Robert Hamerling Homunculus Modernes Epos in zehn Gesängen [Motto] Geist und Sinn hat ew'ge Unrast: Nur im Herzen keimt der Friede, Keimt die Freude, lebt die Liebe, Lebt der heil'ge Daseinswille. 1. Gesang: Aus der Retorte Erster Gesang. Aus der Retorte. Bravo! sagte der Homunkel, Als er fertig, und hernieder Von der riesigen Retorte Sprang er auf den Tisch des wackern Hoch- und tiefgelehrten Doktors Und Magisters, welcher eben Nach unsäglichem Bemühen Mit den Mitteln der Chemie nur Aus den ersten Elementen Dargestellt und hergestellt ihn, Zum Triumph der Wissenschaft. »Bravo, Doktorchen!« so rief er Noch ein zweites mal, indem er Fröstelnd in ein Wämschen schlüpfte, Welches schon für ihn bereit lag; Und mit gnäd'ger Miene klopft' er Auf die Achsel dem Erzeuger. »So im Ganzen und vom reinen Chemisch-physiolog'schen Standpunkt Aus betrachtet, ist, mein Lieber, Was du schufst, ein respektables, Lobenswürdiges Stück Arbeit. Im Detail, da wäre freilich Mancherlei davon zu sagen.« Also fortfuhr der Homunkel, Ließ dann einige gelehrte, Schätzenswerthe Winke fallen, Sprach von Albumin sehr Vieles, Von Fibrin, von Globulin auch, Keratin, Mucin und Andrem, Und von regelrechter Mischung, Und belehrte seinen Schöpfer Und Erzeuger gründlich, wie er's Hätte besser machen können. Musterte hierauf des Doktors Hochgethürmten Bücherschragen, Nahm ein Buch herab und streckte Lesend sich in einen Lehnstuhl. Mit Respekt still von der Seite Sah der Doktor sein Geschöpf an, Welches übrigens frappant ihm Aehnelte: dieselben klugen, Schlaffen, übernächt'gen Züge, Nur daß, runzlig, der Homunkel Aelter aussah als sein Vater, Anderseits jedoch ein Kind noch, Oder, wenn man will, ein Zwerg war. Allgemach begann zu kritteln Und zu nörgeln an dem Buche, Welches er in Händen hatte, Der Homunkel. Int'ressant war Dies dem Doktor, er notirte Die Bemerkung in's Notizbuch: »Erste literar'sche Regung Eines Menschleins – Rezensiren.« Mittlerweil' kam so in Eifer Der Homunkel und erging in Glossen sich, so voll von Witz, so Scharf, so beißend, so gepfeffert, Daß ein Niesedrang den Doktor Ueberfiel, der nicht zu stillen, So daß dieser sich zurückzieh'n Einen Augenblick und einsam Lassen wollte den Erboß'ten, Als der Kleine die Scharteke Warf' bei Seit' und, mit den Beinchen Wie gelangweilt schlenkernd, gähnend, Zu sich winkte den Erzeuger. »Hör' doch, Väterchen!« begann er. »Was beliebt?« frug Jener. »Sag' mir,« Fuhr der Kleine fort, »wie kam dir Denn so eigentlich der Einfall Mich , just mich zu fabriziren? Warum hast du denn nicht lieber Dich auf Alchemie geworfen? Leute giebt es ja genug schon! Besser hätte deine Mühen Dir gelohnt ein goldner Klumpen. (Apropos, wie steht das Agio?) Gold, mein Lieber, das rentirt sich; Alles andere ist Chimäre. Bist ein Idealist, ein Schwärmer! Mußt nun kleiden mich, ernähren! Durst und Hunger schon verspür' ich!« Braten ließ vom nächsten Garkoch Und die beste Flasche Weines Bringen unverweilt der Doktor, Und die edle Gottesgabe Stellt' er hin vor den Homunkel. Der begann herumzustochern Am Gebrat'nen, und zu nippen An des Weines duft'ger Labe, Aber baß den Mund verziehend, Grimassirend wie vor Leibschmerz, Sich das Bäuchlein reibend, krümmte Auf dem Stuhle sich das Männchen. Ach, abscheulich fand den Trank er Und das Essen unverdaulich, Bat ein Dütchen Gummi, Schwefel, Coffeïn, dazu ein Gläschen Reinen Alkohols sich aus. Als er dran gelabt sich leidlich, Kam zurück er auf die Frage: »Wie verfielst du drauf, mein Lieber Mich, just mich zu produziren?« »Lieber, herrlicher Erzeugter!« Gab zur Antwort der Gefragte; »Ganz natürliches Ergebniß Fortgeschritt'ner Wissenschaften Bist du! Wissen, Freund, ist Können! Dich zu machen, an der Zeit war's, Wie es niemals noch gewesen, Und wir thaten's, weil wir's konnten, Weil wir wußten, weil wir glaubten, Daß wir's könnten. Und so wardst du! In der Luft schon gleichsam lagst du! Zeitgemäß und folgerichtig Kamst du, wie im März das Veilchen, Kamst du, wie im Mai der Käfer, Wie der Storch, der Wandervogel!« »Danke für die Ehre!« sagte Der Homunkel; »aber höre, Was so eigentlich – wie sag' ich? – Das Gemeingefühl – Bewußtsein Dazusein – das Leben anlangt, Das du mir geschenkt, so weiß ich Wirklich nicht, ob ichs dir danke. Fühle mich – hol' mich der Geier – Nicht recht wohl in dieser meiner Haut, so fein sie auch gesponnen, Und es plagt mich Langeweile!« – »Teufel!« rief entsetzt der Doktor, »Glaube gar, du bist blasirt schon!« »Glaub' es auch!« versetzte gähnend Der Homunkel. Allgemach dann Hub' er an, in weinerlichem Tone über dieses, jenes Körperungemach zu klagen, Und wenn theilnamvoll der Doktor Näher ihn befragte, rief er Aechzend nur: »Ach meine Nerven! Meine Nerven!« – Wenn der Doktor Seinen Puls befühlte, fand er Selben fieb'risch galoppirend, Und im nächsten Augenblicke Wieder schleichend gleich dem Schrittgang Eines eigensinn'gen Kleppers. Ueber Wallungen, dann wieder Ueber Blutarmuth auch seufzte Der Homunkel; dem Erzeuger Warf er vor, zu wenig Eisen Sei gekommen in die Mischung Seiner ersten Elemente. »Elend ist auch die Verdauung,« Rief er dann, »und Neuralgien Zwacken hier und zwacken dort mich. Packe mir den Koffer schleunigst, Augenblicklich muß in's Bad ich!« Eingebildet nennt der Doktor Seine Leiden, ihn beschwicht'gend. Der Homunkel drauf: »Die Sache Ist, mein Lieber, daß ein bischen Arg du im Detail gestümpert; Und das muß ich jetzo büßen!« Aergerlich den Doktor machten Diese Reden und er sagte: »Nimmst du ganz dein erstes Bravo Schon zurück als Uebereilung In so wachsend übler Laune? Undankbar und unbescheiden Bist du, Junge! Mir verdankst du Diese Haut und diese Knochen, Dies Gewebe, dies Geblüte, Diesen Odem, diese Sinne, Diese Denkkraft; mir verdankst du's, Wenn auf diesem Erdenrund du Deine siebzig, achtzig Jährchen Völlig wie geborne Menschen Leibst und lebst und liebst und leidest!« »Achtzig Jährchen? wär nicht übel!« Gab zurück ihm der Erzeugte. »Hab es satt schon jetzt, das Leben! Ist's vielleicht ein Gut, dies Leben? Weißt du nicht, daß Nichtsein besser? Rechenschaft von dir verlang' ich, Wie, mit welchem Rechte du dich Unterstanden, mich zu schaffen, Mich auf's Rad des Seins zu flechten, Zu verdammen mich zum Elend, Zu dem Hunger, zu dem Ekel, Zu der Langeweil' des Daseins? Hab' ich dich darum gebeten? Lag ich nicht im Schoß des Nichtseins Wonniglich? Wie durftest du so Mir nichts dir nichts aus dem besten Schlaf mich wecken und mich zwingen Mitzutrotten wider Willen In dem langen, bettelhaften Pilgerzug der Kreaturen?« »Ungemüthlich,« rief der Doktor, »Bist du, bist ein Hypochonder, Bist verbittert, bist vergrämelt! Schau' die Welt dir an, die schöne! Und genieße sie!« Da lachte Der Homunkel: »Anschau'n soll ich Diese Welt mir? Mit den Augen, Welche du mir gabst, erscheint sie Eine arge Pfuscherei mir, Wie ich selber! – Und genießen? Ha, genießen! Mit den Sinnen, Welche du mir gabst, befällt mich Bei dem Wort Genießen fliegend Eine Hitze: doch dazwischen Gleich durchfröstelt der Verstand mir, Welchen du mir gabst, die Seele Eisig scharf – Genuß, ha, würfe Zwischen Glut und Frost umher mich, Halb erstickend, halb erstarrend.« Bei den Worten fiel des Kleinen Blick zufällig auf das Bildniß Eines schönen Frauenzimmers, Das im Rahmen an der Wand hing. »Welch' ein Weib!« begann er schmunzelnd, »Welche Augen! welche Wangen! Welche Lippen! welche Glieder!« Konnte gar nicht satt sich sehen An dem Bild, hub an zu strampeln Mit den Beinchen vor Vergnügen. Freudig merkend solch' korrekten Fühlens Ausbruch, rief der Doktor: »Liebe, Freundchen! lerne lieben! Solches wird von übler Laune Bald dich heilen! Will ein Weibchen Dir erkiesen, dir vermählen, Das dir bleibe schön verbunden Immerdar in Lieb' und Treue!« »Lieb' und Treue?« rief das Männlein, Schlug ein helles Hohngelächter Auf, daß das Gemach erbebte Und das Bildniß von der Wand fiel. »Bist ein Idealist, ein Schwärmer!« – Und so immer ärger greint' er, Tobt' er – immer unbarmherz'ger Hunzt' er aus den armen Doktor, Schalt ihn Ignoranten, schalt ihn Stümper, warf ihm insbesond're Vor, er habe soviel Phosphor Beigemischt den Elementen Seines zarten Organismus, Daß genug es für ein Pferd wär', Und infolge dessen glühe Denkend, grübelnd des Gehirnes Masse wie ein Kohlenmeiler Ihm von Anbeginn, des hellen Intellektes Flamme schlage Schier ihm über'm Haupt zusammen, Leucht' in jeden Kehrichtwinkel Dieser Welt hinein so grell ihm, Daß ihm nichts schier übrig bleibe, Als aus seiner Haut zu fahren, Als des Teufels ganz zu werden. »Dank?« so schloß die Rede grinsend Der Ergrimmte, »Dank verlangst du Dafür, daß du mich geschaffen? Eine tücht'ge Tracht von Prügeln Ist der Dank, den du verdientest!« Rief's und leiser dann zu wimmern Fuhr er fort, sich zu beklagen Ueber rasend-wilden Kopfschmerz. Tiefbestürzt, mitleidig neigte Sich der Doktor zu dem Kleinen, Oeffnete sodann den Wandschrank, Arzenei daraus zu nehmen Für den Kranken. Doch der Schrank barg Eine exquisite Sammlung Auch von Giften, die in Fläschchen Mit gar zierlich-netter Aufschrift Wie »Arsenik«, »Cyankali« Und so weiter, lang gereihet Standen hier in schöner Ordnung. Gierig haftet des Homunkels Blick darauf; wie eine Katze Lüstern leckt er sich die Lippe, Und mit einem Griffe blitzschnell Hat er eines Stücks Arsenik Sich bemächtigt – will's verschlingen; Mit genauer Noth entreißt es Ihm der Doktor, sucht ihn schmeichelnd Zu beschwicht'gen. Dann erwägend, Was mit ihm sei zu beginnen, Hält er es zuletzt für's Beste, Vor der Hand in tiefen Schlaf ihn Zu versetzen durch Hypnose. Und er blies ihm in den Nacken, Sah ihm starr in's Aug', begann dann Kunstgemäß die beiden Schläfe Ihm zu streichen, ihm zu drücken, Und nach wenigen Minuten, Tief zurückgelehnt im Lehnstuhl, Lag im Schlummer der Homunkel. »Gott sei Dank! sprach still vor sich hin Der geplagte chem'sche Vater, Und ein Seufzer der Erleicht'rung Rang sich los aus seinem Busen. »Ich riskire, daß der Range Mich noch ohrfeigt!« sprach er weiter Zu sich selbst; »ein Teufelsjunge! Geistig ist er baß gerathen: Nur was Kraftmaß, Säftemischung, Konstitution des Leibes, Was Gemüth, was Stimmung anlangt, Nun, da hapert's. Sonderbar ist's, Daß bei diesem ganz erweislich Materiell-erzeugten, chemisch- Construirten Lebewesen Just das Leiblich-Materielle, Das Natürliche verschrumpft ist, Geist und Intellekt dagegen Ueppig sind in's Kraut geschossen. Hätt' es umgekehrt erwartet! Nicht zu leugnen: Defizite Giebt es noch im Lebenshaushalt Dieses jungen Organismus: Doch er funktionirt – er lebt! Schwächen hat er und Gebreste: Doch der Kern – den Kopf zum Pfande Setz' ich – dieser ist gelungen; Und zu Großem war berufen, Ist berufen dieses Menschlein! Eine große Rolle spielen Muß er, wird er in der Welt noch! Aber so mit Haut und Haaren, Wie er ist – unmöglich wär' es, Daß er durchdringt! Nicht zu Grund geh'n Darf er, aber auch nicht bleiben, Wie er vorliegt! Warte, Männchen, Werde dich beim Worte nehmen! Dich ein bischen »besser machen!« Ueberstürzt war deine Bildung, Ward »forçirt« – darin versah ich's – Durch den Hitzegrad des Herdes, Durch den Ueberfluß der Zufuhr. Hätt' es machen sollen, wie es Die Natur macht, die nie plötzlich, Nie auf einen Ruck mit all' dem, Was sie still bezweckt, herausplatzt, Hier den Sporn braucht, dort den Hemmschuh, Und mit vielen Ritardandos Im spiralen Schneckengange Des Prozesses der Entwicklung, Was sie will, gemach vollendet. Ja, mein Junge, deine Lehre Nutz' ich – werfe dich noch einmal In den Tiegel, reduzire Auf das erste embryonale Urprinzip dich! Diesen ersten, Rein materiell erzielten, Destillirten Lebensurstoff, Welcher mir so schön gelungen, – Herrlichster Triumph des Wissens! – Diesen konservir' ich sorgsam: Aber um den Keim zu bess'rer Individueller Bildung Zu entwickeln, muß verfahren Anders ich mit ihm ab ovo ! Komm, mein Bürschchen! sei nicht bange Für dein Leben! denn dein Punctum Saliens, das ist geborgen: Und im Wesen wirst du bleiben Der du bist; zu deinem Vortheil Umgeformt nur: präsentabler, Hübscher, stattlicher, gedieg'ner!« Also sprechend, warf der Doktor Den entschlummerten Homunkel Flugs zurück in die Retorte, Reduzirt' ihn auf das erste Urprinzip vitalen Daseins, Wie er glücklich es erfunden, Auf den embryonalen Zustand, Auf ein rationell gemischtes, Zartes Protoplasma-Klümpchen. Und nachdem ihm dies gelungen Mit unsäglichem Bemühen, Sacht' den Embryo verpflanzt' er Auf geheimnißvolle Weise In den Mutterschooß der Gattin Eines armen Dorfschulmeisters. 2. Gesang: Des Homunkels Lehrjahre Zweiter Gesang. Des Homunkels Lehrjahre. Munkel hieß der Dorfschulmeister, Dessen Gattin war erkoren, Auszureifen, zu gestalten In dem mütterlichen Schoße Statt des eignen Liebesegens Jenen Keim aus der Retorte, Den gemischt der chem'sche Meister Aus des Lebens Elementen. Als vorüber nun der Monde Neunzahl, trat an's Licht des Tages Ausgereift und ausgestaltet, Lebend und gesund, das zarte Wunderkind, das ungezeugte. Mit emporgezog'nen Brauen, Stirnerunzelnd und mit großen, Klugen Augen um sich blickend, Lag es in der Wiege, weinte Selten, lächelte noch seltner. Keinen Engel sah's im Traume, Denn es glaubte nicht an solche. Aber in der Brütestätte Jenes mütterlichen Schooßes War dem Knaben, pilzkeimartig, Angeflogen doch ein Etwas, Das, als er herangewachsen Und Gehilfe ward des Vaters, Sich verrieth durch Versemachen. In Romanen und Gedichten Hatte seine wack're Mutter Viel gelesen, während sie sich Mit ihm trug, desgleichen später, Während sie das Knäblein säugte Mit der Milch aus ihren Brüsten. So war er Poet geworden: Nicht entgangen war es ihm, Daß die Lust trägt in der Brust Der Poet, den Schmerz im Herzen. Und er machte die Entdeckung, Daß im Lenz die Knospen springen, Und die Rosen lieblich duften, Und die Wasser wonnig rauschen, Und gelind die Lüfte wehen, Und daß hübsche junge Mädchen Angenehm sind anzusehen – Und er glühte vor Verlangen, Dies Entdeckte ohne Säumniß Aller Welt nun mitzutheilen. Wußte nicht, daß solche Dinge Seit Anakreons, des Tejers, Zeit ein öffentlich Geheimniß! Eine schöne Schenkin liebt' er, Feierte sie zart in Liedern – Hebe ihm zugleich und Muse! Späterhin ein Nähmamsellchen, Das mit stahlblank-scharfer Schere Ihm erschien als ernste Parze Seines Glücks- und Lebensfadens. In die Hände eines Tages Fiel ein enggedruckter Band ihm Von Rezensionsauszügen Ueber Schack's poet'sche Werke. Dieses spornte seinen Ehrgeiz. Nachzueifern solchen Flügen War von da an sein Bestreben. In der Prosa war Johannes Scherr Idol ihm, Götze, Fetisch. Wollte nun nicht länger harren, Literarisch und ästhetisch Durchgebildet im Verborg'nen, Edlen Sanges Dank zu ernten. Aber bald ward ihm bedeutet, Daß die Themen seiner Lieder, Maienlust und Liebeswonne, Nicht so neu, als ihm bedünkte, Daß vielmehr schon abgebraucht sie, » Abgedroschen «, – flegelhaft fand Er den Ausdruck – aber schließlich »Eine neue Poesie denn Zu erfinden gilt's,« so dacht' er; »Eine neue zeitgemäße Poesie mit funkel-nagel- Neuen Stoffen – mit Gedanken Und Gefühlen, unerhörten!« – Und er machte die Entdeckung, Daß die Menschen an sozialen Uebeln kranken, daß die Armen Sich in bittrer Noth verzehren, Daß im Glück, im ungestörten, Schufte leben, daß der Hunger Junge Mädchen aus dem Volke Auf die Bahn oft drängt des Lasters, Daß dem welken, reichen Lüstling Jungfrau'nblüte wird verkuppelt, Daß der Bund der Ehe drückend Ist für die, die sich nicht lieben, Daß moralische Versumpfung Aus der Armuth sich entwickelt, Und nicht minder aus dem Reichthum – And'res viel von dieser Art noch. »Brächte,« dacht' er, »diese Dinge In begeisterten Gesängen Ich zur öffentlichen Kenntniß, Ungeheures Aufseh'n müßten Sie erregen und man fände Sich bemüssigt, abzustellen Die sothanen Uebelstände. Nebenbei müßt' über Nacht ich Zum berühmten Manne werden!« – Aber er erlebt' es leider, Daß die Welt bei seiner neu'sten Poesie nicht minder gähnte, Als bei jenen guten alten Lenzeslust- und Liebesliedern. In Verzweiflung ob des Scheiterns Seiner stolzen Ideale, Rafft' er auf sich zum Entschlusse, Ueber's Knie den Lehrerbakel Abzubrechen, fortzuwandern, Hoffend, in der Welt, der weiten, Endlich doch noch aufzutreiben Neue Themen, welche »packten«. Und er fand zwar nichts, was neu , Aber manches doch, was Mode . Dichtermode war zum Beispiel Mittelalter just, das »finstre«, Und das Alterthum das »graue«. Und so schrieb er denn ein Epos, Allerneu'ste »Nibelungen«, Dacht' es stracks wie eine Bombe Zündend in das Volk zu werfen. Es gelang ihm, einzuschleichen Sich mit zartem Minnesange In das Herz der schönen Tochter Eines reichen Buchverlegers. Diesem bot er an sein Epos, Warb zugleich um seine Tochter. Doch der Buchverleger sagte: »Willst du nach der Myrthe greifen, Erst verdiene dir den Lorbeer!« – Und das Buch, es ward gedruckt, Und es ward hinaus gesendet In die Welt und hochgepriesen Ward's, in die Posaune stießen Alle Kritiker, die Ohren Gellten wie der angeschlag'ne Heil'ge Erzschild zu Dodona Mondenlang dem Publikum. Während so vom Lob des Buches Die Journale widerhallten, Schwand das Jahr, und sieh, vergriffen Waren – dreizehn Exemplare. D'raufhin wies der Buchverleger Stumm die Thür dem Minnesinger, Gab die Tochter einem Andern, Und das Epos stampft' er ein. – In die Dienste eines jungen Cavaliers auf Reisen trat nun Unser Munkel. An der Seite Dieses jungen, flotten, reichen Don Juans – als Sekretär ihm Sollt' er dienen – wohlgemuth sich Anzuseh'n die Welt gedacht' er, Hoffend, brauchbar'n Stoff zu finden Endlich doch für jene neue Poesie, nach der er strebte. In der That an Don Juans Seite Trieb er um in mancher schönen Gegend sich, in mancher bunten Groß- und Weltstadt, und in Bädern –, Modebädern, das ist solchen, Wo so recht behaglich plätschert Einer in dem Schmutz des Andern – Trieb sich um an manch berühmtem Bade spielort auch, und weilte Nun an einem, der vor allen Elegant war, fashionable: Zu Tarteiffelburg, an Frankreichs Und des deutschen Landes Grenze. Dieser Ort ward hohe Schule Für Jung-Munkel. Die Gesellschaft Sah er hier, die große, feine, Sah sie lächelnd, lispelnd, trippelnd, Tänzelnd und balsamisch duftend, Untermischt mit räthselhaften, Uebertünchten, parfümirten Existenzen, faul von innen – Sah, wie los man wird am Spieltisch, Was erknausert ward, erknickert, Und ergattert und ergaunert – Sah wie leicht verscherzt, verjubelt Sind die durchgegang'nen Kassen Und die durchgegang'nen Schönen – Sah, naiv erstaunt, die edle Weiblichkeit zum ersten male Dekoll'tirt bis an den Gürtel – Sah die Danaën geschminkt sich In die gold'ne Traufe stellen – Sah den kecken Abenteurer, »Hahn im Korb« der gall'schen Hennen, Der vielleicht nach ein paar Monden Seine seidene Kravatte Schon vertauscht mit einer hänf'nen ... Eines Abends stand im weiten, Hellen Saal am Spieltisch Munkel. Einer, der, noch unbefangen, Regen Sinns hier schaut die Spieler, Festgebannt am grünen Tische, Düster mit verstörten Mienen, Dem erscheint der Tisch ein Angstrad, Drauf geflochten die Unsel'gen, – Meint zu lesen ein Kapitel Aus der Höllenfahrt des Dante. Aber Munkel sah den Tisch nicht, Nicht die Spieler; sah nur Eines: Aufgeschichtet auf dem Tische Hohe, helle Haufen Goldes. Da befiel auf einmal krankhaft Ihn ein räthselhafter Zustand. Stärker ward sein Puls und Herzschlag, Ein gewisses Zucken spürt' er Krampfig in den Fingerspitzen, Vor den Augen ward es gelb ihm, Flimmernd-gelb – ein Schwindel faßt' ihn ... Ach, der Aermste ahnte nichts noch Vom Geheimniß seines Ursprungs! – Seines Keimes Elementen Dachte, um ihn mehr zu kräft'gen, Auch ein Element des Eisens Beizumischen der Erzeuger. Er vergriff sich; in die Mischung Kam ein Element von Golderz. Dies Goldelement im Keime, Stets verlangt' es nach Erneurung, Gleich den ander'n Elementen, Und so lag ein räthselhafter Durst nach Gold in Munkels Blute. Fortstürzt Munkel; Ruh' gewinnt er Erst, nachdem er weit gelassen Hinter sich die gold'nen Haufen. In der Nacht, im tiefsten Schlummer, Naht ein märchenhafter Traum ihm. Sah im Traum als Herkules sich Selber steh'n am Scheidewege. Auf der einen Seite winkte Ihm das Ideal, mit Armuth Und Entsagung im Gefolge; Auf der andern winkte Glanz, Macht, Reichthum. Und zu wählen hatt' er. Eine blaue Blume hier – Dort ein mächt'ger Klumpen Goldes. Jene blühte auf smaragd'ner Wiesenflur – der gold'ne Klumpen Lag im Schmutz und Dust der Straße. Auf der blauen Blume wiegten Farbig-bunt sich sel'ge Falter, Auf dem Klumpen Goldes krochen Würmer, Spinnen, ekle Käfer. Nach der blauen Blume greifen Wollte Munkel. Doch des Erzes Zauber auf sein Blut und Wesen War zu stark – er nahm den Klumpen. Und was sich im Traum entschieden, Es verwirklicht sich im Wachen. An den Spieltisch mit bescheid'nem Einsatz wagt in nächster Nacht sich Unser Held. Die Rollen häufen Sich um ihn im Stundenfluge. Heißa! mehr der gold'nen Rollen! Immer mehr der gold'nen Rollen! Als der Morgen angebrochen, Findet er sich reich wie Krösus. Als ein Mensch, ein Mann nun galt er, Und in ihren Schoß aufnahm ihn Süßlich lächelnd die Gesellschaft. Arm in Arm mit Grafen ging er, Um sich sah er nur noch Sklaven, Und der Gürtel aller Phrynen Schrumpfte für ihn ein zum Strumpfband. Eines dieser schönen Kinder Nahm er fort mit sich auf Reisen. Frei und selber Cavalier nun, Schöpft' er keck den Schaum der Welt ab, Im Geleite dieser Schönen. Aber da die Lust ihn ankam, Auch zu pilgern nach dem lust'gen Ungarland, an Ort und Stelle Zu verkosten den Tokaier, Und zu seh'n die üppig-schönen, Weltberühmten Ungarfrauen, Fiel er im Bakonyerwalde Wilden Räubern in die Hände. Führer dieser Räuberbande War ein Enkel Rosza Sándors, Und gutmüthig, wie nun einmal Ist im Ungarland der Betyàr, Wollt' er unserm armen Munkel Nur die schöne Liebste nehmen, Und dafür das Gold ihm lassen. Doch die leichtgesinnte, munt're Schöne, sie erklärte rundweg, Daß sie bleibe, wo das Gold sei; Und so sah der Enkel Sándors Sich bemüssigt, zu behalten Auch das Gold des armen Munkel. Gerne wäre Munkel selber Auch geblieben bei dem Golde, Auch geblieben bei den Räubern; Denn was sollt' er nun beginnen? Von den Räubern fortgewiesen Trieb er in der Welt umher sich, Und es warf geraume Zeit ihn Auf bewegtem Meer des Lebens Eine Welle zu der andern. So im Lauf der nächsten Jährchen War er viel nicht stets, doch Vieles : Volksmann, Wühler, Freischaarführer, Polizeispion, Major dann In dem Gardecorps des Papstes, Börsenjobber, Spielbankhalter, Bauernfänger, Wunderdoktor, Kriegsschauplatz-Berichterstatter, Vortragsbummler, Taschenspieler, »Medium«, Gedankenleser, Reisemarschall einer Säng'rin, Sozialist, Carlist in Spanien, Renegat und Roßschweifpascha, Jesuit, Schaubudenhalter, Hungerkünstler, Feuerfresser, Sekretär entthronter Fürsten, Schornsteinfeger in der Hölle, Colporteur, barmherz'ger Bruder, Reuß'scher Konsul in Tumbuktu, Cirkusreiter, Clown, geheimer Sendling, Mäkler, Geldverleiher, Kommissär verschied'ner Mächte In den Donaufürstenthümern, Handlungsreisender, Schauspieler, Unterschriften-, Wurzel-, Kräuter-, Lumpen-, Abonnentensammler ... Was von Seelenwanderung einst Lehrten die Pythagoräer, Was Braminen in Legenden Und Ovid in fünfzehn Büchern Von Verwandlungen erzählen, Von Verwandlungen der Menschen, Von Verwandlungen der Götter, Messen darf es sich mit dem nicht, Was geleistet unser Munkel In der Kunst der Selbstverwandlung, Seelenwanderung – in Farben-, Kleider- und Gesinnungswechsel, So im flücht'gen Lauf der Jährchen. Schließlich bracht' ihn ein verdrießlich- Böser Handel vor die Schranken, Und von da – Gott weiß wohin. Ward er flüchtig? Es verliert sich Von da an für eine Weile In geheimnißvolles Dunkel Unser Held; die Weltgeschichte Hat hier eine ihrer vielen, Sehr bedauerlichen Lücken. Aber aus dem Dunkel, siehe, – Etwa wie aus eines Tunnels Nacht man wieder kommt an's Tagslicht – Trat mit einem mal in würd'ger Haltung, reif für Höh'res, Munkel, Als gewiegter, als gerieb'ner, Ausgepichter, als mit allen Salben, wie man sagt, gesalbter Mann hervor, bewußt des Zieles. Aufschlug er in einer Weltstadt Seinen Wohnsitz, und in's Leben Rief er eine große Zeitung: Eine Zeitung von noch niemals Dagewesener Bedeutung, Riesigem Erfolg, betitelt: » Blatt für Alles und für Alle .« Kostenfrei geliefert ward es, Dieses Blatt, dem Abonnenten. Mehr noch: er bekam dazu auch Unterschiedlich-hübsche Prämien, Ostereier, Christgeschenke, Neujahrsgelder und dergleichen. Dies bekam der Abonnent Mit der einzigen Bedingung, Daß er las die Inserate ! – »Teufel, wie ist Solches möglich? Und wie kommt er auf die Kosten?« Also fragten naive Seelen, Welche glaubten, daß ein Vogel Von der Luft, ein Fisch vom Wasser, Und ein großes Blatt, ein Weltblatt, Lebt vom Geld der Abonnenten! – Je nun – Jeder inserirte In ein Blatt, das Jeder las. – Honorare zahlte Munkel Keine; ließ im Gegentheile Stets sich selbst zu hohem Preise Honoriren, was er druckte. Um die Ehre, mitzuwirken An dem »Blatt für Alle«, stritt sich Die Elite der Gesellschaft; Hof- und Staats- und and're Räthe Oder auch die Führer mächt'ger, Zahlungsfähiger Parteien Lieferten die Leitartikel. Große Bank- und Handelsfirmen Lieferten die finanziellen, Volkswirthschaftlichen Berichte, Zahlten fabelhafte Summen Für die Ehre, in Herrn Munkels Blatte sich gedruckt zu sehen. Literarische Kritiken Lieferten die Buchverleger Und die Feinde der Autoren. Sehenswürdig war das eng're Redaktionsbureau des Blattes. Vier »interne« Kräfte zählt' es. Anvertraut den beiden ersten War das Werk des Redigirens. Dieses Paar erprobter Kräfte War der Rothstift und die Scheere . Daran schloß sich als »interne« Dritte Kraft ein Bullenbeißer, Welcher Jenen in die Waden Fuhr, auf welche man ihn hetzte. Von den menschlichen Organen War beim Vierten das Organ nur Der Verantwortung entwickelt, Das auch Sitzorgan genannt wird. Vorbehalten hatte Munkel Von den Redaktionsgeschäften Für sich selbst sich das des Schweigens – Das des Schweigens und Verschweigens – Dieses lohnte sich am meisten. In des Blattes Magazinen Fand sich eine Riesentonne: Und in dieser Riesentonne War ein ungeheurer Vorrath Aufgestapelt alles Süßen : Alles Lobes, alles Ruhmes, Jeder Art von Anerkennung. »Unvergleichlich, herrlich, prachtvoll, Meisterhaft, nie dagewesen, Zauberhaft, entzückend, himmlisch« – Jedes dieser Prädikate, Jedes dieser Adjektive Bis hinunter zu »befried'gend« Und »genügend« und »nicht übel« Hatte seinen Preis. Reklame, Von der plumpsten bis zur feinsten, Ohne Maske und mit Maske, Unverschämte und verschämte, Bot in Tausenden von sinnreich Und kokett erdachten Formen Sich dem Käufer dar zur Auswahl. Aber wie es einst im alten Attika den besten Honig Und zugleich das beste Salz gab, Hielt das Bittere dem Süßen, Hielt dem Zuckerseim der Wermuth, Hielt dem Sammtpfötchen die Tatze, Asa foetida dem Weihrauch Und der Unglimpf der Verhimmlung In Herrn Munkel's Blatt die Wage. Schwunghaft einen Handel treiben Konnt' es heimlich mit den Häuten, Die es Feinden abgezogen – Eig'nen Feinden oder fremden. An die großen Magazine Der Reklame schloß dann weiter Sich das große, weitberühmte » Meinungspensionat « des Blattes: Jede Art von öffentlicher Oder auch privater Meinung, Ansicht, Grundsatz, Ueberzeugung Ward hier in die Kost gegeben Und für Geld so groß gezüchtet, Dick gefüttert, ausgestattet, Und an Mann gebracht so günstig, Als man es nur wünschen mochte. – Alles Käufliche der Welt, Alles Leckere des Erdballs, Alles Schöne, Delikate, Seltene, Begehrenswerthe, Alles, was nur die fünf Sinne Eines Menschen mag erregen, Reizen, locken und verführen, Gab bei Munkel's Blatt die Karte Höflich ab und die Adresse. Und von all' Dem, selbstverständlich, Hatte das » jus primae noctis « Munkel selbst – das »Recht der ersten Nacht«, das Recht, es vorzukosten. Tributpflichtig war die Welt ihm. Freien Eintritt, freien Zutritt Hatt' er überall durch off'ne, Blumenüberhang'ne Pforten. Keine Thür war ihm verschlossen, Und kein Ohr, kein Herz, kein Beutel. Alles beugte sich vor ihm, Dem Gefürchteten, Allmächt'gen; Alles zog vor ihm den Hut, Wenn auch mit geheimem »Daß dich ...« War er doch der große Richter, Mittler, Förd'rer, Gnadenspender! Fürsten und Minister drückten, Juden küßten ihm die Hände. Künstlerinnen, schön und häßlich, Schmiegten – je nachdem – als Kissen Ihm zu Häupten sich, im andern Fall als Teppiche zu Füßen. – Käuflich immer fand er Alle, Weil er käuflich war für Alle. So zu hohem Glanz und Ehren Durch sein Blatt gelangte Munkel. Aber als nun eben wieder Eintrat eine Zeit des neuen Volkswirthschaftlich hohen Aufschwungs, Eine Aera wilden Taumels, Eine Aera fieberhaften Rennens, Ringens, eine Aera Wüsten, korybant'schen Tanzes Um das gold'ne Kalb – als üppigst Voll in Samen schoß der Schwindel, Jeder hinwarf, was er hatte, Um ein Mehrer's einzutauschen – Da verkaufte unser Munkel Um ein Heidengeld an eine Große Aktiengesellschaft Sein Journal und wurde Gründer . 3. Gesang: Der Billionär Dritter Gesang. Der Billionär. Gründer eines Unternehmens, Welches großen Ausfuhrhandel Trieb mit frischen Regenwürmern Nach dem steinigen Arabien, Wurde Munkel. Eine Zeit war's, Wo es schneite Werthpapiere, Wo ein Gold- und Silberhagel, Wo ein Regen, eine Sintflut Niederging von Millionen Auf der Menschen sel'ge Häupter. Kalifornien, Bimini, Kolchis, Dschinnistan, Atlantis, Avalun und Eldorado Waren nicht so reich an Wundern, Waren nicht so reich an Märchen, Wie der Börse heil'ge Hallen. Jeder hatte Gold, weil Jeder Es hinauswarf. Jeder hatt' es, Aber es gehörte Keinem. Jeder Seckel hatt' ein Loch, Durch das er sich stets entleerte, Aber auch sich wieder füllte. Eine ungeheure Rolle Spielte Munkel bald als Geldmann. Jeden Krösus, jeden Nabob, Jeden Rothschild übertrumpfend, Stand er schließlich da als erste Geldmacht dieses Erdenrundes. Eine große dampf-getrieb'ne Couponsschnittmaschine hatt' er: Diese, rastlos Tag und Nacht, Sichelte von kolossalen Stößen seiner Werthpapiere Die Coupons nur so herunter, Wie die Häckselschnittmaschine Häcksel schneidet auf der Tenne. Mit verschwenderischem Aufwand Ueberstrahlend aller Fürsten, Aller Höfe Prunk und Prächte, Trank und aß er nur aus Gold, Stand und ging und saß und lag er Nur auf Goldbrokat und Seide. Jede seiner Festmahlzeiten Riß ein Loch in die Natur, Und die Welt, verarmt, geplündert, Zitterte vor Angst, durch Munkel's Und durch seiner Gäste Gurgel Nächstens ganz gejagt zu werden. Zu Gespielinnen erkor er Holde Wesen aus Cirkassien, Polen, Ungarn und Rumänien; Und die Danaën, sie schützten Sich vor Munkels gold'nem Regen Nicht mit aufgespannten Schirmen, Ließen über sich ergehen Wolkenbrüche seiner Gnade. In dem ries'gen Hühnerhofe Hatt' er steh'n den Vogel Phönix, Und im Stall den Pegasus, Welcher mit gestutzten Flügeln Und beschlag'nem Huf sich spannen Ließ vor seine Prachtkarossen. Seiner ersten Favoritin Nachzutragen ihre Schleppe Und den Schatten in der Sonne, Dient' ihm ein gefang'ner Elf. Selbst der Teufel, hieß es, habe Sich ihm schon gestellt zu Diensten, Und erboten sich, als Mohr Bei den gold'nen Prachtkarossen Munkel's hinten aufzusitzen. Mächt'ger wuchsen noch die Schwingen Ihm, da er als Gründer auftrat Eines neuen Unternehmens, Einer Aktiengesellschaft Zur Behebung des versenkten Nibelungenhorts im Rheine. Würdigend so edles Beispiel Patriotischer Gesinnung, Hob das Volk ihn bis zum Himmel, Ueberhäuften Deutschlands Höfe Seine Brust mit Ordenslasten, Schlugen ihn zum Ritter, gaben Bald ihm auch die Freiherrnkrone. Straßen und Kanäle, Länder Fern am Nordpol und im Monde, Schiffe, Hüte und Kravatten, Und Planeten, neu entdeckte, Nannte man nach seinem Namen. Sein Porträt fand auf Bonbons sich, Auf Lebkuchen, Zündholzschachteln, Tanzordnungen, Busennadeln, Tabaksdosen, Tabakspfeifen, Auf Schnupftüchern, Kaffeetassen, Bierglasdeckeln, Wirthshausschildern. Jede illustrirte Zeitung Wandelte für ihn zum Spiegel Sich, draus ihm wie zum Rasiren Sein Gesicht entgegengrinste. Doch bei all' den Herrlichkeiten Fühlte Munkel oft sich elend. Unerklärliches Gebreste Regte sich in seinen Gliedern. War ihm doch, als würden manchmal In ihm locker die Atome, Und als könnt' im Niesen etwas Von Molekeln des Gehirnes Ihm entweichen durch die Nüstern. Krankhaft wüster Durst nach Gold, Seltsame Gemüthszustände Quälten ihn und zehrten heimlich Ihm an Leber, Herz und Lunge. Lüsternheit, Blasirtheit mischten Peinlich sich in seinem Wesen, Heimgesucht von schnöden, fremden, Wunderlichen Appetiten Fühlt' er sich: Gelüste kamen Ihm noch Asa foetida – Schweingegrunze – bärt'gen Schönen. Manchmal sehnt' er sich nach Prügeln, Zankte, balgte sich mit Wichten, Oder einen Unbekannten Bat er in des Markts Gedränge, Zu versetzen ihm für gutes Trinkgeld einen Nasenstüber, Schurke, Dummkopf ihn zu schelten. Aerzten jeder Schule warf er Haufen Goldes vor die Füße; Und die Aerzte übersetzten Ihm in's Griech'sche seine Leiden – Das war alles, was sie konnten. Manche auch, mit seines Wesens Innerster Natur und Herkunft Nicht vertraut, nicht klug geworden Aus des Kranken irren Reden, Und deshalb nur um so dreister Ihre Diagnosen stellend, Salben mischend, Tränke brauend, Brachten ihn dem Tode nahe. Einen Preis ausschrieb der Kranke Schließlich: einen Scheffel Goldes Für den Arzt, der ihn verstände. Kunde kam hiervon zu Ohren Auch dem würd'gen, tiefgelehrten, Zauberkund'gen Mann, aus dessen Händen war hervorgegangen Der Homunkel-Embryo. Mittlerweil' zum Greis geworden, Hatt' er aus der Ferne Munkels Lebenslauf verfolgt mit größtem Herzensantheil stets im Stillen. Stören dieses Lebenslaufes Vielversprechenden Emporgang Wollt' er nicht durch Uebereilung, Durch Enthüllungen zur Unzeit. Aber jetzt vor Munkel treten Wollt' er, seiner Leibesschwächen Art und Grund und Grad erforschen, Ihm zum Helfer sich erbieten, Ihm eröffnen das Geheimniß. Gähnend erst empfing, gelangweilt, Munkel den Gelehrten, welcher Nur gekommen schien, das Tausend Voll zu machen seiner Helfer. Aber bald, wie von geheimer Sympathie zu ihm gezogen, Stand er Rede diesem Würd'gen, Schüttete vor ihm sein Herz aus. »Ach,« so seufzt' er, »selber rathlos, Stets vergebens Hilfe suchend, Helfen soll ich aller Welt! Soll für Alle sein der heil'ge Niklas, welcher füllt mit Gaben In der Nacht an allen Fenstern Die hinausgestellten Schuhe! Und auf ihren Knieen bitten Mich die Armen, mich die Wittwen, Mich die Waisen, selbst die Bettler, Anzunehmen ihr Erspartes, Und zum Fortunatussäckel Soll in meiner Hand dem Eigner Wandeln sich der Bettlerranzen! Volksaufläufe, Prügeleien Vor den Pforten meines Hauses Stören Morgens mir den Schlummer. Ja, dies Haus, der Welt ein Mekka, Heil'ges Grab, ein Montsalvatsch, Eine Burg des heil'gen Gral ist's! Pumpende Finanzminister Treten sich in meinem Vorsaal Ab die Zehen! Wie das Gold mich Anzog mit geheimer Kraft stets, Zieh' ich an das Gold auch selber. Mir als lebendem Magnetberg Fliegt es zu aus den Verstecken, Von des Königs Schatzgewölben Bis hinab zu dem mit harten Thalern angefüllten Wollstrumpf Eines greisen Harpagons. Ha, bald bin ich gar der Einz'ge , Und die Welt mein Eigenthum! Siebenmeilenstiefel liefert Mir mein Schuster und Gewande Von Asbest mein Kleidermacher; Wiederfand mein Koch die alten, Längst verlorenen Rezepte Der Ambrosia, des Nektars! Ach, bei den lukull'schen Mahlen Meiner Küche fehlt mir nichts, Als der Hunger – auf den seid'nen Kissen meines Schlafgemaches Nur der Schlaf – im Arm der Liebe Nur die Liebe!