Luise Adelgunde Victorie Gottsched Das Testament Ein deutsches Lustspiel in fünf Aufzügen Personen Personen dieses Lustspiels Frau Oberstin von Tiefenborn, eine alte reiche Witwe Fräulein Karoline, Fräulein Amalie, ihrer Schwester Kinder Herr von Kaltenbrunn Herr Hauptmann von Wagehals Herr Dr Hippokras, ein Arzt Herr Landrat von Ziegendorf Der Kammerherr von Ziegendorf Herr von Kreuzweg Ein Notarius Heinrich, ein Lakai 1. Akt 1. Auftritt Erster Auftritt Fräulein Amalie. Fräulein Karoline. Ach, liebe Schwester! wenn doch nur heute unsrer Frau Muhme keine Verhinderung in den Weg käme; daß sie das Testament machen könnte! Warum denn das? Ei nun! Weil sie sich's doch einmal vorgenommen hat, ihre Sachen in Richtigkeit zu bringen: so wüßte doch ein jeder, woran er wäre. Je! unsertwegen mag sie es heute oder über zehn Jahre machen! Hast du denn eine Not bei ihr? nickt mit dem Kopfe. Hm! das sage ich eben nicht! Nun; mich dünkt, solange wir noch bei einer Muhme im Hause sind, wo wir weder dursten noch hungern, noch elend gekleidet gehen dörfen: so hätten wir keine Ursache, an ihr Testament zu denken. schüttelt mit dem Kopfe. Ja, ja! Es wird nicht eine jede Schwester ihrer Schwester Kinder so liebreich verpflegen, als es uns hier geschieht. Zwar die Frau Oberstin ist ein wenig wunderlich. Das kömmt aber davon her, daß sie meint, vor einer reichen Frau müssen alle die, die von ihr einmal was zu hoffen haben, ihre gesunde Vernunft verleugnen: weil sie sie enterben kann. Darin hat sie auch recht! Wer reich ist, der ist allein klug. Wie? Was sagst du? Ja, ja! wer reich ist und andere Leute glücklich machen kann, vor dem müssen sich die anderen schmiegen. Andere Leute glücklich machen kann? Je! wer ist denn hier im Hause wohl glücklicher, die Frau Muhme oder wir? Unfehlbar sie! denn sie hat das Geld, worauf wir alle hoffen. spöttisch. Du darfst eben nicht wir sagen. Es gibt noch Leute im Hause, die auch ohne dies Testament zufrieden sein können. höhnisch. Willst du mir deinen Anteil auf der Oberstin ihre Erbschaft schenken? lachend. O herzlich gern! Mir wäre aber mit solchen Geschenken wenig gedient, die der, der sie gibt, noch selber nicht hat. Selber nicht hat? Wie? ist sie nicht unsrer Mutter Schwester? und sind wir nicht ihre nächsten Erben? Nein! das sind wir nicht! denn sonst dörfte sie kein Testament machen. Je nun! freilich hat sie noch eine Schwester: aber sie wird ihr Vermögen doch lieber jungen Leuten gönnen, die es in der Welt noch nutzen können, als der alten Frauen. Nein, sie täte viel besser, sie ließe es ihrer Schwester, der es von Rechts wegen zukömmt, als daß sie es jungen, leichtsinnigen Leuten gibt, die ihr Glück selbst in der Welt suchen sollen. Ihr Glück selbst suchen! Je, wo wollte ich einen Mann bekommen, wofern mich die Frau Muhme nicht zur Erbin einsetzt? lachend. Mußt du denn so notwendig einen Mann haben? Wenn mich das ein andrer fragte, so wüßte ich, was ich ihm antworten wollte! Und zwar einen Mann, der dich nur deines Geldes wegen nimmt? Spöttisch. Dazu bist du doch zu schade! Meinethalben! wer eine alte Jungfer werden will, der kann es tun. lächelnd. Nein, das können wir nicht werden: denn wir sind Fräuleins. höhnisch. Je nun! ich meinte, wer keinen Mann zu kriegen wüßte. Der Unterschied wird zu groß nicht sein! Ach du gutes Kind! wenn es nicht dem Wohlstande zuwider wäre, daß das Frauenzimmer sich um die Mannsleute bewürbe, so würden wir vielleicht alle gleich viel Freier haben. Das liegt am Tage. Ich weiß, wie ich von Freiern und Werbern gequälet werde! Sie seufzt. Ich sehe aber keine, der es auch so geht? Ja, das glaube ich wohl! Denn wer dich nur einmal ansieht, der ist gleich dein Freier. Sie lacht. Ja, ja, lache nur! der Berghauptmann hat mich nur noch gestern grüßen lassen. Der Berghauptmann von Quarzdorf? und durch wen? Durch die alte Kammerfrau. Sie ist ihm begegnet, da sie aus der Stadt zurücke kam. Wie? untersteht sich denn die alte Hexe, solche Gewerbe zu bestellen? Warum nicht? Ich hatte ihr gesaget, daß er mir gesagt hätte: er wäre bloß meinetwegen hergekommen. Wie kannst du das aber sagen? Er war ja bloß gekommen, mit der Oberstin wegen des neuen Grubenbaues die Sachen einzurichten? Nun, er hat mir's doch gesagt! Höhnisch. Hätte er dir's nur gesagt: so würdest du es ihm wohl glauben. Nein, ich würde es für eine bloße Höflichkeit halten, die die Mannsleute dem Frauenzimmer zu sagen gewohnt sind, und damit sie zuweilen nur gar zu verschwenderisch umgehen. wirft den Kopf auf. Ja, ja! nachdem es angebracht wird. Zum mindesten glaubte ich ihm nicht eher, daß er bloß meinetwegen herkäme, als bis er alle Tage wieder hier wäre. Der Berghauptmann aber war den Tag in seinem Leben zum erstenmal hier und ist auch seit der Zeit in zween Monaten nicht wieder hergekommen. Ach! ich weiß schon, warum. Er hat mir's mit der Kammerfrauen sagen lassen. ernsthaft. Aber, Amalie, schämst du dich nicht, dein Herz gegen solche alte Weiber auszuschütten? Was wird doch ... fällt ihr ins Wort. Ich bitte sehr, mein gnädiges Fräulein, belieben Sie Ihre Morale für sich zu behalten. Es schickt sich nicht gar zu gut, daß die jüngern Schwestern den ältern vorpredigen. lachend. Nun, nun! Ich bin schon wieder gut. Meinethalben habe soviel Freier, als Hasen in unserm Walde laufen! Aber ich sehe nur nicht, was es dir hilft: wenn ich soviel Freier hätte, so hätte ich lange einen Mann. Ja, wenn ich nur erst wüßte, wieviel die Oberstin mir vermachen will: so würden sie sich schon noch häufiger melden. Sollen sich ihrer noch mehr melden? Hilf Himmel! wo willst du zuletzt mit allen Freiern hin? Einen kannst du doch nur nehmen? So suche ich mir hernach den besten aus. Taugt denn von den itzigen keiner was? Einer darunter muß doch auch der beste sein. Noch zur Zeit habe ich mich nicht entschließen können. lächelnd. Frage du nur die Kammerfrau, die wird ... droht ihr. Schweige, Karoline! Ich gäbe zehen Dukaten, daß das Testament schon gemacht wäre! Weißt du denn aber auch gewiß, daß du was vermacht bekommen wirst? erschrickt heftig. Was sagst du, Karoline? Ich bin des Todes! verwundernd. Ist es auch möglich, daß ein leerer Dunst, eine bloße Hoffnung das menschliche Herz so sehr einnehmen kann, daß man denkt, es entgehe einem ein wirklich besessenes Gut; wenn ein bloßes Hirngespinst, das man sich in den Kopf gesetzet hat, zuschanden geht? Ei was, Hirngespinst! Ich werde der Frau Muhme nicht umsonst zwanzig Jahre lang ums Maul gegangen sein und mich so vor ihr geschmieget und gebückt haben. Das ist wahrhaftig keine Kleinigkeit, wenn es einem ganz anders ums Herz ist! Und ebendarum, weil dir deine Freundlichkeit gegen sie nicht von Herzen gegangen ist: so solltest du von Rechts wegen keinen Heller aus ihrer Verlassenschaft haben. Wer kann es doch mit einer so wunderlichen, verdrießlichen Frauen gut meinen? Bald ist sie krank; da muß man sie pflegen und warten und bewachen wie einen gichtbrüchigen Mann. Bald plagt sie der Hochmut: da macht ihr kein Mensch die Reverenze tief genug und nennt sie nicht oft genug Eure Gnaden. Bald redet sie von ihrem großen Vermögen und tut, als wenn sie der große Mogol wäre. Bald fällt ihr ihr verstorbener Mann ein: da red't sie, wie zärtlich sie sich einander geliebt hätten, wie schön er mit ihr getan hätte. Sie lacht. Ich und die Wärterin, wir beißen uns oft die Lippen ganz wund, daß wir nur nicht überlaut lachen wollen. Sie schüttelt den Kopf. Ja, ja! ich weiß wohl, wie mir in diesem Hause, wo ich erzogen bin, zuweilen zumute gewesen ist! Dir ist darin so zumute gewesen, wie allen Menschen auf dem Erdboden zumute ist. Alle Zeiten sind nicht gleich, und das Gute wechselt immer mit dem Bösen ab. spöttisch. Die Morale habe ich schon lange gewußt! Ich sagte sie auch der Wahrheit und nicht der Neuigkeit wegen. Indessen ist es nicht gar fein von uns, daß wir uns hier über die Schwachheiten unsrer Wohltäterin aufhalten, die uns von Kindheit an verpflegt und alle Unbequemlichkeiten und Unarten unserer Jugend überstanden hat: geschweige denn, daß man sich so gar vergehen und mit dem Gesinde über sie spotten wollte. spöttisch. Haben Sie ausgeredet, mein Fräulein? Noch nicht. Ich wollte nur noch sagen, daß ich dieses mit aller Ehrerbietung Sie macht einen tiefen Reverenz. vortragen wollen, die eine jüngere Schwester einer ältern schuldig ist. macht auch einen Reverenz. Gehorsame Dienerin! Gnädiges Fräulein. Mich wundert aber nur, daß eine so große Verteidigerin der Ehrfurcht, die wir der Frau Muhme schuldig sind, ihr doch zuweilen solche bittere Pillen ins Gesicht wirft, als ein gewisses Fräulein tut. Das ist wahr: ich sage der Oberstin meine Meinung geradeheraus; und ich verleugne meine gesunde Vernunft aus Hoffnung, eine reiche Erbschaft von ihr zu bekommen, gar nicht; wenn ich nämlich meine, daß sie unrecht hat. Aber was ich von ihr denke, das sage ich ihr selbst; und sie weiß es. Allein hinter ihrem Rücken über sie zu spotten, das ist mir nicht möglich. Und die Magd oder der Bediente sollte unglücklich werden, der sich unterstünde, in meiner Gegenwart nur eine spöttische Miene über die Oberstin zu machen! Ein jeder folgt seinem Kopfe und glaubt, er habe ein Recht dazu. 2. Auftritt Zweiter Auftritt Fräulein Amalie. Fräulein Karoline. Dr. Hippokras. HIPPOKRAS. Untertäniger Diener, gnädige Fräuleins, ich komme zu vernehmen, wie die Frau Oberstin sich befindet; allein ich höre, daß sie noch ein wenig schlummert. Ach! wenn alle Ihre Kranken sich so gut befinden als meine Muhme, so werden die Totengräber mit dem Herrn Doktor schlecht zufrieden sein. HIPPOKRAS. Nun, an deren ihren Beifalle ist mir eben nichts gelegen. Ich will lieber, daß mich die Patienten loben. Setzen Sie sich, Herr Doktor. Sie setzen sich alle. Ich habe diese Nacht bei ihr wachen müssen. Sie hat geschlafen wie ein Tagelöhner. Und das wirst du ihr auch wohl so gerade in die Augen sagen, wenn sie kommen wird? Warum nicht? Freilich werde ich es tun! denn es ist wahr. Sie wird dir's aber gewiß übelnehmen? Warum? Schlafen ist ja keine Sünde! Und sie wird gewiß sagen, sie habe nicht geschlafen. So werde ich die Ehre haben, ihr zu sagen, daß sie sich irrt; und daß das niemand besser wissen kann, als wer bei einem Kranken gewachet hat. HIPPOKRAS. Es ist aber auch nicht allemal gut, mein gnädiges Fräulein, wenn man den Patienten widerspricht. Ja, das hat seinen Grund, wenn sie in der Phantasei des hitzigen Fiebers liegen; wenn sie sich manchmal einbilden, sie hätten Hunde, Katzen oder Eulen um sich: da wäre es töricht, einem Menschen zu widersprechen, der von seinen Sinnen nichts weiß. Aber die Frau Muhme ist in diesem Stande nicht. HIPPOKRAS. Man findet aber oft, daß die Einbildung zur Genesung ebensoviel beiträgt als alles andere. Was sollte die Einbildung, daß sie nicht geschlafen hat, zu ihrer Genesung tun? Zum mindesten kann sie heute sonst ihren guten Nutzen haben. Zur Karoline. Du weißt wohl, wovon wir geredet haben. lacht. O ja! Ich werde meiner Muhme sagen, daß sie recht gut geschlafen hat. Daß ihre Natur so frisch ist, als ich sie mir selbst wünschte. Und daß sie uns noch alle überleben wird. drohend. Je, du Unglücksvogel! was sagst du? lachend. Ja, und dich am ersten. erschrickt. Mich? Ja, dich! dich! Hernach erbe ich deine Gerade und alles! Oh! was werde ich da nicht für Freier kriegen! Klopft in die Hände. schlägt sie mit dem Schnupftuche auf die Achsel. Du gottloser Schalk? HIPPOKRAS. Nein, wenn die Frau Oberstin diesmal darvon kömmt, so fürchte ich hier im Hause sobald keine Leiche, als das gnädige Fräulein droheten. Ach! die Frau Muhme denkt so wenig an den Tod als wir alle. Wenn ich an ihrer Stelle wäre, ich heiratete noch einmal und genösse mein Vermögen recht. Sie lacht. Nun, das ist wahr! Heute brauche ich eine rechte englische Geduld mit dir, Karoline! Ei, das steht einer ältern Schwester gut an! Und was tut die Hoffnung zu einem Testamente nicht? HIPPOKRAS. Vielleicht verschieben Ihre Gnaden also noch das Testament, weil sie so gut geschlafen haben. ängstlich. Das ist es eben, Herr Doktor, wovor mir grauet! Sie müssen es durchaus so weit nicht kommen lassen, daß sie sich heute für gesünder hält als gestern. HIPPOKRAS. Ei! man kann auch solchen wenigen guten Augenblicken nicht trauen; solche Intervalla sind noch keine völlige Besserung. So recht, mein lieber Herr Doktor! machen Sie's nur immer ein bißchen gefährlicher, als es wirklich ist. Nun, nun! tut ihr euer Bestes, ihr einzubilden, daß sie krank sei: ich will mich bestreben, ihr zu beweisen, daß sie so gut als gesund sei. schmeichelnd. Ach, allerliebstes Schwesterchen! du wirst ja das nicht tun. Allerliebst oder nicht: der Oberstin fehlt nichts. schmeichelnd. Liebstes Karolinchen! bedenke, was du sagst! Sie hat aber gewiß gut geschlafen. hält ihr den Mund zu. Nein doch! nein! Und könnte nicht besser tun, als daß sie heute spazierenführe und das lumpne Testament sein ließe. schlägt die Hände zusammen. Ach, liebster Herr Doktor! Spazierenfahren! da wäre ja die arme Frau des Todes! HIPPOKRAS bedenklich. Nein, das wüßte ich nun wohl nicht. Es ist ja das schönste Wetter von der Welt. Ja, zum Testamentmachen! zum Testamentmachen! Nicht wahr, Herr Doktor? HIPPOKRAS macht einen Reverenz. Gehorsamer Diener. zu Karolinen. Da siehst du, daß ich recht habe. Zum Doktor. Ich glaube, die Frau wird nimmermehr gesund, wo sie heute nicht das Testament macht. HIPPOKRAS macht einen Reverenz. Gehorsamer Diener. Ich sage das nicht aus Eigennutz: ungeachtet ich weiß, daß ich das Ansehnlichste davontragen werde. Ich bin gar nicht eigennützig! lächelnd. Oh! nichts minder! zum Doktor. Aber weil sie doch nun einmal mit den Gedanken umgeht, ein Testament zu machen, so schwebt ihr das immer im Sinne. HIPPOKRAS. Unstreitig. zum Doktor. Und daß es ihr immer im Sinne schwebt, das beschäftigt sie immer mit den Gedanken. HIPPOKRAS. Allerdings. zum Doktor. Und diese Gedanken machen sie unruhig. HIPPOKRAS. Ganz recht. Und diese Unruhe läßt sie nicht schlafen. Nicht wahr, Herr Doktor? HIPPOKRAS. Das ist sehr schön und analogisch geschlossen. Also ist kein besser Mittel, als daß sie heute nach Tische das Testament macht. lächelnd. Recht so! Wer sie daran zu hindern suchte, der wäre ihr ärgster Feind. lachend. Meiner auch! Das müßte ein Barbar sein! lachend. O ja! ein Husar und ein Pandur. 