Friedrich von Bodenstedt Die Lieder des Mirza-Schaffy Prolog Derweil in Wehn die Erde kreist, Gewaltiges sich vorbereitet Und ein verderbenschwangrer Geist Geharnischt durch die Lande schreitet, Dem jeder seine Huldigung Darbringt, in Hoffen oder Bangen, Der eine mit verhaltnem Groll, Der andre bang um Gut und Habe, Die Menge harrend mit Verlangen Des Großen, das da kommen soll: Da braucht es wohl Entschuldigung Für diese kleine Liedergabe, Die harmlos mit bescheidnem Schritt In das Geräusch des Tages tritt. Es sind nicht wilde Schlachtgesänge, Die euch zu blut'ger Tat entzünden, Nicht demutvolle Schmeichelklänge, Die eitlen Glanz und Ruhm verkünden; Auch keine frommen Kanzelschauer, Die euch zu stummer Duldung neigen Und für der Erde Weh und Trauer Vertröstend auf den Himmel zeigen: Nur Blumen sind's, bescheidner Art, Die ich auf ferner Wanderfahrt Gepflückt und sorgsam aufbewahrt Und jetzt zu duft'gem Kranz gewunden. Und Sprüche sind's in Reimgewand, Erdacht im fernen Morgenland, Wo eines weisen Freundes Hand Sie mir zur Perlenschnur gebunden Dazwischen jubeln helle Lieder Von Liebe, Lust und Erdenschöne, Was ich erlauschte, sang ich wieder, Gehüllt in heimatliche Töne – In frohem Kreis, beim Becher Wein Mag wohl ihr Klang am schönsten sein. Und fragt ihr mich: Wie magst du nur, Derweil uns Not und Stürme dräuen, Lustwandeln auf der Lenzesflur Und dich an Sang und Blumen freuen? O, diese Blumen, dieser Sang Sind nicht in leerem Müßiggang Gesucht und mir zuteil geworden – Doch unter Ungemach und Not, Wenn schlimme Stürme mich bedroht, Sind sie mir stets zum Heil geworden. Sie waren mir ein Talisman, Der von mir nahm, was mich betrübte, Und auch wohl andern üben kann Die Wunderkraft, die mir geübte. Denn was das Unglück bieten mag, War früh mein bittres Los geworden, Und unter Sturm und Ungemach Sind diese Blumen groß geworden ... Früh ausgestoßen in die Welt, Verbannt durch feindliche Gewalten Und stets auf eigne Kraft gestellt, Hab' ich gelernt, mich selbst zu halten. Wohl kecker war ich einst und wilder In erster Jugend stolzem Gang, Es rollten tausend bunte Bilder Vorüber mir im Sturmesdrang – Doch stimmte mich das Unglück milder, Und all mein Schmerz ward zu Gesang ... Unmännlich ist die laute Klage Von dem, was uns allein bewegt, Was schwer im eignen Herzen schlägt, Und nimmer tritt das Lied zutage, Dem ich mein Wehe eingehaucht – Das Merkmal gramverweinter Augen, Das Schmerzentuch, in Blut getaucht, Soll nicht zum Flitterstaate taugen ... Nicht um mich eitlen Tuns zu rühmen, Nicht um die Torheit zu verblümen, Schau ich zurück in jene Zeit, Wo falschem Tun mein Arm geweiht Und wo ein hohler Ruhmeswahn Mir vorgezeichnet meine Bahn. Ich möchte, was ich selbst erfahren Und was das Leben mich gelehrt, Euch im Gesange offenbaren, Daß es auch andere bekehrt. Was mir einst hoch erschien und groß, Weil man es rühmt und weil es blendet, Das deucht mir jetzt ein schlechtes Los, Davon der Blick sich trauernd wendet. Und was ich früher wohl verachtet, Weil sich der Kern dem Blick versteckt, Das hab' ich später recht betrachtet Und guten Kern darin entdeckt. Was ich verspottet und verhöhnt, Weil mich's im Übermut verdrossen, Damit hab' ich mich ausgesöhnt, Seit mir die Welt den Blick erschlossen. Wer in den Abgrund selbst geschaut, Der weiß, warum dem andern graut, Wenn er hineinsieht. Seh' ich