Johann Peter Hebel
Schatzkästlein
des rheinischen Hausfreundes
Vorrede
Die Veranlassung zur Herausgabe dieses Büchleins muß seinen Titel rechtfertigen, und der Titel die Herausgabe. Der Verfasser hat nämlich seit vier Jahren die Lesestücke des Badischen Landkalenders, genannt
Der rheinländische Hausfreund
, geliefert, und die Cottaische Buchhandlung in Tübingen hegte die gute Meinung, es wäre schade, wenn die besten Aufsätze darin, innerhalb des Marktkreises des Kalenders und mit dem nämlichen Jahr, wofür sie geschrieben sind, wieder untergehen sollten, und druckt sie daher für ein eigenes Büchlein, samt den mittelmäßigen ab, damit sich jene besser herausheben.
Der geneigte Leser wird sich gefällig erinnern, mehrere der eingebrachten Erzählungen und Anekdoten anderswo auch schon gehört oder gelesen zu haben, wäre es auch nur im Vademecum, von welcher Allmende oder Gemeinwiese sie der Verfasser zum Teil selber gepflückt hat. Doch ließ er's nicht beim bloßen Abschreiben bewenden, sondern bemühte sich, diesen Kindern des Scherzes und der Laune auch ein nettes und lustiges Röcklein umzuhängen, und wenn sie darin dem Publikum wohlgefallen, so ist ihm ein schöner Wunsch gelungen, und er macht auf die Kinder selbst keine weiteren Ansprüche.
Übrigens, sagt die Verlagshandlung, findet sich das Beste nicht sogleich am Anfang, sondern in der Mitte, und wie an einem Ballen Tuch am Ende des Büchleins, von welchem auch das letzte Muster im Morgenblatt abgeschnitten ist. Sie rechnete auf viele Leser, die, wie die Bekenner des mosaischen Gesetzes, dort zu lesen anfangen, wo andere aufhören.
Allgemeine Betrachtung über das Weltgebäude
Dem geneigten Leser, wenn er zwischen seinen bekannten Bergen und Bäumen daheim sitzt bei den Seinigen, oder bei einem Schöpplein im Adler, so ist's ihm wohl, und er denkt just nicht weiter. Wenn aber früh die Sonne in ihrer stillen Herrlichkeit aufgeht, so weiß er nicht, wo sie herkommt, und wenn sie abends untergeht, weiß er nicht, wo sie hinzieht, und wo sie die Nacht hindurch ihr Licht verbirgt, und auf welchem geheimen Fußpfad sie die Berge ihres Aufgangs wiederfindet. Oder wenn der Mond einmal bleich und mager, ein andermal rund und voll durch die Nacht spaziert, er weiß wieder nicht, wo das herrührt, und wenn er in den Himmel voll Sterne hinaufschaut, einer blinkt schöner und freudiger als der andere, so meint er, sie seien alle wegen seiner da, und weiß doch nicht recht, was sie wollen. Guter Freund, das ist nicht löblich, daß man so etwas alle Tage sieht, und fragt nie, was es bedeutet. Der Himmel ist ein großes Buch über die göttliche Allmacht und Güte, und stehen viel bewährte Mittel darin gegen den Aberglauben und gegen die Sünde, und die Sterne sind die goldenen Buchstaben in dem Buch. Aber es ist arabisch, man kann es nicht verstehen, wenn man keinen Dolmetscher hat. Wer aber einmal in diesem Buch lesen kann, in diesem Psalter, und liest darin, dem wird hernach die Zeit nimmer lang, wenn er schon bei Nacht allein auf der Straße ist, und wenn ihn die Finsternis verführen will, etwas Böses zu tun, er kann nimmer.
Also will jetzt der Hausfreund eine Predigt halten, zuerst über die Erde und über die Sonne, darnach über den Mond, darnach über die Sterne.
Die Erde und die Sonne
Nach dem Augenschein und nach dem allgemeinen Glauben wäre die Erde mit allen ihren Bergen und Tälern eine große runde Fläche, gleich einer ungheuer großen Scheibe. Am Rande derselben weiter hinaus kommt nichts mehr, dort ist gleichsam der Himmel an sie angefügt, der wie eine große hohle Halbkugel über ihr steht und sie bedeckt. Dort geht am Tag die Sonne auf und unter, bald früher, bald später, bald links an einem gewissen bekannten Berg oder Haus, bald rechts, und bringt Tag und Nacht, Sommer und Winter, und bei Nacht den Mond und die Sterne, und sie scheinen nicht gar entsetzlich hoch über unsern Häuptern zu stehen.
Das wäre nun alles gut, wenn's niemand besser wüßte, aber wir Sternseher und Kalendermacher wissen's besser. Denn
erstlich
, wenn einer daheim weggeht, und will reisen bis ans Ende der Erde, an den Rand, wo man einen aufgehenden Stern mit der Hand weghaschen und in die Tasche stecken kann, und er geht am 1. April von Hause aus, so hat er den rechten Tag gewählt. Denn er kann reisen, wenn er will durch Deutschland, durch Polen, durch Rußland, nach Asien hinein durch die Muhamedaner und Heiden, vom Land aufs Wasser, und vom Wasser wieder aufs Land, und immer weiter. Aber endlich, wenn er ein Pfeiflein Tobak einfüllt, und will daran denken, wie lang er schon von den Seinigen weg ist, und wie weit er noch zu reisen hat ans Ende der Erde und wieder zurück, auf einmal wird's ihm heimlich in seinem Gemüt, es wird nach und nach alles, wie es daheim war, er hört seine Landessprache wieder sprechen, zuletzt erblickt er von weitem einen Kirchturm, den er auch schon gesehen hat, und wenn er auf ihn hingeht, kommt er in ein wohlbekanntes Dorf, und hat nur noch 2 Stunden oder drei, so ist er wieder daheim, und hat das Ende der Erde nie gesehen. Nämlich er reist um die Erde, wie man einen Strich mit Kreide um eine Kugel herumzieht, und kommt zuletzt wieder auf den alten Fleck, von dem er ausging.
Es sind schon mehr als 20 solcher Reisen um die Erde nach verschiedenen Richtungen gemacht worden. In zwei bis vier Jahren, je nachdem, ist alles geschehen. Ist nicht der englische Seekapitän Cook, in
einem
Leben zweimal um die ganze Erde herum gereist, und von der anderen Seite her wieder heimgekommen, aber das drittemal haben ihn die Wilden auf der Insel Owai ein wenig totgeschlagen, und gegessen.
Daraus und aus mehrern sicheren Anzeigen erkennen die Gelehrten folgendes: die Erde ist nicht bloß eine ausgebreitete, rund abgeschnittene Fläche, nein, sie ist eine ungeheure große Kugel. Weiters: sie hängt und schwebt frei und ohne Unterstützung, wie seines Orts die Sonne und der Mond, in dem unermeßlichen Raum des Weltalls unten und oben zwischen lauter himmlischen Sternen.
Weiters
: sie ist rings um und um, wo sie Land hat, und wo die Hitze oder der bittere Frost es erlaubt, mit Pflanzen ohne Zahl besetzt, und von Tieren und vernünftigen Menschen belebt. Man muß nicht glauben, daß auf diese Art ein Teil der Geschöpfe mit dem Kopf abwärts hänge, und in Gefahr stehe, von der Erde weg, und in die Luft herabzufallen. Dies ist lächerlich. Überall werden die Körper durch ihre Schwere an die Erde angezogen, und können ihr nicht entlaufen. Überall nennt man unten, was man unter den Füßen hat; und oben, was über dem Haupt hinaus ist. Niemand merkt oder kann sagen, daß er unten sei. Alle sind oben, solang sie die Erde unter den Füßen, und den Himmel voll Licht oder Sterne über dem Haupte haben.
Aber der geneigte Leser wird nicht wenig erstaunen, wenn er's zum erstenmal hören sollte, wie groß diese Kugel sei: Denn der Durchmesser der Erde beträgt in gerader Linie von einem Punkt der Oberfläche durch das Zentrum hindurch zum andern Punkt, eintausendsiebenhundertundzwanzig deutsche Meilen. Der Umkreis der Kugel aber beträgt fünftausendvierhundert deutsche Meilen.
Ihre Oberfläche aber beträgt über neun Millionen Meilen ins Gevierte, und davon sind zwei Dritteil Wasser, und ein Dritteil Land.
Ihre ganze Masse aber beträgt mehr als zweitausendsechshundertundzweiundsechzig Millionen Meilen im Klaftermaß. Das haben die Gelehrten mit großer Genauigkeit ausgemessen und ausgerechnet, und sprechen davon, wie von einer gemeinen Sache. Aber niemand kann die göttliche Allmacht begreifen, die diese ungeheure große Kugel schwebend in der unsichtbaren Hand trägt, und jedem Pflänzlein darauf seinen Tau und sein Gedeihen gibt, und dem Kindlein, das geboren wird, einen lebendigen Odem in die Nase. Man rechnet, daß tausend Millionen Menschen zu gleicher Zeit auf der Erde leben, und bei dem lieben Gott in die Kost gehen, ohne das Getier. Aber es kommt noch besser.
Denn
zweitens
: die
Sonne
, so nahe sie zu sein scheint, wenn sie früh hinter den Bergen in die frische Morgenluft hinauf schaut, so ist sie doch über zwanzig Millionen Meilen weit von der Erde entfernt. Weil aber eine solche Zahl sich geschwinder aussprechen, als erwägen und ausdenken läßt, so merke: Wenn auf der Sonne eine große scharf geladene Kanone stünde, und der Konstabler, der hinten steht und sie richtet, zielte auf keinen andern Menschen als auf dich, so dürftest du deswegen in dem nämlichen Augenblick, als sie losgebrannt wird, noch herzhaft anfangen ein neues Haus zu bauen, und könntest: darin essen und trinken und schlafen, oder du könntest ohne Anstand noch geschwinde heiraten, und Kinder erzeugen und ein Handwerk lernen lassen, und sie wieder verheiraten und vielleicht noch Enkel erleben. Denn wenn auch die Kugel in schnurgerader Richtung und immer in gleicher Geschwindigkeit immer fort und fort flöge, so könnte sie doch erst nach Verfluß von 25 Jahren von der Sonne hinweg auf der Erde anlangen, so doch eine Kanonenkugel einen scharfen Flug hat, und zu einer Weite von 600 Fuß, nicht mehr als den sechzigsten Teil einer Minute bedarf.
