Zweiter Reim Venusinens Romfahrt im D-Zug mit den Bernhardinern »Eckehardt, mein Lieber, Liebst du nie das Fesche? Schrecklich ist dein Wollkleid Und die Jägerwäsche! Trag doch nicht so lose, Amor, lieber Junge, Deinen Knopf der Hose!« So sprach Venusine, Als man in D-Zügen Saß und nach Italien Flog in Rasselflügen. Aus dem Berge draußen Hielt sie mehr als drinnen Auf den Takt nach außen. Aber nichts konnt' hindern, Daß in frohen Stunden Sie und ihr Gefolge, Ganz kulturentbunden, In die Lüfte wollten, Aus den Fenstern flogen, Hinter Wolken tollten. Und im Zug bemerken Manche Passagiere: Im Maschinendampfe, Nackt ein Weib spaziere. Konnt' durch Lüfte jagen, Mit dem Vollmond spielen, Wald und Berge tragen. – Saß da hübsch ein Bursche In der ersten Klasse. Halbtot war er leider, Halb Tuberkelmasse. Sollte nach dem Süden. Ihn sah Venusine Und behext den Müden. Denkt: Sollst Dich nicht quälen Hübschester Geselle? Stehst mit einem Fuße Auf der Beinhausschwelle. Dir den Tod versüßen, Soll mich heut zerstreuen, Komm und laß dich küssen! Leis spricht sie zu Amor: »Liebstes Söhnchen, gehe, Daß dem hübschen Menschen Liebes bald geschehe! Geh auf fester Sohle, Dicht ihm an das Herze, Setz' ihm die Pistole!« Amor zielt voll Eifer, Schießt auf Wunsch der Mutter, Trifft den jungen Menschen Durch das Westenfutter. Doch, ach, nie bedachten Götter fehllos handelnd, Ob sie's richtig machten! Kaum ging die Pistole Los mit frohem Knalle, Saß der kleine Amor In der Mausefalle. Denn der Herr springt pfauchend Nach der Angstnotleine, Böse Worte brauchend. Schaffner und die Führer Eilen an die Türen, Und man will den Amor Strafen mit Gebühren. Nichts half, daß er meinte, Er hab nicht getötet Und wie Kinder weinte. Jener hübsche Kranke Flucht nach allen Noten: »Schußwaffen zu tragen,« Sagt er, »sei verboten. Schwer kann man beweisen, Ob sie blind geladen, – Ich will friedlich reisen!« Nichts auch wollten helfen Venusinens Augen, Und der Schaffner meinte, Daß sie gar nichts taugen. Menschen gut erzogen, Wäre er der Ordnung Halber mehr gewogen. Strafgebühren zahlte Venusin erschrocken. Sucht nicht mehr mit Augen Reisende zu locken. In dem Mund, dem roten, Knirschen ihre Zähne: »Alles scheint verboten!« Doch der hübsche Kranke Muß sie starr besehen, Rückt ihr leise näher, Spricht: »Ich muß gestehen, Wunderschöne Holde, Daß ich lungenleidend Und nicht kränken wollte. Schmerzlich schön ist Ihre Trauer um die Lippen. Seh ich Damen leiden, Muß mein Herz mir kippen. Herrliche, erhöre! Kannst Du mir verzeihen? Sag' nicht, daß ich störe!« Venus muß von Sinnen Diesen Menschen wähnen. Vorhin, als sie lachte, Bracht' man sie zu Tränen. Jetzt erst soll sie lieben, Wo die Lust verschwunden, Und das Leid geblieben. Venus kann nicht finden, Daß die Lust sie beizte Jenen Herrn zu lieben, Weil ihr Leid ihn reizte. Dieser aber lachte Über ihr Bedenken, Weil er anders dachte. Und er rückt ihr näher, Ganz auf sie versessen, Will die Göttin einfach Um die Taille pressen. Gute Miene machend, Denkt die Göttin scherzend: Ich nehm Alles lachend. Zum Sankt Gotthard eben Dampft der Zug von Fluelen Höher in die Lüfte, Die sich dünner fühlen. Hohle Echos krachen, Und die Tunnellöcher Dampfen gleich den Rachen. Hier im Schnee ward Mancher Von Sankt Gotthards Hunden, Denkt sich Venusine, Liebend aufgefunden. Ach, ein Hund wär heute Ehrlicher dem Herzen, Als im Zug die Leute. Will mal hier als Göttin Nach Belieben handeln, Alle Herrn und Damen Hündisch mal verwandeln. Dieses soll mich rächen – Zu viel ist verboten – Lieb soll Fesseln brechen! Seht, und in dem Zuge, Kaum tat sie's bestellen, Wurden Alle Hunde, Grüßten sich mit Bellen. Alles lief auf Vieren, Wedelt, sich beriechend. Keinen tut's genieren. Eh noch zur Besinnung Einer konnte kommen, War ihm das Besinnen Auch schon fortgenommen. Bayern und Berliner, Herren und auch Damen Wurden Bernhardiner. Alle diese Menschen, Die verlogen schüchtern Sich nach Liebe sehnten, Fordern sie jetzt nüchtern. Jenem Herrn von Allen, Den das Leid nur reizte, Will die Lust gefallen. Sprang und leckt und wedelt Hinter andern Hunden, Hat in Lebensfrohsinn Sich gar schnell gefunden. Liebte Hundedamen, Die sich unter Bellen Schwanzwedelnd benahmen. Das war ein Bespringen, Selig ein Begatten! Und man liebt vor Allen, Die die Laufzeit hatten. Schnell sich Alle kannten, Und in allen Klassen Ward man zu Verwandten. Amor lag auf Kissen Und muß göttlich lachen: »Mama Venusine, Du machst tolle Sachen! Du erlöst die Leute Auf besondre Weise! Endlich liebt man heute!« – Hell voll Glühlichtlampen Eilen Luxuswagen; Niemand ahnt von draußen, Daß sie Hunde tragen. Und der Gotthard lachte Über Venusine, Die das fertig brachte. Als der Zug den letzten Tunnel just passierte, Lagen tausend kleine Vögel, schneeverirrte, Im Gefild, im kalten. »Halt!« rief Venusine. Und der Zug muß halten. Alle Bernhardiner Sind hinausbefohlen, Und ein Jeder mußte Von den Vögeln holen. Und sie apportieren Vorsichtig im Maule, Vögel, die erfrieren. In den warmen Wagen Sind bald neugeboren Diese. Und kaum lebend Danken sie den Ohren. Nachtigallen, Meisen Danken Venusine, Singend ihre Weisen. Alle Vögel kannten Gleich die Göttin wieder. Auf dem Hörselberge Lehrt' sie jährlich Lieder, Jedem Männchen neue, Daß der Wald erblühe Und sich's Weibchen freue. Auch die Hunde liegen Horchend auf den Kissen. Weil sie jetzt die Nähe Einer Göttin wissen, Zeigen sie die Spuren, Heute überwundner, Menschlicher Kulturen. Nach Chiasso senken Sich die Berggelände, Hundertschluchtig grüßen Dort Italiens Wände. So kam Venusine Zu des Südens Grenze, Schalk in jeder Miene.