« – So sprach Munkel Und geleitete den Alten Durch die Säle seines Hauses, Wo sich drehend in den Angeln, Alle Thüren Melodieen In kristall'nen Spieluhrklängen Wundersam vernehmen ließen. Seine strahlenden Gemächer, Seine Bühne, seines Schachbretts Märchenpracht mit kostümirten Lebenden Figuren zeigt' er Im Vorbeigeh'n dem Besucher, Seinen Springbrunn, der Champagner Perlend in die Lüfte sprühte, Und an welchem kunstgefügte, Automatische Figürlein, Ganymed und Hebe, gold'ne Becher füllten und kredenzten. Denn in Munkel's Hause waren Meist ersetzt lebend'ge Diener Jeder Art, Schauspieler, Sänger, Virtuosen, durch kunstvolle Automaten, und zum Theil auch Durch Maschinen, drahtgezog'ne, Dampfgetrieb'ne: und Geräthe, Todt sonst, durch lebend'ge Wesen. So bewegten Lebewesen Zierlich sich auf Munkel's Schachbrett, Ein dressirter Löwe schmiegte Statt des bloßen Löwenfells als Teppich sich vor Munkel's Lager, An dem Pavillon des Gartens, Im Barockgeschmack errichtet, War das Kuppeldach getragen Von dressirten Boaschlangen, Welche sich darunter stemmten, Regelrecht den Leib geringelt In Gestalt gewund'ner Säulen. Aber eine Nachtigall, Die bezaubernd sang im Bauer, War ein Automat – desgleichen Ein Eichhörnchen, dessen Sprünge Lenkten, wie an Zauberdrähten, Wunderkräfte der Elektrik. Munkel hieß den Greis am Springbrun' Mit dem Schaum aus Hebe's Spitzglas Sich die Lippe baß erfrischen. Zeigte dann auch dem Erstaunten Seine Raritätensammlung, Ohne viel Gewicht zu legen Auf Kleinode, altberühmte, Märchenhafte, die für ihn Einzig nicht »Chimäre« waren, Weil er sie – bezahlen konnte. »Hier der Stein der Weisen,« sprach er, »Leider nur zu spät gefunden, Schon verwittert und zerbröckelnd! Hier Faust's Mantel, arg verschlissen, Löcherig, drum ohne Flugkraft! Hier die einstens vielgenannte »Blaue Blume« der Romantik, Duftlos, eingepreßt, getrocknet! Hier das Horn des Oberon, Das so wunderbar erklungen Durch die Schluchten, durch die Thäler, In der Minne gold'nen Zeiten – Heiser jetzt und dumpf nur klingt es! Hier des Fortunatus altes Wunschhütlein! Nur noch als Schlafmütz' Brauch' ich es zuweilen. Nicht mehr Aufzutreiben war das alte Echte Horn des Ueberflusses: Traun, ersetzt in unsern Zeiten Ist das Horn des Ueberflusses Durch den Ueberfluß an Hörnern. Hier das Kostbarste: die Schale Ist's des heil'gen Gral! Geschnitten Aus Smaragdgestein! Unschätzbar! Habe sie von einem Juden, Welcher sie bei einem Köhler In den Pyrenä'n entdeckte Unter altem Kram, voll Spinnweb, Staub und Dust – für zehn Realen Nahm der Jude sie vom Köhler, Ich erwarb für eine halbe Million sie vom Hebräer: Solches ist der Werth des Steines.« Fröstelnd drückte jetzo Munkel, An des Alten Seite weiter Durch die Prunkgemächer wandelnd, Auf die Feder eines wucht'gen, Halbverborg'nen Mechanismus. Wie durch Zauber drehten plötzlich Sich der Sonne zu die Fenster Des Gemachs, das sie durchschritten. Drehbar stand das Haus auf Säulen, Zuzukehren seine Fenster Nach Belieben jetzt der Schatten-, Jetzt der warmen Sonnenseite. Eines Zifferblattes Zeiger Rückte Munkel im Vorbeigeh'n Auf des Wärmegrades Ziffer, Den er wünschte, und ein linder Zephyrhauch von duft'ger Wärme Strömte hin, elektro-thermisch Angefacht, durch alle Räume. Doch zu frösteln fortfuhr Munkel, Und sich matt auf eines Sophas Seid'ne Purpurkissen werfend, Hub er grämlich an zu klagen Ob der Schwächen und Gebreste, Die ihn quälten. Erst am Mund ihm Hing mit unverwandtem Lauschen Still der Alte; doch dann, fragend, Jetzo Puls und Herzschlag prüfend, Jetzt der Zunge Blaß erwägend, Jetzt das Gelbgrün aller Adern, Jetzt betupfend und betastend, Jetzt beklopfend und behorchend Alle Glieder und Organe, Drang so allgemach mit manchem »Hm!« und »Ha!« und »Ei!« der Meister Durch bis auf den Grund der Dinge. In ein Brüten dann versank er, Schien ein Schweres zu erwägen Und nach dienlichem Entschlusse Wankend, angestrengt zu ringen. Endlich hatt' er durchgekämpft sich Zu gewichtiger Entscheidung, Und den ernsten Blick auf Munkel Richtend, hub er an in dumpfem Und schier feierlichem Tone: »Für dein Leiden, edler Munkel, Für die Schwächen und Gebreste, Die dich quälen, giebt es einen , Einen Arzt nur, einen Helfer! Einen Helfer, welcher wissend , Wahrhaft in dein Inn'res blickend, Ganz dein tiefstes Sein erfassend, Auch allein dich stärken, heilen, Retten kann! Und dieser einz'ge Arzt und Helfer und Berather – Es ist der, der dich geschaffen, Dich gerufen hat ins Dasein!« »Sprichst du von dem lieben Gotte?« Fragte Munkel, sah mit leichtem Naserümpfen von der Seite Seltsam schielend auf den Alten. »Nein!« versetzte lächelnd Dieser. »Nein, mein Freund, der liebe Gott, Glaub' es mir, hat nichts zu schaffen, Nicht mit dir, noch deiner Schöpfung, Und er wird dir auch nicht helfen! Nein, der dich ins Dasein rief, Dich erschuf, es ist ein Mensch, Ja, ein Mensch, ein Mensch wie and're – Mißversteh' mich nur nicht wieder: Nicht den Dorfschulmeister mein' ich, Den als Kind du Vater nanntest; Nein, es ist ein Mann des Wissens Höh'rer Art, von dem ich rede! Dieser Mann – nun fasse dich, Edler Munkel, Aug' in Auge Fest zu schau'n dem allertiefsten, Wunderbarlichsten Geheimniß: Dem Geheimniß deines Daseins! Dieser Mann, er hat nach langem Forschen, Sinnen und Bemühen, Hat in langen Winternächten Im verschwiegenen Gemache, Stoffe bindend, Säfte brauend, Deines Daseins, deines Wesens Keim gemischt und ausgestattet Mit des Lebens Wunderkräften. Dieser Mann – bin ich!« Mit starren, Aufgeriss'nen Augen blickte Munkel auf den Wunderthäter; Keines Wortes war er mächtig. Ihm getreu den ganzen Hergang Seiner ersten, zweiten Schöpfung Nun erzählt der greise Meister. Wie er hergestellt allein ihn Ohne mütterliches Zuthun – Eines Bessern durch Erfahrung Dann belehrt, ihn eingeschmolzen, Aufgelöst bis auf den Urkeim, Der, zwar reinste Stoffnatur, Doch in einem Mutterschoße Langsamer gereift und kräft'ger Und natürlicher entwickelt, Trat hervor an's Licht: geboren , Aber nicht gezeugt ... Noch immer Schweigend in den Kissen lehnte Munkel, horchte starr der Kunde. Jetzo schwand ihm das Bewußtsein, Und er sank in sich zusammen. Aber aus der tiefen Ohnmacht Ruft zurück ihn bald der Meister, Spricht ihm Muth ein, heißt ihn dankbar All' des Herrlichen gedenken, Das ihm ward, und wie so anders, Glücklicher sein Loos gefallen, Als der andern Menschenkinder, Bürgschaft leistend für den Vorrang, Des durch Wissensmacht Geschaff'nen Vor den Andern, den Erzeugten! Und die Schwächen und Gebreste, Die ihn lang bedrängt, für diese Sei der Wissende, der Helfer, Der Berather nun gefunden! »Alte Weise,« sprach er, »dachten, Fäulniß-widriges Prinzip sei, Was man Seele nennt im Leibe, Frisch erhaltend all' die tausend Ingredienzien, die zarten, Eines thier'schen Organismus; Da nun aber jene Seele, Die verlieh'n ward deinem Urkeim, Reine Stoff- und Kraftnatur zwar, Doch nur Präparat der Stoffe, Und der Kräfte, die wir kennen , Die bis heute wir ergründet, Ueber die wir heut verfügen, Gilt's auch fortan auf demselben Engbegrenzten Stoff- und Kraftweg, Den wir kennen, stets ihr fleißig Nachzuhelfen; insbesondre Gilt's mit Salzen, gilt's mit Würzen Reichlich dein Geblüt zu pfeffern, Daß nicht bei lebend'gem Leibe Hirn und Herz und Eingeweide Dir verwesen, theurer Munkel, Sondern neu gestärkt, gesundet, Völlig zur Entfaltung reife Deines Wesens Kraft und Blüthe!« – Durch des Greises Wort ermuthigt, Raffte Munkel wie aus schwerem Traum sich auf. Den Meister bat er, Zu bewahren das Geheimniß Vor der Welt – mit Rollen Goldes Es zu lohnen ihm versprach er, Und zum Leibarzt warb er ihn. »Ehre machen dieser Herkunft, Die du heute mir enthülltest,« Rief er aus zuletzt, begeistert, »Ehre machen dir, dem Meister, Dir und deiner Schöpfung will ich! Will die Sendung treu erfüllen, Die geworden mir auf Erden!« – Insgeheim fortan verkehrten Munkel viel und sein Erzeuger, Der mit Bädern und mit Reizen Und mit Salben und mit Salzen Und mit Tränken, wunderthät'gen, Und mit Goldtinktur, Goldpillen, Steuerte den räthselhaften Schwankungen des eigenart'gen Kunstgeschaff'nen Organismus. – Bald nachher lief eine Kunde Weit umher durch alle Länder, Munkel's Ruhm aufs Höchste steigernd. Diese Kunde, sie besagte, Daß nunmehr der Reichthum Munkel's War gelangt zur Schwindelhöhe, Die bisher kein Mensch errungen: Daß er Billionär geworden! Anlaß ward's zu einem Feste, Wie noch keines ward gefeiert; Anlaß ward's zu Huldigungen, Wie noch Keiner sie genossen. Fernher, selbst vom Czar, vom Sultan, Von dem Schah des Perserlandes, Chinas Herrn, vom Dalai Lama, Kamen ihm die Festgeschenke: Pferde, Sklavinnen, Kleinodien, Hausgeräth und Tand und Zierrath Aller Arten, aller Zonen, Auch in ungeheuren Mengen Leckerbissen: Fleischpasteten, Torten, ind'sche Vogelnester, Früchte, Kaviar, Liqueure, Und dazu an die dreihundert Reichgestickte Perlenbänder Für den Hals von Munkel's Hund. Eingeschmuggelt wurde heimlich Schon am Abend vor dem Feste Im Gemach und unter'm Lager Des Gefeierten ein Redner, Daß er früh im Morgengrauen, Wenn die Lider Munkel öffne, Ueberraschend ihn begrüße Gleich mit einer Jubelrede. Um die dritte Morgenstunde Wachte Munkel auf, und dürstend Griff nach einem Trinkgefäß er, Halb im Traum noch. Aber vor ihm, Wie gewachsen aus der Diele, Stand auch schon der edle Sprecher. Aus den Händen des Erschrock'nen Glitt das Prachtgefäß, zerklirrend, Und ein apoplekt'scher Anfall Traf ihn selbst – zum Glück nur leicht. Später, als er von dem Lager Sich erhoben und das Messer Des Barbiers die eine Backe Raschen Fluges ihm geglättet, Kam der Deputationen Vortrab angerückt, und danken , Bärtig auf der einen Seite, Glattgeschoren auf der andern, Mußte Munkel, und tagüber Tragen so zur Schau die beiden Unsymmetrischen Profile: Denn es hielt von jener Stund' an Immerdar in ihrem Kreis ihn Festgebannt die Jubelfeier. Unwillkürlich auf dem Gipfel Seines Glanzes, tief bedeutsam, Zeigt' er so ein Janusantlitz Seiner Zeit, ein Bild der Halbheit! Durch die Straßen in maskirtem Festzug auf der Menge Schultern Ward er im Triumph getragen. Blumen streuten, festlich vor ihm Einhertänzelnd, schöne Frauen, Drunter welche à la Makart. Die Berliner physikalisch- Geographische Gesellschaft That den Vorschlag, daß den ersten Meridian man künftig ziehe Durch Herrn Munkel's Riesenkasse, Durch die Billionenkasse, Welche heut' mit Blumenkränzen Reich verziert war, und vor welcher Staunend stand das Volk in Andacht, Wie vor einem Hochaltare. Müd' auf's Lager wirft sich Munkel Spät am Abend. Schwere Träume Spinnen fort des Tages Plage: Frauen überfallen schwärmend Ihn auf off'nem Markt, und jede Rupft ein Büschel Haar aus seinem Scheitel sich zum Angedenken. Und dann wird – in Lebensgröße, Nicht wie wir von fern ihn sehen – Ihm als Ordensstern der Sirius Auf die Brust gewälzt, so daß er Aechzt, erstickt, wie unter'm Alpdruck. Aber diesem Angsttraum wird er Mitten in der Nacht entrissen, Aufgerüttelt durch Gesandte, Die ihn feierlich entführen, Daß die Stadt- und Höh'nbeleuchtung Er bewund're, die zu Ehren Ihm in tausend Flammen lodert, Und vorbei auch lasse ziehen Dann an sich den unerhörten Riesenfackelzug, zu welchem, Gleichfalls ihm zu Ehren, eine Welt sich drängt. Im Wirbel dieser Uebermenschlichen Strapazen Und Erregungen verrückt wird Munkel und verfällt in einen Seltsamen Bedankungs-Wahnwitz, Also, daß er lächelnd, weinend, Mit unsäglich weicher Rührung Einzeln Jeden auf der Straße Unter Einem küßt und ohrfeigt. Böses Blut macht dies im Volke, Und das Hochfest endet damit, Daß man ihn, des Tages Helden, Fluchend sperrt in's Haus der Irren. Doch am Morgen nach dem Hochfest, Unerwartet auf der Börse Fluch- und segenreicher Stätte Kommt ein nie vorher erlebter Ungeheurer Krach zum Ausbruch, Und es büßt dabei der große Munkel ein die kaum errung'ne, Die gefeierte, die gold'ne, Glanzumstrahlte Billion. Als davon die Schreckenskunde Drang auch in die Zelle Munkel's, Da geschah ein Wunder: plötzlich Wieder kam er zu Verstande ... Doch was nützt nun der Verstand ihm? Was das Leben? Um der Schmach sich Zu entziehen, doppelt drückend An der Stätte einst'gen Glanzes, Will er in die Fremde flüchten. Eines Dampfers Bord am Rheinstrom Nimmt ihn auf und bringt stromaufwärts Ihn – wohin? Gleichviel! Am liebsten Säß' er jetzt in Charons Nachen, Wollt', es wär' ein Styx der Rheinstrom. Mehr und mehr von Stund' zu Stunde Ueberkommt ihn die Verzweiflung, Und die grünen Wellen locken Ihn hinab, als blinkte draus ihm Der von ihm der Welt verheiß'ne Nibelungenhort entgegen. Widerschein des Mondes war es, Was so blinkt', und holder Sterne, Die nunmehr heraufgezogen An dem abendlichen Himmel. Nein, nicht länger leben will er! Rasch entschlossen stürzt er plötzlich Ueber Bord sich in die Wogen! – Aber hinter ihm her gleitet In die Fluth ein Frauenwesen: Und dies Wesen, es entreißt ihn, Den Versinkenden, der Tiefe, Bringt behend, als regt' ein Fischlein In vertrautem Naß die Flossen, Schwimmend an den öden Strand ihn. Nacht ist's. Mond und Sterne glänzen, Wie sie glänzen nur am Rheine, Und die dunklen Wellen rinnen Mit dem wundersamen Rauschen, Das man kennt aus deutschem Sange, Und der öde nackte Felsstrand Liegt in gold'nem Dämmerscheine, Den man kennt aus deutschen Märchen. Den Geretteten geborgen Hat das kühne Frauenwesen Dicht am Strand in einer Felskluft. Hier erwacht er neu zum Leben. Und erstaunt, die Retterin, Die von wundersamer Schönheit, Vor sich sehend – trübe Schwermuth Noch im Blicke, sagt er Dank ihr, Fragt sie dann nach Stand und Namen. Sie geleitet aus der Felskluft Ihn, und mit der Hand, der weißen, Nach der Uferhöhe deutend, Weis't sie einen Felsensitz ihm. »Hast von Lurlei du vernommen? Längst nicht mehr auf jenem Steine Singt sie Nachts im Mondenscheine! In die Welt hinausgewandert Ist sie, Menschenloos zu kosten! Hat vertauscht des Nixenschleiers Gaze mit Brabanter Spitzen, Hat gelernt von Menschenkindern Neue Töne, neue Weisen; Auf Europens Opernbühnen Hat sie Gold und Ruhm geerntet. Heut als deine Fahrtgenossin Auf dem Strom, an Bord des Fahrzeugs, Hat sie dich erkannt, den Großen, Den Gefeierten, den Gründer Jenes stolzen Unternehmens Zur Behebung des versenkten Nibelungenhorts im Rheine! Auf der melanchol'schen Stirn dir Las sie trübe Todgedanken, Und als du nun über Bord sprangst, Spornte sie geheimer Antrieb Dir zu folgen ... War's Verhängniß? War's der Drang, an dieser Stätte Ihrer einstigen Behausung Wieder einmal sich zu tauchen In die Fluth, die holdvertraute? – War's geheime Sympathie Mit dem Manne, den zu retten Ihr bestimmt war vom Geschicke?« – »Dankenswerth,« erwidert Munkel, »Scheint das Sein auch dem, der's wegwarf, Gibt zurück es solche Hand ihm! Bist du, wunderbares Wesen, Bist du wirklich Nixe Lurlei, Welche singend in des Rheinstroms Tiefe Manchen niederlockte, Aber heut gerettet Einen? Ei, wie kam's, daß du entsagtest Einem leidlos-schönen Dasein Und in's wirre krause Leben Uns'rer Menschenwelt dich stürztest?« »Dies,« versetzte drauf die Nixe, »Ist gesagt mit wenig Worten, Kaum der Rede werth – vernehmen Wirst zuletzt vielleicht noch lieber Du in Kürze meinen bunten Lebenslauf im Weltgetriebe!« – Neugier sprach aus Munkel's Blicken, Und was Nixe Lurlei sprach, Künd' ich euch im nächsten Sange. 4. Gesang: Der Homunkel und die Nixe Vierter Gesang. Der Homunkel und die Nixe. Wie es kam, daß ich entsagte Einem leidlos-schönen Dasein Und ins wirre krause Leben Eurer Menschenwelt mich stürzte? Leidlos-schön wohl war's, dies Dasein, Aber freudlos ward's allmählich, Und es lohnte sich nur wenig, Auf dem öden Fels da sitzend, In des Mondes goldnem Scheine Sich die gold'nen Haare kämmend, Seinen schönsten Sang zu singen. Nur noch Wenige gelang es Zu bezaubern, zu verlocken, Von den wahrhaft Liebenswürd'gen: War zu stark die Konkurrenz doch, Die gemacht in neuern Zeiten Ward uns Nixen von der Halbwelt Und von den Theaterdamen. Und der Troß, der ganz gemeine, All' der »Schiffer in dem Kahne«, Welche da vorüberfuhren, War mir, daß ich's nur gestehe, Zu bornirt, zu schal, zu ledern: Zu bezaubern die, zu ködern, Lohnte sich nicht mehr der Mühe. All' die heisern Bierbaßkehlen, Die an meinem Fels vorüber Schiffend Heine's »Lurlei« sangen, All' die reisenden Philister, Die aus aller Herren Ländern, Rothe »Bädecker« in Händen, Gaffend da vorüberkamen, Meinen Felsen lorgnettirten, Ach sie waren mir so lästig, Wie der Schnackenschwarm des Rheines, Der da schwärmt am Sommerabend. Und schon fand ich fast allein mich; Viele meiner Nixenschwestern Hatten sich, geplagt von Langweil', Aufs Französische geworfen, Waren eine nach der andern Schließlich nach Paris gegangen, Um daselbst ihr Glück zu machen. Als dann endlich gar ein Steinbruch Ward in meinem Berg eröffnet – Hätt' ich da noch zögern sollen, Selber auch Reißaus zu nehmen, Selbst zu suchen auch das Weite? Zur Theaterdame war ich Bald nun selbst geworden, übte Meine alte Kunst des Singens Und Bezauberns auf den Brettern, Und mit besserem Erfolge. Aber sonst auch trieb das Schicksal Mich umher und eig'ner Wille Viel auf krausverworr'nen Pfaden. Kommend aus dem Rheinstrom, stürzt' ich In den größern mich des Lebens, Plätscherte in tausend Wirbeln, Rang und schlängelte hindurch mich Zwischen Klippen, durch die Hochfluth Tausend bunter Abenteuer Mit der Leichtigkeit der Nixe. Bunt, ja bunt und wechselreich war Nun mein Leben! Bald mich glanzvoll Auf des Daseins Gipfel wiegend, Bald gesunken, schier verloren – Bald in reichster Fülle schwelgend, Bald so nackt im Leben stehend, Und mit keiner größern Habe, Als ich mein genannt vor Zeiten Auf des Rheines Grund als Nixe – Ohne Leidenschaft, doch jener Jo gleich umhergetrieben, Die gehetzt ward von der Bremse, Hascht' ich gierig nach dem Wechsel: Heut ein Roß im Cirkus tummelnd, Morgen wild den Cancan tanzend, Uebermorgen mit bebrillter Nase mich als Blaustrumpf gebend, Oder als emanzipirtes Mannweib, keck, gespornt, gestiefelt – Als politische Agentin, Nihilistin, als Walküre Auf dem Schlachtfeld wilderregter Oeffentlicher Tageskämpfe. Schließlich auch als Dottoressa ! Nixe mit dem Doktorhute! Ich studirte, promovirte, Gab am Tag der Graduirung Einen Festkommers – es fehlte Nicht dabei an Jubelräuschen ... Ueberdruß das Alles! Grille! Von des Lebens Orgie war ich Matt schier bis zum Ueberdrusse – Nicht befriedigt, nicht gesättigt! Lebens müd , doch lebens satt nicht! Manchmal kam mir der Gedanke Fromm zu werden – fromm und sittig, Tugendhaft – was man so nennt!« – »Tugendhaft?« rief Munkel lachend, Bei den Worten hier der Nixe; »Tugendhaft mit diesen Schultern, Dieser königlichen Büste? – Aber sage (fuhr er fort), Unverhohlen, schöne Nixe, Sag', wie hieltst du's mit der Liebe? Hast du viel geliebt im Leben?« – » Kann ich lieben?« giebt zurück ihm Lächelnd Lurlei. »Kann ich lieben, Ich, die Nixe, ich die Tochter Feuchter Kühle, kühler Feuchte? Die Poeten, ach, verneinen's; Doch ich selber kann's nicht sagen. Oft versucht' ich es, zu lieben; Und wenn es bisher nur wenig – Oder gar nicht – mir gelungen, Schöpf' ich Trost mir aus der Frage: Lohnt sich's, einen Mann zu lieben? Einer, dem ein Weib anhängen Und an welchem es sich halten Sollte, müßt' er nicht erst selber Feststeh'n auf den eig'nen Füßen? Müßt' er nicht als starke Säule Der Beständigkeit erscheinen, Daß vertrauensvoll mit weichen Epheuranken sich die Liebe Sicher um ihn winden könnte? Aber niemals an den Männern, Die zu lieben ich versuchte, Hab' ich solchen Halt gefunden. Giebt es überhaupt nur irgend Festen Halt im Menschenleben? Wo ich dachte, Halt zu suchen, Halt zu machen eine Weile, Allzubald begann der Boden Unter meinem Fuß zu schwanken. Unglück' hatt' ich – Unglück bracht' ich. Der Banquier, traun, den ich liebte, – Den zu lieben ich versuchte – Ward bankrott; der General, Den ich liebte, ward geschlagen, Der Minister ward gestürzt, Und der Freiheitsheld gehangen. Feuer- ward und Wasserschaden Zum Verderb dem Oekonomen, Durchfiel des Poeten Stück, Ausgepfiffen ward der Mime. O, ich glaube, daß, wenn einmal Wirklich ich den Rechten fände, Alsbald ihm ein Meteorstein Fiel' aufs Haupt und ihn erschlüge! Unbestand ist, ach, das alte, Große Weltgesetz der Dinge. Liebt denn auch der Mann je selber Festzuhalten, was sein eigen? Im Beginne meiner Laufbahn Da verrieth ein junger Garde- Kapitän, den ich beinahe Liebte, mich an seinen Oberst, Dieser an den Adjutanten Des Monarchen, eines Königs, Dieser an den Fürsten selber. Dieser Fürst, es war ein alter, Kluger, weiser, schönheitskund'ger, Kunsterfahrner Mann, Feinschmecker In ästhet'schen Dingen. Heiter Denk' ich immer noch der Scene, Wie ich allzuerst gestanden Und bestanden vor dem Kunstgreis. Ward durch sie doch eingeleitet Meines Daseins Glanzepoche! Zu sich lud der edle Fürst mich; Und als ich ihm nun, befangen, Stand vor Augen, fing er an, mich Ernst und sinnend zu betrachten, Wie ein ausgegrab'nes Bildwerk. Plötzlich mit der Fingerspitze Auf die volle, feste, runde, Florumhüllte Brust mir tippend, Lispelt er die krit'sche Frage Ernst in's Ohr mir: »Ist Natur ganz All' der Reiz? Wie vielen Antheil Hat die Kunst an diesem Zauber?« – Zürnend und erregt, aus meiner Ernsten Bildwerksruhe tretend, Aber schweigend, riß des Busens Flor entzwei ich, und geblendet Taumelt' er zurück vor einer Schönheit, wie der Nixe sie Gab Natur in Stromesgründen, Nicht wie sie gefälscht der Schneider. Und von diesem Augenblick war Freund und Sklave mir der Kunstgreis. Ja, es war die Glanzepoche Meines Daseins, und es lohnte Sich dabei wohl zu verweilen. Aber wenig Monde später Jagten leider diesen edlen, Weisen, schönheitskund'gen Fürsten Aus dem Land die Unterthanen. Mich begnügen mußt' ich später Mit der Freundschaft eines Schiffsherrn; Eine Reise um die Welt Macht' ich an des Freundes Seite. Und die Reise, sie war lang, Aber währte doch nicht ewig: So erging es auch der Freundschaft. Unbeständig ist der Seemann, Wie das Meer, auf dem er segelt. Ich versucht' es nun mit einem Luftschifffahrer; in der Gondel Seines Luftballs saß ich furchtlos, Als der kühnen Fahrt Genossin. Hoch im Blauen riß der Luftball Und wir stürzten; ach, der Wack're Brach den Hals, ich ward gerettet. In der Liebe so aus einem Element in's and're kam ich: Auf die See hinaus vom Lande, Und von da hinauf ins Luftreich. Aber höher noch zu steigen War bestimmt mir. An der Seite Eines schwärmenden Poeten Macht' ich den Versuch, auf Flügeln Der Begeist'rung mich zu schwingen In die höchsten Regionen. Doch die höchsten Regionen Waren nicht mein Element. Nein! Zur Natur zurückzukehren, Zur Natur, der unverfälschten, Unverbildeten, beschloß ich, Und im schroffen Sinneswechsel Ein Naturkind mir erlas ich, Einen unverdorb'nen, armen, Wackeren Slovakenknaben, Der als Mäusefallenhändler Barfuß in der Welt umherlief. Dieses Kind zum höher'n Menschen Und zum Liebenden erzieh'n mir Wollt' ich. Es mißlang. Der Junge, Hoffnungsvoll auf halbem Weg schon Der Gesittung, heimwärts floh er Nach der fernen Slovakei, Zu der braunen Marianka. Nun, für den Verrath des Einen, Schlachtet' ich ein Racheopfer, Eine Männer-Hekatombe, Welche sich um meinetwillen Duellirt, zu Grund gerichtet, Sich ertränkt, erhängt, erstochen, Todtgeschossen und vergiftet, Weil ich für ihr heißes Minnen Kalt wie das bekannte Schneeweib Blieb des heil'gen Franz Xaver. Himmel, was für Kämpfe gab es Mit den Schwärmern, mit den Thoren, Welchen ich mein Herz versprochen Irgendwann in toller Stunde, Und die dann, wie Jude Shylok Starr auf ihrem Schein bestehend, Dies verschrieb'ne Fleischpfund grausam Aus dem Leib mir schneiden wollten!« – So und mit viel andern Worten Und Erzählungen enthüllte Ihrem aufmerksamen Hörer Lurlei sich als problemat'sche Frau'nnatur – als fille de marbre , Als ein Wesen, das doch immer Neu als Nixe sich bewährte, Als die Tochter feuchter Kühle, Kühler Feuchte, schön, dämonisch, Eins der echten Musterbilder Von des Weib's »allmächt'ger Ohnmacht«. Ihr Beruf war: nachzutrachten Einem Ideal von Manne; So versuchend stets, zu lieben, Liebte nie sie, liebte immer. Sie gehörte nicht zu Jenen, Welche sterben, wenn sie lieben – Nein, sie lebte von der Liebe. Während Lurlei, harmlos plaudernd, Preisgab so ihr tiefstes Wesen, Hatte Munkel erst unmerklich, Dann in immer stärkerm Grade Blicken lassen sonderbare Zeichen einer innern Unruh', Die nicht im Zusammenhange Schien mit dem, was Lurlei sagte, Und die er nicht meistern konnte, Trotz des hochgespannten Antheils, Den er nahm an Lurleis Worten. Stärker ward sein Puls und Herzschlag, Ein gewisses Zucken spürt' er Krampfig in den Fingerspitzen, Vor den Augen ward es gelb ihm, Flimmernd gelb – ein Schwindel faßt' ihn ... Lurlei merkt des Hörers Unruh', Fragt befremdet, was ihm fehle. »Nichts – o nichts!« versetzt er stockend, Voll Verwirrung. Noch zu schwanken Schien er, ob zu schweigen besser, Ob zu reden – ob zu leugnen, Ob es offen zu gestehen, Was ihn überkam so seltsam. Ei, verdient nicht Lurlei, seine Schöne Retterin, Vertrauen? »Sehr befremdlich,« sprach er zögernd, Sehr befremdlich wird dich dünken, Edle Schöne, mein Geständniß. Diese Unruh', dies Erzittern, Dieser stärk're Puls und Herzschlag, Dieser Krampf der Fingerspitzen, Dieses blendend-gelbe Flimmern Vor den Augen, dieser Schwindel, Wie ich's eben jetzt empfinde, Nicht zum erstenmal befällt mich's. Ein geheimnißvoll Symptom ist's Meines eigenart'gen Wesens: Es bedeutet ein merkwürd'ges, Krankhaft aufgeregtes Ahnen « ... »Und was ahnst du, edler Munkel?« Fragt erstaunt, befremdet Lurlei. » Goldesnäh' !« versetzte Munkel. Und sein Aug' blickt starr, ekstatisch, Visionär! »Ja, Goldesnähe! Goldesnäh' in reicher Fülle Und von unschätzbarem Werthe!« – Tiefer noch erstaunte Lurlei Und auf Munkel starrt auch sie nun Schweigend, mit weitoff'nen Augen Einen Augenblick, dann spricht sie: »Leerer Wahn nicht ist dein Ahnen! Nein, sie täuscht dich nicht, die tiefe, Die geheimnißvolle Regung, Die dich fieberisch durchwittert! Nah' zu Füßen ruht ein Goldschatz, Uns an diesem Ort: ein Goldschatz, Der von unnennbarem Werthe – Ruht der Hort der Nibelungen ! Unter'm Lurleifelsen ruht er, Und ich kenn' ihn lange, lange; Doch zu heben ihn – versagt, ach, War und ist es mir für immer, Mir, der Nixe, und nicht minder Ist's versagt den Menschenkindern! Unergreifbar ist der Goldschatz, Unerfüllbar die Bedingung, Die den Hort zu eigen gäbe Einem Wesen dieser Erde!« – »Die Bedingung?« fragte Munkel, Gierig, vor Erregung zitternd; »Nenn', o nenne die Bedingung!« – »Wenig,« sagte Lurlei, »wenig Wird dir's nützen, zu vernehmen Die Bedingung. Doch vernimm sie: »Altem Schicksalsspruch zufolge Kann den Schatz ein Mensch nur heben: Doch ein Mensch von solcher Herkunft, Wie noch keiner ward gesehen, Noch geseh'n wird werden künftig: Heben soll den Schatz ein Mensch nur, Der – gezeugt von keinem Vater !« – »Der gezeugt von keinem Vater? Dieses wäre die Bedingung?« Kreischte Munkel. »Wär' es möglich?« Und fortfuhr er, hochgemuthet: »Wisse, Kind, da vor dir steht es, Leibhaft, jenes Wunderwesen, Das du nennst – das nie geseh'n ward, Noch geseh'n wird werden künftig, Wie du meinst. Ich selber bin es ! Bin gezeugt von keinem Vater!« – »Du?« versetzte Lurlei zweifelnd, Dacht' an geistige Verwirrung, Dacht' an Größenwahn, an Irrsinn ... Fortfuhr Munkel: »Bei dem Goldschatz, Der da ruht – nichts And'res, Höh'res Weiß ich, um dabei zu schwören – Eine Mutter zwar gebar mich, Doch es zeugte mich kein Vater! Nicht gezeugt – erzeugt , traun, ward ich!« – Und nun gab er, hastig flüsternd, Der Verwunderten getreue Kunde von dem Schöpferkunststück, Das in's Leben ihn gerufen. Tief erregt vernimmt ihn Lurlei. »Ist es so,« denkt sie im Stillen, »Ist der Mann ein Ungezeugter, – Welch' ein Fund für mich! Den gold'nen Hort heb' ich mit seiner Hilfe; Und muß ich ihn mit ihm theilen, Ha, kein Weib und keine Nixe Wär' ich, wenn ich die verlor'ne Hälfte nicht zurückgewänne!« – »Auserkor'ner, Hochbeglückter!« Ruft sie, »hast du nicht begründet Glorreich jenes ruhmgekrönte Unternehmen zu des gold'nen Nibelungenhorts Behebung? Zwar du hast ihn nur behoben Aus der Aktionäre Taschen – Spärlich – und verlorst ihn wieder; Doch nun werden wir ihn heben Leibhaft, wie ihn birgt die Tiefe Hier am Lurleifels im Rheine! Du und ich – ja, ich und du: Eines mit des Andern Hilfe!« – »Eines mit des Andern Hilfe!« – »Und wir theilen dann?« »Wir theilen!« – Jetzo führte Lurlei Munkel Aus der Grotte, wo sie saßen, Abwärts tief in eine and're, Durch viel mannigfach verschlung'ne Enge unterird'sche Pfade. Eine lange Holzspanfackel, Angefacht mit Funken, welche Lurlei schlug aus demantharten, Demanthellen Rheineskieseln, Warf ein spärlich Licht in's Nachtgrau'n Dieser labyrinth'schen Gänge. Jetzo auf dem tiefsten Grunde Standen sie der dunklen Höhlung: Ein natürlich Felsgewölbe War's, gefügt aus Steingeschieben, Die karfunkelähnlich gleißten, Funkelten im Fackellichte. Ob des Raumes nied'rer Wölbung Hörte man des Rheines Brausen, Der darüberhin da oben Seine dunklen Wellen wälzte. In des Raumes Mitte senkte Sich der Grund. In der Vertiefung Stand, goldglänzend, eine Urne. Um die Urne her geringelt Lag ein mächtig großer Drache. Seltsam war das Thier gestaltet: Einen kleinen Kopf nur hatt' es, Aber sechsunddreißig Schwänze. Altersschwach, halbblind und blöde Schien's, doch züngelt' es bedrohlich. »Diesem altersschwach-halbblinden, Blöden Drachen, sagte Lurlei, Auszuzieh'n in muth'gem Angriff, Oder auch mit schlauem Wagniß Seine sechsunddreißig Schwänze, Ist der Weg, der führt zum Horte. Sich'rer ist's mit schlauem Wagniß.« Sacht dann nahte sie, vertraulich, Sich dem Unthier: zu erkennen Schien's die einst vertraute Nixe, Ließ von ihr den Kopf sich krauen. Sie begann ein Lied zu trällern: Glaub', es war die »Wacht am Rheine«, Oder »Sollen ihn nicht haben«, Oder sonst ein altes Rheinlied. Er entschlummert, liegt gefesselt Wie vom Zauber der Hypnose. »Geh' an's Werk!« spricht Lurlei mahnend Zum Genossen; »unzerreißbar Ist der Bann, der jetzt ihn bindet.« Und an's Werk ging dieser muthvoll: Zog dem Drachen aus die Schwänze, Alle sechsunddreißig Schwänze, Mühelos – sie saßen locker. Und dann hob er, frohen Muthes, Aus dem Grund die gold'ne Urne Und durchmusterte mit Lurlei Den gehob'nen, unschätzbaren Hort, verzückt, vor Wonne bebend. Von uralten Königskronen Gleißt es, goldenen Monstranzen, Kelchen, Bechern, ander'm Zierrath, Alterthümlichem Geschmeide, Reich besetzt mit großen, edlen Steinen, Perlen und Korallen. »O was giebt's da einzuschmelzen, O was giebt's da zu verwerthen!« Flüstert Munkel, mit den Blicken Die Kleinodien verschlingend. Und zu tiefst in seinem Innern Regt unwiderstehlich, krankhaft, Die Begierde sich, das Alles Sein zu nennen – ganz sein eigen. Und im selben Augenblicke Regt dieselbe Gier im Herzen Sich der Nixe – ganz zu eigen Haben möchte sie den Schatz auch. O geläng' es einzuschläfern Durch den Zauber der Hypnose Kraft- und willenlos zu machen Den Genossen, wie den Drachen! – Ist sie nicht die Nixe Lurlei? Kann sie nicht an dieser Stätte, An dem Lurleifels erproben Noch einmal den alten Zauber? – Also kreuzten die Gedanken, Die geheimsten, sich der Beiden. Aber nichts verrieth ihr Antlitz. Lächelnd gegenüber standen Sie sich, heiter, wonnestrahlend. Und beladen mit dem Schatze, Gingen, wie beschwingt, den Irrpfad Sie zurück zur Ufergrotte. »Laß uns weilen,« sagte Lurlei, »Hier am Strom, am schönen Strande, Bis es tagt! Die Nacht ist lieblich: Eine sternenklare Nacht ist's, Eine Nacht, wie ich so viele Hier durchlebt an trauter Stätte, Ruhend auf dem Nixensteine, Singend, mit dem gold'nen Kamme Kämmend meine gold'nen Locken In des Mondes gold'nem Scheine! – Ach, es ist doch schön gewesen! Ganz besaß ich, unverkümmert, Damals jene sel'ge Kühle Noch, die nixenhafte, reine, Des Gedankens, der Gefühle! Aber seit in's Menschenleben Ich mich stürzte, lernt' ich doch auch – Mehr als ich zuvor gestand dir – Menschlich fühlen; eine Schwüle Ueberkommt mich oft, das Blut schießt Heiß zum Haupt mir, heiß zum Herzen! So in jenem Augenblicke, Als ich dich, den Fahrtgenossen, Springen sah vom hohen Schiffsbord In des Rheines dunkle Fluten! Da erfaßte mich ein Mitleid – Mehr als Mitleid war's – die tiefste Menschlich-wärmste Sympathie war's, Die mich riß, unwiderstehlich, Dir nach in des Stromes Wogen, Dich zu retten, dich dem Dasein, Dich der Welt zurückzugeben!