Daß nun
weiters
die Sonne auch nicht bloß eine glänzende Fensterscheibe des Himmels, sondern wie unser Erdkörper eine schwebende Kugel sei, begreift man schon leichter. Aber wer vermag mit seinen Gedanken ihre Größe zu umfassen, nachdem sie aus einer so entsetzlichen Ferne solche Kraft des Lichts und der Wärme noch auf die Erde ausübt, und alles segnet, was ihr mildes Antlitz bescheint? Der Durchmesser der Sonne ist 114mal größer als der Durchmesser der Erde. Aber im Körpermaß beträgt ihre Masse anderthalb Millionen mal so viel als die Erde. Wenn sie hohl wäre inwendig, so hätte nicht nur unsere Erde in ihr Raum, auch der Mond, der doch 50000 Meilen von uns absteht, könnte darin ohne Anstoß auf- und untergehn, wie so, ja er könnte noch einmal so weit von uns entfernt sein als er ist, und doch ohne Anstoß um die Erde herumspazieren, wenn er wollte. So groß ist die Sonne, und geht aus der nämlichen allmächtigen Hand hervor, die auf der Erde das Magsamen- oder Mohnsamenkörnlein in seiner Schale bildet und zur Reife bringt, eins so unbegreiflich, wie das andere. Der Hausfreund wenigstens wüßte keine Wahl, wenn er eine Sonne, oder ein Magsamenkörnlein machen müßte mit einem fruchtbaren Keim darin.
Lange nun glaubten selbst die gelehrtesten Sternforscher, diese ganze unermeßliche Sonnenmasse sei nichts anders, als eine glühende Feuerkugel durch und durch. Nur konnte keiner von ihnen begreifen, wo dieses Feuer seine ewige Nahrung faßt, daß es in tausend und aber tausend Jahren nicht abnimmt, und zuletzt, wie ein Lämplein verlöscht; denn die gelehrten Leute wissen auch nicht alles, und reiten manchmal auf einem fahlen Pferd. Wer alles wissen will, dem ist schlecht zu trauen, sondern er treibt's mit seinen Antworten, wie der Matheis, der das Eis bricht. »Hat er keins, macht er eins« nach dem Sprichwort.
Deswegen will es nun heutzutag den Sternforschern und andern verständigen Leuten scheinen, die Sonne könne an sich wohl wie unsere Erde ein dunkler und temperierter, ja ein bewohnbarer Weltkörper sein. Aber wie die Erde ringsum mit erquickender Luft umgehen ist, so umgibt die Sonne ringsum das erfreuliche Licht, und es ist nicht notwendig, daß dasselbe auf dem Sonnenkörper selbst eine unausstehliche zerstörende Hitze verursachen müsse, sondern ihre Strahlen erzeugen die Wärme und Hitze erst, wenn sie sich mit der irdischen Luft vermischen, und ziehen dieselbe gleichsam aus den Körpern hervor. Denn daß die Erde eine große Masse von verborgener Wärme in sich selbst hat, und nur auf etwas warten muß, um sie von sich zu geben, das ist daran zu erkennen, daß zwei kalte Körper mitten im Winter durch anhaltendes Reiben zuerst in Wärme, hernach in Hitze, und endlich in Glut gebracht werden können. Und wie geht es zu, je weiter man an einem hohen Berg hinaufsteigt, und je näher man der Sonne kommt, daß man immer mehr in die Hände hauchen muß, und zuletzt vor Schnee und Eis nimmer weiterkommt, fragen die Naturkundiger, wenn die Sonne ein sprühendes Feuer sein soll?
Also wäre es wohl möglich, daß sie an sich ein fester mit mildem Licht umflossener Weltkörper sei, und daß auf ihr jahraus jahrein wunderschöne Pfingstblumen blühen und duften, und statt der Menschen fromme Engel dort wohnen, und ist dort, wie im neuen Jerusalem, keine Nacht und kein Winter, sondern Tag und zwar ein ewiger freudenvoller Sabbat und hoher Feiertag. Schon Doktor Luther hat einmal so etwas verlauten lassen, und der gelehrige Leser begreift's ein wenig, aber doch nicht recht.
[1812]
Die Fortsetzung folgt [
hier
].
Denkwürdigkeiten aus dem Morgenlande
1
In der Türkei, wo es bisweilen etwas ungerade hergehen soll, trieb ein reicher und vornehmer Mann einen Armen, der ihn um eine Wohltat anflehte, mit Scheltworten und Schlägen von sich ab, und als er ihn nicht mehr erreichen konnte, warf er ihn noch mit einem Stein. Die es sahen, verdroß es, aber niemand konnte erraten, warum der arme Mann den Stein aufhob, und ohne ein Wort zu sagen, in die Tasche steckte, und niemand dachte daran, daß er ihn von nun an so bei sich tragen würde. Aber das tat er. Nach Jahr und Tag hatte der reiche Mann ein Unglück, nämlich er verübte einen Spitzbubenstreich, und wurde deswegen nicht nur seines Vermögens verlustig, sondern er mußte auch nach dortiger Sitte zur Schau und Schande, rückwärts, auf einen Esel gesetzt, durch die Stadt reiten. An Spott und Schimpf fehlte es nicht, und der Mann mit dem rätselhaften Stein in der Tasche stand unter den Zuschauern eben auch da, und erkannte seinen Beleidiger. Jetzt fuhr er schnell mit der Hand in die Tasche; jetzt griff er nach dem Stein; jetzt hob er ihn schon in die Höhe, um ihn wieder nach seinem Beleidiger zu werfen, und wie von einem guten Geist gewarnt, ließ er ihn wieder fallen, und ging mit einem bewegten Gesicht davon.
Daraus kann man lernen: Erstens, man soll im Glück nicht übermütig, nicht unfreundlich und beleidigend gegen geringe und arme Menschen sein. Denn es kann vor Nacht leicht anders werden, als es am frühen Morgen war, und »wer dir als Freund nichts nützen kann, der kann vielleicht als Feind dir schaden«. Zweitens, man soll seinem Feind keinen Stein in der Tasche, und keine Rache im Herzen nachtragen. Denn als der arme Mann den seinen auf die Erde fallen ließ und davonging, sprach er zu sich selber so: »Rache an dem Feind auszuüben, solange er reich und glücklich war, das war töricht und gefährlich; jetzt, wo er unglücklich ist, wäre es unmenschlich und schändlich.«
2
Ein anderer meinte, es sei schön, Gutes zu tun an seinen Freunden, und Böses an seinen Feinden. Aber noch ein anderer erwiderte:
das
sei schön, an den Freunden Gutes zu tun, und die Feinde zu Freunden zu machen.
3
Es ist doch nicht alles so uneben, was die Morgenländer sagen und tun.
Einer, namens Lockmann, wurde gefragt, wo er seine feinen und wohlgefälligen Sitten gelernt habe? Er antwortete: »Bei lauter unhöflichen und groben Menschen. Ich habe immer das Gegenteil von demjenigen getan, was mir an ihnen nicht gefallen hat.«
4
Ein anderer entdeckte seinem Freund das Geheimnis, durch dessen Kraft er mit den zanksüchtigen Leuten immer im guten Frieden ausgekommen sei. Er sagte so: »Ein verständiger Mann und ein törichter Mann können nicht einen Strohhalm miteinander zerreißen. Denn wenn der Tor zieht, so läßt der Verständige nach, und wenn jener nachläßt, so zieht dieser. Aber wenn zwei Unverständige zusammenkommen, so zerreißen sie eiserne Ketten.«
[1804]
Erstes Rechnungsexempel
Man sollte nicht glauben, daß ein Mensch, der auf leichtfertigen Wegen sein Glück sucht, mit lauter Gewinnen immer verlieren, und zuletzt um Habe und Vermögen dabei kommen kann. Aber die Sache hat Grund. Man erzählt, daß ein Mensch, der sich, lieber im Müßiggang durch schlechte Mittel, als durch Fleiß und Arbeit ernähren wollte, einen Bund mit dem bösen Geist gemacht habe. Der Mann wohnte an einem Wasser, und der Böse versprach ihm, alles bare Geld, das er im Hause habe, zu verdoppeln, wenn er damit über die Brücke gehe, und verlange nichts dafür, als daß er ein 24-Kreuzerstück davon ins Wasser werfe, wenn er wieder über die Brücke zurückgehe, und das dürfe er wiederholen, seinetwegen sooft er wolle. Der Einfältige schlägt mit Freuden ein, sucht alles bare Geld im Hause zusammen, macht die erste Probe, und diesmal scheint der schwarze Feind ehrlich zu sein, denn er hält Wort, und der andere natürlicherweise auch.
Wie oft und lange mag nun der Glückliche seinen Gang über die Brücke hin und her wiederholen? Solange es gut tut, solange er etwas hinüberzutragen hat, dreimal in allem. Denn als er zum drittenmal mit seiner verdoppelten Barschaft zurückkehrte: und das drittemal den ausbedungenen Brückenzoll ins Wasser warf; so hatte der böse Feind sein Geld alles rein und bar bis auf den letzten roten Heller, und der arme Betrogene ging leer nach Haus, und hatte nichts mehr in den Strom zu gehen, wenn er über die Brücke ging, als Tränen um seine letzte verlorne Barschaft. – Wer rechnen kann, wird's bald heraushaben, wie viel der Betrogene zum erstenmal Geld über den Strom zu tragen hatte, und daß alles natürlich zuging. Und mancher, den die Erfahrung auch schon klug gemacht hat, wird denken: Akkurat so geht's! Die Auflösung wird bald nachfolgen.
Von den Prozessionsraupen
Oft fürchten wir, wo nichts zu fürchten ist, ein andermal sind wir leichtsinnig nahe bei der Gefahr. In unsern Eichwäldern hält sich eine Art von graufarbigen haarigen Raupen auf, die sich in sehr großer Anzahl zusammenhalten, und in ganzen großen Zügen dicht aneinander und aufeinander von einem Baum auf den andern wandern, deswegen nennt man sie Prozessionsraupen. Oft sieht man sie langsam auf der Erde fortkriechen, oder an den Eichenstämmen hinaufziehen; sie teilen sich bisweilen wie ein Strom in zwei und mehrere Arme, ziehn eine Strecke weit so fort, vereinigen sich dann wieder und schließen einen leeren Raum in der Mitte, wie eine Insel zwischen sich ein: Oft sieht man an der Länge eines ganzen Stammes hin eine unzählige Menge leere Bälge, welche sie bei der Häutung hängen ließen. Wer im Sommer oft in Eichwälder kommt, wird sich erinnern, dieses schon gesehen zu haben. Daß solche ganze Züge von gefräßigen Raupen an den Blättern der Bäume, wo sie hinkommen, große Verwüstungen anrichten, und das Gedeihen und die Gesundheit der Bäume hindern können, ist leicht zu erachten; doch ist das nicht das schlimmste, sondern sie können sogar dem menschlichen Körper gefährlich werden, wenn man ihnen zu nahe kommt, sie mutwillig beunruhigt, oder gar aus Unvorsichtigkeit mit einem entblößten Teil des Körpers berührt und drückt. Sie dulden es nicht ungestraft, wenn sie sich rächen können. Man hat schon einige traurige Beispiele an Leuten erlebt, denen solches widerfahren ist. Sie bekamen bald starke Geschwulst, heftige und schmerzhafte Entzündungen an der Stelle des Körpers, wo sie diese Raupen mit bloßer Haut berührten, und nach dem Zeugnis erfahrner Ärzte könnte daraus noch größeres Unheil entstehen, wenn man nicht mit zweckmäßigen Heilmitteln zuvorkäme. Aber wie das zugehen mag. Die Raupen lassen augenblicklich ihre kurzen, steifen stechenden Haare gehen, und drücken und schießen sie gleichsam wie Pfeile ihrem Feind in die zarte Haut des Körpers. Dies ist das Mittel, welches die Natur auch diesen verachteten Tieren zu ihrer Verteidigung gegeben hat. Mehrere andere Arten von Haarraupen tun es auch. Aber bei den Prozessionsraupen ist die Menge gefährlich. Der Körper bekommt unzählig viele kleine unsichtbare Wunden; in jeder bleibt der feine reizende Pfeil stecken, und viel kleine Ursachen zusammen tun eine große Wirkung, was man auch sonst im menschlichen Leben so oft erfährt, und doch so wenig bedenkt. Man soll also mit diesen Tieren keinen unnötigen Mutwillen treiben; wenn man Ursache hat, an einem Baum hinaufzuklettern, soll man aufschauen, was daran ist; man soll in der Nähe von Eichbäumen halbnackte Kinder nicht auf den Boden setzen, ohne ihn zuerst zu besichtigen, und sie warnen, daß sie es nicht selber tun. Es ist leichter, Schaden zu verhüten, als wieder gutzumachen.
