Zu viel und zu wenig Was mag doch wohl die Ursach seyn Vom Irrthum, der so grob, so allgemein, Daß für die Creatur fast alle Menschen blind, Gehör- Geruch- Geschmack- und Fühl-los sind? Da doch die Bibel selbst uns deutlich lehret, Wie sehr man Gott in Seinen Wercken ehret, Und wie die Creatur, zu ihres Schöpfers Preise, Den grossen Schöpfer selber weise. Giebt uns Sanct Paulus dieß nicht deutlich gnug zu lesen? 1 Er saget: Daß man weis, daß GOTT sey, ist ja klar, Und allen Menschen offenbar. GOTT offenbahrt' es selbst, und gab es zu verstehn, Daß GOTTES unsichtbares Wesen, Das ist, Sein' ew'ge Kraft und Gottheit wird ersehn, So man dieß wahrnimmt an den Wercken, Wie von der Welt Erschaffung an zu mercken, So daß sie keinen Grund, sich zu entschuld'gen, haben. Doch halt, mit fällt ein' Ursach bey, Wovon ich überführet, Daß sie gewiß der kleinsten keine sey: Da nehmlich alle Pracht von unsers Schöpfers Gaben Auch fromme Seelen selbst so wenig rühret, So wenig reitzt und lockt; weil ich bemercke, Daß GOTTES und des Teufels Wercke Im Worte Welt nur einen Namen haben. Man heisset Welt, was gottlos, lasterhaft, Was bös und eitel ist. Von unsrer Leidenschaft Der Misbrauch, Hochmuth, Neid, die Wollust, Schmähsucht, Geld Und Ungerechtigkeit heisst Weltlich, nennt man Welt. So bald man nun die Welt, das herrliche Gefässe Der schönen Creatur, die unsers Schöpfers Grösse Und Weisheit, Lieb' und Macht uns recht mit Fingern zeigt, Mit ihrem Namen nennt; Wird leider auch so gar von Frommen Das eine für das andere genommen. Der unglückseel'ge Gleich-Laut macht, Daß, da man ohne dieß gewohnt, nicht drauf zu achten, Man so verfährt mit der Geschöpfe Pracht, Als wär' es Sünde, sie betrachten. Die Heyden machten es so arg noch lange nicht, Wovon das Weisheit-Buch recht unvergleichlich spricht: Natürlich eitel ist zwar jedes Menschen-Kind, Weil alle nichts von GOTT verstehen, Und an der Güter Zahl, die sichtbar sind, Den, Der es ist, nicht kennen. Sie ersehen An allen schönen Wercken nicht Den Meister, der sie zugericht't. Theils halten sie die Gluht, Theils schnelle Luft, theils mächt'ge Fluth, Theils Lichter, die den Himmel zieren, Für Götter, so die Welt regieren. Allein, da sie von ihrer Zier Und lieblichen Gestalt so viel Vergnügen fühlten, Und sie also für Götter hielten: So hätten sie ja billig müssen, Wie gar viel besser Der, der aller Herr ist, wissen. Denn Der, so Meister ist von aller Schönheit-Pracht, Hat solches alles ja gemacht, Und so sie sich der Macht und Kraft Verwunderten: So sollten sie Ja billig auch die Eigenschaft, Und wie viel mächtiger Der sey, der alle Gaben Bereitet hat, gemercket haben. Denn es kann am Geschöpf und Schmuck der Erden, Ihr Schöpfer, als im Bild', erkennet werden. Wiewohl doch über die Nicht so gar hoch zu klagen, Indem auch sie Wohl irren können, wenn sie hie GOTT suchen, und nach Ihm Verlangen tragen. Denn so sie ihren Geist auf die Geschöpfe lencken, Um ihnen nachzudencken: So werden sie im Ansehn ihrer Pracht Gefangen, weil nur gar zu schön Die Creaturen, die wir sehn. Doch sind sie damit nicht entschuldigt. Denn da sie So viel erkennen, daß sie hie Die Creatur zu achten, sind verbunden: Warum denn haben sie nicht noch viel eh Den Herrn derselbigen gefunden? Die Heyden triebens ohne Massen Mit sichtbaren Geschöpfen und vergassen Des Schöpfers, der unsichtbar, gantz. Wir aber leider! Vergessen aller beyder; Und sind dahero von den Heyden Gar wohl zu unterscheiden. Abgötter waren sie: Hingegen viele Christen Sind, durch der Creatur Verachtung, Atheisten. 2 Fußnoten 1 Röm: 1, 19, 20. 2 Cap. 13: 1-9.