Ostseelieder 1. Als ich jung war, da trieb's mich Über Land, über Meer, Mit den Schwalben zu wandern War all mein Begehr. Und das Land der Zitronen Und die marmornen Höhn Und die Palmen von Hellas Nur deuchten mir schön. Doch die Unrast der Jugend, Wie schwand sie dahin! Heimkehrte der Mann Mit verwandeltem Sinn. Jetzt weiß ich, was tiefer Genügen mir schafft: In den Boden gewurzelt Zu üben die Kraft, Zum Gesange zu reifen, Was still mich durchglüht, Und ein Echo zu wecken Im deutschen Gemüt. Und ob ich im Lied wohl Die Fremde noch grüß', Doch ist wie die Heimat Kein Land mir so süß. Wo der Buchenwald rauscht Und der Dorn blüht am Zaun Und ins Meer geht die Trave, Laßt Hütten mich baun! 2. Schon lichten sich umher Im Buchenforst die Steige, Ein wunderfrischer Hauch Läuft flüsternd durch die Zweige. Und plötzlich dunkelblau, Gleichwie aus Stahl gediegen, Seh' ich dich, heil'ges Meer, Zu meinen Füßen liegen. Sei mir gegrüßt, o Flut, Mit sehnsuchtvollen Schlägen Wie einer Mutter schwillt Dir meine Brust entgegen. Wie oft auf deinem Schoß Hast du gewiegt den Knaben, Wie oft sein kindisch Spiel Geschmückt mit bunten Gaben! Und als der Jüngling dich Gesucht in schweren Tagen, Hast du sein Herz gestählt Zum Tragen und zum Wagen; Hast am Unendlichen Sein endlich Leid ihn messen Gelehrt und im Gesang Des bangen Muts vergessen. O sei mir hold auch heut Und laß mich wie vor Jahren Die Wunder deines Sturms Und deiner Still' erfahren, Daß ich Genesungslust Aus deinem Odem trinke, Und all mein Herzeleid In deinen Grund versinke! 3. Im Mittag glänzt die Sonne, Es schweigt die See und ruht; Blaugrün wie eines Pfauen Hals Herschillert ihre Flut. Ich lieg' auf warmer Düne, Vom feuchten Hauch gekühlt, Und kann nicht satt mich schauen, Wie Farb' in Farbe spült; Wie blendend ihre Schwingen Die Möwe senkt und hebt Und traumhaft fern am Horizont Des Dampfschiffs Säule schwebt. 4. Wenn überm Meer das Frührot brennt Und alle Küsten rauchen, Wie lieb' ich dann ins Element Befreit hinabzutauchen! Tiefpurpurn schwillt um mich die Flut Und zittert, Well' an Welle; Mir deucht, ich bad' in Drachenblut Wie Siegfried einst, der Schnelle. Mein Herz wird fest, und wie es lauscht Von junger Kraft durchdrungen, Versteht's, was Wind und Woge rauscht, Und aller Vögel Zungen. 5. Ist das Spiel des Wassermanns Gestern aus der Flut erklungen, Oder war es nur der Wind, Der so wunderbar gesungen? Bald wie ferner Orgelschall, Bald wie Äolsharfen tönen, Floß die Weise durch die Nacht, Jauchzend nun und nun mit Stöhnen; Wie wenn tiefe Schwermut singt Von vergangnen sel'gen Stunden, Wie wenn Inbrunst sich zu Tod Bluten will aus süßen Wunden. Und ich lag und dachte dein, Und zum Traumbild ward mein Sehnen: Übers wilde Meer zu dir Flog ich mit den ziehnden Schwänen. 6. In blauer Nacht bei Vollmondschein Was rauscht und singt so süße? Drei Nixen sitzen am Möwenstein Und baden die weißen Füße. Es hat der blonde Fischerknab' Gehört das Singen und Rauschen, Ihm brennt das Herz, er schleicht hinab, Die Feien zu belauschen. Da sausen empor im Mondenlicht Drei weiße wilde Schwäne – Das Wasser spritzt ihm ins Gesicht, Verklungen sind die Töne. 7. Ich lieg' in Träumen Am Hünengrab Und blick' aufs Schäumen Der See hinab. Mir klingt im Sausen, Das fernher zieht, Im Wogenbrausen Ein uralt Lied. Unwiderstehlich Befängt's den Sinn Und nimmt allmählich Mich ganz dahin. O Märchenwonne! Die Seele ruht Gelöst in Sonne, In Wind und Flut, Zurückgegeben Ans Element, Um mitzuleben, Was keiner nennt. 