Friedrich Hebbel Ein Trauerspiel in Sizilien Tragikomödie in einem Akt An Heinrich Theodor Rötscher An Heinrich Theodor Rötscher Ich saß zu Neapel im Herbst des Jahres 1845 eines Abends in dem Café di Europa. Dieses Café, am Toledo gelegen und die Aussicht auf die Piazza reale darbietend, bildet den Sammelplatz der feinen Welt und namentlich der ab- und zuströmenden Fremden. Schon darum hat es aber auch eine magische Anziehungskraft für das Proletariat; zu Dutzenden lugen die Lazzaroni mit ihren gierigen, hungerbleichen Gesichtern durch die blinkenden Fensterscheiben hinein, um zu sehen, wie der Glückliche drinnen genießt, und sicher haben sie dort einen guten Teil des unversöhnlichen Hasses eingesogen, den sie brauchten, um später so ingrimmig-kaltblütig morden und würgen zu können. Nirgends tritt die Kluft, die zwischen den besitzenden und den nichtbesitzenden Klassen der Gesellschaft besteht, so schneidend scharf hervor, wie an diesem Ort, selbst in Paris nicht; denn ins Palais royal wagt das Elend sich erst hinein, nachdem es sich mit Flittern behängt hat, und dann täuscht es sich über sich selbst und fängt zu lächeln an; hier aber steht es in nackter Blöße da. Ich brachte nie im Cafe di Europa eine Stunde zu, ohne mir die Zukunft, die sich aus einer so zerklüfteten Gegenwart früher oder später mit Notwendigkeit entwickeln mußte, auszumalen; auch mogten wenige imstande sein, die ungeheuern, wenn auch unbestimmten Bilder, die sich der Phantasie dort gewaltsam aufdrängten, so leicht, wie lästige Fliegen, zu verscheuchen. An dem Abend, von dem ich rede, setzte sich ein sizilianischer Kaufmann zu mir, der eben aus Palermo zurückgekommen und von einem entsetzlichen Vorfall, der sich dort kürzlich ereignet hatte, noch ganz voll war. Ein Mädchen flieht aus dem Hause ihres Vaters, um sich durch einen schon gewonnenen Geistlichen mit ihrem Geliebten verbinden zu lassen und so einer Zwangsehe zu entgehen. Sie erscheint zu früh auf dem für die Zusammenkunft bestimmten Platz und fällt zwei Gensdarmen in die Hände, die ihr erst den mitgenommenen Schmuck rauben und sie dann ermorden. Als der Geliebte nun kommt, werfen sie sich über ihn her, bestreichen ihn mit Blut, schleppen ihn vor den Podesta und klagen ihn der Mordtat an. Natürlich finden sie Glauben, und was am Beweise fehlt, das ersetzt ihr Schwur. Aber ein Bauer, der sich vor ihnen mit gestohlenen Früchten auf einen Baum geflüchtet und alles mit angesehen hat, ist ihnen gefolgt und entlarvt sie. Ich fand diesen Vorfall so symbolisch, er schien mir die sittlichen und selbst die politischen Zustände des Landes und Volks so grauenhaft treu widerzuspiegeln und meine durch Forschen und Beobachten längst erworbenen Anschauungen so schrecklich zu bestätigen, daß er mir augenblicklich, wie er mir erzählt wurde, mit allen handelnden und leidenden Personen zum dramatischen Bilde zusammenrann. Aber allerdings gab es keine Form dafür, wie die der Tragikomödie, in deren Wesen es durchaus nicht liegt, daß sie zur Parodie verflacht werden muß, was freilich meistens geschieht. Wenn sich die Diener der Gerechtigkeit in Mörder verwandeln und der Verbrecher, der sich zitternd vor ihnen verkroch, ihr Ankläger wird, so ist das ebenso furchtbar als barock, aber auch ebenso barock als furchtbar. Man mögte vor Grausen erstarren, doch die Lachmuskeln zucken zugleich; man mögte sich durch ein Gelächter von dem ganzen unheimlichen Eindruck befreien, doch ein Frösteln beschleicht uns wieder, ehe uns das gelingt. Nun verträgt sich die Komödie nicht mit Wunden und Blut, und die Tragödie kann das Barocke nicht in sich aufnehmen. Da stellt sich die Tragikomödie ein, denn eine solche ergibt sich überall, wo ein tragisches Geschick in untragischer Form auftritt, wo auf der einen Seite wohl der kämpfende und untergehende Mensch, auf der anderen jedoch nicht die berechtigte sittliche Macht, sondern ein Sumpf von faulen Verhältnissen vorhanden ist, der Tausende von Opfern hinunterwürgt, ohne ein einziges zu verdienen. Ich fürchte sehr, manche Prozesse der Gegenwart können, so wichtig sie sind, nur noch in dieser Form dramatisch vorgeführt werden. Tragisch zu sein, hörten selbst die bedeutendsten auf, seit die Überzeugung der einen Partei nicht mehr mit der Überzeugung der anderen, sondern nur noch mit ihren Interessen zu kämpfen hat. Aber die Träger und Verfechter dieser Interessen, wie nichtig und erbärmlich sie auch, als Persönlichkeiten betrachtet, seien, sind der Komödie desungeachtet noch nicht verfallen, denn es gehen fürchterliche Wirkungen von ihnen aus. Da bleibt dem Künstler, der sich nicht begnügen will, die Rosen und Lilien auf dem Felde zu malen, nichts übrig, als zu der Form der Tragikomödie zu greifen. Daß diese Form keine reine ist, wird er darum nicht vergessen. So entstand das »Trauerspiel in Sizilien«. Wenn ich Ihnen, hochverehrter Freund, das Werk jetzt zuschreibe, so geschieht es natürlich vor allem, um Ihnen einen öffentlichen Beweis meiner unveränderlichen Hochachtung zu geben. Ich hoffe aber auch, daß es Ihnen vielleicht Gelegenheit bietet, die Theorie der Gattung, der es angehört, festzustellen und die Wissenschaft der Kunst mit einer neuen Abhandlung zu bereichern. Als es vor einigen Jahren in der Novellenzeitung zum ersten Mal erschien, wurde es, vermutlich des Titels wegen, fast überall für eine Tragödie genommen, obgleich jeder Vers, vom ersten bis zum letzten, in Ton und Färbung widersprach, und nun höchst seltsam beurteilt. Das beweist, daß es hier für den Kunstphilosophen etwas zu tun gibt. Friedrich Hebbel Personen Personen. Anselmo. Angiolona, seine Tochter. Sebastiano. Ambrosio, Bartolino, zwei Landsoldaten. Herr Gregorio, Podesta. Ein Bauer. Die Handlung ereignet sich bei Palermo. 