3. Auftritt Dritter Auftritt Die Oberstin von Tiefenborn. Die Vorigen. HIPPOKRAS. Untertäniger Knecht, gnädige Frau, ich wünsche, daß Euer Gnaden sich heute etwas leidlicher befinden mögen als gestern. Ach! was wollte ich doch, Herr Doktor! ich habe eine rechte elende Nacht gehabt. Sie geht matt zum Lehnstuhle und setzt sich, der Doktor setzt sich neben ihr, greift ihr an den Puls und sitzt tiefsinnig. Nicht wahr? mein Puls ist ganz matt und unruhig? Ach ja, die Frau Muhme sehen auch heute recht elend aus! Nun, elend sehe ich wohl eben niemals aus ... Oh! ich wollte auch nur sagen, blaß ... kränklich. Schmeichelnd. Wer in seiner Jugend so schön gewesen ist als Eure Gnaden, der kann freilich niemals elend aussehen. Sie winkt seitwärts ihrer Schwester zu. Ohne der Frau Muhme eine Schmeichelei über ihre ehemalige Schönheit zu machen, so kann ich wohl sagen, daß Sie mir gar nicht krank aussehen. Sie müssen recht gut geschlafen haben. zum Doktor, der den Puls fahren läßt. Nun, was sagen Sie, Herr Doktor? HIPPOKRAS bedenklich. Der Puls ... der Puls ist ... etwas bewegt. kränklich. Ich habe eine sehr elende Nacht gehabt. HIPPOKRAS. So? so haben Sie eine elende Nacht gehabt? Karoline schüttelt den Kopf. HIPPOKRAS. Haben Sie denn auch Beängstigungen gehabt? Ach! erschreckliche. HIPPOKRAS. So? So haben Eure Gnaden Beängstigungen gehabt? Haben Sie denn gestern abend etwas gespeiset? Etwas weniges, aber ohne Appetit. Nun, da müssen Sie Ihrem Appetite große Gewalt antun können. Anderthalb Rebhühner, ohne die Voressen, zu verzehren? und das wider den Appetit? Sie schüttelt den Kopf. winkt der Schwester. Ich habe genau drauf achtgegeben, daß die Frau Muhme sie fast ganz auf dem Teller hat liegenlassen. Ach! mein Essen hieß gar nichts! HIPPOKRAS. So? so haben Sie also nicht gegessen? Haben Euer Gnaden denn auch Durst gehabt? Nein, darüber kann ich eben nicht klagen. HIPPOKRAS. So? so haben Sie also keinen Durst gehabt? Ach! wenn nur die Nacht nicht so gar schlecht gewesen wäre! Nun, so gar arg ist sie doch auch nicht gewesen, Frau Muhme. Fräulein Amalie winkt ihr mit dem Kopfe, sie soll schweigen. Nicht arg? Ich habe fast kein Auge zugetan? winkt Karolinen. Und ich wollte sagen, Sie hätten keines aufgetan. Sie haben recht fest geschlafen, Frau Muhme. Was du nun für eine Lust am Widersprechen hast! Ich werde doch wohl am besten wissen, wie mir zumute ist. Ja, im Tage will ich Euer Gnaden gern recht geben; da müssen Sie am besten wissen, wie Ihnen zumute ist: allein von dieser Nacht, da ich bei Ihnen gewacht und Sie geschlafen haben, da gilt mein Zeugnis mehr. schmeichelnd. Ja, gewiß, allerliebste Frau Muhme, Karoline muß geschlafen haben. Ich habe auf meiner Stube Euer Gnaden stöhnen hören. Sie winkt Fräulein Karolinen. Nun, da hörst du es! Ich habe treulich gewacht: denn was ich tue, das tue ich recht oder lasse es lieber gar bleiben. Allein ich weiß wohl, daß ... Ach, Karoline, ärgere doch die Frau Muhme nicht mit deinem ewigen Widersprechen. Sage mir nur, was die Frau Muhme für einen Vorteil davon hat, wenn wir ihr weismachen, daß sie eine schlechte Nacht gehabt: da sie doch besser geschlafen hat als vielleicht wir alle. HIPPOKRAS. Nun, es gibt gewisse Arten von Einschläferungen, die nur mehr eine Ohnmacht und Übertäubung als ein rechter Schlaf sind. Man kann aber gar leicht eins mit dem andern verwechseln. Ja, so ist es auch: es ist lauter Ohnmacht gewesen. besorglich. Und die sind gar nicht gut! das verwandelt sich zuweilen im Augen blicke in einen Schlagfluß. HIPPOKRAS. Das will ich wohl noch nicht hoffen; allein gar zu sicher darf man dabei doch auch nicht sein. Drum eben will ich noch heute mein Haus bestellen und eine Richtigkeit machen, wie es mit meinem Vermögen nach meinem Tode gehalten werden soll. erfreut. Ach, allerliebste Frau Muhme, Sie küßt ihr die Hand und schmeichelt ihr. daran tun Sie ja recht wohl. So sind Sie doch einmal die Sorge los! es liegt Ihnen doch auch immer wie ein Stein auf dem Herzen! Mich dünkt, du dringst wohl sehr auf das Testament? schmeichelnd. Ich? Ach nein, allerliebste Frau Muhme! Es geht mich ja nichts an. Ich habe ja nichts um Sie verdient und kann Ihnen schon das, was Sie bisher an mir als einer armen Waise getan haben, nicht genug verdanken! Du hast wohl recht! wir können uns an der bisherigen Gnade der Frau Oberstin begnügen lassen und ihr lieber ein so langes Leben wünschen, daß sie alle die, die sie in ihr Testament zu setzen gesonnen ist, überleben möge. Ich? Ja, gnädige Frau Muhme. Es ist niemand näher zu Ihrem Vermögen als Sie selbst, und ich habe gute Hoffnung, daß mein Wunsch eintreffen wird. Du mußt doch wohl denken, ich sei von Stahl und Eisen: weil ich etwa Sie stöhnt. nicht viel stöhne und ächze. Ei! daran fehlt es gar nicht. Aber ich fühle mich selbst am besten, und es wird vielleicht heute abend noch manchen gereuen, daß er die Krankheiten einer reichen Person so leichtsinnig angesehen hat. Sie schüttelt den Kopf. schmeichelnd. Ach, allerliebstes Frau Mühmchen, ärgern Sie sich doch nur nicht. Wenn diese Drohung etwa mich gelten soll: so bitte ich Sie selbst, Frau Muhme, mir in Ihrem Testamente alle Gunst zu entziehen, die ich nicht verdiene. Ich erkenne den Wert der Gnade, die Sie mir bereits erzeigt haben, viel zu sehr, als daß ich mir wünschte, Sie zu überleben: vielweniger werde ich nach Ihrem Tode imstande sein, den Tod einer Person zu belachen, die ich im Leben als eine Mutter verehret habe. Sie küßt ihr ehrerbietig die Hand und geht ab. 4. Auftritt Vierter Auftritt Frau von Tiefenborn. Fräulein Amalie. Dr. Hippokras. Das ist ein kleiner Trotzkopf! aber sie meint's doch nicht böse. schmeichelnd. Ach, sie hat ein Herz wie ein Stein! sie macht sich aus Euer Gnaden Zufällen gar nichts. Sie ist der Gnade nicht wert, die Sie gegen sie haben. spöttisch. Und das sagest du von ihr, ob sie gleich deine Schwester ist? verwirrt. Ei! ... Ich? ... sie macht es aber auch gar zu arg. bedenklich. Sie macht es freilich arg. Indessen hat doch die Ehrlichkeit immer etwas an sich, das einem gefällt und Sie sieht Amalien starr an. zuweilen der Falschheit den Rang abläuft. Zum Doktor. Ja, was raten Sie mir nun weiterzubrauchen, Herr Doktor? HIPPOKRAS. Haben Euer Gnaden heute früh die Tropfen genommen? Ja; heute um neun Uhr. HIPPOKRAS. Auch sonst etwas darauf zu sich genommen? Nein, mir ekelt vor allem Tee und Kaffee! HIPPOKRAS. Wie, wenn Euer Gnaden ein Schälchen Schokolade versuchten? Es wäre doch besser, als wenn der Magen vor der Mittagsmahlzeit so gar leer bleibt. Ich will sehen, ob ich sie genießen kann. Zu Fräulein Amalien. Amalie, geh, befiehl der Kammerfrauen, daß sie geschwinde welche machen soll. schmeichelnd. Ach, ich lasse sie keinen fremden Menschen machen. Ich will sie mit eignen Händen kochen. Geht ab. 5. Auftritt Fünfter Auftritt Frau von Tiefenborn, die, da Amalie weg ist, nicht so gar kränklich mehr tut. Dr. Hippokras. Nun wollen wir meine Krankheit beiseitegestellet sein lassen. Die Wahrheit zu sagen, Karoline hat recht; ich habe ziemlich gut geschlafen und befinde mich heute außer den Kopfschmerzen und Herzensstichen noch so ziemlich. HIPPOKRAS. Das ist mir eine große Freude, das übrige wird sich noch wohl mit der Zeit geben. Große Krankheiten kommen freilich zu Pferde und ziehen zu Fuße ab. Eure Gnaden haben auch ein sehr schweres Lager überstanden! Ich werde den Fleiß und die Geschicklichkeit, die Sie an mir bewiesen haben, gehörig zu erkennen und zu belohnen suchen. Sagen Sie mir indessen nur, was Sie hier von meinen jungen Leuten gemerkt haben? Ich merke wohl, daß Amalie und ihr Bruder mich bewachen. Wenn sie mir nur nicht auch die Briefe von meinem Schwager auffangen: denn ich habe mir schon seit drei Tagen welche vermutet. HIPPOKRAS. Nein, das fürchte ich nicht. Der Kammerdiener des Herrn Landrats von Ziegendorf ist ein schlauer Gast und wird die Briefe nicht leicht jemanden anders geben als Euer Gnaden selbst. Vielleicht aber steht ihm sonst etwas im Wege; oder er will etwa gar selbst kommen. Haben Sie denn meinen Neffen ein wenig ausgefragt? HIPPOKRAS lächelnd. Bei dem braucht man keine großen Künste, ihn auszufragen. Er sagt's geradeheraus, Euer Gnaden könnten ihm so viel nicht vermachen, daß er nicht schon die Hälfte davon vertan haben müßte. Der böse Mensch! Aber wo nimmt er immermehr das Geld her? HIPPOKRAS. Ach! gnädige Frau, es gibt leider solch verdammte Menschen im Lande, die den jungen Leuten, welche nur einige Hoffnung zu einem Vermögen haben, durch Vorschuß eine Gelegenheit zu allen Lastern geben. heftig. Daß sie doch nur alle ihr Leben lang keinen Heller wieder bekommen möchten! Das wäre ihr rechter Lohn. HIPPOKRAS. Heute abend hat er einen großen Schmaus in N., Euer Gnaden Gute, angestellet. Der junge Kaltenbrunn? HIPPOKRAS. Er hat mir's selbst gesagt; weil seine Frau Muhme ihm unfehlbar etliche von ihren Rittergütern vermachen würde; so wolle er dies zuerst mit Trompeten und Pauken einweihen. schüttelt den Kopf. Und was sagt Amalie? HIPPOKRAS. Oh! die hat mich himmelhoch gebeten, ich möchte Eure Gnaden recht sehr krank machen, damit ja das Testament nur zustande käme. Sie bildet sich gewiß ein, sie werde das allermeiste bekommen, weil sie sich Euer Gnaden am meisten bequemt. schüttelt den Kopf. Ich traue ihrer Ehrlichkeit doch nicht viel. HIPPOKRAS. Ich mache nicht gern Feindschaft unter nahen Verwandten; allein, ich glaube gleichfalls, daß ihr Herz gegen Eure Gnaden nicht so beschaffen sei, als ihr Mund es saget. Darauf wollte ich fast wetten. Die Karoline hergegen ist ehrlich und uneigennützig; aber sie hat einen unüberwindlichen Starrkopf und gäbe mir nicht recht, wenn ich ihr auch mein ganzes Vermögen vermachte. HIPPOKRAS. In Eurer Gnaden Abwesenheit ist sie aber die einzige, die dero Seite gegen die andern hält und nichts Böses von Ihnen sagt. Spielen Sie Ihre Rolle nur weiter, Herr Doktor. Sie bleiben doch heute zu Mittage bei mir zu Tische? HIPPOKRAS. Ich habe zwar ein paar Wöchnerinnen zu besuchen. Ei, ich bitte Sie, bleiben Sie. Sie müssen ohnedies Zeuge beim Testamente sein. HIPPOKRAS. Wenn Eure Gnaden es also befehlen? Machen Sie mich nur immer brav krank. Ich will auch recht sehr stöhnen. So locken wir den jungen Leuten ihre wahren Meinungen immer mehr heraus. 6. Auftritt Sechster Auftritt Die Vorigen. Heinrich. Fräulein Amalie läßt vernehmen, ob Eure Gnaden befehlen, daß die Schokolade hieher gebracht werden soll? stöhnend. Nein, ich will sie in meinem Wohnzimmer trinken. Kommen Sie mit, Herr Doktor, Sie sollen sie erst kosten. Sie gehen alle ab. Ende des ersten Aufzuges. 2. Akt 1. Auftritt Erster Auftritt Fräulein Amalie. Herr von Kaltenbrunn. Wie hat denn die Oberstin diese Nacht geschlafen? Karoline spricht, sie hätte recht gut geschlafen, und es kann auch wohl sein; aber es ist doch nicht ratsam, daß sie das selber glaube: sonst möchte sie etwa das Testament verschoben haben. Ich habe ihr also weisgemacht, daß sie eine rechte elende Nacht gehabt hat. Da hast du ja recht wohl daran getan, mein Schwesterchen! Ich will mich auch dafür heute auf deine Gesundheit volltrinken. spöttisch. Das wird mir eine rechte Ehre sein! Ja, heute will ich saufen, bis ich das Blaue am Himmel nicht mehr sehen kann! Er springt herum. Heisa! lustig! spöttisch. Das wäre eine rechte Heldentat sein! Und wo willst du denn diese schönen Übungen treiben? Gewiß wirst du den Abend wieder bei dem tollen Rittmeister zubringen wollen, der im nächsten Dorfe im Quartiere liegt? Nein; heute will ich selbst Wirt sein. Ich werde meine Gäste in der Schenke zu Reichenhof bewirten. Der Schmaus wird mich zwar viel Geld kosten; aber ich werde auch recht viel Ehre davon haben! Und wer werden denn die Gäste sein? Meine allerbesten Freunde! Meine Wohltäter! Die einzigen Menschen in der Welt, die noch ein rechtes ehrliches deutsches Blut in den Adern haben. lächelnd. Hilf, Himmel! So nenne mir doch diese trefflichen Leute. Ich will sie dir endlich wohl nennen; aber du mußt mich nur nicht verraten. Fürs erste mein ordentlicher Weinschenk aus der Stadt ... Der Weinschenk? Dein Wohltäter? Freilich ist er mein Wohltäter. Ich bin ihm mehr als tausend Taler für Wein schuldig; und doch hat er mich noch niemals gemahnet. Er hat mich vielmehr versichert, wenn die Oberstin mich im Testamente bedächte: so wollte er mir bis an ihren Tod auf Kredit Wein geben: und hernach sollte ich ihm nur jede Kanne vier Groschen höher bezahlen als andere Leute. Das ist ja kein Geld für einen so reichen Kavalier, als ich heute zu werden denke! lachend. O ja, freilich! Nun, so störe mich auch nicht! der Weinschenk also: Er zählet an den Fingern, Amalie lacht, so oft er einen nennet. Hernach mein Schneider: das ist wahrhaftig ein recht braver Mann. Ich glaube, daß ich ihm allein von diesem Jahre mehr für Kleider schuldig bin, als alle andere Edelleute in zwei Jahren brauchen. lachend. Ich sehe doch niemals, daß du ein rechtes reiches Kleid anhast. Ja, Er zuckt die Achseln. wenn man im Spielen unglücklich ist! da muß freilich wohl alles her, was man bei der Seele hat. Hernach habe ich noch der Oberstin ihren Kammerdiener, der mein rechter Herzensfreund ist, und zween Juden gebeten ... lachend. Haha! die werden etwa das ehrliche deutsche Blut sein! Das kann ich dich versichern, daß mir die beiden Leute bessere Dienste getan haben, als mancher Christ mir tun würde. Wo hätte ich manchmal Geld hergenommen, wenn sie mir nicht welches geliehen hätten? Aber freilich werden die lieben Leute mit der Zeit auch ungeduldig: und die alte Oberstin hat hohe Zeit, daß sie ein Testament macht und sich hinlegt und stirbt; sonst muß ich noch vor aller Welt zuschanden werden. Rede du doch von Schande! Was ist dir wohl mehr Schande, als daß du dich mit solchem Lumpengesindel, Schneidern und Lakaien und Juden in eine Gesellschaft setzest? Das ist ein recht schöner Umgang für einen Edelmann! Das verstehst du nich, meine gute Amalie. Sie sind alle Freimäurer, und bei unserm Orden nehmen wir es mit dem Stande nicht so genau. O ja! euer Orden mag ein trefflicher Orden sein! Ei! ei! schimpfe du nur nicht wieder drauf, wie du immer zu tun gewohnt bist. Man darf nur dich und deinesgleichen ansehen, so kann man sich wahrhaftig doch keinen vorteilhaften Begriff davon machen. Liederliche junge Windfänge seid ihr! Spielen und Saufen treibt ihr im höchsten Grade. Ihr verschwendet euer Geld; und wenn ihr auch des großen Mogols Schätze hättet, so stürbt ihr doch als Bettler. Ein jeder stirbt reich oder arm, wie er will. Ich will lieber als ein Bettler sterben, als daß ich mein Vermögen einem so undankbaren Tierchen nachlassen sollte, als du bist. Das weiß ich wohl, daß ich nichts von dir zu hoffen habe, du garstiger Mensch! Sieh nur einmal das Fräulein von Erbenfeld, wieviel Freier sie hat: weil ihr Bruder ein reicher und sparsamer Mensch ist und die Schwindsucht hat, so daß er es nicht lange mehr treiben kann? Du vertust alles Deinige und ... Und habe auch nicht die Schwindsucht? Nicht wahr? Er lacht und springt herum. lächelnd. Nun freilich, du bist gesund wie ein Reitknecht. Man hat gar keinen Vorteil darvon, daß man deine Schwester ist. lachend. Warte nur, du sollst doch noch von mir was erben! Wenn ich erst alles werde vertan haben, was die Oberstin mir vermachen wird, so will ich mir hernach eine Frau nehmen, die eine Bettlerin ist wie ich: denn auf die Gleichheit kömmt im Ehestande viel an. muß lachen. O schön! du wilde Hummel! bist du unsinnig? Und wenn ich denn mit der eine halbe Mandel Kinder bekomme, so will ich mich in Franzbranntwein zu Tode saufen und dir meine kleinen Kinder vermachen. halb böse, halb lachend. Ja, den Hals will ich der Bettlerbrut umdrehen! Unterstehe dich nur ... 2. Auftritt Zweiter Auftritt Die Vorigen. Fräulein Karoline. Was gibt's? Kinder! was zankt ihr euch? Amalie wird böse, weil ich ihr verspreche, daß sie nach meinem Tode meine Universalerbin sein soll. schüttelt den Kopf. Darüber wird sie böse? Man erzürnt sie doch sonst nicht leichtlich mit Erbschaften. Ja, die schöne Erbschaft! Erst will er sich zum Bettler schwelgen, und dann will er eine Bettlerin nehmen: und das halbe Schock Kinder, was er nachläßt, das soll meine Erbschaft sein. lacht. Ha, ha! Nun, das ist ein schöner Lebenslauf! Verzeih mir, Amalie, ich sagte nur eine halbe Mandel Kinder. Ja, du bist ein vortrefflicher Kavalier! das ist wahr! Denke nur an, Karoline, da will er heute mit Schneidern, Lakaien und Juden schmausen gehn und ... Ja, was meinest du wohl, Karoline? Sie nimmt mir's übel, daß ich nicht die Schwindsucht habe wie der Erbenfeldin ihr Bruder. Nun! wer sagt denn das? ... Und ihr zum Possen will ich nun achtzig Jahre alt werden. Das wollt' ich für mein Teil dir gern gönnen, mein lieber Bruder: aber ich hoffe es nicht. Ernsthaft. Du selbst bist der ärgste Feind deiner Gesundheit. Wie hast du dich in denen zween Jahren, da du in die lüderlichen Gesellschaften geraten bist, nicht geändert! Du blühtest sonst wie eine Rose! Itzt siehst du aus wie ein Gespenst! Ach, das ließ mir so weibisch! Es ist mir recht lieb, daß ich mir eine hübsche männliche Farbe an den Hals gesoffen habe. Ja, es läßt einem auch recht männlich, wenn man so dürre und abgemergelt aussieht, daß einen ein Kind mit einem Finger über einen Haufen stoßen könnte. Kurzum, wenn man in deinen Jahren schon halb blind ist, den ordentlichen gesunden Appetit und sowohl Fleisch als Farbe verloren hat, so ist man in seinem achtzehnten Jahre vierundsechzig alt: und folglich hättest du allem Ansehen nach noch sechs Jahre bis an dein siebenzigstes zu leben. Possen! Possen! Er springt herum. Ich will meinem Weinschenken noch über vierzig Jahre ein ebenso guter Kunde sein als itzund. Es ist wahr, man hat keine Ehre von einem solchen Bruder! Ein jeder scheuet sich, einen solchen Schwager zu haben. höhnisch. Wenn ich ein Freier wäre und kennte euch alle beide so gut, als ich itzt zu tun die Ehre habe, so stünde mir zwar der Schwager nicht an, aber die Braut auch nicht. höhnisch. Der Himmel hat dir viel Körbe erspart, daß er dich zu keiner Mannsperson gemacht hat. zu Karolinen. Das war ein Puff! der schadet dir nichts! höhnisch. Hm! Gewisse Fräuleins würden mir doch wohl eine Weile geliebkoset haben, um nur durch mich die Anzahl ihrer Freier zu vermehren. 