Wittenberg November 1715 – Dresden 2. September 1719 Die Eitelkeit des menschlichen Lebens Mein Geist, beweine doch Den allgemeinen Jammer! Das Leben ist ein Joch, Das uns mehr drückt als zieret, Ach Ungemach! Und auf die Folter schnieret, Ach, ach! Beym Eintritt in die Welt Wird uns der Schmerz zur Amme, Die Gift zur Milch bestellt; Wir führen in der Wiege, Ach Ungemach! Die besten Elendskriege, Ach, ach! Der Fall lehrt uns den Gang, Der Gang lehrt uns das Fallen. Der weinende Gesang Verdient oft Ruth und Schläge, Ach Ungemach! Und bringt nur Furcht zuwege, Ach, ach! Der Jugend erster May Führt uns in Kummerschulen; Der Geilheit Tyranney Beraubet die Gemüther, Ach Ungemach! Der edlen Seelengüter, Ach, ach! Und nimmt man denn ein Weib, So wird uns Creuz und Kummer Ein rechter Zeitvertreib; Da müßen wir verschwiegen, Ach Ungemach! Uns unter Hörner schmiegen, Ach, ach! Den Kummer ziehn wir groß: Da lezen uns die Kinder, Die kleinen nur die Schoos, Die großen Herz und Augen, Ach Ungemach! Wenn sie am Beuthel saugen, Ach, ach! Fällt nun die Jugend ab, So steiget mit den Jahren Das Elend bis ins Grab; Da muß man mit den Plagen, Ach Ungemach! Der Jugend Spott vertragen, Ach, ach! Drauf fährt man nackt und blos Nach einem finstern Lande Auf die Verwesung los; Ja, mancher muß sein Sterben, Ach Ungemach! Noch wohl mit Angst erwerben, Ach, ach! Seht, Brüder, wie es geht! Weint, daß es mit uns Menschen So gar verdrießlich steht; Ach bethet doch noch heute Und wüntscht mit mir, Daß uns die Glocke läuthe Von hier.