1. Szene Erste Szene Ambrosio und Bartolino halten Wache. Nun, Degenspitze der Gerechtigkeit? Denn, daß dus weißt, mit einem Degen wird Die Themis abgebildet, und die Spitze Des Degens, den sie trägt, sind du und ich! Du siehst, die Sonne ist hinab, die Welt Wird grau und fahl, wie eine Fledermaus, Und hüllt sich gleich in ihren schwarzen Rock: Was meinst du, gehn wir bald? Wir habens weit Zur Stadt und brauchen eine gute Stunde! Ei, freilich gehn wir. Längst schon hab ich mich Gewundert, daß du nicht zum Aufbruch bliesest. Allein, du starrtest nieder in den Sand, Als sähest du die Nummern dort geschrieben, Die man mit nächstem ziehn wird in Neapel; Und weil ich nun einmal der Esel bin, Der immerdar sich für den zweiten hält, Seit ich als solcher – denn ich ward als Zwilling Geboren – kam aus meiner Mutter Leib, So schaute ich dir ruhig zu und lieh Dir in Gedanken schon das Geld zum Einsatz, Ich weiß ja doch, daß dies mein Schicksal ist. Ich sah dem Käfer nach, dem schwarzen da, Der übern Weg gekrochen kam, und dachte: Wenn er hinüber kommt und du ihn nicht Zertrittst, indem du mit geschloßnen Augen Drei Schritte machst, so wirst du Korporal Und legst für diesen Fall dein Saufen ab. Da hätte ich es abgelegt, wie du; Du weißt, ich tue nichts allein. Wie gings? Wie's ging? Wein her! Zum Teufel das Gelübde! Dort liegt der Korporal! Zu Brei zerdrückt! Ha, wäre ich geblieben in Algier! Jetzt wär ich General, wie Bonaparte – Denn der war ganz ein Lump, wie ich und du – Und nebenbei so reich, daß mir das Zahlen Die größte Freude wäre auf der Welt, Da es mir jetzt die größte Pein doch ist. Ich sage dir, dort ging es zu – Der Sold War groß genug, bei Gott, für einen Rausch, Der morgens anfing und bis abends währte, Und wenn es doch einmal gebrach – hinaus Ins Feld, und Türkenköpfe eingeholt; Die wurden dir vom Auditeur versilbert, Du hattest einen Taler für den Kopf Und mehr, man schätzte sie nach ihrem Bart. Der Tausend! Ja! Und wenn du müde warst – Man wirds von jeder Jagd – so brauchtest du Dir nicht dein Geld erst in Person zu holen, Du gabst die Köpfe aus, wie so viel Wechsel, Man nahm sie an in Schenken und bei Mädchen: Man wußte ja, sie wurden honoriert. Du sperrst das Maul auf! Freilich! Hast dus mir Doch nie erzählt! Wie wars mit Kinderköpfen? für sich. Auf Kinderköpfe hätt er Jagd gemacht! Laut. Die waren eine Art von Scheidemünze: Sie galten halb so viel, wie die der Alten, Man steckte sie mit ein, wenn man sie fand. Warum bliebst du nicht dort? für sich. Ich muß doch sehn, Wie weit mans treiben darf bei dem! Laut. Ich wills dir Vertraun! Die Sprache, die die Türken reden, War mir zu schwer, ich konnte sie nicht lernen, So gern ich wollte. Und was machte das? Nun zeigst du recht, daß du ein Esel bist! Was machte das? Wenn du, vom Pferd geworfen, Pardon! Pardon! rufst, und der Türk versteht: Hau zu! Hau zu! Was macht das? – Einen Toten! Ja ihr, die ihr den Krieg nicht kennt, ihr glaubt, Daß alles abgetan ist mit dem Schultern, Dem Präsentieren und dem andern Zeug, Das freilich auch nicht überflüssig ist; Vom Hauptstück aber wißt ihr nichts, und werdet Drin auch vom Korporal nicht unterwiesen, Wenn euch der eigne Witz nicht unterweist. Das Hauptstück ist, daß man der Fahne treu bleibt. Das Hauptstück ist, daß ein Soldat sich übt, In allen Sprachen um Pardon zu bitten, Damit ihm nicht aus krassem Mißverstand Der Kopf zerspalten werde vor der Zeit. Nur, wer am Leben sich erhält, erhält Der Fahne sich und seiner Fahnenpflicht. Sahst du die Toten kommen wenn man trommelt? Das ist wohl wahr! Und dieses Hauptstück habe Ich meisterlich gelernt; im Fechten mag Mich mancher übertreffen, hierin keiner! Stell mich dem groben Deutschen gegenüber, Der seine Klinge, wie ein Grobschmied, schwingt; Dem plumpen Briten, der nur ficht, weil er Zu viel gegessen hat und schlecht verdaut; Dem eitlen Franzmann, der den Degen braucht, Als ob er sich dabei im Spiegel sähe; Dem glatten Russen, der, indem er dich Durchsticht, zugleich dich um Verzeihung bittet; Dem Spanier, der dich niederstößt, damit Er sieht wie du im Tod das Maul verziehst; Jedwedem, wem du willst – du wirst erkennen, Daß ich den Wildesten zu zähmen weiß, Indem ich sprech, wie seine Mutter sprach. Den Türken nehme ich natürlich aus, Denn dieser spinnt die Wörter nicht aus Luft, Was alle andern Menschenkinder tun. Die Kunst ist gut, wer sähe es nicht ein, Wie aber hast dus nur so weit gebracht? für sich. Das ist ein Kerl! Der glaubt mir, wenn ich sage: Der Mensch ist dazu da, daß er sich schneuzt! Laut. Wie? Nun, ich ließ michs allerdings was kosten. Ich wußte mich in jeder Compagnie Den fremden Söldnern angenehm zu