3. Auftritt Dritter Auftritt Fräulein Amalie. Fräulein Karoline. Herr von Kaltenbrunn. Herr von Kreuzweg. Gehorsamer Diener, gnädige Fräuleins! Er küßt ihnen beiden die Hand, und der junge von Kaltenbrunn umarmet ihn. Ihr Diener, mein Herr von Kaltenbrunn. Nehmen Sie es ja nicht übel, mein Herr von Kreuzweg, daß ich Ihnen nicht entgegengekommen. Ich habe nicht gewußt, daß Sie herkommen würden. Ich komme gleichwohl auf Befehl der Frau Oberstin, die mich zu Tische rufen lassen. Die Oberstin? Und durch wen? Sie hat es schriftlich getan. erschrocken. Wer, Teufel, hat Ihnen den Brief gebracht? Mich dünkt, es war der lange, hagre Jäger. Die Bestie will ich prellen! Das Hagelsgesinde weiß es doch, daß sie der Alten ohne unser Wissen nichts bestellen sollen! Freilich, die Leute werden noch einmal ein Unglück mit ihrer Verschwiegenheit anrichten. Indessen ist es uns dennoch sehr angenehm, daß wir die Ehre haben, Sie hier zu sehen. Ein so artiger Kavalier als der Herr von Kreuzweg ist allemal willkommen. Gehorsamer Diener, gnädiges Fräulein. Ich habe schon gedacht, daß hier heute starke Gesellschaft sein würde, weil ich des Herrn von Ziegendorfs Kutsche unten stehen gesehen. erschrocken. Wessen Kutsche? auch erschrocken. Das wäre der Teufel! Es ist nicht anders. Herr von Ziegendorf ist bei der Frau Oberstin im Zimmer. So will ich gehen und die Kerle einmal alle zusammenprügeln, daß sie wider meinen Befehl jemanden zu der alten Muhme lassen. Er eilet fort. Und ich muß das Gespräch unterbrechen gehen. Sie werden es nicht übelnehmen, mein Herr von Kreuzweg. Ich muß für mein und meines Geschwisters Bestes sorgen: denn das ist Sie zeigt auf ihre Schwester. eine Philosophin, die lieber heute als morgen betteln ginge. Sie geht ab. 4. Auftritt Vierter Auftritt Fräulein Karoline. Herr von Kreuzweg. Setzen Sie sich doch, mein Herr von Kreuzweg. Sie setzen sich beide. Karoline lacht. Ist das nicht eine Angst um das leidige Testament! Die beiden Leute begehen die ärgsten Torheiten. zuckt die Achseln. Ha! gnädiges Fräulein! das Geld ist gleichwohl ein notwendig Übel in der Welt. Drum muß man sich nur soviel wünschen, als man zur höchsten Not braucht: und daran hat die Oberstin es uns noch nie fehlen lassen. Es wäre doch aber schade, daß diejenigen, die ihr von Kindheit an soviel Vergnügen gemacht und ihr soviel Dienste geleistet haben, nicht auch die Erben ihres Vermögens werden sollten. Das wird die Frau Oberstin am besten wissen. Ich traue es ihr zu, daß sie uns gewiß bedenken wird, wofern sie glaubt, wir hätten es um sie verdienet. Aber ein wenig Gefälligkeit! Ich weiß schon, was Sie sagen wollen. Ich soll mich aus Hoffnung einer Erbschaft immer enthalten, der Frau Muhme die Wahrheit zu sagen. Aber das ist mir unmöglich. Ich wünsche mir in der Welt Wasser und Brot und die edle Freiheit, daß ich einem jeden meine Meinung unverhohlen sagen darf. Die Fräulein Schwester wird allem Ansehen nach von ihrer großen Gefälligkeit gegen die Frau Oberstin keinen Schaden haben. Das wird mir nicht unlieb sein. Ich gönne meiner Schwester gern ihr Glück! Sie meint es aber gewiß nicht so, wie sie sich stellet: und wenn die Belohnungen allemal nach den innern Verdiensten ausgeteilet würden, so möchte die Frau Oberstin wohl einen Unterschied unter zwoen Schwestern machen, deren Herzen mit sehr ungleichen Empfindungen gegen sie erfüllet sind. Ich weiß nicht, was Sie sagen wollen. Allein da man von andern Leuten gern nach dem urteilet, was man selbst tun würde, so denke ich: dasjenige, was ich einem durch ein Testament schenke, sei eine Belohnung dafür, daß er es redlich mit mir gemeint hat. Ganz recht. Und nicht dafür, daß er sich nur so gestellet hat. Ich habe gar nichts einzuwenden. Und so hoffe ich, wird die Frau Oberstin auch denken. Denkt sie aber anders: so werde ich doch allezeit den Trost haben, daß ich es besser um sie verdienet habe. Ich versichere, daß ich dieses von Herzen wünschte, und daß es mir leid sein sollte, wenn der Fräulein Schwester großes Vermögen Ihnen, gnädiges Fräulein, ein Herz entziehen sollte, daß Dieselben aufs vollkommenste verehret. Ich weiß nicht, was Sie damit sagen wollen. Ich weiß aber wohl, daß, da mir der Eigennutz an meiner eigenen Schwester verhaßt ist, ich ihn noch viel weniger bei andern Personen leiden kann. 5. Auftritt Fünfter Auftritt Fräulein Karoline. Herr von Kreuzweg. Herr von Kaltenbrunn. O mein allerliebster Herr von Kreuzweg! tun Sie mir doch die Liebe und schicken diesen Brief mit einem von Dero Bedienten auf eins von den Gütern meiner Muhme. Von Herzen gern. Warum kannst du ihn nicht mit einem von unsern Leuten schicken? Sie werden doch nicht alle ausgestorben sein? Ich darf nicht. Der Stallmeister sagte mir, die Oberstin hätte ihm befehlen lassen, er sollte den großen Reisewagen instand setzen. Nun fürchte ich, sie möchte Lust haben, mit dem von Ziegendorf auf sein Gut zu fahren ... lächelnd. Nun? und das wirst du ihr doch wohl nicht wehren können? Ja freilich! Ich habe dem Wagenmeister befohlen, ihr zu sagen, daß alle Pferde im Stalle unbrauchbar sind. schüttelt den Kopf. Wahrhaftig, Bruder! du gehst in deiner Kühnheit, die Oberstin bei der Nase herumzuführen, zu weit. Ich habe itzt keine Zeit, deine Predigten anzuhören. Zum Herrn von Kreuzweg. Wollen Sie mir die Liebe tun, mein Herr von Kreuzweg? O ja! von Herzen gern. Man muß freilich alle Mittel ergreifen, sein Bestes zu besorgen. Kommen Sie! kommen Sie geschwinde! Sie gehen ab. Fräulein Karoline geht allein im Zimmer herum und schüttelt den Kopf, als wenn sie sich über ihre Geschwister aufhält, bald darauf kömmt. 6. Auftritt Sechster Auftritt Die Oberstin von Tiefenborn. Der Herr von Ziegendorf und Fräulein Karoline. stöhnend. Ich weiß meinem Jammer keinen Rat, wofern ich mehrere solche elende Nächte ausstehen soll, als die vorige gewesen ist. Fräulein Karoline schüttelt den Kopf und ärgert sich. Das ist mir von Herzen leid, Frau Schwester: allein, lassen Sie denn auch jemand bei sich wachen, weil Ihr Schlaf so schlecht beschaffen ist? setzt sich stöhnend nieder, Herr von Ziegendorf setzt sich auch. Ach ja! allein, was hilft mich's, als daß ich nur den andern Tag ausgelachet werde? Ei! wer wird denn das tun? zeigt auf Fräulein Karolinen. Da steht eben der saubere Vogel! Die hat diese Nacht bei mir wachen müssen, und itzt will sie mir weismachen, ich hätte recht gut geschlafen: da ich doch kein Auge zugetan habe. Sie wissen, gnädige Frau Muhme, daß mir auf der Welt nichs unmöglicher ist, als wider die Wahrheit zu reden. Sie wollen eine schlechte Nacht gehabt haben? Ich habe mich gefreut, daß Sie gut geschlafen haben. Und wenn Sie ein Belieben finden, sich krank zu machen und es zu glauben, so ist es mir eine wahre Freude, Sie so wohlauf zu sehen, als Sie sind. zum Herrn von Ziegendorf. Nun, da sehen Sie's, Herr Bruder! Das soll mich nun nicht kränken! Nein! ehe ich Sie kränken will, so will ich's Ihnen lieber zugestehen und sagen: daß das, was ich für eine rechte gute Nacht gehalten habe, ein gestörter und kranker Schlaf gewesen ist. Sie geht ab. 7. Auftritt Siebenter Auftritt Die Oberstin von Tiefenborn. Herr von Ziegendorf. lacht, als Fräulein Karoline weg ist. Ich dachte es wohl, daß sie böse werden und davonlaufen würde. Glauben Sie mir's, in meinem ganzen Hause meint es niemand redlich mit mir als dies einzige Kind. Das ist ein schlechter Lohn für soviel genossene Wohltaten! Indessen muß dies Eure Gnaden in Dero Entschlusse nur noch mehr befestigen. Ja, mein Entschluß bleibt fest gestellt. Ich muß den Frevel meines Neffen und der ältesten Nichtel bestrafen. Aber warum haben Sie mir nicht geschrieben? Ich habe Eurer Gnaden innerhalb acht Tagen drei Briefe geschrieben. lacht. Ich habe aber keinen einzigen empfangen. Sollten auch die jungen Leute sie bekommen haben? Ja, wenn ich sie mit einem so dummen Boten geschickt hätte, so wäre es wohl gewiß geschehen: aber mein Kammerdiener ist ihnen viel zu listig. Warum habe ich denn keinen bekommen? Weil mein Kammerdiener nicht hat vor Sie kommen können. Und warum das nicht? Er ist von den Bedienten immer dem jungen von Kaltenbrunn gemeldet worden. Und der hat ihn niemals vor Eure Gnaden lassen wollen, wofern er ihm nicht sagte, was er wollte. schüttelt den Kopf. Was das für eine Verwegenheit ist! Ja, zuletzt hat er ihm gedrohet, er wolle ihm eine Kugel durch den Kopf jagen, wofern er sich's unterstünde, noch einmal wiederzukommen. Das ist ein unverschämter Junge! Kurzum, Eure Gnaden sind nicht anders als eine Gefangene derer Kinder, die Ihnen doch ihre ganze Erziehung zu danken haben. Freilich. Kaum hatte Amalie von Ihrer Ankunft bei mir Wind bekommen, so war sie gleich in meinem Zimmer und wollte uns belauschen. Sie wird auch itzt wohl bald wiederkommen. Nein, ich habe ihr einen Brief an meinen Kaufmann in der Stadt zu schreiben gegeben. Den kann sie in keiner Stunde fertigbekommen. Eure Gnaden täten Sünde, wenn Sie die schöne Blüte ihrer Jahre verschleudern und sich durch ein Testament für eine Person erklären wollten, die ins Grab gehört. ziert sich. So? meinen Sie das, Herr Schwager. Ich bin doch aber schon vierzig Jahre vorbei, und wenn ich nicht so reich wäre: so unterstünde sich's wohl mancher, mich für funfzig Jahre alt zu halten. lacht. Ei was, funfzig! Eure Gnaden können es mit den jüngsten Fräuleins aufnehmen; und mein Bruder wird Sie niemals anders als für ein Frauenzimmer von dreißig Jahren ansehen. ziert sich. Meinen Sie das? Herr Schwager? Ja, dafür stehe ich Eurer Gnaden. Ja, ich habe ihn immer für einen Kavalier gehalten, der Verstand genug hat, die Änderung einzusehen, die ein großes Vermögen in eines Menschen Verstand, Alter und Vorzügen machen kann. Ei! das hat er längst gewußt! Man wird nicht leicht zween Brüder treffen, die hierinnen so sehr eines Sinnes sind als wir. Wenn ich meine Frau ihrer Person nach betrachte, so gefällt sie mir eben nicht gar zu sehr: wenn ich aber ihr Vermögen bedenke, was sie mir zugebracht hat, so vertausche ich sie mit keiner Helena. wischt sich die Augen, als wenn sie weinte. bestürzt. Aber was fehlt Euer Gnaden? weint. Ach, lieber Herr Bruder! bestürzt. Ist Ihnen etwa übel, Frau Schwester? weint. Ach nein! bestürzt. Warum weinen Sie denn? weinend. Ach! ich denke an meinen seligen Gemahl! Ei! Gnädige Frau, was gehen die Toten Sie an? Wir wollen itzt von den Lebendigen reden. weinend. Ach! was würde er sagen, wenn er wüßte, daß seine Witwe, die er so zärtlich ... Sie weint. Ei, Frau Schwester. Er ist tot und hat keinen Anspruch mehr auf Sie zu machen. weinend. Die er so zärtlich geliebet hat, einen andern Gemahl nehmen will? Ei! das kann er und das ganze Reich der Toten Ihnen nicht wehren! weinend. Ja, aber mir fällt ein wichtiger Einwurf ein. Sie wischt sich die Augen. Und welcher denn? weinend. Ach! So sagen Sie ihn doch; vielleicht kann ich ihn heben. weinend. Ich gab meinem seligen Gemahl auf dem Todbette das Wort, daß ich mein Tage nicht wieder heiraten wollte. lachend. Ist's nichts mehr als das? weinend. Dafür ließ er mich auch im Besitze aller seiner Güter. Ei, Possen! das versprechen viele Witwen: aber die meisten besinnen sich hernach anders. Es ist wahr, daß ich ein paar Monate darauf eine ziemliche Neigung zu einem gewissen reichen Kavalier hatte: als ich ihm aber das Jawort geben wollte, so legte er sich hin und starb. lachend. Nun, auf die Gefahr wird es mein Bruder schon ankommen lassen! Es ist doch aber eine Gewissenssache! Ei! wer wird sich aus allem gleich ein Gewissen machen! weinend. Aber was man den Toten verspricht, das soll man doch halten. Wenn man den Sterbenden etwas Unbilliges verspricht, so begeht man einen Fehler: und wenn man das unbillige Versprochene hält, so begeht man zween Fehler. Ich habe aber einmal in einem sehr hübschen Buche gelesen: Eine Witwe könnte nur zweierlei Ursachen zum Heiraten haben; sonst täte sie sehr unbillig, wenn sie noch einen Mann nähme. lachend. Ei! das Buch ist ein Narr! Die erste Ursache wäre, wenn sie aus Not heiratete; und die habe ich nicht. schüttelt den Kopf. Ei, Possen! Und die andere wäre aus Temperament. Sie tut sehr geziert. Und die habe ich auch nicht: ob ich gleich eben so alt noch nicht bin und wohl jeder Mensch Fleisch und Blut hat ... Allein wer reich ist, der kann solche Fehler nicht an sich haben. lachend. Ich sage es Ihnen, das sind alles lauter Possen! Also hätte das Buch unrecht? Höchst unrecht! Glauben Sie mir's! Wenn es aber auch recht hätte, und Eure Gnaden hätten die zwo Ursachen nicht, so haben Sie eine dritte, die noch ärger ist als die beiden; nämlich, daß Sie hier gleichsam in Ketten und Banden gehalten werden und für alles Ihr Vermögen noch dazu eine Sklavin Ihrer lachenden Erben sein sollen. Das ist wohl wahr! davon stand in dem Buche nichts. Und daß Ihr Neffe Sie noch zur armen Frau schwelgen wird. nimmt eine Glocke vom Tische und klingelt. Das ist wohl wahr. Ich will also den Doktor holen lassen, und wir wollen unsere Abrede mit ihm nehmen. 8. Auftritt Achter Auftritt Die Vorigen. Heinrich. Was befehlen Eure Gnaden? stöhnend. Ruft den Herrn Doktor Hippokras ein wenig her. Sehr wohl. Geht ab. 9. Auftritt Neunter Auftritt Frau von Tiefenborn. Herr von Ziegendorf. Er weiß doch schon, was Eure Gnaden im Sinne haben? Nein, meinen Hauptvorsatz weiß er noch nicht. Teils, weil ich noch einige Zweifel hatte, die Sie mir itzt benommen haben; teils auch, weil ich mich ... schäme ... daß ... eine zehnjährige Witwe ... lachend. Ei! des Stehlens und der Lügen muß man sich schämen: aber was Eure Gnaden tun wollen, das ist eine Sache, die täglich in der Welt geschieht. 10. Auftritt Zehnter Auftritt Die Vorigen. Dr. Hippokras. HIPPOKRAS. Was befehlen Eure Gnaden? Ich will Sie nur nochmals erinnern, daß Sie bei Tische mich brav krank machen sollen. HIPPOKRAS. Gar wohl! Ich will tapfer helfen. Eure Gnaden sollen ein recht lebendiges Hospital werden. zum Doktor. Es hat seine Ursachen; und damit meine Hausgenossen es noch mehr glauben: so wird nach Tische ein gewisser Doktor herkommen, der zwar keiner ist; allein, das schadet ihm nicht. HIPPOKRAS verwundernd. So? Es ist sonst eine Person, die die gnädige Frau gern sprechen will, und die sie auf diese Weise am besten sprechen kann. HIPPOKRAS. So, so! Denn sonst! wenn Eure Gnaden nur bloß krank bleiben wollten: so brauchten Sie eben nicht noch einen Arzt holen zu lassen. Eure Gnaden krank zu erhalten, das kann ich so gut als einer von meinen Kollegen. Das glaube ich wohl, Herr Doktor. Allein Sie haben nichts zu besorgen. Er ist nichts weniger als ein Arzt. lacht. Nein, nein! Sie wissen, wie meine junge Brut mich hier bewachet, und daß sie keinen Menschen zu mir läßt. HIPPOKRAS lachend. Ja, ja! Haben Sie etwa wieder was erfahren? HIPPOKRAS. Nein. Ich habe einige von Eurer Gnaden krankem Hofgesinde besuchet und damit fast anderthalb Stunden zugebracht. 11. Auftritt Elfter Auftritt Die Vorigen. Heinrich. Gnädige Frau Oberstin, die Tafel ist fertig. zu den andern stöhnend. Nun, so kommen Sie zu Tische. Sie gehen alle ab, Herr von Ziegendorf führet die Oberstin von Tiefenborn. Ende des zweiten Aufzuges. 3. Akt 1. Auftritt Erster Auftritt Herr von Kaltenbrunn. Fräulein Amalie. Dr. Hippokras. Nun, mein lieber Herr Doktor, ich will es Ihnen nimmermehr vergessen, daß Sie uns einen so wichtigen Dienst geleistet und die Oberstin brav krank gemacht haben. Das ist wahr, Herr Doktor! Klopft ihm auf die Achsel. Sie haben sich recht tapfer gehalten. Sie sollen auch mein Doktor sein, wenn ich mir einmal die Schwindsucht an den Hals werde gesoffen haben. HIPPOKRAS. Ei! behüte der Himmel, den Herrn von ... verdrießlich. Nun, das ist wahr, Bruder! du wärst es wert, daß die alte Oberstin nur erst zwanzig Jahre alt wäre und noch dreißig Jahre lebte. Du lüderlicher Mensch! muß denn alles versoffen sein? springt herum. Ha! meine liebe Amalie! du weißt viel, was für Süßigkeit in einer Flasche Wein steckt, die man in der Hoffnung austrinkt, sie von einer reichen Erbschaft zu bezahlen. lachend. O wie wollt' ich das wissen! Ich möchte lieber tot sein als Geld in der Tasche haben, was ich nicht geliehen hätte. lacht. O freilich! Es läßt einem Kavalier noch einmal so gut, wenn er allen Menschen schuldig ist. Das versichere ich dich, Schwester! das Herze lacht mir, wenn ich einem Gläubiger begegne. HIPPOKRAS lächelnd. In diesem Stücke haben Sie wohl nicht viel Ihresgleichen, mein Herr von Kaltenborn. springt herum. Ich weiß nicht, wie sich andere Menschen vor den Leuten so fürchten können, denen sie schuldig sind. Ich sehe niemanden in der Welt lieber! Es sind die allerbesten Menschen! sie gäben einem wohl das Herz aus dem Leibe. lacht sehr. O ja, und die Seele dazu; aber für dreißig Prozent. Lache du nur nicht. Ich glaube, daß sie sich nicht werden trösten lassen, wenn ich ihnen einmal von der Oberstin ihrer Erbschaft meine Schulden bezahle. Ei, da will ich dir einen guten Rat geben, Bruder. Tritt mir geschwinde deinen Teil vom Testamente ab. Meinethalben! Amalie. Du sollst ihn haben; aber mit dem Bedinge, daß du mich hernach, so lange ich lebe, freihältst. lächelnd. Bei Wasser und Brot? HIPPOKRAS lacht. Da bekäme ich gewiß an Ihrer Gesundheit nichts zu flicken! Bist du wunderlich, Amalie? Nicht bei Wasser und Brot! Du mußt mir alles schaffen, was ich brauche. Ich bin gewiß ein Mensch, der sich in der Welt nicht viel wünscht: wenn ich nur immer soviel habe, als ich mit aller Macht durchbringen kann. erschrickt. Was? meinst du, daß die Frau Muhme des Krösus Witwe ist? Nun, so wird es wohl am besten sein, daß ich meinen Teil von der Erbschaft selbst behalte. Hernach, wenn ich mit dem Meinigen fertig bin: so komme ich und helfe dir das Deine auch verzehren. droht ihm. Ja, das wollte ich dir raten! flehend. Ei! Du würdest doch deinen armen Bruder nicht darben