Scandinavische Weissagungen Erläuterungen Odin ist der König der Scandinavischen Götter Frigga, Odins Weib Baldur, Odins und Frigga's Sohn, der schönste, beste und freundlichste der Götter Notta, die Göttin der Nacht Loke, der böse Gott der Scandinavier Hela ist seine Tochter, und Herrscherin der Unterwelt Ymer, der Vater der Riesen, das Erdelement Nilfheim, die Unterwelt, das Nebelland Der Gialstrom, der Styx der Scandinavier Asgard, die Götterstadt Warnende Träume Ängsteten Baldur, Baldur den Schönen, Odins Erzeugten, Liebling der Frigga. Und zu des Vaters Weisheit sich wendend Forschete Baldur Was ihn bedräue! Aber der Große Herrliche König Wußte des Sohnes Frage nicht Antwort, Rief seiner Gattin; Daß sie zum Eingang Gehe der Erde, Hieß sie der König. Daß sie befrage Dorten die Wole Um die Geschicke Baldur des guten Freundlichen Gottes. Frigga, wie Odin Hatte geboten, Eilte zur alten Furchtbaren Seh'rin, Nahm mit sich Fulla Ihre Gespielin. Und es verliesen Frühe die Straßen Asgards die Frauen; Stiegen zur Tiefe Drunten wo Notta Zögernd noch weilte, Wo aus der Mähne Thauige Perlen Schüttelt das Nachtroß; Kamen zum Saume Hin dann des Norden, Wo mit dem Winter Frühling nicht wechselt, Sommer nicht wärmet, Herbstliche Früchte Reisend nicht schwellen. Wo sich die feuchten Nebel erzeugen, Eisichte Regen, Nächtliches Dunkel. Dort war die Höle Wo die Prophetin Wohnt in der Tiefe. Sag' mir, o Frigga Wes ist die Höle, Die so gewaltig Odem hier holet, Daß mich ihr Lufthauch Zieht fast hinunter? Wisse, der Eingang Hier ist zum finstern Reiche der Hela. Schlangengleich windet Krümmt sich die Höle Neunmal den Tag lang Hin bis zum Strome, Neunmal die Nacht lang Hin zum Gialstrom. Über dem Strome Wölbt sich die Brücke, Welche die Todten Führet nach Nilfheim. Frigga! Du führst mich Lebend zur Stelle Wo seine Schleier Hebet der Abgrund! Nicht will ich schauen, Augen voll Lichtes, Dunkel von Nilfheim. Nicht mag ich sehen Kriege der Todten, Schlachten der Schatten, Luftigen Erzes Blutlose Wunden. Wahrlich verwirren Mögt es die Sinne Körperlos träumen, Schauspiel der Schatten Lebend zu sehen. Odin mich sendet Fragend zur Wole Wegen des düstern Traumes von Baldur. Sie die Prophetin Schauet die Zukunft, Kennet was da ist, Weis was gewesen. Sag wer bedräuet Selige Götter! Wohnt nicht in Hallen Schimmernder Säulen Baldur gesichert? Mächtig ist Baldur, Trägt in der Linken Glänzenden Goldes Dreifache Speere. Trägt in der Rechten Drohend sein Schlachtschwert, Welcher der Götter Mag ihn verderben? Nahet die Stunde, Fallen auch Starke. Viele der Lager Stehen bereitet Drunten in Nilfheim; Gierig ist Hela, Zählet die Gäste, Hält sie in düstren Burgen gefangen. Müssen auch Götter Wandeln nach Nilfheim? Herrschet nicht Odin Droben im Lichte, Drunten im Dunkel? Kann auch geschehen Was er nicht wolle? Mächtig sind Riesen Nennen die Erde Trotzig ihr Erbtheil. Wer sind die Riesen Welche der Götter Erbe bestreiten? Hör', was ich sage, Rückwärts die Seele Schauend gewendet. Einst war der Mond nicht, War nicht die Erde; Feuer im Raume Ewiglich brannte, Drunten war Dunkel Kälte und Nachtfrost. Einstens das Feuer Mischte dem Dunkel Lebende Kräfte. Mächtig erwuchs da Ymer, ein Riese, Welcher erzeugte Viele der Riesen. Uneins sie wurden, Tödteten Ymer, Daß er gewaltig Rollt in die Tiefe, Und aus dem Haupte Wuchsen die Berge, Und aus dem Odem Wölbt sich der Luftkreis, Und aus dem Leibe Wurden die Ebnen. Aber es kamen Droben vom Lichte Viele der Götter; Odin sie führte; Und es entzweiten Schreckliche Kriege Selige Götter, Irdische Riesen. Friede noch fern ist, Denn zu den Feinden Hat sich der böse Loke gesellet, Hat sich mit Riesen- Töchtern vermählet, Fenris den argen Wolf so erzeuget, Und die Verruchte Schlange von Midgard, Dann auch der Todten Herrscherin, Hela. Diese sind mächtig, Trotzen mit gleichen Kräften den Göttern, Diese