« Also Lurlei, und ein heller, Warmer Blick voll Minnezaubers Aus dem schönen Aug' der Nixe Fiel auf Munkel. Dieser aber, Tief im Innersten erwog er Still das Wort, das Thun der Schönen. Er durchschaute sie. Ihr Wesen Und ihr Wollen war so klar ihm, Wie das eig'ne. Und mit klugem Sinn vereiteln die Entwürfe Wollt' er, welche spann die Nixe, Wollte schlau sie selber fangen In den Schlingen, die sie legte. Und ein heimlich Stoßgebetlein That er an der Musen Neunzahl, Honigsüße schöne Worte, Redensarten, fein gesponnen, Ihm zu legen auf die Zunge: Blüten einer Poesie, Die in nebelgrauer Ferne Hinter ihm lag – würz'ge Nelken Auserles'ner Galant'rie, Wie er längst nicht mehr sie übte, Parfümirte Rosen, duft'gen Tand, gesproch'nes Patchouli, Fähig, selber einer Stromfei Scharfe Sinne zu benebeln. Duftschwül war die Nacht auch selber, Sternenhell. Es glich der Himmel Einem Sieb, durch dessen tausend Löcher quoll der Glanz des Himmels. Hingelehnt saß Lurlei lächelnd Auf bequemem, grün bemoostem Felsensitz am Grotteneingang; Ihr zu Füßen der Homunkel. Noch vom Schatze sprachen sie Und wie sie im Morgengrauen Heimlich fort ihn wollten schaffen – Niemand sollt' ihn schau'n, so lang' er Ungeschmolzen, ungemünzt noch Läg' in seiner Zauberurne. »Kräfte fühl' ich,« sagte Munkel, Hoch ihn hebend, »Kräfte fühl' ich, Ihn durch eine Welt zu tragen!« – »Wird er allzuschwer nicht lasten Auf der Schulter dir?« sprach Lurlei. »Allzuschwer?« rief Munkel lachend. »Eher wird zu schwer dem Westwind Einer Blume süßer Wohlduft, Den er trägt auf seinen Schwingen, Als ein Goldschatz Munkel's Schultern!« – In demselben Augenblicke Zeigt unfern in einer kleinen Bucht des Strom's ein Fischerboot sich Munkel's Blicken, das da ruhte Wie verloren und vergessen. Sehr erwünscht war dieser Fund ihm, Mehr als er gestehen durfte; Sagte blos: »In jenem Boote Rudern wir, wohin's beliebt uns, Mit dem Schatz in grauer Dämm'rung!« – »Ach,« begann nach kleiner Pause Munkel wieder, und ein Seufzer Stahl dabei aus seiner Brust sich, »Ach, ist dieser Schatz denn Alles? Nicht mein einziger Gedanke Ist er, traun, in dieser Stunde, Dieser schicksalvollen Stunde, Die mich führt mit dir zusammen! – Edle Retterin, Genossin, Schöne Nixe, aus den Wellen Hast du mich gezogen, aber Nur um aus der kühlen Feuchte Mich in heiße Glut zu stürzen, Die vielleicht noch sich'rer tödtet! Ruhe werd' ich erst gewinnen, Glücklich werd' ich mich erst nennen, Wenn des Schicksalsschwertes Spitze Nicht mehr hängt an einem Haare Ueber meinem Haupte, wie es Hängt in diesem Augenblicke! Diese Spitze, die mir droht, Ist ein scharfes, schroffes, kaltes Wort aus einem schönen Munde – Und das Haar, an dem sie hängt, Ach, es ist ein seideweiches, Sonnstrahl-feines, gold'nes Härlein Deines Hauptes, schönste Lurlei!« – Ganz zu Füßen ihr sich werfend, Laut aufseufzte Munkel: »Süßes Götterweib, ich liebe dich !« – Lurlei schwieg; doch hohe Wellen Warf ihr Busen unter'm Anhauch Dieses stürm'schen Liebesseufzers, Und ein Vogel im Gebüsche Fuhr empor aus seinem Schlummer Bei dem Laute dieses Seufzers. »Darf ich's glauben?« lispelt Lurlei, »Liebst du mich? und ist's die echte, Wahre, die beschwingte Liebe, Welche du für mich empfindest? Nicht die niedrige, gemeine, Die am Boden kriecht im Schlamme? Ach, die Lieb' ist, wie der Falter, Ohne Flügel nur ein Wurm!« – »Schönste Nixe!« flehte Munkel, O erbarme dich – erwarme! Ach an deinen kühlen Busen Locktest du mein heißes Herz! Heile mich von meinem Harme! Werde mein! Mit seid'nen Segeln Führ' ich dich durch rauhe Wogen Auf dem hohen Meer des Lebens!« – »O erhebe dich!« versetzte Lächelnd Lurlei; »nicht zu meinen Füßen, wahrlich, ist die Stelle, Deiner würdig, edler Munkel!« – »Laß, o laß mich!« ruft er feurig: Höher bin ich nie gestiegen, Als da ich dir lag zu Füßen! – O beglückt, wer je gesehen Auf dem weißen Nixensteine Hell dein Haar im Winde wehen – Und beglückt, wen deiner Töne Zaubermacht zu dir verlockte – Und beglückt, wer in der Tiefe Fand den Tod in deinen Armen! Einmal, einmal nur dich sehen Möcht' ich so, auf deinem weißen Fels im Mondlicht – selbst in leichtem Kahn an dir vorüberschiffend, Aufwärts blickend, nach dir schmachtend!« – Lurlei, diesen Worten lauschend, Still im Innersten erwägt sie Klug die Worte des Homunkels. Sie durchschaut ihn. All' sein Wesen, All' sein Wollen ist so klar ihr, Wie das eig'ne ... »Gerne,« spricht sie, Lieblich lächelnd, »gern erfülle Deinen Wunsch ich, edler Munkel!« – Und sie schickt sich an zu ihres Felsens Höh' emporzuschreiten. Unterdessen eilt zum Boote Munkel, um es los zu machen, In Bereitschaft es zu setzen. Hastig dann zurück sich wendend, Späht sein Auge nach dem Goldschatz Mit den Blicken eines Greifen, Drachen oder Arimaspen, Welcher lauernd Schätze hütet. Doch der Goldschatz ist verschwunden, Mit sich auf den Fels genommen Hat ihn Lurlei. Seht die Nixe! Munkel nicht allein vermag es, Gold'ne Last zu tragen, müh'los, Wie der West den Duft der Blume! – Tief beschämt steht Munkel, merkend, Daß ihm ebenbürtig Lurlei, Ebenbürtig ihm an Schlauheit, An energisch-festem Wollen ... Traun, den »Schiffer in dem Kahne« Muß er spielen nun in Wahrheit, Muß empor zu Lurlei schmachten Und zu ihrem gold'nen Horte. Auf dem Felsen ruht die Nixe, Ihr zu Füßen ruht die Urne. Hoch am Himmel glüh'n die Sterne, Lüfte wehen, Wasser rauschen, Wie sie thun in solchen Nächten, Wundervoll hebt an zu schlagen Eine Nachtigall im Busche, Wie sie schlägt in solchen Nächten. Wird nicht auch die Nixe singen? Nein; sie greift nur in die Urne, Lächelnd, läßt die Kronen klingen, Die Monstranzen und die Kelche, All' die goldenen Geräthe, Sanft sie aneinander schlagend, Wie man Cymbeln schlägt, nur leiser, Etwa wie zu Elfentänzen: Und es hallt in zaubervollen Gold'nen Klängen durch die Nacht hin, Uebertönt das Lied des Sprossers, Der beschämt verstummt im Busche. Dicht heran zum Born der Klänge Rudert in Verzückung Munkel, Blickt hinauf zu Lurlei schmachtend. Auf ein Knie sich niederlassend, Spricht er: »Wie unendlich schöner, Schöne Nixe, bist du jetzo, Als vor Zeiten! Wie unendlich Lockender, verführerischer! Einen gold'nen Kamm nur hattest Damals du und gold'ne Strähne – Und den gold'nen Glanz des Mondes: Jetzo blinkt ein ganzer reicher Gold'ner Schatz um dich, du Schöne! Statt der einst'gen »gold'nen Lieder,« – Wie man's nannte – »gold'nen Töne«, Läßt du wesenhaft-gedieg'nes, Echtes Gold nunmehr erklingen! Wenn in den verscholl'nen Tagen Viele schon der Strom verschlungen, Die, im Kahn vorüberschiffend, Dich erschauten, nach dir schmachtend, Selbst den bittern Tod verachtend, Welches Loos muß dem erst fallen, Der dich schaut im heut'gen Glanze, Perle du in gold'ner Muschel! War's doch nur das leichte Traumglück Einer seligen Minute, Was, die Sinne nur bezaubernd, Du geboten den Verzückten, Ihr bethörtes Herz zu laben: Heute ruhst du auf dem Felsen Gnadenreicher als Madonna, Als des Glückes Göttin selber Mit dem Füllhorn aller Gaben! Sprich mein Urtheil, schönste Nixe! Soll die Welle mich verschlingen, Oder ist's vergönnt dem Schiffer Sich zu dir emporzuringen, Deine Höh' mit dir zu theilen, Traut zu ruh'n an deiner Seite, Wo die gold'nen Töne klingen?« Und die Nixe winkte lächelnd. Munkel eilt zu ihren Füßen, Und verständnißinnig blicken In die Augen sich die Beiden. Niemals wird von diesen beiden Ebenbürt'gen höher'n Wesen Eins das and're überlisten! Sollen sie auf ewig scheiden? Nein, sie reichen sich die Hände, Schließen einen Bund, vereinigt Zu genießen und zu wirken, Zu besiegeln vor der Welt auch Ihren Bund am Traualtare. So verstanden sich in jener Nacht bei linder Lüfte Wehen, Bei der Wasser holdem Rauschen, Bei der Sterne lichtem Scheinen, Bei der Nachtigall Gesängen, Bei des gold'nen Schatzes Klängen Auf dem stillen Lurleifelsen Der Homunkel und die Nixe. 5. Gesang: Literarische Walpurgisnacht Fünfter Gesang. Literarische Walpurgisnacht. Als mit Lurlei Eins geworden Munkel so, ein Paar zu werden, Ringe wechselnd vor dem Altar Sie den Seelenbund besiegelt, Mit dem ganzen, ungetheilten, Eingeschmolz'nen und gemünzten Nibelungenhort als Brautschatz, Gaben sie der Welt das Schauspiel Einer übermenschlich prächt'gen, Märchenhaften Hochzeitsfeier. An die Trauung schloß sich Festmahl, Tanzfest, Festspiel, Bacchanal. Auf dem Marktplatz um geschmorte Gratisrinder, Kälber, Lämmer, Und um rinnende Gebinde Unerschöpflichen Getränkes War das ganze Volk versammelt. Bei dem Feste glänzte Lurlei In phantastischer Gewandung Etwa einer glanzumstrahlten Nixenkönigin, die Hochzeit Hält mit einem Elfenfürsten. Eine Robe trug sie, welche Ganz gewoben war aus gold'nen Spinnwebfäden, und darüber Eine schimmernde Mantille, Die bestand aus lauter prachtvoll- Farbigbunten Falterflügeln. Ein in Gold gefaßtes, reich mit Edelsteinen ausgeschmücktes Pfauenrad dient' ihr als Fächer. Im demant'nen Diademe Ihres Hauptes schien's, als wären Die Gestirne des Orion Rund in Gold gefaßt; ihr Schleier Schien im Lufthauch zu zerrinnen, Ihres Kleides lange Schleppe Glich der großen Sternenschleppe, Welche milchweiß hinter sich her Zieht die Königin der Nacht, Wenn sie hin am Himmel wandelt. Und nun erst sie selbst! Ihr Aug' war Der Polarstern dieses Himmels, Um den all' die andern kreis'ten, Ihr Gelock ein goldnes Vließ, ihr Busen, hold bewegt, ein Becher, Der von Reizen überschäumte. So mit überird'schen Reizen Wandelte die stolze Lurlei Bei dem Feste der Vermählung Durch den Schwarm entzückter Gäste, Wie die Sonne durch den Thierkreis. Doch was quäl' ich mich zu schildern Reiz und Glanz und Pomp des Festes, Da dafür doch Worte fehlen? Laßt mich lieber euch erzählen Von der Feier heit'rem Nachspiel, Von dem großen, bunten, muntern Maskenfestspiel-Bacchanale, Das das Fest beschloß und krönte! Schauplatz dieses Maskenfestspiels War der Blocksberg – als Parnaß ; Und betitelt war das Festspiel: » Literarische Walpurgis- Nacht des laufenden Jahrhunderts !« Vier kastal'sche Quellen sprudeln Sah man auf dem Blocksberg-Parnaß: Den kastal'schen Quell des Wassers , Den kastal'schen Quell des Weines , Den des edlen Gerstentrankes , Und zum Vierten den kastal'schen Quell des Schnapses – des Absinthes . Demnach theilten die Poeten Auch sich ein in Wasserdichter, Weinpoeten, Bierpoeten, Und in Schnaps-, Absinthpoeten. Ganz verfallen herbem Weltschmerz, Bitt'rem Lebensüberdrusse, Finsterer Melancholei, Prometheisch-geierbissig- Lebersiechem Pessimismus, War der Schwarm der Wasserdichter; Fanden Alles miserabel, Nur nicht ihre eignen Verse. Wohler in der Haut um Vieles War den Wein- und Bierpoeten. Diesen war die Welt soeben Recht, und nur an einem Uebel Krankten sie: der Wasserscheu. Die Absinthpoeten schließlich, Mit den Wein- und Bierpoeten Theilten sie die Wasserscheu, Und den Geierbiß des finster'n Melancholisch-überdrüss'gen, Lebersiechen Pessimismus Mit dem Schwarm der Wasserdichter: Und sie waren doppelt elend. In der Schenke bei den Krügen Als Vertreter wasserscheuer Wein- und Gerstensaft-Begeist'rung Saßen drei der besten Zecher Im Kostüm der drei berühmten Frohgemuthen Handwerksbursche Aus »Lumpazivagabundus«. Und sie zechten und sie sangen, Und sie sangen und sie zechten. »Uns,« so sangen sie vergnüglich, Uns genügt, wie jenem Alten, Dem Diogenes, dem weisen, Eine Tonne , hei, juchheissa, Aber eine volle ! Und wenn wir sie leer getrunken, Kriechen wir hinein, juchheissa, Daß mit uns von einem Wirthhaus Sie zum andern rolle! Lebens- und auch Liebeswonne Spendet sie, die volle Tonne; Komme was da wolle! Aus dem Schaum des Gerstentrankes, Dralle Schenkin, steigt dein Bildniß Immerdar als alte deutsche Venus, als Frau Holle!« – Draußen vor der Thür der Schenke In dem grünen Grase saßen An der Quelle, an dem Bache, Stumm und kühl die Wasserdichter. Saßen grün und gelb vor Mißmuth, Aergerten sich baß, daß Jene Drinnen in der Schenke, singend, Zechend, jauchzend, springend lärmten, Und sie wollten es nicht leiden; Sagten, dieser Lärm der Zecher, Dies Gesinge, dies Gekreische Wirke auf sie ohrzerreißend, Nervenfolternd, sinnverwirrend, Und vom Anblick jener Räusche Hätten sie den Katzenjammer. Unterdessen hat die Schenke Ganz mit munteren Gesellen Sich gefüllt. Und das Gestöhne Draußen vor der Thür vernehmend All der blassen Wassertrinker, Hebt der Zecherschwarm ein keckes Spottlied johlend an zu brüllen: »Hol' der Teufel diese blassen, Diese wasserblassen Dichter, Die da wimmern, die da winseln, Wehevoll-waschlapp'ge Wichter! Von des Lebens schweren Nöthen Faseln sie, die Schwerenöther, Doch geschrieben steht's: Wie man's treibt, so geht's, juchhei, Wie man's treibt, so geht's!« – Grimm befällt die Wassertrinker Und mit Kieseln aus dem Bache Zielen sie durch Thür und Fenster Nach den Zechern in der Schenke. Zur Erwid'rung fliegen ihnen Krüg' und Töpfe an die Köpfe. Und die Wasserdichter fluchen, Nehmen ein in Sturm die Schenke. Aber drinnen, ha, geprügelt Werden sie, hinausgeworfen, Und hinabgescheucht zum Bache; Und sie springen, Fröschen ähnlich, In die Flut, wo sie am tiefsten, Während hinter ihnen her es Heult zum Hohne: »Hol' der Teufel Diese blassen Wassertrinker, Diese wasserblassen Trinker – Wie man's treibt, so geht's, juchhei, Wie man's treibt, so geht's!« – Und schon ist es Nacht geworden. Festgebannt noch immer sitzen Bei den Krügen in der Schenke, Blaß und blöde schon, die Zecher, Und die Augen glänzen glasig, Und sie lachen und sie lallen, Und sie faseln, flennen, fluchen, Oder schnarchen unter'm Tische. Plötzlich von der nahen Thurmuhr Dröhnt ein Schlag wie dumpfer Donner. Horch! was hebt da an zu sausen Und zu brausen vor der Herberg'? Wilder Sturm heult von der Höhe, Und »Halloh! Hoiho!« so hallt es. Hei, was ist das? Heissa, ho, 's ist der Zug des Rodensteiners ! »'raus da! 'raus aus dem Haus da! Herr Wirth, das Gott mir helf'! Giebt's nirgends mehr 'nen Tropfen Wein Des Nachts um halber Zwölf?« – Also brüllt vom Gaul herunter In den Sturm der Rodensteiner: Hinter ihm, hui, schallt und knallt es, Klafft und blafft und bellt und gellt es; 'raus da! 'raus aus dem Haus da! Jo, hihaho! Rumdiridi! Hoidirido! 'raus! 'raus! 'raus!« – Heissa, hei, wie heult der Sturmwind, Der da aus der dumpfen Schenke Fegt hervor die Zecher alle Sammt und sonders in die Lüfte Hoch empor und fort dann, fort, Fort im Zug des Rodensteiners! Hol' der Teufel, Rodensteiner, Dich, der Nächtens du die Leute Fort so reißest aus der Schenke, Fort sie führst im wilden Heerbann – 's ist manch' wack'rer Bursch darunter! – And're Scenen, and're Bilder Drängen wechselnd sich vor's Auge. Seht einmal! Zum Theil in zierlich Kostümirten Maskenzügen Kommt die Schaar der Liebesdichter ! Seht ihr da die deutschen Perser ? Perser von dem Main, der Elbe, Von der Isar, von der Pleisse, Mit Kaftanen und Turbanen Und mit großen langen Bärten! Wolfgang nennt sich Hatem , Friedel Nennt sich Mirza , Michel Hafis , Stehlen Rosen, stehlen Früchte Aus dem Gartenhain von Schiras, Und »vomiren dann Gaselen«. Hans und Grete sind nun Jussuf Und Suleika, Gül und Bülbül! – Seht, wie billig, nun den Perser Diese Höflichkeit erwidern: Seht, er dichtet und er singt nun Seinerseits von »Hans« und »Grete«, »Bub« und »Maidle«, jauchzt und jodelt, Und loslegt er mit »Vierzeil'gen«, Reiherfeder auf dem Spitzhut, Knapp die Hose, grün die Jacke!« – Doch es naht nicht minder reizend Jetzt und harmlos eine and're Neu'ste Liebesdichtertruppe: Mittelalterlich-maskirte, Kostümirte Minnesinger! O wie zierlich die Gewandung! O wie drollig-derb die Sprache! Wie possirlich die Gebarung! Und nun seht das Seitenstück auch, Wie der Franzmann provençalisch, Wie der ernste Brite gälisch, Wie der Wälsche alt-italisch, Wie der Skandinave gothisch Girrt, sich trägt und sich geberdet. Ja, der Mummenschanz ist reizend, Ja, der Mummenschanz ist harmlos, Und wie möcht' ihn Einer schelten? Gern in Masken geht die Minne. Ganz im Gegensatz zu Diesen, In verwegenstem Kontraste, Hat die lyrische Cohorte, Die da naht, nicht blos Kostüme Fremder Art verschmäht und Masken, Sondern kecklich abgeworfen Schier sogar die eig'nen Kleider. »Nackte Wahrheit« ist ihr Wahlspruch. Jetzo hält der Zug und Einer Läßt, mit einem Ruck sich schwingend Auf die Schultern der Genossen, Flammenzüngig sich vernehmen: »Hört, Genossen! Allzu tief ist Leider wiederum die Menschheit Des Jahrhunderts in Askese Und in Frömmelei versunken! Statt sich arglos hinzugeben Heiterem Genuß, befassen Junge Männer, junge Mädchen Sich mit Fleischabtödtung, tragen Stachelgürtel und kastei'n sich. In dem Joch der Pflichterfüllung Schmachten die Vermählten – schöne Frau'n verzehren in Entsagung Sich wie Nonnen in der Zelle, Ungeliebt und ungenossen. Gar so schwer entschließen Menschen Sich zu lieben und zu küssen! Unser Fleisch, mit Einem Wort, ist Nicht emanzipirt genug noch, Und so ist's durchaus vonnöthen, Daß man Fleisch und Kult des Fleisches Nicht besinge blos, nein, pred'ge , Und die Welt sich des zu strengen Sittlichkeitsbegriffs entled'ge, Damit an die Stelle düst'rer Mönchischer Askese, welche Herrschend jetzt in allen Kreisen, Heiteres Behagen trete. Den Verliebten zu bedeuten Gilt's, daß Treu', geschwor'ne Treue, Th orheit , wenn man heischt von ihr, Daß sie Liebe überdau're. Fort mit Treue ohne Liebe! Fort mit dem Phantom der Pflicht, Wenn sie will, daß bei Erfüllung Seiner Pflicht der Mensch versau're! Diese Botschaft zu verkünden Sei die Losung, sei die Sache Nun der Dichtkunst des Jahrhunderts. Fern von sittlicher Verschämtheit Und ästhetischer Verbrämtheit, Kein Geheimniß soll sie machen Aus natürlichen Instinkten: Darf sich so mit Recht der Wahrheit, Nackter Wahrheit Schule nennen! – Dennoch sind wir idealistisch Durch und durch auch; denn wann gehen In der Wahrheit, in der Nacktheit Bei der Schild'rung und Verkündung Des bacchant'schen Fleischeskultus Wir so weit, daß dabei solche Dinge in Betracht wir zögen, Welche widrig und prosaisch: Etwa wie gewisse Folgen, Die bacchantisch kultivirtes Fleisch oft hat für Haut und Knochen! Traun, das Fleisch ist Poesie, Prosa aber Haut und Rückgrat – Nicht zu reden von noch andern Unästhet'schen Vogelscheuchen Auf dem Saatfeld des Genusses! Und so sind denn wir »Veristen«, »Realisten«, just die wahren Idealisten, die des Lebens Und des Liebens und Genießens Heikle und verfehmte Themen Von der wirklich idealen, Reinsten, schönsten Seite nehmen!« – Stürm'scher Beifall und zustimmend- Laute Rufe unterbrachen Oft den Redner, und nun hallte Heller Jubel ihm entgegen. Reizende Hetären waren In dem Zuge. Mit Gelächter, Scherz und Tanz auf grünem Rasen Brachten sie einander zwanglos Dar mit hochgemuthem Sinne, Die Poeten und die Schönen, Den Tribut der freien Minne. Plötzlich aber dringt ein Schelten Und ein Toben durch's Getümmel, Eines zorn'gen Mannes Stimme, Eines Weibes Angstgestöhne. Bei den Haaren die Geliebte Schleppt ein Liebender im Grimme Wild herbei. Wuthschnaubend klagt er Eines Treubruchs an die Schöne. Einer war es dieser freien Minnepriester, und er tobte: »Treuloses Geschöpf! Unwürd'ges Pflicht- und ehrvergess'nes Wesen! Abschaum du von einem Weibe! Dies der Dank für meine Liebe? Dies die Treu', die du geschworen?« – » Ach, ich liebte dich nicht mehr !« Aechzt sie unter seinen Schlägen. »Das ist's eben!« ruft er wüthend. »Unverschämte, wankelmüth'ge, Zuchtlos eitle, männertolle Delila, verworf'ne Dirne! Fluch dir, Ausbund aller Falschheit, Aller Schwäche du des Weibes!« – So der Ungetreu'n entgegen Verse voll erhab'nen Zornes Speit er und markirt den Rhythmus Auf des Weibes Liljenrücken. Solches Zwischenspiel der Minne Brachte in den allgemeinen Bacchischen Begeist'rungstaumel Dieser Trunk'nen eine kleine Und fast unliebsame Störung. Neu zum Festzug reiht der Schwarm sich Und zieht fürder dann des Weges. Plötzlich jetzt erschallt ein donnernd', Mark und Bein erschütternd wildes, Ohrzerreißendes »Hurrah!« Und begleitet war's von schrillen Tönen einer Kindstrompete. Nach dem Lärm zu schließen, nahte Sich im Marsch ein kampflust-glüh'ndes Regiment der schwersten Reiter. Doch es waren zarte Knaben – Kinder – manche noch getragen Auf den Armen von der Amme. Als verklungen war das wilde, Brausende Hurrah, da fielen Jene, die schon gehen konnten, Sich einander in die Haare, Nannten Stümper sich und Tölpel, Und dann rannte dieser ganze Literar'sche Kinder-Kreuzzug Durcheinander, auseinander – Jeder heim zu seiner Mutter. Ernster zeigte sich den Blicken, Märchenhaft schier, jetzt ein buntes, Sinnverwirrendes Geschwärme: Mißgeburten, große, kleine, Krüppel, Knirpse, Zwitter, Tröpfe, Heldenköpfe, Spindelbeine, Greise Gnomenangesichter Auf noch ros'gen Säuglingsleibern – Hie und da ein Feuerauge, Doch vereint mit faun'scher Nase Und mit thierisch-roher Schnauze – Oder wohlgewachs'ne Glieder, An verkehrter Stelle sitzend – Zwischendurch auch Thiergestalten, Buntgemischte: Regenwürmer Gab es da mit Eselsohren – Schnecken gab's mit Hirschgeweihen – Einen Esel auch mit Adler-, Und ein Schwein mit Psycheflügeln, Gimpel, Pfauenräder schlagend, Aeffchen, hoch auf Straußenbeinen Stelzend, ein Kameel mit Flossen, Dachse mit Gazellenhälsen, Stockfische mit Haifischrachen, Zeisige mit Eulenköpfen – Und dazwischen wassersücht'ge Krokodile, schäb'ge Tiger Mit vom Zahnarzt eingesetztem, Künstlichem Gebiß, wuthkranke Pudel, melanchol'sche Kater ... Und von diesen Mißgeschöpfen Ward gefangen, ward gebunden Fortgeführt ein edles, hohes Frauenbild voll reiner Schöne – Und sie belfern und sie greinen Gegen sie voll Wuth, begeifern Ihr Gewand, verhöhnen grinsend Sie als »Vettel«, »graue Vettel!« Sieh, ha sieh, wie vor dem Anblick Des Gesunden, Schönen, Reinen, Sie sich krümmen, diese Wichter, Kraus verzerren die Gesichter, Sich in tollen, immer toller'n Sprüngen wüthig überstürzen, Ueberpurzeln, überkollern! Sie beginnt ein kühnes, hohes Lied zu singen: das des Lebens, Das der Freiheit, das der Zukunft. Aber jene Mischgebilde Schnappen weg vom Mund das Wort ihr; Dieses Lied, das hohe heh're, Sagen sie, es sei das ihre ; Sie nur hätten es ersonnen, Sie nur wüßten es zu singen, Sie nur – Himmel, welch' Gekreische, Neben lautern Himmelslauten, Die sie von den Lippen stehlen Jener Schönheit, der geschmähten! Die Gefang'ne mit sich schleppend, Zieht das Zwitter-Thiergelichter Bellend, blöckend, plärrend weiter. – Was glänzt blau dort im Gebüsche? Blaue Strümpfe? Seid willkommen, Starke Glieder ihr des schwachen Und des schöneren Geschlechtes! Edle Geistesritterinnen, Vielbespöttelt – Frauen seid ihr: Alles könnt ihr, nur nicht schweigen. Rührig ist die Frauenzunge, Rührig ist die Frauenfeder. Vor euch tragt ihr im Triumphe Siegesbeute, Siegeszeichen, Welche kecklich bei verschied'nen Literar'schen Preiswettrennen Ihr den Männern abgewonnen! Dein zu spotten, edler Blaustrumpf, Sind ja deiner Trägerinnen Nachgerade schon zu viele! Giebt es in den Reihen Jener, Die in idealer Maske Schwärmen, manche, die hysterisch, Die erotomanisch kränkeln – Manche, die für demokratisch- Soziale Weltverbess'rung Schwärmend zu Hyänen werden Und den Besenstiel der Hexe Keck als Fahnenstange schwingen – Zu geschweigen von Geringern, Welche reiten, welche rauchen, Solchen, welche Hosen tragen – Nun man muß auch das entschuld'gen. Insbesond're, wenn sie Hosen Tragen wollen, ist's begreiflich. Bloße Sittsamkeit ist dieses Bei den Frauen, die da streben, Dieser schnöden Erdenscholle Engen Schranken zu entfliehen. Denn wie soll's ein Weib vermeiden, Das sich will zur Höhe schwingen Vor der Welt profanen Augen, Seine Beine zu bekleiden? – Große Portefeuilles in Händen Tragend mit gewicht'ger Miene, Schreitet eine Schaar trübsel'ger, Aber selbstbewußter Käuze. Vollgestopft mit Wechselbriefen Sind die Taschen, die sie tragen, Und auf Lob und Anerkennung, Auf die Würdigung der Nachwelt, Lauten ihre Wechselbriefe. Und mit diesen Wechselbriefen Stellen sie, die schnöd' Verkannten, An das Wochenbett der Zeit sich, Still den Augenblick erlauernd, Wo zur Welt sie bringt die Nachwelt ; Präsentiren wollen dieser Sie wie Shylok ihre Scheine. Arme, ungebor'ne Nachwelt, Lieber ungeboren bleibe! Bankerott ja gegenüber Dieser Last von Zahlungspflichten, Dieser Legion von Gläub'gern, Bist du schon im Mutterleibe! – Mittlerweile schau'n mit Neid sie, Diese großen Unbekannten, Auf die würdevoll Gesetzten, Regungslosen, Stummen, Alten, Welche dort im Winkel thronen. Dieses sind die respektabeln, »Schätzbar'n Mittelmäßigkeiten« Und die »vaterländ'schen Dichter«, Welche lang' schon todt, doch so gut Literarhistorisch-kritisch Eingebalsamt, daß sie wenig Oder gar nicht übel riechen. Der Parnaß hat auch Philister Und da eben naht ihr Aufzug. Doch sie sind nicht sehenswürdig. Aber eine Sorte giebt es, Eine ganz besond're, rare Spezies von Erzphilistern, Welche äußerst sehenswürdig. Grimassirend, perorirend, Alltagsschwätzer, doch mit Worten, Mit cyklopisch-ungeschlachten, Wie mit Blöcken um sich werfend, Seht ihr dort verschied'ne Recken. Das ist jene ganz besond're Spezies von Erzphilistern, Die, um für Genies zu gelten, Sich so recken und so strecken, Kraftgenialisch sich geberden! Seht wie jener dort Geschosse Ballt aus Schnee und Straßenunrath, Flucht wie ein betrunkner Küster: Dünkt ein Carlyle sich und ist nur Ein salbadernder Philister, Erzphilister, und so durchaus Ledern, daß man aus ihm schustern Könnte wasserdichte Stiefel ... Hei, wer reitet dort so spät durch Nacht und Wind auf – Steckenpferdchen? Diese Pferdchen, Steckenpferdchen, Die sie reiten, Pegasusse Sind's von Holz, auf Rädern rollend. Zahllos ist der Schwarm! Poeten Sind sie, wie die Fliegen Vögel, Und die Regenwürmer Schlangen. Laßt den Kleinen doch die Freude – Diesen Mücken, diesen Grillen Und Heupferdchen des Parnasses ... Ei, wer sind sie? Ach, das liebe Völkchen ist's der – Rathet einmal! – Und die Kecken dort? – Vaganten! Literar'sche Strolche ! Alles Sagt der Name. Guarda e passa ! – Seht doch lieber – ha! was soll das? Esel kommen da mit Hörnern – Ochsenhörnern! Alle guten Geister ...! Aber still, nur stille! Nein, man darf nicht laut es sagen! Esel, ach, »gehörnte Esel« Nannte Swift die Rezensenten! Fall auf ihn zurück das Schimpfwort! Esel sind nicht alle – nein! Hörner freilich haben alle! Orpheus, der erhab'ne Sänger, Zähmte einst die wilden Thiere: Diese waren nicht darunter. Kritische Vivisektoren Sind's – sie martern die Lebend'gen Und behandeln zart die Todten. Ach, wer nennt sie? Da ist Einer, Der nach Herkuls Keule greift, Eine Mücke todt zu schlagen. Da ist Einer, der vor Jahren Schrieb ein ungewürdigt Epos, Dann vergrämelt, grausam grollend, Kritisch jahrelang mit sieben Cerb'rusköpfen grimm sich ausboll, Aber jetzo schweigt mit allen Sieben Köpfen, sieben Zungen – Wohl aus Aerger, weil er merkt, Daß, was lebt, noch immer lebt, Und was todt, noch immer todt ist. Da ist X. X., eine Mischung Diskrepanter Eigenschaften: Witzig ist er, aber dumm. Da sind manche – o sehr Viele! – Welche gestern den Lutschbeutel Erst vertauscht mit der Cigarre. Auf der Brust, wie Orden, tragen Just die Unverfror'nen jetzo, Unverschämten, ihre Namen Offen, keck vor aller Welt. Keiner will mehr anonym sein: Anonyme Unverschämtheit – Wär' sie nicht ein Widerspruch ? – Stattlich naht, sehr stattlich dort jetzt Sich ein Aufzug. Hoch zu Roß da Sitzen Jene, welche machen Was man nennt die Litt'ratur. Mit Geleit von Buchverzierern Halten sie und Buchvergoldern Vor der Fama hohem Tempel, Wo die Priesterin – Französin Von Geburt, genannt Reclame – Sie empfängt an lichter Pforte: Hinter ihr die Tempelsklaven, Welche gänzlich dieser Göttin Dienst geweiht sind, in Gestalt Von lebendigen, mit Blättern Grellbunt überklebten Säulen. Weihrauchopfer bringt man hier, Blauen Dunstes Weihrauchopfer, Und zum hohen Osterfeste Schlachten hier die Buchverleger Nicht von Stieren, doch von Krebsen Manchmal eine Hekatombe. Bunter jetzt und immer bunter Wird das Treiben. Gleich wie Karten Mischt der Zufall im bewegten Festgetümmel kraus die Menschen. Durch die Menge, rechtshin, linkshin Fuchtelnd mit der Pritsche, gaukelt Toll ein blinder Harlekin. Im Gedränge wird auf frischer That ergriffen ein Ideen- Taschendieb. Ein Autographen- Jäger sammelt Autographen, Und Skandalhistörchen sammelt Ein Skandalhistörchenjäger. Nach Versteinerungen, Muscheln Späht dort Einer im Geklüfte; Ohne Zweifel Geolog? Nein, ein Dichter! sucht Motive Zu historischen Romanen Aus der Juraperiode. Ein Erzähler, der berühmte Muster strebt zu überbieten, Späht nach realist'schen Zügen Und nach ekelhaften Dingen, Läßt von einem Arzt soeben Im Detail die Symptomatik, Pathologik, Therapeutik Sich der Läusesucht erklären, Weil gebaut auf dieses Thema Der Roman ist, den er eben Sinnvoll plant. Professor Jäger Geht umher als Seelenriecher , Insgeheim nach hierhin, dorthin Schnüffelnd, Lust- und Unlustdüfte Kundig prüfend – glaubt zu finden Viel Gestank und wenig Seele: So daß er von seiner Lehre, Die bekanntlich Duft und Seele Nimmt für Eins, beinah' zurückkommt. Bietet nebenbei Vorräthe Seines Wollkostüms Liebhabern An und seiner Haarduftpillen. Ein Wagnerianer macht Propaganda – nicht für seines Meisters Kunst, nein, für die reine Pflanzenkost, auf die als Erster Im Geschlecht der Menschenkinder Einst verfiel Nebukadnezar. Einen ew'gen Freitag predigt, Einen ewigen Quatember Unser Vegetarianer, Und versichert, Wagner's Tonkunst Müsse freilich wohl die Nerven Seiner Gegner krankhaft reizen, Wenn sie Fleisch dabei genießen. Judenfleisch nur sei erlaubt, Sagt er, Vegetarianern. – Ei was giebt es dort zu schauen, Dort zu hören in der hohen, Musenpriesterlichen Halle, Wo man an umdrängter Pforte Geld erlegt hat für den Eintritt? In der Halle vor den Hörern Steht ein wandernder Rhapsode: Lorbeer um das Haupt geschlungen, Himmelwärts den Blick gerichtet, Rezitirt er Hochgesänge Voll pindarisch stolzen Schwunges Vor der lauschenden Versammlung. Und sobald den ersten Sang er Weihevoll geendet, geht er, Noch vom heil'gen Feuer glühend, Mit dem Lorbeer auf dem Haupte Zum Kassier hinaus und sagt ihm: »Lassen sie das Volk von jetzt an Um den halben Preis herein!« – Viel berühmte Leute neu'rer, Wie vergang'ner Zeit erblickte Man im bunten Schwarm der Gäste. Faust, Don Juan, Münchhausen sah man, Eulenspiegel, Schlemihl, Bräsig, Don Quixotte, Hudibras, Frau George Sand und Frau Aspasia, Und Frau Buchholz; Nana, Teut, Und Diogenes, der Menschen Suchte, die Latern' in Händen. Sehr vergnügt war Peter Schlemihl: Der bekannte »Mann« (der ärmste!) »Ohne Schatten« war auf einen Schatten ohne Mann gestoßen, Deren es ja gibt so manche: Und nun wandelten die Beiden Seit' an Seite, stolz, den Mangel Einer so des Andern deckend. Auch der Teufel fehlte nicht Mitten im Geschwärm des Festes. Ja, leibhaftig war er da mit Pferdefuß und Hahnenfeder, Und er führte durch die Menge Sein Großmütterchen am Arme. Doch er gab sich sehr bescheiden: Sehr armselig war sein Aussehn, Sehr verschlissen die Gewandung, Und er that, als wäre gänzlich Er herunter nun gekommen, Und als müss' er, um das Leben Dem Großmütterchen zu fristen Und sich selber, betteln gehen. Seine einst'gen Diener, sagt' er, Feuer, Wasserfluten, alle Die zerstörenden Gewalten Der Natur, die Elemente, Seien Sklaven in des Menschen Dienst geworden, und ihm selber Wolle Keiner seine Seele Mehr verschreiben, unter'm Vorwand, Daß es Seelen gar nicht gebe, Und daß man, sein Glück zu machen, Selbst nun schlau genug geworden, Nicht des Teufels mehr bedürfe. Und so sei er denn in Wahrheit Jetzo ganz ein armer Teufel. Unter solchen heuchlerischen Reden geht, Almosen sammelnd, Er umher; zufällig aber Auf den Pferdefuß getreten Einmal im Gedräng', vergißt er Fluchend sich, speit Feu'r im Zorne ... Alles, was um ihn hier vorgeht, Still belauernd, macht er manchmal Heimlich sich 'nen Knopf in's Schnupftuch. Später, als es bunter zugeht Schon im Kreise, treibt er tolles Zeug und Taschenspielerkünste. Plötzlich ist der Mond vom Himmel Weggeschwunden – Alle staunen, Schaudern, fragen, wo er hin sei? Da zieht lachend Meister Urian Den Vermißten aus der Tasche Wirft ihn in die Luft wie einen Ball an seine alte Stelle, Wo er ruhig weiterleuchtet. Auch ein Spiritist, ein »Medium«, Treibt sich um im Schwarm der Gäste, An verstorbene berühmte Männer, Frauen, stellt er Fragen, Und sie schreiben, ungesehen, Antwort ihm auf Schiefertafeln, Doch nicht alle. Manche bleiben Ganz die Antwort schuldig, oder Aeußern sich sehr unmanierlich. Bacon, den man höflich fragte, Ob es wahr, daß außer seinen Eig'nen er die Werke Shakespeare's Auch so nebenbei geschrieben, Gab zur Antwort dem Befrager Einen geisterhaft-unsichtbar'n, Aber fühlbar'n großbritann'schen Boxer-Fauststoß vor den Magen. Victor Hugo schrieb, als eine Antwort man von ihm verlangte, Für ein Honorar von mind'stens Hunderttausend Franken steh' er – Anders aber nicht – zu Diensten. Nur geistlose Geister, leider, Kritzelten die Schiefertafeln Voll mit äußerstem Behagen. Ich auch ging den Geisterbanner Schließlich an: »Vermagst du Geister Zu beschwören, so beschwöre Mir den Geist der Zeit ! Ein Blättlein Hätt' ich gern von ihm für's Stammbuch!