Fortsetzung über die Erde und Sonne
Nachdem in der vorhergegangenen Predigt zuerst von der Erde und hernach von der Sonne, jede für sich geredet worden ist, so wollen wir nur noch mit wenigem hören, wie sie untereinander in guter Freundschaft leben, und wie aus ihrer Liebe zueinander Tag und Nacht, Märzveilchen, Erndekränze, Wein und gefrorne Fensterscheiben entstehen.
Da die unermeßlich große Sonne in einer so unermeßlich weiten Entfernung von uns weg ist, so hat es den Sternforschern schon lange nicht mehr einleuchten wollen, daß sie unaufhörlich und je in 24 Stunden um die kleine Erde herumspringen soll in einer unbegreiflichen Kraft und Geschwindigkeit, nur damit wir in diesem kurzen Zeitraum einmal Morgen und Mittag, Abend und Nacht bekämen, und wandelnde Sterne. Denn die Naturkündiger haben sich überzeugt, daß alles, was geschieht, auf eine viel einfachere und leichtere Art auch geschehen könnte. Allein ein rechtschaffner Sternseher, Kopernikus genannt, hat bewiesen, daß es nicht nur so geschehen könnte, wie die Naturforscher denken, sondern daß es wirklich so geschieht, und die göttliche Weisheit hat früher daran gedacht, als die menschliche.
Der geneigte Leser wird jetzt erfahren, was Kopernikus behauptet und bewiesen hat, wird aber ersucht, zuerst alles zu lesen, ehe er den Kopf schüttelt, oder gar lacht.
Erstlich
, sagt Kopernikus, die Sonne, ja selbst die Sterne haben gegen die Erde weiters keine Bewegung, sondern sie stehen für uns so gut als still.
Zweitens
, die Erde dreht sich in 24 Stunden um sich selber um. Nämlich, man stelle sich vor, wie wenn von einem Punkt der Erdkugel durch ihr Zentrum bis zum entgegengesetzten Punkt eine lange Spindel oder Achse gezogen wäre. Diese zwei Punkte nennt man die Pole. Gleichsam um diese Achse herum dreht sich die Erde in 24 Stunden, nicht
nach
der Sonne, sondern
gegen
die Sonne, und wenn ein langer roter Faden ohne Ende, ich will sagen am 21. März von der Sonne herab auf die Erde reichte, und mittags um 12 Uhr, an einen Kirschbaum oder an einem Kruzifix auf dem Felde angeknüpft würde, so würde die Erdkugel diesen Faden in 24 Stunden einmal ganz um sich herum gezogen haben, und so jeden andern Tag.
Auf diese einfache Weise geschieht das nämliche, was geschehen würde, wenn die Sonne in der nämlichen Zeit, einen Kreisgang von 132 Millionen Meilen rings um die feststehende Erde herum wandeln müßte. Nämlich die eine Hälfte der Erdkugel ist gegen die Sonne gekehrt, und hat Tag, und eine Hälfte ist von der Sonne abgekehrt gegen die Sterne hinaus, und hat Nacht, aber nie die nämliche, sondern wie die Erdkugel sich gleichsam an ihrer Achse gegen die Sonne dreht, löst sich immer an dem einen Rand der finstern Hälfte ein wenig von der Nacht in die Dämmerung auf, bis man dort die ersten Strahlen der Sonne erblicken kann, und meint, sie gehe auf, und an der andern Seite der erleuchteten Hälfte wird's immer später und kühler, bis man die Sonne nicht mehr sieht, und meint, sie sei untergegangen, und der Morgen und Mittag und Abend, das heilige Osterfest und sein Glockengeläute wandeln in 24 Stunden um die Erde herum, und erscheinen nie an allen Orten zu gleicher Zeit, sondern in Wien zum Beispiel 24 Minuten früher als in Paris.
Drittens
, sagt Kopernikus, während die Erde den Morgen und den Abend, und zu seiner Zeit das heilige Osterfest in 24 Stunden gleichsam um sich herum spinnt, bleibt sie nicht an dem nämlichen Ort, im unermeßlichen Weltraum stehen, sondern sie bewegt sich unaufhörlich, und mit unbegreiflicher Geschwindigkeit in einer großen Kreislinie, zwischen der Sonne und den Sternen fort, und kommt in 365 Tagen und ungefähr 6 Stunden um die Sonne herum, und wieder auf den alten Ort.
Deswegen und weil alsdann nach 365 Tagen, und ungefähr 6 Stunden alles wieder so wird, und alles wieder so steht, wie es vor ebensoviel Zeit auch gestanden ist, so rechnet man 365 Tage zu einem Jahr, und spart die 6 Stunden vier Jahre lang zusammen, bis sie auch 24 Stunden ausmachen, denn man darf nichts von der kostbaren Zeit verloren gehn lassen. Deswegen rechnet man je auf das 4. Jahr einen Tag mehr, und nennt es das Schaltjahr.
Die Sache fängt an, dem verständigen Leser einzuleuchten, und er wäre bald bekehrt, wenn er nur auch etwas von dem Drehen und Laufen der Erdkugel verspüren könnte! Deswegen und
Viertens
, sagt der Hausfreund, man kann die Bewegung eines Gefährtes, auf welchem man mitfahrt, eigentlich nie an dem Gefährte selbst erkennen, sondern man erkennt sie an den Gegenständen rechts und links, an den Bäumen und Kirchtürmen, welche stehenbleiben, und an denen man nach und nach vorbeikommt. Wenn ihr auf einem sanftfahrenden Wagen, oder lieber in einem Schifflein auf dem Rhein fahrt, und ihr schließt die Augen zu, oder ihr schaut eurem Kameraden, der mit euch fahrt, steif auf einen Rockknopf, so merkt ihr nichts davon, daß ihr weiterkommt. Wenn ihr aber umschaut nach den Gegenständen, welche nicht selber bei euch auf dem Gefährte sind, da kommt euch das Ferne immer näher, und das Nahe und Gegenwärtige verschwindet hinter eurem Rücken, und daran erkennt ihr erst, daß ihr vorwärts kommt, also auch die Erde. An der Erde selbst und allem was auf ihr ist, so weit man schauen kann, laßt sich ihre Bewegung nicht absehen; (denn die Erde ist selbst das große Gefährte, und alles was man auf ihr sieht, fahrt selber mit:) sondern man muß nach etwas schauen, das stehenbleibt, und nicht mitfahrt, und das sind eben nach Nro. 1 die Sonne und die Sterne, zum Beispiel der sogenannte Tierkreis. Denn 12 große Gestirne, welche man die 12 himmlische Zeichen nennt, stehn am Himmel in einem hohen Kreis um die Erde herum. Sie heißen: der Widder, der Stier, die Zwillinge, der Krebs, der Löwe, die Jungfrau, die Waage, der Skorpion, der Schütz, der Steinbock, der Wassermann, die Fische.
Eins folgt auf das andere, und das letzte schließt an das erste wieder an, nämlich die Fische an den Widder. Dies ist der Tierkreis. Er steht aber noch viel höher am Firmament als die Sonne, und sie steht von hier aus betrachtet immer zwischen den zwei Linien, die seinen Rand bezeichnen, und in einem Zeichen derselben. Denn ob sie gleich noch weit herwärts desselben steht, so meint man doch wegen der sehr großen Entfernung, sie befinde sich in dem Zeichen selbst. Wenn sie aber heute in dem Zeichen des Steinbocks steht, so steht sie nach 30 Tagen nicht mehr im Zeichen des Steinbocks, sondern im nächsten, und je nach 30 Tagen immer in dem nächstfolgenden, und daran erkennt man, daß die Erde in ihrem Kreislauf unterdessen vorwärts gegangen sei. Es kann nicht fehlen. Zu dem allem sagt
Fünftes
und letztens der Kopernikus wieder, wenn gleichwohl die Achse der Erdkugel gegen die Sonne waagrecht läge, und die Erde drehte sich auch so, und sie bewegte sich waagrecht in einer vollkommen runden Zirkellinie um die Sonne, also daß die Sonne genau im Mittelpunkt des Zirkelkreises stünde, so müßte jahraus jahrein, und auf allen Orten der Erde Tag und Nacht gleich sein. Ja es müßte mitten auf der Erde rechts und links um den roten Faden ein ewiger Sommer glühn, weiterhin zu beiden Seiten am Abhang der Kugel milderte und kühlte sich die Hitze ein wenig, je schiefer die Sonnenstrahlen herabfielen, und näher gegen die Pole hin herrschte ein Winter ohne Trost und ohne Ende. Aber es ist nicht so, sagt der Sternseher. Die Achse der Erde liegt nicht waagrecht und nicht senkrecht gegen die Sonne, sondern schief in einem Winkel von 67 Graden, wer's versteht. In dieser Richtung gegen die Sonne dreht sich die Erde in 24 Stunden um, in dieser Richtung wandelt sie in einem Jahr um die Sonne ebenfalls nicht senkrecht, sondern schief.