jetzt, Wie euren Blick die Träne netzt Und wie die Arme machtlos ringen, Derweil ihr selbst die Schwerter wetzt Für andre, daß sie euch bezwingen, Da möchte schier das Herz mir springen! Ihr flucht dem Joche, das euch beugt, Und nährt die Quelle, die es zeugt! Traut diesem Ruhmesschimmer nicht, Der wie ein Irrlicht vor euch flammt – Ihr seht den Glanz, ihr seht das Licht, Doch nicht den Sumpf, aus dem es stammt – Ihr seht im Wahn, der euch verliert, Nicht als den Glanz, den er gebiert! Ein junger Mann stürmt in die Welt, Läßt liebend eine Braut zurück, Sucht in der Ferne Ruhm und Glück Und wird, was man so nennt: ein Held. Die Poesie der Feuerschlünde Treibt ihn zu schwindelndem Betören, Daß er den eignen Herd sich gründe, Muß er manch fremden Herd zerstören. Den Fuß von Menschenblut gerötet, Tritt er in fremdes Heiligtum; Er rühmt sich, wenn er viel getötet, Denn mit dem Töten wächst sein Ruhm ... Wohl weckt ihn oft der wilde Lauf Zu schöneren Erinnerungen, Und was im Schlachtenlärm verklungen Drängt sich im Traum lebendig auf. Sieht er das grause Kriegesfeuer Verheerend Städt' und Dörfer fassen, Gemahnt's ihn, was ihm selber teuer Und was er trauernd heimgelassen. Er neigt sein Ohr, wie um zu lauschen, Was mag durch seine Träume gehn? Hört er der Heimat Ströme rauschen, Hört er der Heimat Bäume wehn? Jetzt träumt er von vergangnem Glück, Denkt liebend an die Braut zurück Mit weichem Herz, mit nassem Blick, Da – ruft aufs neu das Kriegsgeschick ... Und Trommeln wirbeln, Fahnen wehn, Die Büchse knallt, Trompeten schmettern, Er muß dem Tod ins Auge sehn, Er folgt der Schlachten Donnerwettern – Es fliehen die Erinnerungen, Die ihn so schmeichelnd eingesungen. Verderben wütet um ihn her, Verderben sprüht aus seiner Faust, Wie er in blanker Kriegeswehr Einher auf stolzem Rosse braust. Von rotem Blute dampft das Land, Die Häuser, Dörfer stehn in Brand; Und Menschen, die er nie gekannt, Sind plötzlich seine Feinde worden – Ihn treibt die Pflicht, sie hinzumorden! ... Die Pflicht? – Erklärt euch diese Pflicht, Sie ist kein Stoff für mein Gedicht. Nicht jener Ruhm sei hier verkündet, Der seine Leichenopfer fodert, Des Krieges Schwert zum Mord entzündet Und andern zum Verderben lodert. Nicht jener falsche Mut gelobt, Der an das Tier im Menschen streift Und darum nur zum Schwerte greift, Daß er die rohe Kraft erprobt – Es beut zur Prüfung unsrer Kräfte Das Leben edlere Geschäfte! Wem Unglück je das Herz zerfleischt, Wen Sorge viel gedrückt und Not, Der weiß, wie wahr das Wort: Es heischt Mehr Mut das Leben als der Tod. Denn das ist nicht der schlimmste Kampf, Der auf der freien Walstatt endet, Wo Feuerschlund und Roßgestampf Des Schicksals harte Schläge wendet; Wo unter donnerndem Verderben Die helle Schlachtmusik erklingt Und tausend Menschen ruhmlos sterben, Damit ein einz'ger Ruhm erringt. Es fliegt auf todeskühnem Rosse Der lebensmüde Held zur Schlacht – Ein Wurf aus feindlichem Geschosse, Und das Verhängnis ist vollbracht ... Wohl sah ich, wie Lawinen sprangen Vom Hochgebirg mit Donnerschall Und in dem ungestümen Fall, Was unten blüht' und wohnt', verschlangen. Doch als lebendige Lawine Dem Bösen seinen Arm zu leihn, Die kaltberechnete Maschine Des Unglücks, der Zerstörung sein, Der Menschenwürde sich begeben: Das ist fürwahr kein gutes Streben! Verlaßt des Wahnes Schattenreich, Mit