Der verlorene Sohn Mein Mütterlein, zu dieser Stund', Zu dieser Stund' in tiefer Nacht Bist du aus leisem, kurzem Schlaf Wohl jählings, jählings aufgewacht! Du fährst empor und starrst und horchst; Und eine bange Ahnung schwirrt Dir durch die angstumschnürte Brust: Daß ruhelos dein Kind noch irrt ... Noch irrt auf fernem, fremden Pfad, Noch irrt in später, schwarzer Nacht – Du aber weißt nicht seine Spur, Weißt nicht, was es so ruhlos macht ... Weißt nur, daß es aus dieser Not Die Mutterliebe einzig risse, Und möchtest wohl es suchen gehn Durch schwarze, schwarze Finsternisse ... Mein Mütterlein, dein armes Kind, Es sucht dich nicht in seinen Aengsten, Es taumelt durch die Nebelnacht, Geschleift von seines Dämons Hengsten. Hei! Wie es brennt in seiner Brust! Wie schnürt's die Kehle ihm zusammen! O Mutter, deine milde Hand Beschwor mir nicht die Wahnsinnsflammen. Mein Mütterlein, laß ab, laß ab! Das du in Schmerzen einst geboren, Dein Kind, du hast es einmal doch An diesem Tage – ach, verloren! Es fragt nichts mehr nach deiner Lust – Es fragt nichts mehr nach deinem Kummer, An seiner Leidenschaft Brust Erwürgt es deiner Nächte Schlummer ... Mein Mütterlein, wenn's dich verzehrt, Daß du dein Kind hast lassen müssen, Dann ruh dich auf der Bahre aus Von deines Lebens Kümmernissen ... Dann schließ die müden Augen zu, Die oft um mich in Tränen lagen – Dann laß zur allerletzten Ruh' Dich heimlich auf den Kirchhof tragen ... Vielleicht bin ich des Wanderns müd, Und ist die Unrast all' verlodert – Vielleicht, daß dann mein Schicksal mich Dort rasten läßt, wo du vermodert ... Dann sind wir beide ganz allein, Und unsre Liebe darf nicht säumen – – Dann will ich meines Lebens Traum Mit dir noch einmal still durchträumen. Dann will ich alles dir gestehn – Wie Schuld auf Schuld sich lud, dir sagen – Dann will ich mit dir heimwärts gehn Zu meines Lebens ersten Tagen ... Mein totes Mütterlein, dann gibt Es nichts, was dir verborgen bliebe – Dann weißt du, wie ich dich geliebt Und doch verraten deine Liebe! Dann weißt du, wie es plötzlich mich Mit heißem Atem angepfiffen – Wie es in meine Seele schlug, Das Feuer, dampfend, unbegriffen – Wie es versengend mich gepackt, Mich weggespült von deinem Herzen: Ich schoß, ein Glutenkatarakt, Ins Tal der Wonnen und der Schmerzen. Mein Leben troff von Duft einmal – Vom Duft der Rosen und Narzissen ... Mein Denken war ein Morgenstrahl, Entbrochen schwarzen Finsternissen – Ich lebte! O mein Mütterlein – Und riß, umsprüht von Freudenfunken, Die Sphären an mein Bruderherz, Von Weltenmelodien trunken ... An ihrem Leib bin ich zerschellt, Und all mein Denken ist verpestet – – So irr' ich ruhlos durch die Welt, Ein Narr, verzweiflungsqualgemästet ... Nicht grünt mein müder Wanderstab Ein zweites Mal zur Sündensühne – Kein Gott nimmt meine Reue ab Und hebt von mir der Schuld Lawine. Aus weißem Kelch den gelben Wein Goß ich ins rote Blut der Wunden – – Nur einmal wollt' ich stille sein, Nur einmal von der Schmach gesunden! Die aber preßt mich fest und läßt Mich nicht aus ihren erznen Krallen – Von Blut und Kot und Schweiß genäßt, Schleif' ich durchs Leben, fluchverfallen ... – Ja, Mutter, stirb! Und bist du tot, Dann wollen wir, ein seltsam Pärchen, Vom Abend- bis zum Morgenrot Eins plaudern von dem tollen Märchen, Dem mich das Schicksal auserwählt, Mich brav – recht brav drin auszuleben – Und hab' ich's dir dann auserzählt, Hast du auch schweigend mir vergeben ... Dann reck' ich hoch mein Haupt empor – Und bei des Tages ersten Grüßen Schmeiß' ich den eklen Erdenstaub Von meinen wandermüden Füßen ... Es fliegt der Filz ins feuchte Gras, Ich rüste mich zum letzten Traume – Zerbreche meinen Knotenstock Und häng' mich auf am nächsten Baume ... –