Wenn am 21. März der geneigte Leser sich vor den roten Adler stellt, vor das Wirtshaus, und sich mit dem Gesicht gegen Sonnenaufgang kehrt, so ist der Kreis, den an selbigem Tag der rote Faden um die Erde zieht noch 1470 Stunden Wegs, oder 735 Meilen rechts hinaus von ihm entfernt, sein Pol aber, dem er am nächsten ist, ist 1230 Stunden oder 615 Meilen von ihm entfernt links hinaus. In solchem Standpunkt steht der geneigte Leser am 21. März. Aber schon am 22. legt sich der Faden nicht mehr ganz an das bewußte Kruzifix, und an seinen Anfang an, sondern er lauft etwas herwärts gegen uns daran vorbei, und so windet er sich von 24 Stunden zu 24 Stunden in einer Schraubenlinie fort, und kommt immer näher gegen uns bis zum 21. Juni, und ist alsdann gleichwohl noch nicht bei uns, sondern ist uns nur ungefähr um 705 Stunden, oder 352 1/2 Meile näher gekommen. Aber vom 21. Juni an kehrt der Faden in den nämlichen Windungen wieder zurück, immer weiter von uns weg, bis er ungefähr am 21. September in gleicher Entfernung von beiden Polen wieder satt an dem Kruzifix vorbeistreift. Von dieser Zeit an wendet er sich jenseits gegen den andern Pol immer weiter und weiter von uns weg bis ungefähr zum 21. Dezember, wo er 1440 Stunden weit, rechts hinaus von uns entfernt ist, kehrt alsdann ebenso zurück, und trifft am 21. März wieder richtig bei dem Kruzifix ein. Aber bis zu uns kommt er nie, weil wir so weit von ihm weg wohnen, hinaus gegen den Pol.
Aus dieser figürlichen Vorstellung ist nun zu erkennen, was zwar der geneigte Leser schon weiß, daß er während des Kreislaufs der Erde nicht immer in der nämlichen Richtung gegen die Sonne bleiben könne, aber die Astronomen haben daraus berechnet, in welcher schiefen Linie die Erde binnen Jahresfrist die Sonne umlaufen muß, damit diese Veränderungen und die 4 Jahreszeiten zustande kommen.
Der Frühling beginnt um den 21. März, wann der rote Faden gerade auf das Kruzifix herabreicht. Die Sonne steht gleich weit von beiden Polen über der Erde. Tag und Nacht sind gleich. Die Sonne scheint immer näher zu kommen, und immer höher am Himmel aufzusteigen, je mehr sich der rote Faden nähert. Der Tag und die Wärme nehmen zu, die Nacht und die Kälte nehmen ab.
Der Sommer beginnt um den 21. Juni, wenn der Faden am weitesten von dem Kruzifix entfernt, und am nächsten bei uns ist. Alsdann steht die Sonne am höchsten über dem Haupt des geneigten Lesers, und dieser Tag ist der längste. Sowie sich der Faden wieder hinauswindet, kommt die Sonne immer schiefer gegen uns zu stehen, und die Tage werden kürzer.
Der Herbst beginnt am 21. September. Tag und Nacht sind wieder gleich, weil die Sonne, besage des Fadens wieder über dem Kruzifix steht. Aber je weiter er alsdann jenseits hinauslauft gegen den andern Pol, desto tiefer stellt sich gegen uns die Sonne. Die Tage und die Wärme nehmen immer mehr ab, die Nächte und die Kühle nehmen zu.
Der Winter beginnt, wenn am 20. Dezember der Faden am weitesten jenseits von uns entfernt ist. Der geneigte Leser verschläft alsdann die längste Nacht, und die Sonne steht so tief, daß sie ihm noch früh um 9 Uhr durch des Nachbarn Kaminhut in das Stüblein schauen kann, wenn die Fensterscheiben nicht gefroren sind.
Endlich wenn von diesem Tage an der Faden zurückkehrt, verlängern sich auch die Tage wieder. Am 22. Februar auf Petri Stuhlfeier kommt schon der Storch in seine alte Heimat zurück, und ungefähr am 20. März trifft der rote Faden wieder bei dem Kruzifix ein. Dies hat noch nie falliert.
Hieraus ist zu gleicher Zeit zu erkennen, daß nie auf der ganzen Erde die
nämliche
Jahrszeit herrscht. Denn zu gleicher Zeit, und in gleichem Maße, wie sich die Sonne von unserm Scheitelpunkt entfernt, oder wir von der Sonne, kommt sie höher über diejenige zu stehen, welche jenseits des Kruzifixes gegen den andern Pol hinaus wohnen, und umgekehrt ebenso.
Wenn hier die letzten Blumen verwelken, und das Laub von den Bäumen fällt, fängt dort alles an zu grünen und zu blühen. Wenn wir in unserm Winter die längste Nacht verschlafen, schimmert dort der längste Sommertag, und der Hausfreund kann sich nicht genug über die göttliche Weisheit verwundern, die mit
einer
Sonne auf der ganzen Erde ausreicht, und in die winterlichste Landschaften noch einen lustigen Frühling, und eine fröhliche Ernte bringen kann.
Soviel für diesmal von der Erde. Gleichwohl wenn ein Mensch von derselben sich aufheben, und in grader Linie langsam oder geschwind zum Abendstern aufsteigen könnte, der unter allen Sternen der nächste ist, so würde er noch merkwürdige Dinge sehen. Der Stern würde vor seinen Augen immer größer werden, zuerst wie der Mond, bald darauf wie ein großes Rad, zuletzt wie eine unübersehbare Kugel oder Fläche. Sein Licht würde ihm immer milder erscheinen, weil es sich immer über eine größere Fläche verbreitete, ja er würde in einer gewissen Entfernung davon schon Berge und Täler entdecken, und allerlei, und zuletzt auf einer neuen Erde landen. Aber in der nämlichen Proportion müßte unter ihm die Erde immer kleiner werden, und glänzender ihr Licht, weil es sich auf einen kleinern Raum zusammendrängt. In einer gewissen Entfernung hätte sie für ihn noch den Umfang wie ein großes Rad, hernach wie eine Schützenscheibe, hernach wie der Mond, und endlich wenn er gelandet wäre, würde er sie weit draußen am Himmel, als einen lieblichen Stern unter den andern erblicken, und mit ihnen auf- und untergehn sehen. »Sieh dort«, würde er zu seinem ersten Bekannten sagen, mit dem er bekannt wird, »sieh jenen lieblichen Stern, dort bin ich daheim, und mein Vater und meine Mutter leben auch noch dort. Die Mutter ist eine geborne Soundso.« Es müßte ein wundersames Vergnügen sein, die Erde unter den Sternen des Himmels und ganz als ihresgleichen wandeln zu sehen, und der Hausfreund hat dem geneigten Leser diese Freude in dem Artikel von den Planeten zugedacht.
[1813]
Die Fortsetzung folgt [
hier
]
Zwei Gehülfen des Hausfreunds
Es wird in Zukunft bisweilen von einem Adjunkt die Rede sein, was der geneigte Leser nicht verstehen könnte, wenn es ihm nicht erklärt würde. Als nämlich der Hausfreund den rheinländischen Kalender noch schrieb, er schreibt ihn noch, hat er den Bezirk seiner Hausfreundschaft diesseits Rheins, wie die Franzosen das Land jenseits Rheins in zwei Provinzen geteilt, in die untere, und in die obere: und hat in die untere einen Statthalter gesetzt, einen Präfekt, der aber nicht will genannt sein, denn er ist kein Landskind. Auch nennt ihn der Hausfreund selber nicht leicht Statthalter, und niemand, sondern Adjunkt, denn selten ist jeder auf seinem Posten, sondern sitzen beieinander und schreiben miteinander neue hochdeutsche Reimen, oder sinnreiche Rätsel. Zum Exempel, »Adjunkt«, sagt der Hausfreund: »Ratet hin, ratet her, was ist das?
Der arme Tropf
Hat keinen Kopf;
Das arme Weib
Hat keinen Leib,
Die arme Kleine
Hat keine Beine.
Sie ist ein langer Darm,
Doch schlingt sie einen Arm
Bedächtig in den andern ein.
Was mag das für ein Weiblein sein?«
»Hausfreund«, sagt der Adjunkt, »wenn Ihr mir einen Groschen leiht, so will ich Euch, für dieses Rätsel ein paar Bretzeln kaufen. Den Wein, den wir dazu trinken, bezahlt Ihr. Ratet hin, ratet her, was ist aber das?
Holde, die ich meine,
Niedliche und kleine,
Ich liebe dich, und ohne dich
Wird mir der Abend weinerlich.
Auch gönnst du mir,
Nachrühm ich's dir,
Wohl manchen lieblichen Genuß;
Doch bald bekommst du's Überdruß,
Und laufst zu meiner tiefen Schmach
Ein feiles Mensch den Juden nach,
Und dennoch Falsche aus und ein,
Hörst du nicht auf mir lieb zu sein.
Ihr erratet's nicht«, sagt der Statthalter, »wenn ich's Euch nicht expliziere. Es ist eine Adjunktsbesoldung, zum Exempel meine eigene, die ich von Euch bekomme.«
Allein der Adjunkt hat selber wieder eine Adjunktin, nämlich seine Schwiegermutter, die Tochter hat er noch nicht, bekommt sie auch nicht, und der Hausfreund hat an ihm einen ganz andern Glückszug getan, als sein guter Freund, der Doktor, auf seiner Heimreise aus Spanien an der Madrider Barbiergilde. Denn als er aus der großen Stadt Madrid herausritt, seinem Tierlein wuchsen in dem warmen Land, und bei der üppigen Nahrung die Haare so kräftig, daß er nach Landesart zwei Barbiere mitnehmen mußte, die auch ritten, und wenn sie abends in die Herberge kamen, so rasierten sie sein Tierlein. Weil sie aber selber keine gemeine Leute waren, und die ganze Nacht Arbeit genug hatten, bis das Tierlein eingeseift, und rasiert, und wieder mit Lavendelöl eingerieben war, so nahm jeder wieder für sein eigenes Tierlein zwei Barbiere mit, die ebenfalls ritten, und diese wieder. Als nun der Doktor oben auf dem pyrenäischen Berg zum erstenmal umschaute, und mit dem Perspektiv sehen wollte, wo er hergekommen war, als er mit Verwunderung und Schrecken den langen Zug seiner Begleiter gewahr wurde, und wie noch immer neue Barbiere zum Stadttor von Madrid herausritten, und inwendig wieder aufsaßen, sagte er bei sich selbst: Was hab ich denn nötig länger zu reiten, es geht nun jetzt bergunter, und ging früh am Tag in aller Stille zu Fuß nach Montlouis.
Also hat der Hausfreund mit seinem Adjunkte auch die Adjunktin des Adjunkts gewonnen, ist aber nicht erschrocken, und davongelaufen. Wer's noch nie erlebt hat, wie sie allen Leuten Red und Antwort gab, und schöne Schweizer Lieder vom Rigiberg singen, und wie sie sich verstellen kann, bald meint man, man sehe eine Heilige mitten aus dem gelobten Land heraus, bald die heidnische Zauberin Medea, und noch viel, wer's nicht gesehen hat, stellt sich's nicht vor.