befürchtet Odin für Baldur, Darum zur Alles- Seherin sendet Odin mich nieder. Siehe die fragende Flamme entglühet, Siehe, der Runnen Zeichen sind fertig Vielfach gemischet, Wartend der Deutung. Höre mich alte Seherin! Wole! Mitternachts Tochter! Mutter der Zeiten! Du, die mit Armen Reichet zum Himmel! Du, deren Fußtritt Nilfheim erbebet! Sage was dräuet Baldur dem Schönen? Sage was wollen Ängstliche Träume Warnend verkünden? Lausche! sie schweiget, Mächtiger rede, Stärkre Beschwörung Ruf ihr entgegen. Blicke nach Norden, Lege die Zeichen, Schüre die Flamme. Du! die du zählest Treffende Pfeile Wodans, im Köcher, Eh' sein Geschoß noch Scheidet vom Bogen, Höre! Prophetin Höre, mich höre! Bereit ist die Tafel, Die Becher sind trübe Der Wein ist wie Blut roth, Die Gäste sind düster, Sie schweigen und sehen Begierig zur Thüre, Denn einer der Stühle Ist leer noch für Einen; Des harren die Vielen, Des zögernden Gastes; Sie schweigen und sehen Begierig zur Thüre. Wem ist der leere Plaz dort bereitet? Wo ist die Tafel? Wer sind die Gäste? Die Tafel ist drunten, Vergangenheit nippet Mit bleichem Gesichte An kärglichen Bechern. Seherin! wehe! Wird aus dem Kranze Asgards die Rose Sinken zum Staube? Knospe des Tages Herrlicher Morgen! Wirst du den Reigen Fliehen der Stunden? – Eins mir noch sage, Welcher der Götter, Welcher der Riesen Dräuet dem Sohne? Der listige Loke Der finsteren Tochter Gesellet den Schönen. Wehe mir! wehe! Röthe, die erste, Färben wird Helas Düstere Mienen, Wenn sie den schönen Fremdling begrüßet. – Wehe mir! wehe! Werden ohnmächtig Nimmer die Götter Rächen der Frevel An dem Geschlechte Trotziger Riesen? Nimmer erwürgen Lokes Erzeugte? Werden die Götter Nie sich der Herrschaft Dauernd erfreuen? Dieses noch sage Schweige dann immer. Erfahren du viel hast, Verstummen nun gönne Der Schweigen Gewöhnten. Die Stirn ist Traum erfüllet Die Wimper Schlaf bedürfend Die Lippe Rede müde Erfahren du viel hast, Verstummen nun gönne Der Schweigen Gewöhnten. Wahrlich, den Schlummer Würdest dem schweren Auge entreiben, Käm' er nur selber Odin der starke Herrliche König, Kundige Rede Dürftest nicht weigern. Es können nicht Götter Bezwingen im Busen Das feste uralte Beständige Herz mir. Sprüche wohl giebt es Zahlen und Kreiße Todten zu öffnen Selber die Lippen; Aber nicht herrisch Will ich gebieten, Flehend ich komme, Odin der Starke Bittet dich, rede! Vernimm denn o Frigga! Nicht können sie dauern Die Reiche des Zwistes. Der mächtige Odin Besiegen nicht konnte In Fülle der Jugend Die Stärke der Riesen, Wird schwerere Kriege Er ihnen bereiten, Wann spätere Jahre Ihn selber besieget? Zwar Ymer ist todt längst, Doch lebt ihm im tiefen Versteinerten Herzen Der Groll gegen Götter, Er lebt in den Kindern Den irdischen Riesen. Der listige Loke Hat göttliche Kräfte Den ihren vermählet, Des freuet sich Ymer, Ergözt sich der Siege Der Enkelin Hela, Sie spottet im Abgrund Vergänglicher Herrschaft Gewaltiger Götter. Jammervoll Schicksal! Rauben wird Hela Sieghaft den schönen Göttlichen Sohn mir? Die Klage verspare Dem größeren Weh noch. Es nahet die Stunde, Ich sehe sie kommen, An nächtlichem Schauer Erkranket der Morgen, Erbleicht vor Entsetzen; Das siegende Dunkel Verdränget den Mittag. Da rufet der Wächter Des Himmels zum Kampfe, Die Götter von Asgard, Denn Söhne des Feuers In kriegrischen Reihen Verderbend bedrohen Die Sitze der Götter; Und Loke gesellet Sich Feinden der Götter; Es sprenget die Ketten Der schreckliche Wolf auch; Es kommen die Riesen Der Berge gezogen. Da Odin erkennet Die Stunde des Falles In ahndender Seele. Dem Wolfe erlieget Der herrliche König. Der Himmel erbebet Es berstet die Erde; Der hungrige Abgrund Eröffnet die Lippen, Verschlinget die irren Vermischeten Räume, Verschlinget das Feuer Und Dunkel und Kälte, Gedanken und Zeiten Und Himmel und Götter In daurender Dämm'rung.