lassen! Wer das Seinige lüderlich verschwendet, der muß darben. flehend. Deinen armen lieben Bruder! Kein Türke sollte so unbarmherzig gegen dich sein, als ich sein wollte! HIPPOKRAS. Ich sehe das gnädige Fräulein doch für viel zu mitleidig dazu an. Sie mögen es glauben oder nicht, Herr Doktor: ein Mensch, der sein Geld nicht zurate halten kann, der ist mir ein Abscheu. Du weißt aber wohl, liebes Schwesterchen, daß es gut ist, wenn man aus Erfahrung klug wird. Darum vertue ich jetzt so brav: hernach, wenn mich die Not ein paar Stunden gedruckt haben wird, dann werde ich das Geld, was du mir geben wirst, recht schön zu Rate halten können. Ein paar Stunden? Ja! meinetwegen sollst du wohl bis in dein Grab hungern, dursten und frieren. Ei, du würdest ja so unbarmherzig nicht sein! Indessen damit wir auch etwas Ernsthaftes reden. Er lacht sehr. Ha, ha, ha! ich habe vor Lachen fast keinen Bissen essen können, daß Sie die alte Muhme immer kränker und kränker machten. HIPPOKRAS. Gehorsamer Diener; das ist meine Schuldigkeit! Das ist wahr. Sie haben Ihre Rolle vortrefflich gut gespielt. Sie lacht. Ich biß mir die Lippen fast wund, daß die Oberstin immer ärger zu stöhnen anfing: so oft Sie ihr eine Krankheit mehr nannten. Ha, ha, ha! Über den verteufelten von Ziegendorf habe ich mich nur geängstet. Der Hund saß und lachte immer hinter dem Serviette, daß mir alle Augenblicke angst war, die Alte möchte es merken. HIPPOKRAS lächelnd. O nein! er saß ihr gerade zur Seiten. lacht sehr. Und daß sie gar noch einen Doktor kommen läßt ... Ich möchte nur wissen, welcher Unglücksvogel ihr in den Kopf gesetzt hatte, daß sie zum Landrat aufs Gut fahren sollte. schlägt die Hände zusammen. Ja, das ist wahr! ich erschrak, daß mir das Herz im Leibe kalt ward. HIPPOKRAS. Ja, das hätte den heutigen Tag sehr fruchtlos geendiget. Wenn ich doch das Teufelskind kennte: ich wollte ihm das Leder ausgerben, daß die Stücken herumstieben sollten. Ach! es ist niemand anders als die Karoline. Das Unglückskind! Ei, das glaube ich nicht! eifrig. Darauf wollte ich wohl schwören. Sie tut einem ja zum Possen, was sie nur kann und weiß. HIPPOKRAS zweifelhaft. Ich sollte auch kaum denken, daß Fräulein Karoline dies geraten haben sollte. zum Doktor. Ach! Sie glauben nimmermehr, Herr Doktor, wie boshaft meine Schwester ist. HIPPOKRAS verwundernd. Ei! zum Doktor. Es ist keine redliche Ader an ihr. Wo sie einem bei der Muhme oder bei andern Leuten ein Bein unterschlagen kann, da läßt sie es nicht. HIPPOKRAS. Ei! das habe ich doch niemals an ihr gemerkt. Ja, sie ist falsch wie eine Schlange. Gegen fremde Leute stellt sie sich nur scheinheilig. Das macht, sie will gern einen Mann haben: und da nimmt sie sich gegen Sie, Herr Doktor, in acht, daß Sie sie nur bei allen Kavalieren loben sollen: denn sie weiß, daß Sie in viele Häuser kommen. HIPPOKRAS erstaunt. Ei! zum Doktor. Ja, ich weiß, was ich mein Lebetage von ihr habe leiden müssen. Bei der Muhme mag sie gewiß ihren guten Schnitt machen. HIPPOKRAS erstaunt. Das wäre viel! Wie wollte sie sonst so gleichgültig bei dem Testamente sein? Ich habe es lange gemerkt, daß sie der Frau Muhme nicht recht treu sein mag; aber ich verleumde nicht gern jemanden. HIPPOKRAS schüttelt den Kopf. Ei, ei! Sie kann sich zutun und freundlich sein wie ein Ohrwürmchen: es ist aber alles lauter List. So oft nur Kavaliere herkommen, so kann sie so schön tun und sich zudringen: da sie doch Sie ziert sich sehr. gewiß nicht ihrentwegen herkommen. der die ganze Zeit über im Zimmer herumgehüpft, gepfiffen und getanzt, auch dann und wann an dem Tische mit seinem Stocke Stellungen gemacht hat, als ob er Billard spielte. So, so recht! so recht! das steht fein, wenn eine Schwester von der andern Übels redet. Nunmehr täte ich wohl am besten, wenn ich herausginge, so käme die Reihe doch auch an mich. Denn du wirst doch deinen Bruder wohl so wenig schonen, als du die Karoline schonst. höhnisch. Ach! die ärgste Satire, die auf dich gemacht werden kann, die machst du dir selbst mit deiner Lebensart. Ich habe meine Lebensart noch niemals gelobt. Ich weiß, daß ich wild und unordentlich lebe, wie es einem jungen reichen Kavalier zukömmt. Allein wenn ich bei meinen guten Freunden sitze und so lange saufe, bis wir unterm Tisch liegenbleiben: so vergehe ich mich nicht um ein Haar mehr als die sparsamste Schöne, Er macht ihr einen tiefen Reverenz. die gegen wildfremde Leute von den Ihrigen Böses redet. Zum Doktor. Sie können sich indessen nicht irren, Herr Doktor, wenn Sie nur anstatt der Karoline diese Amalie setzen: hernach ist das Bild, was sie gemacht hat, nach dem Leben getroffen. Hältst du etwa darum so der Karoline ihre Seite, weil sie dir immer solche derbe Pillen zu verschlucken gibt? Nein, ganz und gar nicht. Du kannst glauben, daß Karoline mir soviel Fehler zu haben scheint als du: aber da sie den Leuten die Wahrheit immer in die Augen sagt, so ist es billig, daß man es ihr auch so mache. schüttelt mit dem Kopfe. Wenn du nur wüßtest, was sie hinter deinem Rücken von dir redet. legt den Finger auf den Mund. Noch mehr? Ich versichere dich, daß ich dir's nicht eher glaube, bis ich's von andern Leuten auch höre. 2. Auftritt Zweiter Auftritt Die Vorigen. Fräulein Karoline. lächelnd. Komm, Karoline, komm! dein Bruder nimmt sich hier deiner recht an! Ich habe es allezeit gehört: kein Mensch ist so böse, der nicht auch etwas Gutes an sich hätte. droht ihr. Je, du Vogel! ist das mein Dank? lachend. Da siehst du es! lächelnd. Je nun! ist denn das was Schlimmes, daß ich sage, du hast eine gute Eigenschaft an dir? Freunde und Verwandten hinter ihrem Rücken zu verteidigen, das ist doch gewiß was Gutes. Ja, ja! du lobst die Leute immer so, daß sie nicht viel Ehre davon haben. Es ist ein trefflicher Ruhm, wenn ein Mensch doch noch eine gute Eigenschaft an sich hat! lächelnd. Nun, nun! es soll mir sehr lieb sein, wenn du dir ehestens noch viel mehrere Tugenden angewöhnest. zum Herrn von Kaltenbrunn. Laß sie zufrieden, Bruder, sie ist heute sehr spöttisch. Das muß man wohl sein, wenn einen alles in den Harnisch bringt. Wer hat dir denn nun wieder was getan? Ihr alle, und Sie eben auch, Herr Doktor Hippokras. HIPPOKRAS erschrocken. Ich, gnädiges Fräulein? Wieso? Ja, Sie. Wie können Sie es vor Ihrem Gewissen verantworten, daß Sie heute bei Tische die Oberstin in ihrer Schwachheit so bestärket haben? HIPPOKRAS. Wieso? Je, Sie haben sie ja zu einem lebendigen Lazarette gemacht. Wollen Sie denn die Frau zu Tode ängstigen? Daran hat er sehr wohl getan. Wir haben ihn darum gebeten. Wer? wir? Nun, er und ich: heißt man das sonst nicht wir? schüttelt den Kopf. Wahrhaftig! Ihr seid treffliche Leute! Hat die Oberstin das um euch verdient, daß ihr ihr alles Unglück an den Hals hexen wollt? Wir begehren ihr nichts anzuhexen. Sie darf keine von den Krankheiten haben. Sie darf nur heute noch glauben, daß sie sie hat. Warum aber das? erbittert. Zum hundertundneunundneunzigsten Male beantworte ich nicht gern eine Sache. Ich denke, wo du nicht alle Stunden ein nagelneues Gedächtnis bekömmst, so mußt du wissen, wovon vor Tische die Rede war. Weißt du denn nicht mehr, daß die Muhme heute ein Testament machen muß? lachend. Wo sie will! stampft mit dem Fuße. Ich sage, sie soll und muß; und sollten wir ihr auch einbilden, daß der Schlag sie gerühret hätte. schüttelt den Kopf. Nun, gewiß! ihr seid unsinnig! höhnisch. Ja! wir sind nun einmal so unsinnig, daß wir glauben, Familiensachen in Ordnung zu bringen, das sei was Wichtigers als Spazierenfahren. verwundernd. Was soll das heißen? Den Stich versteh' ich nicht! lächelnd. Es geht doch gewisse Personen an, die die Oberstin gern auf der Landstraße wollten sterben sehen. schüttelt verwundernd den Kopf. Ich weiß nicht, was ihr haben wollt. HIPPOKRAS zu Karolinen. Mein gnädiges Fräulein, man glaubt, daß Sie der gnädigen Frauen den Anschlag von der Spazierfahrt gegeben haben. Ich? höhnisch. Ja, es gibt gewisse Leute, die sich diesen Dienst von deiner schwesterlichen Liebe versprechen. lächelnd. Sie tun mir zuviel Ehre an; aber es ist mir leid, daß ich sie nicht verdiene. zu Karolinen. So hast du es ihr nicht geraten? Nein. Aber es ist mir recht leid. Wieso? Leid? Ja, ja! es ist mir leid: denn ich würde ihr nichts Schlimmes geraten haben und bei euch ... heftig. Nichts Schlimmes geraten haben? Sie schlägt die Hände zusammen. Nein, gewiß nicht. Zum Doktor. Sagen Sie mir einmal, Herr Doktor, könnte wohl der Oberstin bei ihrer ziemlichen Stärke, die sie nun schon wieder erlangt hat, etwas gesunder sein, als wenn sie sich bei dem heutigen sehr schönen Wetter in einen bequemen Wagen setzte und zu ihrem Schwager, dem Landrat von Ziegendorf, führe? erstaunt. Wie? zu ihrer Schwester? daß die ihr etwa aus dem Sinne redete, uns etwas zu vermachen? Kann auch wohl das lautere Gift der Muhme ungesünder sein als der Ziegendorfin ihr Haus! zum Doktor. Antworten Sie mir als ein ehrlicher Mann auf Ihr Gewissen, Herr Doktor Hippokras. HIPPOKRAS bedenklich. Ja, ja ... man hat Exempel ... daß dergleichen Veränderungen ... manchen Kranken ... sehr dienlich gewesen ... sind. Aber glauben Sie nicht, Herr Doktor, daß sie auch heute der Oberstin gesund sein würde? HIPPOKRAS bedenklich. Ja ... das ... könnte wohl ... sein. heftig. Wie? Was? Herr Doktor? springt erstaunt hinzu. Was sagen Sie, Herr Doktor? Sind Sie ein gewissenhafter Medikus? Mein Tage vertraue ich Ihnen meine künftige Schwindsucht nicht an! erschrocken. Ach! ich bin des Todes! HIPPOKRAS zur Karoline. Sie sehen, gnädiges Fräulein, wie mir's hier geht. Halte ich es mit einer Partei, so ist es der andern nicht recht: und halte ich es mit der andern, so verderbe ich es abermals. zum Doktor. Drum ist es am besten, mein lieber Herr Doktor, man halte es mit keiner andern Partei als mit der Wahrheit. Man sage, wie die Sache ist, so hat man keine Not. Ja, ja! du kannst treffliche Predigten halten. Ich verspreche dir, daß du auf einem von den Gütern, die mir die Oberstin vermachen wird, mein Kaplan sein sollst. Des Sonntags will ich dir immer eine Stunde zuhören. lächelnd. Du bist sehr glücklich, daß die Sache nicht möglich ist! sieht nach der Uhr und erschrickt. Potztausend! Bald verplaudere ich die Zeit, da der Verwalter kommen soll, den ich herbestellt habe. Ich muß erst mit ihm sprechen, ehe er zur Oberstin kömmt. Er will abgehen. HIPPOKRAS. Und ich will mit Dero Erlaubnis so lange, bis die gnädige Frau von der Mittagsruhe erwachet, die alte Kammerfrau besuchen, die am Fieber krank liegt. zum Doktor. Ach! die alte Zeitungsträgerin möchte immer sterben! zum Doktor. Kommen Sie, kommen Sie! Herr Doktor. Da geht wieder eine neue Strafpredigt an. Der Doktor und Herr von Kaltenbrunn gehen ab. 3. Auftritt Dritter Auftritt Fräulein Amalie. Fräulein Karoline. Ich weiß nicht, wo der Hauptmann von Wagehals so lange bleibt. Wieso? soll er kommen? Ja. Hat die Oberstin ihn bestellen lassen? lächelnd. Nein. Hat er sich denn melden lassen? lächelnd. Nein. Nun! wie kömmst du denn darauf, daß er herkommen soll? lächelnd. Je ... es hat mir geträumet. Was wette ich! du hast ihn bestellen lassen. lächelnd. Nun, wenn das nun wäre? wäre es etwa wieder nicht recht? schüttelt den Kopf. Nein, nicht allerdings! Warum denn nicht? Weil er eine wüste, wilde Hummel ist und aus einer jeden Kleinigkeit gleich ein großes Lärmen machen kann. Was kann er nun denn daraus für Lärmen machen, daß ich ihm sagen lasse: es würde der Oberstin angenehm sein, wenn er sie heute besuchen wollte? Er wird aber gleich das Gegenteil sehen: denn die Oberstin vermutet ihn gar nicht. Nun, so wird er sehen, daß ich es bestellt habe. Was ist's denn nun mehr? So wird er glauben, daß du dich auch in ihn verliebt hast und dich ohne ihn nicht behelfen kannst: denn er glaubt ohnedies, daß sich alles Frauenzimmer in ihn verliebt hat. höhnisch. Ach! aus dem Irrtume werde ich ihm bald helfen! Ich werde es ihm gleich sagen, daß uns allen damit gedient sei, daß die Frau Muhme heute zu Hause bleibe, und daß ich ihn darum herbestellen lassen. Und da wird er sich einen schönen Begriff von uns machen, daß wir solche Ränke ersinnen, damit nur die Oberstin nach unsrer Pfeife tanzen müsse. höhnisch. Es denken nicht alle Leute so liebreich von uns als du. Ich versichere dich, die Schmeichelei selbst kann nichts anders von uns denken, als daß wir uns die Begierde nach der Oberstin Vermögen gar zu sehr merken lassen. spöttisch. Du bist wohl sehr großmütig, daß du wir sagst und nicht allen Eigennutz auf mich allein schiebst. lächelnd. Oh! ich bin von deiner Scharfsinnigkeit schon gewiß versichert, daß sie meine rechte Meinung erraten wird. Das ist eine Ehre für mich. Mich dünkt aber, es kann mir auch bei keinem eine Schande sein, wenn man gleich merkte, daß ich auf meine Versorgung denke. Versorgung? Je, bist du denn hier nicht versorgt? Ja, wie ein Kind im Hause. Ich habe alles, was mir gegeben wird und was ich erbetteln muß. Erbetteln? Nun, das ist auch ein wenig undankbar? Mich dünkt, die Frau Muhme ist mit ihren Wohltaten unserm Bitten meistenteils zuvorgekommen. Gesetzt aber, wir hätten sie zuweilen um etwas erst bitten müssen: ist denn ein Geschenk nicht ein gutes Wort wert? Meinethalben! wem es eine Freude ist, sein Leben lang allen Leuten in die Hände zu sehen, dem kann ich die Lust gönnen. Mich dünkt indessen, eigener Herd ist Goldes wert. Das heißt auf deutsch: Wir wollen nur gern wissen, wieviel die Oberstin uns vermachen wird, und hernach in Hoffnung auf diese Erbschaft geschwinde drauflos heiraten. Nicht wahr? lächelnd. Nun? Wenn das nun wäre? lacht. Oh! das schöne Glück, der Hauptmann von Wagehals! den tollen, ungezogenen, lüderlichen Menschen, den Säufer, den Spieler, den Freimäurer noch obendrein zu heiraten! lacht. Das heißt ein Herd, der Goldes wert ist? lächelnd. Wer hat dir's denn gesagt, daß ich ihn nehmen will? Wenn man doch solche Gewerbe mit Mannsleuten vorhat, wenn man sie bestellen, holen und rufen läßt: so denke ich nicht umsonst, daß dies etwas mehr als Gleichgültigkeit bedeute. spöttisch. Es ist mir leid, daß ich sehe, daß du auch irren kannst. O das wirst du wohl oft gesehen und vielleicht noch öfter geglaubt haben. Willst du denn etwa den von Kreuzweg haben? Denn den hast du doch auch herbestellt. Ich weiß nicht, was der Mensch hier den ganzen Tag machen soll? hitzig. Muß denn die Oberstin keine Zeugen zum Testamente haben? lachend. Oho! Es ist wahr! Ich vergesse auch immer das Testament. Nun, also den willst du haben? spielt mit dem Schnupftuche. Wer weiß? Nun freilich, der ist noch ein gutes Teil gesetzter und artiger als der von Wagehals. Aber er ist auch brav eigennützig, und ich prophezeie dir, wofern die Oberstin dir nicht recht viel vermacht, so nimmt er dich nicht. lachend. Ha, ha! wer weiß erst, ob ich ihn nehme? erschrickt. Wie? Du schreibst ihm ja bei aller Gelegenheit Briefe, du bestellst ihn her, du gehst ihm immer nach, du wirst feuerrot, wenn er mit einer andern redet: und du bist noch nicht gewiß, ob du ihn nehmen willst? halb böse. Gewiß, ich spiele hier eine sehr närrische Rolle! Du bist weder meine Mutter noch meine Hofmeisterin, Karoline. Das ist mir wohl bewußt. Nun, sei so gütig und beliebe, dich dessen zuweilen zu erinnern, wenn dir die Lust ankömmt, Strafpredigten zu halten. schüttelt den Kopf. Welch ein Charakter! Sie will gehen. 