»Wenn der ein Dichter ist« Wenn der ein Dichter ist, Dem, wenn der Mai erblühet, Die Seele in der Brust In Sehnsucht fast verglühet, Der seine holde Pracht, Den Jubel in den Hainen Nur leis erwiedern kann Mit schmerzlich süßem Weinen; Wenn der ein Dichter ist, Den Ehrfurcht tief durchbebet, Wo schwindelnd groß vor ihm Sich die Natur erhebet; Dem fast der Athem stockt Und wankt des Fußes Stärke, Vor eines Genius Erhab'nem Schöpferwerke; Wenn der ein Dichter ist, Dess' Herz in Flammen lodert, Wo Unterdrückung herrscht Und Unbill Rechte fodert, Dem nach der Feder zuckt Die Hand, wie nach dem Schwerte, Daß das Gemeine tief Von ihm gezüchtigt werde; Wenn der ein Dichter ist, Den jede Menschenklage, Den jedes fremde Leid Trifft wie mit eignem Schlage, Der keine Thräne sieht, Die er nicht mit muß weinen, Und dem der eigne Schmerz Stets doppelt wird erscheinen; Wenn der ein Dichter ist, Dem heiß die Wange brennet, Wenn man des Vaterlands Geliebten Namen nennet, Dem das entzückte Herz In Wonne wollt' vergehen, Wenn einmal könnte noch Er frei und groß es sehen! Wenn der ein Dichter ist – O, Gott – nicht kann ich spüren, Ob ich in edler Form Weiß fremdes Herz zu rühren, Ob Geister mächt'gen Schwungs Mein Geist empor kann raffen – Doch meine Seele hast Zum Dichter du geschaffen!