96. Ich sah in einem schönen Traume Mich mit dem Glase in der Hand; Er wurde, als man ihn gedeutet, Als glückverheissend anerkannt. Ich hatte mich durch vierzig Jahre Stets nur gekümmert und gequält Und fand zuletzt ein Gegenmittel Im Weine, der zwei Jahre zählt; Und jener süsse Duft der Wünsche, Den ich vom Glück begehrte, war Verborgen in der Locke nfalte Des Götzen mit dem Moschus haar. Ein Rausch, von Gram erzeugt, entrückte Zur Morgenzeit mir selber mich: Da wurde mir das Glück gewogen, Und Wein fand im Pocale sich. Nur Blut ist meine stete Nahrung; Doch klage ich darüber nicht: Mein Antheil an dem Tisch der Gnade Ist ja nur immer dies Gericht; Ich nähre auf der Schenke Schwelle Mit laut'rem Blut mich immerdar, Weil eben dies am ersten Tage Mir zugewiesen worden war. Nur mit Gestöhn und nur mit Klagen Betrete ich der Schenke Flur: Dort wird mein Glücksthor sich erschliessen Durch Seufzer und Gestöhne nur. Wer Liebe nicht gesä't, und Rosen Nicht pflückte auf der Schönheit Feld, Gleicht Jenem, der bei heft'gem Winde Zum Tulpenwächter ward bestellt. Ich ging an einem Rosengarten Bei Tagesanbruch einst vorbei – Es brach der Morgenvogel eben In Seufzer aus und Wehgeschrei – Da sah ich nun Hafisen' s Lieder, Durch die den König er geehrt, (Ein jeder Vers aus jener Sammlung Ist mehr als hundert Bücher werth) Den König, der so muthig stürmet, Dass selbst der hehre Sonnenleu Am Tage, wo die Schlacht entbrennet, Zum Rehe schwindet, schwach und scheu. In ihre Blätter schrieb die Rose Das, was Hafis gesungen, ein; Ein Lied so zart und das wohl besser Als hundert Bücher mochte sein. Es schleudern in das Herz des Sprossers Des Gartens Lüfte eine Gluth Aus dem geheim gehalt'nen Maale, Das auf der Tulpe Seele ruht.