Die Bibliothek. Eine Injurie. Schlußeffekt Daß mich dieser krasse Blödsinn Einer heidnischen Sophistik Innerlichst empörte, werden Alle meine Herrn Collegen, Alle wahrhaft frommen Priester Meines Vatersternes Erde Wohl begreifen. Und die Deutschen Unter ihnen auch, daß trotzdem Ich – die Macht des Ober-Mufti's Und das Kitzliche, Prekäre Meiner Stellung hier ermessend – Dieses heft'gen und gerechten Zornes Meister blieb und meine Oppositionellen Fäuste In der Tasche machte. Daß ich Raisonnirte nur im Tiefsten Meines Innern, in Gedanken, Und selbst dabei noch wohlweislich, Und prämeditirt, bedächtig, Jedes unparlamentarisch- Schroffen Ausdrucks wie: »Barbarisch! Oeffentliche Meinung! Scheußlich! Schändlich! Einheit! Niederträchtig! Freie Presse! Klein, doch mächtig! Privilegienstürmer! Censor! Liberal! Frech! Ordnungsfeindlich! Fortschritts-Wahnsinn! Plebs-Defensor! Deutschkatholisch! Freigemeindlich! Literat! Ruh'störer! Jude! Nationalsinn! Bummellude! Reactionswuth! Communistisch! Heuler! Wühler! Schmutz'ges Siel-Thier! Menschenrecht! Lump! Antichristlich!« Und so weiter ... mich enthielt hier. Seine Zopfigkeit geruhten Sich nunmehr vom Ruhesopha Zu erheben und – durch so viel Zimmer führend mich, daß drinnen Tausend Ober-Mufti's mind'stens Platz gehabt – vor meinem Auge Des Pallastes der »Entbehrung« Glanz und Luxus zu entfalten. Mehr jedoch als all' die Speise-, Spiel-, Empfangs-, Rauch-, Wonne-, Bade-, Tanz-Appartements und and're Klein're, machte mich erstaunen Die Bibliothek hier, welche Dreizehntausend Bände zählte, Aber wörtlich auch nur Bände, Nur die reichen, goldverzierten, Inhaltslosen Deckelpappen Mit den Titeln aller Werke Aller Dichter und Gelehrten Dieses Sternes, des Verkehrten! »Was staunt«, sprach mein Führer, »über Diese Staats-Oekonomie Ihr? Sie erfüllt den Zweck vollkommen Zier und Catalog zu sein. Will, was mich nicht oft anlaunet, Ich ein Werk der Sünder lesen, Die dem Volk das Licht verleihen, Das des Glückes, des Gehorsams Und der Demuth Hütte ansteckt: Sende ich des Werkes Einband Nach der Leihbibliothek hin; Laß' ihn mit dem Buche füllen Den sein Titel heischt und les' es Für ein Hunderttheil des Preises Den es selbst mir kosten würde.« »Aber ...« »Und wie ich, so handelt Alles, was zur fashionablen Welt gehört, was wahrhaft vornehm. Nur der dumme Plebs sucht, hi, hi! Seine Ehre drinn, so weit es, Noth und Dürftigkeit gestatten, Seiner Dichter und Gelehrten Werke zu besitzen eigens, Geist zum Mindesten wie Nahrung Hochzuachten und Bedürfniß; Gleichen Dank zu zollen Ihm, Ihm, der, wie der Plebs sich ausdrückt: Unsre Seele tröstet, lichtet, Reinigt, aufschwingt, Heil und Wonne Ihr erstreitet und bereitet Und, gleichwie die Gottessonne, Segen überall verbreitet. Ja, er schilt Diejen'gen Pöbel, Die für Hunde, Pferde, Affen, Flitterkram und Schwelgereien Tausend Mal wohl mehr verprassen Als für Dichterwerke jährlich! Tausend Mal mehr für ihr Fressen Als für geist'ge Nahrung zahlen, Die sie borgen statt zu kaufen! Ja, er stellt dabei ein Gleichniß Auf von angelieh'ner Nahrung, Die, genossen kaum, verborgt wird Und, pfui! wiederum genossen Und verborgt wird und genossen Und so fort, ein Gleichniß, pfui, pfui! So abscheulich, daß kaum Enten Es app'titlich finden könnten!« Unter diesen Worten waren Angelangt wir in des Mufti's Arbeits -Zimmer, wie er's nannte, Ob es gleich, von violetter Fenster-Draperie gedüstert, Weder Pult, Repositorium Noch Papierkorb, Pfeifenriegel Und dergleichen aufwies, sondern Einen großen Frauenspiegel, Schilderein und Nippes-Capricen, Die auf keinen hypochondern Eigner eben schließen ließen, Und ein seiden Himmelsbette, Ueppig breit, nebst Toilette. »Götter!