[13] Die zwölffte Satyre Von der Unbeständigkeit des Hof-Glücks Ubersetzung aus der zehenden des Juvenals. Wie mancher, den das Glück mit Ehr und Macht gekrönt, Wird endlich durch den Neid zertreten und verhöhnt! Wie mancher, den die Kunst in blanckes Ertz gegossen, Als führ er im Triumpf mit seinen muntern Rossen Nach Romuls hoher Burg, verfällt im Augenblick, Wenn man das stoltze Bild mit ausgedehntem Strick, Von seinen Pfeilern hohlt. Schau, wie Gespann und Wagen, Das gleichwohl nichts gethan, in Stücken wird geschlagen! Betrachte, wie Sejan im Ofen schmeltzen muß; 1 Wie nun, o Unbestand! durch einen neuen Guß Des Kaysers liebster Freund, den alle Welt geehret, Sich in ein schlecht Geschirr und Nacht-Gefäß verkehret! Doch das erhitzte Volck sucht mehr als diß Metall; Sejan wird selbst gestürtzt; man rufft mit frohem Schall: Auf! last uns den Pallast mit Lorbeer-Aesten zieren, 2 Und auf das Capitol den Stier zum Opfer führen! Weil nun die Rache kommt, und den verfluchten Mann Zu seiner Straffe schleppt. Sieh doch, fängt einer an, Sein tückisches Gesicht. Steht nicht, was er betrieben, Zusammt der Todes-Art, an seiner Stirn geschrieben? Ja, spricht der andre drauf, ich will es nur gestehn, Daß ich ihn allemahl mit Abscheu angesehn. Doch, wer hat ihn gestürtzt? Was ist dann sein Verbrechen? Was hat er wider diß, was seine Kläger sprechen? Was auf der Zeugen Wort und Aussag eingewandt? Ein mehres hört man nicht, als daß mit eigner Hand Tiberius dem Rath, vom Eyland der Capreen Von vielen Sachen schrieb, aus welchen zu verstehen, Daß der, so alles war, nun seines Herren Huld, Ich weiß nicht wie, verschertzt. Wohlan! so hat er Schuld; Das ist mir schon genug. So läßt zu allen Zeiten, Das blinde Römer-Volck sich von dem Glücke leiten! Wer das verlohren hat, ist auch bey ihm verhaßt. Denn hätte nur Sejan den Vortheil abgepaßt, Und eh, durch kühnen Mord, den Kayser weggeschoben, So hätte dieses Volck ihn auf den Thron erhoben. Ex D. Junii Juvenalis Satyra X. Quosdam præcipitat subjecta potentia magnæ 3 Invidiæ, mergit longa atque insignis honorum Pagina, descendunt statuæ, restemque sequuntur. Ipsas deinde rotas bigarum impacta securis Cædit, & immeritis franguntur crura caballis. Jam strident ignes, jam follibus atque caminis Ardet adoratum populo caput, & crepat ingens Sejanus: deinde ex facie toto orbe secunda Fiunt urceoli, pelves, sartago, patellæ. Pone domi lauros, duc in Capitolia magnum Cretatumque bovem: Sejanus ducitur unco Spectandus: gaudent omnes. Quæ labra? quis illi Vultus erat? Nunquam, si quid mihi credis, amavi Hunc hominem. Sed quo cecidit sub crimine? quisnam Delator? quibus indiciis? quo teste probavit? Nil horum. Verbosa & grandis epistola venit A Capreis. 4 Bene habet; nil plus interrogo. Sed quid Turba Remi? Sequitur fortunam, ut semper, & odit Damnatos. Idem populus, si Nurscia Thusco 5 Favisset, si oppressa foret secura senectus Principis, hac ipsa Sejanum diceret hora Augustum. Fußnoten 1 Sejanus der berühmte Liebling des Tiberius, war so hoch gestiegen, daß ihn der Kayser selbst bey seinem zum fünfften mahle angetretenen Bürgermeister-Amte zum Gehülffen annahm. Ungeacht nun Rom seinen Geburts-Tag öffentlich feyerte, und an vielen Orten seine Bild-Säule von Gold aufrichtete; machte ihn doch auf einmahl sein Stoltz dem Volcke so verhaßt, und dem Kayser so verdächtig, daß er plötzlich, auf die hier beschriebene Weise, gestürtzt ward. Wie Svetonius am Ende seiner Lebens-Beschreibung des Tiberius, und andere Römische Geschichtschreiber melden. 2 Es war der Gebrauch in Rom, daß man eines glücklichen Zufalls halber, die Häuser mit Lorbeer-Zweigen und anderm frischen Laubwerck auszierete, oder dergleichen Kräntze herab hängen ließ. 3 Diese Satyre ist das Meisterstück des Juvenals, aber hier nicht gantz, sondern nur von dem 56ten Verse biß zu zum 77ten verteutscht, nemlich so weit die Beschreibung von dem Falle des Sejans gehet. 4 Dieses ist die Insula Caprearum oder Capreæ bey Neapel, wo Tiberius, seiner Wollust und Schwelgerey halber, die letzten Jahre seines Lebens zugebracht. 5 Nurscia oder Nurcia war eine Göttin des Glücks, welche die Volsinier im Toscanischen anzubeten pflegten, worauf der Poet hier zielet, weil Sejanus von Geburt ein Toscaner gewesen.