8. Es rauscht das Meer gelinde, Gewölkumschleiert sinkt der Tag, Und lockend ziehn im Winde Gesang und Harfenschlag. O laß dich nicht bezwingen, Wie sehnsuchtsvoll dein Herz erbebt! Das ist der Meerfrau Singen, Das überm Wasser schwebt. Sie sang dieselbe Weise, Da sie hernieder ins Gewog Mit Liebesarmen leise Den König Harald zog. 9. An der Bucht im Lotsenhause Hab' ich mich zur Ruh' gelegt, Wo der nahen See Gebrause Wie Gesang ans Ohr mir schlägt. Bei dem Schall der Wellenlieder Wogt in eins, was fern und nah, Und mir träumt, ich führe wieder Auf der blauen Adria. Goldfruchtdüfte der Levante Flattern schon ins Schiff herein, Schon aus Nebeln dämmert Zante Übers Meer im Rosenschein. Und das Schiffsvolk summt und flötet, Und am Mast im Abendwehn Seh' ich dich vom Strahl gerötet, Schottlands schlanke Tochter, stehn. Wohl umleuchtet weit im Bogen Uns der Wogen himmlisch Blau, Aber blauer als die Wogen Glänzt dein Auge, schöne Frau. Lächelnd mir im Silberbecher Reichst du Zyperns Traubenblut, Und ich trink', ein sel'ger Zecher, Wo dein süßer Mund geruht. Und umwallt vom Lockengolde, Drin der Seewind wühlt zum Scherz, Scheinst du völlig mir Isolde, Und wie Tristans schwillt mein Herz. Töricht Herz, laß ab zu schwellen! Halt die rasche Glut zurück! Gaukelnd necken Wind und Wellen Dich mit längst entschwundnem Glück. 10. Es liegt am öden Dünenstrand Das Kloster halb zerfallen, Um Gang und Stufen weht das Schilf, Die Flut spielt in die Hallen. Und wo die Pfeiler stehn im Schutt, Da kreist bei Sturm und Stille, Bei Tag und Nacht ein Möwenschwarm Mit ängstlichem Geschrille. Das sind die Seelen, glaubt das Volk, Der Ursulinerinnen, Die hier meineidig einst geschwelgt In frecher Lust der Sinnen. Nun müssen sie mit Klageruf Den morschen Bau umfliegen, Bis einst die Stätten ihrer Schuld Im Meer begraben liegen. 11. Sanft verglimmt des Tages Helle, Und, vom letzten Strahl geküßt, Liegt die glatte Meereswelle Wie geschmolzner Amethyst. Kaum ein Lüftchen rührt die Schwingen, Schweigen rings und Abendglut! Nur der Fischer leises Singen Schwebt verhallend auf der Flut. Jetzt erstirbt's; ihr Nachen gleitet Ohne Laut dem Hafen zu, Und um meine Seele breitet Sich dein Zauber, Meeresruh'. 12. Es pfeift mit hohlem Klange Der Herbstwind übers Meer; Ich sitz' am Dünenhange, Mein Sinn ist trüb und schwer. Zu meinen Füßen bäumen Die Wellen ohne Ruh', Sie bäumen und verschäumen, Und träumend schau' ich zu. Wie bald ist so zerronnen Was dich bewegt, o Herz! Ein Schaum nur deine Wonnen, Ein Wogenschlag dein Schmerz. 13. Auf das Meer, das fernhinaus Dunkelt wie von grünem Erze, Fällt ein breiter Sonnenstreif Durch des Sturmgewölkes Schwärze. Sieh, und bunt von Strand zu Strand Spannt sein Tor der Regenbogen; Weiß besegelt unter ihm Kommt ein Orlogschiff gezogen. Deutsche Flagge, sei gegrüßt! Steure kühn durch Wind und Welle, Nacht und Wolken hinter dir, Vor dir Sonnenaufgangshelle! 14. Nun kommt der Sturm geflogen, Der heulende Nordost, Daß hoch in Riesenwogen Die See ans Ufer tost. Das ist ein rasend Gischen, Ein Donnern und ein Schwall, Gewölk und Abgrund mischen All ihrer Stimmen Schall. Und in der Winde Sausen Und in der Möwe Schrein, In Schaum und Wellenbrausen Jauchz' ich berauscht hinein. Schon mein' ich, daß der Reigen Des Meergotts mich umhallt, Die Wogen seh' ich steigen In grüner Roßgestalt Und drüber hoch im Wagen, Vom Nixenschwarm umringt, Ihn selbst, den Alten, ragen, Wie er den Dreizack schwingt. 15. Nach dem Sturm am Himmelsrande Schwebt der Mond um Mitternacht; Langsam, schimmernd her zum Strande Rollt die Flut und brandet sacht. Ihre dumpfen Schläge mahnen An ein Herz, das müde pocht; Keine Spur mehr läßt dich ahnen, Welch ein Chaos hier gekocht. Sagt, wohin dies wilde Schwellen Jauchzender Titanenlust? – Wer begreift euch, Meereswellen? Wer begreift dich, Menschenbrust?