machen Und überhäufte sie mit Höflichkeit; Wenn sie alsdann zum Dank gesprächig wurden, So bat ich meinen Zauberspruch mir aus. Den Deutschen stopfte ich mit Kraut und Würsten, Dem Briten schnitt ich seine Hühneraugen, Dem Franzmann trat ich die Geliebte ab, Dem Russen bracht ich Zwiebeln, die ich stahl, Vom Spanier ließ ich mich selbst beschenken. Nun bin ich gut beschlagen, wie ein Doktor, Und fürchte mich nicht mehr vor einer Schlacht. Wohl dir, ich lernte nichts, als Händefalten. Das würde dir beim Deutschen wenig helfen, Es wär, als ob du ihm die Zähne zeigtest! Wenn du ihn durch Gebärden rühren willst, So strecke gegen ihn die Zunge aus, Das macht mitunter einen guten Eindruck, Besonders, wenn er etwas trunken ist. Verfluchte Bestie, das! Dem Franzmann zwingst du Durch einen Purzelbaum sein Mitleid ab, Doch der ist schwer im Augenblick des Todes. Nun geh mir! Was? Durch einen Purzelbaum? Durch einen Purzelbaum, wie ich dir sage! Ihr grimmger Kaiser selbst, der Bonaparte, Der sich im Blut der Kinder badete, Hat mehr als einen, weiß ich, pardoniert, Der auf den Kopf vor ihn sich hingestellt. Nur ließ er sie zuweilen lange stehn, Und wehe ihnen, wenn sie niederplumpten! Ich glaube dir. Denn, wenn ich dies nicht glaubte, So dürft ich vieles andre auch nicht glauben, Das mir im Kopf sitzt, fest wie's Einmaleins, Weil dus mit Schwüren angenagelt hast. Gibts heute Mondschein? Nein, soviel man sieht! Die Fischer haben eine gute Nacht! So laß uns eilen; denn das böse Volk Das wir verscheuchen sollen – Könnte kommen, Und wenn dir die Muskete durch ihr Funkeln Im Sonnenstrahl den Feind nicht ferne hält, Du prüfst nicht gern, was sie noch sonst vermag. Ich war noch nicht in Algier! Ist es wahr, Daß du einst einer Plündrung zugesehn Und dich dabei gestellt, als ob du schliefest? Wie wär es denn nicht wahr? Allein, ich lag schon Und stand nur bloß nicht wieder auf. Ich kann Dir manchen zeigen, der in solchem Fall Noch stand, wie wir jetzt stehen, und sich legte. Auch ging es ohne Blutvergießen ab, Sie machten keinen kalt. Auch dich nicht? Nein, Nur daß die Gänsehaut mich überlief. Im Liegen grübelt ich, ob nicht Gewehre Zu machen seien, die an hundert Kugeln Versendeten auf einen einzgen Druck. Scheint es dir möglich? Nein! Denn wär es möglich, So würde man sie längst erfunden haben. Wohl wahr! Es liegt ja Tausenden daran! Eins mögt ich wissen! Was? Ob diese Bursche Sich wirklich hin und wieder, wie man sagt, In unsre Röcke stecken. – Der Gedanke Ist mir der schauderhafteste von allen, Man dürfte dann dem besten Kameraden Ja nicht mehr traun! Das tun sie allerdings. Du kannst mit manchen die Polenta essen, Der – Schafsgesicht, was zitterst du vor mir! Doch trifft man auch Soldaten, die den Räubern Ins Handwerk pfuschen, wenns die Stunde gibt, Man hat erst neulich einen drum geköpft. So gibts ja wohl nicht eine Missetat, Die nicht auf Erden schon begangen wurde? Die Erde steht wohl lang genug dazu, Und wenn sich eine fände, würde jeder Die Lücke, wie er sie bemerkte, stopfen, Zum wenigsten verbürg ich das von mir. Doch sicher gibts dergleichen Tugendstücke, Kleinode für defekte Himmelskronen, Die jeder seinem Enkel hinterläßt. So ließ sich noch, zum Beispiel, keiner kochen, Damit sein Nächster nicht verhungern möge; Und das wär doch gewiß ein edles Werk. Wie solchen Menschen wohl zumute ist, Die Räuberei und blutgen Mord verübten? Wie dir und mir! Wie dir und mir? Wie sonst? Sie fühlen, daß sie satt sind, wenn sie aßen, Und daß sie hungern, wenn die Speise fehlte! Und das Gewissen? Diesen Bandwurm treibt Man ab, wie jeden andern. Gib ihm nur Zu fressen, was ihm widert, und er stirbt. Ei, sieh dich nur in einem Wirtshaus um, In einer Kirche, oder wo du willst, Da hat gewiß doch mancher blutge Hände: Bemerkst du die? Schmeckt ihnen nicht der Wein Und hören sie mit Andacht nicht die Messe? So fragt ich mich in jüngern Jahren oft. Du scheinst mir äußerst ruchlos von Natur! Ich glaube, daß ich tun darf, was ich kann. Ei was, das will ich dir so klar beweisen, Daß du, statt einmal, zehnmal nicken sollst. Wenn Gott auch nicht so groß ist, wie man sagt, Und ich auch nicht so klein wär, wie ich bin, Er bleibt noch immer groß genug, um jeden Vor mir zu schützen, den er schützen will. Wenn er nun aber irgend einen Sünder In meine Hand gibt, zeigt er mir dadurch Nicht deutlich an, daß ich ihn strafen soll, Und trotze ich ihm nicht, wenn ichs nicht tu, Ja, werd ich nicht dem schuftgen Henker gleich, Der, wenn sein König einen Kopf ihm schickt, Der abzuhacken ist, sein Schwert nicht zieht? Wer anders denkt, der ist ein Atheist. Bist du ein Atheist? Bewahre Gott! Du sagst nicht nein! Ich sag ja auch nicht ja! Was ist ein Atheist? Ein Atheist? Wie niederträchtig, daß du das nicht weißt! Ein jeder ists, der fragen kann, wie du! Pfui! Pfui! Ei was, ich weiß es ja recht gut! Nun denn! Dort steht ein Muttergottesbild, Wir wollen beten, eh wir heimwärts gehn. Das merke dir, ich bete jeden Tag, Es ist kein Rausch so dick, daß ichs vergesse; Den Christus will ich sehn, der sagen kann, Ich hätt ihn nicht, selbst auf dem Marsch, gegrüßt! Sie gehen beiseite. 