Lied eines Mädchens aus dem zwanzigsten Jahrhundert An M.A.v. Thümmel's Geburtstage 1 . O Mann! der meine Seele füllt, Warum mußt' ich mit dir zugleich nicht leben? Warum muß nur ein todtes Schattenbild Empor mein Herz mit eitlen Wünschen heben? Wie glücklich war, wer ihn gekannt, Wie neid' ich den, der seine Suada hörte, Sein Lächeln sah, und seinen Kuß empfand! – O daß er doch noch einmal wiederkehrte! Ich sucht' ihn auf, wär' er entflohn, Ich folgt' ihm nach in Frankreichs tiefsten Süden; Er fände mich auf jeder Station. – Ach! Einmal lebt und liebt man nur hienieden. Der Einzige, den ich geliebt, Dem ich mein Herz so gern hätt' hingegeben, Der lebt nicht mehr! ist längst in Staub zerstiebt: Und so viel schale, trockne Reimer leben! Allein vielleicht zu meinem Glück' Ward ein Jahrhundert später ich geboren. Wer weiß, hätt' er, trotz seinem Kennerblick', Aus Tausenden mein schmachtend Herz erkoren? Nun! so verschmähet doch der Stein Hier über des geliebten Sängers Asche Die Veilchen nicht, die Lieb' und Dank ihm streun, Die Thränen nicht, womit ich heut ihn wasche! Fußnoten 1 Des Dichters Geburtstag ward bei seiner Anwesenheit in Berlin, am 12. May 1807. gefeiert, und dieß gab Veranlassung zu dem folgenden Liede.