« rief ich aus, »Was seh' ich?« Als ich plötzlich, nah' am Fenster, Eingerahmt in goldner Leistung, Meiner Gattin, meiner reizend- Schönen Lilialinda's Brustbild, Ausgeführt sehr gut in Essig, Hier gewahr ward. »Götter! Himmel!« Aber eh' ich selbst es konnte, Hatte, zornig-wilden Blickes, Lumpel-Lampel mich gefaßt schon, Und zwar grade vor dem Busen Unter welchem, ach, mein liebend Herz so stürmisch klopfte: »Bube!« Rief er (Als ich dieses Ausdrucks Wegen später injuriarum Ihn belangte und der Richter – – In Erwägung, daß zwar »Bube« An und für sich nicht beleid'gend, Da er oft sowohl von Mädchen Wie von Dichtern schelmisch-freundlich Angewendet wär' und würde, Auch im Kartenspiele eine Respectabele Figur sei, Welche von dem Sultan (König) Durch die Mittelspersonnage, Durch die Dame, nur getrennt sei, Der Herr Ober-Mufti aber Weder Mädchen sei noch Dichter Noch der Kläger eine Karte; – Und in fernerer Erwägung, Daß bereits der Kläger faktisch In den sogenannten besten Jahren so weit vorgerücket Daß Superlativus »beste« Sehr bedenklich würde, ergo Des hochzopf'gen Angeklagten Einwand: Kläger hätt' durch seinen Tugendhaften Lebenswandel So vortrefflich conservirt sich, Daß er, Kläger, ihn für einen Jüngeling gehalten hätte: Platz nicht greifen kann, vielmehro Asinus injuriandi (Dieser Schreibefehler schlich sich Beim Mundiren ein) dabei nicht Zu verkennen, doch der Ausdruck »Bube« als injuria levis Nur zu nehmen – nach dem eilften Paragraphen, Titel Sieben Des Neunzehnten Theils des Allgemeinen Sultan-Rechtes: Zu der Zahlung von Dreihundert Gold'ner Scudi's an den Fiscus Und der Kosten – – condemnirt ihn, Wurde Lumpel-Lampeln auf sein Immediat-Gesuch vom Sultan Pumpel-Pampel es verziehen, Daß er mich beleidigt! und die Kosten wurden, (was ich selbst war Ueber diese wunderbare Gnade und, wie soll ich sagen: Rehabilitirung meiner Ehre ) niedergeschlagen. »Bube!« rief er, meines Schreckens Blässe für die Farbe eines Schuldbewußtseins nehmend, »Bube! Lilialinda, Deine Gattin, Sprich, wo ist sie? Sicher weißt Du's! Sicher hast Du diese schönste, Diese köstlichste von allen Blumen meines Cölibates Frech geraubt mir! Hast zur Flucht sie Ueberredet, vor ihr spiegelnd Als ob plötzlich nun entflammt sei Lieb' für sie in Deinem Herzen, Gegenliebe für die Holde, Die, ächt weiblich, unschuldvoll Sich zu Deinem Weib, auf ewig Zur Geliebten angetragen, Und die Du, statt hinzusinken Glückbetäubt zu ihren Füßen, Der Du werth nicht bist, vom Schatten Dieser Füße nur zu träumen, Grausam Dir antrauen ließest! Ihre Liebesgluth verlachend Und zu Deiner Gattin machend, Frech und schnöde sie verstießest!« Ich betheuerte bei Ego Und den Heidengöttern allen, Selbst bei Te, dem Gott der Prügel Und bei Tibi und bei Roma, Daß an meiner Gattin, meiner Heißgeliebten Lilialinda, Flucht ich schuldlos, schwor dem Mufti, Seit dem Augenblick der Trennung Sie mit keinem Aug' gesehen, Sie mit keinem Mund gesprochen Und mit keiner Hand geschrieben Ihr zu haben, also auch durch Dritter Auge, Mund und Hand nicht. Schwor ihm, daß er selbst es wäre, Der mir ihre Flucht aus seinem Harem oder Cölibate, Wie er's nenn', zuerst verkünde. »Und so,« endigte erhitzt ich, »Prallt der ›Bube,‹ der auf meine Schuldlos-starke Brust geworfen, Auf den Werfenden zurück nun, Der, wiewohl schon alter Sünder, Nicht einmal solch alter Sünder Einz'gen Vorzug sonst vor jungen Sündern zeigte: Selbstbeherrschung!