2. Szene Zweite Szene tritt auf. O Gott, wenn allen so zumute ist, Die aus dem Hause ihrer Eltern fliehn, So haben sie die Strafe in der Sünde. Mir ist, als hätt ich nicht ein Vaterhaus, Mir ist, als hätte ich die Welt verlassen, Und wäre jetzt, wo Gott nicht mit mir ist. Tat ich denn etwas gegen sein Gebot? O, ganz gewiß! Denn diese Furcht und Angst, Wie könnt ich sie auf einem Weg empfinden, Den er mit seinem Finger mir gezeigt! Die arme Magd, die uns seit Ostern dient, Hat nicht, wie ich, gebebt, als sie bei Nacht Allein durch jenen dicken Wald sich wagte! Sie sagt ja selbst, sie hat erst dran gedacht, Daß es auf Erden böse Menschen gibt, Als sie ihr Herz trieb, Gott dafür zu danken, Daß er sie keinen davon treffen ließ. Ich glaubs! Ich glaubs! Sie tat es, um den Priester An ihres Vaters Sterbebett zu rufen, Und nicht, wie ich, um ihn davon zu gehn! Wie könnte das auch gut sein, was auf ewig Das Kind vom Vater trennt! Und das geschieht! Die Flucht vergibt er nicht! O nein! o nein! Er hats ja noch nicht lange mir verziehn, Daß ich kein Knabe bin; erst, seit er weiß, Daß er für seine Tochter einen Sohn Erhandeln kann, wie er ihm wohl gefällt. Was bin ich ihm, nun ich ihn hierin täuschte! Ich war von je ein unglückselges Kind Und hab mein armes Leben nie geliebt, Wenn ich den Tod auch fürchtete, wie alle. Sie sieht sich um. Ich kam zu früh, wie's scheint, Sebastian Ist noch nicht da. Ich will noch einmal tun, Was ich als Kind tat, will die Augen schließen Und wieder öffnen, und der Gegenstand, Den ich zuerst erblicke, ob er schwarz, Ob bunt ist, soll auf meine Zukunft gehn. Sie tuts. Soldaten! Betende! Was die bedeuten, Steht nicht im Traumbuch. Nun, es gilt mir gleich! Die Nacht wird immer dunkler. Gott sei Dank! Wenn man nicht sieht, wird man auch nicht gesehn! Sie tritt beiseite. 3. Szene Dritte Szene Ambrosio und Bartolino kommen zurück. Nun kommen wir nicht mehr zu früh ans Tor. Wenn du nur Geld hast! Keinen roten Heller. Ich habe meinen Schuster heut bezahlt, Und das für Stiefel vom vergangnen Jahr! So gibts noch Zank. Wenn ich nicht trinke, zank ich! Ei was, wir können wen besuchen gehn. Den Brunnen auf dem Markt, ja wohl! Warum nicht? Man trifft dort manche hübsche Magd! Die Dirnen Verschlechtern sich, wie alles übrige, Sie geben nur noch Küsse her, kein Geld. Wo find ich eine, wie ich eine hatte, Die für mich stahl, bis sie ins Zuchthaus mußte, Und noch im Zuchthaus Strümpfe für mich strickte! Das tat die Laura nicht für den Petrark. Der Teufel soll mich holen, wo ich nicht Noch heute abend trinke auf ihr Wohl! Das war ein Schwur! Sie hats um mich verdient! Könnt ich nur Flöte spielen! Mit der Flöte Ist man willkommen, wo es Lustge gibt. Man sollt es eigentlich als Mensch schon können, Damit man doch vom Tier sich – bemerkt Angiolina. Wer ist da? Was horcht man? Was verkriecht man sich? Ein Mädchen! Kennt man uns nicht? Wir fragen für den König! Respekt der Uniform! Woher? Wohin? Was schweigt man still? Wie die herausgeputzt ist! Ach Gott, ihr Herrn – Man geht auf bösern Wegen! Wir wissens schon! Allein man kommt nicht weit, Es gibt noch manchen Schlagbaum vor der Hölle! Wie wirds mir gehn? Die hat mein Vater sicher Hieher bestellt! Ja freilich hat er das! Das ist doch schändlich! Schändlich? Hätt er mich, Wenn er was merkte, statt mich zu beschimpfen, Denn nicht im stillen – Her das goldne Kreuz! Reißt ihr das Halskreuz ab. Ich wußte nicht, warum er heut so lustig, So ausgelassen war, so ganz, wie damals, Als sich Sebastian den Arm gebrochen, Und es im Anfang hieß, es sei der Hals. Ich fürchtete – nun seh ich wohl, warum! Du großer Gott, verdien ichs – Und den Ring! Zieht ihr den Ring ab. Den Finger ausgestreckt! Sonst tuts ja weh! Ich habe nie gesagt, wie er mich martert, Ich habe mich geschämt und still geweint, Nun wird man mit dem Finger auf mich zeigen: Dort geht die Schwester vom verlornen Sohn! reißt ihr ein Kästchen aus der Hand. Was steckt in diesem Kästchen? Zu Bartolino. Sieh dich um, Ob niemand kommt! Zu Angiolina. Ei, ei, die Silberspangen! Zu Bartolino. Kein Mensch? Zu Angiolina. Sie stehen mit auf unsrer Liste! Wo ist das bare Geld? Das bare Geld? So hat mein Vater – Nun, wie sollt er nicht? Bis auf den Pfenning hat er – Großer Gott! Konnt ers so ganz vergessen, daß sein Kind Auch dein Kind ist? zu Bartolino. Tybaldo, nimms ihr ab! Heimlich. Sprich: Ja, Antonio! Ja, Antonio! Für sich. Das ist ein – Ja, ob der in Algier war! Der könnte auf dem Mond gewesen sein Und einen Stein herabgeworfen haben, Dem größten Potentaten auf das Haupt! Zu Angiolina. Die Börse her! Ich habe keine Börse! Und glaubt, ihr Herr, mein Vater ist mein Vater; Doch, wenn er sagt, ich hätt ihm was genommen, So tut ers nur, weil er erbittert ist. Die Kette ist von meiner armen Mutter, Sie hing sie auf dem Krankenbett mir um. Das war ein Tag – o Gott, wie weinte ich, Als sie es tat! – es war mir ja ein Zeichen, Daß sie vor Augen ihren Tod schon sah. Den Ring hat mir mein Vater selbst geschenkt, Er war mir wert, wie sollt er es nicht sein! Ich durfte denken, wenn ich ihn beschaute: Dein Vater hat dich auch einmal geliebt! Die Spangen sind von meinem Bräutigam, Er hat gedarbt, daß er sie kaufen konnte, Wie hätte ich sie wohl zurückgelassen, Sie sind mir heilig, wie's