« – Und der Edle ward beschworen, Kam und klexte mir in's Stammbuch – Unterm Tisch nach Geisterbrauch – Einen Zeitungsleitartikel, Welcher pries des deutschen Geistes, Deutschen Schriftthums, deutscher Sprache Macht und Pracht vor allen andern Und geschrieben war im reinsten, Parlaments- und Zeitungs-Diebsdeutsch, So gespickt mit odiösen, Ominösen, factiösen, Querulösen und scabrösen, So wie auch minutiösen Und irrelevanten Themen, Mal- und Tergiversationen, Opportun-inopportunen Ingerenzen, Entrevuen, Plaidoyers und Pourparlers, Konziliant-, intransigenten Transaktionen, Kompromissen, Inkompatibilitäten, Velleitäten, Chauvinismen – Mit so viel perhorreszirten Interims, Strikes, Brouhahas, Salemaleks, Tohubohus, Daß durch diese Spracheinwurstung Unser bied'rer Zeitgeist schließlich Zweifellos als würd'ger jüng'rer Bruder sich erwies des alten Geists der Zeit von Babel's Thurmbau. Durch den Schwarm so vieler Menschen Sah man hie und da zuweilen Wespen, kleine Blocksbergwespen, Schwirrend hin und wieder fliegen. An den Leibern dieser Wespen Waren Blättchen aufgebunden, Und auf diesen Blättchen standen Lesbar kleine Epigramme, Einige mit scharfem Stachel, And're harmlos, unverfänglich. Haschen wir die ein' und and're Dieser kleinen Bocksbergwespen. Rathend, mahnend, scheltend, zücht'gend, Denkst du Wunder was es nutzt; Aber hilft die Brille Blinden, Und der Esel, wird er klüger, Wenn man ihm die Ohren stutzt? Schau, die Hexe fährt zu Berg! Aber nicht mehr auf dem Besen: Knappes Leibchen, kurzes Röckchen, Und den Zwicker auf der Nase! Und Touristin nennt sie sich. Weil dich just der Schnupfen plagt, Denkst du durch die Wand zu rennen? Schneuze dich, sagt Epiktet, Schneuze dich, anstatt zu flennen! Tropfen seid ihr Straßenkothes, Unter'm Lauf der Zeitenräder Hochauf gegen Himmel spritzend, Und ihr wollt euch Sterne dünken? Ein erlesenes Talent! – Ja! In der That, es ist erlesen ! Ach wie ist so unbeständig, So zweideutig, so verlogen, Solch' ein Proteus Mancher, daß man Schwören möchte, wär' gekommen Er zur Welt als Ochs, so würfe Er den Schatten eines Esels! Daß dem Schönen Frische fehle, Hört man vielfach jetzo klagen. »Frische fehlt dir, meine Gute!« Hört' ich jüngst im Garten sagen Stolz zu einem welken Röslein Eines Vögleins frischen Quark. Rein im Formenglanze blinken Laß, o Dichter, dein Gedicht! Zwar Tyrtäus durfte hinken, Aber seine Verse nicht! Armer deutscher Poet! meist hast du noch lange den Ruf nicht, Den du verdienst: erst den, den der Verleger dir macht! Niemand wußte, wer der Autor Dieser Verslein. Nur der Teufel, Dieser hatte lauernd, schielend, Wohl bemerkt, das ich's gewesen, Ich, der Schreiber dieser Zeilen, Der geknüpft sothane Verslein Heimlich an die Wespensteiße. Und er machte sich den Spaß nun, Abzufangen sie wie Fliegen. Auf mich zu dann trat er grinsend. »Mit Vergunst, schätzbarster Dichter!« Hub er an und sah dabei mir In's Gesicht mit seinem kohlschwarz Glüh'nden Aug', in dem kein Weißes. »Mit Vergunst! Mir altem Kerl, mir Wär' ein Wort zu gut' zu halten, Dächt' ich, wenn es um Satire Sich, um Bosheit, Spott, Verneinung Handelt – und man sollte, dächt' ich, Nicht verschmäh'n von Unsereinem Was zu lernen; Unsereiner Ist kein Neuling doch hierinnen – Ganz im Gegentheil! – Wenn Einer Solcher Dinge sich befleißigt, Kann ich ihm nur sagen: Mensch! Spieße, rädere, skalpire Deinen Nächsten: aber Einen Immer – einen ganz Bestimmten , Den man kann mit Fingern zeigen! Schinde deinen Nebenbuhler! Kreuz'ge den, der and'rer Meinung, An den Pranger stell' die Besten! Dieses wird man dir verzeihen. Aber fuchtle mit der Geissel Nicht umher im Allgemeinen ! Und vor Allem, Bester, hüte Dich, der Schlechtigkeit, Verderbtheit, Schwäche, Thorheit an und für sich Allzudämlich nah' zu treten! Kein Pedant, mit Einem Wort, kein Sittenprediger, kein Swift sei Und kein Juvenal! Denn diese Art Humors ist gar nicht »lustig!« Ein Humor, bei dem man ernst bleibt, Nicht in heller Lache losplatzt, Ist langweilig, wie die Tragik, Die nicht wirkt auf Thränendrüsen!« – »Sehr verbunden!« gab zur Antwort Ich; »indessen ... ich bedaure ... Menschenschwäche, Menschenthorheit, Unser angebor'nes Erbtheil, Das uns so verhängnißvoll oft Wird im langen Erdenleben, So ein bischen durchzuhecheln, Ist ein Thun, womit der Mensch sich Tröstet und erbaut zu Zeiten. Aber meine schlimmsten Feinde Oder Kritiker zu schinden – Namentlich zu persifliren – Nein, ich thu's nicht! – Einen Einz'gen Nehm' ich aus: den Herrn F. M., Der mir ausdrücklich vor Kurzem Sagte, persiflirt zu werden Sei die angenehmste Sache Von der Welt; ihn selbst, den Witz'gen, Hätte Mancher schon gebeten, Ihn doch ja zu persifliren, Denn es sei doch auch – Reclame ... »Den allein? das ist zu wenig!« Sprach der Böse. Aber heimlich – Wie ich merkte – dacht' er: »G'nug ist's, Hoff' ich, dir den Hals zu brechen!« – »Wer nicht hören will, muß fühlen!« Warf er hin. »Der Lorbeer, fürcht' ich, Den du erntest mit dergleichen, Wächst auf einer Haselstaude!« – Darauf ich: In jedem Falle Laß' ich bald ein Büchlein drucken: Lachen wird es Keinen machen, Und sehr Viele werden's lästern, Und nicht Viele werden's lieben, Und nur Wen'ge werden's loben, Aber lesen – werden's Alle! – Stracks anbeißend auf den Köder, Den ich mit dem übermüth'gen Scherzwort »Alle werden's lesen« Hinwarf seiner Schadenfreude Und dem Witz der Rezensenten – » Meinst du ?« rief er grinsend, rollte Tückisch, still-vergnügt, sein glüh'ndes Kohlenaug', in dem kein Weiß ist, Und verschwand mit Hinterlassung Des ihm eigenen Geruches. – Schlendernd, sinnend wandt' ich wieder Mich zurück ins Festgewimmel. Auf das große Hochzeitsballfest Im Verlauf der Nacht vereinte Sich des Gästeschwarmes Antheil. Es gestaltete sich glanzvoll; Lebhaft war das Tanzvergnügen. Mit der Braut antrat der Ritter Von dem Pferdefuß zum Tanze. Das Großmütterchen des Ritters Schwenkt' im Takte der Homunkel. Federleicht und schmiegsam hinflog Frau George Sand in Faustens Armen, In Diogenes', Münchhausens Schlemihls, Don Juans, Eulenspiegels, Und noch vieler And'rer Armen. Bräsig walzte mit Frau Buchholz, Teut vergaffte sich in Nana, Tollte mit ihr hin im Reigen. Mit Aspasia, der schönen, Machten Kritiker ein Tänzchen, Sprangen mit ihr um wie Rüpel, Doch es ging der Athem ihnen Früher aus als ihr, der Schönen. Trüber brannten schon die Lichter, Um so heller aber brannten In der Dämmerung die Blicke. Schon gestaltete ein wenig Orgiastisch sich das Hochfest: Was des Breiteren zu schildern Ich hier billig unterlasse. Eins nur darf ich nicht verschweigen: Daß bei diesem Hochzeitsfeste Auf dem Punkte stand Schön-Lurlei, Von Champagnerschaum umbrandet, Zu entflieh'n zum ersten Male, Seit sie war getraut mit Munkel. Hinterlassen schon bereit lag Ein Billet, drin sie gestand Ihrem angetrauten Gatten, Daß sie einen Mann gefunden, Bei dem Feste der Vermählung, In der Festlust holdem Taumel, Der ihr Herz entfachte, wie es Niemals ihr bisher geschehen – Den vielleicht sie lieben könne. Doch nach einer halben Stunde Hatte sie die Ueberzeugung, Daß der Mann, dem sie zu folgen Im Begriff war, den, umbrandet Von Champagnerschaum, sie vorschnell Für ein Ideal gehalten, Nur ein ganz gemeiner Wicht sei. Und zurück zur rechten Zeit noch Kehrte sie, ihr bräutlich Bette, Wie geziemend, zu besteigen Mit dem angetrauten Gatten. 6. Gesang: Eldorado Sechster Gesang. Eldorado. Keine Lust verspürte Munkel, Seinen Schatz, den neu gehob'nen, Und den größern seiner hohen Angeborenen Talente Irgendwie noch in den faulen Unternehmungen der morschen Alten Welt auf's Spiel zu setzen. Eine neue Welt zu suchen Ging er aus für höh're Zwecke, Unabhängig von dem Zwange Der Verhältnisse des Welttheils Seine Sendung zu erfüllen, Zu verwirklichen im höchsten Stile den Homunculismus. Eine Kolonie zu führen In die Fremde, war sein Vorsatz, Weit hinweg – am liebsten fernhin Nach dem gold'nen Eldorado ! Warum sollt' es ihm nicht glücken, Zu entdecken dieses Eiland, Dieses sel'ge Land des Goldes Fern im Westen, wenn er auszog Als ein anderer Columbus, Mit dem eig'nen und mit Lurlei's Uebermenschlich feinem Spürsinn Für verborg'ne gold'ne Schätze? – Lange war die Fahrt und mühsam – Mag ein And'rer sie beschreiben – Und es setzten just die Meut'rer, Wie in solchen Fällen üblich, Auf dem Schiff dem kühnen Führer An die Brust des Degens Spitze – Da erscholl es: » Land !« und leuchtend In dem Glanz der Morgensonne Lag vor Aller Augen herrlich Eldorados gold'ne Küste. Dieses Land, ein Paradies war's Ohne Schlange, reich und blühend. Golderz glomm in Bergestiefen, Flimmert' im Gestein, im Sande. Milch und Honig floß in Bächen. Stürme gab es nicht im Lenze, Wetter nicht in Sommertagen, Graue Nebel nicht im Herbste, Schneefall nicht in Winterszeiten. Gärten, Wiesen, Felder grünten Blühten ungedüngt. Es fraßen Keine Raupen an den Blüten, Keine Wespen an den Früchten, Keine Käfer an den Rinden, Keine Nager an den Wurzeln. Bienen hatten keine Stacheln, Katzen hatten keine Krallen, Rinder hatten keine Hörner, Esel keine langen Ohren. Keine Eulen, keine Marder Gab es, Geier nicht noch Habicht, Keine Hunde in den Gassen; Keine Maden gab's im Käse, Keine Motten im Gewande, Keine Wanzen in den Pfühlen, Keine Ratten in den Kellern, Keine Mäuse in den Löchern, Keine Läuse in den Pelzen, Keine Flöhe in den Ohren. Keine Würmer in den Nasen, Keine Steine auf dem Herzen, Keine Fliegen im Getränke, Und kein Haar im Suppentopfe. Friedlich lebten die Bewohner Hin in edler Sitteneinfalt, Ohne Haß und ohne Neid, Ohne Ehrgeiz, ohne Zwiespalt, Ohne Habgier, ohne Hoffahrt, Ohne Spiegel, ohne Schminke, Ohne Brillen, ohne Krücken, Ohne Stelzen und Kothurne, Ohne falsche Zähne, ohne Falsche Culs und falsche Waden, Ohne Schulden und Duelle, Ohne Hörner in der Ehe, Ohne Wortbruch, ohne Treubruch. Nicht Verrückte, nicht Verbrecher Gab's, noch Kranke; nur freiwillig Starben Greise, eingerostet War und stumpf die Parzenscheere. Keinen Antisemitismus Gab es hier und keine Juden, Kein Revanchegelüste, keinen Nationalitätenhader. Die Bewohner dieser Gaue Zankten niemals um des Esels Schatten und des Kaisers Bart sich, Zäumten nie das Pferd beim Schwanz auf, Drehten niemals einen Sandstrick, Machten nie den Bock zum Gärtner, Faßten nie beim Schwanz den Aal Und ein schönes Weib beim Worte, Zogen niemals das unrechte Schwein beim Ohre aus dem Koben, Brachen über's Knie die Wurst nicht. Und die Büchse der Pandora Oeffneten sie nie so weit, Daß das Unheil Zeit und Raum fand, Mit dem Heil herauszuschlüpfen. Keine läst'gen Dilettanten Gab's, und keine Denkmalbettler, Keine literar'schen Strolche, Keine groben Droschkenkutscher, Keinen unreinlichen Zahnarzt, Keinen Priester, keinen Anwalt, Keinen Arzt und Salbenkrämer, Keine Schmeichler, keine Flegel, Keine grämlichen Philister, Kein verbummeltes Genie. Ha, wie stürzten sich die gier'gen Fremdlinge, die Kolonisten, Ueber diese gold'nen Fluren! Und in Schaaren strömten and're Von der alten Welt herüber. Bald wie Tropfen in der Meerflut War im fremden Schwarm verschwunden Das idyllische, das stille, Sel'ge Volk der Ureinwohner. Munkel aber ging an's Werk, Im gesegneten Gelände Ruhmvoll einen zeitgemäßen Großen Musterstaat zu gründen. Müh'voll war das Unternehmen, Langsam schritt die Sache vorwärts, Wie bei allem Großen, Schönen: Langsam wie die Perle reift In der Muschel, wie der Demant In der Erde, die Versöhnung Unter Oest'reichs Völkerschaften, Die Kultur in Kamerun, Und der deutsche Geist im Elsaß. Gerne will ich euch berichten, Wenn es nicht zu sehr euch langweilt, Einiges von diesem großen, Zeitgemäßen Musterstaate. Als die oberste, die erste Macht im Staate ward verkündet Das Gesetz : und zur Verehrung Ausgestellt in einem Tempel Als Palladium, als Idol, War's in sichtbarer Gestaltung: Die Gestaltung eines ries'gen Paragraphenzeichens hatt' es, Und gefertigt war's aus Kautschuk, Anzudeuten, daß es biegsam, Daß es schmiegsam, – und es ließ sich Auf den Kopf sogar auch stellen, Ohne die Gestalt zu ändern. Das Gesetz war Gott und Munkel Sein Prophet. Zur Seit' ihm standen Die Minister; hinter diesen Stand das Parlament, und hinter Diesem stand die Volksversammlung. Die Partei'n im Parlamente Nannten sich nach zweiunddreißig Richtungen der Windesrose: Eine Süd-Süd-Ostpartei, Eine Nord-Nord-Westpartei auch Gab es, u.s.w. Jede Dieser sämmtlichen Parteien Hatte sechs Parteiminister, Welche, je nachdem des Windes Richtung brachte Gunst und Ungunst, Kamen, gingen, gingen, kamen, Wie Figürlein aus dem Häuschen Bei gewissen Apparaten Nach des Wind's und Wetters Wechsel. In den Rath der Alten theilte Sich das Parlament – die Rechte Der Vergangenheit vertrat er – Und den Rath der Jungen , welcher Stets vertrat das Recht der Zukunft: Gegenwart blieb unvertreten. Klein das Ohr und groß die Zunge – Dieses galt als erstes Merkmal Eines echten Volksvertreters. Worte, stromweis sich ergießend, Der Verstand nur tröpfelnd – dieses Hatte sich bewährt als rechte, Zweckentsprechend-prakt'sche Mischung In dem Volksvertretungsleben. Hohe Weisheit war's, die Stimmen Nicht zu zählen, nein, zu wägen. Eine kolossale Wage Stand mit ungeheuren Schalen – Flachen Räumen, breit wie Tennen, Festgefügt aus eich'nen Bohlen – In des hohen Hauses Mitte. In die ein' und and're Wagschal' Traten die Partei'n, die Fragen Zu entscheiden, und es stellte Sich heraus, daß diese Wägung Mindestens in gleichem Maße Stets zum Sieg verhalf dem Rechten, Wie der alte Brauch der Zählung. Aber der Instanzen höchste War, sobald im Parlamente Man das Votum abgegeben, Des souv'ränen Volkes Stimme. Dies versammelt' auf dem Markte, Oder auch, bei Regenwetter, In den Schenken sich zu letzter, Zu endgültiger Entscheidung, Die im Staat nicht weiter zuließ Eine höhere Berufung, Und die fertig ihm geliefert Wurde von den Straßenrednern Und den öffentlichen Blättern. So geartet war der Grundbau Der politischen Verfassung. Fest- und Feiertage wurden Abgeschafft in Eldorado, Bis auf eins, das, hoch-bedeutsam, Hieß das große »Affenschwanzfest«. Dieses sinn'ge Fest, entlehnt war's Einem Indianerstamme. Einen Tag und eine Nacht lang Tummelte mit aufgebund'nen Affenschwänzen in den Wäldern Sich, zu ewigem Gedächtniß Ihrer Herkunft und Verwandtschaft, Fröhlich, fessellos die Menge. Abgeschafft desgleichen wurden Die gewohnten Heil'gennamen, Auf die man vordem getauft war, Und ersetzt durch klangvoll schöne Wissenschaftlich int'ressante. Auf dem nächsten Balle sah man Doktor Amphioxus Meyer Walzen mit Monera Schmidt Und mit Frau Gasträa Schulze. Glänzend war des Musterstaates Fortschritt in des Rechtes Pflege. Die Verhandlungen entschied man Meistentheils durch Schachpartieen Des Vertheid'gers und des Anwalts Der Gerichte; jezuweilen Auch durch Boxen oder sonst'ge Balgereien zwischen Beiden. Bei Bestrafung der Verbrecher Gab den Ausschlag stets die Rücksicht Auf Naturgesetze , wie sie Längst ermittelt die Statistik: Daß in jeder Zeitepoche Nach Gesetzen des Naturlaufs So und so viel Menschen stehlen, So und so viel sich erhängen, So und so viel mit Injurien Fremder Ehre nahe treten, So und so viel ihres Nächsten Hausfrau lieben, und so weiter. Demgemäß nun gingen immer Straflos aus so viel Verbrecher Jeder Art, als in dem Genre Das Naturgesetz erheischte Nach statistischem Ergebniß. Laufen ließ man so an jedem Tage von den Taschendieben Zeh'n, weil dieses die Normalzahl: Doch der Eilfte ward gehangen. Ganz auf chemisch-physikalisch- Physiologische Prinzipien Stützte man die Wehrverfassung Und die Art der Kriegesführung. Heeresmassen abzustoßen Lehrte jetzo die Mechanik, Und statt and'rer Schläge gab es Jetzt elektrische im Felde. Auch erwiesen sich im Nothfall Nützlich Cholerabacillen, Ungeziefer aller Arten, Bomben, welche platzend plötzlich Mörd'rischen Gestank entluden, Gase, schrille Dissonanzen, Ohrzerreißende; nebst andern Sinnesfoltern, wie der Scharfsinn Sie ersann, sich überbietend. Anvertraut ward der Armeen Oberstes Kommando jetzo Professoren, tücht'gen Meistern Der Chemie, Physik, Mechanik. Im Verkehr des Handels galten Und der Industrie die alten Sprüchlein: »Decipi vult mundus« – »Jeder ist sich selbst der Nächste.« Uebervortheilung vermied man Dadurch, daß gefälschte Waaren Man mit falschem Geld bezahlte. Schließlich war statt wucht'ger Münze Leichtes Werthpapier in Umlauf: Scheine, Bons, wie man sie nannte, Welche Zwangscours hatten, niemals Eingelöst zu werden brauchten. Jeder Käufer stellte solchen Bon aus im Betrag des Preises; Der Empfänger gab ihn weiter, Und von Hand zu Hand so gehend, Nützten bald sich ab die Zettel, Bis beschmutzt, zerfetzt von selber Sie aus dem Verkehr verschwanden. Froh des Seinen ward der Bürger, Steuern gab es nicht noch Zölle, Und der Staat bestritt die Kosten Der Verwaltung ganz mit Schulden. In den religiösen Dingen Herrschte Duldsamkeit; doch wieder Eingeführt ward eine heil'ge Hermandad für Tagesmeinung Im Bereich der Wissenschaften : Streng verbrannte man die Ketzer. In der Journalistik aufging Alles Schriftthum und die Presse Blieb für öffentliche Meinung Tonangebend dadurch, daß sie Sich zu ihrer Sklavin machte. Auf die Zuchtwahl ward gegründet Ehe- und Familienleben. Neugebor'ne wurden alsbald Meist verkauft an Kinderhändler. Wer Verlangen trug nach Kindern, Kaufte nach belieb'ger Auswahl Solche in der Kinderhandlung; Namentlich in der »zum Storch« Kaufte man sie schön und billig. Ihrem Gatten hatte Lurlei Als des schönsten Ehebundes Frucht geschenkt ein holdes Knäblein, Eldorados echten Sprößling: Golden waren seine Härlein. Aber, ach, obgleich der Mutter Treues, reizend-schönes Abbild, Todtgeboren kam zur Welt Dieses goldgelockte Knäblein. Anvertraut den Anatomen Ward sein Leib, um zu ermitteln Seines frühen Todes Ursach', Seines Tod's noch vor dem Leben. Und es fanden die Zerglied'rer, Daß des Knäbleins Organismus Unvollständig : wie ja öfters Neugebornen dieses, jenes Glied zu viel, zu wenig mitgiebt Die Natur in's Leben: etwa Vier statt fünf der Finger oder Zehen – so gebrach dem zarten Sprößling des erles'nen Paares, Des Homunkels und der Nixe, Ein gewisses für den Blutlauf Dienliches Brusteingeweide: Jener große, weiche Muskel, Den wir Herz zu nennen pflegen. Sehr zum Leide, zum Verdrusse War es Munkel, daß er seine Vaterhoffnung sah gescheitert: Gern erprobt hätt' er die höher'n, Feiner'n Künste der Erziehung An dem eigenen Geblüte, An dem echten Sohn und Erben. Zum Ersatz erwarb er käuflich Aus des Eilands Neugebornen Einen Knaben sich, ein Mägdlein. Reizend waren sie und rosig, Dieser Knabe, dieses Mägdlein, Arme und verlorne Waisen Eingeborener Familien, Des geringen Ueberrestes Der verdrängten Ureinwohner, Die noch hie und da, in stillen Buchten Eldorados hausend, Ein idyllisch Leben führten. Eldo nannte sie und Dora , Weil dem Urstamm Eldorados Rein entsproßt, ihr Pflegevater. Vielversprechend aufzublühen Schien in edler Vollkraft dieses Schönste Kinderpaar der Insel. Eldo zu der Männer Vorbild, Dora zu der Frauen Muster Zu erzieh'n nach eig'nem Sinne, Eig'nem Plan, gedachte Munkel. Tadellos zu jener Zeit war Lurlei's Ruf in Eldorado; Nur daß hie und da gemunkelt Ward im Land von einer kurzen, Aber seltsamen Berührung Uns'rer nixenhaften Schönen Mit dem » fliegenden Holländer «, Dem bekannten Geisterschiffsherrn, Der verdammt zu ruheloser Irrfahrt auf der öden Salzflut, Bis ein edles Frauenwesen, Wahrhaft liebend, ihn erlöset Von dem bösen Schicksalsfluche. In der That war dieser Aermste Auf der ziellos grausen Irrfahrt Einmal auch vorbeigesegelt An dem Eiland Eldorado, Hatt' am Strand erblickt die Lurlei Ruhend auf besonnter Klippe, Trällernd leis' ein Zauberliedchen, Wie von ihrer Nixenzeit her Sie zu thun noch nicht verschmähte Manchesmal in müss'gen Stunden – War entbrannt in heißer Flamme Für das Weib, das zauberschöne, Hatt' im Wahn der Leidenschaft sich Hingegeben der Erwartung, Dieses sei das Frauenwesen, Das er suche, wahrhaft edel, Und bestimmt, ihn zu erlösen. In Gestalt und mit Manieren Eines schmucken Kapitäns Huldigt' er, an's Land gekommen, Ihr, der nixenhaften Schönen. Sich're Einzelheiten fehlen; Doch gewiß ist, daß der Arme, Der gespenst'ge Geisterschiffsherr, Unerlöst, um eine bittre, Schmerzliche Erfahrung reicher, Eines Tag's sehr bleich zurückschlich Auf sein Geisterschiff im Meere ... Gleiche Rechte mit den Männern Hatten allzumal die Frauen, Saßen auch im Parlamente. Lurlei hatte, muthvoll kämpfend, Durchgesetzt in Eldorado Lange vorenthalt'ne Rechte; Uebernahm nun selber oft auch Glänzende Vertrauensämter, Würden aller Art im Staate. Halb begannen zu verzichten Auch auf ihre Tracht die Frauen, Gingen gern in Männerkleidern, Ungezwungenem Verkehr Der Geschlechter zur Erleicht'rung. Da indeß es umgekehrt auch Männer gab, seltsam geartet, Welche sich als Weiber fühlten, Weiblich Wesen in sich pflegten, Wurde diesen gern gestattet, Auch zu geh'n in Weiberkleidern, Und es ward verfügt am Ende, Daß die Landeskinder sämmtlich Vor der Obrigkeit, der hohen, Einzeln hatten zu erklären, Ob sie zu den Männern wollten Zählen oder zu den Weibern. Selbstverständlich war's, daß Frauen, Welche sich für Männer gaben, Eine Ehe konnten schließen Mit den Ueberläufern – mit den Männern weiblichen Geschlechtes; Und naturgemäß dann führten Sie das Regiment im Hause. Mit der Heilkunst auch befaßten Sich die Frauen, und als Regel Wurde festgesetzt, daß Aerzten Männlichen Geschlechts die Frauen, Weiblichen Geschlechts die Männer Sich erkrankend anvertrauten. Hierdurch ward, merkwürd'ger Weise, Fortan zwar vermehrt die Zahl Der Erkrankungen beträchtlich, Doch vermindert sehr erheblich Ward die Zahl der Todesfälle. In errungenen polit'schen Hohen Stellungen verstanden Es die Frau'n, der Untergeb'nen Neigung für sich zu gewinnen, Straften aber auch nichts strenger, Unnachsichtlicher, als Mangel An Ergebenheit und Treue. In der Kriegskunst schien den Frauen Mancher Lorber auch zu blühen, Und in off'nem Felde sah man Aus dem Lieblings-Tic der Frauen, Stets das letzte Wort zu haben, Und aus ihrer Ungeneigtheit, Keckem Angriff feig den Rücken Zuzukehren, Eigenschaften Von soldatisch hohem Werthe Sich entwickeln. – Und nun laßt mich Schließlich noch ein Wörtchen sagen Von dem Leben, von dem Treiben Der Partei'n in Eldorado. Musterhafte Disciplin war Eingeführt in dieses Eilands Rührigem Parteienleben. Jeder Einzelne – bei schwerer Leibes- oder Lebensstrafe War, wie billig, er verpflichtet, Blindlings zuzuschwören einer Von den herrschenden Parteien, Blindlings dann in allen Stücken Aufzuopfern jener Meinung, Die zufällig just im Schwange War im Schoße der Partei, Seine bess're Ueberzeugung, Und nichts anders sein zu wollen, Als Partei-Kanonenfutter. Der Zersplitterung der Stimmen Und der unheilvollen Schwäche Weich-rührseliger Gemüther War gesteuert durch Gesetze, Streng, doch wirkungsreich – wie folgt: Wer da zu behaupten wagte, Daß die andere Partei auch Nur ein einzigmal im Recht sein Könnt' in der geringsten Sache – Fünfzig Streiche auf die Sohlen Mit dem Bambusrohr bekam er. Wer der Meinung, daß des Rechtes Und der Sittlichkeit Begriffe Gelten auch im Völkerleben, Gelten auch im öffentlichen Leben müßten – ward gesteinigt. Wer behauptete, man dürfe Auch im öffentlichen Leben Kämpfen nicht mit allen Mitteln, Nicht mit Lüge und Verleumdung – Ward gesperrt in's Haus der Irren. Wer so dreist war, eine Sache Je von einem andern Standpunkt Als dem Standpunkt der Partei, Etwa dem des Rechts, der Wahrheit, Zu erörtern – ward geköpft. Einer, der in seinem Blatte Einmal ließ verlauten etwas, Dessen Kunde, wenn auch wahr, nicht Im Int'resse der Partei lag, Während seine Pflicht erheischte, Im Parteiblatt einzig dessen Zu erwähnen, was da Wasser Auf der Mühle der Partei war, Alles And're zu verschweigen, Zu verdrehen – ward gerädert. Dies die Disciplin, durch welche Kräftig man zu steuern suchte Der Zersplitterung der Stimmen Und dem Schwachsinn weicher Seelen. Traun! Heilsamen Schreckens voll Betete im stillen Jeder: »Mit den anderen Parteien Werd' ich fertig; aber schütze, Herr, mich vor den Gleichgesinnten !« – Aufrecht stets in wünschenswerther Schneidigkeit und Schärfe hielten Sich im Staat die Gegensätze, Daß so kräftigst und gesündest Blühte das Parteienleben. Nun geschah es, daß von jenen Einflußreichen Straßenrednern, Die des Volkes Urtheil lenkten, Mächtig einer sich hervorthat, Schwengel war in allen Glocken, Eine Art von Strolch – die Herkunft Unbekannt, an Rumpf und Gliedern Zwerghaft fast, doch riesenköpfig, Löwenstimmig, redemächtig. Grob war er wie ein Genie, Und galant wie ein Gorilla. Riesig stark war er, so daß er Einen ausgewachs'nen Ochsen Zwar nicht auf den Berg hinauftrug, Wie einst Milo, aber aufaß. Nachgesagt von Feinden, Freunden Ward ihm, daß er seine Mutter Noch als Kind im Mutterleibe Tödtete mit einem Fußtritt. Aus dem Mund flog ihm das Wort wie Stöpsel aus Champagnerflaschen, Und sein Haupt glich eines Zünders Phosphorköpflein – die geringste Reibung, und er explodirte. Demokrat vom reinsten Wasser Und leibhaftige Verkörp'rung Sozialistischer Prinzipien War er in der Volksversammlung. Gegen den, der über ihm stand, Donnert' er: »Gleich sind wir Alle!« Den hernach, der unter ihm, Warf er nieder mit dem Zuruf: »Wicht, du willst dich mir vergleichen?« – Und sein Wort war wie die Windsbraut, Ungeheuren Staub aufwirbelnd, Und so feurig, wie der Samum, Ungeheuren Brand entfachend In den menschlichen Gemüthern: Ungeheu're Wasserspritzen Waren nöthig zu besprengen Markt und Gassen und Gemüther, Wenn er öffentlich gesprochen. Leo Hase war der Name Dieses mächt'gen Volksaufrührers. Noch hatt' er die große Mehrzahl Nicht im Volk auf seiner Seite: Doch die Kühnsten und die Stärksten. Die Parole, die er ausgab, Lautete: Wir lassen uns Nicht majorisiren !« – Für das »Recht der Minderheiten« Eintrat er vor aller Welt! Einberufen eines Tages Hatt' er auf dem off'nen Marktplatz Eine große Volksversammlung. Um ihn drängte dicht der Schwarm sich. Flugs auf einer alten Tonne Ober'n Deckel, die zufällig Dastand in der Straßenecke, Sprang er, und von da herunter Schleudert' er in's Volk die wucht'gen Donnerkeile seiner Rede. »Hört!« so rief er; »einen Landsturm Bin zu pred'gen ich gekommen – Gegen die verhaßte, alte, Schnöde Tyrannei der Mehrheit ! – Diese Tyrannei der Mehrheit Will ich stürzen, Bahn zu brechen Für die echte, wahre Freiheit, Für das echte, wahre Recht; Und dies Recht, es ist kein and'res, (Hört!) kein and'res, als das schmachvoll Unterdrückte, lang' verkannte, Heil'ge Recht der Minderzahl ! Himmelschreiend ist das Unrecht, Daß wir Andern deshalb einzig, Weil wir in der Minderzahl, Sklavisch uns dem Willen fügen Sollen jener eitlen Mehrzahl! Eine neue Staatsverfassung Gilt's zu fordern, die gegründet Auf das heiligste der Rechte, Auf das Recht der Minderheit ! – Beifallsrufe zollte brausend Die Partei dem kühnen Sprecher: Aber greulich ihm entgegen Lärmte die Partei der Mehrheit. »Nein, ihr Brüder, und ihr Andern Alle hört! Wir lassen uns Nicht majorisiren !« – Also zeterte der Wilde, Stampfend auf der Tonne Deckel, Drauf er stand. » Wir lassen uns Nicht majorisiren ...« Jetzt war der Moment gekommen, Wo, wie's Brauch in solchen Fällen, Brach die Tonne – drauf gewartet Hatten schon die Häscher: eilig Stürzten sie herbei und rollten Fort im Faß den Demagogen, Rollten ihn bis zu des Kerkers Pforte, die sich krachend aufthat – Während grimmig auf dem Markt sich Raufte Mehr- und Minderheit. Und der Sieg – er blieb den Stärksten, Blieb den Kecksten. Und ermuthigt Durch den Glanzerfolg des Tages, Achten sie nicht Schranke weiter Noch Gesetz: vor jenen Kerker Rücken sie in hellen Haufen, Wo der Held in Banden schmachtet. Und mit wildem Lärm erbrechen Sie die Pforten und befreien Den Gefang'nen: im Triumphe Tragen sie auf ihren Schultern Durch die Gassen ihn, wo schweigend Und die Augen niederschlagend, Hinschleicht die beschämte Mehrzahl. Und von da an, auf der Stirne Martyr-Glorienschein vereinend Mit dem Lorber des Erfolges, Feiert stolz er, mit Behagen, Diese Himmelfahrt des Ruhmes, Folgt dem Ruf zu großen Thaten, Rafft sich auf zum Heldenthume. Er bewaffnet seinen Anhang, Rückt ins Feld, verschanzt sein Lager, Zieht an sich viel neue Schaaren, Um zu führen dann den Hauptstreich. Alte Sage lebt' im Lande, Daß in Eldorados Bergen Reiche gold'ne Schätze ruhten. Zwar der Insel stilles Urvolk Hatte, harmlos-glücklich, wenig Sich um solchen Hort gekümmert; Doch die neuen Kolonisten Schürften emsig nach des gold'nen Erzes Adern im Gefelse. Eines Kegelberges Gipfel Ragte nah' der Inselhauptstadt, Der, umgrünt von Rebgeländen, Holden Friedens, reichen Segens Stätte war seit grauer Urzeit. Aber sieh, des hellen Goldes Unerschöpflich reichste Mine War zu Tage nun getreten In desselben Berges Schoße. Gierig strömten sie zusammen Eldorados neue Bürger, Auszubeuten diesen Erzschacht. Tief einbohrte sich die Habgier In die goldesschwang'ren Schollen, In den Glimmerfels – vergessen War vom Volke, und vergessen Selbst, so schien's, vom umsichtsvollen Neustaatsgründer, Neustaatslenker, War von Munkel, was des Neustaats Wohlfahrt, Sicherheit erheischte. Dessen freute sich im Herzen Leo Hase, der verschmitzte Volksaufrührer, welcher lauernd Mit dem schlagbereiten Heere Stand im Feld. Es murrten manche Schon der Seinen, daß vergönnt nicht Ihnen auch es sei, zu schürfen Ihren Antheil aus dem Goldschacht. Aber Leo Hase sagte, Als er Eldorados Mehrzahl, Munkel's Arimaspenvolk, Statt mit Eisen sich zu gürten, Blind sah nach dem Golde hasten: »Grabt nur nach den goldnen Körnern! Scharrt in eures Angesichtes Schweiß sie lechzend aus der Erde! Wenn gesammelt ist der Segen Und in Garben steht die Goldsaat, Kommen wir , um sie zu holen! – Langt nur immerhin, ihr »Reichen«, Aus der heißen Asche für uns, Für uns »Arme« die Kastanien – Diese goldenen Kastanien! – Die ihr euch gelacht in's Fäustchen Einst, dieweil wir, eure Taschen Füllend, blut'gen Schweiß vergossen, Finden werdet ihr am Ende, Daß ihr euch für uns bemühet ...« So mit schrecklicher Geberde Sprach der wilde Volksaufrührer Leo Hase, und die Seinen Brüllten Beifall in der Runde. Unansehnlich, kampf-unmuthig War die Streitmacht, welche Munkel Endlich doch in letzter Stunde Eilig noch zusammenraffte Und mit welcher den Rebellen Er in off'nem Feld sich stellte Zu dem Kampfe der Entscheidung. Und die Schlacht, sie ward geschlagen: Eine Schlacht, nach welcher wochen-, Mondelang die Raben litten Und die Geier in der Gegend An Beschwerden der Verdauung. Was von Munkel's ganzer Streitmacht Nicht zum Fraße ward den Raben, War zersprengt in alle Winde. Leider zum Entscheidungskampfe War zu spät gekommen Lurlei's Amazonenschaar, die kühne. Es vernimmt mit Schamerröthen Von des Gatten Niederlage, Von dem Siege der Rebellen Lurlei die beschwingte Kunde. Sie versinkt in tiefes Sinnen. Aber flugs nunmehr die Spitze Selbst zu bieten jenem Kecken, Den der Lorbeer schmückt des Sieges, Ist sie muth'gen Sinns entschlossen. »Lieber unterliegen,« ruft sie, »Einem kecken Ueberwinder, Als an eines Mannes Seite Müssig ruh'n, der unterlegen!« Spricht's und macht mit ihren Schaaren Stracks sich auf, will »Fühlung« suchen Mit dem Feind, dem trotzig-stolzen Siegeshort der »Minderzahl«. Und bald lagern sie einander Gegenüber sich: der Heerbann Der Rebellen und die Schaaren Muthbeseelter Amazonen. Angriff ist nicht Frauensache; Abwehr ist der Frauen Stärke. Und so harrt des Angriffs Lurlei Thatlos, aber unerschrocken. Eines Tags die Ihren mustert Hoch auf weißem Zelter Lurlei. Vom erhöhten Standort blickt sie Auf die Reihen in der Runde, Auf die Reih'n der Frauenwesen, Die da steh'n zum Kampf gerüstet In des Morgens frischem Glanze. Und wie einst der Perserkönig Bei der Ueberschau der Seinen An des Hellesponts Gestade Plötzlich stumm sein Haupt verhüllte, Schwermuthsvoll begann zu weinen, Still gedenkend, was aus dieser Heldenmacht noch würde werden – So auch plötzlich sah man Lurlei Schwermuthsvoll die Stirne neigen, Eine Thrän' im Aug' ihr blinken. Und man fragt sie nach dem Grunde Solcher Trauer. Lange schweigt sie ... Aber endlich in die Worte Bricht sie aus mit tiefem Seufzer: »Ach, ihr stolzen Amazonen, Kraftbeseelt und jung und blühend, Die ihr da so muthig steht, Siegsgewiß, unwiderstehlich, Reizumstrahlt – in dreißig Jahren Alte Weiber seid ihr alle !