Die Seufzerbrücke Nach Thomas Hood »Ertrunken, ertrunken!« Hamlet Wieder, zu atmen müd, Müd ihrer Not, Eine, die flüchtend schied Jach in den Tod! Hebt sie vom Uferkies, Aufhebt sie leis! O, welch ein zart und süß Abgeknickt Reis! Sehet, wie straff ihr Zeug! Sehet, wie wachstuchgleich! Kalt rinnt das Wasser ihr Ab vom Gewande; Hebt sie mir, tragt sie mir Liebend vom Strande! Nimmer mit Hohn und Groll – Trauernd, erbarmungsvoll Anrührt ihr Leibliches! Nicht ihrer Flecken denkt: – Was ihr von ihr versenkt, Ist nun rein Weibliches! Fragt nicht: Aus was für Saat Aufging die rasche Tat, Keimt' ihr Empören? Abwusch die Schmach von ihr, Nichts ließ der Tod an ihr, – Nichts als der Schönheit Zier Und Leichenehren! Keiner verdamme sie! Hört sie zur Sippe doch Evas! – O, wisch ihr die klamme, die Arme sickernde Lippe doch! Lüpft ihre Locken! Streicht sie ihr trocken, Preßt sie ihr aus! Ihre Locken, die braunen! – Die Leut' indes staunen: Wo stand ihr Haus? Wer war ihr Vater? Wer ihre Mutter? Hatt' eine Schwester sie? Warnte kein Bruder sie Treu vor dem Falle? Lebt' ihr kein Lieb'rer noch, Lebt' ihr kein Näh'rer noch, Ach, als sie alle? Himmel, der Seltenheit Christlicher Mildigkeit! – 's war zum Entsetzen; In einer Stadt, wie die, Herbstatt nicht hatte sie, Dran sich zu setzen! Schwesterlich, brüderlich, Väterlich, mütterlich Fühlen versehrt! Was wie auf Fels ihr stand, Liebe schwand, Treue schwand! Selbst Gottes Vaterhand Schien abgekehrt! Wo der Lampen Helle Zurückstrahlt die Welle Wo ihr Schimmer lacht Aus Saal und Gemache Vom Keller zum Dache, Stand sie, die Schwache, Hauslos bei Nacht! Wind und Regenguß Machten sie beben; Nicht der schwarze Fluß, Nicht die finstern Streben! Abgehetzt, wundgehetzt, Kam sie zu sterben jetzt: »Fort mich geschnellt – Üb'rall hin, üb'rall hin, Nur aus der Welt!« Hinabsprang sie bald auch, Wie finster, wie kalt auch Die Themse rann. Übers Geländer hier – Mal' es dir, denk' es dir, Schwelgender Mann! Wasche sich, trink' aus ihr Fürder, wer kann! Hebt sie vom Uferkies, Aufhebt sie leis! O, welch ein zart und süß Abgeknickt Reis! Eh' noch zu steif und hart Jegliches Glied ihr starrt, Sittsam und linde Streckt sie zur letzten Ruh'! Drückt ihr die Augen zu, Starrend so blinde; Starrend durchs Regnen Der Lockenträuflung, Wie dem Dort zu begegnen Mit dem letzten verwegnen Blick der Verzweiflung. Also verachtet, Wahnsinnumnachtet, Hat die Entehrte, Reueverzehrte Sterben gemußt! – Als ob sie flehte Still im Gebete, Kreuzt ihr die Hände Über der Brust! Kreuzt sie – nicht hehlend Das Irren der Armen, Und sanft es befehlend Ihres Heilands Erbarmen! London , Sommer 1847.