GOETHES LEZTE NACHT IN ITALIEN Welch ein schimmer traf mich vom südlichen meer? Fichten seh ich zwei ihre schwarzen flügel Recken ins stetige blau der nacht und dazwischen Silbern in ruhigem flimmern ein einziger stern. Aus den büschen tritt nun das Paar .. vor dem Bild Mitten im laub-rund · leuchtender marmor wie sie · Tun sie noch immer umschlungen den grossen schwur. Mächtig durch der finsteren bräuche gewalt Heben sie nun ihre häupter für herrschaft und helle. Staunend hört ihren heldengesang die verklärung Ewiger räume · dann trägt ihn der duftige wind Über das schlummernde land und die raunende see. Abschied reisst durch die brust – von dem heiligen boden Wo ich erstmals wesen wandeln im licht Sah und durch reste der säulen der Seligen reigen .. Ich den ihr preisend ›herz eures volkes‹ genannt ›Echtesten erben‹: hier hab ich vor armut gezittert · Hier ward erst mensch der hier wiederbegonnen als kind. Durch die nebel schon hör ich euch schmälende stimmen: ›Hellas' lotus liess ihn die heimat vergessen‹ ... O dass mein wort ihr verstündet – kein weiseres frommt euch – ›Nicht nur in tropfen · nein traget auch fürder in strömen Von eurem blute das edelste jenseit der berge · Anteil und sinn euch solang ihr noch unerlöst‹. Euch betraf nicht beglückterer stämme geschick Denen ein Seher erstand am beginn ihrer zeiten Der noch ein sohn war und nicht ein enkel der Gäa Der nicht der irdischen schichten geheimnis nur spürte Der auch als gast in ambrosischen hallen geweilt Der dort ein scheit des feuers stahl für sein volk Das nun sein lebenlang ganz nicht mehr tastet in irre Der in die schluchten der grausigen Hüterinnen Die an den wurzeln im Untersten sitzen · sich wagte Die widerstrebenden schreienden niederrang Ihnen die formel entreissend mit der er beschwört ... Solch einer ward euch nicht und ich bin es nicht. Früh einst – so denkt es mir – trug ein bewimpeltes schiff Uns in das nachbarlich rheinische rebengeländ .. Hellblauer himmel des herbstes besonnte die gaue Weisse häuser und eichen-kronige gipfel .. Und sie luden die lezten trauben am hügel Schmückten mit kränzen die bütten · die festlichen winzer · Nackte und golden gepuzte mit flatternden bändern .. Lachend mit tosendem sange beim dufte des mostes Also stürmte die strasse am tiefgrünen strom Purpurnes weinlaub im haare der bacchische zug. Dort an dem römischen Walle · der grenze des Reichs · Sah ich in ahnung mein heimliches muttergefild. Unter euch lebt ich im lande der träume und töne In euren domen verweilt ich · ehrfürchtiger beter · Bis mich aus spitzen und schnörkeln aus nebel und trübe Angstschrei der seele hinüber zur sonne rief. Heimwärts bring ich euch einen lebendigen strahl · Dränge zutiefst in den busen die dunkleren flammen · Euch ein verhängnis solang ihr verworren noch west. Nehmt diesen strahl in euch auf – o nennt ihn nicht kälte! – Und ich streu euch inzwischen im buntesten wechsel Steine und kräuter und erze: nun alles · nun nichts .. Bis sich verklebung der augen euch löst und ihr merket: Zauber des Dings – und des Leibes · der göttlichen norm. Lange zwar sträuben sich gegen die Freudige Botschaft Grad eure klügsten · sie streichen die wallenden bärte · Zeigen mit fingern in stockige bücher und rufen: ›Feind unsres vaterlands · opfrer an falschem altar‹ ... Ach wenn die fülle der zeiten gekommen: dann werden Wieder ein tausendjahr eurer Gebieter und Weisen Nüchternste sinne und trotzigste nacken gefüge Ärmlicher schar von verzückten landflüchtigen folgen Sich bekehren zur wildesten wundergeschichte Leibhaft das fleisch und das blut eines Mittlers geniessen Knieen im staube ein weiteres tausendjahr Vor einem knaben den ihr zum gott erhebt. Doch wohin lockst du und führst du · erhabenes Paar?.. Sind es die schatten der sehnsucht · lieblich und quälend?.. Säulenhöfe seh ich mit bäumen und brunnen Jugend und alter in gruppen bei werk und bei musse Maass neben stärke .. so weiss ich allein die gebärden Attischer würde .. die süssen und kräftigen klänge Eines äolischen mundes. Doch nein: ich erkenne Söhne meines volkes – nein: ich vernehme Sprache meines volkes. Mich blendet die freude. Wunder hat sich erfüllt von marmor und rosen ... Welch ein schauer des ungebahnten erbebt? Welch ein schimmer traf mich vom südlichen meer?