Der freundlichen Schwiegermutter des Adjunkts soll dieses Büchlein zum Dank und zur Freundschaft gewidmet sein.
[In abweichender Fassung 1811]
Des Adjunkts Standrede im Gemüsgarten seiner Schwiegermutter
Setzt ohne Anstand die Hüte auf, gute Nachbarn und Freunde. Ich will nun von der Fruchtbarkeit und schnellen Verbreitung der Pflanzen mit euch reden.
»Es ging ein Säemann aus, zu säen seinen Samen, und etliches fiel auf ein gut Land
.«
1
Man kann sich nicht genug über die Menge und Mannigfaltigkeit der Pflanzen verwundern, mit welchen die Natur alle Jahre die Erde bekleidet. In dem kleinen Raum, den das Auge auf einmal überschauen kann, welch eine Vielfachheit der Gestalten, welch ein Spiel der Farben, welche Fülle in der Werkstätte der reichsten Kraft und der unerforschlichen Weisheit? Nicht weniger muß man sich wundern über die Geschwindigkeit, mit welcher die Natur jede leere Stelle auf öden Feldern, verlassenen Wegen, kahlen Felsen, Mauern und Dächern, wo nur eine Handvoll fruchtbare Erde hingefallen ist, ansäet und mit Gras, Kräutern, Stauden, und Buschwerk besetzt. Das sieht man oft und achtet's nicht, eben weil man es von Kindheit an so oft sieht; die größte Weisheit verratet sich in der einfachen und natürlichen Einrichtung der Dinge, und man erkennt sie nicht, eben weil alles so einfach und natürlich ist.
2
Die meisten Pflanzen haben eine wunderbare Vermehrungskraft, wie jeder aufmerksame Landwirt wohl weiß. Tausend Samenkerne von einer einzigen Pflanze, solange sie lebt, ist zwar schon viel gesagt, nicht jede tragt's, aber es ist auch noch lange nicht das höchste. Man hat schon an einer einzigen Tabakspflanze 40 000 Körnlein gezählt, die sie in einem Jahre zur Reife brachte. Man schätzt einer Eiche, daß sie 500 Jahre leben könne. Aber wenn wir uns nun vorstellen, daß sie in dieser langen Zeit nur 50mal Früchte trage, und jedesmal in ihren weit verbreiteten listen und Zweigen nur 500 Eicheln, so liefert sie doch 25 000 wovon jede die Anlage hat, wieder ein solcher Baum zu werden. Gesetzt, daß dieses geschehe, und es geschehe bei jeder von diesen wieder, so hätte sich die einzige Eiche in der zweiten Abstammung schon zu einem Walde von 625 Millionen Bäumen vermehrt. Wieviel aber eine Million oder 1 000 mal 1 000 sei, glaubt man zu wissen, und doch erkennt es nicht jeder. Denn wenn ihr ein ganzes Jahr lang vom 1. Jänner bis zum 31. Dez. alle Tage 1 000 Striche an eine große Wand schreibet, so habt ihr am Ende des Jahrs noch keine Million, sondern erst 365 000 Striche, und das zweite Jahr noch keine Million, sondern erst 730 000 Striche, und erst am 26. September des dritten Jahrs würdet ihr zu Ende kommen. Aber unser Eichenwald hätte 625 solcher Millionen, und so wäre es bei jeder andern Art von Pflanzen nach Proportion in noch viel kürzerer Zeit, ohne an die zahlreiche Vermehrung durch Augen, Wurzelsprossen und Knollen zu gedenken. Wenn man sich also einmal über diese große Kraft in der Natur gewundert hat, so hat man sich über den großen Reichtum an Pflanzen aller Art nicht mehr zu verwundern. Obgleich viele 1 000 Kerne und Körnlein alle Jahre von Menschen und Tieren verbraucht werden, viele Tausend im Boden ersticken, oder im Aufkeimen durch ungünstige Witterung und andere Zufälle wieder zugrunde gehen, so bleibt doch jahraus jahrein, ein freudiger und unzerstörbarer Überfluß vorhanden. Auf der ganzen weiten Erde fehlt es nirgends an Gesäme, überall nur an Platz und Raum.
3
Aber wenn jeder reife Kern, der sich von seiner Mutterpflanze ablöset, unter ihr zur Erde fiele und liegen bliebe; alle lägen aufeinander, keiner könnte gedeihen, und wo vorher keine Pflanze war, käme doch keine hin. Das hat die Natur vor uns bedacht, und nicht auf unsern guten Rat gewartet. Denn einige Kerne, wenn sie reif sind, fliegen selbst durch eine verborgene Kraft weit auseinander, die meisten sind klein und leicht, und werden durch jede Bewegung der Luft davongetragen, manche sind noch mit kleinen Federlein besetzt, wie der Löwenzahn (Schlenke, Kettenblume) Kinder blasen sie zum Vergnügen auseinander, und tun damit der Natur auch einen kleinen Dienst, ohne es zu wissen, andere gehen in zarte breite Flügel aus, wie die Samenkerne von Nadelholzbäumen. Wenn die Sturmwinde wehen, wenn die Wirbelwinde, die im Sommer vor den Gewittern hergehen, alles von der Erde aufwühlen und in die Höhe führen, dann säet die Natur aus, und ist mit einer Wohltat beschäftiget, während wir uns fürchten, oder über sie klagen und zürnen; dann fliegen und schwimmen und wogen eine Menge von unsichtbaren Keimen in der bewegten Luft herum, und fallen nieder weit und breit, und der nachfolgende Staub bedeckt sie. Bald kommt der Regen und befeuchtet ihn, und so wirds auf Flur und Feld, in Berg und Tal, auf First und Halden auch wahr, daß etliches auf dem Weg von den Vögeln des Himmels gefressen wird, etliches unter den Dornen zu Grund geht, etliches auf trockenem Felsengrund in der Sonnenhitze erstirbt, etliches aber gut Land findet, und hundertfältige Frucht bringt. Weiter sind manche Kerne für den Wind zu groß und zu schwer, aber sie sind rund und glatt, rollen auf der Erde weiter, und werden durch jeden leichten Stoß von Menschen oder Tieren fortgeschoben. Andere sind mit umgebogenen Spitzen oder Häklein versehen, sie hängen sich an das Fell der Tiere, oder an die Kleider der Menschen an, werden fortgetragen, und an einem andern Orte wieder weggestreift, oder abgelesen und ausgesäet, und der es tut, weiß es nicht, oder denkt nicht daran. Viele Kerne gehen unverdaut und unzerstört durch den Magen und die Gedärme der Tiere, denen sie zur Nahrung dienen sollen, und werden an einem andern Ort wieder abgesetzt. So haben wir ohne Zweifel durch Strichvögel schon manche Pflanze aus fremden Gegenden bekommen, die jetzt bei uns daheim ist, und guten Nutzen bringt. So gehen auf hohen Gemäuern und Türmen Kirschbäume und andere auf, wo gewiß kein Mensch den Kern hingetragen hat. Noch andere fallen von den überhangenden Zweigen ins Wasser, oder sie werden durch den Wind und Überschwemmungen in die Ströme fortgerissen und weitergeführt, und an andern Orten durch neue Überschwemmungen wieder auf dem Lande abgesetzt. Ja einige schwimmen auch wohl auf den Strömen bis ins Meer, erreichen das jenseitige Gestade, und heimen sich alsdann in einer landesfremden Erde ein. Es sind da und dort schon Pflanzen als Unkraut aufgegangen, von denen man wohl wissen kann, daß der Samen dazu auf diese Art über das Meer gekommen sei. Also müssen alle Kräfte und Elemente die wohltätigen Absichten des Schöpfers befördern, Schnee und Regen, Blitz und Hagel, Sturm und Winde, die seine Befehle ausrichten.
4
Aber das ist ja eben die Plage des Landmannes! daher kommt also das viele Unkraut im Gartengelände und auf den Ackerfurchen, das der schönen gereinigten Saat Raum und Nahrung stiehlt, soviel Mühe macht, und doch mit aller Geduld und Sorgfalt nicht vertilgt werden kann! Die Sache ist nicht so schlimm, wie sie scheint. Denn
zum ersten
, so ist der Mensch nicht
allein
auf der Erde da. Viele 1000 Tiere aller Art, von mancherlei Natur und Bedürfnissen wollen auch genährt sein, und warten auf ihre Speise zu seiner Zeit. Manche davon sind uns unentbehrlich und wir wis sen's wohl, manche schaffen uns großen Nutzen, und wir wissen's nicht; und es muß doch wahr bleiben, woran wir uns selber so oft erinnern, daß sich eine milde Hand auftut, und sättiget alles, was da lebet mit Wohlgefallen.
Zum andern
, so hat doch der Mensch auch schon von manchem Kräutlein Nutzen gezogen, das er nicht selber gesäet und gepflanzet, nicht im Frühlingsfrost gedeckt, und in der Sommerhitze begossen hat. Und eine einzige unscheinbare und verachtete Pflanze, deren Kraft dir oder deinen Kindern, oder auch nur deinem Vieh eine Wunde heilt, einen Schmerz vertreibt oder gar das Leben rettet, bezahlt die Mühe und den Schaden reichlich, den tausend andere verursachen. Aber wer stellt den Menschen zufrieden? Wenn die Natur nicht so wäre, wie sie ist, wenn wir
Baldrian
und
Wohlgemut, Ehrenpreis
und
Augentrost
, und alle Pflanzen in Feld und Wald, die uns in gesunden und kranken Tagen zu mancherlei Zwecken nützlich und nötig sind, selber ansäen, warten und pflegen müßten, wie würden wir alsdann erst klagen über des viel bedürftigen Lebens Mühe und Sorgen!
