Gold, wenn ich's hätte Gold, wenn ich's hätte, Das große Los! Ob ich mir ein Reitpferd hielte? Einen Viererzug? Ob ich mir ein Rittergut kaufte? Vielleicht gründete ich ein Asyl Für verarmte Börsianer Oder invalide Rennpferde, Vielleicht kaufte ich Schopenhauers Gesammelte Werke. Ich thäte noch viel mehr, Schöneres, Edleres: Ich rauchte eine bessere Cigarre, Und gäbe meiner Frau Hundert Mark, Tausend Mark Wochengeld. Vielleicht auch hielt' ich eine zweite Frau, Ein kleiner Pascha, In jedem Stadtviertel eine. Vor allem aber Würde fromm ich, sehr fromm, Und ließe für Sankt Marien Ein Altarbild malen: Christus, Die Schächer zum Tempel hinausjagend. Aber ein Realist sollt' es malen, So einer mit großen, wahren Augen, Der die Dinge sieht, wie sie sind, Ohne Heiligenschein. Christus, Mit dem heiligen Feuer des Zornes, Verachtung im edlen Antlitz, Das derbe Tau in der strafenden Hand, Und vor ihm geduckt, Zitternd, stolpernd, fluchend, greinend, In Kaftan und Frack, Schmierig außen und innen, Oder nur innen, Und außen parfümiert und geschniegelt, Alle die edlen Seelen, Die hundert Prozent nehmen; Die Kaffeeschwindler mit scheinehrlichem Gesicht; Die Buttermanscher mit den angesehenen Bäuchen; Die Gotteswortfälscher Mit den gleichfalls angesehenen Bäuchen, Und noch viele andere. Und einige Leute, Die ich besonders hasse, Die sollten mir ganz vorne abkonterfeit werden, Ganz so ehrlich, tugendhaft, Mit Pharisäerlächeln, Wie ich täglich sie sehe. Aber das Genie meines Realisten Ereilte sie mit heiliger Vergeltung, Und durch Farbe und Lack, Durch Dünkel und Lächeln Grinste ihr hohles Nichts, Deutlich, Man könnte es mit Händen greifen. Gold wenn ich's hätte, Das große Los. Kein Reitpferd, keine Maitresse. Kein Asyl Für Opfer unserer modernen Wirtschaftsordnung, Freiheit, weite gold'ne Freiheit. Fort! irgendwohin, Nur fort! In die Einsamkeit? In die Haide? Oder aufs Weltmeer hinaus Auf wiegender Planke? Oder durch die stille, Herzüberschauernde Wüste Auf stelzendem Kamel? Freiheit. Welt. Nur fort. O, der kleine lächelnde Jude, Den ich neulich auf der Pferdebahn traf, Wie ich ihn beneide, Diesen kleinen schmunzelnden Israeliten, Der Konstantinopel gesehen hatte, Rossschweife, Harems, das goldne Horn, Und andere Hörner. Wie ward das Herz mir groß Bei seinem Erzählen. Und er war nur ein Kaufmann, Reiste vielleicht Mit wollenen Unterhosen, Patentierte Jäger, Oder mit Wiener Schuhwaren, Und ich, ich bin ein Dichter Und würde mit meiner Muse reisen. O, meine Muse. Neulich noch schalt sie mich, Dass ich sie versauern ließe, Stubenhockerisch. Sie hätte keine Lust, Eine alte Hutzel zu werden. Sie bedürfe Bewegung, Luftveränderung, Zerstreuung, Nahrung. Von Hamburger Rauchfleisch allein Könnte sie nicht leben. O, meine Muse, Ich weiß, Du bist schlecht daran, Sehr schlecht. Dir fehlt es am Nötigsten Zu deiner Entwicklung, Du wirst ewig Bleichsüchtig bleiben In der stickigen Stadtluft, In der Misere Des täglichen Lebens. Glaube, das Herz thut mir weh darob, Aber ich kann dir nicht helfen. Gold, wenn ich's hätte, Das große Los. Ja, wollt' ich dich halten. Herrlich solltest du sein, Eine Fürstin, Getränkt mit dem Nektar der Freiheit, Gespeist mit dem Brot der Freiheit, Groß, heiter. Wie es Göttern geziemt und Göttinnen, Gingst du mit Siegesschritten, Tanzschritten, Über Länder, Über Meere, Brächest Rosen Aus dem glutflammenden Nordlicht Und schöpftest Diamanten Mit hohler Hand Aus den flimmernden Feldern Des Südpols. Aus den Tiefen der Meere Drängten sich jauchzend Die Wunderwesen entgegen dir, Tritonen und Nereiden, Und lachend, Dass es widerhallte durch alle Himmel Neigten aus Sternenhöhen Selige Scharen sich Entgegen der Schwester. O, meine Muse. Ich bin nur ein armer, Stundenlaufender Klavierlehrer, Verheiratet, Ohne Vermögen, Und bitter büße Den Übermut ich, Dass ich mir den Luxus gestatte, Mir eine Muse zu halten, Die ich nicht ernähren kann, Nicht standesgemäß ernähren kann, Wie es sich für Musen gehört. Nun welkst du hin, Blutarm, Und kränkelst in Sehnsucht Und Heimweh. O, meine Muse, Gold, wenn ich's hätte, Das große Los.