die Kette ist! Das hört sich recht gut an! Nur, weil es wahr ist! Ihr Herren, seht mich an, ich weiß ja selbst, Was ich getan, als ich – nur schließt nicht draus, Ich sei ein unbesonnen-leichtes Mädchen, Bei meiner Mutter Grab, ich bin es nicht! Mir war von jeher, aus dem Fenster schauen, So viel, wie andern, auf die Straße gehn; Schließt auf die Qualen draus, die ich ertrug, Und auf die größeren, die meiner harrten! zu Bartolino. Wenn dirs am Strick fehlt, einen aufzuknüpfen, So zupf ihm aus dem eignen Mund den Hanf. Gibt acht, wie man das macht! Zu Angiolina. Ich hab als Mensch Zwei Ohren, links und rechts, das zeigt mir an, Daß ich von links und rechts die Stimmen hören, Und mit dem Hirn, das in der Mitte liegt, Sie unparteiisch dann vergleichen soll. Erzählt mir mehr denn vom Warum und Wie, Damit ich sehe, wer gelogen hat, Wer weiß, auf welche Seite ich mich schlage! Den könnt ich küssen! Hätte mich der Wind Doch auch – Wer wär nicht gern ein Kerl wie der! zu Angiolina. Nun? Ohne Furcht! So sagt doch selbst, ihr Herrn, War es ein väterlicher Schwur, mich lieber Im Würfelspiel den trunkenen Soldaten, Wie's wohl mit Hund und Lamm geschieht, zum Preis Zu setzen, als Sebastian mich zu geben? – Beim ewgen Gott, es war nicht väterlich! Die Väter sind zuweilen etwas seltsam, Wie gings mir mit dem meinigen! Zu Bartolino. Er sprach: Kauf mir den Segen ab, verdammter Bube, Damit ich mich einmal betrinken kann, Sonst gebe ich dir meinen Fluch umsonst! Zu Angiolina. Nun, der Sebastian – heftig. Wenn ihr ihn kennt, So werdet ihr nichts Schlimmes von ihm sagen, Mein Vater selbst, ich zweifle, ob ers tut! Er will ihn aber nicht zum Eidam, will nicht, Daß seine Enkel Nasen tragen sollen, Die an Sebastians Nase ihn erinnern, Er ist nun einmal im Geschmack kurios. Er will ihn nicht zum Eidam, weil er arm ist! Sind wir denn reich? – Und will Sebastian Denn mehr, als mich? – Hat er nicht oft gesagt: Gebt mir die Tochter, seht, zwei Hände hab ich, Und sie nur einen Mund. Das übrige Verschenkt, wohin ihr wollt. Wenns euch gefällt, Davon der Mutter Gottes einen Altar Zu stiften, seid gewiß, wir werden kommen, Daran zu beten für eur Seelenheil! Ein frommer Bursch! Zu Bartolino. Den untern Tisch zu saufen Und dann vor eine Kirchentür zu legen, Das müßte eine Götterwollust sein! Ich mögte ihn im Katzenjammer sehn, Besonders, wenn es just Karfreitag wäre! Zu Angiolina. Und dieser Vorschlag, rührte er den Vater? Die Antwort war ein fürchterlicher Schwur! Noch mehr! Es kam ein Feuer bei uns aus, Und wäre nicht Sebastian gewesen, So läge jetzt in Asche unser Haus. Er tat das Übermenschliche, ich sahs Mit Angst und Schaudern, aber auch mit Stolz, Und reicht ihm, als er nach vollbrachtem Werk Mit glühnden Wangen und verbrannten Wimpern An mir vorbei ging, öffentlich die Hand. Er faßte sie und sah auf meinen Vater, Der in der Ferne stand, doch dieser rief: Wenn das zum Abschied ist, so mag es gehn, Sonst aber wirds Herr Gregor sich verbitten, Denn dieser wirbt um sie – ach es ist wahr, Der alte Mann ist plötzlich toll geworden! – Und wenn du Dank von mir verlangst, so bau dir Ein Haus und ruf mich, wenn es einmal brennt, Ich werde kommen, meine Schuld zu tilgen! Sebastian nun, natürlich, stach ihn tot! Das mußt er tun, und wären ihm die Flügel Schon halb heraus, womit er einst als Engel Mich schamrot machen wird am Jüngsten Tag! Sebastian wurde bleich, daß michs entsetzte, Dann sagte er: Du hörst! und sah mich an, Ich nickt ihm zu und flüsterte: am Kreuz! Er spreizte sieben Finger aus und ging. Denn tags zuvor schon hatt er so gesprochen: Auf gradem Wege wird es nichts mit uns, Drum laß uns nicht mehr vor dem krummen schaudern; Wenn du nur willst, so sind wir Mann und Frau, So schnell ein Pfaff uns dazu machen kann, Ich kenne einen, der den Dienst mir leistet, Nur kommt er nicht zu mir, ich muß zu ihm. Bist du einmal mein Weib, so kann dein Vater Dir nichts mehr tun, als dir die Tür verschließen, Was schadet das? Er schlägt dir dann den Arm Nicht wieder lahm – er tats, doch wars im Rausch! – Das ist kein Unglück, darum folge mir! Als er so sprach, daß schüttelt ich den Kopf, Doch, als mein Vater ihn mit Füßen trat, Statt ihn, wie ers verdiente, zu umarmen, Da nickte ich, und nun, nun bin ich hier! So kommt er auch? Was sollte ich sonst da? Um sieben wollt er kommen, doch sein Herr Hält ihn wohl auf, wie immer! zu Bartolino. Hörst du das? Ei wohl, und bin begierig, was du tust? zu Angiolina. Sind Ring und Spangen und die Kette echt? Sie sinds, doch sind sie drum nicht minder mein! zu Bartolino. Was meinst du, geben wirs zurück? Ist das Die Weisheit aus Algier? Dann wär der Spaß Wohl besser unterblieben! Du hast recht! Wer weiß, ob die nicht dennoch plauderte! Zu ihrem Bräutigam gewiß, und der Legts ernsthaft aus – Und wir, wir sind zu kennen! Die Schmarre hier – Zeigt auf sein Gesicht. Sie hat dich einmal schon Verraten – denkst du noch an den Tabak? Das ging vortrefflich mit der Schmuggelei! Wohl! Dieser Schmarre wegen muß sie dran! Auch gibt es nächstens eine Musterung, Da dürfen wir nicht ohne die Medaillen Erscheinen, die wir jüngst für Wein versetzt; Woher das Geld, sie einzulösen, nehmen? Verflucht, daß wir uns