Buszgedancken über den Zustand der Welt Den 9. April. 1720. Gerechter Gott, in was vor Zeiten Geräth nicht unser Lebenslauf! Der Jammer wacht auf allen Seiten, Ach Deutschland, thu die Augen auf! Die Laster werden Ruhm und Mode, Die Jugend wächst in eignem Sode, Die Greise treiben Büberey; Man hält die Frömmigkeit vor Schande, Jagt Lieb und Warheit aus dem Lande Und macht die Unschuld vogelfrey. Viel Fürsten saufen Blut und Zähren, Der Unterthan vergißt der Pflicht, Der Große scharrt, den Bauch zu nähren, Die arme Noth bekehrt sich nicht; Ein Nachbar ist des andern Teufel, Die Lehrer zeugen Zanck und Zweifel, Es wuchern Kirche, Recht und Amt; Die Thoren suchen hoch zu rennen, Und daß sie sicher schwelgen können, Wird Gott, o Gott! vorher verdammt. Wo findet doch mein Herz nun einen, Wo tref ich dieses Wildpret an, Mit dem ich bey vertrautem Weinen Solch Ärgernüß bedauren kan? Du siehst es, Gott, und kanst noch schweigen? Nein, nein, du must dich ehstens zeigen, Dein Wetter schickt den Bliz vorher. Ach, denckt denn gar kein Mensch zurücke, Ach, ist denn keiner, der sich schicke, Als wenn es Zeit zu bethen wär? Wir hören deine Donnerstimme, Sie predigt uns mit Blut und Knall; Der Nachbar schwizt in solchem Grimme, Viel Reiche stehn nur auf dem Fall; Man sagt von Heulen aus den Grüften, Das Feuer lodert in den Lüften, Ach, welche Stadt wird Sodom seyn? Die Sündfluth wütet gegen Norden; Gift, Hunger, Schröcken, Raub und Morden Bricht hier und dar mit Schaden ein. O Mensch, so gieb doch Gott die Ehre Und hör einmahl sein Wort aus mir; Damit er dich auch wieder höre, Steht jezt die Rache vor der Thür. Dein Vorwiz dürfte fragen müßen: Du laufst, wer schickt dich? Mein Gewißen, Das andre gern ermahnen soll. Ich beßre die verfluchten Triebe Und werd auch jezo dir zu Liebe Aus hoher Gnade gabenvoll. Du rennest blindlings ins Verderben Und nimmst die Zeichen nicht in Acht. Ach, soll denn eine Seele sterben, Die Gottes Blut lebendig macht? Sey, wie du wilst, ein schwerer Sünder Und aus der Zahl verworfner Kinder, Ja, habe Gottes Geist verflucht: Kehr um und komm nur noch mit Buße, Die Langmuth folgt dir auf dem Fuße, Du wirst wohl nicht umsonst gesucht. So wahr mein Heiland dort die Armen Der Welt zur Rettung ausgestreckt, So wahr empfängt dich sein Erbarmen, Wenn Reu und Ernst den Geist erweckt, Ach, las uns nicht den Tag verschlafen, Wir werden von den harten Strafen, Ich zittre, plözlich übereilt. Wach auf und komm, wir wollen bethen; Der Würger hat in so viel Städten Bereits das Blutmahl ausgetheilt. Die Warnung schneller Todesfälle Bewegt mir Einsehn, Geist und Sinn; Drum fall ich noch auf dieser Stelle Vor dir, mein treuer Heiland, hin. Ich flehe nicht um langes Leben; Du hast es mir aus Huld gegeben, Drum nimm es, wenn du wilst, zurück. Behalt mich nur in deinem Bunde Und gieb mir in der lezten Stunde Den tröstungsvollen Gnadenblick. Bin ich nicht würdig, dort zu prangen, So macht mich doch dein Leiden werth; Ich habe mich zwar stets vergangen, Doch, wie du siehst, zulezt bekehrt. Du bist ja nur ein Arzt der Krancken: Ach, heile doch, ich will dir dancken. Was suchstu mehr? Ein rein Vertraun, . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Da liegt dein Wort, da ist mein Glaube, Ich kann auf diesen Felsen baun. Wie, wo und wenn ich nun erbleiche, Verrückt, vernünftig, bald und spät, Durch Alter, Eisen oder Seuche, So gelte dieses mein Gebeth. Damit gedenckt mein ruhig Herze Bey allgemein- und eignem Schmerze, Es könn ihm nichts zu nah geschehn. Mein Mittler, las den Muth nicht sincken; Du bist wohl kaum so schnell im Wincken Als ich begierig, dich zu sehn.