[1803]
Von den Schlangen
1
Noch immer glauben Leute, daß die giftigen Schlangen mit der Zunge stechen. Allein es ist schon lange außer Zweifel gesetzt, daß sie an der obern Kinnlade zwei Giftzähne haben, die sie in eine Scheide zurückziehen und wieder hervorstoßen können. Diese Zähne sind hohl, und haben an den Spitzen eine feine Öffnung, hinter jedem derselben befindet sich eine Drüse, in welcher das Gift bereitet wird, und wenn das Tier beißt, so tritt das Gift aus der Drüse in den Zahn und durch die Öffnung in die Wunde. Es ist also eine Fabel, daß die Schlangen, ehe sie ins Wasser gehen, das Gift unter einen Stein ablegen. Wenn ein solches Tier im Wasser nicht giftig ist, so hat es auch kein Gift außer demselben. An jenen Zähnen hätte man also wohl ein Kennzeichen, die gefährlichen Tiere dieser Art von den unschuldigen zu unterscheiden. Aber wie kann man ihnen, solange sie leben, in den Mund schauen, und wer wird's tun? Lieber geht man ihnen zur Sicherheit aus dem Wege, oder schlägt sie tot. Allein so wird doch auch manches unschädliche und sogar nützliche Tier getötet. Denn die Schlangen verzehren viel sogenanntes Ungeziefer, und helfen also uns vor der schädlichen Menge desselben bewahren. Und ein guter und besonnener Mensch will doch lieber erhalten, als ohne Zweck und Not zerstören, lieber leben lassen als töten, wär es auch nur ein Tier im Staube. Und die Schlange, ob sie gleich mit dem Bauch auf der Erde schleicht, ist doch ein merkwürdiges und wirklich ein schönes Tier. Schon das verdient ja unsere Bewunderung, daß dieses Geschöpf ohne Füße nur durch seine zahlreichen Muskeln sich so leicht fortbewegen kann. Ihre Gestalt ist so einfach, und doch fehlt ihnen nichts, was ihnen zur Erhaltung und zum Genusse ihres Lebens nötig ist. Mit welcher Geschwindigkeit und Gewandtheit gleiten sie in den mannigfaltigsten Wendungen ihres schlanken Körpers nach allen Richtungen dahin, und ereilen ihre fliehende Beute, oder retten ihr verfolgtes Leben? Mit welcher leichten Biegsamkeit wenden sie sich zwischen und über und unter den tausend Hindernissen durch, die ihrem Laufe überall im Wege liegen? Wer hat über den ganzen Körper hinab Schild an Schild und Schuppe an Schuppe gereiht und übereinander gelegt, daß sie bei jeder Bewegung in der größten Geschwindigkeit ausweichen, nachgeben, sich übereinander schieben, und doch den zarten Körper bedecken, und allemal wieder in ihre vorige Lage zurückkehren? Wer hat sie mit der Schönheit und Mannigfaltigkeit ihrer Farben geziert? In Amerika wird eine Schlange mit roten, schwarz eingefaßten Flecken, und zitronengelben Querstreifen wegen ihrer ausnehmenden Schönheit zum Staat als Halsschmuck getragen, oder in die Haare geflochten. Auch von unsern Schlangen sind manche, zumal wenn sie sich noch nicht lange gehäutet haben, an Farbe und Zeichnungen schön, wenn man sie nur ohne Furcht und Abscheu betrachten kann.
2
Aber wenn wir nur erst die gefährlichen unter ihnen kennten! Ein gelehrter Beobachter dieser Tiere hat folgende allgemeine Kennzeichen angegeben, die leicht zu merken sind. Wenn der Kopf breit, und mit dünnen Schuppen besetzt ist, so ist die Schlange verdächtig; wenn er aber mehr rund ist, so ist sie's nicht. Ferner, wenn sich das Ende des Körpers fein zuspitzt, so ist nicht zu trauen; ist es aber stumpf und abgerundet, so hat man keine Gefahr. Doch gibt er diese Kennzeichen selber nicht für ganz untrüglich aus, und das beste an der Sache ist das, daß wir nur sehr wenige giftige Schlangen haben, die leicht zu kennen sind, und daß diese nicht mutwillig den Menschen angreifen, sondern nur sich selber verteidigen, wenn sie beunruhigt, gereizt, gedrückt oder verletzt werden.
Zum Beispiel, die sogenannte Otter hat einen fast herzförmigen Kopf, eine Länge von 1 bis 2 Fuß und ein spitziges Ende. Die Farbe ist nach den verschiedenen Häutungen, oben grau olivenbraun, oder schwärzlich, unten hellgrau auch bläulich. Auf dem Kopfe steht ein großer herzförmiger brauner Fleck, auf dem Halse dergleichen Punkte im Zickzack, dann Streifen und von der Mitte an noch einzelne größere und kleinere Flecken, hie und da, die ebenfalls braun sind. Die Kupferschlange, auch Kreuzotter hat einen platten, eirunden Kopf, dünnen Hals, eine Länge von 6, 8 bis 12 Zoll und einen zugespitzten Schweif. Oben ist sie rostfarbig, bald stärker bald schwächer. Sie hat auf dem Kopfe zwei voneinander abgekehrte Halbzirkel )(. Über den Rücken hinab lauft ein dunkelbrauner Streifen im Zickzack, und an den Seiten hin liegen braune Punkte. Der Unterleib ist aschgrau mit weißen Querbinden, auf welchem wieder schwärzliche Punkte stehn, und die Endspitze ist braun.
Auch findet man hie und da noch eine giftige Schlange, die am ganzen Körper schwarz ist, und deswegen auch die schwarze Otter genennt wird.
Alle halten sich gern in einsamen, waldigen, düstern und verwilderten Gegenden auf.
Jede Art von giftigen Schlangen bringt durch ihren Biß andere, aber allemal schmerzhafte, traurige, bisweilen sehr gefährliche Folgen hervor. Auch ist der Biß von der nämlichen Schlangenart nicht immer gleich furchtbar. Es ist gefährlicher, wenn das Tier alt, als wenn es jung ist, gefährlicher in der heißen und schwülen Witterung, als in der kühlen, und desto gefährlicher, je mehr der Feind gereizt und erbost ist. Auf alle Fälle soll man nicht säumen, oder sich auf Segensprechen und Sympathie verlassen, wenn man gebissen worden ist, sondern so geschwind als möglich einen erfahrnen Arzt oder Wundarzt zu Rate ziehn.
Unterdessen soll man zum wenigsten die Wunde unterbinden, wenn es sein kann, erweitern, mit Salzwasser auswaschen. Man empfiehlt auch, ein Loch in die Erde zu graben, und das verwundete Glied hineinzustecken. Jäger haben schon Schießpulver auf die Wunde gestreut, und angezündet, und haben die Wirkung gerühmt.
Auch mit den getöteten Schlangen von giftiger Natur muß man gar behutsam sein. Man hat Beispiele, daß unvorsichtige Personen durch die Giftzähne noch am abgeschnittenen Kopf einer Schlange gefährlich verwundet worden sind. Aber verschlucken könnte man solches Gift ohne Gefahr, wenn man nur innerlich gesund und unverletzt ist, denn es schadet nur, wenn es unmittelbar ins Blut kommt. Auch das Fleisch dieser Tiere ist unschädlich. Schon manche Schlange ist gegessen worden, ja man bereitet von dem Fleische der giftigen Otter für gewisse Kranke eine sehr nahrhafte und heilsame Brühe.
Aber an allen unsern Schlangen, die nicht Giftzähne haben, ist auch sonst nichts Furchtbares, und ihre Größe macht sie nicht gefährlich. Ob man gleich nicht genau sagen kann, wie alt sie werden, so hat man doch Ursache zu glauben, daß sie lange wachsen, und die ungewöhnliche Größe mancher Schlangen bewiese also nur, daß ihr der Zufall viel Zeit gelassen hat, sich zu strecken.
3
Es ließe sich noch viel Merkwürdiges von diesen Tieren besonders aus fremden Ländern, erzählen, z.B. die giftige Klapperschlange in Amerika gibt mit mehrern beweglichen Gelenken am Schweif einen zischenden oder rauschenden Laut von sich, ehe sie angreift. Wer es hört, ist gewarnt, und kann sich in acht nehmen. Aber Eichhörnchen und andere Tiere, die zu ihrer Nahrung bestimmt sind, werden durch diesen Laut ordentlich herbeigelockt, und liefern sich selber zur Beute, und die jungen Amerikaner, wenn sie Eichhörnchen fangen wollen, sind so keck, daß sie sich irgendwo im Gebüsche verbergen, das Rauschen der Klapperschlange nachmachen, die Eichhörnchen damit locken, und sich alsdann ihrer zu bemächtigen suchen.
Es gibt auch ungeheure große Schlangen in Afrika, Ostindien etc. die größte soll mehr als Mannsdicke und eine Länge von 40 Fuß auch drüber erreichen. Sie ist nicht giftig, aber durch ihre Größe und Stärke selbst dem grausamsten Raubtiere, dem Tiger, gefährlich. Sie umwindet ihn, und drückt ihm die Knochen im Leibe entzwei. Sie schlingen Tiere ganz hinab, die dicker als sie selbst sind, weil der Körper nachgibt, und sich über seine gewöhnliche Dicke ausdehnen läßt, werden aber alsdann träge und unbehülflich.
Man erzählt, daß ein Vater eben dazukam, als eine große Schlange sein Kind verschluckte. Augenblicklich und glücklich soll er sie getötet, ihr den Bauch aufgeschnitten, und sein Kind lebendig und unversehrt herausgezogen haben. Es gehört Glauben dazu, aber als ein äußerst glücklicher Zufall scheint es wenigstens möglich zu sein.
Wenn die Neger in Afrika einer großen Schlange die Haut abstreifen wollen, so ziehn sie dieselbe mit einem Strick an den Ast eines hohen Baumes auf. Einer klettert alsdann mit einem Messer hinauf, geht auf den Ast hervor, läßt sich an das Ungeheuer hinab, löst ihm die Haut unter dem Kopf, streift sie ab, und gleitet alsdann sachte mit der Haut, die er von oben nachzieht, an dem glatten Körper zur Erde hinab.
Große Schlangen wurden bei den Alten auch Drachen genannt. Aber wer dabei an geflügelte und feuerspeiende Untiere denkt, oder an sogenannte Basilisken, der denkt an eine Fabel. Und es ist nur so viel an der Sache, daß es in fremden Weltteilen auf den Bäumen Eidechsen gibt, die durch sogenannte Flughäute auf dem Rücken und am Hals, oder an den Seiten zwischen den vordern und hintern Beinen sich in der Luft schwebend erhalten und weite Sprünge machen können.
Man kennt auch eine Schlange, die auf dem Kopfe zwei bewegliche Auswüchse wie Hörner hat, und nennt sie deswegen die gehörnte. Sie weiß sich sehr geschickt im Grase zu verbergen, so daß nur diese Auswüchse hervorschauen. Vögel, die dies sehen, halten's für Würmer, fliegen herzu, und wollen anbeißen, werden aber augenblicklich von der Schlange erhascht, und gefressen.
So begegnet wohl auch manchem Menschen gerade dasjenige selber, was er aus Eigennutz oder Schadenfreude einem andern zugedacht hat.
[1803/04]
Geiz und Verschwendung
Der
Geizige
rafft Geld und Gut zwecklos zusammen; der
Verschwender
bringt es zwecklos durch.
Der Geizige hat keinen, der Verschwender hat einen unnützen Genuß von dem Seinigen.
Der Geizige kann auf die goldene Mittelstraße zurückkehren, sobald er will; dem Verschwender wird es immer schwerer, je weiter er sich davon entfernt.
Der Geizige kann, aber er will es selten; der Verschwender möchte oft, aber er kann nicht mehr.
Der eine macht sich Feinde; der andere erwirbt Freunde, die schlimmer sind als ein Feind.
Jenen peinigt der Wunsch, immer weiterzukommen; diesen die Reue, daß er schon so weit gekommen ist.