ausgezeichnet haben, Als es die Diebe einzufangen galt, Das dringt uns jetzt verruchte Taten ab! So zieh! Zieh du! Ich nicht allein! Ihr Herren! Nun? Müßig Zusehn gilt hier nicht! Drauf los! Denk dir, sie habe dies und das getan! Hei! Kinderköpfe und Algier! Sie durchstechen Angiolina. O! O! sterbend. Das – ist – ja schrecklich für Sebastian! Stirbt. Ist das schon aus? Was war das für ein O? Vernahmst dus nicht? Die Erde hat geseufzt, Das soll sie, wenn sie Blut trinkt, immer tun! Mir war, als käm es aus der Luft! So ists Ihr Geist gewesen, der noch – armer Geist! Wenns nur kein Mensch war! Sahst du einen Menschen? Fort! Fort! Doch nein! Mir fällt was Beßres ein! Beiseite nur! Wir passen, bis der Bursche Sich einstellt, der Sebastian, dann – Man kommt! Er ists! Der Mörder! Wenn es nur nicht zwei sind! Jetzt hintern Baum! Steht die nicht wieder auf? Beide ab. 4. Szene Vierte Szene kommt. Das war ein Tag, wie zwei. So gehts mir stets, Wenn ich mir meine Freude merken lasse. Mein Herr verträgt kein fröhliches Gesicht, Seit ihm die Gicht in beide Beine fuhr. Der alte Pater harrt. So ist doch alles Zu etwas gut auf Erden! Hätte dieser Nicht meiner Schwester – habe Gott sie selig, Trotz ihres Fluchens auf dem Sterbebett! – Die Absolution versagt und so Den Kopf verrückt, er tät es nimmermehr! Zwei Stunden sinds von hier. Das ist bei Nacht, Was eine halbe wär am heißen Tag! – Wenn sie nur kommt! Nur einen Funken Mut, Nur einen blase in ihr an, o Gott, So mancher wird zu schlechtem Zweck verschwendet. Und sie, sie sündigt sicherlich doch eher, Wenn sie sich einem Vater, wie dem ihren, Nicht widersetzt, als wenn sie endlich sich Erinnert, daß sie Mensch ist, wie er selbst, Und ihm – Er erblickt die Tote. Unmöglich! Blutend! Tot! Er sinkt an ihr nieder. Ja, tot! Kann das denn wirklich auf der Welt geschehn? Ermordet! Solche ein Kind! O Bube! Bube! Warum kamst du so spät! Der Dienst! Was Dienst! Gabs keinen andern mehr? Wütet gegen sich. 5. Szene Fünfte Szene Ambrosio und Bartolino kommen wieder. Pack ihn, den Mordhund! springt auf. Mit Zähnen, ja. Wo ist er? Wo? Sag an! faßt ihn an. Man hat ihn schon! Man hat – Du bists ja selbst! lacht. Ich? Du! Wer sonst? Die da war meine Braut! So hast dus wohl aus Eifersucht getan? Da siehst du nun, wie weit die Narrheit führt! Aus Eifersucht! Was kümmerts mich, warum! Das hat man in Palermo zu ermitteln! Zu Bartolino. Du, such den Dolch, er warf ihn ins Gebüsch! Du lügst! Man sahs! Du könntest nicht so lügen, Wenn du – o Gott, der Teufel tats wohl selbst! – Wie sollt er sonst – – Komm, schau mir ins Gesicht! Kannst dus? Ich kanns Ich aber kann es nicht! Fällt wieder an ihr nieder. O Angiolina, das ist unsre Hochzeit? Du tot! Ich leb! Warum kam ich so spät! Die Hand noch warm! Es ist nur kaum geschehn! Verflucht der Quell, bei dem ich saß und trank! Ich wollte doch, wir hättens nicht getan! Das bißchen Geld, wie bald ist das verzehrt! O daß ich hier mich selber vor mir hätte, Mich, der ich säumte, der ich ging, als hinge Die Arbeit eines Jahrs mir an den Füßen, O, daß ich mich Ballt die Faust gegen sich selbst. – denn ich bin schuld daran, Wer konnt es tun, wenn ich zur Stelle war! Zu Ambrosio. Leih mir dein Schwert! zu Bartolino. Du hörst doch, was er sagt? Er bettelt um den Tod! Zu Sebastiano. So geht es nicht, Doch in Palermo gibt es einen Mann, Der dich bedient, auch wenn dus nicht verlangst! Mich graust! Gewissensbisse, he? Für sich. Der Wicht Stach in die Luft und fühlt doch Mörderangst. Ja, ja, die innre Stimme, die nicht trügt, Der Wurm, der niemals stirbt! Doch horch! Man kommt! 6. Szene Sechste Szene Der Podesta, Herr Gregorio, und Anselmo treten auf, von einigen Soldaten, mit Fackeln zum Teil, gefolgt. Ein was, ei was, man muß die Tochter hüten, Wenn man ein Weib aus ihr zu machen denkt; Denn Leute gibts, die keine Blume pflücken, Auf der sie eine Spinne sitzen sahn, Und andre gibt es, die kein Mädchen nehmen, Das ohne Mutter in die Messe geht. Ihr habt mir das schon zwanzig Mal gesagt! Und öfter noch gedenk ichs Euch zu sagen! Ich bin ein alter Mann, wie meint Ihr wohl, Daß ein Spaziergang mir bei Nacht bekommt? Ich weiß es im voraus, ich huste morgen, Und daran ist doch keiner schuld, als Ihr! Was zwang Euch, mitzugehen? Was mich zwang? Zuerst, ich bin der Podesta; und dann Muß ich doch sehn, wie man das Püppchen findet, Das ich mir für mein Ehebett erkor. Denn, wenn es mir auch keineswegs mißfällt, Daß sich ein andrer in dem Augenblick Vielleicht erhängt, wo ich sie an mich drücke, So will ich doch nicht, daß er spotten kann: Nimm du den Stiel, die Kirsche war für mich! Herr! Nun? O, das verdammte Kartenspiel! Die Hölle dem, der es erfunden hat! Es hat Euch manchen Abend doch verkürzt. Es hat um meine Freiheit mich gebracht. Um Eure Freiheit? Sitzt Ihr schon im Turm? Ich meine nicht! Gewissermaßen, ja! Ich darf nicht fluchen, wenn ich fluchen möchte, Nicht um mich hauen, wenn ich – Fluchen! Hauen! Das sind Gelüste sonderbarer Art! Nehme es nicht zu genau mit mir, Ihr wißt, Ich war ein Mann, der reichlich leben konnte, Ich gelte bis zur Stunde noch dafür, Noch heute wollte einer von mir borgen, Dem ich wohl ehemals zu helfen pflegte; Und dennoch – Nun, es