« Rasend, mit gierglühnden Augen, Wie das Lamm, wenn's Appetit hat, Auf den frommen Tiger losspringt, Stürzte sich des Götzenpriesters Zopfheit in Person auf mich und Zeigten deutlich dero Absicht, Das mir zu ertheilen, was man, Angewendet bei Personen, Denen jeder ganz vernünft'ge Menschenfreund noch dreimal mehr wünscht: Ausfluß des Verrücktseins heißet. Ich jedoch, nicht faul, ich riß ihn Stürmisch an mein Herze, preßte Ihn inbrünstiglich und klopfte, Ihn beruh'gend, ihm den Rücken. Dann ergriff ich seine Hände, Hielt sie fest und sicher, blickte Fest und sicher ihm in's Auge, Nahm all meine Kraft zusammen Und die angebor'ne Hoheit, Und sprach mit dem ganzen Adel, Der mir zu Gebot steht, also: »Weißt Du, Mufti, Wer vor Dir steht? Weißt Du, Knirps, auf wen Du wolltest, Te verleugnend, Tibi' n opfern? Ich bin nicht nur Ernst, bin Heiter! Ich, Ernst Heiter, Erst und Einz'ger, Bin erhaben über Vieles! Bin ein Fürst, mit dem die Kaiser China's, Rußlands und Marokko's. Nimmermehr sich messen werden! Zwischen diesem, dem Verkehrten Weltchen und dem hochvernünft'gen Sterne Erde hab' ich Schlösser Eine Unzahl und viel prächt'ger Als Du, Mufti, Dir kannst denken! Das Gebiet, das schöne, reiche Deutscher Zunge ist das meine! Und im Reiche der Humoren, Wie in jenem zaubervollen, Himmlischen, deß Blum' und Früchte Man vom heiligen Parnassus Ueberschaut, bin ich, Ernst Heiter, Wenn auch oft nicht Selbstbeherrscher, Doch so mächtig und gebietend, Daß, gleichwie der Gott der Götter Ego, ich dies Reich des Sultans Und mit ihm Dich, alle Mufti's Und die andern Creaturen In dem nächsten Augenblick schon Stürzen und vernichten könnte! Außerdem bin ich noch Doctor Der Weltnarrheit und der Rechte, Die das arme, vielbetrog'ne Menschenthum sich will erstreiten! Bin an Spree, Rhein, Main und Elbe Mannigfacher Lustvereine Shakespearweiser Narren Mitglied, Präsident, Doktor und Ritter! Bin auch Ritter des erhab'nen Goldenen Champagnerkorkes Erster Klass' mit Lorbeerblättern, Wie des schönen Kreuzstern-Ordens Für wahrhaftige Verdienste Mit der Schleife – und noch and'rer Irisbunter (falls dies Wort nicht Tautologisch) Narren-Orden! Ferner, staune! bin Prophet ich, Denn ich habe, Dank den Göttern! Wenn der großen Lüge ich die Wahrheit sagte, wahrgesagt oft! Ferner bin ich Oberpriester In Hafisens Freudenkirche Objectiver Weltanschauung! Und zuletzt: ich bin, was alle Diese Hoheit, Ehr' und Würden Weit, weit hinter sich zurückläßt, Ich bin, und im höhern Sinne Als man sich im Rausch der Liebe Und des Weines heißt und preist: Ich bin selig! Bin ein Geist!« Diese Worte, wie gesagt schon, Mit der angebor'nen Hoheit Meines Wesens, mit der Wärme Des Bewußtseins eigner Größe Ausgesprochen, effektuirten Mehr noch als gehofft ich hatte. Reuig warf der Götzenpriester Sich auf seine Hände nieder; Richtete als Quadrupede Auf zu mir sein Haupt und blickte Mich mit hündisch-stummer-dummer Demuth und Verehrung an. Und auch ich that, wie sich's schickte, Ohn' ihm mein Gesicht zu zeigen, Artig mich vor ihm verneigen. Doch, erwägend, daß in Scenen Solcher Art ein Schlußeffekt ganz Unumgänglich nöthig, rief ich (Leider ohne Inspicient- geblas'ne Colofoniumblitze!) Einen fürchterlichen Fluch aus, Der von gleicher fürchterlicher Wirkung wie die Flüche alle Im Theater und im Leben; Rief ich, wenn auch dem Gebrülle Unserer Coulissenhelden Und dem des vom Speer Minervens In dem Unterleib verletzten Mars genüber: mezza voce, Doch mit donnerndem Organe Folgendes Fluch-Ultimatum: »Höre, Mufti, wie das Fatum, Das untrügliche, Dich richtet: Bist auf Tausend Jahr vernichtet, Legst Du jemals wieder Hand an Sel'ge Geister!« Und verschwand dann.