4. Auftritt Vierter Auftritt Frau von Tiefenborn. Fräulein Karoline. Fräulein Amalie. kömmt matt gegangen, setzt sich auf einen Armsessel und stöhnt. Ich gäbe tausend Taler drum, daß der heutige Tag einmal vorbei wäre. Es ist nicht anders, als wenn sich alles verschworen hätte, mich zu plagen und zu ärgern. Wieso, Frau Muhme? schmeichelnd. Was ist Ihnen geschehen, allerliebste Frau Muhme? Alles, was mir verdrießlich ist, wird mir heute auf einmal vorgebracht. Da kömmt der Wagenmeister und hat die Frechheit, mir zu sagen: daß nicht eine einzige von meinen Kutschen brauchbar ist. Das ist ja entsetzlich nachlässig von dem Menschen! Wofür gebe ich dem Kerl Lohn und Brot? Es ist unmöglich, Frau Muhme, daß alle Wagen schadhaft sein können. Wir sind ja nur vor vierzehn Tagen mit dem kleinen Reisewagen in der Kirche gewesen? verdrießlich. Nun, er spricht, es hielte kein Rad tausend Schritte weit. schüttelt den Kopf. Das kann unmöglich richtig sein, gnädige Frau. Ich will selbst ins Wagenhaus gehen und die Kutschen besehen. Ja, du bist eine vortreffliche Wagenmeisterin. Du wirst es wohl wissen! Fräulein Amalie winkt Karolinen, zu schweigen. Ei, ich will den Bruder mitnehmen. Der wird doch wissen müssen, wie ein ganzes Rad aussieht. Ja! wenn der nur auf die Pferde acht gäbe! das gehört sich für einen solchen jungen Menschen. Er hausiert ohnedem genug damit herum. Allein, da ich dem Wagenmeister befehle, er solle also einen Kutscher oder Vorreuter auf ein Pferd werfen und einen Schmied holen lassen: so muß ich hören, daß die Pferde alle miteinander nichts taugen. Sie hält sich den Kopf. Ach! Das ist ja abscheulich! Sie winkt seitwärts der Schwester und lacht. Eins ist lahm, eins ist krank, eins hat einen Speckhals, und wie der Plunder alles heißt! Und mein schöner neuer Schimmelzug, der ist gar vernagelt. Ich möchte! ... Frau Muhme, das geht gewiß nicht richtig zu! winkt Karolinen. Ja! die Pferde sind freilich ein zärtliches Vieh! Es kömmt ihnen gar bald etwas an! stöhnend. Ach! was ist eine Witwe nicht für eine geplagte Frau! In solchen Dingen, die eigentlich nur für Mannsleute gehören, muß man sich von allen Bedienten weismachen lassen, was sie wollen. O wie ordentlich hielt mein seliger Gemahl nicht seinen Stall! Wenn er das sehen sollte! Sie weint. Gnädige Frau, bitten Sie nur den Herrn Landrat von Ziegendorf, daß er in den Stall gehe Hier schlägt Amalie die Hände zusammen gegen Karolinen und winkt ihr sehr. und sehe, ob die Sache auch wahr ist. Oftmals hat das Stallgesinde keine Lust zu fahren, und da müssen alle Pferde krank sein. stöhnend. Ach! was soll ich meine guten Freunde mit den häuslichen Unordnungen beschweren! Es würde sich schön für den Landrat schicken, meinen Pferden die Hufe zu besehen! lächelnd. Freilich, Karoline hat immer solche Einfälle, die sich nicht tun lassen. Sie winkt Karolinen sehr. böse. Nun, so habe ich einen andern Anschlag, der nicht ungereimt ist. Lassen Sie, Frau Muhme, den ältesten Kutscher vor sich kommen und drohen Sie ihm mit einem augenblicklichen Abschiede, Amalie erschrickt sehr und winkt Karolinen. was gilt's! die Pferde werden den Augenblick alle gesund sein. Karoline, du mußt wohl ein steinern Herz haben, daß du mir zumuten kannst, mich in meinem kränklichen Zustande mit den Kutschern und Stallknechten herumzukeifen. Tragen Sie mir's nur auf, Frau Muhme. Ich will die Pferde alle mit einem einzigen Worte gesund machen. droht ihr. Schweige doch! und ärgere die Frau Muhme nicht noch mehr! Ist Ihnen denn sonst noch was Verdrießliches vorgefallen, allerliebste Frau Muhme? stöhnend. Freilich! da führt der Geier meinen Verwalter, Zaunstrauch, her. Der bringt mir einen Sack voll Pachtbriefe und Schuldsachen. Den Plunder soll ich in drei Tagen nachsehen, ehe die Zeit verflossen ist. Als wenn der Geck nicht schon vor einem Monate damit hätte hervorkommen können? schüttelt den Kopf. Nun! ich sage nichts! Das ist ja ein rechter Unglückstag! Und zuletzt läßt sich gar der von Wagehals melden. Was soll ich mit dem Phantasten heute machen? Ich habe Not, daß ich mich mit gescheiten Menschen vertragen kann. Hätten Sie's ihm nur abschlagen lassen. Amalie droht ihr erschrocken. Das habe ich auch getan. sehr erschrocken. Sie haben es ihm abschlagen lassen? Ja freilich! Er ist aber sehr ungestüm und wird Ihnen das ungemein übel aufnehmen. Werde ich denn endlich nicht mehr Frau in meinem eigenen Hause sein? tut, als wenn ihr die Nase blutete, und geht eilig ab, indem sie mit dem Kopfe winkt, als wenn sie ein Vorhaben hätte. Wo willst du hin, Amalie? 5. Auftritt Fünfter Auftritt Die Oberstin von Tiefenborn. Fräulein Karoline. Die Nase blutet ihr, Frau Muhme. Karoline! Was befehlen Sie, Frau Muhme? Darf ich mir versprechen, daß du mir die Wahrheit sagen wirst? Gnädige Frau Muhme, ich habe schon so oft einen unglücklichen Versuch damit gemacht, daß ich's fast verredet habe, es mehr zu wagen? Diesmal aber begehre ich's von dir. Das ist ja eine glückliche Stunde für mich! Da werde ich einmal meiner Meinung nachkommen können, und Sie doch nicht erzürnen. Sage mir einmal: Was führt doch deine Schwester eigentlich im Schilde? Soviel ich davon weiß, eben nichts Böses. Geht nicht ihr ganzes Absehen dahin, daß sie gern einen Mann haben möchte? Ich weiß es nicht recht, gnädige Frau! aber wäre denn das was Böses? Lächelnd. Ich hätte selber gern einen Freier. Du? Und das sagst du so frei heraus? Ja. Wenn einer käme, der mich haben wollte und mir erst gefiele, hernach auch der gnädigen Frau Muhme anstünde: so würde es mir eine Freude sein. lächelnd. Hm! Mit deiner Gemütsart wirst du wohl schwerlich einen bezaubern. lächelnd. Je nun! so bin ich auch leicht getröstet: denn meine Gemütsart muß ihm durchaus gefallen: sonst mag ich ihn nicht. Mich dünkt, deiner Schwester ist es sehr um ein starkes Vermächtnis von mir zu tun. Das kann ich nicht sagen! Es könnte aber doch wohl sein. droht ihr. Nicht wahr? Sie wünscht meinen Tod? Nein, Frau Muhme; ich glaube es nicht: denn sie gesteht mir's nicht. So meinst du, daß sie ohne Eigennutz sei. Ich hoffe es wenigstens. droht ihr. Ei! du hast mir ja versprochen, mir die Wahrheit zu sagen! Was ich Ihnen noch zur Zeit gesagt habe, das kann ich verantworten. Karoline! Karoline! du nimmst dich deiner Schwester hinter ihrem Rücken an: glaubst du aber, daß sie es mit dir auch so machet? Ich hoffe es, gnädige Frau Muhme. Wenn du dich aber irrst? So irre ich mich gern. Denn eine Schwester, die von der andern hinter ihrem Rücken Übels redet, die halte ich für ein Ungeheuer, das ich in meinem Leben nicht kennen mag. Nun! So werde ich von dir wohl etwa hören, daß auch dein Bruder sehr fein und ordentlich lebt? Nein, Frau Muhme, da würde ich wider die Wahrheit reden. Sie zuckt die Achseln. Er lebt freilich etwas wild und unordentlich; allein er ist von einer bösen Gesellschaft verführet worden. Sein von Natur gutes und redliches Herz hat diesen Leuten zu viel getraut: und Dero eigene Gütigkeit hat ihm im Anfange ein wenig zu sehr den Willen gelassen. So? so werde ich wohl endlich noch selbst an seiner tollen Lebensart schuld haben sollen? Behüte der Himmel! Frau Muhme, das sage ich nicht. Allein, verzagen Sie deswegen noch nicht an ihm. Sie küßt ihr die Hand. Verzeihen Sie ihm das Vergangene. Entziehen Sie ihm Ihre Gnade nicht. Die Vernunft wird gewiß bei ihm endlich erwachen. Dero Wohltaten selbst werden ihn noch zurechte führen: er wird sich schämen, eine Muhme beleidigt zu haben, die der ganze Grundstein seines Glückes ist. bedenklich. Nun! so sehe ich wohl, wenn deine Schwester so unschuldig ist, als du vorgibst, und wenn deines Bruders Besserung so gewiß ist: so werden sie beide heute meiner Belohnung würdig sein. Wer wird nun aber dich verteidigen, daß du mit deinen freien Ausdrückungen meinen Zorn so oft gereizet hast? Nichts als die gute Quelle, woraus sie geflossen sind. Mein redliches Herz muß es tun: wo dies mich nicht entschuldigen kann: so muß ich mir alle Strafen gefallen lassen, die mir der Abscheu vor der Schmeichelei zugezogen hat. Dein redliches Herz hat wohl an unserm itzigen Gespräche wenig teilgehabt. Sie zweifeln an meiner Redlichkeit, weil ich meines Geschwisters Bestes geredet: würden Sie ihr aber mehr trauen, wenn ich mein Geschwister verleumdet hätte? sieht sie an und lächelt. Karoline, du hast ein vortrefflich Naturell, in der Welt arm zu bleiben. Der Himmel bewahre mich vor jedem Dreier, den ich mir durch Falschheit und Verleumdung zuziehen soll! 6. Auftritt Sechster Auftritt Frau von Tiefenborn. Fräulein Karoline. Herr Landrat von Ziegendorf. Ich suche Sie allenthalben, Frau Schwester, und bin fast den ganzen Garten durchlaufen. kränklich. Ei! wie könnte ich mich denn schon in den Garten wagen. Zu Fräulein Karolinen. Karoline, ich habe vergessen, zu befehlen, daß der Kaffee in das große Gartenhaus gebracht werden soll. Geh und veranstalte das, ich werde mit dem Herrn Landrate gleich nachkommen. Karoline geht ab. 7. Auftritt Siebenter Auftritt Frau von Tiefenborn. Herr von Ziegendorf. zieht einen Brief aus der Tasche. Hier habe ich nunmehro Nachricht, daß mein Bruder in einer halben Stunde hier sein wird. Er wird doch auch den Notarius mitbringen? Den Notar und ein ganz fertig Testament, bis auf die Namen und Summen, die hier eingerückt werden können. Ja, lieber Herr Bruder, es ist alles gut! Allein, die Karoline kann ich nicht leer ausgehen lassen. Sie hat ein gar zu schönes Herz! Tun Eure Gnaden an ihr, was Ihnen gefällt. Es ist wahr, ihr Herz ist gut; nur das Maul ist ein bißchen zu arg. Und doch nicht hinter der Leute Rücken. Ich habe sie hier recht auf die Probe gestellt; sie hat mir aber nicht das mindeste zum Nachteile ihres Geschwisters sagen wollen. Ja zuletzt bat sie gar für den Bruder, und sich selbst vergaß sie. Bewegt. Das Mädchen hat mich recht gerührt. Ja, ein solcher Charakter ist schön. Ei nun! Sie sind ja Herr von Ihrem Vermögen, mein Bruder wird allemal mit Dero Person glücklich genug sein. Kommen Sie itzt zum Kaffee, Herr Landrat. Wenn der Herr Bruder kömmt, so müssen wir ihn dem Doktor Hippokras übergeben, als wenn er ihn erst von meiner Krankheit unterrichten müßte. Sie gehen ab. Ende des dritten Aufzuges. 4. Akt 1. Auftritt Erster Auftritt Dr. Hippokras. Dr. Schlagbalsam. HIPPOKRAS. Es ist mir ein großes Vergnügen, daß ich die Ehre haben soll, Dieselben auf ein paar Stunden zu einem Kollegen zu haben. SCHLAGBALSAM. Ihr Diener, mein Herr Doktor; mir ist es angenehm, daß, da gewisse Umstände mich heute zu einem Arzte machen, ich an Ihnen einen so vernünftigen, geschickten und ungezwungenen Mitbruder finde, der allein durch sein Exempel den ganzen Molière widerlegen könnte. HIPPOKRAS. Gehorsamer Diener. Molière hat von den französischen Ärzten geredet, und das geht die Deutschen nichts an. Vielleicht aber trifft es auch jene nicht einmal alle. Er hat als ein Poet, und zwar als ein komischer Poet die Sache höher getrieben, als sie vielleicht in der Tat gegründet ist. Erlauben Sie mir aber, daß ich mich nach Dero Name und Stande erkundige. Ich möchte sonst aus Unwissenheit wider meine Pflicht verstoßen. SCHLAGBALSAM. Sie wissen wohl, mein Herr Doktor, daß ein Arzt verschwiegen sein muß. Die Verschwiegenheit werde ich also am besten von allen Teilen der ganzen Arzneikunst ausüben können, wenn ich Ihnen anjetzt meinen Namen und Stand verschweige. HIPPOKRAS. Wenn ich dieses nicht wissen darf, so bitte ich wegen meiner Freiheit um Verzeihung. SCHLAGBALSAM. Nennen Sie mich nur Herr Doktor Schlagbalsam: das ist der Name und Stand, den ich jetzt auf wenige Stunden nötig habe. HIPPOKRAS. Ganz wohl! ganz wohl! SCHLAGBALSAM. Unterrichten Sie mich, Herr Kollege, indessen ein wenig von der Frau Oberstin ihrer bisherigen Krankheit, damit ich mir einiges medizinisches Ansehen in Gegenwart der Umstehenden machen könne. HIPPOKRAS. Das erfordert eines jeden Arztes Schuldigkeit, daß er den neuankommenden Arzt von dem Zustande der Krankheit unterrichte. Die Krankheit von der Frau Oberstin fing sich also mit einer starken Agrypnia an, wobei ein starker Rheumatismus war, und man aus den Neben- Symptomatibus, Pleuresiam, Cachexiam, et Haemoptosin zu besorgen hatte. SCHLAGBALSAM. Ums Himmels willen! Herr Doktor! da bekomme ich einen sehr dunkeln Begriff von der Krankheit. Sie reden ja lauter Arabisch. Ich weiß viel, was die Agrippina in der Medizin heißt! Er lacht. HIPPOKRAS lachend. Und Sie haben Sie in Ihrem Leben doch sehr oft gehabt! SCHLAGBALSAM. Ich? die Agrippine? Mein Tage habe ich das Mensch nicht gesehen. Nennen die Ärzte etwa den Alp so, der einen des Nachts drückt? HIPPOKRAS. Es heißt nicht Agrippine, sondern Agrypnia. SCHLAGBALSAM. Nun, was heißt das auf deutsch? HIPPOKRAS halb böse. Ich bin ein Medikus und kein Dolmetscher. SCHLAGBALSAM lachend. Sagen Sie mir, wie ist einem denn zumute, der die Agrippine oder Agrypnia, wie das Ding heißt, hat? HIPPOKRAS. Er kann nicht schlafen! SCHLAGBALSAM. Nun, also ist's die Schlaflosigkeit. Er lacht. Ich hätte wunder gedacht, was es wäre! Nun, wie hieß das andere, was die Oberstin noch mehr gehabt hat? HIPPOKRAS. Ja, Sie mögen sich's selbst übersetzen, wenn Sie es deutsch haben wollen. SCHLAGBALSAM. Schon gut! Sagen Sie nur her. HIPPOKRAS. Es war der Rheumatismus . SCHLAGBALSAM erschrocken. Wie war ihr da zumute? HIPPOKRAS. Sie hustete immer. SCHLAGBALSAM lachend. Und also war's der Husten? HIPPOKRAS. Ja, Sie mögen es immer so nennen. Ich sehe wohl, Sie sind nur ein Empiricus ... SCHLAGBALSAM. Ei, Herr Doktor, schimpfen Sie nicht Leute, die Ihnen nicht bekannt sind. Sie möchten sonst auf die Unrechten treffen! HIPPOKRAS. Wenn Sie ein wirklicher Arzt sein wollten, so wäre es Ihnen freilich ein großer Schimpf! allein anitzt schadet es Ihrer Ehre nicht. SCHLAGBALSAM. Nun, so sagen Sie geschwinde, was ist ein Vampyricus ! Das ist ja ein Teufelskind, was den Leuten in Ungarn das Blut aussaugt? HIPPOKRAS lacht sehr. Ach nein doch! ein Empiricus ist das Gegenteil von einem Legitimè promoto Doctore Medicinae . SCHLAGBALSAM. Aha! nun, soviel Latein habe ich noch von meinen drei akademischen Jahren behalten. Ein Vampyr wird also ein Pfuscher sein, der den Leuten das Blut oder Leben und das Geld zugleich aussaugt? HIPPOKRAS lachend. So ungefähr! SCHLAGBALSAM. Nun bin ich schon beruhiget! das trifft mich nicht. Sagen Sie mir nur weiter der Oberstin ihre Zufälle. Husten und Schlaflosigkeit hat sie gehabt? das ist noch eben keine große Krankheit. Sie klingt nur so gräßlich. HIPPOKRAS. Ja, mein werter Herr Kollege, wir besorgten aber dabei das Malum ischiaticum . SCHLAGBALSAM sehr erschrocken. Ach die arme Frau! In Ischia bin ich gewesen. Es ist ein Bad in Italien. Da wird sie etwa alle die Krankheiten zusammen gehabt haben, die den Leuten dort geheilet werden? HIPPOKRAS lacht sehr. Ach nein, Herr Doktor, Sie irren sehr! Es kömmt nicht von den Bädern zu Ischia her! Das Malum ischiaticum ist ... SCHLAGBALSAM. Sagen Sie mir geschwinde, was die Kranken dabei tun, wenn sie das Zeug am Halse haben? HIPPOKRAS. Sie haben Schmerzen in den Lenden. SCHLAGBALSAM geruhig. So, so! das Lendenweh haben Sie also besorgt! Und haben Sie es mit allen Arzneien nicht so weit bringen können, daß Sie es wirklich bekommen hätte? HIPPOKRAS halb böse. Eben mit meinen Arzneien habe ich vermieden, daß sie es nicht bekommen hat. SCHLAGBALSAM. Nun, es ist schon gut! hm! hm! Er schüttelt den Kopf. Ich sehe noch nichts, woran sie krank gewesen ist als an der griechischen Sprache. HIPPOKRAS eifrig. Ei was? der Haemoptosi war sie so nahe als jemand. SCHLAGBALSAM verwundernd. Was hatte sie denn bei der Mopsosie gemacht? Ist das nicht eine Hundekrankheit? HIPPOKRAS. Nein. Sie hätte Blut ausgeworfen. Das heißt im Termino artis die Haemoptosis . SCHLAGBALSAM. Hm! Soviel ich sehe, ist die medizinische Kunst eine sehr fürchterliche Kunst! Was haben Sie denn wider alle diese Krankheiten gebraucht, die die Oberstin nicht gehabt hat? HIPPOKRAS schüttelt den Kopf. Ja! sage ich Ihnen die Terminos artis , so verstehen Sie mich wieder nicht: und sage ich es Ihnen deutsch, so werde ich ein Empirikus. SCHLAGBALSAM erschrickt. Behüte der Himmel, Herr Doktor! da würden Sie ein gar zu scheußliches Tier! das will ich Ihnen nicht zumuten. Ich frage es aber nur darum, daß ich doch mein Jawort zu gewissen Arzneien geben kann, die Sie der Kranken vorschlagen möchten. HIPPOKRAS. Ei, geben Sie nur Ihr Jawort zu allem, was ich sagen werde. Es gibt mehrere geschickte Medicos , die es mit den älteren Praktizis ebenso machen. SCHLAGBALSAM. Ja, es könnte aber wohl kommen, daß die Oberstin von mir begehrte, ich sollte ihr auch ein paar Mittel vorschlagen. Was fange ich armer Mensch denn an? HIPPOKRAS. Wenn das geschähe, so schlagen Sie nur etwas vom Cornu cervi , von den Oculis cancri , von der Matre perlarum , von den Lumbricis terrestribus und ... SCHLAGBALSAM tut, als wenn ihm die Haut schaudert. Behüte der Himmel, Herr Doktor, kann ein Mensch das Zeug einnehmen? HIPPOKRAS lacht. Ei, ihr lieben Leute! ihr müßt wohl andere Sachen verschlucken. Ich nenne diese Medikamente nur, weil sie unschuldig sind und weder viel schaden noch helfen. Sie mögen also davon nennen, welches Sie wollen: so hat es nichts zu bedeuten. SCHLAGBALSAM. So? so! HIPPOKRAS. Ich kuriere fast ganz allein mit diesen Speciebus . SCHLAGBALSAM. Dabei gehn Sie am allersichersten. Allein, lieber Herr Doktor, nehmen Sie mir's nicht übel! Ich hätte ein zweimal größer Vertrauen zu diesen Arzneien, wenn ich sie auf deutsch zu nennen wüßte. HIPPOKRAS. Ei was? daß Sie etwa auch ein Pfuscher würden? SCHLAGBALSAM lachend. Dafür sind Sie gewiß bei mir sicher. Aber warum müßten notwendig Pfuscher daraus werden, wenn nun gleich alle Rezepte deutsch geschrieben würden? HIPPOKRAS. Weil alle dummen Kerle und alten Weiber alsdann drauf losgehen und mit diesen Rezepten kurieren würden. SCHLAGBALSAM. Aber sagen Sie mir, Herr Doktor, haben Sie denn anjetzt, da man alle Krankheiten und Arzneien lateinisch nennt, keine Pfuscher in der Medizin? HIPPOKRAS. Ei, genug! SCHLAGBALSAM. Woraus lernen denn die ihre Pfuscherei? HIPPOKRAS. Aus den lateinischen Büchern, die sie nicht recht verstehen. SCHLAGBALSAM. Wenn also diese Bücher deutsch wären, so würden sie sie besser verstehen und