« – Spielend necken sich die Posten, Unbedeutende Scharmützel Gibt es erst, wobei gefangen Manchmal wird ein unerfahr'nes, Naseweises Amazönchen. Doch indessen sann im Stillen Kecklich der Rebellenführer, Und nicht minder schlau als keck, Zu entscheiden rasch die Dinge: Plante nächt'gen Ueberfall. Sehenswerth, traun, werth der Schild'rung, War das Amazonenlager. Wie Stecknadeln sonst wohl zahlreich In der Frau'n Gewandung stecken, D'ran gar leicht sich ritzt den Finger, Wer da küssen will und kosen: Also staken diese muth'gen Kriegerinnen voll von Dolchen, Von Revolvern, von Geschossen, Dynamitpatronen – wehe! Losgeh'n sie, ha, explodiren, Wenn ein Finger sie berührt! – Abends machen sie indessen Sich's doch gern bequem ein wenig. Und des Zeitvertreibes halber Nach dem Strickzeug greift die eine, And're nähen, and're sticken. Hei, welch' buntes Durcheinander Weiblichen Geräths mit Erzwehr! Zarte Nadeln, scharfe Lanzen – Seifen- und Kanonenkugeln – Pulver für die Feuerrohre, Poudre, sich zu schminken – Salben, Um die Wunden einzureiben, Duftige Pomadetöpfchen! – Lurlei hatt' in freien Stunden Sich beschäftigt mit Entwürfen Von kleidsamen Toiletten Für sich selbst und für die Ihren: Von »Vorposten-Toiletten«, Von »Wachtstubentoiletten«, »Morgen-Lagertoiletten«, »Angriffs-«, »Abwehrtoiletten«, »Fühlungs-«, »Ueberfallstoiletten«, »Busch- und Hinterhaltstoiletten«, Und so weiter. Nebenbei auch Wohl erörtert sie im enger'n Kreis der näher ihr Vertrauten Pläne, die sie hegt im Geiste: Nach dem Sturze der Rebellen Sich nicht mehr mit gleichem Rechte Zu begnügen vor den Männern, Die so schmählich unterlagen. Schwatzhaft ausgemalt dann werden All' die tausend Konsequenzen, Welche knüpfen an den Vorrang Sich des weiblichen Geschlechtes. Eben herrschend war im Lager Lurlei's wiederum ein solches Reizendes Sichgehenlassen. Später Abend war's. Die Haare Hatten eingedreht die Meisten Schon in Wickeln, und in blankem Négligée die Schönen saßen, Standen, lagen, wie sich's fügte. Unterdessen hatte lauernd Unter eines dichten Nebels Schutz durch's Buschwerk der Rebellen Horde sich herangeschlichen. Unerwartet, unbegreiflich, Wie gefallen aus den Wolken, Oder wie dem Grab entstiegen, Stand mit einemmal die Meute Dunkler, bärtiger Gesellen, Finster blickend, höhnisch grinsend, Ihre Wehr bedrohlich schwenkend, Mitten unter den entsetzten, Schreckensblassen Amazonen. Sollten sie nach ihren Kleidern Greifen oder nach den Waffen? Sollten sie sich lieber leiblich, Lieber taktisch und strategisch Blößen geben vor dem Feinde? Rathlos schwanken sie – von guten Kopien der medizä'schen Venus wimmelt's in der Runde. Es verschmähten auch die Meut'rer Ihre Waffen zu gebrauchen. Suchten, froh des ausgezeichnet Raschen, glänzenden Erfolges Dieser kühnen Ueberrump'lung, Sich auf guten Fuß zu setzen Mit den Zorn- und Schamerglühten. Halfen ihnen schließlich selber Zu ergänzen die Toilette, Trösteten die, welche schluchzten, Riefen neu zurück in's Leben Jene, die in Ohnmacht fielen. Aber manches Mannweib gab es In der Meut'rerhorde Leo's, Männlicher als all' die andern Wilden bärtigen Gesellen. Diese Ueberläuferinnen Des Geschlechts, sie warfen frech sich Auf die armen, überraschten Einstigen Geschlechtsgenossen, Grüßten sie mit Hohngelächter Und mit unverschämten Küssen, Bis die Männer, schamerröthend, Sie mit manchem derben Faustschlag Nach dem Hintergrunde trieben. Friede ward indeß geschlossen Zwischen Lurlei und dem Führer Der Rebellen, und vereinbart Die Artikel des Vertrages. Freier Abzug für das ganze Wack're Heer der Amazonen, Lurlei einzig ausgenommen , Ward gewährt, mit der Bedingung, Daß man sich gedulden solle Bis zum Morgen mit dem Aufbruch. Als so leidlich überwunden War der erste Schreck der Frauen Und die Scham der Niederlage, Wurde viel gezecht, geschmaus't, Viel gesungen auch, und schließlich In den Zelten und im Freien – Es war eine schöne Mondnacht – Auch getanzt. Bei fortgeschritt'ner Laune bildeten sich Pärchen Zwischen Siegern und Besiegten, Und es ward nun viel geplaudert, Viel gelacht, und auch geschäkert Hie und da an trauter Stelle, Und es schluchzte Keine mehr, Keine fiel nun mehr in Ohnmacht, Während Lurlei die Artikel Des Vertrags in's Reine brachte Mit dem Führer der Rebellen, Der sich fügsam zeigt' in Allem, Nur nicht darin, mit den andern Frau'n auch Lurlei frei zu geben. Und so herrschte denn ein leidlich Einvernehmen, bis die Sieger In die Haare sich geriethen Und sich zwischen ihnen selber Kleine Prügelei'n ergaben, Wenn sie über die Bewachung Und die sonstige Behandlung Ihrer weiblichen Gefang'nen Eins zu werden nicht vermochten. Lurlei, die vor Scham und Aerger Einen Dolch in's Herz im ersten Augenblick sich stoßen wollte, Dann mit dem Rebellenführer Aufgesessen war die Nacht durch, Ueber des Vertrags Artikel Im Detail sich zu verständ'gen, Lernte kennen, lernte schätzen Nebenbei in diesem Führer Einen Mann auch von Charakter, Energie, gewalt'gen Gaben. Und da Munkel nun gestürzt war, Nah' der Untergang des Reiches, Galt es in das bitt're Loos sich Der Gefangenen zu schicken Und dem neuen Stern zu folgen, Wohin er sie führen würde. Nach der Hauptstadt bricht am Morgen Auf mit seinem sieggekrönten Heerbann der Rebellenführer, Um sie in Besitz zu nehmen: Sie mitsammt der gold'nen Beute. Auf dem Wege kommt entgegen Ihm ein wunderbar Ereigniß. Nach der heiter'n Kriegskomödie, Kriegsidylle dieser Nacht, Welch' ein tragisches Geschehen! Welch' ein riesiges Verhängniß! Jener hohe Bergeskegel, Der gelegen nah' der Hauptstadt, Und in dessen tiefste Schachte Eingewühlt sich maulwurfartig Die Begier nach lichtem Golde – Dieser Berg beginnt nun plötzlich Tief in seinem Grund zu beben Und zu donnern – aufzusperren Einen ries'gen Flammenrachen. Rauchgewölk erst wallte, Asche Rieselte, Glutfunken stoben, Und zuletzt sein Gold in glühend Heißen, in geschmolz'nen Massen Wirft er aus! – Gold ist die Lava Dieses neuen Feuerkraters, Welche theils wie Regenfluten Aus den Lüften niederprasselt Auf die Stadt und auf das Eiland, Theils in gelben Feuerströmen Sich hinunterwälzt in's Flachland, Ueberschwemmend und versengend. Viele kommen um im Kampfe Mit den gold'nen Flammenwogen. Aber die noch leben, stürzen Mit unsäglicher Begier sich Auf die Goldflut – in Gefäße Schöpfen sie den Schatz, und Jeder Rafft an sich, was er vermag – So entspinnt ein grimmer Kampf sich, Und schon mischt sich Blut dem Goldstrom. Auf des Volks verwirrt Getümmel Mit der wohlbewahrten Heerschaar Wirft sich der Rebellenführer, Drängt zurück es von der Stätte, Wo der Goldschatz gleißend lockt – Doch nun stürzen auch die Krieger Blindlings auf die blanke Flut sich, Achten nicht Befehl, noch Mahnung, Kämpfen, tödten sich im Wettstreit – Raserei und Wahnsinn herrschen. Munkel hat, wie all' die Andern In des Golddursts wildem Fieber Sich gestürzt in diesen Wettkampf. Er mit Wenigen noch rettet Sich zuletzt in schwanken Booten Auf das Meer hinaus – doch hier auch Würgen, tödten sie einander Um des gelben Erzes willen, Das an sich gerafft sie flüchtend. Mit dem ros'gen Kinderpaare Eldo, Dora , an der Seite, Kehrt zurück aus Eldorado, Kehrt zurück zur alten Heimat Unser Held, der schwer geprüfte, Aufbehalten zu noch ander'n, Zu noch größeren Geschicken. Und so hat das sel'ge Goldland Diesem fremden, übermüth'gen, Unersättlichen Geschlechte Seinen Goldschatz flammenlodernd In den gier'gen Schlund gegossen – Rächend so das paradiesisch- Schöne Dasein auf dem Eiland, Welchem sie gemacht ein Ende. 7. Gesang: Die Affenschule Siebenter Gesang. Die Affenschule. Nach so trauriger Erfahrung Sah nun wohl der edle Munkel, Daß nicht viel mehr anzufangen Mit der gegenwärt'gen Menschheit, Daß sie welk und abgestanden Und verderbt bis in die Knochen. Kam daher auf den Gedanken, Sich für seinen Zweck ein and'res, Taugliches Geschlecht von frischen, Unverdorb'nen Lebewesen Allgemach heranzubilden. Erst verfiel er auf die Wilden, Auf die Kaffern, Hottentotten, Auf die Indianerstämme. Doch es bracht' ein ihm sehr werther, Höchst intelligenter Affe, Den er hielt in seinem Hause, Ihn auf die Idee, es lieber Zu versuchen mit den Affen, Die ja ein gewisses Anseh'n Schon genossen auch in seinem Musterstaat als Stammesväter Unsres sterblichen Geschlechtes. Zu vernünftigen Geschöpfen Würden sie sich bald entwickeln, Dacht' er, wenn man ihnen gäbe, Was bisher sie schwer entbehrten: Sprache, Wissenschaft, Erziehung! War die Menschwerdung des Affen Denn ein Traum? War dargethan sie Nicht geschichtlich als gelungen In dem Lauf der Jahrmillionen Auf dem Wege der Entwicklung? Jetzt auf kürzer'm, rascher'm Wege Den Prozeß zu wiederholen, Zu vermenschlichen den Rest auch Dieser altehrwürd'gen Rasse – Munkels genialer Plan war's. Stracks in einem affenreichen Lande ging er d'ran, zu gründen Eine große Affenschule, Neben welcher Filialen Zahlreich blühten. Auch in and're Affenländer ausgesendet Wurden Affen-Missionäre, Affenfänger, Affenjäger, Affentreiber, zuzuführen Munkels hoher Affenschule Vielversprechende Talente. Edle Frauen strickten Socken, Nähten Jacken für das neue, Sprossende Geschlecht der Brüder. Zu des löblichen Kulturzwecks Förd'rung wurde rasch gegründet Eine Aktiengesellschaft, Und wie vordem zur Bekehrung Schnöden Heidenvolks man auszog Mit der Bibel, mit dem Schwerte, Jetzt mit Fibel und mit Bakel Zog man aus, bekehrungseifrig, Um die Affen zu gewinnen Für das Himmelreich der Bildung. Und gelehrig war der Affe, Lernte sprechen, lernte lesen, Schreiben, singen, musiziren, Lernte turnen, lernte tanzen. Hei, wie drängten gaffend, lauschend, Zu den Affenschulpalästen Sich die Leute, zuzuhören Vor den Fenstern, wie da drinnen Sich die muntern Affenjungen Mit Gezeter und mit Lärmen In den vierundzwanzig Lauten Uns'res Alphabetes übten! – In der Kunst, der wunderbaren, Welche endlich doch erfunden Unser leuchtendes Jahrhundert: Auszusprechen, was so viele Tausend Jahr' als unaussprechbar Galt: den Mitlaut ohne Selbstlaut – In dem Hauchen, Pfauchen, Prusten, Zischen, Schnalzen der Lautirkunst Zeigten sich die Affenkinder Menschenkindern überlegen. Ueber Unruh' nur beklagten Sich der Affenschule Meister, Denn es rissen diese edlen Sprößlinge von den gewissen Angewöhnungen der Rasse Schwer sich los: von der, zum Beispiel, Ueberall emporzuklettern. Auch vergaßen sie zuweilen Sich so weit, in langen Stunden Ernsten Unterrichts einander Abzufangen Ungeziefer, Machten auch wohl gar in tollem Schwarm sich über den Erzieher Her, um ihm den Kopf zu lausen. – Als gebildet nun die Affen, Machten Konkurrenz den Menschen Sie auf jeglichem Gebiete. Zu den schönen Künsten waren Trefflich sie durch angebornes Nachahmungstalent befähigt. Ohne Gleichen – selbstverständlich – Waren sie als Bühnenkünstler, Unternahmen Gastspielreisen Mit dem glänzendsten Erfolge. Posse, Lustspiel, Operette, Parodie – war ihr Gebiet. Kabinets- und Meisterstücke Drastischer und feinster Komik, Wie man nie sie schaute, waren Die Gesichter, die sie schnitten. Weitberühmte Liedertafeln Hatten sie – Brüllaffen waren Die Solisten, und sie schlugen Hie und da bei Preiswettsingen Menschliche Gesangvereine. Paviane, faunisch grinsend, Bildeten sich aus zu Stutzern, Eleganten Pflastertretern, Gaben auch auf Bällen flotte Tänzer ab, und das galante Wesen, das sie kecklich zeigten Bei den Frauen, war zum Theile Sehr nach dem Geschmack der Letztern. Was die Affenfrauen anlangt, Thaten sie den Menschenfrauen Bald es gleich und bald zuvor auch In der Kunst des Kokettirens. Immer modisch sich zu kleiden, Wer verstünde Solches besser Als ein Affe? Sie verstanden Sich mit Zierrat zu behängen, Und mit Quasten, Bändern, Schleifen Selber der partie honteuse Ihrer Leiblichkeit, den Schwänzen, Reizend-holden Schmuck zu leihen. Selbstverständlich gab es Affen, Welche literarisch thätig, Affen, welche Bücher schrieben, Rezensirten, redigirten. Selbst an hohen Schulen lehrten Sie, und Einer, Namens Krallfratz, Bracht' es vom Privatdozenten Zum Rector magnificus . Immer tiefer sank der Mensch, Immer höher stieg der Affe, Hohe Stellen leicht erklimmend Mit der Flinkheit seiner Rasse. Und er hatte auch im Wedeln , Wo am Platze war das Wedeln, Viel voraus als Langgeschwänzter. So weit kam's zuletzt, daß mancher Mensch, um Carrière zu machen, Sich für einen Affen ausgab, Ein sich schlich in Aemter, Würden, Bis zuletzt heraus sich stellte, Daß er von Geburt ein Mensch: Wurde dann aus seiner Stellung Meist gejagt mit Schimpf und Schande. War's ein Wunder, daß den Menschen, Welche noch auf sich was hielten, Endlich überlief die Galle Bei des Affenhochmuths Treiben? Auch nicht zu verwundern war es, Daß aus Neid die andern Thiere In dem Wettstreit zwischen Menschen Und dem Affenthum Partei Für die Ersteren ergriffen. Namentlich verhaßt den Hunden Waren diese Parvenus, Und den Katzen, edlen Thieren, Ausgezeichnet stets durch Treue Und durch echt erprobte Freundschaft Für den Menschen. Wo sie konnten, Schnappten Köter nach den Waden, Wollte sagen nach den Beinen Edler Affen, und geputzten Stolzen Affenfrauen wurde, Wenn in Modetracht sie prunkten, Auf dem Marktplatz, in den Gassen, Von den Krallen böser Katzen Arg zerfetzt die seid'ne Schleppe, Ja, wenn sie's nicht wollten leiden, Ueberdies zerkratzt das Antlitz. Doch was half's? Die Affen dünkten, Angelangt auf solcher Höhe, Sich erhaben über Menschen. Nicht zufrieden, daß mit diesen Gleiches Recht sie nun genossen, Strebten heimlich erst, dann offen Sie den Vorrang anzumaßen Ihrem eigenen Geschlechte. Fragten, was der Mensch vor ihnen Denn voraus zu haben glaube? Etwa seine Hinterbacken? Diese gönnten sie ihm gerne! – In des Dünkels schnödem Ehrgeiz Protestirten sie sehr lebhaft Gegen den bekannten Lehrsatz, Daß der Mensch vom Affen stamme. Anfangs schienen sie geneigt noch, Diesen Lehrsatz umzukehren . Doch da kam ein Stammesbruder Fern aus Indien, aus Benares, Wo sich göttergleich verehrte Affenschaaren lärmend tummeln In den Tempeln, um die Säulen, Und mit Stolz heruntergrinsen Auf die Frommen, die vor ihnen Betend liegen auf den Knieen. Einer dieser heil'gen Affen, Der auf Reisen war gegangen, Wünschte von der Stammesbrüder Neuem Fortschrittsreich, von welchem Bis nach Indien gedrungen War der Ruf, genaue Kunde Einzuzieh'n an Ort und Stelle. Und empfangen ward mit hohen Ehren dieser edle Fremdling, Ward gefeiert mit Banketten, Wo man sich erging in Reden, Zahllos Toaste widerhallten. Ein gelehrter Orangutang Trat hervor mit einer Festschrift Zu des hohen Gastes Ehren, Und nachwies in dieser Schrift er, Daß längst göttliche Verehrung Vom Geschlecht der Menschenkinder Dem Sylvanenvolk gebührte, Auch gezollt ihm ward im grauen Alterthum von den Aegyptern, Arabern und Afrikanern. Aus den ind'schen Heldenliedern, Uraltheil'gen, wies er nach, Was von Hanuman sie melden, Der mit seinen Affenschaaren, Hohen Sinnes voll, zu Hilfe Zog dem Sonnenhelden Rama, Und der jetzt in Indertempeln Glorreich thronet neben Wishnu. Er erwähnte, wie vor Zeiten Malabar'n und Ceylonesen Zahlten siebenhunderttausend Stück Dukaten für den einen Heil'gen Zahn aus Affenmunde, Den in Andacht sie verehrten, Und der glaubenslosen Fremden War gesallen in die Hände. Er bewies nicht minder gründlich, Daß selbst von den Griechen, Römern Waren hochverehrt die Affen, Hochverehrt als Waldgottheiten, Als Sylvane, Faune, Satyrn, Und daß Pan, der große Pan, Nicht der Waldgottheiten größter Bloß, nein, aller Götter größter, Was sein Name schon bedeutet. Facta solcher Art citirte Noch zu Hunderten der Autor, Und fuhr fort dann, zu beweisen, Daß anjetzo mehr als je Dem Sylvanenvolk gebühre Hohe göttliche Verehrung. Und da es, wie klar ersichtlich, Von den alten Göttern stamme, Selber göttlich, sei es kecke, Wind'ge Prahlerei der Menschen, Wenn sie ihrerseits sich gleicher Herkunft rühmten mit den Affen. Stammten wirklich sie von diesen, Wie sie jetzt so gerne sagten, Könnten sie nur als entfernte Und entartete, verkomm'ne Sprossen gelten dieses edlen, Dieses göttlichen Geschlechtes. Ungeheuer war, Epoche Machend, dieses Buches Wirkung Und erregte eine Hochflut Nationalen Selbstbewußtseins, Patriotischer Begeist'rung Im gesammten Volk der Affen. Nannten fortan sich Sylvane, Satyrn, Faune, Waldesgötter. Für die Lande, wo sie herrschten, Ward erneut der alte Name Jenes alten, fabelhaften Affenreichs » Lemuria «. Unsern Ausdruck »bestialisch«, Den verbaten sich die Affen, Nannten das, was wir so nennen, Fortan »menschlich« und »human«. Lange Zeit sah mit geheimem Stolze Munkel auf die großen, Auf die glänzenden Erfolge Der von ihm in's Werk gesetzten Bildung, von ihm angebahnten Gleichberechtigung des äff'schen Mit dem menschlichen Geschlechte. Aber unter den Gelehrten Menschlichen Geschlechts, die schnöd' sich Sah'n verdrängt aus ihrer Stellung Durch des Faunenvolkes Aufschwung, War ein Mann auch, den wir kennen, Dessen Hochverdienst wir schätzen. Kein Gering'rer war's, als jener Hohe Meister der Retorte, Munkels chemischer Erzeuger! Ja, verdrängt von seinem Lehrstuhl War der Stoff- und Kraftgebieter, War der Magier, Wunderthäter, Und ersetzt durch einen eitlen Affengecken – Doktor Krallfratz War sein Name –, welcher auch schon, Wie verlautete, als thät' er Es zum Hohne seinem Vorfahr, Sich vermaß, auf chem'schen Wege, Elemente bindend, lösend, Einen Affen zu erzeugen, Einen Simiunkel ! – Grimmig War der Haß, den der Verdrängte Warf auf seinen Nebenbuhler; Grimm'ger, den er warf auf Munkel, Den er selbst erzeugt, und der nun Den Erzeuger in's Verderben Stürzte mit so vielen Andern Durch des Affenthums Entfess'lung. In Gedanken saß versunken Eines Tages Munkel. Plötzlich Vor ihm stand der greise Meister, Stand der Kraft- und Stoffgebieter, Stand vor ihm mit vorwurfsvollem, Zornerglühtem Blick, vor welchem Munkel niederschlug die Augen. Und mit lautem, hartem Vorwurf Anhub jetzt der würd'ge Alte: »Hab' ein Wort mit dir zu reden, Freund und Gönner du der Affen, Ha! von welchen wahrlich du nicht Stammst, Gebilde meiner Hände! Ja, Gebilde meiner Hände! Wen'ger als mein Sklave bist du! Bist mein Machwerk – folglich bist du Auch mein Eigen – meine Sache ! Kann verschenken dich, verschachern, Kann in Käfig oder Bude Zeigen dich für Geld auf Märkten, Oder in den Schrank dich werfen, Zu den andern Präparaten; Kann in Spiritus dich setzen, Stellen dich wie ein Skelett In den Winkel meiner Stube! Dich vernichten kann ich straflos, Wenn es mir beliebt, so wie ich Dich erschuf! Nicht ein natürlich Menschenkind wie Andre bist du, Und deshalb auch unter'm Schutz nicht Menschlicher Gesetze stehst du. In den Tiegel, wenn's beliebt mir, Werf' ich dich zum dritten Male, Peitsche dich durch hundert todter Stoffe Bindung, Lösung: gebe Dich zurück dem Born der Stoffwelt Noch einmal, und rastlos treiben In dem Wirbel der Atome Magst du maniges Jahrtausend, Bis der Zufall dich zusammen Wieder fegt zum Lebewesen! Her zu mir! folgst du nicht willig, Thu' ich kund, was, zu gefällig, Ich bisher verschwieg, und ford're Dich zurück von den Gerichten Als mein Eigen, meine Sache!« – Im Gesichte Munkels kämpften Bei dem »Her zu mir!« des Greises Alle Farben: ein Erröthen, Ein Ergilben, ein Ergrünen War's, bis all' die farb'gen Schatten Optisch-regelrecht verschmolzen In ein kreideweiß Erblassen. Doch zuletzt sich neu ermannend, Nach gedankenvoller Pause Muthiger das Haupt erhebend Und mit scharfem Blicke messend Seinen grollenden Erzeuger, Sprach er dumpf, gemess'nen Tones: »Hast du Kunde nicht vernommen Von Mohammed, dem Profeten, Weshalb er in Thon, in Farben Nachzubilden Menschenwesen Streng verboten seinem Volke? Weil die Statuen, die Bilder, Lehrt' er, von dem Mann, der frevelnd Nachgeäfft die schöpferische Gottesurkraft, Menschen formend, Vampyrgleich, gespenstig, plötzlich Vor ihn treten, eine Seele Von ihm heischend – eine Seele , Und da er, der Stümper, ihnen Diese nicht vermag zu geben, In geheimnißvoller Art sich An ihm rächen, Unheil bringend, Und ihn ins Verderben stürzend! – So verachte denn auch du nicht Dein Geschöpf, o weiser Meister! Denn es könnte, sich ermannend, Ueber's Haupt dir wachsend, heischen, Was du nicht vermagst zu geben. Könnte Rache an dir nehmen, Statt gehofften Dank zu zollen, Könnte dir auch Unheil bringen! Besser mag's darob uns ziemen, Daß wir uns die Hände reichen, Besser, daß wir Frieden schließen Und den alten Bund erneuern!« – Nicht ganz wirkungslos verhallten In des greisen Hörers Ohren Des Homunkels dumpfe Worte. Schweigend schlug er ein, als Munkel, So die Friedenshand ihm reichend, Bat, das Schweigen zu bewahren, Das mit blanken Rollen Goldes Vorlängst er von ihm erkaufte. War bekannt auch, daß geschaffen Der gelehrte Tausendkünstler Einen lebenden Homunkel, Niemand wußte, niemand ahnte, Wer er sei und wo er weile, Dieser lebende Homunkel. Zu bewahren dieses Schweigen Fernerhin so wie bisher auch, Bat nun Munkel den Erzeuger, Und dafür mit feierlichem Schwur gelobt' er, kühn entgegen Fortan sich mit allen Kräften Aeff'schem Uebermuth zu stellen. Bald nachher bei einem großen Satyrfestmahl wurden Reden, Unverschämt und feind den Menschen, Wie sie üblich nun, gehalten. Mit geheucheltem Bedauern Aeußerte sich ein Gorilla, Daß der Niedergang des Menschen Unleugbar – und auch nicht minder Unaufhaltsam: sei in manchen Gegenden er doch verdummt schon Völlig und verthiert und friste Nur als Hausthier noch sein Leben In bemittelten Familien Edler Faune. Als Beweis dann Unverdienten, selbstlos-milden Sinns von Seiten der Sylvane Gegen dieses undankbare Menschliche Geschlecht erwähnt' er, Daß gebildet in den höher'n Faunenkreisen jüngst ein großer »Philanthropischer Verein« sich, In Betracht zu zieh'n, mit welchen Mitteln wieder aufzuhelfen Dem gesunkenen Geschlechte, Und es wieder zuzuführen Einer höhern Bildungsstufe. Von den Meisten ward verfochten, Schuld an dem Verfall der Menschheit Sei die Fleischkost . Denn die Affen, Seit so mächtig sie geworden, Meinten, weil sie selbst, als Affen, An die Pflanzenkost sich hielten, Sollten auch die andern Thiere, Menschen, Löwen, Adler, Fische, Lurche, Würmer und Insekten Sich's versagen, Fleisch zu essen. Kurzweg ward gestellt der Antrag, Daß man alle Thiergeschlechter, Und zumal den Menschen, zwinge, Auch in diesem Punkt dem edler'n Brauch, dem reineren Gesetz sich Des Sylvanenthums zu fügen. Diesen höhnisch dreisten Neu'rern Trat entgegen Munkel; schüchtern Wagt' er es, in wohlgesetzter, Läng'rer Rede zu betonen Unmaßgeblich Dies und Jenes, Und die Freunde, die so Vieles, Die schier Alles ihm verdankten, Zur Bescheidenheit zu mahnen. Ob des wohlgemeinten Zuspruchs Zürnten ihm die Uebermüth'gen; Und die ihn zuvor gepriesen Als des Satyrvolks Prometheus, Schalten jetzt ihn Ignoranten, Tropf und Schwachkopf. Was er wolle? Sei er doch am Ende selber Nur ein Mensch – noch lang' kein Affe! Mehr noch. Man begann zu munkeln Allgemach schon, daß der große, Stolze Munkel – ein Homunkel; Daß ihn nicht der »Storch« gebracht, Daß er – wie so mancher And're – Nicht der Sohn sei seines Vaters. And're endlich sprachen gar ihm Die organische Natur ab Und erklärten ihn für einen Ganz gemeinen Automaten. Diese Letzter'n, von frivoler Neugier aufgestachelt, machten Frech und boshaft einen Anschlag, Ihn in Stücke zu zerlegen: Wollten so gemach sein inn'res Trieb- und Räderwerk studiren Und es dann als alt Gerümpel Werfen auf den Kehrichthaufen – Während Jene, die ihn gelten Ließen doch als Organismus, Als gelungenen Homunkel, Sich damit begnügen wollten, Auf der anatom'schen hohen Schule ihn vivisektorisch Zu behandeln, dann als Mumie Seinen Leichnam zu verwahren In dem städtischen Museum, Für die Nachwelt zur Belehrung. Solcher Undank ist der Welt Lohn! Mit genauer Noth entzog sich Diesen tück'schen Plänen Munkel Durch die Flucht. Auch von den Menschen Sah er jetzt sich angefeindet Mit Erbitt'rung. Sein Bemühen, Einst als genial gepriesen, Dess' Gelingen ihn zum Heros Aller Zeiten schien zu machen: Zu vermenschlichen den Affen – Dieses selbe kühne Wagniß Ward geschmäht nun als mißlungen Vom erboßten Menschenvolke; Als mißlungen, ja, so schmählich, Wie es stets mißlingen müsse, Wenn der Meister ein Homunkel. Zwar gebildet , hieß es, seien Nun die Affen, doch sie seien Immer Affen doch geblieben: Und dies gelte sowohl physisch Als moralisch: denn sie hätten Kein Gemüth, und was ihr Aeuß'res Anbelangt, trotz aller Bildung Sei ihr fratzenhaftes Antlitz Schöner um kein Haar geworden. Boshaft, tückisch sei der Affe, Wie er es nur je gewesen; Ja, die thier'schen Eigenarten Seiner Rasse fielen jetzo Mehr in's Aug' als je, bewährend Jenes altbekannte Sprüchlein, Daß, je höher steigt der Affe, Um so besser man gewahr wird Seine schwielenreiche, nackte, Widerwärt'ge Hinterseite. Weise und erfahrne Männer Sagten, still die Köpfe schüttelnd, Affenthum, summirt mit Bildung Und mit Wissen, gebe lange Noch kein echtes Menschenthum. Auf dergleichen neid-entspross'ne, Ehrenrührige Sarkasmen, Hatten Hanumans, des großen Affen, Enkel keine Antwort, Als ein würdevolles Grinsen. Ach, der arme Munkel hatte Mit dem großen Ungemache, Das so schlecht den Kampf ihm lohnte Für der Thierwelt höher'n Aufschwung, Noch das klein're zu verwinden, Das ihn traf im engsten Kreise. Auch bei Eldo, Dora blühten Keine Rosen dem Erzieher. Mit des Wissens feinstem Manna Wurden sie genährt – gefegt ward Aller Wahn aus ihren Seelen, Alle Phantasie'n, Gefühle, Schwärmerei'n der Kindheit wurden. Ausgetilgt schon in der Wiege Bei den zarten Menschenknospen: Doch vergebens; denn die Art, Die Natur, die angestammte, Dieses Knaben, dieses Mägdleins, Widerstrebte dem Bemühen, Und es war das Endergebniß Nicht im Sinn und Geiste Munkels. Voll Natürlichkeit und Einfalt Blieben beide, naiv-unschuldig, Blieben schüchtern stets und blöde, Waren frühreif nicht, noch altklug; Thaufrisch blühte Dora, niemals Litt an Bleichsucht, Hysterie sie; Unverschämt gesund war Eldo. Und sie liebten sich so zärtlich! Liebten sich, wie Kinder lieben! Munkel zürnte – trug's nicht länger, Stieß das unverbesserliche, Blöde Paar aus seinem Hause. Ackerbauern übergeben Wurden sie in fremder Gegend – Ach, getrennt , zu ihrem Leide! – Fortan selbst auch hinter'm Pfluge, Hinter einer Lämmerherde, Hinter Webstuhl oder Spindel Ihren Unterhalt zu suchen. Aber auch das Volk der Faune War nicht glücklich stets in weitaus- Sehenden Erziehungsplänen. Sie bedünken wollt' es schließlich, Als ob eins nur ihnen fehle Noch, den stolzen Sieg zu krönen Ueber alle Erdenkinder: Flügel wünschten sie zu haben! Flügel, um sich aufzuschwingen Kühn, wie sonnentrunk'ne Adler, Ueber dieses an die Scholle Festgebannte, auf zwei Beinen Torkelnde Geschlecht der Menschen. Da kam Munkel's genialem Nebenbuhler, jenem Krallfratz, Der Gedanke, seiner würdig: Eine höhere, beschwingte Faunenspezies zu züchten. Und indem er einen Eh'bund Zwischen einem Orangutang Schloß und einem Drachenweibchen, Ward erzielt aus solcher Ehe In der That ein Flügeläffchen, Welches vorderhand, als Säugling, Drollig und possierlich aussah. Füße, Hände wie sein Vater Hatt' es, Flügel wie die Mutter, War verseh'n mit einem schönen, Langen, schupp'gen Drachenschwänzchen! Welch' ein Jubel in Lemurien! Die gediegensten Erzieher, Die gelehrtesten, die klügsten Lehrer wurden aufgeboten, Den geflügelten Sylvanen, Seines Volkes Stolz und Hoffnung, Zu der Bildung Meisterstück, Der Gesittung höchstem Wunder Zweifellos heranzubilden. Aber ach, der Satyrsprößling, Der aus eines Flügeldrachens Mutterschoß an's Licht geborne, Er erwies sich, trotz der Schwingen, Alsbald als ein seltsam-tolles, Unzähmbares Lebewesen, Und das droll'ge Flügeläffchen Wuchs heran zum ungeschlachten Ungethüm, in dem verschwistert Unheilvoll dem Faunenwesen Schien die tückische, die wilde, Feurige Natur des Drachen. Seine Lehrer und Erzieher Biß er wüthend in die Kehlen, Oder peitschte ihre Schläfe Mit dem schupp'gen Drachenschwanze. Jeder Züchtigung entzog er Leicht sich auf den starken Schwingen. Und nicht minder blöd' als boshaft War er – ein Kretin der Thierwelt! Gut gelaunt, als Affe, schlug er Purzelbäume, äffte täppisch Nach, was thun er sah die Andern; Doch im Zorn, als Drache, spie er Flammen – glühend heiße Tropfen Seines gift'gen Geifers stoben Um den Rachen ihm wie Funken Um den Amboß ... Seltsam war es Anzuseh'n, schier grausig-drollig, Wenn vom Boden das beschwingte Affenungeheuer plötzlich Sich erhob und mit dem langen Drachenhängeschwanz umherflog, Dann auf einem hohen Wipfel Oder eines Thurmes Spitze Taglang saß, die Zähne fletschend. Keine Bosheit war ihm fremd, Keine Unnatur und Unzucht. Bitt'res Herzeleid empfanden Drob die Faune. Dr. Krallfratz Schämte sich in tiefster Seele, Flocht sich eine hänf'ne Geißel, Den Mißrathenen zu bessern. Dieser aber faßte grinsend Den Gelehrten, riß mit sich ihn In die Lüfte, ließ ihn fallen – Und im nächsten Augenblicke Fand man unter einem Felsgrat Mit zerschelltem Haupt und Gliedern Diesen Darwin, diesen Haeckel, Diesen Büchner – doch was sag' ich? Diesen Faust des Affenvolkes! Hell aufloderte die Zornwuth Gegen jenen unglücksel'gen Mischling, das beschwingte Scheusal, Das entsproßt aus Affensamen War und Drachenblut. Die Hoffnung Vordem und der Stolz Lemuriens, Als ein Auswürfling betrachtet Ward er nun; man wollt' ihn tödten, Warf mit Steinen ihn, mit Prügeln, Wenn er wiederkam zur Erde, Und verfolgte selbst ins Luftreich Ihn mit Pfeilen, Flintenkugeln. Doch der Mischling, er verlief sich, Er verflog sich in die tiefste Bergwaldwildniß, die kein Mensch, Die kein Waldgott noch betreten; Hauste da bei alten Drachen, Seinen Tanten, im Geklüfte. Edleren Ersatz zu bieten Schien dem Faunenreich das Schicksal. Ein'ge Blößen anfangs hatte Unter seinen fortgeschritt'nen Bildungsreichen Stammgenossen Sich gegeben der verehrte Heil'ge Affe aus Benares. Aber bald, zum Staunen Aller, Uebertraf er, flugs nachholend, Was ihm erst gebrach an Bildung Und an hoher Weisheit Alle. War doch Indien seine Heimat, Und man merkte, daß aus heil'gen Gangesfluten er getrunken, Daß genährt er mit dem Mark sich Von den Früchten heil'ger Haine. Angespornt vom Heldenthume Seiner Ahnen, das zu würd'gen Er gelernt nun erst in Wahrheit, Rief er auf zu großen Thaten Seine Brüder – einen Kreuzzug Predigend, um zu befest'gen Allenthalben seines Stammes Herrschaft auf den letzten Trümmern Des verhaßten Menschenthumes. Nicht zurück mehr wollt' er kehren Nach des heil'gen Ganges Ufern, Wo in träger heil'ger Muße Dumpfen Sinns, obzwar behaglich, Er genossen Götterehren. Kämpfen wollt' er nun und wirken! Den Entschluß mit Jubel grüßten Seine Brüder; auf den Schild ihn Hoben sie als Oberfeldherrn Des gesammten Reichs Lemurien, Und in stürmischer Bewegung Reihten sich um ihn die Scharen. Sie erwählten für ihr Banner Heines »Affensteißcouleuren« – Und eröffneten den Feldzug, Zum Heloten ganz zu machen Den verachteten Rivalen, Und sich selbst zu Herr'n der Erde, Welchen göttliche Verehrung Wieder wie in alten Zeiten Würd' erwiesen von den Völkern. Und des Affen angestammte Kriegestüchtigkeit im Bunde Mit dem neu erworb'nen Wissen, Bald erprobte sie sich glänzend. Diese Bursche, sie marschirten, Exerzirten, manövrirten Wie die Teufel. Doch vor Allem Affenmäßig flinkes Wesen War, nicht Hexerei, die Kriegskunst, Die von Sieg zu Sieg sie führte. Leicht erkletterten die Mauern Diese stürmenden Sylvane, Und zum Kampfgefild erwählten Sie am liebsten Waldgebiete, Wo sie in der Bäume Kronen Wunderschnell zurück sich zogen Und den Feind mit einem Hagel Von Geschossen überhäuften. Ihre Wachen, ihre Späher Hingen mit den Wickelschwänzen Auf der Bäume höchsten Aesten, Auf der Thürme höchsten Zinnen, Kündeten mit grellem Aufschrei Jegliche Gefahr von weitem. Ausgezeichnet durch die technisch- Mathematische Erziehung Und durch die ererbte Kunst, Umzugeh'n mit Wurfgeschossen, Thaten auch als Artill'risten Sie in off'ner Feldschlacht Wunder. Doch das Schönste war der Anblick Ihrer Reiterregimenter: Da der Rosse sie entbehrten, Ritt ein Satyr auf dem andern, Und ein dritter auf dem zweiten. Vor den Gardegrenadieren, Zähnefletschenden Gorillas, Nahmen Reißaus flugs die Menschen. Kurz – die Faune triumphirten In dem Land, wo die Kultur sie Schlangen gleich genährt am Busen. »König Langhand hoch der Erste!« Scholl es nun durch ganz Lemurien, Und aufs Haupt gedrückt dem Feldherrn, Dem erprobten Schlachtenlenker, Ward des Faunenreiches Krone. Als verrauscht der Krönungsjubel, Ausgeruht die tapfern Scharen, Zog ins Feld zu neuen Kämpfen Mit den Seinen König Langhand. Und von Land zu Land gefesselt Blieb der Sieg an seine Fahnen. Schließlich galt's noch einen weiten Länderstrich zu unterwerfen, Der bewohnt von Indianern. Diese rohen Völkerstämme Konnten wohl in regelrechter Kriegesführung sich nicht messen Mit civilisirten Streitern. Doch sie kannten die Sylvane, Schier wie Brüder, aus den Wäldern, Wo mit ihnen sonst verkehrt sie, Waren wohlvertraut mit ihren Sinnesarten und Instinkten, Seltsamkeiten und Manieren. Ungebildete Geschöpfe, Wie sie waren, diese Wilden, Hatten sie sehr wenig Achtung Vor der Bildung, vor dem Wissen, Dünkten sich auf alle Fälle Noch den Affen überlegen, Ueberlegen an Verstand Und an Mutterwitz als Menschen. Zuversichtlich so ersannen Eine Kriegslist sie, die leider Zu des edlen Satyrvolkes Großem Schaden sich bewährte. Tag für Tag abfingen schwärmend, Lauernd, mit verweg'ner List sie Sämmtliche Proviantvorräthe, Bis im Faunenlager einriß Eine Hungersnoth voll Grausens; Und dann plötzlich überfielen Stürmend sie das Faunenlager; Schrecklich war das Schlachtgeheul. Aber vorbereitet trafen Sie die Gegner. König Langhand Hatte mit dem Generalstab Seiner besten Feldgelehrten Ausgegrübelt einen Schlachtplan, Der gebaut war auf strategisch- Taktisch-technisch-planimetrisch- Hygrostatisch-hypsometrisch- Akrobatische Prinzipien. Während nun die schnell in Ordnung Aufgestellte Satyrvorhut Donnernde Kanonensalven Abgab in die Reih'n der Wilden – König Langhand selbst entrollte Das Panier des Faunenreiches – Schleuderten und rollten Jene Riesenkörbe, vollgefüllte, In die Reih'n der Waldgottheiten ... Starr und ehern stand die Phalanx Uns'rer neuen Herr'n der Erde – Nur in den Gesichtern zuckt' es Mit entsetzlichen Grimassen – Einen Augenblick so standen Unbeweglich sie ... doch plötzlich Lösten sich der Waldgottheiten Reih'n in greulicher Verwirrung: Und sie warfen hin die Flinten, Warfen hin die stolzen Fahnen, Ließen ab von den Laffetten, Liefen, wüthend einzubeißen – Mitten darunter König Langhand – In den weitumher verstreuten Inhalt jener Riesenkörbe; Balgten grinsend, zähnefletschend, Sich um Mandeln, Datteln, Feigen, Ananasse, Kokosnüsse. Aber alle diese Früchte Waren arg versetzt mit Giften, Scharfen Säften, Koloquinthen; Und indeß die Waldesgötter Heulend sich vor Leibweh krümmten, Stürzten die verthierten Wilden Ueber sie sich her mit Stöcken, Schlugen todt sie unbarmherzig ... König Langhand einzig wurde Nicht getödtet, nur gefangen Und für schnödes Geld verhandelt An den wandernden Besitzer Einer großen Thierschaubude. Dieser ließ vor Menschenpöbel Künste machen den Gefall'nen. Was Verstand war, hohe Bildung, Wurde von der Gaffer blödem Schwarme für Dressur genommen Und entweiht durch Beifallsgrinsen. Tief empfand der Schicksalswendung Schmach der Held im tiefsten Innern. Schwermuthsvoll am Schwanze nagend, Wie gefang'ne Faune pflegen, Dacht' er oft der Zeit, wo er noch Nichts war als ein wohlgenährter Heil'ger Affe zu Benares. Und noch lieber sich versenkt' er In Erinn'rungen der früh'sten Muntern Affenkindheit, wo er Nichts war als ein Affe schlechtweg. Doch dann faßt er stolz sich wieder Und gelobt, ob auch gerathen In's Verderben durch die Bildung, Mannhaft doch, da er nun einmal Sich zu höherm Sein erschwungen Durch die Bildung, Werth und Würde Einst'ger Größe zu behaupten, Und verhängter Schmach entfliehend, Hochgemuth den Tod zu suchen. Und von Stund' an keine Speise Mehr berührt' er, trotzte schweigend Selbst den Drohungen und Prügeln Seines mitleidslosen Zwingherrn. Eines Morgens fand ihn dieser Regungslos im Käfig sitzend, Grinsend, mit verglasten Augen, Aber würdevoll. Gedenkend, Was mit ihm nun ging zu Grabe, Hatt' er es verschmäht, auf Vieren Hingestreckt zu ruh'n im Sterben, Wie ein and'res Waldgethier. Und so saß er todt und aufrecht, Wie der Kaiser Karol sitzt In der Kaisergruft zu Aachen. 