Die Kunst zu lieben An Lydia. Mädchen, will man recht sich freu'n Wie sich's ziemt, so muß man fein Amors Spiele kennen; Also, Mädchen, höre mich, Im vertrauen Ton will ich Sie dir alle nennen. Erstlich soll ein liebend Herz Jede Handlung, jeden Schmerz Adeln und beleben; Nur die Liebe lehrt die Kunst, Jedem Spiele, jeder Gunst Grazie zu geben. Küsse sind der Liebe Bund: Es ist süß, wenn Mund an Mund Sich mein Blick umnebelt; Aber noch weit süsser, wenn Dein gespitztes Züngelchen Mit dem meinen schnäbelt. Auch schmeckt trefflich jeder Kuß, Den ich nicht erbetteln muß; Aber, Mädchen, glaube, Noch viel besser schmeckt er mir, Wenn du schmollst, und ich ihn dir, Dann verstoßen raube. Doch wenn der Gesellschaft Zwang Uns oft manche Stunde lang Auf die Folter spannet, Und verwünschter Lauscher Blick Uns dann in uns selbst zurück Menschenfeindlich bannet; Dann soll, Jedem unsichtbar, Dir im feuchten Augenpaar Stille Liebe blinken, Und in jedem Lächeln soll Naher, naher Liebeszoll Mir entgegen winken. Schlaue Liebeständeley, Händedruck, Liebäugeley, Unter'm Tisch ein Füßchen, Fest an meines angedrückt, Auch, wenn Niemand auf uns blickt, Ein verstohl'nes Küßchen. Und die tausend Künstchen all' Werden, Liebchen, überall Lebensfroh uns machen, Und in jedem Cirkel wird, Von dem Neid unausgespürt, Uns die Liebe lachen. Aber, wenn wir ganz allein Bloß der Liebe Glück uns weih'n Ungeseh'n uns küssen: Dann laß Phantasie und Herz, Jeder Laune, jedem Schmerz Alle Zügel schiessen! Dann laß uns beim ersten Kuß, Aufgelöst in Lieb'sgenuß In einander sinken, Und mit trunknem Geist und Sinn Aus dem Wollustbecher in Langen Zügen trinken. Sieh doch, wie durch Zauberei Ist mir all' die Künstelei Angesichts verschwunden: Nichts sag' ich dir weiter an, Wer die Lust beregeln kann, Hat sie nie empfunden.