Geiz ist die Wurzel alles Übels; Verschwendung ist ein Baum voll bitterer Früchte.
Den Geizigen verzehrt die Sorge; den Verschwender die Ausschweifung. Jenen lohnt am Ende die Furcht; diesen der Kummer.
Nicht selten wird der jugendliche Verschwender noch ein geiziger Greis.
Sehr oft kommt das Vermögen geiziger Sammler an verschwenderische und im eigentlichen Sinne lachende Erben.
[1804]
Kindesdank und -undank
Man findet gar oft, wenn man ein wenig aufmerksam ist, daß Menschen im Alter von ihren Kindern wieder ebenso behandelt werden, wie sie einst ihre alten und kraftlosen Eltern behandelt haben. Es geht auch begreiflich zu. Die Kinder lernen's von den Eltern; sie sehen's und hören's nicht anders, und folgen dem Beispiel. So wird es auf die natürlichsten und sichersten Wege wahr, was gesagt wird und geschrieben ist, daß der Eltern Segen und Fluch auf den Kindern ruhe und sie nicht verfehle.
Man hat darüber unter andern zwei Erzählungen, von denen die erste Nachahmung und die zweite große Beherzigung verdient.
Ein Fürst traf auf einem Spazierritt einen fleißigen und frohen Landmann an dem Ackergeschäft an, und ließ sich mit ihm in ein Gespräch ein. Nach einigen Fragen erfuhr er, daß der Acker nicht sein Eigentum sei, sondern daß er als Tagelöhner täglich um 15 kr. arbeite. Der Fürst, der für sein schweres Regierungsgeschäft freilich mehr Geld brauchte und zu verzehren hatte, konnte es in der Geschwindigkeit nicht ausrechnen, wie es möglich sei, täglich mit 15 kr. auszureichen, und noch so frohen Mutes dabei zu sein, und verwunderte sich darüber. Aber der brave Mann im Zwilchrock erwiderte ihm: »Es wäre mir übel gefehlt, wenn ich
so viel
brauchte.
Mir muß ein Dritteil davon genügen; mit einem Dritteile zahle ich meine Schulden ab, und den übrigen Dritteil lege ich auf Kapitalien an.« Das war dem guten Fürsten ein neues Rätsel. Aber der fröhliche Landmann fuhr fort, und sagte: »Ich teile meinen Verdienst mit meinen alten Eltern, die nicht mehr arbeiten können, und mit meinen Kindern, die es erst lernen müssen; jenen vergelte ich die Liebe, die sie mir in meiner Kindheit erwiesen haben, und von diesen hoffe ich, daß sie mich einst in meinem müden Alter auch nicht verlassen werden.« War das nicht artig gesagt, und noch schöner und edler gedacht und gehandelt? Der Fürst belohnte die Rechtschaffenheit des wackern Mannes, sorgte für seine Söhne, und der Segen, den ihm seine sterbende Eltern gaben, wurde ihm im Alter von seinen dankbaren Kindern durch Liebe und Unterstützung redlich entrichtet.
Aber ein anderer ging mit seinem Vater, welcher durch Alter und Kränklichkeit freilich wunderlich geworden war, so übel um, daß dieser wünschte, in ein Armenspital gebracht zu werden, das im nämlichen Orte war. Dort hoffte er wenigstens bei dürftiger Pflege von den Vorwürfen frei zu werden, die ihm daheim die letzten Tage seines Lebens verbitterten. Das war dem undankbaren Sohn ein willkommenes Wort. Ehe die Sonne hinter den Bergen hinabging, war dem armen alten Greis sein Wunsch erfüllt. Aber er fand im Spital auch nicht alles, wie er es wünschte. Wenigstens ließ er seinen Sohn nach einiger Zeit bitten, ihm die letzte Wohltat zu erweisen, und ihm ein paar Leintücher zu schicken, damit er nicht alle Nacht auf bloßem Stroh schlafen müßte. Der Sohn suchte die 2 schlechtesten, die er hatte, heraus, und befahl seinem zehnjährigen Kind, sie dem alten Murrkopf ins Spital zu bringen. Aber mit Verwunderung bemerkte er, daß der kleine Knabe vor der Tür eines dieser Tücher in einen Winkel verbarg, und folglich dem
Großvater
nur eines davon brachte. »Warum hast du das getan?« fragte er den Jungen bei seiner Zurückkunft. – »Zur Aushülfe für die Zukunft«, erwiderte dieser kalt und bösherzig, »wenn ich Euch, o Vater! auch einmal in das
Spital
schicken werde.«
Was lernen wir daraus? – Ehre Vater und Mutter, auf daß es dir wohlgehe!
[1804]
Das wohlfeile Mittagessen
Es ist ein altes Sprüchwort: Wer andern eine Grube gräbt, fällt selber darein. – Aber der Löwenwirt in einem gewissen Städtlein war schon vorher darin. Zu diesem kam ein wohlgekleideter Gast. Kurz und trotzig verlangte er für
sein
Geld eine gute Fleischsuppe. Hierauf forderte er auch ein Stück Rindfleisch und ein Gemüs, für sein Geld. Der Wirt fragte ganz höflich: ob ihm nicht auch ein Glas Wein beliebe? »O freilich ja«, erwiderte der Gast, »wenn ich etwas Gutes haben kann für mein Geld.« Nachdem er sich alles wohl hatte schmecken lassen, zog er einen abgeschliffenen Sechser aus der Tasche, und sagte: »Hier, Herr Wirt, ist
mein
Geld.« Der Wirt sagte: »Was soll das heißen? Seid Ihr mir nicht einen Taler schuldig?« Der Gast erwiderte: »Ich habe für keinen Taler Speise von Euch verlangt, sondern für
mein Geld
. Hier ist
mein Geld
. Mehr hab ich nicht. Habt Ihr mir zuviel dafür gegeben, so ist's Eure Schuld.« – Dieser Einfall war eigentlich nicht weit her. Es gehörte nur Unverschämtheit dazu, und ein unbekümmertes Gemüt, wie es am Ende ablaufen werde. Aber das Beste kommt noch. »Ihr seid ein durchtriebener Schalk«, erwiderte der Wirt, »und hättet wohl etwas anders verdient. Aber ich schenke Euch das Mittagessen und hier noch ein Vierundzwanzigkreuzerstück dazu. Nur seid stille zur Sache, und geht zu meinem Nachbarn, dem Bärenwirt, und macht es ihm ebenso.« Das sagte er, weil er mit seinem Nachbarn, dem Bärenwirt, aus Brotneid im Unfrieden lebte, und einer dem andern jeglichen Tort und Schimpf gerne antat und erwiderte. Aber der schlaue Gast griff lächelnd mit der einen Hand nach dem angebotenen Geld, mit der andern vorsichtig nach der Türe, wünschte dem Wirt einen guten Abend, und sagte: »Bei Eurem Nachbarn, dem Herrn Bärenwirt, bin ich schon gewesen, und eben der hat mich zu Euch geschickt und kein anderer.«
So waren im Grunde beide hintergangen, und der dritte hatte den Nutzen davon. Aber der listige Kunde hätte sich noch obendrein einen schönen Dank von beiden verdient, wenn sie eine gute Lehre daraus gezogen, und sich miteinander ausgesöhnt hätten. Denn Frieden ernährt, aber Unfrieden verzehrt.
[1804]
Auflösung des ersten Rechnungsexempels,
und ein zweites
Wie groß mag denn nun wohl die Barschaft des betrogenen Mannes anfänglich gewesen sein, den wir vorhin dreimal über die Brücke gehen ließen? Jedesmal verdoppelte sich sein Geld, jedesmal mußte er auf dem Heimweg dem bösen Feind ein 24-Kreuzerstück zum Opfer bringen. – Antwort: 21 Kreuzer war seine Barschaft, mit welcher er anfing. Denn als sie sich das erstemal verdoppelte, hatte er 42 kr. und 24 kr. davon, bleiben 18 kr. Das zweitemal 36 kr. und 24 kr. davon, bleiben 12 kr. Das drittemal 24 kr., und gerade so viel mußte er noch haben, um dem listigen Feind zum letztenmal Wort zu halten. Das war leicht zu erraten; aber folgende Aufgabe wird etwas mehr Nachdenken erfordern.
Um die Osterzeit, wo jede Mutter ihren Kindern gerne mit ein paar gefärbten Eiern eine Freude macht, verkauft eine Händlerin an ihre Nachbarsfrau die Hälfte von allen Eiern, die sie hatte, und noch ein halbes Ei dazu. Aber wohlverstanden! es darf keins zerbrochen oder geteilt werden. Es kommt die zweite, diese kauft vom Rest wieder die Hälfte, und ein halbes dazu. So die dritte und die vierte, jedesmal vom Rest die Hälfte, und ein halbes mehr. Am Ende hatte die Händlerin noch ein einziges Ei übrig. Jetzt ist die Frage: wie groß war ihr Vorrat vom Anfang? –
[1804]
Mancherlei Regen
Der beste Regen, meint der Adjunkt, sei doch immer der, mit welchem der Himmel unsere Felder und Weinberge tränkt, und den Segen fruchtbarer Zeiten sendet. Aber was sagen wir dazu, fragt der Adjunkt, wenn Schwefel oder Blut regnet, wenn Frösche, Steine oder gar Soldatenhüte regnen?
1
Schwefelregen
Nach den Gewittern im Frühjahr, wenn sie mit starken Regengüssen verbunden waren, sieht man oft am Rande der Lachen, die vom stehenden Regenwasser entstanden sind, ein gelbes Pulver, das wie kleingeriebener Schwefel aussieht. Nun meinen ohnehin noch viele Leute, daß die Gewitter von schweflichten Dünsten entstehen, die sich in den Wolken erzeugen, und bilden sich alsdann ein, es sei mit dem Regen solcher Schwefel vom Gewitter herabgefallen, und denken daran, daß ja auch schon einmal Feuer und Schwefel vom Himmel regnete auf Sodom und Gomorrha. Allein fürs erste wohnen wir gottlob nicht in Sodom und Gomorrha. Für das andere kann manchmal etwas so oder so aussehen, und es ist doch etwas anders, wie man schon oft mit Schaden erfahren hat. Und so ist auch das gelbe Pulver auf den Regenpfützen kein Schwefel: auch wenn es sich am Feuer entzündet, nicht, sondern Blütenstaub von den Bäumen. In den Tulpen stehen inwendig im Ring herum sechs kleine Säulen, auf deren Spitzen ein schwarzer Staub sitzt. Wer daran riecht, bekommt daher eine schwarze Nase. Auf den Lilien ist er schön gelb, und wer an eine weiße Lilie riecht, bekommt davon eine gelbe Nase. Das ist Blütenstaub. Er findet sich in allen Blumen und in allen Blüten, denn er ist unentbehrlich und notwendig, wenn aus der Blüte Frucht und Samen entstehen soll. Wenn es nun im Frühjahr, wo die Bäume blühen, starke Regengüsse gibt, so schwemmt der Regen diesen Staub von den Blüten ab, und dies ist auch eine Hauptursache, warum kein gutes Obstjahr zu erwarten ist, wenn es viel in die Blüten geregnet hat. Wo nun viel solcher blühenden Bäume beisammenstehen, da schwemmt auch der Regen viel solchen Blütenstaub herab. Dieser sammelt sich alsdann wieder auf der Erde, und bleibe liegen, wenn das Wasser verdünstet, und das ist der vermeintliche Schwefelregen. Im Sommer und Spätjahr, wo doch die Gewitter meistens heftiger sind, wird niemand mehr etwas von Schwefelregen sehen, weil dann das Blühen ein Ende hat. Da regnen Äpfel, Nüsse, Eicheln etc. von den schweren listen der Bäume herab, aber kein eingebildeter Schwefel mehr.