8. Gesang: Im neuen Israel Achter Gesang. Im neuen Israel. Muse, die du Polka tanzest In vierfüßigen Trochäen Vor den Augen des blasirten Deutschen Publikums nach meiner Sehr bescheid'nen Pfeife, die ich Aus dem Röhricht des Parnasses So für mich zurechtgeschnitten – Gott erhalte dir den Odem! Zu berichten gilt's die letzten, Gilt's die größeren, die höher'n, Die entscheidenden Geschicke Uns'res Helden, des Homunkels. Armer Munkel! Viel erduldet Hat er im bisher'gen Dasein, Viel gewonnen, viel verloren, Bittern Undank viel geerntet, Schmählichen Verrath erlitten, Sich gesellt ein übermenschlich- Reizend', übermenschlich-kluges Nixenweib, und es verloren An den Tölpel Leo Hase. Aermster Munkel! Traun, zu wünschen Ist's, daß endlich er ein schönes, Hohes, festes Ziel erreiche, Oder daß er Ruhe finde. Jenes Ziel, das er verfolgt, Glanz ist's, Größe, Ruhm und Herrschaft, Und vor Allem: der Triumph Des Homunkelthums auf Erden. Ach, schon fühlt er sich ermattet In dem Streben, in dem Ringen Nach dem Uebermenschlichen, Will verzweifeln an dem Sterne, Der geleuchtet seinem Ursprung. Plötzlich aber beut noch einmal Ihm durch eine große Wendung In dem jüngsten Völkerleben Winkende Gelegenheit sich, Kühn zu trachten nach dem Höchsten. Zu derselben Zeit geschah es, Daß den Christen wieder einmal Nicht gesiel der Juden Nase, Die gekrümmte Judennase, Und man hörte plötzlich wieder Von verschwund'nen Christenkindern, Die geschlachtet ohne Zweifel Waren von Israeliten Zu geheimen Kultuszwecken. Gegen den bekannten foetor Judaeorum war man plötzlich Außerordentlich empfindlich Wieder und nervös geworden. Und man glaubte zu entdecken, Dieser unleugbare foetor Judaeorum sei der faul'ge Ausfluß dessen, was man neu'stens »Korruption« zu nennen liebte. Je nun, der Geruch ist alt, Stammt schon aus dem Paradiese, Wohin ihn gebracht die Schlange, Wenn zu glauben ist der Bibel ... Zur Entäuß'rung des Geruches Ward dem Judenvolk die Taufe Von den Christen warm empfohlen. Je entschiedener die Christen, Aufgeklärt, sich selbst vermaßen, Christen nicht mehr sein zu wollen, Desto dringender verlangten Sie von Juden, es zu werden. Und so sahen plötzlich wieder, Wie so oft schon, die Hebräer Sich vom Nimbus int'ressanter Dulder, Märtyrer, umflossen. Und es gab nun wieder etwas Für die nächsten Menschenalter Zu erlösen, zu befreien, Unterdrückten Menschenrechten Neu zum Siege zu verhelfen. Endlich stieg so hoch im Westen Gegen Israel der Unmuth, Daß mit feierlichem Urtheil Man, und Parlamentsbeschlüssen, Für Heloten sie erklärte, Sie zu zwingen so zur Heimkehr Nach dem Land, woher sie stammten, Nach dem fernen Palästina. Mit geheimen Sympathien Sah sich hingezogen Munkel Zu dem unterdrückten Volke. Jüd'scher Sinn und jüd'sches Wesen, Jüdischen Verstandes Schärfe, Aetzende, wie Scheidewasser, Jüd'sche dreist-verschlag'ne Thatkraft, Und noch manches and're Jüd'sche, Stand, so dünkt es ihn, erheblich Nahe seinem eig'nen Wesen, Nahe dem Homunculismus. Ei, wie wär's, wenn er's versuchte Nun zuletzt noch mit den Juden? Außerordentliche Gaben Dieses auserwählten Volkes Schienen Großes zu verbürgen, Schienen viel ihm zu versprechen Für die hohen, großen Ziele, Die er steckte seinem Wirken. Und in seine Träume mischten Sich Idole neuer Größe, Neuen Ruhmes, neuen Glanzes. Sich gefeiert als Messias Träumt' er eines weltzerstreuten, Arg geschmähten, arg bedrängten, Doch durch ihn auf's Neu' vereinten, Neu zur Macht gelangten Volkes. Von so gold'nem Traum gestachelt, Predigte den Juden Munkel Eines neuen Heiles Botschaft: Heimkehr nach dem schöner'n Osten! Gründung eines neuen Reiches Israel, bestimmt, die ganze Welt am Ende zu umfassen, Sie vom sicher'n Heimatboden Aus aufs Neu' zu unterwerfen. »Kinder ihr des Morgenlandes!« Rief er mit beredten Worten Ihnen zu, »was säumt ihr länger? Braucht es doch nur eines Blickes, Eines Blicks in eure Züge, Eines Blicks auf die Gestaltung Aeuß'ren Wesens, Gang und Haltung, Um zu seh'n, daß ihr Verbannte, Fremdlinge hier seid im Westen! In des Westens Tracht gewährt ihr Einen Anblick, gleich als schaute Man der Bibel Patriarchen Karrikirt, gezwängt in Fräcke, Und in steifen Filzes Röhren Schnöd' gepreßt die würd'gen Häupter! Traun, ein krummgenas'ter Jüngling Eures Stamms, mit Säbelbeinen, Welcher schlottrig-unbeholfen Hin in europä'schem Leibrock Torkelt und in knappen Hosen, Wird als Märchenprinz erscheinen In des Orients Gewandung! In des Orients Gewandung, Traun, wird sicherlich, der Spötter Wort zum Trotz, auch nicht im Alter Je ein »schönster« Jude »schäbig«! In des Orients Gewandung Wird das Häßlichste auf Erden, Eine alte Jüdin mein' ich, Würdig als Matrone glänzen, Und das Schönste, was es giebt, Eine junge Jüdin mein' ich, Wird die Welt unwiderstehlich Wie Kleopatra bezaubern, Wie Semiramis erobern!« – Dies und And'res zu bedenken Gab den lauschenden Hebräern Munkel, und sie machten endlich Sich vertraut mit dem Gedanken, Heimzupilgern nach den Stätten Ihrer einst'gen Macht und Blüte, Ihrer gottgeliebten Heimat: Freilich mehr als Munkels Worten Mitleidslosem Zwange weichend. Denn von Tag zu Tage grimmer Waren über dem Bedrängten, Dem Hebräer, her die Christen, Wie Philister über Simson. Schließlich spielte man den größten, Letzten Trumpf aus gegen Israel: Insolvent erklärte kurzweg Eines Tags die Christenwelt sich Den Hebräern gegenüber. Längst schon war man ihnen schuldig Mehr als man bezahlen konnte. Dieser Schlag, der letzte, schwerste, Diese Katastrophe, dieser Bankerott des Christenthumes Gab den Ausschlag für die Juden: Sie entschlossen sich zum Auszug. Uebertrat zum Judenthume Munkel jetzt, ließ sich beschneiden, Nannte Gotthold Ephraim Munkel Sich, und als des Auszugs Führer Wählten ihn die Abramssöhne; Denn wie er zu ihnen, fühlten Sie zu ihm sich hingezogen, Ahnten, daß er ihnen nahe, Zwar nicht Blut von ihrem Blute, Zwar nicht Fleisch von ihrem Fleische, Zwar nicht Herz von ihrem Herzen, Aber Geist von ihrem Geiste. Moses, Xenophon, Firdusi, Hermann Lingg und Dahn und Jordan, Große Menschenherdentreiber, Große Völkerzugsbeschreiber, Müßten mir den Griffel leihen, Um des auserwählten Volkes Exodus zu schildern würdig! »Fahre hin, du undankbare Schnöde Welt der Europäer!« Also riefen, rückwärts blickend Von des Mittelmeeres Borden Die im Zug geeinten Schaaren: »Weh euch, gier'ge Judenfresser! Traun, ihr werdet's noch erleben: Leicht ist's, Juden zu verschlingen, Aber schwer, sie zu verdauen!« – Tausend Wimpel führten flatternd Das Semitenvolk meerüber: Ebensoviel Lastfahrzeuge Schleppten hinter ihnen her sich Mit den unbezahlten Wechseln. Ernst, schier traurig anzuseh'n war Des Hebräervolkes Auszug; Um so glorreicher der Einzug In die Stadt Jeruscholajim. Festlich schimmerten die Zinnen, Jedes Haus und jede Pforte War geschmückt mit Palmenzweigen, Blumenüberstreut die Gassen. Pauken, Cymbeln, Harfen klangen, Jünglinge und Jungfrau'n tanzten, Alte Juden sangen Psalmen. Aelteste des Volkes ritten Auf Kameelen an des Zuges Spitze – unter ihnen Munkel Auf geschmücktem Dromedare. Neben Munkel in dem Zuge Ward geführt, seltsamen Anseh'ns, Gleichwie im Triumph der alte Ahasver, der ew'ge Jude. Nicht geruhet hatten seine Stammgenossen vor dem Auszug, Bis sie seine Spur gefunden, Ihn bewogen mitzuwandern Nach dem heil'gen Heimatlande. Auf ihn blickten sie mit Stolz, Hielten ihn in hohen Ehren, Als das Bild, das fleischgeword'ne, Der Unsterblichkeit, der zähen Kraft des Stammes Israel. Schön geschaart und schön gesondert, Schier in endlos langen Reihen, Zogen alle die verschied'nen Zünfte, Ordnungen und Stände Israels mit ihren Zeichen Und Standarten und Emblemen. Erstlich die der Schacherjuden, Schwere Bündel auf den Rücken, Dann der Schwarm der Wucherjuden; Ihr Emblem auf lichtem Banner: Shylocks Fleischpfund in der Wagschal'. Dann der Schwarm der Börsejuden; Ihr Emblem: Fortunens Kugel In Gestalt von einer Bombe, Welche platzt mit einem Krach . Dann die glanzvoll-stolze Gruppe Mauschelnder Finanzbarone, Sich um Rothschilds, des Erlauchten, Goldene Karosse schaarend; In den Wappenschildern führten Einen blanken Ritterhelm sie Ueber einem schweren Geldsack. Und dann kam der unabsehbar Lange Schwarm der Zeitungsjuden – Dann der Schwarm der Kunstsemiten Und der Lit'raturhebräer, Krit'schen Lorbeer in den Locken – Dann ein Nachtrab buntgemischter, Herrenloser Judenknaben, Draller, schmucker Judendirnchen, Schmutz'ger Judenhökerinnen, Und so weiter, und so weiter. Unermeßlich so bewegte, Schöngeordnet, schöngesondert, Des erwählten Volkes Einzug Durch die Gassen sich der schönen Palmenstadt Jeruscholajim. Ach, wer zählt, wer nennt sie alle, Die in diesem Zuge glänzten? All die Gold- und Silbermänner, Lilien- und Rosenzweige, Und die Pinkeles und Pork'les, Hündchen-Reis und Vögle-Ochs, Schnapper-Elle und dergleichen, Ganz zu schweigen von noch größer'n, Von noch weit berühmter'n Namen? Tags darauf erwählte Munkel Man zum Könige der Juden. Längst ja hatte man im Volke Ihn erkannt als den verheiß'nen, Spät zwar, aber endlich doch Nun gekommenen Messias. Wunderbare Schicksalswendung – Der Homunkel auf dem Throne! – Schon erwog sein Geist die Frage Einer würdigen Genossin Seines Thrones, seines Lagers, Der Begründung eines edlen, Eines königlichen Samens. Da kam eines Tages fernher In die Stadt Jeruscholajim Eine Schaar von frommen Pilgern, Christenpilgern aus Europa, Die zum heil'gen Grabe wallten. Und es wollte das Verhängniß, Daß zur selben Stunde Munkel Eben stand am heil'gen Grabe, Es besichtigend, bedenkend, Ob es zieme, Christenunfug Irgend ferner noch zu dulden In dem neuen Israel – Als der Pilgerzug herankam, Andachtsvoll im Heiligthume Auf die Kniee hin sich werfend Und in Andacht fromm versinkend. Unter ihnen fielen Munkels Blicke auf ein schönes, blasses Frauenantlitz, und er meinte, Daß er's irgend schon gesehen. Forschend mustert er die Züge Dieses Weibes – neckt ein Traum ihn? Himmel! diese schöne, blasse, Fromme Pilg'rin, ist's nicht Lurlei ? »Ist sie's wirklich, meine Nixe?« Spricht er bei sich; »wie erkund' ich's? Spähend schielt er nach dem Saume Des Gewandes, ob er feucht sei. Feucht nicht ist er, doch voll Staubes. Dennoch ist's die Nixe; rheingrün Schimmern ihre schönen Augen, Unvergeßlich dem, der einmal Sah in echte Nixenaugen. In der That, sie ist's, ist Lurlei. Mittlerweile fromm geworden War das unstät-wandelbare, Ruhelose Frauenwesen, Seit hinweg von Munkels Seite Sie gefolgt dem löwenherz'gen Sieger, dem Rebellenführer. Lurlei – Munkel – Aug' in Auge – Sie gekrönt den Gatten schauend Mit des Judenlandes Krone, Er das Weib in ihr erblickend, Das, wie keins, für ihn geschaffen, Uebermenschlich wie er selber – Konnten an einander fremd sie, Feindlich ganz vorübergehen? Stumm hinweg vom heil'gen Orte Winkt er sie, und sie, sie folgt ihm, Und erzählt ihm ihres Schicksals Wandlungen, die jüngst erlebten. »Nach Amerika gegangen War ich« – so berichtet Lurlei – »Mit dem kühnen Freischarführer Leo Hase – der, du weißt es – Bei des Amazonenlagers Ueberfall in Eldorado Keck mich zur Gefang'nen machte, Und der nun jenseits des Meeres, Auf der Freiheit, auf der Gleichheit Festem Grund als reicher Pflanzer Alsbald eine Rolle spielte. Und nicht schlechte Hoffnung hatt' er, Präsident einmal zu werden Des glorreichen Yankee -Freistaats. Doch darauf bei ihm zu warten Mangelte Geduld und Lust mir, Denn entartet zum Philister, Mäkler, trock'nem Ziffernmenschen, Schien er mir, zum kecken, rohen, Geldstolz-aufgeblas'nen Dickwanst. Ein paar Jährchen dann am Salzsee Lebt' ich im Mormonenstaate, Als die erste, angeseh'nste Von den Frau'n des vielbeweibten Ehrwürd'gen Mormonenhäuptlings. Grille war's und Sporn der Neugier! Auf das Studium der Ehe Warf ich mich, – dann trieb zu wirken Mich aufs Neu' der Drang in's Weite. Mein Geschlecht wollt' ich befreien Aus dem Sklavenjoch der Männer, Aus dem Sklavenjoch der Treupflicht. Doch gebrochen kann es werden, Dieses Sklavenjoch, das schnöde, Nur durch gleiches Recht der Frauen Mit den Männern auf die Arbeit . Und so trat für dieses Recht ich Kühnlich kämpfend in die Schranken. Doch die Männerwelt, sie fluchte: »Langt die Arbeit für uns Männer Knapp nur aus, wie soll sie langen, Wenn nun gar davon den halben Theil für sich die Weiber heischen?« – Als nun so ich an dem wilden, Rohen Eigennutz der Männer Sah gescheitert mein Bemühen, Sagt' ich Lebewohl dem Westen.« »Und bist seither fromm geworden?« Scherzte Munkel, bitter lächelnd. »Bist in heil'ger Herzensregung Nach Jerusalem gepilgert?« »Warum nicht?« versetzte Lurlei. »Ist doch solcher Herzensantrieb, Pilgernd nach den Gnadenorten, Sein Gemüth, das wilderregte, Zu beschwicht'gen und dem Dasein Neuen Wechsels Reiz zu leihen, Häufig just bei Frau'n von ›Welt‹, Heldinnen der ernsten, heiter'n Bühne –« »Schönen Sünderinnen Ueberhaupt!« fiel hier in's Wort ihr Munkel. »Schöne Sünderinnen, Freilich, ach, sie haben alle Manchmal solche fromme Regung!« .. »Oefter als du denkst,« versetzte Lurlei, »ist's mit solcher Regung Ernst den schönen Sünderinnen!« »Ernst auch den gebornen Nixen?« Fragte Munkel, spöttisch lächelnd. »Den gebornen Nixen, welche Die Natur der Nixe schützt Vor dem Altern , dem Verwelken ?« – »Ernst auch den gebornen Nixen, Wenn sie menschlich angekränkelt!« Gab zurück die fromme Pilg'rin. Seltsam ernsten Ton's, gesenkten Hauptes sprach sie diese Worte. »Diesmal führte dich,« warf Munkel Leicht und neckisch hin, »vielleicht doch Ein klein wenig auch die Sehnsucht, Unbewußte Sehnsucht, einmal Wieder einen Freund zu sehen, Einen alten Freund – zumal er Eine Königskron' inzwischen Sich errang. Ist Kronengold nicht Gold'nen Erzes beste Sorte? Gold'nen Erzes, das wir lieben?« ... Lächelnd sprach er's, lächelnd zuckte Anmuthreich statt aller Antwort Sie die feinen Nixenschultern ... Mit Sarkasmen züchtigt Munkel Fürder noch die Ungetreue. Doch sie läßt die Wasserkünste Perlenlichter Thränen spielen, Und des Zürnenden Gemüthe Stimmt gemach sie zur Versöhnung. In die Rechte seiner Gattin Sie noch einmal einzusetzen, War nach reifer Ueberlegung Er des andern Tags entschlossen. Und sie thut mit Mund und Augen, Oft getäuscht, nun welterfahren, Das Gelöbniß, auszuharren Fernerhin bei ihm getreulich. Jüdin wird nunmehr auch Lurlei. Vorstellt Munkel seinem Volke Sie als angetraut-verlor'ne, Wieder nun gefund'ne Gattin! Und sie sitzt fortan mit ihm Glorreich auf dem Stuhle Davids! Wundersame Schicksalswendung – Der Homunkel auf dem Throne! Eine Krone trägt die Nixe! – Aber nicht zum müss'gen Träger Einer Krone nur berufen Fühlt sich Munkel. Mehr als König, Traun, Messias muß er werden, Ja, Messias seinem Volke. Wächst der Mensch mit seinem Zweck nicht, Wie das Haus wächst mit der Schnecke? Ein Messias will er werden, Ein Messias des Verstandes , Und mit besserem Erfolge, Als der arme Galiläer, Der Messias war des Herzens , Und den Lohn am Kreuz gefunden. »Dieser weiche Mensch,« so sprach er, Leichthin spottend, »welcher Liebe Predigte und nichts als Liebe, Taugte nicht zum Judenkönig, Und zu viel Gemüth, zu wenig Geist besaß er zum Messias!« – Um den angebornen Scharfsinn Seiner Juden auszubilden, Gründet Munkel eine Schule, Eine hohe Schule, welche Echte Lebensklugheit lehren Und erneuern soll die Feinheit, Die Spitzfindigkeit des Talmud, Doch nur in modernem Geiste Und auf praktischem Gebiete. Er verkündete die Botschaft Eines dritten Testamentes, Zur Ergänzung, zur Erklärung, Zur Erfüllung jener andern Beiden alten Testamente. Auf sothanem Weg gelangte Der eklektisch-kritisch-prakt'sche Sinn des Judenvolks zu höchster, Nirgend sonst erreichter Blüte. Doch, was half's? Dem ungeheuren Können ward zu eng die Schranke Der Bethätigung, des Wirkens. Unter sich, auf sich beschränkt nur, War das Judenthum ein Deckel Ohne Topf; es konnte Keiner Je den Andern überlisten, Denn gleich pfiffig waren Alle, Alle dreist und ohne Skrupel. Keiner borgte Geld vom Andern. Rothschild schlich verarmt, als Schnorrer, Abends heimlich durch die Gassen. Die gewiegt'sten Rezensenten Hatten nichts zu rezensiren, Und die beißendsten der Spötter Nichts zu spotten, nichts zu beißen. Heller gähnte, Spitzer nagte An der Feder; Herrn Fritz Mauthner Fehlt' es an »berühmten Mustern«, Und in rasender Verzweiflung Zehrend an dem eig'nen Nichts, Parodirte er sich selber. So zu einem großen Ghetto Ward die Stadt Jeruscholajim, Allwo käuferlos ein Weltmarkt Schimmelte von alten Hosen. Sein gelangweilt Volk aufs Neue Zu beschäft'gen, zu beleben, Gründet Munkel eine »Waaren- Und Realitätenbörse« Größten Stils, in welcher Alles Ward gekauft, nur um es wieder Zu verkaufen; täglich wurden Da geschaffen »neue Werthe«, Flogen spielballgleich von einer Hand zur andern, und da Niemand Fragte nach dem Werth in Wahrheit, Sondern nur nach Hausse und Baisse, Wurden schließlich Knöpfe, Scherben, Roßkastanien, Rattenschwänze, Rost'ge Nägel, ja sogar auch Die hierher nach Palästina Mitgebrachten unbezahlten Wechsel auf den Markt geworfen, Und sie hatten ihren »Curs«. Dieses Börsenspiel belebte Zwar den Spekulationsgeist Und beschäftigte den Scharfsinn, Gab Gelegenheit zu manchem Schönen glänzenden »Manöver«, Diente aber doch im Ganzen Mehr zum Sport und zur Zerstreuung Der Gemüther, als zur Förd'rung Des Nationalwohlstandes. Schlimmer ward's, Unfrieden folgte Der Verkümm'rung. Israel War ein Magen, welcher drohte Bald sich selber aufzuätzen, Weil für seine scharfen Säfte Ihm gebrach der Stoffe Zufuhr. Und zu murren nun begannen Schon die Juden, ungesund sei Dieses Aneinanderkleben; Fanden schließlich unerträglich Ihre eig'ne konzentrirte Oriental'sche Hautausdünstung, Sehnten sich hinaus ins Freie, Sehnten sich hinaus ins Weite. Ihre besten Dichter sangen, Harften alte Trauerweisen, Welche stammten aus den Zeiten Des Exils in Babylonien. Rothschild fiel nun gar in Irrsinn, Schwor dem Einmaleins ab, Warf sich auf die Kabbala, Schwatzt' apokalypt'schen Unsinn Auf dem Markt und an der Börse, Gab sich aus für den Propheten Jeremias, ward als toller Bettler von dem Volk gemieden. Auf den alten Ahasverus Blickten seine Stammgenossen, Wie vordem mit Stolz und Ehrfurcht, Jetzt mit scheelen, düstern Augen: Ach, des Stamms unsterblich Leben, Dessen Bild in ihm sie schauten, Allgemach zum Fluche schien es Ihnen allen nun zu werden; Müde Wand'rer dünkten sie sich Alle nun, und sie erfaßte Ueberdruß am Erdendasein. And'rerseits begann des Westens Welt auch wiederum allmählich Ihre Juden zu vermissen. Schien es doch nunmehr zu fehlen Allenthalben an dem rechten Sauerteig im Völkerleben! Oede waren alle Börsen, Lahm der Schwung des Spekulirens, In der Tagespresse machte Bald ein Mangel an Reportern, Unverfrorenen, sich geltend. Ueberhand nahm ganz entsetzlich Kunst und Poesie; die Mäuse, In Abwesenheit der Katzen, Tanzten auf dem Musenberge. Um sich griffen bald nicht minder Auch gewisse Hautkrankheiten, Weil die besten Spezialisten Dieses Faches jetzo fehlten. Lebenslust'ge junge Leute Dachten seufzend der Hebräer. Gänzlich auch verkamen manche Völkerschaften, und zu Tage Trat es, daß sie ohne Juden Leben nicht noch sterben konnten. Stimmen machten schon sich geltend, Welche die Zurückberufung Des Hebräervolks verlangten. Langeweil' und Unmuth wuchsen Unterdessen in der heil'gen, Schönen Stadt Jeruscholajim, Und ihr Opfer sucht' in Munkels Haupt des Volkes üble Laune. Was im Innersten zuletzt noch Gegen ihn das Volk empörte, War, daß er, um es des Stumpfsinns Schnödem Banne zu entreißen, Es gespornt zu großen Thaten , Zugemuthet ihm, die Welt sich Mit dem Schwerte zu erobern. Hatt' er nicht den Sieg versprochen Ihnen, und der Welt Erob'rung, Durch des Geist's blutlose Waffen, Durch die Klugheit, des Verstandes Uebermenschlich hohen Aufschwung? Und was war daraus geworden? Heimlich gährend erst, gelangte Die Verschwörung rasch zum Ausbruch; Auf ein feiges Häuflein schmolzen Ihm zusammen die Getreuen. Es erstürmen die Rebellen Seine Zionsburg, die neue, Werfen ihn in Kerkermauern. Man verurtheilt ihn zum Tode: Und durch's Schwert nicht soll er enden, Nicht durch Henkerstrick, durch Fallbeil Oder Blei nach fremdem Brauche, Nein, gekreuzigt soll er werden Nach uralter Landessitte. Und man führt zum Marterholz ihn, Welches für ihn aufgerichtet Außerhalb der Mauern einsam Ragt an hochgeleg'nem Orte; Und mit ausgestreckten Händen Wird er, ausgestreckten Füßen, Festgebunden an die Balken. Da verbreitet von der Stadt her Wie im Flug sich eine Botschaft In dem Schwarme der Hebräer, Die das Kreuzgerüst umstanden; Eine Botschaft, welche wachruft Unbeschreibliche Erregung Im gesammten Judenvolke, Daß es wie ein Ameishaufen, Welchen aufgestört ein Steinwurf, In unsäglicher Verwirrung Hastend durcheinander wimmelt – Nur so lautlos nicht, nein, lärmvoll, Schreiend, kreischend, krächzend, tobend. Abgesandte von des Westens Völkerschaften sind gelandet, Einzuladen die Hebräer, Nach Europa heimzukehren. Gleichberechtigung geboten Wird aufs Neu' den Ausgestoß'nen, Unter der Bedingung einzig, Daß die Wechsel, die in Händen Annoch sind der Abramssöhne, Lautend auf des Westens Völker Christlichen Geblüts, für immer Sei'n vertilgt, verbrannt, zerrissen An dem Tag der Wiederkehr. Raserei befällt das ganze Israel bei dieser Botschaft. Einen Purzelbaum schlägt Rothschild, Alle folgen seinem Beispiel. Ungesäumt dem Ruf gehorchen Wollen sie im Uebereifer. Welch' ein tolles Springen, Tänzeln, Welche drolligen Geberden! Nicht ein Tag, nicht eine Stunde Soll verloren sein – das ganze Judenvolk stürzt wie besessen Sich hinab zum Meeresstrande Mit der aufgerafften Habe. – – Munkel ist allein geblieben, An dem hohen Kreuze hangend; Von der lichten Höhe Gipfel Auf die Scene blickt er nieder. Niemand kümmert sich um ihn mehr! Er ist todt, er ist verlassen, Ist vergessen, ist verschollen. – Nacht inzwischen ist's geworden, Doch der Mond ist aufgegangen; Munkel sieht die heimatmüden, Ungetreu'n, verrätherischen Bürger seines jungen Reiches Ihren Weg zum Meer verfolgen, Sieht ein großes Feuer lodern, Fern am Strand, von welchem hochauf Rauch und Funken weh'n zum Himmel, Und in welchen sacht verflackert, Sacht verknistert die papierne Riesenschuld des Abendlandes ... Hingeht also Stund' um Stunde, Schaurig ist die Grabesstille In der öden weiten Runde – Munkel hängt am Kreuz verlassen, Ist vergessen, ist verschollen; Raben nur und Geier kreisen Krächzend um das hohe Kreuz. Jetzo aber von dem grauen Felsen in des Mondes Dämmer Löst das Bild sich eines Greises: Uralt, runzlich Wang' und Stirne, Trocken gelb die Haut wie Leder, Geisterhaft, phosphorisch flimmert Seines langen Haares Silber. Nur die beiden Augen glimmen Wie zwei Kohlen in der grauen Asche dieses Mumienleibes. Ahasverus war's, der müde, Tod-vergess'ne Weltdurchwand'rer. Unvermerkt zurückgeblieben War in Munkel's Näh von allen Juden einer noch – der ew'ge . Unter'm Kreuze steht er jetzt, Blickt empor zu Munkel, schüttelt Sacht sein Haupt, das glitzernd-weiße, Flüstert dumpfen Tons die Worte: »Will der Tod auch dich vergessen, Armer Erdensohn da droben?« »Ja, er läßt mich,« seufzte Munkel, Zwischen Himmel hier und Erde, Zwischen Leben, Sterben schwebend Hängen in der weiten Oede. Alle haben mich verlassen, Sind hinweg von mir gelaufen, Ohne mir zuvor aus Mitleid Noch den Gnadenstoß zu geben!« War's ein Seufzen, war's ein Kichern, Was vernehmen ließ mit sachtem Schütteln seines Silberhauptes Hier der greise Ahasverus? – »Ja, sie haben mich verlassen,« Seufzt nach einer Pause wieder Auf dem Marterholz der Aermste; »Ja, sie haben mich verlassen, Die Erbärmlichen, die Wichte, Dieser feige Judenpöbel! Ich verachte sie und glücklich Bin ich, daß sie mir ersparen, Sei's im Leben, sei's im Sterben, Ihren gottverhaßten Anblick! Eines Wesens nur gedenk' ich, Eines nur vermiss' ich peinlich: Meine Gattin, die zum Thronsitz Ich erhoben, zur Genossin Meiner Herrschaft, meines Glanzes. Bin ich auch von ihr verlassen? Bin ich auch von ihr vergessen? Hat der schnöde Judenpöbel Sie, auch sie geschleppt zum Tode? Oder schmachtet wo im Kerker Sie, verlassen und vergessen, Wie ich schmachte hier am Kreuze?« – Wieder seufzt und kichert leise, Dumpf, der greise Weltdurchwand'rer. Dann mit ausgestrecktem Arme Weis't er fernhin nach des Meeres Saum hinab, wo in des Vollmonds Hellem Licht ein weißes Segel Gleitet sacht hinaus in's off'ne Weite Meer ... »In jenem Fahrzeug,« Flüstert er, »in jenem Fahrzeug Schifft ein unermeßlich reicher, Edler Muselmann, ein Emir, Heimwärts nach Konstantinopel. Und in diesem seinen Fahrzeug Gastlich hat er aufgenommen Die verlass'ne, die vergess'ne Schöne Königin der Juden. Warst du doch zum Tod verurtheilt! Warst du doch an's Kreuz gehangen! Hat als Wittwe dich betrauert Redlich, wie es ihr geziemte. Und der unermeßlich reiche Moslem, der sie sah auf seiner Wanderfahrt durch Palästina, Warb um sie, die schöne Wittwe, Und die Wittwe, sie versprach, Zu versuchen, ihn zu lieben. Und nun bringt das Fahrzeug Beide Heimwärts gen Byzanz im Fluge!« – Einen Fluch, ein Wort des Schimpfes Ausstieß Munkel; zürnend stöhnt' er: »Dies der Dank für eine Krone, Welche ihr durch mich geworden? Dies der Dank für meine Duldung? Dies der Dank für mein Verzeihen? – O wie konnt' ich mich entschließen, Nochmals in den Mund zu nehmen Diesen ausgeworf'nen Bissen! War ihr Wesen mir verborgen? Kannt' ich nicht von Anbeginn sie? Durft' ich Besseres versprechen Mir von dieser schnöden Fischbrut, Von der herzenskalten Nixe? – Weißer Busen, schwarze Seele – Volle Brust und leeres Herz! – Ha, was ließ ich mich bethören Noch zuletzt vom heuchlerischen Ernst der »welterfahr'nen Pilg'rin?« And're haben falsche Locken, Falsche Busen, falsche Glieder: Aber dieses Weib hat eine Falsche Seele , die sie ablegt In der Nacht, wenn sie allein, Auf dem Tischchen der Toilette! Keine Seele hatte sonst sie, Jetzo hat sie eine falsche : Zum Ersatze für die echte, Die ihr die Natur versagte In des Stromes feuchten Gründen!« – Zornentflammt so stöhnte Munkel. Mitleidsvoll erbietet jetzo Sich der Greis, die Hände, Füße Munkels an dem Marterbalken Aus den Banden zu erlösen, Ihn vom Kreuze zu befreien. Doch er schlägt das Anerbieten Grollend aus und wünscht zu sterben. »Ach,« versetzt der ew'ge Wand'rer »Könnt' ich tadeln, könnt' ich schelten Einen, der mit mir die Sehnsucht Theilt nach Ruhe – ew'ger Ruhe? Ew'ger Ruhe – doppelt süß mir Und verlockend, seit ich endlich Ihren Vorgeschmack gekostet, Durch das seltsamste der Wunder, Seltsamste der Abenteuer, Welche mir bisher begegnet Auf der langen Lebensirrfahrt!« – Seufzend und gleichwie versunken In schwermüthiges Erinnern, Eine Weile schwieg der Alte, Und von neuem dann begann er: »Hundert Jahr' nun mag es her sein Daß aus alter Todeslust ich Mich, und eitler Todeshoffnung, In den Schlund des Aetna stürzte. Doch des Berges Flammenkrater Reicht hinab in's Bodenlose: Als ich nun vom Kraterrande Stürzend fiel, und fiel, und fallend Kam zum Mittelpunkt der Erde, Wo das Centrum ist der Schwerkraft, Jenes Centrum, das nach einem Punkt von üb'rall her an sich reißt Jedes Erdending und festhält, Nicht mehr weiter, selbstverständlich, Konnt' ich fallen: schwebend hing ich, Frei, wie Mahvms, des Profeten, Sarg im Tempelraum zu Mekka. Ein Jahrhundert lang so blieb ich Schwebend hängen – nicht verhungern, Konnt' ich, ach, ich Unglücksel'ger, Nicht verdursten, nicht verderben, Bis zuletzt ein neuer Ausbruch Mich des Innersten der Erde Durch des Feuerberges Krater Warf nach oben, mich zurückgab Neuerdings der Oberwelt Und dem schalen Erdendasein. Habe mich die hundert Jahre Doch 'mal gründlich ausgeschlummert, Tief im dunklen Schoß der Erde, Lebend eingesargt, begraben In dem einzig unbewegten Centrum aller Erdendinge, Wohin alles strebt voll Unrast, In der Gruft, der allerstillsten, Die mir einen Vorgeschmack gab Von der unterweltlich süßen Rast des Todes und des Nichtseins! In der That, ich hatt' es nöthig, Einmal so mich auszuschlummern! Spür' ich doch das Alter endlich Auch allmählich in den Gliedern! Meine Wanderfüße wollen Nicht so munter mehr mich tragen! Bin nicht mehr so frisch, so rüstig, Wie in den vergang'nen Zeiten, Wo aus reinem Uebermuth ich, Auf des Niagarafalles Höchsten Wogengrat mich setzend, Hundertmal so nach einander Von dem brausend-wilden Flutschwall Mich ließ strudeln in die Tiefe; Oder wo ich mir die Adern Aufschnitt, die zu heiß pulsirten, Und, um kühl da zu verbluten, Mich hinunterwarf vom Felsstrand In die Flut des rothen Meeres – Damals hieß es nicht das rothe, Sondern ward erst so geheißen, Als es roth von meinem Blute War auf lange Zeit geworden ... Vierzig Wochen lang verblutend Lag ich schwimmend auf den Wogen; Wohl bekam der Aderlaß mir, Ach, in frischer, toller Jugend!« – Also sprach der ew'ge Jude, Sprach der greise Ahasverus, Streckte dann sich unter'm Kreuze Seufzend hin, zum nächt'gen Schlummer. Aber auch der Schlummer flieht ihn Wie der Tod, und in Betrachtung Sinkt er tief bei Munkels Anblick. »So auch,« denkt er, leidvoll sinnend, »So wie dieser Mann am Kreuz hier In der grabesstillen Oede, Werd' auch ich des Daseins Schreckniß, Ganze Trauer erst ermessen, Wenn ich übrig einst geblieben Als der letzte Mensch auf Erden, Wenn um mich die Sterne kreisen In der schauerlichen Stille Des verlass'nen Erdenrundes. Werden mit dem Erdenstaub dann, Wenn der Erdenkloß verwittert, Nicht verwitternd und zerstäubend Sich doch auch am Ende mischen Die Atome meines Wesens?« – Schlaflos wie der unter'm Kreuze War der Mann auch auf dem Kreuze Tief versenkt in ernstes Sinnen. Schaurig ist die Grabesstille In der öden, weiten Runde; Munkel hängt am Kreuz verlassen, Ist vergessen, ist verschollen, Raben nur und Geier kreisen Krächzend um das hohe Kreuz. Auf sein Leben einen Rückblick Warf er und aufschlug er plötzlich Hohnvoll eine bitt're Lache. »Käme doch nun mein Erzeuger,« Dacht' er, »um am Kreuz zu sehen Schmachvoll hier sein Meisterstück! Er, der so beredt geflunkert Von der glanzvoll-reichen Zukunft, Welche für sein Werk noch schlummern Sollt' im Zeitenhintergrunde! Ha, nimm meinen Fluch zum Danke Für den schalen Trank des Lebens, Für den Quickborn, der mit so viel Unquicklichem verquickt ist! Armer Prahler! ha, was rühmst du Mit so ungemess'nem Hochmuth Dich, daß aus den feinsten Stoffen Mühevoll zusammen etwas Du gestümpert von der schlechten Töpferwaare, Mensch geheißen? Ei was bildest auf dein Schaffen Du dir ein? Ward nicht dergleichen Minder anspruchsvoll, doch besser Und bezeichnender gestümpert Längst aus Lehm, geworf'nen Steinen, Angestoß'nen Eichenklötzen, Drachenzähnen? Ward geschaffen Nicht aus Adams Rippe Eva, Und er selber gar aus nichts ? – Mich erfaßt ein tiefer Ekel Vor dem Dasein, vor dem Leben. Ha, um welchen trunk'nen Gott, Welchem schwindelt in der Leere Der Unendlichkeit, des Nichts, Dreht sich diese Welt so närrisch?!« – Wolken zogen vor den Mond sich, Und noch tiefer ward die Stille Um das Kreuz her auf der Höhe, Und entseelt schien alles Leben. Aber plötzlich durch die Stille Drang der kurze Todesangstschrei Eines Vogels, aus dem Schlummer Aufgeschreckt vom Stoß des Falken ... Ha, was ist das? Fern im Meer dort Auftaucht ein gespenstig Fahrzeug, Oede, schaurig, todeseinsam: Rabenschwarz sind seine Segel, Schwarz der Mast und leer der Bord – Eines einz'gen Mann's Gestalt lehnt An dem schwarzen Mast wie Einer, Der an einen Pfahl gebunden. Auf zum fahlen Monde blickt er, Starr und wie entseelt, gespenstig, Und im starren, düstern Blicke Des gespenst'gen Seglers spiegeln, Wie im Blick des Manns am Kreuze, Alle Schauer sich des Lebens ... »Alles Leben,« ächzte klagend Der Homunkel auf dem Kreuze, »Ist es nicht ein wilder Angstschrei? Vor dem Tod? nein, vor sich selber! Der gepredigt neues Leben, Pred'gen möcht' ich jetzt das Nichtsein – Möchte leben, weiterleben, Nur um weitum in den Landen Zu verkündigen das große Evangelium des Todes !