folglich gescheiter kurieren? HIPPOKRAS böse. Ei, mein Herr, es disputiert sich sehr übel mit Leuten, die die Sache nicht kunstmäßig einsehen. Ich will gehen und Sie bei der Frau Oberstin melden. Er geht ab. 2. Auftritt Zweiter Auftritt Dr. Schlagbalsam. Herr von Kaltenbrunn. Fräulein Amalie. Ihre Dienerin, Herr Doktor. SCHLAGBALSAM. Gehorsamer Diener, gnädiges Fräulein. Mit Erlaubnis, Herr Doktor, darf ich mir Ihren Namen ausbitten? SCHLAGBALSAM. Ich heiße Schlagbalsam mit meinem christlichen Zunamen. Sie haben wohl schon lange praktiziert? SCHLAGBALSAM. Es kömmt eben nicht darauf an, wie lange man eine Sache getrieben hat, sondern ob man sie gut treibt. Ich hoffe, daß sich noch kein Kranker über meine Ungeschicklichkeit beschweren wird. An der Oberstin bekommen Sie eine rechte seltsame Patientin, Herr Doktor. SCHLAGBALSAM. Ei, ich hoffe, daß ich sie mit des Himmels Hilfe gar bald kurieren will. erschrocken. Ei, Herr Doktor! was sagen Sie? Der lieben Frauen wäre nach ihren Umständen wohl nicht besser zu raten, als wenn sie zur ewigen Ruhe käme. SCHLAGBALSAM. Wieso? Es fehlt ihr doch in der Welt an keinem Guten? schlägt ihn auf die Achsel. Ei, lieber Herr Doktor, es gibt gewisse Leute, die die Trauer um die alte Oberstin von Herzen gern anlegen würden. SCHLAGBALSAM. So? Je, warum läßt man denn noch mich dazu holen? Soll ich etwa dazu helfen? macht eine zweideutige Miene. Nun, das eben nicht! Das kann einen sehr guten Nutzen haben, Herr Doktor, daß Sie hier sind. Sie müssen nur die Oberstin in den Gedanken bestärken, daß sie aller guten Anscheinungen ungeachtet dennoch leicht auf eine schleunige Art sterben könnte? SCHLAGBALSAM sich verwundernd. So? Und daß ihre Umstände sehr gefährlich wären. SCHLAGBALSAM. Ei, das habe ich schon gehöret; mein Herr Kollege hat es mir erzählt. Zum Henker! wer schon die Lumbricos terrestres am Halse hat, der kann keine Stunde vor dem Tode sicher sein! schmeichelnd. Ei, ich sehe, daß Sie ein rechter geschickter Mann sind. Was war das, was sie am Halse haben soll? SCHLAGBALSAM mit einer fürchterlichen Miene. Die Lumbrici terrestres sind's! Sie nennten es ja vorhin mit dem cos ? SCHLAGBALSAM. Ja, das tun wir Gelehrten im Lateine nicht anders. Bald endigen wir die Wörter mit os , bald mit us , bald mit i , allein es ist einerlei Bedeutung. Wissen Sie denn das nicht, Herr von Kaltenbrunn? Sie sind ja auch auf der Akademie gewesen? Ei, was sollte ich mich mit den Grillen geplaget haben? Ich habe studiert, wie ein Edelmann studieren soll. Ich bin auf meinen Reitplatz, Fechtboden, Tanzboden und aufs Billard gegangen und im Winter alle Tage auf dem Schlitten gefahren. Was sollte mir das Latein? Die Bauren verstehen es nicht und die Hasen und Jagdhunde auch nicht. Ach, Bruder! schweige doch von deinen akademischen Jahren! Zum Doktor. So meinen Sie also, daß die Frau Muhme schlecht daran ist? SCHLAGBALSAM. Ich versichere Sie, daß sie nach ihren Umständen recht sehr schlecht daran ist. froh. Das ist schön! das ist ein braver Mann! Allein, lieber Herr Doktor. Vertraulich. Kann man ihr nicht so was eingeben, daß sie noch ein wenig schlechter dran wird? SCHLAGBALSAM schüttelt beiseite den Kopf. Nein! das leidet unser medizinisches Gewissen nicht. schmeichelnd. Ei, man würde Ihnen schon erkenntlich dafür sein, Herr Doktor! umarmt ihn. O ja! lieber Herr Doktor Schlagbalsam, ich will Ihnen dienen, womit ich nur weiß und kann. Brauchen Sie etwa Geld? Ich will Sie an meinen Herzensfreund, den Juden Moses, adressieren, der mir bisher der Oberstin ihre Erbschaft vorgeschossen hat. SCHLAGBALSAM macht einen Reverenz. Gehorsamer Diener! Ich bin erfreut, daß ich diese Probe Ihrer Gnade nicht bedarf. Was gedenken Sie denn so bei ihr zu brauchen, daß sie ihr Testament nicht gar zu lange überlebe? Mich dünkt, es schickt sich im mindesten nicht, wenn Leute ein Testament gemacht haben und doch hernach noch zwanzig, dreißig Jahre in den Tag hinein leben. Es ist nicht anders, als wenn sie die Erben recht zu Narren hätten! SCHLAGBALSAM lächelnd. Jawohl! Wenn ich ein Arzt wäre, so würde ich sehr darauf sehen! Nun, was meinen Sie ihr einzugeben, Herr Doktor? SCHLAGBALSAM. Was Schädliches kann ich ihr doch nicht geben, mein Herr Kaltenbrunn; das habe ich Ihnen schon gesagt. Allein ... O das ist Ihnen auch nicht zuzumuten, Herr Doktor. Schmeichelnd. Allein Sie ... haben doch ... so ... gewisse ... SCHLAGBALSAM. Wir haben freilich gewisse Mittel, die weder schaden noch helfen. Mit diesen kann man nun einen Kranken schon so lange versorgen, bis er entweder zu seinen Vätern fährt oder von sich selbst wieder gesund wird. bedenklich. Von sich selbst wieder gesund wird? Dazu ist der Oberstin ihre Natur wohl zu schwach. Zumal da sie die abscheuliche Krankheit hat, die der Herr Doktor vorhin nannten. War es nicht eine sehr gefährliche Krankheit, Herr Doktor? SCHLAGBALSAM. Ich möchte sie meinem Feinde nicht gönnen! Sie haben also solche zweideutige Arzneien? SCHLAGBALSAM. O ja! Da haben wir zum Exempel die Oculos cerui , die Cornua cancri ; man kann ihr auch von der Haemoptosi oder von der Agrippine was eingeben. lachend. So haben Sie auch eine Arznei, die Agrippine heißt? SCHLAGBALSAM. O ja! Sie heißt zwar auch nach dem Termino artis anders; allein ich habe es Ihnen mit Fleiß deutsch sagen wollen. Und wie heißen die andern Arzneien auf deutsch? SCHLAGBALSAM erschrocken. Ei, wie wollen Sie mir zumuten, daß ich sie Ihnen alle deutsch nennen soll? Das tut kein rechtschaffener Medikus! Sie wirken noch einmal soviel, wenn man sie auf lateinisch oder griechisch in den Leib kriegt. Indessen sind dieses alles lauter unschuldige Mittel, die ich ihr, ohne mein Gewissen zu verletzen, eingeben kann: und vielleicht wird doch auch Ihr Wünschen dadurch erfüllt, wofern nämlich der Frau Oberstin ihre Zufälle zu heftig sind. Nun, das Werk wird den Meister loben! Je eher die Alte stirbt, desto größer wird mir Ihre Geschicklichkeit vorkommen. Es wäre freilich für uns am besten, wenn sie sich abführte. Alte Leute sind doch der Eigensinn selbst und werden sich selbst zur Last. SCHLAGBALSAM sich verwundernd. Mir ist indessen die gnädige Frau doch immer sehr lieb reich vorgekommen. Ja. Gegen fremde Leute kann sie sich wohl so stellen; aber wer sie kennt, der weiß es ganz anders. Sie ist der Hochmut selbst. Man soll sie ja verehren wie einen Götzen! SCHLAGBALSAM sich verwundernd. Ei! Meinethalben! möchte sie doch hochmütig sein, daß sie börste! Wenn sie mir nur soviel Geld gäbe, als ich vertun kann. Aber die filzige Knauserei, das ist mein Tod! SCHLAGBALSAM. Ei! Ist das nicht eine Schande, daß ein junger Kavalier, wie ich bin, keinem christlichen oder andern Juden begegnen kann, dem er nicht soviel Taler schuldig ist, als er Haare im Barte hat? SCHLAGBALSAM schüttelt beiseite den Kopf. Ei! ei! Und daß die Alte dasitzt und ihr Geld bewacht wie eine Henne ihre Eier? lacht sehr. Das ärgste ist, daß sie manchmal noch gar verliebt wird und sich einbildet, sie könne mit ihrer Schönheit noch wohl jemanden bezaubern. lacht sehr. Ja! zaubern könnte sie wohl damit; aber ob sie damit bezaubern kann, das weiß ich nicht. Er sucht in allen Taschen. Potztausend! Ich habe meine Schreibetafel nicht bei mir. Was willst du mit der Schreibetafel? Ich wollte mir nur den Einfall aufschreiben. Immer wenn ich ein Bonmot sage, so schreibe ich mir's hinein. Wie lange hast du die Schreibetafel schon? Als ich auf Universitäten ging, da schenkte die Frau Muhme sie mir. Das ist nunmehro viertehalb Jahr. lächelnd. Hast du denn bald eine halbe Seite voll? Lache nur nicht! Innerhalb Jahr und Tag will ich so viel beisammen haben, daß ich sie in einem mäßigen Oktavbande unter dem Titel Kaltenbrunniana herausgeben kann. SCHLAGBALSAM lächelnd. Ei! die Ana sind ohnedem in gutem Ansehen! Wenn ich nur erst das Vermögen der Oberstin im Besitze habe! denn bei meinen itzigen Schulden läßt sich nicht viel Kluges denken. 3. Auftritt Dritter Auftritt Die Vorigen. Herr Dr. Hippokras. HIPPOKRAS. Mein Herr Doktor Schlagbalsam, die Frau Oberstin begehrt Sie zu sprechen. SCHLAGBALSAM. Ich komme gleich mit Ihnen, Herr Kollege. Er will gehen. Ich bitte Sie nochmals, Herr Doktor, tun Sie doch Ihr Bestes, daß ich meine Bonmots bald voll kriege. Der Herr Doktor Hippokras hat sich schon bisher als unsern Freund bewiesen, und ich hoffe, Sie werden in seine Fußtapfen treten. SCHLAGBALSAM. Ich will mich freuen, wenn ich Gelegenheit finde, Ihnen meine Ergebenheit zu zeigen. zum Dr. Hippokras. Herr Doktor, Sie müssen Ihren Kollegen von den Umständen dieses Hauses hübsch unterrichten. HIPPOKRAS. Das erfordert meine Schuldigkeit. Nun, so gehen Sie und machen die Oberstin fein bereit zum Sterben und zum Testamente. Die beiden Doktoren gehen ab. 4. Auftritt Vierter Auftritt Fräulein Amalie. Herr von Kaltenbrunn. nimmt die Amalie bei der Hand und springt mit ihr ein paarmal auf und nieder. Sa lustig! mein Schwesterchen, nun werden wir bald so reich sein als der Krösus. Ja, ja! und bald darauf bettelarm wie eine Kirchenmaus. zuckt die Achseln. Worinnen besteht das menschliche Leben anders als in der Abwechslung, meine liebe Amalie? Ei du garstiger Mensch! Wenn du nur das Deine besser zu Rate hieltest. Du klagst dem Doktor vorhin, daß die Oberstin dich darben ließe: kannst du das sagen, du Verschwender? Und du klagtest, daß sie so stolz wäre: kannst du das sagen, du kleines Lästermaul? Hat sie dir nicht auf der Universität alle Jahre funfzehnhundert Taler gegeben? He? Und läßt sie dich nicht in ihrem Hause alles so gut mit genießen, als sie selbst es hat? He? Und gibt sie dir nicht itzt alle Monate zwanzig Taler Taschengeld? Ist das Geiz? He? Und läßt sie dich in ihrer Kutsche nicht oftmals obenan sitzen? Ist das Stolz? He? Aber bei dir ist das Geld nicht angewandt. Wenn ich an ihrer Stelle wäre, ich wollte dir's besser weisen, was Geiz ist! Und bei dir ist die Güte nicht angewandt. Wenn ich an ihrer Stelle wäre, ich wollte dir's besser weisen, was Stolz ist! Und wie wolltest du das machen? Den Pantoffel solltest du mir küssen wie dem Papste! Und du solltest mir von jedem Pfennige und Heller Rechnung tun wie ein kleines Kind. Ha! Wie wollte ich dich nicht betriegen! Er lacht sehr. Die lieben Herren Dames wissen viel, was eine Mannsperson alles braucht. Ach! du solltest mich nicht betrügen! Das sei nur versichert! Das müßte nicht gut sein! Nun, laß sehn! zum Exempel! Zum Exempel? Wenn ich dir von der Universität meine Rechnung hätte schicken sollen, so hätte ich dir angerechnet, Er zählt an den Fingern. erstlich für fünfzig Reichstaler Tinte, jedes Jahr. lacht sehr. Nun! wer das nicht merkte, der hätte doch auch wohl einen hölzernen Kopf! das glaubte ich dir schon nicht. Siehst du! Nun, warte nur! es kömmt immer feiner! Zum andern sechshundert Taler für Kollegia. erschrickt. Sechshundert Taler? Ja, sechs Privatissima kann ich darunter nicht halten, das ist ausgemacht. Ob ich sie aber gehalten habe, das ist wieder ein anders. Ich kann auch wohl in die ordentlichen Stunden der Lehrer gegangen und ihnen doch auch das wenige Geld noch schuldig geblieben sein. Das kann mein gnädiges Fräulein auch nicht wissen. Siehst du wohl! Nein, nein! ich wollte dich anders kriegen, du sollst mir die Quittungen von den Professoren beilegen. Da wüßte ich's doch! lacht sehr. Je! ich werde ja gute Sauf- und Spielbrüder haben, die mir sechs Quittungen im Namen der Professorum werden schreiben können. Du kennst ja ihre Hände nicht? schüttelt den Kopf. Nun, so sehe ich wohl, mit denen sechshundert Talern sieht's mißlich aus: darin könntest du mich leicht betrügen! Aber weiter! Weiter, vierhundert Taler für Kleider. Vierhundert Taler? Bist du ... Das wäre für einen Kavalier nicht zuviel. Wenn ich sie nur hätte! Aber ich wollte nicht eine Weste dafür haben. Ei, du müßtest mir die Schneiderzettel schicken. lacht. Ja, ja! die wollte ich dir schicken, und ich hätte doch kein Kleid. Wie wolltst du das machen? lacht. Da ginge ich zu einem guten Freunde, der ein Kleid brauchte, und sagte ihm: Brüderchen, nimm dir ein Kleid nach deinem Gefallen bei dem und dem Schneider aus; aber sage dem Schneider, daß er meinen Namen anstatt deines Namens auf den Zettel setzt. Denn ich habe eine genaue, karge, filzigte, knickerische, geizige, geldgierige, schinderische Schwester zu Hause, die mir kein Geld gibt, und die ich so betriegen muß. halb böse, halb lachend. Gehe, du betriegerischer Mensch! ich mag deine gottlosen Praktiken nicht mehr hören. Potztausend! da kömmt der tolle Hauptmann von Wagehals. Ich kann den tollen Teufel vor meinen Augen nicht leiden. Ich gehe; vertreibe du dir die Zeit allein mit ihm. lachend. Ich habe es alle mein Tage gehört, daß ein unreiner Geist den andern vertreibt. droht ihr. Nimm dich nur in acht, daß er nicht etwa mein Schwager wird. Er geht ab. lächelnd. Warum denn nicht? 5. Auftritt Fünfter Auftritt Fräulein Amalie. Der Hauptmann von Wagehals. Nun, wie steht's, mein Fräulein? Warum haben Sie mich rufen lassen? Das ist aus mehr als einerlei Ursache geschehen. Die hauptsächlichste aber ist, damit es der Oberstin bei ihrem Testamente an Zeugen nicht fehle. Was? Ist das Testament noch nicht gemacht? Ich dachte, Sie hätten mich rufen lassen, um mir zu sagen, wie reich Sie wären. Nein, das kann ich Ihnen noch nicht sagen. Ich hoffe aber, daß es auf eine Stunde früher oder später nicht ankommen wird. Wahrhaftig! ich wüßte es gern je eher je lieber! Ich danke Ihnen, daß Sie meines Glückes wegen so ungeduldig sind. Ihr Glück macht mich ungeduldig, weil ich es auch für meines halte. lächelnd. So? Zum Teufel! der Feldzug ist vor der Türe! Man soll sich alles anschaffen, und ein Offizier wie ich, der einmal in einem gewissen Ruhme bei den deutschen und ausländischen Armeen steht, der kann doch auch nicht so elend aufgezogen kommen wie ein Fahnjunker! lächelnd. Ich sehe noch nicht, was Sie damit sagen wollen, Herr Hauptmann? Mein Gott, Fräulein! unter allen Damen, die sich noch in mich verliebt haben, ist auch keine so scheu gewesen als Sie. Warum rücken Sie mit der Sprache nicht heraus? Ich sehe doch wohl aus allem, daß Sie mich haben wollen. lächelnd. Sie sind sehr offenherzig, Herr Hauptmann! Und warum sollte ich mich verstellen? Das mögen die ungeschickten Leute tun, die sonst keine Verdienste an sich haben. Ich weiß, daß ein jeder Ihre Wahl loben wird, der es hören wird, daß ich Sie bezaubert habe. spöttisch. Wissen Sie das gewiß? Ja, das ist ausgemacht, und also dörfen Sie sich nicht scheuen, es zu gestehen. Es ist eine altväterische Mode, daß die Mannsleute dem Frauenzimmer die Liebeserklärungen recht mit Zangen herausholen müssen. Wenn Sie mir gefallen wollen, mein Fräulein, so müssen Sie nicht so altfränkisch sein. lächelnd. Nicht? Nein! Denn ich bin keiner von den tändelnden Landjunkern, die von ihrer Wiege an bis ins Grab hinter dem Ofen sitzen und ihre Zeit mit verliebtem Geschwätze zubringen können. Ich bin ein wesentliches Stück des europäischen Krieges und Friedens. Ich muß mich also kurz abfertigen. Da ist das Fräulein von Kaltenbrunn; die will dich haben. Willst du sie auch? Je nu ja, wenn sie Geld hat! Wieviel ist's? Soundso viel. Kann ich meinen Feldzug damit bestreiten? Gut! Ja, ja, ich will sie haben! Sehen Sie, so muß es bei mir gehen. Lange zaudern kann ich nicht. höhnisch. Wenn sich aber nun das Fräulein von Kaltenbrunn auf ihre Wenigkeit ebensoviel einbildet, als Sie, mein Herr Hauptmann, sich auf die Ihrige einbilden? Ei, dazu hat Sie zuviel Verstand! Es ist gewiß keine Kleinigkeit, daß sich bei unsrer Heirat mehr als zehn Witwen und Fräuleins aufhängen werden, die mich durchaus haben wollen! höhnisch. Das wird ja eine betrübte Hochzeit sein! Es ist mir recht lieb, daß ich nur wieder ins Feld komme. Ich kann mich vor allen Nachstellungen kaum retten! lächelnd. Und meinen Sie denn, daß es an andern Orten, wo Sie nicht hingedenken, an Freiern fehlt? Ach, ich weiß, was Sie sagen wollen. Sie wollen etwa mit einem oder zween Freiern prahlen, die Sie wo ausgespäht haben mögen. Allein, was irrt mich das? Ich nehme es mit hunderten auf. Wenn ich aber anders dächte? Das will ich von Ihrer Klugheit nicht hoffen. Die Wahrheit zu sagen, ich brauche zwar hauptsächlich Geld: aber ich sähe doch auch gern, daß meine künftige Frau Verstand hätte. schüttelt den Kopf. Gewiß, Herr Hauptmann, Sie tun heute ein wenig ungezogen! Nennen Sie das ungezogen, daß ich mich so zeige, wie ich bin? Es ist nichts Gottlosers, als wenn die Leute ihre Gemütsart vor der Hochzeit verbergen und hernach gewahr werden, daß sie zwei ganz andere Leute sind, als sie vorhin gedacht haben. Nein! ich zeige mich recht so, wie ich bin. lächelnd. Das ist eben nicht allen Leuten vorteilhaft. Ei freilich gehören große Verdienste dazu. Aber sagen Sie mir, mein Fräulein, wird Ihnen die