steht ja alles gut, Wenn Eure Tochter wirklich, wie Ihr sagt, Nur fort lief, weil Ihr sie geprügelt habt, Ich gebe Euch für ihre roten Backen Den ausgestellten Schuldschein ja zurück; Das wird genug sein für zwei Sodoms-Äpfel. Doch freilich, freilich, wenn Ihr mich belogen – Verzeiht – getäuscht ... Das tat ich, wenn ich sagte, Daß sie gejubelt, als ich für Euch warb! Das fordr ich nicht! Gejubelt! Nein, das nicht! Selbst, als ich jünger war, geschah das nicht, Ich habe selten Neigungen erweckt, Und das war gut, obgleich es mich verdroß; Denn eben dadurch kam ich zur Besinnung Und ging den Weg, auf dem man Geld erwirbt. Nun hab ich Geld und kann mir alles kaufen, Was sich ein anderer erbetteln muß. Ach Gott, Ihr wißt nicht, wie die Menschen sind! – Was schwatz ich da! Ihr wißt es ja recht gut, Ihr seid ja selbst ein Hauptbeweis dafür! Ja, ja! Was soll das klägliche Gesicht? Mit Mienen, merkt Euch, dringt man mir nichts ab, Und könnt Ihr mir nicht halten, was Ihr mir Versprochen habt, so wirds Euch schlecht ergehn; Ich nehm Euch alles weg, was Ihr besitzt, Und gebs Euch nur in Pfenningen zurück, Wen Ihr als Bettler kommt an meine Tür. Ihr habt gesehn, ich warf die Fischersleute, Die mir bei Nacht den Weinberg plünderten, Ins tiefste Loch, obgleich ich keine Traube Drin lesen ließ, solang ich ihn besaß. Hei, wenn es mir gefällt, die ganze Ernte Im Halm zu kaufen und sie stehn zu lassen Fürs Wild und für die Vögel: kümmerts wen? Ich glaube nicht, wenn ich nur zahlen kann! Die Küsse bringt man freilich nicht mehr ein, Die man versäumt hat, und die Jubelnächte; Der Gaum ist stumpf, die Lippen sind vertrocknet, Das ist vorbei, doch dafür hat man Macht! Was soll dies alles mir? Es soll Euch warnen, Daß Ihr nicht etwa denkt: der Alte da Hat mehr, als er gebraucht, wie sollte er Mir nehmen, was er nicht entbehrt! – Er wird Es tun, ich sags aus Freundschaft Euch voraus, Wenn Ihr ihm seine Pläne kreuzt! Wer zweifelt? Ich will in meinem siebenzigsten Jahr Das schönste Mädchen noch zur Frau. – Ich wills! Ist das genug? – Ich will es, weil ichs will! Da Eure Tochter nun, wie man behauptet, Und wie mir selber deucht, die Schönste ist, So hab ich sie gewählt, und Euch als Preis, Was Ihr im Spiel verloren, vorgeschossen. Und nun, nun ist sie Euch davongelaufen – Davongelaufen! – Aber, seht Euch vor! Ein Nervenfieber, wenn es sie befiele Und auf die Bahre lieferte, der Schlag, Wenn er sie plötzlich rührte, würde nicht Bei mir genügen, Eure Schuld zu tilgen, O nein! Ihr steht das Risiko für sie! Sie ist gesund und jung! Ihr denkt vielleicht: Was will der Alte auch, er wird sich finden, Wenn sie – er schwärmt ja nicht für sie – Ihr irrt! Er schwärmt für das Gefühl, sie sein zu nennen, Er weiß, da viele ihn beneiden werden, Wenn sie, mit Gold und Perlen überhäuft, An seinem Fenster hinter Blumen sitzt, Und dieser Neid ergötzt ihn. Wär ich blind, So kauft ich mir die besten Bilder auf Und hinge sie in einem Saal herum, Den außer mir kein Mensch betreten dürfte; Und wär ich taub, so setzt ich die Kapelle Aus allen großen Virtuosen mir Zusammen, die mir täglich spielen müßte, Mir ganz allein, und keinem andern mehr; Dann hätte Raffael nur für mich gemalt Und Palestrina nur für mich gesetzt, Ja, nicht einmal für mich, das wär doch putzig; Und wenn ich all das Zeug verbrennen ließe, Die heiligen Familien und die Messen, So wärs vorbei mit der Unsterblichkeit! Da ich nur alt bin, nehm ich eine Frau! für sich. Wär das nun eine Missetat gewesen, Die Welt von diesem Teufel zu befrein? Das Eisen wird in Gold verwandelt werden, Das dem zum letzten Aderlaß verhilft! Was murmelt Ihr? Ich sprach mein Nachtgebet! Nur weiter! Warum links? Ich gehe rechts! Links kommt ein Kreuz! Und da sie diesen Weg Gegangen sein soll, wie der Hirt uns sagte, Der abends mit das Haus mir Milch versorgt, So hat sie sicher sich zum Kreuz gewandt. Sie wenden sich, in demselben Augenblick treten ihnen Ambrosio und Bartolino, die sie längst bemerkt und sich ihnen genähert haben, entgegen. zu Bartolino. Nun sei Soldat! Laut. Wer da? Der Podesta! Der Podesta? Der Podesta! So ward Der schaudervolle Mord Euch schon bekannt? Ein Mord? Begangen unter unsren Augen! Und nicht verhindert, he? zu Ambrosio. Da hast dus schon! Das Auge reicht doch weiter, als die Hand! Wir kamen – sieht den Leichnam im Licht einer Fackel. Angiolina! Gott im Himmel! Wie? Was? Mein Kind! Schaudernd. Ich sehe meine Frau! Der Mörder liegt dabei! Lebendig? Ja! Doch ist er so von Reu und Schmerz ergriffen, Daß er sich selbst den Tod schon geben wollte, Ich wehrt ihm das! zu dem daliegenden Sebastiano. Auf, Schurke, auf mit dir! Was gibt es denn? Steht auf. Ja so! Du bist es? Du? Ich! Seid Ihrs denn nicht auch? O Bösewicht! Als ich dir antrug, Er deutet auf Herrn Gregorio. diesen Hund zu töten, Da hattst du deine reine Hand zu lieb, Obgleich ich dir mein Kind dafür versprach! Ich jetzt, jetzt hast du – Herr, was sprecht Ihr da? Nichts, was ich widerrufen werde, Herr! Ihr hättet – Ja, verfluchter Menschen-Quäler, Wenn dieser Bube Mut besessen hätte, So war es um den Aufkauf unsrer Ernte, Ums Bilder-Kabinett und die Kapelle Und um die Hochzeitsnacht zugleich geschehn. Ich schlugs denselben