« – Morgenhauch beginnt erfrischend Jetzt zu wehen um die Höhe. Zu gewaltigem Entschlusse Sind gereift im nächt'gen Grauen Die Gedanken der Verzweiflung In dem Geiste des Homunkels. Mählich hatte doch indessen Sich gesenkt ein leiser Schlummer Auf das Haupt des greisen Wand'rers, Welcher unter'm Kreuze ruhte. Und in einem Traumgesichte Meint' er schlummernd zu vernehmen Eine wundersame Kunde: Daß Erlösung doch ihm werden Sollte noch, dem Wandermüden, Und daß auf der Erde wandle Einer, wunderbar geartet In der Schaar der Erdensöhne, Auserlesen und berufen, Jenen Fluch auf sich zu nehmen, Jenen Fluch und jenes Erbe Der Unsterblichkeit, mit welcher Sich so lang' geschleppt der müde Jude von Jeruscholajim. Aus dem Traum erwacht, und seufzend, Daß es nur ein Traum gewesen, Wendet sich der Greis zu Munkel, Klagend, daß er weiter wandern, Wieder weiter wandern müsse, Während er so müde, müder Sei als je und auf dem Gipfel Angelangt der Todessehnsucht. »Müder als ich selbst,« erwidert Munkel, »müder als die Menschheit Bist du nicht, o Greis – und dennoch Bitt' ich jetzo dich, die Bande Von den Händen, von den Füßen Mir zu lösen – noch nicht sterben Will ich, sterben nicht allein hier, Wirken will ich noch und streben Für Gedanken, die gereift sind Diese Nacht in meinem Geiste!« – »Ruhe, ruhe! Schweige, schweige!« Flüstert mahnend Ahasverus. »Schweigen? Ruh'n?« erwidert Jener, »Schweigen werd' ich, wenn ich ruhe, Ruhen werd' ich nur im Grabe. Reden ziemt dem Leben – Schweigen Ist das große Recht der Todten.« Als herabgelangt vom Kreuze Mit des Greises Hülfe Munkel, Wanderten die Beiden schweigend Bis zum Klippenstrand des Meeres, Zu erspäh'n, ob noch ein Fahrzeug Sich da finde, fortzubringen Sie aus dem verlass'nen Lande. Aber öd', wie ausgestorben Weithin war der Strand. Doch rastlos Schreitet Ahasver, es folgt ihm Sinnend Jener. Da erschließt sich Eine öde, schmale Felsbucht, Und in dieser steht ein Fahrzeug Regungslos. Es ist das todte Meerschiff mit den schwarzen Segeln, Mit dem schwarzen Mast, dem einz'gen Mann an Bord, dem schattenhaften. Munkel schaudert. Doch der stumme Greis und der gespenst'ge Segler Kennen sich, so scheint's; die Blicke Beider streifen sich vertraulich. Dem Gefährten winkt der Alte Stumm, den Schiffsbord zu besteigen. Dieser folgt. In grauer Dämm'rung Stößt vom Land das Geisterfahrzeug. 9. Gesang: Sein oder Nichtsein Neunter Gesang. Sein oder Nichtsein. Jenen tiefen nächt'gen Schauer Alles Lebens, welchen Munkel Mitempfunden, als er einsam Hing am hohen Marterholze Dort auf ödem Bergesgipfel In der schauerlichen Mondnacht – Jenen tiefen nächt'gen Schauer, Der versöhnt sich immer wieder Lös't im heil'gen Strahl des Tages, Aber zur Verzweiflung wurde In der Seele des Homunkels – Warf als düst're Schreckensbotschaft, Unversöhnten Leid's Alarmruf Munkel zündend in die Menge. Das verschämte Leid der Seelen Ward zur widrig off'nen Wunde, Ward zur Krankheit, ward zur Seuche Für die Seelen, für die Leiber. So zur Perle wird die Thräne, Einsam rollend – wird der Tropfen In der Muschel; doch sich mischend Dem gemeinen Erdenstaube, Wird zum Koth er in der Straße ... Langweil', Ueberdruß, Blasirtheit, Spleen, Zerrissenheit und Weltschmerz Aller frühern Menschenalter Schienen nur ein harmlos Vorspiel, Als die große Völkerseuche Um sich griff des »Pessimismus«. Jeder warf hinweg das Leben, Welches werthlos ihn bedünkte; Fürchten mußte, wer sich wagte In die Gasse, daß bei jedem Schritte schier ein Unglücksel'ger, Aus dem Fenster just sich stürzend, Ihn mit sich zu Boden schmett're. Sämmtlich hingen voll die Bäume In den Gärten, in den Wäldern Von den Opfern der Verzweiflung, Und an keinem Weiher konnte Man vorbeigeh'n, keinem Flusse, Ohne daß ein Trupp Selbstmörder – Einer Schaar von Fröschen ähnlich, Wenn Lustwandelnde sich nähern – In's Gewässer glitt vom Strande ... Einzig und allein die Greise Zwischen achtzig, neunzig Jahren Wünschten immer noch zu leben, Konnten nicht des jüngern Volkes Todeslüsternheit begreifen. Kleine Knaben, zarte Mägdlein Spielten Sterben und Begraben, Und nur kleines Mordwerkspielzeug Liebten sie; die Knaben waren Hypochonder, und die Mädchen, Schon in ihrem dritten Jahre Litten sie an Hysterie. Aus den Schenken klang es nur mehr: De profundis! Miserere! Gaudeamus war verschollen, Laute Fröhlichkeit verpönt, Und erlaubt der »stille Suff« nur. Ind'sche Arten der Askese Nahmen überhand: es lebten Eremiten, weltverachtend, Zahlreich in den Wüsteneien. Allverhaßt war nun das Dasein, Und es steigerte bei Manchem Sich der Ekel vor dem Leben Bis zu tödlichem Erbrechen. Auch im Stadium der Tobsucht Wüthete die Weltverachtung. Viele mußte man an Ketten Legen, weil sie geifernd, scheltend, Unablässig sich des Hauptes Haar voll Wuth zerrauften, Alles Kurz und klein zu schlagen drohten. Schließlich wurden selbst die Thiere Angesteckt von der »Blasirtheit« Und »Nervosität« der Menschen. Hunde wurden Hypochonder, Mitgetheilt in den Familien Ward die Hysterie den Katzen; Diese dann auf and're Thiere Pflanzten fort durch Biß das Uebel, Wie die Wasserscheu. Der Zeisig Sang nur mehr in Molltonweisen, Leberkrank die Fische schlichen Durch die Wellen, und die Rinder Wiederkäuten – Schopenhauer. Riesig wuchs der Kreaturen Harm, Unseligkeit, Ermattung! Doch der schwärzeste der Schatten, Die das Uebel und das Weltleid Warf in dieses Thal der Thränen, Lag im Geiste des Homunkels . Trübsinn hielt ihn tief umnachtet, Tiefer als die andern armen Kinder all' der weiten Erde. Nur ein einzig Wesen gab es Auf dem weiten Erdenrunde, Das an Trübsinn, inn'rer Leere, Lebensmüdigkeit ihm gleichkam. Dieses Wesen war ein schönes Blasses Weib, das düster-blickend, Sinnend eines Tags im hohen Dom zu Köln vor einem Bildniß Stand der Mater dolorosa . Heimgekehrt war sie zum Rheine Von des Hellesponts Gestaden, Wo als strahlendster der Sterne, Ueppigste der Schönheitsrosen, Sie geglänzt am gold'nen Horne, Im Serail des Padischah. Liebestoll zu Füßen lag ihr Dort der mächt'ge Herr der Gläub'gen; Doch sie fühlte sich als Sklavin, Und von Ueberdruß ergriffen, Rafft sie auf von üpp'ger Langweil' Seid'nem Pfühl sich, will entsagen Ganz der Menschenwelt, der schalen. Maßlos fühlt sie sich unselig Und es überkommt sie Reue, Daß sie aufgab einst ihr bess'res, Schönes, stilles Nixendasein In krystall'ner Strombehausung, Eingetauscht dafür des tollen Menschenseins enttäuschungsvollen Unbestand in ew'ger Unrast. Heimgekehrt zum grünen Rheine, Auf der Spitze ihres Felsens Mitternachts bei Sternenscheine Streift sie ab den eitlen Tand, Der den Nixenleib umflittert, Stürzt sich in die holdvertraute Dunkle Flut hinab mit Jauchzen. Doch wie wird ihr? Sie erschauert In der Kühle der kristall'nen Heimat auf dem Grund des Stromes. Nicht mehr gleitet durch die Wellen Sie wie einst, so leicht, so munter, Trübe schwinden ihr die Tage, Endlos lang die Sternennächte, Denn gelernt die Zeit zu messen Hat sie bei den Menschenkindern: Zeitlos rann in holdem Gleichmaß Einst der Stromesnymphe Dasein, Wie des Stromes Welle selber! Menschlich angekränkelt war sie Und verloren der Natursinn Längst, der laut're, der in schönem, Sel'gen Einklang einst ihr Wesen Hielt mit Himmel und mit Erde, Mit den Wellen, mit den Lüften, Mit den wandelnden Gestirnen. Losgerissen war sie, ach, Von dem mütterlichen Busen Der Natur, der unbewußten, Und doch auch nicht ganz vermenschlicht, Nicht durchwärmt vom Götterfunken Einer echten Menschenseele: Einer Menschenseele, fähig Echten Liebens, echten Leides ... Auf der schmerzenreichen Mutter Bildniß blickt die bleiche Schöne Mit den lebensmüden Augen: Und es blitzt in diesen Augen Auf ein Strahl schier wie des Neides . Und sie flüstert: »Hehres Weib, Gieb mir deine sieben Speere – Gieb sie mir, die sieben Speere, Die dein Mutterherz durchstoßen: Minder elend fühlen werd' ich Mich mit diesen sieben Speeren, Als mit dieser öden Leere, Diesem Ueberdruß im Herzen! .. So in Munkels, Lurleis Seele Zeigte sich das Leid der Welt, Sich das Leid der Zeit, das arge, Schauerlich auf seinem Gipfel. Ohne weit're Säumniß raffte, Als so weit gedieh'n das Unheil, Zu dem rettenden Gedanken, Dem titanischen Entschlusse Unser Held sich auf, der öden Existenz ein Ziel zu setzen Hier auf Erden und für immer. Doch wie sollt' er sie vollführen, Die titan'sche Retterthat? Neun der Tage, neun der Nächte Sann er nach und schier vergeblich. Und wie Zeus, als er der Weisheit Göttin dachte zu gebären, Mußt' er sich den Kopf zerbrechen: Aber nicht, um zu gebären Eine Welt – nein, zu vernichten ! Erst gedacht' er allgemeine Mörderische Hungersnöthe, Theurung durch Getreidewucher Zu erzeugen – neue Seuchen, Tödtlicher als all' die andern Einzuschmuggeln aus versumpften, Pesthauch-schwangern Erdenwinkeln – Oder große Völkerkämpfe, Rassenkämpfe zu entfesseln, D'ran die ganze Menschheit endlich Sacht vermöchte zu verbluten. Nationen, Natiönchen Hetzt' er grimmig auf einander. Kräftig waren diese Mittel, Doch zu schleppend schien die Wirkung. Trennung der Geschlechter pries er Als der Hoffnung letzten Anker: Plato's Liebestheorie Von den zwei verschied'nen Hälften, Welche erst zum vollen Menschen Sich ergänzen, stieß er um. Zahlreich macht' er Proselyten: Aber immer – Gott weiß wie? – Wurden Kinder noch geboren. Schwämerische Frau'nspersonen Predigten »spiritual love«, Und – und kamen in die Wochen. Einen Plan auch viel erwog er, Das Azot der atmosphär'schen Luft auf ein'ge Meilen hoch in Pikrinsäure zu verwandeln. Doch zu solchem Thun erwiesen Unerschwinglich sich die Mittel. Nach all' diesen und noch andern Aehnlichen Versuchen, welche, Halb gelungen, ganz gescheitert, Nicht vom Fleck die Sache brachten, Zeigte sich dem Geiste Munkels Als entscheidender Gedanke Dieser noch: einzuberufen Einen großen allgemeinen Weltkongreß der Seinsverächter . Zur Berathung sollten hierbei Sich aus aller Herren Ländern Unverweilt zusammenfinden Die erlesensten der Geister. So dann mit vereinten Kräften Würde man vielleicht gelangen, Meinte Munkel, zum erstrebten Ziel der Seins- und Weltvernichtung. Schließlich noch besann sich Munkel, Daß ja die gesammte Thierwelt Auch, die lebenden Geschlechter All', des Menschen Stammesbrüder Rings in Erde, Luft und Wasser Miterlös't zu werden trachten, Schmachtend in des Daseins Joche. Wär's erlaubt, sie auszuschließen, Wenn es gälte, zu erwägen, Wie am gründlichsten dem Leben Dieser siechen öden Erdwelt Sei der Gnadenstoß zu geben? War zum Glück doch der Gedanke Allgemeinsamer Berathung, Allgemeinsamer Verständ'gung Der gesammten Lebewesen Nicht mehr bloß Aesop'sche Fabel! Denn es hatte jüngst, durch Munkels Immer regen Geist ergrübelt, Eine allgemeine Sprache , Ein vereinfacht' Volapük , Unter allen Völkerschaften Und sogar bis in die Thierwelt Sich verbreitet – eine Sprache, Angepaßt den Stimmorganen Auch der Thiere: ganz aus Lauten Der Natur gebildet, Tönen Und Geräuschen in verschied'ner Stärke, wechselnder Betonung, Abgestuft in Höhe, Tiefe, Und begleitet von Geberden, Deutungsvoll dem Sinn vermittelt. Als Dolmetscher im Beginne Zwischen Menschen erst und Vögeln, Endlich der gesammten Thierwelt, Dienten gern die Papageien, Die mit Elstern, Staaren, Spechten, Uns're edle Menschensprache Längst schon leidlich radebrechten. Alsobald von nah' und ferne Strömten zu die Gleichgesinnten. Stolze Briten, spleenbehaftet, Nihilisten von der Moskwa, Tiefgelehrte Doktrinäre Und Kathederpessimisten Uns'res großen Denkervolkes, Buddhaisten auch aus Indien, Neben Negern, Lappen, Kaffern, Und noch vielen andern Völkern, Waren allzumal vertreten. Auch ein großer Schwarm von lauernd- Lauschenden Berichterstattern Kam aus aller Herren Ländern, Spitzen Stift in spitzem Ohre. Und gefolgt dem Rufe Munkels War, nicht säumend, auch die Thierwelt. Adler zwar und Greif und Löwe, Phönix und Simurg und and're Der erlauchter'n Thiergeschlechter Ließen sich entschuld'gen: aber Pica kam, die Elster, Rohrspatz, Eule, Fledermaus und Unke, Dompfaff, Wiedehopf und Guckuck – Papageien selbstverständlich – Und noch manche And're kamen. Ahasver, der ew'ge Jude, War, da unbekannt des alten Weltdurchwand'rers Aufenthalt, In den öffentlichen Blättern Aller Länder aufgefordert, Der Versammlung höh're Weihe Zu verleih'n durch sein Erscheinen. Er erschien und ward empfangen Allerseits von des Kongresses Gliedern mit den höchsten Ehren, Als der Todessehnsucht ält'ster Und ehrwürdigster Bekenner; Ward gehoben auf die Schultern Und im Kreis umhergetragen Unter allgemeinem Jubel. Gleich zum Alterspräsidenten Wählte man ihn dann durch Zuruf, Und so hatt' er zu eröffnen Feierlich den großen ersten Sitzungstag der Seinsverächter, Dieses Schwarms von »ew'gen Juden«, Welche nach dem Tod verlangten. Eine kurze Rede hielt er, Zitternd, dumpf, mit Greisenstimme, Und so blieb sie unvernommen; Nach dem Ausspruch der »Reporter« Mit den schärfst-gespitzten Ohren Zeugte sie von Altersschwäche. Als dann Munkel zur Eröffnung Sinn'ge Worte noch gesprochen, Tritt hervor zunächst ein deutscher Hochansehnlicher Gelehrter, Welcher die von ihm erfund'ne Therm-elektro-phonographisch Konstruirte, patentirte » Lust- und Unlustwage « vorweis't, Mittelst welcher er seit Jahren Täglich die von ihm und Andern Durchempfund'ne Lust und Unlust Bis zur unermeßlich kleinsten, Unbemerkbar-unbewußten, Abgewogen, ziffermäßig Dargestellt, protokollirt hat. Rechenschaft dann giebt er gründlichst Ueber das hierbei zu Tage Ganz unzweifelhaft getret'ne Defizit der Lust im Durchschnitt, Wobei er, gewissenhaftest, In Berechnungen sich einläßt Mit viel langen Ziffernreihen Und so manchem Dezimalbruch. Die Versuche eines andern Schätzbaren Kollegen, welcher Lust- und Unlustgrademesser Nach der Höhe solcher Sprünge, Wie der Mensch sie thut vor Freuden, Und der Tiefe Grad, in der er Hängen läßt den Kopf vor Unlust, Konstruirt – verurtheilt Redner, Nennt sie ungenau und kindisch. Günst'ger spricht er von der Absicht, Jägers »Lust- und Unlustdüfte« Anzuseh'n auf ihre Eignung Hin zu solcher Maßbestimmung. Mit Berufung ferner darauf , Daß nachweislich expandirend Wirkt die Lust, und kontrahirend Auf den Organism die Unlust, Glaubt er ziemliche Erfolge Sich versprechen auch zu dürfen Vom auf dies Prinzip gebauten Neuesten »Hedonometer«, Dessen Plan ihn just beschäftigt. Diesen Vortrag nahm mit lebhaft- Wissenschaftlichem Int'resse, Beifallspendend, gern zur Kenntniß Uns're preisliche Versammlung. Jetzt betritt ein spleenbeherrschter Britenlord die Rednerbühne, Und beginnt – nervöses Zucken Wetterleuchtet ihm im Antlitz – Zu ereifern sich: ein Wicht, Ein erbärmlicher Geselle Sei von je der Mensch auf diesem Schnöden Rund der Welt, mit welchem Gott und Teufel Fangball spielen! »Ha!« so ruft er, bitter lachend, »Dies Geschlecht der armen Wichte, Das so prahlt mit seinem Scharfsinn, Das so eitel pocht auf seine Riesigen Kulturfortschritte, Ist thatsächlich noch so weit nicht Fortgeschritten, zu erfinden Endlich eine Art von Knöpfen, Welche fest am Rocke sitzen! – Ja, der Mensch – ein armer Tropf ist's Von Natur und durch Verhängniß, Und was er auch immer treibe, Was er thue, was er lasse, Niemals kann er etwas and'res Als erbärmlich sein und elend. Schließ' ich einen Bund der Ehe, Werd' ich Hahnrei: laß' ich's bleiben, So verkomm' ich und verderb' ich Einsam, alt, als Hagestolz. Bild ' ich mich, je nun, so werd' ich Ein Pedant, ein raffinirter Kopfmensch, und es geht zum Teufel Herz, Gemüth mir und Natursinn! Thu' ich's nicht – ei, so verdumm' ich Und verthier' ich und bin schlechter Als das Rind, das brüllt im Stalle! O, die Menschen – hu! mich gruselt's! Wie kann diese Sippschaft einem Je gefallen, wenn er denken Muß bei Jedem in der Menge, Jedem, der ihm kommt vor Augen: Ha, der Bursche, der vor mir da Steht so ruhig und so harmlos, Trägt vielleicht in sich den Keim schon Einer fürchterlichen Krankheit, Die ihn hinrafft nächste Woche – Oder wird verrückt im nächsten Augenblicke – oder macht sich Schuldig in der nächsten Stunde Eines gräßlichen Verbrechens!!! – Und erscheint einmal erhaben Ob der andern Dutzendmenschheit, Der erbärmlichen, ein Erdsohn Durch Genie – sieht er nicht schmählich In den Wust und Dust des Alltags Wiederum herabgezogen Durch die hundert lächerlichen Kleinlichen Erbärmlichkeiten Seiner physischen Natur sich? Welche Prosa grinst aus Schillers Ewigem Katarrh und Schnupfen, Goethes, des Olympiers, Zahngebrest und Gliederreißen! – Ist nicht jede kleinste Stelle Uns'res Menschenleibs befähigt, Einer schnöden, martervollen Schmerzempfindung Sitz zu werden? Aber auf wie wen'ge Stellen Ist beschränkt das schale Bischen Lustgefühl im selben Leibe! Und schlägt nicht durch fortgesetzte Steig'rung jede Lustempfindung Alsbald in ihr Gegentheil um? Aber wann schlägt jemals Unlust, Wenn gesteigert, in Genuß um? Wann verwandelt, wenn zunehmend, Mißduft je in Wohlgeruch sich? Und wann eine Tracht von Prügeln, Wenn verdoppelt, sich in Wollust? Ha, verräth in solchen Dingen Nicht so recht die ganze Bosheit, Ganze Tücke der Natur sich? – Aber (fuhr der Redner fort In gesteigerter Erregung) Alles Menschenelends Krone Bleibt doch stets die Langeweile , Die unendliche, des Daseins! Ha, dies tägliche Sichauszieh'n Um sich wieder anzuziehen – Dieses tägliche Rasiren – Dieses siebzig, achtzig Jahr' lang Fortgesetzte, auch nicht einen Augenblick je unterbroch'ne Pulsgetick und Luftgeschnappe – Dies entwürdigende, schale Einerlei des Stoffewechsels Tag für Tag im langen Leben – Tod und Teufel! ist mein Leib denn Eine chemische Retorte? Nur ein Tummelplatz für Buhlschaft Oder Faustkampf der Molekel? Muß ich fröhnen des Naturlaufs Eigensinn'gen, närr'schen Launen, Wie der Holzklotz, wie der Erdkloß, Wie der dumme Stein am Wege? Bin Nußknacker ich, Pagode, Drahtfigur, Marionette? Und dann überhaupt das ew'ge, Unerträgliche Gebanntsein In dies leid'ge Ich – Ich – Ich – ha! Ich sein müssen, immer Ich, Eingefangen, eingepfercht sein Immer in dem eig'nen Selbst – oh! Dieses Selbst, das uns zeitlebens Sitzt als Huckepack im Nacken, Niemals abzuschütteln auch nur Eine flüchtige Minute, Ob man seiner noch so sehr auch Ueberdrüssig – dieser Popanz, Der man » ist « – ja, immer » ist «, Und den man im längsten Leben Doch so wenig kennt – so wenig Kennen lernt, als seinen – Rücken! Ist es nicht um toll zu werden?« – So der Sprecher, stets erregter, Wilder stets hervor die Worte Stoßend – jedes Wort ein Steinwurf. Jetzt aus Wolken tritt die Sonne, Und des Redners wirrer Blick fällt Auf den Schatten in der Sonne, Den er wirft. Hohnlachend ruft er: »Ei, da seht nur einmal den da! Ha! auch der zu all' dem Andern? Was nur will, was will er, dieser Ueberflüss'ge Doppelgänger Eines überflüss'gen Ich's? Dieses Zerrbild uns'rer eig'nen Wesenlosigkeit, was will es? Dies Symbol des wesenlosen, Schattenhaften großen Ganzen – Spiegelbild des großen Nichts , Welches doch so schauerlich, ha, Schauerlicher als der Tod ist! – Oder wär' er doch am Ende Nicht so nichtig als er aussieht, Der zudringliche Geselle? « – Unheimlich begann zu funkeln Und zu zucken und zu rollen Hier des Sprechers graues Auge: »In der That, ich trau' ihm nicht! Mir wird angst zuweilen, wenn ich Ganz allein mit ihm! Wer bürgt mir, Daß mich dieser Doppelgänger, Dies Gespenst des großen Nichts, Nicht auch einmal plötzlich anfällt, Sich von hinten auf mich stürzt, Mich mißhandelt, mich beraubt, Dann davon läuft und mich steh'n läßt Schattenlos im Sonnenscheine?« – Tief entsetzt auf seinen Schatten Starrt der Sprecher. »Ha, was fletschest Du die Zähn', erhebst die Fäuste, Reckst empor dich und bedräust mich Mit Grimassen und Geberden?!« – Vor den Mund trat jetzt der Schaum ihm; Wüthend auf den Doppelgänger Wirft er sich, das große Nichts. Er ist toll geworden – schleunig Wird er durch die schreck-ergriff'nen Hörer, die ihm nahe standen, Mit Gewalt von der Tribüne Nieder und hinweg geführt. Ihn ersetzt ein Moskowiter, Ein Prophet des »Nihilismus«, Welcher mit blasirtem Gleichmuth, Der in angenehmer Weise Absticht gegen die erregte Sprache jenes andern Redners, Nur so ein paar Worte hinwirft, Scharf und hart und kalt wie Dolche: » Alles muß vernichtet werden ! Solches will der Nihilismus. Was der Sinn sei, was das Wesen, Was das Ziel des Nihilismus? Dynamit ist's und Petroleum! Das Bestehende zu stürzen Ist das Erste, ist das Letzte. Alles muß vernichtet werden ! Nichts ist werth, daß es bestehe, Und Gott hat die Welt geschaffen, Nur daß sie der Teufel hole!« – Sprach's und schaute mit verglas'tem Geieraug' noch einmal um sich Und verließ die Rednerbühne. Tiefer ward gefaßt die Sache Von dem deutschen »Doktrinär«, Der hernach das Wort sich ausbat. » Alles muß vernichtet werden !« Hub er an. – »Ganz recht! so denk' ich Auch – so denken ja wir Alle! Doch der Weltvernichtungs-Losung » Dynamit-Petroleum « Sich're Trefflichkeit bestreit' ich: Denn es mangelt ihm die logisch- Metaphysische Korrektheit. So gewiß nach Schopenhauer Alles Sein und Leben einzig Ruht auf dem geheimnißvollen, Ruht auf dem all-Einen Willen, Welcher Wille ist zu leben , Und in seiner Unvernunft Blindlings sich die Welt geschaffen – So gewiß auch kann das Leben Einzig durch all-Eines Wollen, Nicht zu leben, aufgehoben, Ganz und gründlich und für immer Ausgetilgt, vernichtet werden. Aber nicht durch Einzelwillen! Solcher Wille kann nur tödten , Und der Tod, er kann das Leben Nur zertrümmern , nie vernichten ! Nein! vereinen muß in einem Und demselben Augenblicke Aller Wesen Lebenswille Sich, das Leben nicht zu wollen! Denn allmächtig ist der Wille, Zu vernichten diese Welt, Wie er's war, um sie zu schaffen. Was als ew'ger, allgemeiner, Der Urwille schuf, der blinde, Kann zurück in's Nichts auch stürzen Nur er selbst als ganzer, Einer. Und so liegt der Sache Kernpunkt Darin einzig, daß der Wille, An sich unvernünft'ge Wille, Eines Besseren belehrt nun Durch den reifen Intellekt, Sich in wiederhergestellter Metaphysisch-myst'scher Einheit Selbst bestimme, nicht zu leben, Dieses Dasein zu verneinen!« – » Hört !« erscholl's durch die Versammlung, Und fortfuhr der Sprecher, während Athemlos die Hörer lauschten. »Wenden wir an die Gesammtheit Aller Wesen uns des Erdballs! Wenn mit angestrengt-vereinter, Koncentrirter Willenskraft sie Sich entschließen, nicht zu wollen, Ist verneint der Lebenswille, Ist verneint das Leben selber, Und die große Seifenblase Welt in unserem Bewußtsein, Platzen wird sie plötzlich; schwinden Wird auch das Bewußtsein selber Mit dem Sein, das nur Bewußtsein! – Und so sprech' ich's denn gelassen Aus, das große Wort: an alle Menschlichen und Thiergeschlechter Dieses weiten Erdenrundes Ungesäumt ergeh'n zu lassen Eine Mahnung, unerhört, Eine Frage, nie vernommen: Ob gesonnen sie, so weiter Noch zu leben, ob sie vorzieh'n Diesem bitt'ren Sein des Nichtseins Ew'ges Dolce far niente ! Hier an unserm Bundesorte, Wenn nach Mondesfrist wir wieder Uns dahier zusammenfinden, Wird auf Schwingen der Elektrik Ungesäumt zu theil uns werden Aller Länder, aller Völker, Aller sterblichen Geschlechter Willensmeinungs-Offenbarung! Und erklingt das Todesurtheil Für die Welt, das große Nein , Tag und Stunde zu bestimmen Gilt es dann und kund zu machen Für den großen feierlichen Aktus der Gerichtsvollstreckung An dem Sein, dem tod-verfall'nen, Wo in einem und demselben Augenblick auf weiter Erde Nicht bloß in der Mehrzahl etwa – Nicht genügen würde Solches, Wie schon fälschlich ward behauptet – Nein, in Allen , wie ein Licht, Stracks erlöscht der Lebenswille, Und mit ihm, was er in blöder Jugendthorheit einst erzeugte Mit der Buhlin Phantasie: Dieses Traum- und Schaumgebilde, Das wir Welt zu nennen pflegen!« – Aufgenommen ward mit Staunen, Mit Verblüffung und mit ries'gem Beifallsjubel dieser Vorschlag. Aber Munkel gab das Wort jetzt Den Vertretern auch der Thierwelt. Und sie traten auf und sprachen, Und bewiesen, daß Verstand nicht Und Vernunft es war und Einsicht, Was bisher gebrach den Thieren, Sondern nur die Redegabe. Allen Andern that der Rohrspatz Es zuvor in bitterbösem Schelten auf die Welt, die arge, Ihren Schnabel wetzte blinzelnd Zu des Lichts Unglimpf die Eule, Wimmerte, ein Elend sei es Für die schnöden Taggeschöpfe, Daß der wohligen, der stillen, Süßen Dunkelheit entrissen, Gleich bei'm ersten Augenaufschlag Sie das Licht der Welt erblicken, Diese unverschämte Helle! Lebhaft schwatzend, ohrzerreißend, Gab der Papagei zu hören Das von Anderen Gesagte Und erging sich in Citaten Ohne Zahl aus allen Büchern Aller Sprachen, die des alten Weltleids je Erwähnung thaten. »Selbstverneinung, allgemeine Selbstverneinung,« schnarrt' er schließlich, »Ja, das ist's! Als genialer Blitz am höchsten Geisteshimmel Zuckt' er auf, der Hochgedanke! Ha, mit dem Gedanken beißt sich In den Schweif die Weltenschlange, Sich zur Null des Nichts zu ründen! Weltgeschick, vollende dich! Hurrah!« schloß er kreischend, krächzend, »Hurrah, hoch die Selbstverneinung, Weltverneinung, Allverneinung!« – Ungesäumt nun an des Erdballs Völker ward entsandt die Botschaft, Und an alle Thiergeschlechter. Festlich schloß des hohen Wirkens Der Versammlung ersten Ablauf Ein Bankett. Unzähl'ge Toaste Wurden ausgebracht: auf Munkel Allvoran, dann auf den greisen Ahasver – auf Schopenhauer – Auf den Gott der Weltvernichtung Shiva – auf den Tod – das Nichts . Becher blinkten, Pfropfen knallten. Schließlich, um die Geisterstunde, Brüllten Ein'ge » Gaudeamus Igitur « – »Freut euch des Lebens« – Doch das war ein wüster Traum nur, Draus sie tiefbeschämt erwachten. – Und des Erdballs leidbedrängte Wesen alle, sie vernahmen Die Verkündung und erwogen All' ihr Uebermaß des Leides, All' die Drangsal und Beschwerde, Ihr vergebliches Bemühen, Ihr verlornes Sinnen, Trachten, Und den Trug des falschen Glückes; Und es war das Endergebniß, Das erklang in tausend Sprachen: »So kann es nicht weiter gehen! Laßt uns denn ein Ende machen!« – Also schien das schöpferische Urprinzip der Welt, der blinde, Blöde, unvernünft'ge Wille, Endlich zur Vernunft gekommen, Und besann sich und erklärte Sich bereit, nicht mehr zu wollen! Mit gehobenen Gemüthern Lauscht man diesem Endergebniß An dem Mittelpunkt der Dinge, An dem hohen Bundesorte. Und nun traten sie zusammen, Der Versammlung edle Häupter, Tag und Stunde zu bestimmen Für den großen, feierlichen Akt der heil'gen allgemeinen Weltverneinung, Weltvernichtung, Wo durch das all-Eine, kräftigst Auf das hohe Ziel vereinte Wollen aller Creaturen Sich zur Wirklichkeit gestalten Soll die Riesenkatastrophe. Und der Tag, den man bestimmte, War: der erste des April. Und die Stunde war die zwölfte Nach des Thurmes Stundenweiser An des hohen Bundes Stätte. Für die andern Erdenorte Ward sie festgestellt entsprechend Von den besten Himmelskund'gen. Und der Tag, er kam heran, Und die Stunde, sie war nahe. Des Kongresses edle Glieder Lauschten, blaß, ernst, stumm geworden, All' in weihevoller Spannung. Von des Thurmes Höh' erdröhnte Schlag für Schlag die zwölfte Stunde, Und der letzte war verklungen. Der Moment, er war gekommen, Wo sie platzen sollte plötzlich, Jene große Seifenblase Welt im menschlichen Bewußtsein ... Ineinanderzittern sollten Aller Willenskräfte Ströme Zu dem mystisch-metaphysisch- Einheitlichen Willensschlusse: Nicht zu wollen ... Jetzt verfinsterte die Sonne Sich am Himmel, und der Mond, Wie ein düst'rer Todesherold, Trat im weißen Leichenlaken Zwischen Sonnenrund und Erdball ... Dunkel ward's und dunkler immer, Und die Finsterniß umhüllte Mit den Schrecknissen der Nacht sich, Gleich als wäre sie die letzte. Alle Fledermäuse schwirrten, Alle Todtenwürmer pickten, Alle Raben, alle Geier Schwärmten lauernd in den Lüften, Alle Unken in den Weihern, Alle Eulen in den Wäldern Und Rohrdommeln in den Sümpfen Stöhnten, ächzten, und gespenstig Durch die Nacht erdröhnte fernher Die geheimnißvolle Stimme, Die man Nachts vernimmt auf Ceylon – Schauerliche Töne klangen, Wie der nächt'ge Todesangstruf Eines Rosses, das verendet Unter Leichen auf dem Schlachtfeld ... Einen kurzen Augenblick, traun, War's, als ob das Weltenschicksal Nur an einem Faden hinge – War's, als ob die Erde bebte, War's, als ob ein Schauer ginge Durch das Herz der Welt, der Dinge ... Plötzlich doch – bei Seite stoßend Jenen fahlen Todesherold Und des Schleiers Saum zerreißend, Trat aus ihrem düstern Dunkel Vor die gold'ne Sonn' und – lachte. Und die Wasser rauschten lachend, Und die Winde wehten kichernd, Und auf allen Wölkchen, welche Durch den blauen Himmel zogen, Saßen Geisterchen und lachten. Frühling war's – die Erde glänzte Blumen-überstreut und lachte. In der Bergesschlünde Tiefen Saßen Zwerge, saßen Gnomen, Hielten sich den Bauch vor Lachen. Ueberall in Luft und Wasser, Höh'n und Tiefen scholl ein Kichern, Scholl ein Lachen; selbst der Himmel Machte jenen Lieblingsausdruck Der Poeten wahr und lachte. Selbst die Sterne guckten diesmal Ausnahmsweis' am hellen Tage Aus der Weltenferne tiefstem Hintergrund hervor und lachten ... Was geschah in jenem großen Augenblick, als alles Lebens, Aller Willenskräfte Ströme Ineinander sollten zittern Zu dem mystisch-metaphysisch- Einheitlichen Willensschlusse: Nicht zu wollen ? – Was geschah – Niemand ahnt' es; von den damals Lebenden erfuhr es Keiner. Nur die Muse kann es sagen, Und sie will es nicht verhehlen. Ach, gescheitert ist das hohe, Hehre Werk nur an dem Frevel Eines blöden Liebespaares! Eines blöden Liebespaares, Das die Finsterniß verlockte Sich zu küssen – weltvergessen – Und das dann im Augenblicke, Dem entscheidenden, zu spät kam Zur einmüth'gen Weltverneinung! – Dieses Liebespaar, das blöde, Eldo – Eldo war's und Dora , Die nach langer, langer Trennung Just an diesem Schicksalstage Durch des Zufalls Gunst und Fügung Unverhofft sich wiedersahen. – Alles Lebens Pulse schlugen, Gleich als wäre nichts geschehen. Eines nach dem Andern schlichen Sich hinweg die edlen Glieder Vom Kongreß der Weltverneiner, Stumm, beschämt, die Köpfe schüttelnd, Einer meinte, schlecht gewählt Sei die Jahreszeit gewesen Für den Tag der Weltverneinung: Denn der Wille, nicht zu wollen, Sei bekanntlich schwach im Lenze. Ach, was half dir's, armer Wille, Daß vernünftig du geworden? Ach, du bist zu schwach gewesen! Stark genug bist du gewesen Schaffend diese Welt zu wollen , Aber nicht, sie nicht zu wollen! Alles kann der Lebenswille, Scheint's, nur nicht: sich selbst nicht wollen! – Munkel und der ew'ge Jude Sind allein zurückgeblieben, Steh'n versenkt in tiefes Sinnen. »Wiederum im Stich gelassen Hast du mich, elende Menschheit!« Ruft in wilder Zornerregung Munkel. »Thor, wer hofft, zu großem Wollen je dich zu vereinen! Eure matte Selbstverneinung, Thöricht eitle Erdenkinder, Fastnachtsposse ist's für Götter! Eure Sehnsucht nach dem Tode, Mit der ihr so gerne flunkert, Ist ein Wahngeschwätz von Kindern, Die nicht wissen, was sie wollen! Und wenn Einer selbst sich tödtet, Ist's ein übereilter Schritt, Den er flugs bereuen würde, Wenn dazu die Zeit ihm bliebe! Ihr erklärt für lebensmüd' euch, Und doch wünscht von euch ein Jeder Die neun Leben sich der Katze Insgeheim, anstatt des einen . Nicht der Thierwelt will ich grollen, Schmachvoll aber für die Menschen Ist's, daß sie in ihrem Dünkel Denken, handeln wie die Thiere! Ha, ihr Elenden, die ihr euch Hohe Wesen dünkt, als »echte« Menschensöhne, als » gezeugte «, Ja sogar als » gottgeschaff'ne «, Und verachtend blickt auf mich, Mich, den Sprößling der Retorte: Hört! noch wen'ger Grund zum Stolze Hat auf das, was er geschaffen, Seine Menschen, seine Welt, Euer Gott in Himmelshöhen, Als mein chemischer Erzeuger Auf die Schöpfung seiner Hände. Und gedenkend, was bei euch ich, Mit euch durcherlebte, sag' ich: Gottgeschöpfe, ich veracht' euch Allesammt – ich, der Homunkel! Schnöde Welt! den Rücken kehr' ich Dir auf immer! Dich dir selber Ueberlass' ich, überlasse Dem gewohnten, dem verdienten Elend dich des Weiterlebens !« – Spricht's und sucht die tiefste Wildniß. Seufzend greift der ew'ge Jude, Der den herben Zornesworten Still und scheu gelauscht und zitternd, Gleich als hätt' erneut, verschärft, ihn Jetzt der alte Fluch getroffen, Nach dem alten, knot'gen, morschen Wanderstab und humpelt weiter. 10. Gesang: Ende ohne Ende Zehnter Gesang. Ende ohne Ende. Aus der Welt sich in die tiefste Einsamkeit zurückzuziehen Dachte Munkel. Aber schwer ward's Ihm, zu finden eine solche. Giebt es tiefe Einsamkeit noch? Giebt es noch ein Fleckchen Erde, Das unsicher nicht die Neugier Macht, der Unternehmungseifer Oder auch nur schnöde, müss'ge Bummelei der Menschenkinder? Endlich schien ein Felsgebirg' ihm Oed' genug für seine Zwecke, Klüfte, voll von Urweltsknochen Und verlass'nen Drachennestern, Boten ihm ein jungfräuliches, Nie betretenes Asyl. Und hier warf sein reger Geist sich Mit dem ganzen zähen Eifer Und dem Starrsinn, der ihm eigen, Auf das einz'ge Feld, auf dem er Seine Kraft noch nicht erprobte: Das des Forschens, der Erkenntniß, Auf das Feld der Wissenschaften. Jeden Grund wollt' er ergründen; In die schwierigsten Probleme Und Projekte sich versenkt' er, Und sein Ziel war, zahm zu machen Die Natur, sie zu beherrschen, Ganz als eine Art von Hausthier Für den Geist sie einzujochen, Zu dressiren die Gewalt'ge. Ist nicht Wissen Macht? Ihm sollt' es Zum Organ noch unerhörter Zaubermacht und Herrschaft werden. Als ein umgekehrter Faustus Aus dem Leben zu den Büchern Wandt' er sich, und unablässig So studirend, meditirend, Saß ein Loch er in den Steinsitz Seiner Felskluft. Oft geschah es, Daß die Spinne ihr Gespinnst, Wie sie sonst es thun an Büchern, Um den Leser selbst nun woben, Um den einsam Regungslosen, Und nie konnt' er los sich machen Ganz vom Wust, in den ihn Spinnen Und Gedanken eingesponnen, Merkend nichts mehr, was bei Menschen In der Welt rings umher vorging, Ward er, als man, einen Tunnel Mitten durchs Gebirg' zu bohren, Steine brach und Felsen sprengte, Ungesehen, ungeahnet, Mitgesprengt sammt seiner Felskluft In die Lüfte. Hülflos lag er Und bewußtlos lange Tage. Doch er lebte. Als er endlich Aus der lastenden Betäubung Los sich ringt und langsam, langsam Aufschlägt die noch todesmüden, Todesschlummer-trunk'nen Augen – Welche Grau'nerscheinung, ha! Beut sich seinen ersten Blicken? Ueber ihn sich beugend, kauert Dicht vor ihm ein Scheusal, starrt ihm Keck in's Antlitz, zähnefletschend. »Träum' ich noch?