Der Unzufriedene Wird es ewig nimmer tagen? Dämmert ewig mir kein Licht? Niemand achtet meiner Klagen, Er, der Mächtge, hört sie nicht. Gott! nur einen Tropfen Wahrheit Schenk mir aus dem ewgen Quell, Und mein Geist, erfüllt mit Klarheit, Sieht der Dinge Wesen hell! Uns umhüllt mit dunklem Schleier Wahn und Trug mit tiefer Nacht, Dann erst blickt das Auge freier, Wenn es jenseits neu erwacht. Sende, Vater, wenn die Träne Deines Kinds dich doch erweicht, Einen deiner höhern Söhne, Der mir Lebensbalsam reicht, Der mich durch das Leben leite, Frei von Irrtum und von Wahn, Freundlich helfend vor mir schreite Auf der Wahrheit Dornenbahn! Also rief von Horebs Spitze Durch die weite Wildnis hin Zu des Allgewaltgen Sitze Einst der weise Nureddin, Der in dunkeln Felsenschlünden Unter Fasten und Gebet Lebte, um das zu ergründen, Was des Menschen Aug entgeht. Sieh! da tönen Himmelslieder, Und mit Geisteswehen wallt Aus den Wolken hehr hernieder Eine göttliche Gestalt. Glänzend, gleich dem Morgenrote, Und mit freundlichem Gesicht, Senket sich der Himmelsbote, Tritt zu Nureddin und spricht: »Wisse, daß um euch zu lehren Mich die weise Allmacht schuf, Und aus höhern Himmelssphären Steig ich nun auf deinen Ruf.« »Gott erhörte meine Bitte«, Rufet Nureddin, »er heißt Aus der Himmelsbrüder Mitte Niedersteigen einen Geist, Reich mir denn vom Baum des Lebens Die so seltne, edle Frucht, Die der Weise stets vergebens Hier in diesen Tälern sucht, Schenke mir den Stein der Weisen«, Sowie Nureddin dies ruft, Schwingt der Geist in weiten Kreisen Sich mit Zürnen in die Luft. Und aus hohen Wolken schallet Geisterstimme in sein Ohr: »Wurm, der dort im Kote wallet«, Rufts von oben, »blöder Tor, Um den Menschen zu beglücken, Gab die Gottheit ihm Verstand, Doch in seines Geistes Blicken Fesselt ihn ein festes Band. Was in seines Wirkens Kreise Er bedarf, doch soviel nur, Gab ihm der allgütge, weise Vater jeder Kreatur, Doch statt für die Huld zu danken, Die der Gütige ihm beut, Überspringt er kühn die Schranken Seiner schwachen Endlichkeit. Manches kann er nicht verstehen, Was Gott weise ihm verhehlt; Da schafft kindisch aus Ideen Er sich eine eigne Welt, Er verkörpert seine Träume Und ein Bild der Fantasie Suchet er durch ferne Räume, Sucht und findet es doch nie. Drum laß ab von eitlem Streben! An des Lebens Rand, am Grab, Erst in einem bessern Leben Fällt das Band der Augen ab!« Den 19ten Juli 1807