Die Wahrheit Ein Traum. Ich rang in Zweifeln schon die ganze Nacht. Mich treibt ein Geist, und folgen muß ich ihm; doch darf ich folgen? ist's ein Geist der Wahrheit? ist's Eitelmut? so zagte meine Seele. Und Furcht ergriff mich vor dem unverstandnen Gebet der Kindheit: Nicht wie Ich will, Vater – in deine Hand befehl' ich meinen Geist! Und heft'ger rang ich, wie einst Jesus rang ... Da führte mich der Geist hinweg. Ich stand an eines Weltmeers sturmgeworfner Fläche. Sehr finster war's. Doch fernher sah ich ragen, im düstern Graulicht düstrer noch getürmt, ein starr Gebilde wie ein Felseneiland. Die Wogen rollten und die Tiefe brüllte, und ich erkannte: eine Sintflut war's, die eine alte Welt hinunterschlang. In grauenhafter Ohnmacht mit den Wellen zwei letzte Menschen rangen, Mann und Weib. Ich sah sie sinken. Doch noch einmal tauchten des Weibes Glieder krampfig zuckend hoch, noch einmal ächzte sie: und ihrem Schooß entwand im Schaume sich ein blühend Kind. Aus Wolken plötzlich quoll der volle Mond, die Fluten schwiegen und die Wellen hüpften, und wiegend trugen sie das neue Leben auf sanften Armen an das Felsgestade. Und nun gewahrt' ich auf dem schroffen Gipfel ein andres Weibeswesen. Schwarzverhüllt in regungsloser Starrheit thronte sie; sie saß, als ob ihr Haupt den Himmel rührte, und Scheu befiel mich vor der Wundersamen. Doch lächelnd langte nach ihr auf das Kind. Und nieder zu ihm neigte sich die Hohe und nahm es mit gelassner Hand ans Herz und säugte es – und küßte es – und schaute ihm lang' ins Auge, und mit mildem Glanz umfing ihr Blick des Kindes Angesicht; es war, als wachte drin die Seele auf. Und in dem Arm der Göttin wuchs das Kind und wuchs und wuchs und – sprach das erste Wort. Da nahm es von der Brust die Rätselhafte und setzte mit gelassner Hand es wieder hinab ans Ufer, wo ein neues Land sich aus den Fluten hob, und – hieß es gehen; mit stummem Wink wies in die Ferne sie, dann saß sie ehern thronend wieder da. Auf stand der Knabe, Scheu befiel auch ihn, der erste Schmerz schlich über seine Stirne; doch still gehorchend ging er, schritt und wuchs, und immer wachsend schritt er weiter immer, bis ich im Nebeldunst des Horizonts ihn einem Schatten gleich verschwinden sah. Nicht achtete das Weib des Wandrers mehr; aus weitem Auge schaute sie ins Dunkel, als harrte immer neuer Menschen sie, aus ihrer Brust die Schmachtenden zu tränken. Da wallte heiß in mir ein Sehnen auf: nur Einmal wollt' ich ihr ins Auge sehen, dies Zauberauge, das dort über mir aus seiner Höhe jen der tiefen Flut so rein und mild im Mondlicht schimmerte. Und flehend hob ich zu ihr auf die Hände: Oh, komm! komm her zu mir und sieh mich an, wie du den Säugling ansahst! Einmal nur thu mir das Wunder deiner Seele auf! oh gieb mir Frieden! gieb mir deine Ruhe! – Da stieg sie dröhnend von dem Felsen nieder, vor ihren Schritten teilte sich die See, und näher, näher, immer näher kam sie, in trunknem Jubel wankt' ich in die Kniee: Sie kommt! sie neigt sich mir! mir, Mir allein! Verzückte Thränen schossen mir ins Auge, in tausend Farben floß um mich das Licht, – da stand sie vor mir, beugte sich herab, mit bleierner Faust umspannte sie mein Haupt und bog es hoch, aus meinen Thränen mußt' ich ins Aug' ihr schauen und – und brach zusammen: Stein war es! Stein! ein flimmernder Opal! Laut schrie ich in die Nacht – und wachte auf; da sah ich weinend in den vollen Mond.