Sechstes Kapitel Wie König Heinrich gen Frankreich zieht und was weiter geschah Und Heinrich, sieben Tage lang Hält's ihn in Londons Mauern; Wohl mocht' ihm jeder Stunde Gang Wie Lauf des Jahres dauern; Nun aber hält's ihn länger nicht, Und schüttelnd ab all Last und Pflicht, Fliegt er zu Lohn und Liebe. Daheim sein Thron und Herrscheramt Ward Kerker ihm und Frone: Nur hier, wo Seel' in Seele flammt, Trägt Zepter er und Krone. Hier ist er reich, dort ist er arm – Ein einzig Herze, treu und warm, Ist mehr als Erd' und Himmel. So flieht die Zeit. Des Herbstes Näh' Färbt kaum die Bäume gelber, Da kommt in seinem Kleid von Schnee Auch schon der Winter selber; Doch immerdar, wie Sturm auch tost, Des Königs Ziel, des Königs Trost Bleibt Woodstock allerwegen. Und Frühling wird's: Schneeglöckchen nickt Mit freundlicher Gebärde, Das schüchtern stille Veilchen blickt Blauäugig aus der Erde; Und wie so drauß es grünt und blüht, Da immer festre Kreise zieht Schloß Woodstock um den König. Heut aber trug ihn heim sein Roß, Schon hält's im Tower stampfend, Da sprengt ein Ritter durch das Schloß, Vom langen Ritte dampfend; Noch hemmt er kaum des Renners Lauf, Da klingt es schon: »Auf, König, auf! In Frankreich loht Empörung.« Der König hört's; sein Streitroß wild Besteigt er statt des Schecken, Er läßt mit Schienen sich und Schild Von Kopf zu Fuß bedecken; Er stülpt den Helm auf sein Barett Und steckt, als ein Plantagenet, Den Busch davor von Ginster. Der Hengst springt an, schon dröhnt und hallt Der Hof von Rosseshufen, Da seinen Diener, treu und alt, Läßt König Heinrich rufen; Herab vom Rosse spricht er laut: »Gen Woodstock, eh' der Morgen graut, Bring deines Königs Grüße.« Er spricht's, und durch den Tower hin Ist kaum er jetzt gezogen, Da tritt glührot die Königin Zurück von Fensters Bogen; Sie hat des Gatten Wort erlauscht, Und ihres Kleides Seide rauscht Mitzürnend in ihr Murmeln. Dann spricht sie laut: »Und will, Gesell', Mein Gold dich nicht bestechen, So gibt's im Wald manch gute Stell', Um, was nicht biegt, zu brechen: Kein Wörtlein von des Königs Gruß, Noch, daß im fernen Land sein Fuß, Darf je nach Woodstock dringen. Wohl wie nach Speis' in Hungersnot Wird sie nach Botschaft bangen, Es soll kein Bröcklein Trostesbrot Je zu ihr hin gelangen; Ich bring' ein köstlich Gift ihr bei, Das Zweifelgift an seiner Treu – Das muß das Herz ihr brechen.« Sie spricht's, und schreitet durch den Saal Und kann nicht Ruhe finden: Sie sieht in Ungewißheitsqual Ihr Opfer schon sich winden; Sie lacht: »Nun, Rosamunde fein, Laß sehn, das wird ein Probestein Für so ein Herz voll Liebe!«