Weisheit gürtet eure Lenden, Verbrennt die Schiffe hinter euch, Nicht um das Leben falsch zu enden, Nein: um es richtig anzuwenden Ein andres ist's, zieht ihr das Schwert Für Vaterland und eignen Herd; Wenn fremde Dränger euch bemeistern Mit gieriger, mit roher Hand Und Hochgefühle euch begeistern Für Freiheit und für Vaterland. Wer dann voll Mut und kühnen Dranges Die Waffen trägt zu starker Wehre, Dem ziemt die Weihe des Gesanges Gebührt des Lorbeerkranzes Ehre! ... Wo vielgegipfelt, wildzerklüftet Der Kaukasus zum Himmel steigt, Das Haupt erstarrt und schneegebleicht, Wenn er den Wolkenturban lüftet – In eis'gem Panzer eingezwängt, Daran die blumenreiche Steppe Des Dornes, gleichwie eine Schleppe An einem Königsmantel, hängt – Wo Simurgs riesiges Gefieder Vom Wolkenthrone niederrauscht, Da ist die Heimat dieser Lieder, Da hab' ich ihren Klang erlauscht. Wohl andres gab es dort zu singen, Wo nie der Schlachtendonner schweigt, Wo Völker in Verzweiflung ringen Und eines nicht dem andern weicht. Wo alles klirrt in blanker Rüstung, Wo jede Wohnung eine Feste, Wo jeder Steinblock eine Brüstung – Wo sich's in jedem Felsenneste Von Waffen und von Kämpfern regt – Wo selbst das Weib die Waffen trägt, Wo jeder Knabe schon ein Krieger – Und wo in der Verzweiflung Mut Die Mutter mit der eignen Brut Vom Felshang springt ins Todesbette, Daß vor der Knechtschaft sie sich rette Und der Gewalt der rohen Sieger ... Hinweg mit diesen krausen Bildern Des Todes, der Zerstörung Schrecken! Wer nicht vermag das Weh zu mildern, Soll die Erinnerung nicht wecken, Nicht mit den Wilden selbst verwildern! Fort von den Gräbern, von den Trümmern! Fort aus der Nacht zum hellen Tag. Es soll des Lebens frischer Drang Nicht in gesuchtem Gram verkümmern – Und nur was Freude bieten mag Soll auferstehen im Gesang! Verhaltner Schmerz und stete Spannung Führt zur Erschlaffung, zur Entmannung. Das Schlimmste stellt von selbst sich ein, Und wer sich freun will, muß es bannen. Ein frohes Lied, ein Becher Wein, Und alle Sorge zieht von dannen! Nur wer sich recht des Lebens freut, Trägt leichter, was es Schlimmes beut. Drum salbt zum Feste eure Glieder Und laßt an meiner Hand euch nieder Beim Trinkgelag verliebter Weisen, Die Erdenlust und Schönheit preisen. Sie streuen Blumen vor euch hin, Erfreut euch ihrer Wohlgerüche; Merkt ihrer Worte klugen Sinn, Hört ihre Lieder, ihre Sprüche, Die länger als sie selber leben, Dem weinbenetzten Mund entschweben. Und was mir die Erinnerung Noch in lebend'gen Formen malt: Die liedersüße Huldigung Der Schönheit, die verlockend strahlt, Des Ostens warme Sternennacht, Der Blumengärten Farbenpracht, Des Frühlings Luft und Blütendrang, Die bergumragte Kyrosstadt, Die Majestät des Urarat Soll auferstehen im Gesang; Gebirge, die zum Himmel steigen, Bergströme, die zu Tale springen, Der jungen Mädchen Tanzesreigen, Wenn wild der Tschengjir Saiten klingen. Oh, diese wilden Klangesgrüße, Sie sind mir tief ins Herz gedrungen, Und diese jungfräulichen Füße Mir im Gedächtnis nachgesprungen, Und alles, was ich recht verstand Und was ich schön und nützlich fand, Das führ' ich jetzt an meiner Hand Heim in mein deutsches Vaterland. Und weil es voll von Liebe ist, Keusch angetan im Friedenskleid: Edlitam, sei es dir geweiht! Die du den Frieden mir beschieden, Die du die Liebe selber bist. 1851. F.B.