« fragt Munkel; »lieg' ich Noch in Fieberphantasien?« Aber nach dem ersten Schrecken Sich ermannend, schaut er muthig Aug' in Aug' dem Ungeheuer. Ach, ein matt-verblaßt' Erinnern Taucht empor in seiner Seele! Ein Erinnern längst verscholl'ner Dinge – Bilder aus Lemurien ! Diese Ungestalt, dies Unthier, Ist es nicht ein Orangutong? Ist es nicht geflügelt? schleppt es Hinter sich nicht einen langen Schupp'gen Drachenschwanz? – Kein Zweifel: Es ist Draco ! – Ja, er ist es! Munkel war nicht feind dem Draco; Fühlt' er doch im Gegentheile Insgeheim sich ihm verpflichtet. Hatte nicht der Flügelaffe Ihn befreit von seinem schnöden Nebenbuhler, jenem Krallfratz? Und da nun auch Draco selbst sich Schien auf Munkel zu besinnen, Keine Eil' auch schien zu haben, Ihm ein Leides zuzufügen, Sprach, ein Herz sich fassend, der ihn An in halbvergess'nen Lauten Jener kräft'gen Satyrsprache, Die zu herrlicher Vollendung War gediehen in Lemurien. Draco freilich sprach die Mundart Seiner väterlichen Ahnen Mehr mit bestial'schem Ausdruck Und mit zischender Betonung, Die vererbt ihm ohne Zweifel War von mütterlicher Seite. Doch die Beiden, sie verstanden Leicht einander und erzählten Sich in langen Mußestunden Ihre wechselnden Geschicke. Draco nun, vernehmend, Munkel Suche eine tief verborg'ne Stille, sichere Behausung, Bot ihm gastlich an die seine; Führte durch ein dunkles, krauses Labyrinth von neun gewund'nen Klüften ihn in eine zehnte, Tief im Schoß der Erde, welche An Verborgenheit, an Stille, Nichts mehr übrig ließ zu wünschen, Und geschützt durch ihre Lage War auch gegen Sprengversuche Frevelhafter Menschenhände. Alsbald war der Flügeldrache Munkels treu'ster Freund und Diener. Unergründliche Naturmacht, Sympathie geheimer Art schien Zu verknüpfen bald das Wesen Dieses wunderlichen Mischlings Dem Homunkel. Nahrung schafft' er, Wie sie, karg zwar, bot die Wildniß, So daß Munkel ganz sich widmen Konnte seiner Denkerarbeit; Ließ sich bald auch rüstig brauchen, Holz zu fällen, Erz zu graben, Werkgeräth sogar zu schmieden. Schäbig ward der Drachenschweif ihm, Abgerieben, fast verkümmernd, Bei so rührigem Bemühen. Auch vor Feinden schützte Draco Seinen Herrn, vor Faunen, tückisch- Wilden Wald- und Bergkobolden, Schützt' ihn namentlich vor seinen – Draco's – eigenen Verwandten, Seinen Tanten, Basen, Vettern, Welche rings in Klüften wohnten, Und im Gegensatz zu Draco's Aeffischem, behenden Wesen, Unheil brütend, träumend lagen Auf den langen Wickelschwänzen. Allgemach jedoch erstreckte Des Homunkels Zaubermacht sich Ueber all' die Höh'n: im Bunde Mit dem riesenstarken Draco Unterwarf er die gesammte Fauna sich der grausen Wildniß. All' die Wald- und Bergkobolde, Gnome, Greife, kluge Raben, Und die trägen Drachen selber Waren ihm zuletzt behülflich, Aufzurichten, auszurüsten Eine ungeheure Werkstatt, Tief im dunklen Schoß der Erde, Zu gestalten, auszuführen, Was sein Geist ersann von hohen Wundern der Naturbeherrschung. Karg genährt von Wurzeln, Kräutern, Trotz der Schätze, die noch sein, Aufgespart für große Zwecke, Und die Schwächen, die Gebreste Tragend des Homunkelthumes, Seiner künstlichen Erzeugung, Schrumpft' er ein beinah' zum Gnomen, Zum Alraun, zum zwerghaft welken, Aber zaubermächt'gen Kobold. Alt nun war er längst geworden, Aber durch Verjüngungstränke, Die er selber sich gebrauet, Tilgt' er zwar nicht die Verschrumpfung Seines Leibes, noch die Runzeln Seiner Züge, doch geschmeidig, Fiebrisch-regsam seine Glieder Noch erhielt er, und je mehr ihm Abstarb des Gemüthes Leben, Um so schärfer stets nur spitzte Sein Verstand sich zu, sein Scharfsinn, Um so feiner nur gedieh' ihm Das Gespinnst der Grübeleien. Er erfand und konstruirte Eine kleine Denkmaschine , Ein »Dianoëtikon,« Das wie eine Taschenuhr man Bei sich tragen konnt' im Sacke, Und das man nur in der Weise, Wie's entsprach dem Denkprobleme, Aufzuziehn, zu stellen brauchte, Um die bündigste, die klügste, Unbestreitbar-beste Lösung Des Problemes zu erhalten. Nach dem Muster dieser kleiner'n Denkuhr konstruirte Munkel Eine and're, zu vergleichen Herschels Riesenteleskope. Und mit Hülfe dieses Werkzeugs, Dieser Riesendenkmaschine, Drang nun Munkel in die tiefsten Tiefen der Natur und zwang ihr Antwort ab auf alle Fragen, Und Erfindungen gelangen Seiner Kunst und seiner Einsicht, So erfolgreich, so gewaltig, Und damit aus ihren Angeln Die Natur, die Welt zu heben. Er erfand auch, rastlos grübelnd, Ein Universal-Heilmittel; Ferner ein Vergnügungsmittel In der Art des türk'schen Haschisch, Aber von so unfehlbarer, Großer, zauberischer Wirkung, Daß zur Lust das Dasein werden Und für immer schwinden mußte Alles Leid und Weh' der Erde. Nur ein Spiel ihm war's, mit Hülfe Der Magnet-Elektro-Thermik Zu erzeugen Ungewitter, Nordlicht, unterird'sches Beben, Hagel, Reif und Schneegestöber. Unbenützte Kraftvorräthe, Die in ungeheurem Umfang Aufgespeichert sind im Haushalt Uns'rer Sphäre und des Kosmos, Die Bewegungen der Winde, Wasser, Wolken, Sterne – dacht' er Nach Prinzipien der Einheit Aller Kräfte, und der Wandlung Aller Kräfte ineinander, Dienstbar seinem Zweck zu machen, All' die niedern in die höher'n, Die Bewegungen, die Wärme, Elektrizität in Lebens- Und in Denkkraft umzusetzen. Umgekehrt sodann erwog er, Wie nach gleichen Kraftgesetzen Das nutzlose geist'ge Streben Mancher Menschen, Dichter, Künstler, Uebermäßig starker Herzschlag Der Verliebten, die zwecklose Rührigkeit von Pflastertretern Und von andern Müssiggängern Nützlich wäre zu verwerthen. Zu verwandeln, umzusetzen In mechanische Bewegung Zum Betriebe von Maschinen. Was schon Büchner wußte, daß man Heizen könne Wohngemächer Auch mit einem Wasserfalle, Einem Strom, Windmühlen, Rädern, Dacht' er praktisch auszubeuten. Durch das Aufeinanderplatzen Auch der Geister und die Reibung Der Parteien, meint' er, wären Ries'ge Wärmekraft-Vorräthe Hergestellt, die sich mechanisch Nützlicher verwerthen ließen. Windmühlflügel wollt' er treiben Mit dem »Wind«, den Manche »machten«. Wissend, daß des Licht's Erscheinung Und des Klanges und der Wärme, Des Magnets, Elektrons Wunder, Des Chemismus, und sogar auch Die des Lebens und des Denkens Ruhen auf dem mehr und minder Raschen Pendeltanz der Schwingung , Schuf er grübelnd aller Wunder Größtes, schier ein Zauberwesen, Ueberbietend als Erfindung Selbst die Riesendenkmaschine! Tief und fest ins Erdreich steckt' er Einen Stab, und den verstand er Wie ein Metronom (von Meltzl) Zu versetzen in jedweden Grad von Schnelligkeit der Schwingung. Schwang der Stab in der Sekunde Zweiunddreißig mal, so gab er Einen dumpfen tiefen Baßton, Dann sich immer rascher schwingend, Einen höhern, bis zum höchsten, Der vernehmbar noch dem Ohre. Dann zu Schwingungen von ungleich Rascher'm Tempo übergehend, Hub er mählich an, um sich her Eine angenehme Wärme Zu verbreiten; dann begann Allgemach zuerst ein schwaches Rothes Licht an ihm zu dämmern, Dann ein gelbes – dann ein grünes: – So die ganze Farbenskala Bis zum Violett durchläuft er. Rasch so, rascher, immer rascher, Immer rasend-rascher schwingend, Mit Millionen und Billionen Schwingungen in der Sekunde, Zeigt der Stab die Phänomene, Zeigt die hohen Wunder alle, Die wir Magnetismus nennen, Elektrizität, Chemismus – Und nachdem er in undenkbar- Schnell'stem Schwung zuletzt erreicht hat Jene Zahl von Billionen Schwingungen in der Sekunde, Deren Resultat das Leben , Reißt er von der Erde Grund sich Plötzlich los und – läuft von dannen: Denn er lebt – er lebt und denkt ! Er auch ein Homunkel, traun, Wenn auch auf ganz ander'm Wege, Auf unendlich kürzer'm Wege Hergestellt – à la minute – Als der and're, der ihn machte. Froh der Vaterschaft war Munkel, Und in seinem Stolz, in seiner Freude setzt' er in die Welt noch Viele ähnliche Homunkel, Die in ihr umher nun laufen. Wie das Sehrohr zeigt dem Auge Dinge, welche sonst nicht sichtbar, So erfand ein Hörrohr Munkel, Das dem Ohr aus weiter Ferne Alle Töne nahe brachte – Töne ferner, die mit freiem Ohr wir nie vernehmen würden, Und die deshalb auch bis dahin Unbekannt uns Erdensöhnen, Weil sie viel zu dumpf und leise: Wie der Infusorien Sprache, Zärtlich-trauliches Geflüster Eines Falters mit der Rose, Die verschwiegensten Gedanken Tief im menschlichen Gehirne, Eines Schuft's Gewissensstimme, Und der Hülferuf der Jungfrau'n; – Oder weil zu fern ihr Ursprung, Oder weil zu tief, zu hoch sie Für ein Ohr – selbst für das längste. Auch die Harmonie der Sphären Ward erlauschbar durch dies Hörzeug. Aber auch den andern Sinnen Wußte Schwingen zu verleihen Munkels Scharfsinn. Grübelnd schuf er Riech- und Schmeck- und Tastgeräthe, Die das Fernste nahe brachten, Es zu riechen, es zu schmecken, Es zu fühlen, zu betasten, Und die das unmerkbar Feinste Wahrzunehmen noch erlaubten Mit Geruch- und Schmeck- und Tastsinn, So daß sich erschließen mußte Eine neue Welt den Sinnen. Gleichberechtigt mit den höher'n Sinnen waren jetzt die niedern, Und zum Organon des Wissens, Wie zuvor das Sehen, Hören, Ward das Wittern und das Schnüffeln. Auf den wundersamen Umstand, Daß das Licht, und mit dem Lichte Das, was auf des Lichtes Schwingen Trifft das Aug' – der Dinge Bilder – Manch' Jahrhundert, manch' Jahrtausend Zeit sich nehmen, von den fernsten Sternen bis zur Erde nieder, Und von da zu jenen Sternen Zu gelangen, so, daß Sterne, Welche längst verkohlt, erloschen, Wir noch stets am Himmel sehen – Auf so wundersamen Umstand Gründete den keck'sten Luftsprung Seines Genius der Homunkel. Wem gereicht' es nicht zu hoher, Uebermenschlich-hoher Freude, Zur Erfüllung eines oftmals Tief und warm gehegtem Wunsches, Menschen, welche längst dahin sind, Weise, Helden, schöne Frauen, Welche todt schon manch' Jahrtausend, Leibhaft lebend zu erblicken Einen einzigen Moment nur – Dieses, jenes längstvergang'ne Welthistorische Geschehen Nachträglich in seiner vollen Wirklichkeit, in seiner nackten Wahrheit noch mit anzusehen? Uebermenschlich scheint die Sache, Scheint unmöglich, scheint undenkbar. Nein! sie ist es nicht! Geläng' es, Dachte Munkel, von entferntem Fixstern hoch herabzuschauen Auf das Erdenrund, so würde Man auf ihm, mit Hülfe bester Fernrohrlinsen, längst Vergang'nes Noch erschau'n als gegenwärtig! Auf Athens erhab'nem Burgberg Sähe man vielleicht noch wandeln Perikles, Aspasia – Säh' am Hellespont den Xerxes Mit den Seinen, oder Cäsar Sinnend stehn am Rubikon, Säh' mit Plato sich ein Stück noch An des Aristophanes Im Theater des Dionysos, Und mit Nero eine Thierhatz' In der römischen Arena. Zu berechnen nach Entfernung Der verschied'nen Sterne wär' es, Welcher Stern zum Standort dienlich, Eben dieses, eben jenes Längst Vergang'ne noch zu schauen. Einzig gält' es, zu versetzen Sich mit Leichtigkeit auf Sterne Mittelst eines Luftvehikels, Dessen Schnelligkeit unendlich – Um damit den nöth'gen Vorsprung Zu gewinnen vor dem Lichtstral . Dies Problem zuletzt zu lösen Noch mit Hülfe seiner Riesen- Denkmaschine hoffte Munkel. Unterdessen wollt' er darauf Koncentriren sein Bestreben, Zu erschließen, zu erproben Neue Mittel erst und Wege Des Verkehrs im Sternenreiche. Ach, der Mensch – und hätt' er alles Höchste hier erreicht auf Erden, Ewig strebt er in die Ferne, Selbst vom Erdrund weiter, weiter, Bis hinauf ins Reich der Sterne. So auch Munkel. Nichts gethan noch Schien ihm schließlich, wenn er müßte An der ird'schen Scholle kleben. Jedes Sperlings Flug in's Weite Dünkt dem Strebenden beschämend, Ist für ihn ein ew'ger Vorwurf; Und die Schwingen zu ersetzen, Die ihm fehlen, bleibt des Menschen Schönster Traum von Anbeginn. Sollte nicht auch dies gelingen? Ist er doch nichts Neues, dieser Aufschwung sterblicher Geschöpfe Von der Erde hoch in's Blaue! Schauten nicht seit grau'ster Urzeit Die verwunderten Gestirne Schon so manchesmal ein Erdkind, Das den Weg nach oben einschlug? Denkt an Ikarus und an sein Wachsgefieder, das ihn aufwärts Tragen sollt' der Sonn' entgegen; Denkt an Phaëton, der kühnlich Mit des Vaters Flammenrossen Auf der Sonnenbahn sich umtrieb; An Bellerophon, den Eigner Des bekannten Flügelrosses, Das seither Poeten tummeln; An den Hirten Ganymedes, Den der Aar des Zeus, an Psyche, Die der Liebesgott emportrug; An Trygäus, der auf einem Käfer, einem ganz gemeinen, Reitend zum Olymp gelangte; Denkt an Ikaro-Menipp, Der auf einem Paar von Flügeln, Einem Adler eins und eines Einem Geier abgeschnitten Und geheftet an die Schultern, Seinen Himmelsflug versuchte; An den alten Perserkönig Kai Kawus, der, nach Firdusi, Einen Thron sich ließ erbauen, D'ran ein Doppelpaar lebend'ger Adler war gebunden, welche Hoch ihn über Wolken trugen, Ueber Sterne, bis er freilich Stürzte und beinah' den Hals brach; An Domingo Gonzales, (Don Gonzago), der auf einer Gans zum Mond die Reise rittlings Machte, die er dann beschrieben? An den großen Dichter Dante, Welchen seine Beatrice – Nicht die erste, nicht die letzte Schöne, die so that dem Liebsten – In das Paradies entrückte; Zu geschweigen von den andern Dichtern, welche nach Belieben Sich auf gold'nen Wolken wiegen. Und ward jenes ew'ge Blau nicht Wiederholt zum Schauplatz ries'ger Kämpfe zwischen Erd' und Himmel? Tummelten sich nicht da wilde, Himmelstürmende Titanen? Stürzten nicht von da die Engel, Himmelsengel, als Rebellen In des Höllenabgrunds Tiefen? Sperrten da nicht einst die Vögel, Angeführt von den zwei Schelmen Aus Athen, den ew'gen Göttern Keck den Weg zur schönen Erde Durch ihr Wolkenkuckucksheim? – Keine allzu unwegsame Gegend also ist sie, diese Gegend zwischen Erd' und Himmel – Der Verkehr ist ziemlich lebhaft ... So erbaute denn ein Luftschiff Der Homunkel. Kinderspiel war Solcherlei für ihn, sein Wissen, Seine Kunst und sein Genie! Lenkbar war das Schiff und tausend Menschen faßt' es; sechs Stockwerke Thürmten eins sich ob dem andern In des Schiffs Gerüst; versehen War's mit Allem, was ein Mensch nur Wünschen mag auf einer Weltfahrt. Zu des Schiffes Luftball hatten Seidenwürmer, welche Munkel Eigens zu dem Zweck gezüchtet, Eine Seidenart geliefert, Deren Feinheit unerhört, Deren Stärke fabelhaft war. Und die Taue, die den Luftball Mit dem Riesenschiff verbanden, Diese waren das Erzeugniß Einer Art von Riesenspinnen, Welche Munkel unverdrossen Allgemach im Lauf der Jahre Nach Darwinischen Prinzipien Aus der stärksten Art von Spinnen, Die wir kennen, aufgezüchtet Bis zu einer Riesenrasse, Welche Riesentaue spann, Dick und stark und unzerstörbar. Nicht durch Sturmgewalt, noch Feuer Waren jemals zu zerstören Diese Seide, diese Taue. Ganz zu unterst lag im Schiffsbauch Das Gelaß zur Luftbereitung , Ueber ihm die chem'sche Küche Zur Ernährungs-Grundstoff-Mischung, Deren Elemente stetig In des Stoffewechsels Kreislauf Immer wieder her sich stellten. Unter'm Schiffsgeräth befand sich Munkels herrlich' Riesen-Sehrohr, Und sein unvergleichlich Sprachrohr, Und sein wundervolles Hörrohr, Und sein zauberhaftes Riechrohr, Um mit allen Sinnen machtvoll Alle Winkel so des Weltraums Zu durchspüren, zu durchstöbern. Und so konnte unbekümmert Um den Lauf der Dinge Munkel Mit dem Riesen-Luftschiff, tausend Menschen fassend, das er aber Erst allein erproben wollte, Trotz der Zeit, dem Raume bieten! Als da fertig stand mit seinem Hochgethürmten Kielgerüste Das gewalt'ge Fahrzeug Munkels, Und, wie schwer auch, leicht empor sich Schwingend, wie der Erdball selber Schwamm im Blau, da war's, als hätte Babels Thurm, nun doch vollendet, Losgerissen sich vom festen Grund und hinge, tanzte schwebend Jetzo zwischen Erd' und Himmel. Flügelschlagend, keck umkreiste Munter das gewalt'ge Luftschiff Munkels einziger Begleiter Auf der stolzen Luftfahrt: Draco; Saß dann wieder auf des Fahrzeugs Borde rastend, starrte nieder, Halb entsetzt und halb vergnügt In die bodenlose Tiefe, Grinsend und die Zähne fletschend. Hoch empor flog Munkel pfeilschnell, Bis des Erdballs weites Halbrund Von dem einen Pol zum andern Seinen Blicken sich enthüllte. Und des Halbrunds Regionen Uebersah mit Einem Blick er: Sah die Region des Erdreichs, Sah die Region der Wasser, Sah die Region des Sandes, Sah die Region des Eises. Tiefblau erst, dann graulich glänzend, Lag das Meer – einkrümmt ' es mählich Sich zu einer Riesenschale, Schien ein Spiegelbild der blauen Umgekehrten Himmelswölbung. Die beschneiten Alpenzüge Glichen langgestreckten Häufchen Schnee's, wie man auf Markt und Gassen Sie zusammenfegt im Winter. Flüsse zogen sich wie blaue Adern hin im Leib der Erde; Gelb als Gürtel schlang um ihre Mitte sich der Sand der Wüsten. Eiseswüsten starrten schaurig, Endlos um die todten Pole. Eiseswüsten, Sandeswüsten – Wasserwüsten – und ein wenig Land dazwischen für den Menschen! – Mit Erstaunen, mit Entsetzen Sieht die Menschenwelt das Wunder, Den Koloß, des Luftreichs Babel, Ueber's Hochgebirg sich heben: Eines ganzen Erdhalbrundes Augen sind gekehrt nach oben, Festgebannt, so lang das Wunder Sichtbar bleibt für Menschenaugen In des Aethers Regionen. Stolzes, hohes Selbstgenügen Schwellt die Seele des Gewalt'gen, Der auf sich, wie vor ihm Keiner, Lenkt der Erdgeschlechter Blicke; Hochgemuth an seine Lippen Setzt er stracks sein Riesensprachrohr, Und wie Donner aus Gewölken Läßt er zu den Menschenkindern Dumpf die Kunde niederdröhnen: »Seht das Werk nun des Homunkels, Den ihr nicht gekannt, gewürdigt! Seht den Flug, der Scholle Sklaven, Den er nimmt, hinweg von euch, Tief in's All, in's schrankenlose!« – Diese Botschaft aus der Höhe, Staunend hörten sie die Menschen. Mit den andern Erdensöhnen Hörte sie der zauberkund'ge Greise Meister, der Erzeuger Des Homunkels: hundert Jahre Zählt' er nun und lag im Sterben; Und mit einem Freudenrufe Haucht' er aus den letzten Odem. Uebermüthig fürder gleitet, Hoch und höher stets des Aethers Leviathan, von den Schrecken Wechselreicher Atmosphären Rings umdräut. Durch Sonnengluten, Frosterstarrte Regionen Prickelnd scharfer Eiskristalle Geht der Flug; auf Nebelwände, Auf Gewölke wirft das Fahrzeug Seinen ungeheuren Schatten, Wie ein Luftgespenst, ein ries'ges, Und im Schiffe der Homunkel Sprengt durch Regenbogenringe, Wie durch Reife Cirkusreiter! Hei, du Sonne, gold'ne Sonne, Wechselst du vor Angst die Farbe? Blutroth bald und bald smaragdgrün Blickt sie durch die Nebeldünste, Und wo rein erglänzt der Aether Regen sich erschrockne Sterne, Greller vor Erregung funkelnd Auf blauschwarzem Hintergrunde. Wie des Meeres Fläche sinkt nun Auch der Erde ganzes Halbrund Mit der Berge höchsten Gipfeln Mählich ein zur Riesenschale, Ein zum öden Riesenkrater, Der empor zum Himmel gähnt. Ist's nicht eine Thränenurne, Aschenurne, Todtenurne? Ist es nicht ein Schreckenskrater? – Reiche Schätze der Erkenntniß Sammelt in den Aetherhöhen Munkel mit des Riesensehrohrs, Riesenhörrohrs, Riesenriechrohrs Hilfe, die der Sinne Spürkraft Ihm in's Unermeß'ne steigert. Manchesmal erwägt er brütend Sein Problem des Luftvehikels, Das den Lichtstral überflügelt. O wie wird er sie verblüffen, Diese Menschlein, wenn er heimkehrt, All' der Schöpfung Räthsel deutend! Und schon sinnt er, was zum Voraus Durch das hehre Sprechtonwerkzeug, Das er schuf, zu größer'm Ruhme Seines hohen Unternehmens Künden soll den Erdgeschlechtern. Von dem Bord des Riesenfahrzeugs Blickt mit seinem Riesensehrohr Oft verachtend der Homunkel In die überwund'ne Tiefe. O wie scheint ihm arm die Erde! O wie scheint ihm klein der Mensch! Klein und elend! und die ganze Kleinlichkeit, die ganze Schalheit Aller ird'schen Dinge steht ihm Doppelt widrig nun vor Augen! – »Ich verachte dich, o Erdball,« Ruft er trotzig; »ich verachte Dich, armsel'ge Sternenschlacke, Blasser Mond, der Erde folgend, Wie das Hündlein an der Leine Folgt dem Herrn; und euch, Planeten, Die ihr euch um eure Achse Dreht am Sonnenfeuerherde, Schmorend, wie am Spieß der Hammel! Ich veracht' euch all', ihr Sterne, Die ihr, wie im Menuettschritt Gravitätisch um einander Euch bewegt nach ew'ger Regel! Ich allein bin Herr des Luftreichs; Kreuz und quer mein Fahrzeug lenkend, Tanz' ich hin nach freier Willkür! – So zu höhnen, so zu schmähen Pflegt er in den ungezählten Tagen seiner stolzen Weltfahrt. Mitten stets durch Wetterwolken, Ob sie blitzen auch und donnern, Seinen Weg nimmt der Koloß: Und dann gleicht er einem Renner, Der, umhüllt von einer Wolke Staubes auf dem Weg dahinjagt. Aber wehe dir, Gigant! In die Ferse sticht wohl einmal Dich ein Schlänglein! – So geschah's! Und der gift'ge Biß der Schlange War ein Blitz aus tück'scher Wolke, Eine wilde Zickzackschlange, Die dem Renner in die Flanke Wüthend schoß. Aufbäumt' er sich Unterm Biß der Blitzesschlange, Und das Gift, das ihn durchschauert, Feuer ist's, ist Flammenlohe! Unverletzbar sind die Taue Unverletzbar ist der Luftball; Doch am Steuer kann sie zehren, Lecken mit den gier'gen Zungen Am Gebälk, dem hochgethürmten, Ungemess'ne Zeit, die Lohe. Angstvoll um das Fahrzeug flattert Draco; zischend faßt der Gluthauch Seine Schwingen, steckt in Brand sie: Grausig war es anzusehen, Wie sein schwebend ausgestrecktes, Hellaufloderndes Gefieder Stöhnend schüttelte das Unthier, So den Brand zu löschen trachtend, Aber ihn nur mehr entfachend, Bis zuletzt der flügellose Rumpf, versengt, halb Affe nur noch, Und halb Wurm, hinunterstürzte Aus des Aethers Schwindelhöhen In die bodenlose Tiefe ... Meerwärts spornt das Schiff der Lenker, In der Flut den Brand zu löschen; Doch die Welle nicht erreicht es, Sondern schweift, nunmehr entzügelt, Mit dem halbverkohlten Steuer Hin in greulicher Verwüstung Ueber Länder, Meer und Erde. Städtezinnen, Königsburgen, Dome steckt's in Brand im Fluge, In Friedhöfen aus der Erde Reißt's die Kreuze, Kirchthurmspitzen Knickt's wie Halme, knickt die Wälder, Knickt sie schon von fern im Anhauch Durch den Stoß bewegter Lüfte. Aneinander schlägt sie manchmal Ries'ge Wipfel, daß sie donnernd Sich entzünden, hoch auflodernd, Und ein ungeheurer Waldbrand Weithin das Gebirg verwüstet. Kreischend flüchten sich die Vögel, Flüchtet sich sogar die Eule, Flüchten sich die wilden Thiere, Aufgescheucht aus den Verstecken. Felsen, Bergesgipfel, Gletscher Reißt es fort von Alpenhöhen, Mächt'ge Fels- und Erdreichmassen Sammt den Tannen, die d'rin wurzeln, Rollen knatternd, rasselnd, krachend, Donnernd nieder in das Tiefland. Steingeblöck und Eichwaldstrünke, Moor und Schlamm, und Rasentrümmer, Und Gesträuch, geballt zu Knäueln, Wirbeln durch die Luft wie Flugsand. Eines Berges ganzer Gipfel Stürzt ins nahe Meer, zum Himmel Spritzend einen umgekehrten Niagarasturz von Wassern, Aufgelöst in Dampf und Schaum. Wogen macht des Feuerdrachens Hauch die See gleich einem Saatfeld, Macht sie, näher rückend, kochen, Qualmen wie die Flut im Kessel. Himmelstürmender Homunkel, Hei, wie lustig ist die Weltfahrt! Fahre zu, du kühner Segler! – Umstülpt jetzt sein Riesennachen Plötzlich, und nun müßt' er stürzen In die Tiefe und zerschellen: Doch er hat in weiser Vorsicht Alles, was im Schiff beweglich, Und sogar den eig'nen Fuß auch, Dicht umschnürt mit hänf'ner Schlinge, Festgeknüpft am Grund des Fahrzeugs: Und nun hängt er sicher zwar, doch Umgestülpt, das Haupt nach unten, Wie der Schwengel aus der Glocke! Wundersamer neuer Standpunkt, Traun, für eine Weltbetrachtung, Wie sie Keiner noch genossen! – Aber einen Augenblick nur: Neu sein Gleichgewicht gewinnend, Aufgerichtet, jagt nun wieder Hin das Wrack, das steuerlose. Fahre zu, du kühner Segler! In der Macht, die da dich hinreißt Mit dem Fluch der ew'gen Unrast, Findest du dein tiefstes Wesen! Ha, zum schweifenden Kometen Für die Erdwelt wird der Greuel, Und Weltunterganges-Schrecken Sieht sie über sich verbreitet. In den Gräbern, in den Grüften Regt es sich, die Todten träumen Von dem Tage des Gerichts. – Auf dem wilden Samumfluge Des Homunkels über alle Erdenfluren, Erdenhügel, Streift zuletzt das Riesenluftschiff Ueber eines Klosters Hallen, Eines Nonnenklosters Hallen, Das auf freier Bergeszinne Steht am fernen Libanon. Hier auch übt es Grau'n-Verwüstung, Und von einem Sarg, der eben Zur Bestattung da bereit steht, Stößt in des Vorüberschwunges Wucht herunter es den Deckel. Und ein bleiches Frauenbild sieht Ruh'n im Sarg der Weltdurchstürmer Und erkennt – die Züge Lurlei's. Nie zu altern, nie zu welken, War vergönnt dem Nixenleibe. Lurlei hat gesucht die Ruhe Nach der wilden Lebensirrfahrt Hier in klösterlicher Stille. Wunder haben sich ereignet An der Bahre der Verblich'nen. Ihren Leib hebt aus dem Sarge Munkel im Vorüberfluge; Rasch in seine Riesengondel Hebt er ihn zu sich empor, Zwingt die Todte so, Gefährtin Ihm zu sein, ob auch entseelt, Auf der Weltenfahrt voll Grausens ... Jetzo hebt, als wär' vollbracht im Erdbereich nun seine Sendung, Das gigant'sche Wrack sich wieder, Stürzt in raschem, wildem Flug sich, Wie verstoßen von der Erde Aus den irdischen Bereichen, Zügellos ins Unermess'ne. Unzerstörbar ist der Luftball, Unzerstörbar sind die Taue, Und zu mächtig war der Schiffskiel Selbst für die gefräß'ge Flamme: Doch ein Spielball nun geworden Der Anziehungen des Weltalls, Nicht ein irdisch Ding mehr ist es, Dieses Ungethüm, das tolle Riesenfahrzeug des Homunkels: Angehört es nun dem Aether, Dem unendlichen – um es her Schwärmen, wie Geschwärm der Vögel, Meteore seines Gleichen; Ein Asteroidenhagel Peitscht die Flanken ihm, es flattern Riesenbänder von den Schweifen Der Kometen, deren Leiber Es zerfetzt, wie Flaggen ringsher Hängend ihm an Haupt und Gliedern. Näher jetzt dem Mond gekommen, Der sich riesengroß heranwälzt, Sieht mit Grausen der Homunkel Aufgethan vor seinen Augen Ber Zerstörung und der Oedniß Reich und der verlor'nen Dinge. Er erbebt; zum ersten mal nun Faßt sein Herz, das kalte, kecke, Jetzt ein unnennbarer Schauder. Und dem wilden Grau'n zu trotzen, Leert er einen Becher feur'gen Alkohols, der ihm die Sinne, Die zu schwinden schon beginnen, Neu entflammt zum Uebermuthe. Immer ries'ger schwillt das fahle Rund des Mondes ihm entgegen, Er erblickt das Mondgesicht – Bleich und welk und starr und grinsend, Mit geschloss'nen Augenlidern. Und berauscht, wahnwitzig trotzt er Dem gespenst'gen »Mann im Monde«, Trinkt ihm zu mit keckem Anruf Einen Becher seines Trankes. Doch mit höhnischer Grimasse, Seine Augenlider öffnend, Giebt das Mondgesicht ihm Antwort. Drohend ballt, erboßt darüber, Seine Fäuste der Homunkel. Und nun schleudern sich die Beiden Worte zu voll wüsten Schimpfes. »Weltdurchbummler Zwerg, was willst du? Du geberdest dich, als wolltest Du verschlingen mich, den Mond? Dünkst dich ja, so scheint's, hier oben Selbst schon einer von den Unsern? Selbst ein Stern hier unter Sternen?« – Ihm entgegen der Homunkel: »Schweig, Du altersgrauer Bursche, Todesblasser Hörnerträger! Schweig, wie es geziemt dem Todten, Der du bist, dem längst Verkomm'nen, Längst Verdorb'nen, längst Gestorb'nen! Hu – als Leichnam schleppt die Erde Dich mit sich so durch den Weltraum!« – Drauf der Mond: »Dich glücklich preisen Könntest du, Weltbummler Zwerg, Wärst du todt, wärst du verkommen Und verdorben und gestorben! Ausruh'n doch von deiner Irrfahrt Könntest du! so aber reißt dich Ruhelos der Flug in's Weite!« – »Dessen rühm' ich mich!« versetzte Der Homunkel. »Stoffgebilde, Reinste Stoff- und Kraftnatur Bin ich, aus dem Born geschöpfte, Aus dem Born der Elemente, Frei vom Wuste des Vererbten – Und die Menschheit überleb' ich Die beseelte, wie der Himmel Ueberlebt das Erdeleben!« – Weiter mit dem Mondesriesen Zankt sich eifernd der Homunkel, Jetzt das Sprachrohr an die Lippen Stemmend, seine Lästerungen Fernhin Jenem zuzudonnern, Jetzt an's Ohr das Hörrohr stoßend, Um die Antwort zu vernehmen, Bis aus dem Bereich des Mondes Fort ihn reißt das Riesenfahrzeug. Eine Arche ist dies Fahrzeug, Eine Arche auf des Aethers Hoher See, auf unermess'ner Hochflut des Unendlichen: Eine Arche, welcher nirgends Dämmert je ein grünes Ufer, Eine Arche, welcher niemals Naht die Taube mit dem Oelzweig. Einst auf seinem Weltenfluge Spähte der Homunkel sinnend Aus der Sternwelt in die Tiefe, Nach der Heimat, d'raus er stammte, Nach der einst vertrauten Erde. Sie erschien – o Wunder! – leuchtend Als ein schöner, heller Stern ihm, Als ein Stern voll wundersamen Glanzes, und sein Zauberfernrohr, Das ihm greifbar schier stets nahe Brachte selbst das Allerfernste, Ließ in seiner vollen Reinheit, Ließ in seiner lautern Schönheit Ihn das Erdenthal betrachten Wie von eines Berges Gipfel. O wie schien es ihm verwandelt! Welcher Reiz, o, welcher Zauber! Funkelnder Demant bedünkt ihn Nun des Eispols Kronenschimmer, Blitzend stralt des Wüstensandes Gelber, gold'ner Riesengürtel, Flüssiger Sapphir erscheint ihm Nun das Meer, Smaragd die Fluren, Und es schlingt als Heil'genschein sich Um der Erde Stirn das Nordlicht! Wälder, Auen, Hügel sieht er Ruh'n in heit'rem Sonnenscheine, Sieht beglückte, frohe Menschen Trauben keltern, Früchte pflücken, Sieht auf Triften munt're Hirten Singen und Schalmeien blasen, Sieht in Hainen Liebespaare, Sieht die Kinder selig gaukeln, Oder ruhn am Mutterbusen, Sieht auf gold'nem Saatgefilde Eldo steh'n und Dora , lächelnd, Glückumstralt, ein Bild der Urkraft, Vollbeseelten Menschenthumes, Das im Wandel der Geschlechter, Ob umdunkelt auch, umdüstert, Sich behaupten wird aufs Neu' stets Bis an's Ende aller Tage. Helden sieht er, Streiter, Dulder, Die, nach hohen Idealen Ringend, freudig selbst sich opfern, Helden sieht er freier Forschung, Schleierloser Wahrheit – Helden Der Erkenntniß, die mit reinem Aug' der Isis Schleier heben, Und bei welchen Licht im Haupte Sich mit Wärme paart im Herzen – Schöpferische edle Geister Sieht er, welche auf sich schwingen, Schönheitstrunken, ohne Luftball, In die höchsten Regionen ... Und je länger er betrachtet Das Gestirn aus weiter Ferne, Desto mehr fühlt er von Heimweh' Sich ergriffen nach dem Sterne – Und es überkommt ein Sehnen Ihn nach menschlichem Geschicke, Menschenleid und Menschenfreude. Schier begehrenswerther scheint nun Dort entsagendes Genügen In des Daseins enger Schranke, Als in ruheloser Irrfahrt Das Unendliche durchschweifen, Und sich fühlen stets unselig! Ach, was hilft Unendlichkeit Dir, unsel'ger Weltdurchstürmer? Kann sie dir verleihen, was zur Seligkeit Dir fehlt: die Seele? – Nach dem Sarge Lurlei's wendet Seinen Blick er. Unverweslich Bleibt ihr Leib im reinen Aether. Wie aus blendend weißem Wachse, Fast durchsichtig, scheint gebildet Ihr noch reizerfülltes Antlitz, Welches mit der Nixe Zauber Hat getrotzt dem welken Alter, Auch dem Tod scheint sie zu trotzen, Aber auch um ihre Züge Scheint Unseligkeit zu schweben, Ueberdruß und Lebensunmuth. Und zugleich doch ist's, als lechzten Die Atome dieses Weibes, Mumienhaft also gefesselt, Sich zu lösen, frei zu werden, In des ungeliebten Lebens Wirbel sich zurückzustürzen ... Ja – das Antlitz einer Mater Dolorosa , der von sieben Speeren bebt das Herz durchstochen, Es ist himmlischer, ist sel'ger Noch im tiefsten Mutterschmerze , Als der Zug des schalen, bitter'n Nachgeschmacks der durchgenoss'nen Erdenlust aus diesem schönen, Kalten, todesblassen Antlitz! – Ueber ihren Sarg gebeugt ruht Der Homunkel; auf ihr Antlitz Fest den Augenstern gerichtet Seufzt er sinnend, wie im Traume: » Warum konnten wir nicht lieben ?« – Unter Himmelskörpern selber Himmelskörper, doch unselig, Treibt das Fahrzeug des Homunkels In des Himmels, in des Aethers Hafenlosem Ozeane. Unmuthsvoll, mißgünstig blicken Auf den Eindringling die andern, Alten, seligen Gestirne. Aufbäumt sich der große Drache Gegen ihn, mit seinem Horne Dräut der Stier, mit seinen Fängen Ihm der Aar, es schwingt die Keule Perseus gegen ihn, der Held, Seinen Bogen spannt der Schütze, Und der Skorpion krümmt den Stachel. Sie bedroh'n ihn, jagen Einer Ihm den Anderen entgegen, Keiner will ihn nahe haben, Hetzen so ihn durch den Himmel. Selbst das gold'ne Herz der Sternwelt, Selbst die Sonne, die sonst Alles Reißt an ihren Flammenbusen, Stößt von sich ihn, wie vor Abscheu, Wirft hinaus ihn aus dem Lichtreich, Wo sie Königin; auf seiner Flucht geräth er taumelnd, ziellos, In dem langen Lauf der Zeiten Weit hinein in Sternenwelten, Welche blos als dünne Nebel Unser Aug' erspäht am fernsten Dämmerrand der Himmelswölbung: Dorthin, wo ein Weiser ragt Mit der Aufschrift: » Weg in's Nichts !« Doch die Riesenhand des Weisers Ist unendlich – ihre Länge Nicht durch Zahlen auszudrücken. So entlang Milchstraßen schweifend, Scheint der Fremdling, der Gigant, In dem rasend wilden Fluge Selbst ein Staubgewölk von Welten Aufzuwirbeln. Zum Kometen Ward er und sein ird'scher Eigner Ward zum »fliegenden Holländer«, Ward zum Ahasver des Weltraums. Schweifen wird er immer noch In des Himmels ew'gen Fernen, Wenn getilgt des Erdenpilgers Fluch und der gespenst'ge Segler Längst erlöst im Hafen ausruht. Wem nicht die Natur, die heil'ge, Die geheimnißvolle Mutter, Gab das Leben durch die Liebe, Gab das Leben in der Liebe, Dem verweigert auch den Tod sie, Und den schönsten Tod vor Allem, Das Ersterben in der Liebe – Und kein Grab der sel'gen Ruhe, Keine Stätte ew'gen Friedens Hat für ihn das weite Weltall. Wer vermag zu sagen, wo Und wie lang mit dem Homunkel Und der Nixe, die gesellt ihm, Das verkohlte Riesenluftschiff In der ehernen Gesetze, In des Stoffs, der Kräfte Wirbel Auf den schrankenlosen Bahnen Jagt das waltende Verhängniß? Sonntagskinder noch erblicken Manchesmal in Sternennächten Jenes Wrack als dunklen Irrstern Hoch in unermess'ner Ferne, Und das Schicksal ahnen schaudernd Sie des ewig Ruhelosen.