Vierte Klage 1 Klagen will ich. Du gönnst es mir endlich, Milder gewordenes Herzeleid! Klagen will ich. Du hörest mich, Winterhain! Denn bist du nicht selber ein Kläger? Ein Kläger deines abgefall'nen Laubes Ein Kläger deiner ausgestorb'nen Schatten! Zwar dein Klagen stillt der Lenz, Bringt dir Laub und Schatten wieder; Aber soll dem Barden Seine Freude wieder werden, Die der Tod ihm vom Herzen riß? Klein, voll Unschuld war sie, meine Freude, Sittsam grau war ihr Gefieder, Glänzend schwarz war ihre Scheitel. Ach ich denke noch den Tag des Herbstes, Da sie durch die falben Hecken Dürstend zu der Quelle strich, Die mit meinen Mistelruthen Rund umpflanzet war. Da fing ich dich, Sänger der Wipfel! Wie schlug dir der Busen! wie sträubtest du dich! Denn kanntest du damal mein Herz? Aber bald lehrte die freundliche Miene, Die niedliche Speise, die reinliche Pflege, Mein lispelnder Mund Deinen Wirth dich kennen. Und jetzo vertrugen dein tonvoll Geschlecht Schon zehnmal die letzteren Hauche des Herbstes Zu wärmeren Himmeln, Und zehnmal kehrte dein tonvoll Geschlecht Im ersten Hauche des Lenzes, Und sang vom hohen Schottendorne 2 Den Gruß in mein einsam' Gemach dir zu, Und hörte den freundlichen Dank von dir. – Tonvoll Geschlecht meines Entrissenen! Kehrst du wieder diesen Lenz, Singe nimmer deinen Gruß Von dem hohen Schottendorne! Still ist mein einsam' Gemach. Ich höre den Gruß, und mir blutet das Herz! Uebel vergaltst du dem Barden die Wohlthat, Du frosterstarreter Hund! Dich hatt' ich in grimmiger Winternacht Unter mein wärmendes Dach genommen. Ich kehrte zurücke. Wedelnd kamst du mir entgegen, Und mit dir ahnungsvoller Schauer – Ich riß mich hinein. Da gab die kleinste Saite Meines ruhenden Harfenspiels Einen Wehlaut, dem letzten Seufzer Scheidender Liebenden ähnlich. Da lag mein alter, treuer Lebenszeuge Erwürgt, zerfiedert auf der Erde! Undankbarer Gast! – Aber konnt' ich damals klagen? Klagen will ich. Nun gönnt es mir endlich Mein milder gewordenes Herzeleid. Fröhlich war mein Erwachen zur Morgenfeier; Denn mein Erwachen war mitten in Liedern. Barde! wach' auf! schien mir mein Sänger zu sagen: Schön ist der kommende Tag, Glänzend der Wiesenthau, lieblich die Blumenduft. Barde! wach' auf! Lächelnd erhub ich mich dann, und lobte die Gottheit mit ihm, Die uns den Wiesenthau, die uns den Blumenduft, Die uns den schönen kommenden Tag verlieh. Ach nun lob' ich die Gottheit allein! Hatt' ich, Tugend! dir, Vaterland! dir, Und dir, göttliche Bardenkunst! Jeden geschäftigen Tag hindurch Manchen blühenden Heldensohn Würdig zu bilden gesucht, Hatt' ich sein deutsches Herz Wider das fremde Verderben bewacht; Schied nun der Tag, Glühte das Abendroth, folgte der Mondenglanz, Warf ich mich nun dankend der Gottheit hin; Siehe! da nahte durch Schatten mein Sänger sich, Dankete lispelnd der Gottheit mit mir, Die uns das Abendroth, die uns den Mondenglanz, Die uns den schönen scheidenden Tag verlieh. Ach, nun dank' ich der Gottheit allein! Wenn mich in Stunden heiliger Trunkenheit Die Barden alter Tage besucheten, Wenn Oscar's Vater 3 seinen Liedern Auf deutschen Saiten lächelnd horchte, Und mich verweg'ne Griffe lehrte; Wenn auf ihren Wirbeln hergetragen Werdomar und Rhingulph 4 mich umschwebten; Wenn bei mir aus dem hohen Norden Regner, Egill und Thorlaugur, 5 Und der spröden Elisif Skalde 6 niedersank, Und von Zeiten sprach, da Gesang und Harfen Unverstimmt von der Fremden Künsteleien, Unverachtet von den Menschenherrschern, Nur Empfindung in die Seele goßen; Damal gab mein kleiner Sänger, Er der Zeuge meiner Wonne, Voll der Ehrfurcht keinen Laut; Denn da war mein Gemach, wie Walhalla. – Aber schieden sie zischend auf Winden Ueber den schattenden Wipfel Des Schottendornes hinweg, Dann sang er den Scheidenden Urlaub nach. Sie blickten zurück, und lächelten Dank; Nun blicken und lächeln sie nimmer zurück! Nimmer kömmt mir Antwort, Wenn ich dich mit Namen nenne, Die sich meine Liebe schuf. Nimmer pickst du mir, hold' Geschöpf! Süßes Brod von den Lippen. Nimmer brütest du mir zwitschernd In der hohlen Hand, Nimmer trag' ich dich in den heit'ren Nächten Auf dem Finger an das Mondenlicht. – Zwar spiegelten die Sterne sich in deinem Auge, Du schliffst dein Schnäbelchen, und hubst die kleinen Schwingen, Die Gegend im Monde gefiel dir; Aber du hieltst dich am Finger fest. Und dennoch bist du mir entrissen! – Alle meine Freuden Sterben nach und nach um mich. Bald hab' ich nur dich, Bardengesang! Und euch, gefällige Freunde, Und dich, ermunternder Blick in's andere Leben. Fußnoten 1 Ueber den Tod eines geliebten Vogels. 2 Der Akazienbaum, der auf Sineds Halle schattete. 3 Ossian. 4 Klopstock und Kretschmann. 5 Siehe: Gerstenberg's Skalden. Altona, 1815. II. Bd. S. 87. 6 Harald Hardraade.