Nachmittag ihm vor, An dem du deine unverschämte Absicht Mir offenbartest und den Grund, warum Du mir das Geld geborgt, ja aufgedrungen: Er wollte nicht, und seit der Stunde haßt ich Ihn selbst, sonst haßt ich seine Armut nur! Ich werds mir merken. Morgen – Kannst du tun, Was dir beliebt, heut sprech ich, wie ich will, Ich hab genug verschluckt! wendet Anselmo den Rücken; zu Sebastiano. Bist du der Mörder? Nehmt mich dafür, schlagt mir den Kopf herunter, Wer hat denn was dagegen, daß Ihrs tut? Nein, so weit darfs nicht gehn! Hast dus getan? Hier steh ich – und dort liegt sie; macht nur, macht! Es wird schon alles klar und offenbar! Unschuldig bin ich nicht, verlaßt Euch drauf. Er ist verrückt! Weil er die Wahrheit sagt? Die Wahrheit? Ha! Sinn etwas Beßres aus, Ich gebs nicht zu, daß man den Tollen köpft, Vor diesem Frevel schaudert mir die Haut, Den büßte man nicht ab im Fegefeuer, Ein andres wär es, wenn er leugnete! Du schweigst! Ich schweige nicht! Was meinst du wohl? Ich hab Respekt vor dir! Doch auch vor Gott! wird auf den heimlichen Zwiesprach der beiden aufmerksam. Die zanken sich wohl gar! – Was haben sie? sehr laut. Der war es nicht! Er wars! Kurzsichtig ist Mein Kamerad und glaubt, der rechte sei Entsprungen, doch – Ich sage noch einmal – Zum Teufel! Dringt mit dem Schwert auf Bartolino ein. Was? Willst du mich auch erstechen? Nimm dich in acht, ich plaudre alles aus! Auch? Auch? Du hast es schon getan! Was denn Getan? Ich sage nichts! O, hätt ich dich Auf eine Viertelstunde noch allein, So wär mein letzter Wunsch erfüllt! Was willst du? Ich schwöre alles wieder ab! Laut. Er wars, Mich überkam das Mitleid, weil – – Zu Ambrosio. Sprich du! Ich tats! Für sich. Wär ich nur Ring und Kette los! Soldaten! Seht, ob dieser Deutet auf Sebastiano. blutig ist! ihn beleuchtend. Er ist es, auf dem Rücken! Auf dem Rücken? Die Hände hat er aber vorn! für sich. Verdammt! Ich wischte meine Klinge an ihm ab, Es war zu dunkel, das gescheit zu machen! zu Sebastiano. Mensch, tu den Mund auf! Sprich! Es geht dich an! Köpft, wen Ihr wollt, mich, die, was fragt Ihr viel? Der tat es sicher nicht! O, sicher nicht! Doch, das ist alles gleich! Es wird sich finden! Gebt mir nur erst mein Teil! So tatens die! Beweis! Beweis! Wir tragen Uniform Und sagen nein! 7. Szene Siebente Szene tritt auf mit einem Korbe. Holla! Beweis genug! Wo kommst du her? Aus jenem Baum! Ich saß Hoch oben in der Krone! Nun ists aus! Mir fehlts am Stein, der unsichtbar mich macht! So kam das O von dem! zum Bauer. Nun? Zieht dem Langen Die Stiefel ab! Ihr werdet Ring und Kette Des Mädchens darin finden! Also der? Und der, jawohl! Die beiden! Weiter, weiter! Wie kamst du in den Baum? Du lieber Gott! Ich hatte mir ein bißchen Obst geholt Aus einem Garten, der nicht meiner war, Und da ich hier die Wächter stehen sah, So kroch ich, um den vielen Fragereien Mich zu entziehn, hinauf. Nun kam das Mädchen; Und was mit der geschah, das seht ihr selbst! Du armes Kind, ich konnte dir nicht helfen, Es war kein Mensch zu hören, noch zu sehn! Ich wäre fast im ersten Schreck gestürzt, Mein Korb entglitt mir, doch zu meinem Glück Fing ich ihn wieder auf, sonst wär ich selbst Den Bösewichtern in die Hand gefallen – Und wüßtest jetzt, ob Petrus sich rasiert! Dann ward ich starr und steif und konnte kaum Ein Glied noch rühren, ja ich hatte Mühe, Nicht einzuschlafen, denn mir war zumut, Als hätte ich in meinem ganzen Leibe Nicht einen Tropfen warmen Blutes mehr! zu Ambrosio. Du siehst, wenn ich es nicht verraten hätte – Ich seh, die Tat war im voraus verflucht, Und was verloren ist, das ist verloren, Sprach Bonaparte auf Sankt Helena! Nun, der hat auch daran gemußt, wie ich, Und mehrmals ist es mir, wie ihm, geglückt! Zu Herrn Gregorio und Anselmo. Ich tats, der Lump hat keinen Teil daran, Ich meine diesen, der hier bei mir steht, Seht nach, sie kann nur eine Wunde haben, Die ist von mir, nun macht, was euch gefällt! Ich bin Soldat, mir wird ein Tod durchs Schwert, Wie schnell der kommt, das sah ich ja Deutet auf die Tote. an der! will Ambrosio das Schwert entreißen. Hund! Halt! Du bist nicht zünftig! In Palermo! Und das mit allem Pomp, der sich gebührt! zu Sebastiano. Wie konntest du nur – Weil ich sterben wollte, Und weil sie, wär ich früher hier gewesen – – Da liegts! Da liegts! Ich trag die größte Schuld! Du darfst nicht sterben! Nicht? Ich bin ein Bettler, Und brauche jemand, der – verstehst du mich? Hast du mein Kind geliebt, so zeig es jetzt, Indem du ihre Pflichten übernimmst! Ein Bettler? Ihr? Dem Alten da gehört, – Aus falscher Scham hab ichs bisher verhehlt – Was ich besitze, und er jagt mich morgen, Weil ich ihm nicht die Frau mehr liefern kann, Aus meinem Haus und machts zum Pferdestall. Das tu ich! Doch ich glaub, ich tät es nicht, Wenn Ihr – Schweigt still! Hätt ich die Tochter noch, So wär ich nicht verlassen! Ganz gewiß nicht! Ihr sollts auch jetzt nicht sein, ich werde leben Und Euch beweisen, daß ich Brot für zwei Zu schaffen weiß; eßt es, so lang Ihr könnt, Es wär wohl auch für drei genug gewesen, Doch seid gewiß, daß Eure Todesstunde Auch meine sein wird! zu den Soldaten. Auf nun nach Palermo! – Wie gählings kommt der Tod! Schüttelt sich.