Frau Muhme ihr ganzes Vermögen vermachen? Sie hat sich noch nichts merken lassen; allein, soviel ich vermute, so wird sie meinem Geschwister wohl nur auf lebenslang etwas aussetzen, so daß das Kapital mir doch immer bleiben wird. Das leidige Vermuten! solche Sachen, die mag ich nun so gern gewiß wissen. lacht. So haben Sie doch nur noch eine Stunde Geduld. Haben Sie denn noch sonst von andern Erbschaften was zu hoffen? Ja freilich! Ich erbe ja noch von meiner seligen Mutter Bruder einmal alles. lacht. Je! der hat ja noch zween lebendige Söhne am Leben! Ja, er hat zween Söhne; aber der eine ist sehr schwach an der Lunge. Wissen Sie nicht, wie er immer hustet? Ei! dem Frieden traue der Teufel! Ich habe Leute gekannt, die sich achtzig Jahre durch die Welt durchgehustet haben. Die Bestien saufen Eselsmilch oder Ziegenmilch und pichen sich die Seele recht damit ein. lacht. Nun! das steht dahin! Ich glaube aber nicht, daß er's lange mehr machen wird. Nun! und wo tun Sie den andern hin? Der ist so gesund und frisch wie ein Fisch. lachend. Oh! der schwärmt immer in den Wäldern auf der Jagd herum und liebt so sehr die wilden Pferde, daß er gewiß einmal mit einem den Hals brechen muß. Und da kommen Sie erst an die Erbschaft? Nun ja! macht einen Reverenz. Gehorsamer Diener, mein gnädiges Fräulein! Es sieht mir mit Ihren Erbschaften noch sehr windigt aus. Ich liebe die Erbinnen derer Leute, die den Hals schon gebrochen haben, und nicht derer, die ihn noch erst brechen sollen. halb böse. Aber gewiß, Herr Hauptmann, ich spiele hier eine seltsame Rolle. Sie fragen mich recht artikelmäßig nach meinem Vermögen. Wie? wenn ich nun auch nach Ihrem fragte? Oh! mein Vermögen ist so groß als die ganze Welt! denn es haben es alle die Bürger, Bauren und Edelleute, wo ich ins Quartier gelegt werde. Komme ich diesen Sommer in ein fettes Land, so will ich auch die Einwohner so schinden und ausziehen, daß sie das helle Blut weinen sollen. spöttisch. Das Gewissen nehmen Sie also nicht mit zu Felde, Herr Hauptmann? Das Gewissen? Er lacht sehr. He? was nennen Sie Gewissen? Pfui! sein Sie nicht so abergläubisch. erstaunt. Wie? Sind die Leute abergläubisch, die vom Gewissen reden? Ja, ja! abergläubisch! Was ist Gewissen? Ich tue in der Welt, was ich will und kann. Ich folge meinem Vergnügen und meiner Neigung und nehme und genieße, was ich nur kriege, und bekümmere mich um mein Gewissen nicht ein Haar: denn nach dem Tode ist doch alles aus! Sehen Sie, das ist meine Religion! Eine schöne Religion! Wahrhaftig, man möchte ein Kreuz vor Ihnen machen. 6. Auftritt Sechster Auftritt Die Vorigen. Frau von Tiefenborn. Amalie, deine Schwester will dich sprechen. Amalie geht ab. Ihre Dienerin, Herr Hauptmann. Ich wollte anfangs die Ehre Ihres Besuches verbitten: allein da ich von Amalien gehört habe, daß Sie schon unterwegens gewesen, so ist es mir dennoch lieb, daß Sie hier sind. Sie können ein Zeuge bei meinem Testamente sein. Ihr Diener, Frau Oberstin. Ja, ja, Sie tun wohl, daß Sie Ihr Haus bestellen. Junge Leute können sterben, und alte Leute müssen sterben. Nun, das Alter zwingt mich wohl eben nicht dazu! Je nun! ja, ja! Alt und alt ist zweierlei. Indessen ist eine Frau von vierzig und mehr Jahren auch nicht jung zu nennen. höhnisch. Die Herren Offizier sind so gewohnt, das Alter ihrer Pferde zu untersuchen; daß sie in den Putzstuben ebenso reden, als ob sie im Stalle wären. Nun! nehmen Sie mir's nur nicht übel. Sie wissen ja meine Art: ich nehme kein Blatt vors Maul. Apropos! Frau Oberstin! Wieviel werden Sie der Fräulein Amalie vermachen? erstaunt. Wieviel? Ja. Wieviel wohl ohngefähr? Warum? Wer will das wissen? Ich, ich! lächelnd. Das ist artig! und warum? Hm! ich möchte es gern wissen! lächelnd. Und ich habe mir allezeit eine Freude gemacht, denen Leuten, die eine Sache recht gern wissen wollen, sie gerade nicht zu sagen. Will es etwa Amalie durch Sie erfahren? Nein, das nicht: aber eben um ihretwillen frage ich. verwundernd. Wieso? um ihrentwillen? Ja, ich kann's nicht länger verschweigen. Sie hat sich in mich verliebt: sie will mich durchaus haben. erstaunt. Wer? Amalie? will Sie haben? Ja, ja! mich, mich! schüttelt voll Erstaunen den Kopf und sieht ihn starr an. aufgeblasen. Nun! wie sehen Sie mich denn an? Ist das so was Erstaunliches? Sie ist wahrhaftig nicht die erste, die sich in mich verliebt hat, und wird auch nicht die letzte sein. Die Sache klingt sehr groß. Ich glaube sie nur noch nicht. Sie können sie nur glauben. Es ist nicht anders, als ich sage. Sie will mich nun durchaus haben. Ich wollte sie endlich auch wohl nehmen! Die Oberstin verwundert sich über seiner Frechheit. Allein, ich muß wissen, ob sie viel Geld hat: denn das brauche ich. lächelnd. Gewiß! ich weiß nicht, ob ich träume oder wache: Mich dünkt, Amalie ist so erzogen, daß sie auch ohne Geld ihr Glück noch wohl machen kann. Sie ist ein artiges Frauenzimmer. Oh! gehorsamer Diener. Ich bin ein Freimäurer und mache mir aus artigen Frauenzimmern soviel als aus den unartigen. Wo Sie Ihrer Muhme nicht viel mitgeben, so mag sie immer ein altes Fräulein werden und verzweifeln: dann begehre ich sie nicht. Und ich bin eine Frau, die die Freimäurer noch mehr hasset, als sie uns verachten, und würde meine Muhme den Augenblick enterben, wenn sie eine so üble Wahl treffen könnte. Kommen Sie mit, ich will sie in Ihrer Gegenwart drum befragen. Sie gehen ab. Ende des vierten Aufzuges. 5. Akt 1. Auftritt Erster Auftritt Fräulein Amalie. Der Landrat von Ziegendorf. Nun, Fräulein Amalie, nun freuen Sie sich! der Notarius ist schon unterwegens, und in einer halben Stunde werden Sie ein recht reiches Fräulein sein. verstellt. Ach! mein Herr Landrat! Ich weiß nicht, wie die Frau Muhme auf die Gedanken kömmt, ihrer Frau Schwester eine Erbschaft zu entziehen und sie uns armen Waisen zu schenken. Ei was! meine Frau hat ohnedem zu leben, und sie gönnt es Ihnen von Herzen gern. Ach! nun wird mein Kreuz erst recht angehen! Wieso? Was für ein Kreuz? ziert sich. Ach! ich habe bisher schon meine Not gehabt, soviel Parteien immer abzuweisen, die mir vorgeschlagen worden sind oder sich selbst angeboten haben. Nunmehr, wenn ich vollends eine solche Hoffnung vor mir haben werde: so werde ich gar keine Ruhe haben. Ei, dafür ist guter Rat! Sie müssen nur geschwind einen von allen Freiern nehmen: so bleiben die andern von sich selbst weg. verstellt. Ach! ich möchte so gern mein Leben bei der Frau Muhme zubringen! Ei! was wollen Sie bei der alten Frauen ewig machen? Sie leben ja hier wie im Kloster! Vorhin hat mir noch der Hauptmann von Wagehals wieder aufs ärgste vorgewinselt. Sie wissen es, er ist sonst so frech und unbändig wie ein Husar; aber er hat recht kläglich getan und die hellen Tränen vor mir geweint. Ei pfui! die wüste Hummel nehmen Sie nicht! Er mag sich verstellen, wie er will: an dem Menschen ist nichts! Ich gönne Ihnen was Bessers. Ach! der Oberstleutnant von Degenhieb, der Forstmeister von Frühtau, der Oberste von Daheim, der Berghauptmann von Quarzdorf und hundert andere, die lassen mir gar keine Ruhe. voller Verwunderung. Was? der Berghauptmann von Quarzdorf? Ja. Er schreibt mir die kläglichsten Briefe. Das Kammermensch hat er, wie ich merke, auch schon bestochen. Wo ich mich nur hinrühre, da finde ich ihn. So sehr späht er mich allenthalben aus. im Zorne. Dafür soll ihn ... Wofür sieht der Mann der Oberstin ihr Haus an? erstaunet. Freilich könnte er mich nur in Ruhe lassen. böse. Das soll er gewiß tun; oder ich will ihm ein paar Kugeln durch den Leib jagen. Der Bösewicht hat ja eine Frau! erstaunt. Eine Frau? Freilich, er hat Frau und Kinder. verwirrt. Das habe ich nicht gewußt ... es ... Geben Sie mir die Briefe, Fräulein, daß ich ihn durch seine eigene Hand überführen kann. Der Geier soll ihn holen! sehr verwirrt. Ich ... habe ... die Briefe ... allezeit ... verbrannt ... weil ich ... oder ... Sie mögen wohl ... einen andern ... Quarzdorf meinen? Ach, nicht doch! den Berghauptmann von Quarzdorf kenne ich so gut, als wenn er mein Bruder wäre. Es ist nur der einzige von dem Hause. erholt sich ein wenig. Und denn ist hier der Herr von Kreuzweg, der geht immer um mich herum. Ja, das ist auch der rechte! Nehmen Sie die faule Schildkröte nicht. verwundernd. Wieso? Da kam ich vorhin oben aufs Gastzimmer und wollte nach meinem Kuffer sehen, weil wir diese Nacht hierbleiben sollen. Halb mußte ich lachen, halb ärgerte ich mich auch, als ich den Menschen im Bette liegend und in vollem Schnarchen fand. Den Herrn von Kreuzweg? Und was das ärgste war, so hatte er sich ganz ausgekleidet, um ja recht aus dem Tage Nacht zu machen. Nun, das gestehe ich! Die Menschen müssen sich doch ihres Müßigganges schämen, drum legen sie sich hin und schlafen: so haben sie doch alle Tage etwas getan. Wenn ich im Tage schlafen sollte: so täte ich des Nachts kein Auge zu. Ich bezahlte ihn aber recht. Ich nahm ein Jägerhorn von der Wand und blies ihm ins Ohr, daß es ihm schon ein paar Stunden im Kopfe summen soll. lachend. Daran haben Sie recht getan. Ich kann mich über nichts mehr ärgern als über das Schlafen im Tage. Des Nachts lasse ich gern einen jeden in seinem Bette; aber wenn ich des Tages zu jemanden komme, und er läßt mir sagen, er schläft: so denke ich, ich bin im Schlaraffenlande, wo alles verkehrt zugeht. Bei alten Leuten lasse ich's noch eher gelten. Es heißt, jung gewohnt, alt getan. Ich kenne alte Leute, die nicht darum im Tage schlafen, weil sie alt sind, sondern weil sie es von Jugend auf so gewohnt sind. Alte Leute haben ihre Not, daß sie des Nachts schlafen können, und sollen auch noch im Tage schlafen. Da kömmt der Siebenschläfer her. 2. Auftritt Zweiter Auftritt Die Vorigen. Herr von Kreuzweg. lächelnd. Nun, guten Morgen, Herr von Kreuzweg! lächelnd. Hat Ihnen was Angenehmes geträumt? Ich dächte nicht, daß unser Geschlecht auch so geschwätzig wäre, als man es sonst dem weiblichen schuld gegeben. Wieso? Wie ich sehe, so haben Sie dem Fräulein alles hübsch erzählt. Ja freilich. Das ist wohl die mindeste Strafe für Ihre Trägheit. Nur die Art, wie der Herr Landrat Sie geweckt hat, ist mir ein wenig zu unbarmherzig vorgekommen. Allerdings. Es saust mir in den Ohren, als wenn ich ein ganzes Kirchengeläute darinnen hätte. lacht. Je nun! da habe ich Ihnen zu einer beständigen Musik verholfen, daß Ihnen die Zeit nicht lang werden darf. Wenn ich mein Schlafen im Tage nicht selbst für einen kleinen Fehler hielte: so würde ich sagen, der Herr Landrat täte mir mit seinem Spotte zuviel. Ist es aber nicht eine Schande, wenn ein junger, unverheirateter Mensch in einem Hause, wo zwo so artige Fräuleins sind, nichts anders zu tun weiß, als daß er sich hinlegt und schläft? Ich gestehe meinen Fehler. Ich weiß aber auch, daß meine Gesellschaft den artigen Fräuleins so gar angenehm nicht sein möchte. Warum, Herr von Kreuzweg? Die Gesellschaft mit Leuten, die Verstand haben, ist mir allemal angenehm. Meine Schwester redet zwar lieber von Haushaltungssachen: allein, mein bester Zeitvertreib ist ein Buch oder ein sinnreiches Gespräch. Eben deswegen muß ich, der ich mich weder für gelehrt noch sinnreich halte, mich vor einer so scharfsichtigen Kennerin des Verstandes scheuen. Ei! Herr von Kreuzweg! wer wird mit den Fräulein von gelehrten Sachen reden? Zu meiner Zeit nannte man das eine lautere Schulfüchserei. Warum sollen die Herren nicht mit uns auch von klugen Dingen reden? Ei! kluge Dinge und gelehrte Dinge, das ist zweierlei. Wenn nun der Herr von Kreuzweg Ihnen sagte, daß Sie sehr schön und artig wären und ihn ganz bezauberten, wäre denn das nicht klug geredet? Ich bin gewiß, daß dieses dem gnädigen Fräulein sehr abgeschmackt vorkommen würde. freundlich zum Herrn von Kreuzweg. Dergleichen Reden kommen mir klug oder abgeschmackt vor, nachdem die Personen sind, die sie sagen. Ei, glauben Sie mir nur, Herr von Kreuzweg, dergleichen Sachen hört das Frauenzimmer allezeit gern; sie mögen es nun zugestehen oder nicht. lächelnd zum Herrn von Kreuzweg. Es kömmt alles auf die Art an, wie eine Sache vorgetragen wird. Und da ist bei sinnreichen Personen die rechte Art sehr schwer zu treffen. Ich weiß nicht, wie heutzutage die Welt ist. Auch dasjenige sogar, was die Leute gern haben und was ihnen gefällt, das soll man nicht mehr so geradeheraus sagen. Es soll noch überzuckert, übergüldet, und ich weiß nicht worein eingewickelt sein, daß es mehr zu erraten als zu verstehen ist. Ja, die heutige Welt ist nun einmal feiner geworden. Und darum seid ihr lieben Leute doch noch kein Haar besser daran als wir. Es kömmt doch endlich alles darauf hinaus, daß ihr einen Mann oder eine Frau kriegt, und das geschah zu meiner Zeit auch; aber wir kamen viel kürzer zu unserm Zwecke. lachend. O ja! das glaube ich. So habe ich zum Exempel meine Frau bekommen. Sie war, die Wahrheit zu sagen, zu reich, als daß ich mir es in den Sinn konnte kommen lassen, daß sie mich wohl nehmen möchte. Ich mußte mich aber im Namen eines meiner guten Freunde, der viel vornehmer und reicher als ich, aber nicht so schön und artig war, erkundigen, ob sie sich wohl gegen ihn geneigt erklären möchte. Nach meiner Meinung fädelte ich meinen Antrag fein genug ein; allein sie merkte doch gleich, was ich haben wollte, und sagte mir es gerade in die Augen: meinen guten Freund möchte sie nicht, wenn ich sie aber haben wollte, so wollte sie mich nehmen. Ich erschrak so sehr, als ich mich freuete, und wir verlobten uns den Augenblick. Sehen Sie, so hielten wir's vorzeiten und kamen ebenso weit damit! Ja, ja, das ist ein Muster einer lakonischen Anwerbung! Diese Art, ein Bräutigam zu werden, hat mir so wohl gefallen, daß ich sie für das schönste Stück meines ganzen Ehestandes halte. 3. Auftritt Dritter Auftritt Die Vorigen. Ein Diener. Mein Herr Landrat, die Frau Oberstin läßt Eure Gnaden bitten, Sie möchten sich doch auf einen Augenblick zu ihr begeben. Ich komme gleich. Zu den andern. Ihr Diener. Er geht. Und das gnädige Fräulein möchten sich hier mit dem Herrn von Kreuzweg und der übrigen Gesellschaft nur so lange verweilen: die Frau Oberstin würde mit dem Notarius bald hieher kommen. Schon gut. Ruft nur die andern. Ich sehe ja keinen. Der Diener geht ab. 4. Auftritt Vierter Auftritt Fräulein Amalie. Herr von Kreuzweg. Haben Sie sich ein wenig auf diesem Gute umgesehen? Ja, ich bin heute fast den ganzen Vormittag herumgegangen. Wie gefällt es Ihnen? Es ist ein trefflich Gut; allein es gehört auch ein großes Kapital dazu, dasselbe zu unterhalten: denn teils die weitläuftigen Gebäude, teils der Garten und Tiergarten und die übrigen Zierate erfodern alle große Kosten. Oh, die Frau Muhme wird dafür schon sorgen, daß derjenige, dem sie es vermacht, auch imstande sei, es zu behaupten. Es ist ihr liebstes Gut unter allen, und sie würde sich sehr kränken, wenn es in Verfall geraten sollte. Sie hat ihre Neigung wohl angewandt. Das Gut ist sehr schön. Ich wüßte aber niemanden, dem sie es vermachen könnte, als mir; denn mein Bruder ist ein schlechter Wirt, und die Schwester versteht die Haushaltung auf dem Lande nicht. Zu solchem Gute aber gehört eine genaue Aufsicht. Das ist gewiß. Der Hauptmann von Wagehals hat mir zwar gestern zu verstehen gegeben, daß er sein Leben gern als ein Wirt dieses Gutes zubringen möchte. So! ziert sich. Es beneiden ihn viele Kavaliere; allein es hat niemand Ursache, über ihn eifersüchtig zu werden. Er wird zu dem Glücke wohl niemals kommen! Sie seufzet. Das Glück wäre allerdings groß für ihn. Glauben Sie das, mein Herr von Kreuzweg? Allerdings! ein schönes Gut, ein schönes Fräulein und vielleicht noch ein großes Vermögen dazu, das ist aller Ehren wert. Sie kommen mir doch sehr kaltsinnig gegen diese Güter vor. Kaltsinnig? im mindesten nicht: wenn ich mir sonst einige Hoffnung dazu machen könnte. schmeichelhaft. Personen, die soviel Verdienste besitzen, die können alles hoffen. Dies heißt mir eben alle Hoffnung versagen; denn ich habe gar keine Verdienste oder Vorzüge. schmeichelhaft. So kennen an dere Leute Sie besser, als Sie sich selbst kennen. Andere Leute sind in diesem Stücke gar zu gütig. Ich habe allemal geglaubt, daß Ihre Gemütsart sich sehr gut auf das Land schickte. Ich liebe gleichwohl alle Bequemlichkeiten, die man in der Stadt haben kann; diese aber kosten auf dem Lande viel Geld. Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, so würde mir's nichts Schweres sein, Besitzer dieses Gutes und eines großen Vermögens zu werden. Das macht, Eure Gnaden würden alle die Geschicklichkeit und Vorzüge besitzen, die mir fehlen. freundlich. Sie wollen mich nicht verstehen? Wieso, gnädiges Fräulein? Und ich mag mich nicht deutlicher erklären. Es wird alles auf das Testament ankommen. So sehe ich wohl, das Geld ist doch ein so beliebtes als notwendiges Übel. 5. Auftritt Fünfter Auftritt Fräulein Amalie. Herr von Kreuzweg. Herr von Kaltenbrunn. kömmt hereingesprungen. Nun wird alles gut werden! Die Oberstin läßt schon ihre Erben zusammentreiben wie die Schafe. Sieh da! Herr von Kreuzweg! wo sind Sie so lange gewesen? Ich habe Sie ja seit der Mittagsmahlzeit nicht gesehen? Ich muß mich fast schämen, daß ich's sagen soll. Nun, er hat geschlafen. Ist das eine Sünde? Nein, das sage ich nicht. Aber ich kann im Tage nicht anders schlafen, als wenn ich einen tüchtigen Rausch im Kopfe habe. lachend. So? Drum ist heute der erste Tag, da ich dich nachmittags nicht schlafen sehe. droht ihr. Du Vogel! der Herr von Kreuzweg sollte wohl wunder denken, was ich für eine durstige Seele wäre. Oh! einer Schwester steht schon ein Spaß frei. Ja, das ist wahr! meine Erbschaft wird mir recht sauer. Wieso? Weil ich mich solange ohne Wein behelfen muß. Hast du bei Tische nicht Wein getrunken? Ei, da trinke ich nur so ehrbar aus den kleinen Weingläsern wie die Kanarienvögel. Bei meiner Gesellschaft soll es ganz anders gehen. Heisa! Er springt herum. Vivat das größte Glas! lächelnd. Sie müssen es mit dem Herrn und Lande sehr treu meinen, weil Sie die großen Gläser so lieben. Das versichere ich Sie, wenn die Treue im Gesundheittrinken besteht, so ist mein Bruder das treuste Landeskind. Höre nur, Schwester! es ist mir nicht anders, als wenn die Oberstin mir alle ihre Rittergüter vermachen wird. lacht sehr. So? Dir? Da will ich mir die Erlaubnis ausbitten, manchmal in diesem schönen Hölzchen zu jagen. Oh! es steht auf meinen Gütern alles zu Ihren Diensten! lachend. Ja, du bist der rechte Landwirt. Die schönen Güter werden sich unter deinem Besitze trefflich bessern! Ei, das weiß ich wohl, daß ich kein Wirt bin: drum eben will ich sie verpachten. erschrocken. Verpachten? Solange Sie den Gütern noch nicht spinnefeind wären, Herr von Kaltenbrunn, so wollte ich Ihnen das wohl nicht raten. Ei, es kömmt viel darauf an, was die Pachter für Leute sind. Dieser Mensch ist die Ehrlichkeit und Redlichkeit selbst. verwundernd. Wer ist denn der ehrliche, redliche Engel? Mein lieber, bester Herzensfreund, der Jude Moses. erschrickt. Der Jude Moses? Bist du ausgelassen? Warte! das will ich der Oberstin sagen, daß du ihre schönen Güter an die Juden verpachten willst. 6. Auftritt Sechster Auftritt Die Vorigen. Fräulein Karoline. sieht sich herum. Ist die Frau Muhme noch nicht hier? Nein. Sie wird aber bald kommen. Denke nur einmal, Karoline! der Bruder will die Rittergüter alle an den Juden Moses verpachten! Denn er meint, die Oberstin wird sie ihm alle vermachen. lachend. Ja, das sieht ihm ähnlich! Nun ja! wenn mir's nun gleich ähnlich sieht: Ist es nicht gut ausgedacht? Oh! vortrefflich. Sie lachen alle. Und Sie lachen mich auch aus, Herr von Kreuzweg? Ich leiste dem Frauenzimmer gern in allem Gesellschaft. Was haben Sie denn so Lustiges im Kopfe, meine gnädige Herren Fräuleins? lachend. O nur eine Kleinigkeit! Und wenn's auch was Großes wäre; ich möcht' es gar zu gerne wissen! lachend. Einen Herrn, der soviel Rittergüter hat, den erzürnt man nicht gern. Nur heraus damit! Ich werde nicht böse! lachend. Ich hätte nur so eine kleine Frage. Und die heißt? lachend. Hast du nicht einmal von einem gewissen Manne mit den Eiern was gehört? Sie lachen alle. Oder mit dem Honigtopfe? wirft sein Schnupftuch nach ihnen. Ihr gottlosen Schelme! 7. Auftritt Siebenter Auftritt Die Vorigen. Dr. Hippokras. HIPPOKRAS. Die Frau Oberstin wird den Augenblick hier sein. Wo haben Sie denn Ihren Kollegen, Herr Doktor? HIPPOKRAS. Er kömmt mit der Frau Oberstin. Sie scheint ein großes Vertrauen zu ihm zu haben. Und das ist in gewisser Absicht nicht übel. HIPPOKRAS lächelnd. Ja, ja! Sie mag allerdings eine große Zuversicht auf ihn setzen. Allein, was die Arzneikunst anlangt, darinnen ist er ein Ignorant. Desto besser! Herr Doktor. Desto besser! Er springt herum. 8. Auftritt Achter Auftritt Es kömmt ein Diener und bringt einen Tisch, ein anderer bringt Feder, Tinte und Papier und noch ein anderer zwei Lichte, hierauf kommen herein die Oberstin von Tiefenborn, der Landrat von Ziegendorf, Dr. Schlagbalsam, der Kapitän von Wagehals, der Notarius. Sie setzen sich alle. Dr. Schlagbalsam setzt sich zur Rechten der Oberstin. Der Notarius zieht eine Schrift auf etlichen Bogen heraus und setzt sich hinter den Tisch. Hat Er alles fertig gemacht, Herr Notarius? Ja, gnädige Frau, ich habe ein formelles Instrument verfertigt, wie es vor Gerichten gültig ist, und brauche hier nichts als die Namen und Summen einzuschreiben. Nun, so lese Er es uns allen laut vor. räuspert sich und liest. Sie hören alle emsig zu. »Zu wissen: daß gestern Freitags, war der 14. Tag des Junii, des 1745. Jahres, abends um zehn Uhr, von der Hoch- und Wohlgebornen Frau Oberstin ...« Nunmehro bitte ich mir Euer Gnaden Vornamen aus. Ich heiße Veronika Eustasia. schreibt ein und liest weiter. »Frau Oberstin Veronika Eustasia von Tiefenborn, Erb-, Lehn- und Gerichtsfrau auf Goldenfluß, Rentental, Reichenhof, Schatzleben und Frohenlohe, ein Bedienter, mit Namen Matthäus Nikolaus Pulverhorn, seiner Profession ein Jäger, schwärzlichen, finstern Angesichts, stumpfer, roter Nase, von großen Lippen, borstigen, schwarzen Haaren, seines Alters im 37. Jahr, in grüner Jägertracht mit alten goldnen Tressen, gelben Knöpfen, ziemlich abgetragenen ledernen Beinkleidern ...« Sie fangen alle an zu lachen. Muß denn aller der Plunder in meinem Testamente stehen? Ja, gnädige Frau. Was ist der Welt daran gelegen, ob meines Jägers Beinkleider alt oder neu sind? Ja, gnädige Frau, sonst ist das ganze Testament unrichtig. Geduld werde ich mir von Ihnen allerseits ausbitten; denn es kommen noch viel mehrere solche Sachen vor. Nun, was sein muß, das sei! Lese Er weiter! liest weiter. »Abgetragenen ledernen Beinkleidern, stotternder Sprache, stinkenden Atems ... Sie halten sich alle die Tücher vor. bei mir gewesen und mir berichtet; demnach hochbemeldete Frau Oberstin Veronika Eustasia von Tiefenborn entschlossen sei, ihr Testament und letzten Willen gerichtlich aufzurichten und solches in Dero eigenen Behausung außergerichtlich geschehen solle, ich mich heute, den 15. Junii des 1745. Jahres, mit einem bereits fertigen Instrumente zu denenselben verfügen möchte. Alldieweilen nun solches Begehren meiner Profession und Notariatsautorität gemäß ist, habe ich, Remigius Leodegarius Gänsekiel, Notarius Publicus, mich den heutigen 15. Junii 1745 gegen Abend um halb sieben Uhr zu hochgemeldeter Hoch- und Wohlgebornen Frauen, Veronika Eustasia von Tiefenborn, nach Dero ordentlicher Behausung auf dem Rittergute Rentental, in das daselbst mit einer Seite nach Osten, mit der andern nach Westen, mit der dritten nach Süden und mit der vierten nach Norden gelegene Herrschaftliche Haus, so von außen weiß und blau abgeputzt ist und eine große steinerne Vortreppe hat, worauf ein schwarzer, dicker, zottigter, großer, mich anbellender Pudel gelegen, eine 27 Stufen hohe Stiege hinan in ein mit bunten Tapeten ausgeziertes und mit ... Er sieht sich rundum und schreibt ein. acht Fenstern versehenes ...« Er springt auf. Wo will Er hin, Herr Notarius? kömmt wieder und schreibt ein. Ich habe nur die Glastafeln gezählet. Muß das auch sein? Ja, gnädige Frau. Trauen Sie meinem Aufsatze nur. Ich bin ein alter Praktikus, hier ist keine Silbe zuviel. schüttelt den Kopf. Mich dünkt, alles, was ich noch gehört habe, wäre zuviel. Nun weiter? liest. »Acht Fenstern, darinnen 48 Scheiben gewesen, worunter drei geborsten, eine schadhaft und eine entzwei war ... Sie sehen sich alle um und lachen; er liest weiter. begeben. Allhier habe ich gemeldete Frau Oberstin auf einem mit Er springt auf und guckt unter der Oberstin Stuhl. rotem Samte beschlagenen Lehnsessel, zwar kränklichen Leibes, jedoch bei vollkommenem gutem Verstande, in Gegenwart und Gesellschaft des ...« Zum Landrat von Ziegendorf. Ich werde mir nunmehr Dero Namen und Bedienung ausbitten. Ich bin der Landrat von Ziegendorf. Haben Sie keinen Vornamen? Freilich! Ich heiße Wunnibald Agathon. schreibt ein und liest. »Herr Landrat Wunnibald Agathons von Ziegendorf und des ...« Zum Hauptmann von Wagehals. und Dero Namen und Bedienung? Beuterich Putz von Wagehals, Hauptmann unterm Brichhalsischen Regiment. schreibt ein und liest. »Hochwohlgebornen Herrn Beuterichs Putz von Wagehals, Wohlbestallten Hauptmann unter dem Halsbrecherischen ...« Was? Was? Brichhalsischen. Sie lachen alle. liest. So! so! also »Brichhalsischen Regimente, und ...« Zum Herrn von Kreuzweg. Dero Namen und Bedienung? Mein Name ist Arnolphus Carpasius Volkmar von Kreuzweg. schreibt ein und liest. »Des Hochwohlgebornen Herrn Arnolphus Carpasius Volkmars von Kreuzweg ...« Was bedienen Sie denn? Ich bediene mich selbst, wenn mein Lakai nicht da ist. So, so! Er liest. »und des ...« Zum Dr. Hippokras. Dero Namen und Bedienung? HIPPOKRAS. Meine Name ist Pankratius Mammertus Hippokras, Medicinae Doktor. schreibt ein und liest. »Hochedlen, Hocherfahrnen und Hochgelahrten Herrn Pankratius Mammertus Hippokrates ...« HIPPOKRAS. Nein, nein! so groß bin ich nicht: Hippokras heiße ich. liest. »Hippokras, Medicinae Doctoris, als hierzu erbetenen Zeugen und der ...« Zu Fräulein Amalie. Mein gnädiges Fräulein, Dero Namen? Ich heiße Euphemia Rebekka Amalia von Kaltenbrunn. schreibt ein und liest. »Der Hochwohlgebornen Fräulein Euphemia Rebekka Amalia von Kaltenbrunn: und ...« Zu Fräulein Karoline. Dero Namen? Judith Karoline von Kaltenbrunn, eine Bedienung habe ich nicht. schreibt und liest. »Der Hochwohlgebornen Fräulein Judith Karolinen von Kaltenbrunn und ...« Zum Herrn von Kaltenbrunn. Dero Namen? Albanus Basilius Torpetus von Kaltenbrunn. schreibt ein und liest. »Des Hochwohlgebornen Herrn Albanus Basilius Torpetus von Kaltenbrunn und ...« Zum Dr. Schlagbalsam. Dero Namen und Stand? Ach! es ist schon genug! das Ding hat ja kein Ende! Gnädige Frau, er muß herein; sonst ist Ihr Testament null und nichtig! Ei, Possen! Und wenn hier ein Hund in der Stube wäre, so müßte ich ihn hineinschreiben; sonst sprächen alle Rechtsgelehrten, das Testament hätte kein ehrlicher Notarius Publikus gemacht. Nun, so lasse Er nur eine Lücke da. Es hat seine Ursachen, warum ich den Namen itzt nicht hineinhaben will, Er kann ihn schon hernach einschreiben. liest. »Gefunden; also hat obgemeldete Frau Oberstin von Tiefenborn gegen mich, Remigium Leodegarium Gänsekilium, als Notarium Publikum, sich wegen des so willigen Erscheinens bedankt und mir die Hand gereichet ... Er steht auf und gibt ihr die Hand; sie lachen alle; er setzt sich wieder hin und liest. und sich gegen mich erklärt, wie sie wolle, daß nach ihrem Ableben ...« Nunmehro belieben Eure Gnaden mir zu befehlen, wem und wieviel Sie vermachen wollen? ernsthaft. Gut! schreibe Er nur: Sie sagt ihm vor, er schreibt nach und wiederholt immer, wo er ist. Fräulein Judith Karoline von Kaltenbrunn für die obgedachter Frau Oberstin in ihrem Leben bewiesene Redlichkeit und Treue 20000 Taler bares Geld und das Rittergut Frohenlohe auf lebenslang haben soll. Nach dem Tode dieses Fräuleins aber soll dieses Gut wiederum an die Universalerben zurückfallen. Wen setzen denn Eure Gnaden zu Universalerben ein? gibt dem Dr. Schlagbalsam die Hand. Zum Universalerben alles meines gesamten Vermögens, es bestehe solches, außer obigem Legat, in beweglichen oder unbeweglichen Gütern, außenstehenden Kapitalien, oder worin es sonst wolle, überall nichts davon ausgeschlossen, setze ich nach meinem Tode ein, gegenwärtigen Herrn Doktor Schlagbalsam ... Sie erschrecken alle. Fräulein Amalie insonderheit. Ich bitte mir seinen Namen aus. Schreibe Er nur: gegenwärtigen Hoch- und Wohlgebornen Herrn Anselmus Hubertus von Ziegendorf. Er küßt ihr die Hand. Wie? von Ziegendorf? Ja, als meinem verlobten Bräutigam. Herr von Kaltenbrunn und Fräulein Amalie schlagen die Hände zusammen. Und Fräulein Amalie bekömmt nichts? Wie Sie hören. Ja, so mag ich sie auch nicht! Mit einer Bettlerin ist mir nichts gedient. Und ihr mit einem so wüsten Manne auch nichts. Wer so, wie Sie tun, mein Herr Hauptmann, die Vorsehung und alles, was ein höheres Wesen betrifft, das unser Schicksal regiert, nicht glaubt: der ist auch nicht wert, ein einziges von den Gütern dieses Lebens zu besitzen, das nur die Güte des Himmels den Menschen erteilet. Wahrhaftig, gnädige Frau! ich glaube gar, Sie fangen an zu beten! Er springt auf. Adieu! Adieu! leben Sie wohl! Er geht unwillig ab. Das ist ja eine leibhaftige Kordegarde! Zum Notario. Mache Er weiter, daß wir fertig werden. liest. »Und dieses wäre ihr letzter Wille. Nachdem nunmehro obgedachter Hoch- und Wohlgebornen Frau Oberstin, als sotane ihre letzte Willensmeinung vorgelesen worden, beständig dabei verblieben; als ist solches ihr Testament von ihr auf- und angenommen, durch mich, den Notarium Publikum protokollieret, folgendes anhero extendieret, mit meinem Notariatsiegel und meiner eigenhändigen Unterschrift bekräftiget und in gegenwärtige beglaubte Form gebracht worden. So geschehen, Rentental, ut supra . Remigius Leodegarius Gänsekiel, kaiserlicher Notarius Publikus.« Nun, das ist gut, Herr Notarius. Mein Kassierer wird ihn für seine Mühwaltung vergnügen. Haben Eure Gnaden nichts mehr zu befehlen? Er gibt ihr das Testament. Nein, weiter nichts. Ich danke für Seine Mühe. So wünsche ich Ihnen allerseits eine gesegnete Mahlzeit. Er geht ab. 9. Auftritt Neunter Auftritt Frau von Tiefenborn. Fräulein Amalie. Fräulein Karoline. Herr Landrat von Ziegendorf. Der Kammerherr von Ziegendorf. Herr von Kaltenbrunn. Herr von Kreuzweg. Dr. Hippokras. Sie stehen alle auf. zur Amalie. Nun, Fräulein? Den Ausgang des Testaments hättest du dir wohl nicht vermutet? sehr betrübt. Ich weiß freilich nicht, womit ich eine so große Ungnade verdienet habe. Womit? Mit deinem falschen, bösartigen Herzen; mit deiner undankbaren Art, mich hinter meinem Rücken zu schmähen und vor den Augen noch so freundlich zu tun. Bedenke nur alles, was du gegen den Herrn von Ziegendorf gesagt hast, wie du ihn noch für den Doktor Schlagbalsam hieltest, so wirst du dich nicht mehr wundern, warum ich so mit dir verfahre. Indessen steht es noch bei dir, ob du es künftig besser haben willst. Mein Haus soll ferner dein Aufenthalt sein. Ich will dir nichts von allem dem entziehen, was ich bisher auf dich gewandt habe; und wirst du dein Herz bessern, so kann ich vielleicht auch, weil ich noch lebe, meine Wohltaten gegen dich verdoppeln. Nur daß ich dich in den Stand habe setzen müssen, daß dir künftighin mein Leben so lieb sein muß, als dir bisher mein Tod angenehm erschienen. geht betrübt hin und küßt ihr die Hand. zum Herrn von Kaltenbrunn. Und du, mein sauberer Herr Neffe, kannst deinen heutigen Abendschmaus immer einstellen. Ich wollte gern die Ehre haben, dich bei meiner Verlöbnis zu sehen, und es wird kein so großes Verbrechen sein, wenn man einmal ein paar Juden zum Narren hat. Ernsthaft. Du hast ja meine bisherigen Wohltaten zu deinem eigenen Verderben übel genug angewandt und meine Güte auf eine recht schändliche Weise gemißbraucht. Anjetzund habe ich dir also zween Vorschläge zu tun. Entweder suche Kriegsdienste. Ich will selbst durch meine guten Freunde dir eine Fähnrichsstelle zu verschaffen suchen. Du darfst dir nur ein Regiment erwählen, wo die meisten Freimäurer drunter sind. Oder räume noch heute abend mein Haus, komme mir nimmermehr wieder vor die Augen, und sage keinem Menschen, daß ich deine Muhme sei. macht einen tiefen Reverenz. zur Fräulein Karoline. Erlauben Sie mir, mein schönstes Fräulein, daß ich mir anitzt von der Frau Oberstin eine gnädige Einwilligung ausbitten darf, mich durch Dero Besitz glücklich zu machen. lächelnd. Ersparen Sie sich die Mühe, mein Herr von Kreuzweg. Ich habe nur gar zu deutlich gemerkt, daß Ihr Entschluß, um eine von uns beiden zu werben, auf der Freigebigkeit der Frau Muhme beruhet hat. Allein, ich will Ihnen nur meine Eigenliebe verraten. Mich dünkt, ich wäre auch ohne das nicht eben zu verachten gewesen, und damit ich's kurz mache: vorhin war ich Ihnen zu arm, und itzt komme ich mir zu reich gegen Sie vor. Anitzt erfordert ohnedem die Dankbegierde von mir, daß ich meine bisherigen Dienste gegen die Frau Muhme verdoppele, und ich werde gewiß, solange sie lebt, an keine Heirat denken. zum Herrn von Kreuzweg. Ich kann es meiner Muhme nicht verdenken. Es ist nicht gar zu verbindlich gegen das Frauenzimmer, wenn man den Eigennutz so gar sehr merken läßt. Zu allen Anwesenden. Kommen Sie in den Speisesaal. Die Tafel wird fertig sein, und ich will, daß ferner von diesen Verdrießlichkeiten nicht geredet werde und heute alles in meinem Hause vergnügt sei. Sie gehen alle ab. Nachdem sie alle fort sind, sagt. Ein Schelm, der einen Bissen frißt! Ende dieses Lustspiels.