beissen nicht, d'rum schloß man ihn An eine lange Kette. Doch um das Gift, das ihm fortan In Strömen aus dem Munde rann, Durch Deutschland zu verbreiten, So ließ er für den Giftschaum all' Sich einen eigenen Kanal Von Löschpapier bereiten. Vor diesem mächtigen Kanal Ließ er die grossen Männer all' In Kupfer konterfeien, Um ihnen, wenn's ihn lüstete, Zum mind'sten in Effigie In's Angesicht zu speien. Bald fiel's ihm ein, die Dichterschaar Die nicht so, wie sein Ramler, war, In Stücke zu zerreissen; Bald wandelte die Lust ihn an, Den Teufel, der ihm nichts gethan, Zur Höll' hinauszubeissen. Einst fiel er einen Britten an Mit seinem Uebersetzerzahn, (Denn ach! sein Bauch war eitel) Den fraß er, spie ihn d'rauf und hieß Uns essen, doch wer aß, den biß Er schrecklich in den Beutel. Mit beiden Pfoten scharrt' er d'rauf Der Tempelherren Gräber auf, Und nagt' an ihren Knochen, Und ruhte keinen Augenblick, Bis er den Armen das Genick Zum zweitenmal gebrochen. Einst als die Wuth am höchsten war, Zerriß er seine Kette gar, Und lief nach neuer Beute: Die Böhmen und die Deutschen sah'n Ihn laufen, aber jedermann Ging hübsch ihm auf die Seite. Gar bald kam er in Wien auch an, Hier schärft' er seinen Kritlerzahn Zu neuen Heldenthaten; Trank unsern Ratzerstorfer Wein, Und ach, verbiß sich obend'rein In unsern Lungenbraten. Allein man scheute seine Wuth, D'rum fand der Magistrat füt gut, Sogleich zu publiciren: Zur Sicherheit soll man hinfür Die tollen Hund' und Krittler hier An einem Strickchen führen. Auch lag bei hoher Obrigkeit Sankt Huberts Schlüssel schon bereit, Um ihn damit zu brennen: Doch er verließ, eh dies gescheh'n, Die Grenzen uns'rer Linien 5 Um in die Schweiz zu rennen. Was er gegessen und geseh'n, Ward in dem Leib des Wüthigen Zu Gift im Augenblicke: So kam er toller als vorher, Bepackt mit Gifte Zentnerschwer, Nun nach Berlin zurücke. Da staunte man ob seiner Wuth, Und fürchtet' eine Sündenfluth, Im Fall er bersten sollte; Gleich ritt die Polizey herum, Die ein Collegium medicum Dafür zusammenholte. Man disputirte her und hin, Und als die Aerzte von Berlin Nun ihre Vota gaben, So decitirte der, man sollt' Ihm aderlassen, jener wollt' Ihn angezapfet haben. Allein der Protomedicus Stand auf, und sprach: ihr Herr'n, hier muß Man keine Zeit verlieren, Ich fand des Giftes ihn so voll, Daß er sogleich purgiren soll; Und alle schrie'n – purgieren! Man gab ihm ein. Die Dosis war Gewaltig groß, und macht' ihm gar Entsetzliche Beschwerden: Er schrie dabei gar jämmerlich, Und krümmte manche Stunde sich, Des Giftes los zu werden. Nach langem Drucken endlich wich Das Gift von ihm, er gab von sich Acht dicke Bände Reisen: Dazu lud er uns schriftlich ein, Und wer von der Partie will sein, Dem wünsch' ich – wohl zu speisen! Fußnoten 1 Präputius war ein außerordentlicher Mann, der einer sichern Tradition zufolge, zu Davids Zeiten lebte. Er war ein jüdischer Theologe, und soll, als David die zweihundert Philister erschlug, um seiner Braut ihre Vorhäute zur Morgengabe zu bringen, die tödtlich Verwundeten jüdisch unterrichtet und geprüft , und dann das Amt eines Vorschneiders an ihnen verrichtet haben. Er stammte in gerader Linie von jenem Präputius ab, der zu Mosis Zeiten die Verehrung des goldenen Kalbes vertheidigte, und darüber zum Martyrer geworden sein soll. Denn die Rabbiner sagen: Moses habe ihn deßhalb in fünfzehn Stücke zerhauen, und diese Stücke in alle vier Weltgegenden zerstreuen lassen, davon gerade das vierzehnte Stück, wie einige Philologen behaupten wollen, unseren Gegenden zu Theil geworden sein soll. 2 Der hebräische Name Balaam bedeutet im Griechischen so viel als Nicolaus . 3 Zweites Buch der Könige 16, 9. 4 Skaliger spottete bekanntermassen in einem Sinngedichte über den Muretus, als dieser der Päderastie halber in Gefahr kam, verbrannt zu werden. 5 Der Verfasser hat hier offenbar ein Plagium begangen. Dieses Ausdrucks bediente sich der Berliner Recensent, da er im 51sten B. 2tes St. der allgem. deutschen Bibliothek S. 562 von den Wiener Schriften sagte: Sie können nicht über die Gränzen der Linien . Was der Ausdruck bedeuten soll, ist in Berlin zu erfragen.