2
Blutregen
Im Frühjahr und im Sommer kann es wohl geschehen, daß man hie und da viel rote Tropfen, wie Regentropfen, noch naß oder vertrocknet auf dem Laub oder auf Gegenständen von hellerer Farbe wahrnimmt, die auf der Erde liegen, z.B. auf Tuch, das zum Bleichen in Grasgärten ausgebreitet wird. Und weil man nicht begreifen kann, woher das kommen mag, und weil man lieber etwas Unglaubliches, als etwas Natürliches glaubt, so faßt man's kurz, und sagt, es habe Blut geregnet, und das bedeute Krieg.
Allein, wie nicht alles Schwefel ist, was gelb aussieht, so ist auch nicht alles Blut, was eine rote Farbe hat. Diesmal geht die Sache so zu. Aus einem kleinen Ei, das den Winter über irgendwo an einer Hecke oder an einem Baumzweig klebte, brütet im Frühjahr die Sonnenwärme ein kleines lebendiges Räuplein aus. Nach wenig Wochen, wenn sich die Raupe groß und rund gefressen hat, kriecht sie irgendwo in die Höhe, wenn sie nicht schon oben ist, hängt sich mit dem Hinterteil des Körpers fest, mit dem Kopfe abwärts, streift die Raupenhalle ab, und verwandelt sich in eine eckige Gestalt, die man Puppe nennt, ohne Kopf, ohne Füße und Flügel. Man sieht dem Ding nicht an, was es sein und werden soll. Aber wieder nach kurzer Zeit spaltet sich die Haut, und es kommt etwas mit kleinen zusammengeschrumpften Flügeln und einem dicken unförmlichen Hinterleib hervor, dem man wohl ansieht, daß es gern ein Schmetterling oder Sommervogel werden möchte. Nach wenigen Stunden, wo es stille sitzen bleibt, sind die schönen farbigen Flügel gewachsen und ausgebreitet. Aus dem Hinterleib gehen sechs bis acht rote Tropfen ab, die auf die Erde herabfallen, alsdann ist der Sommervogel gemacht, und flattert leicht und fröhlich in der Luft herum, und von Blume zu Blume. Das kann der liebe Gott, aus einer häßlichen und verachteten Raupe einen schönen und fröhlichen Sommervogel machen. Wo nun ganze Hecken oder Bäume im Frühjahr mit Gespinst überzogen sind, in welchem viele Tausend solcher Eier verborgen sein können, da brütet auch die Sonnenwärme alle auf einmal aus. Alle, die davonkommen, können daher auch, wenn sie reichliche Nahrung haben, zu gleicher Zeit ihre Vollkommenheit erreichen, zu gleicher Zeit sich in Puppen verwandeln, und zu gleicher Zeit als Schmetterlinge wieder aus der Puppe zurückkehren. Wo nun viele dergleichen nahe beisammen sind, da gehen sie auch viele rote Tropfen von sich, ehe sie davonfliegen. Hundert in einem Garten können schon 6–800 Tropfen geben, und das ist alsdann der eingebildete Blutregen.
3
Froschregen
Man spricht auch von einem Froschregen. Aber das wird noch niemand gesehen haben, daß es Frösche aus der Luft herab regnete. Die Sache verhält sich ganz kurz so: Im Sommer bei anhaltend trockner Hitze zieht sich eine Art von Landfröschen in benachbarte Wälder und Buschwerke zurück, weil sie dort einen kühlern und feuchtern Aufenthalt haben, und verhalten sich ganz stille und verborgen, so daß sie niemand bemerkt. Wenn nun ein sanfter Regen fällt, so kommen sie in zahlreicher Menge wieder hervor, und erquicken sich in dem nassen, kühlen Gras. Wer alsdann in einer solchen Gegend ist und auf einmal so viele Fröschlein sieht, wo doch kurz vorher kein einziges zu sehen war, der kann sich nicht vorstellen, wo auf einmal so viele Frösche herkommen; und da bilden sich einfältige Leute ein, es habe Frösche geregnet. Denn aus lieber Trägheit läßt man eher die unvernünftigsten Dinge gelten, als man sich die Mühe gibt, über die vernünftigen Ursachen dessen nachzudenken oder zu fragen, was man nicht begreifen kann.
4
Steinregen
Aber mit dem Steinregen verhält es sich anderst. Das ist keine Einbildung. Denn man hat darüber viele alte glaubwürdige Nachrichten und neue Beweise, daß bald einzelne schwere Steine, bald viele miteinander von ungleicher Größe, mir nichts, dir nichts, aus der Luft herabgefallen sind. Die älteste Nachricht, welche man von solchen Ereignissen hat, reicht bis in das Jahr 462 vor Christi Geburt. Da fiel in Thrazien, oder in der jetzigen türkischen Provinz Rumili, ein großer Stein aus den Lüften herab, und seit jener Zeit bis jetzt, also in 2267 Jahren, hat es, soviel man weiß, 38mal Steine geregnet. Z.B. im Jahr 1492 am 4. November fiel bei Ensisheim ein Stein, der 260 Pf. schwer war. Im Jahre 1672 bei Verona in Italien zwei Steine von 200 und 300 Pf. Nun kann man denken, von alten Zeiten sei gut etwas erzählen. Wen kann man fragen, ob's wahr sei? Aber auch ganz neue Erfahrungen gehen diesen alten Nachrichten Glauben. Denn im Jahr 1789 und am 24. Juli 1790 fielen in Frankreich, und am 16. Juni 1794 in Italien viele Steine vom Himmel, das heißt, hoch aus der Luft herab. Und den 26. April 1803 kam bei dem Ort l'Aigle im Orne-Departement in Frankreich ein Stein regen von 2000–3000 Steinen auf einmal mit großem Getöse aus der Luft.
[1806]
Sonntags den 22. Mai 1808 sind in Mähren Steine vom Himmel gefallen. Der Kaiser von Östreich ließ durch einen sachkundigen Mann Untersuchung darüber anstellen. Dies ist der Erfund:
Es war ein heiterer Morgen, bis um halb sechs Uhr ein Nebel in die Luft einrückte. Die Filialleute von Stannern waren auf dem Weg in die Kirche, und dachten an nichts. Plötzlich hörten sie drei starke Knälle, daß die Erde unter ihren Füßen zitterte; und der Nebel wurde auf einmal so dicht, daß man nur 12 Schritte weit zu sehen vermochte. Mehrere schwächere Schläge folgten nach, und lauteten wie ein anhaltend Flintenfeuer in der Ferne, oder wie das Wirbeln großer Trommeln. Das Rollen und das Pfeifen, das zwischendrein in der Luft gehört wurde, brachte daher einige Leute auf den Gedanken, jetzt komme die Garnison von Telisch mit türkischer Musik. An das Kanonieren dachten sie nicht. Aber während als sie vor Verwunderung und Schrecken einander ansahen, fing in einem Umkreis von ungefähr 3 Stunden ein Regen an, gegen welchen kein Mantel oder Maltersack über die Achseln schützt. Eine Menge von Steinen, von der Größe einer welschen Nuß bis zu der Größe eines Kindskopfs, und von der Schwere eines halben Lotes bis zu 6 Pfund, fielen unter beständigem Rollen und Pfeifen aus der Luft, einige senkrecht, andere wie in einem Schwung. Viele Leute sahen zu, und die Steine, welche sogleich nach dem Fallen aufgehoben wurden, waren warm. Die ersten schlugen nach ihrer Schwere tief in die Erde. Einer davon wurde 2 Fuß tief herausgegraben. Die spätern ließen es beim nächsten bewenden, und fielen nur auf die Erde. Ihrer Beschaffenheit nach sind sie inwendig sandartig und grau, und von außen mit einer schwarzen glänzenden Rinde überzogen. Die Zahl derselben kann niemand angehen. Viele mögen in das Fruchtfeld gefallen sein, und noch in der Erde verborgen liegen. Diejenigen, welche gefunden und gesammelt worden, betragen an Gewicht 2 1/2 Zentner. Alles dauerte 6 bis 8 Minuten, und nach einigen Stunden verzog sich auch der Nebel, so, daß gegen Mittag alles wieder hell und ruhig war, als wenn nichts vorgegangen wäre. Dies ist die Begebenheit. Was es aber mit solchen Steinen, die vom Himmel fallen, für eine Bewandtnis habe, daraus machen die Gelehrten ein Geheimnis, und, wenn man sie fragt, so sagen sie, sie wissen es nicht.
5
Hutregen
Am unbegreiflichsten ist es, daß es einmal Soldatenhüte soll geregnet haben. Ein Bürger aus einem kleinen Landstädtchen irgendwo in Sachsen soll eines Nachmittags nicht weit von einem Berg auf seinem Felde gearbeitet haben. Auf einmal ward der Himmel stürmisch; er hörte ein entferntes Donnern; die Luft verfinsterte sich; eine große schwarze Wolke breitete sich am Himmel aus, und ehe der gute Mann es sich versah, fielen Hüte über Hüte rechts und links und um und an aus der Luft herab. Das ganze Feld ward schwarz, und der Eigentümer desselben hatte unter vielen Hunderten die Wahl. Voll Staunen lief er heim, erzählte was geschehen war, brachte, zum Beweis davon, so viel Hüte mit, als er in den Händen tragen konnte, und der Hutmacher des Orts mag keine große Freude daran gehabt haben. Nach einigen Tagen erfuhr man aber, daß hinter dem Berg in der Ebene ein Regiment Soldaten exerziert hatte. Zu gleicher Zeit kam ein heftiger Wirbelwind oder eine sogenannte Windsbraut, riß den meisten die Hüte von den Köpfen, wirbelte sie in die Höhe über den Berg hinüber, und ließ sie auf der andern Seite wieder fallen. So erzählt man. Ganz unmöglich wäre wohl die Sache nicht. Indessen gehört doch eine starke Windsbraut und folglich auch ein starker Glaube dazu.
[1809]
Auflösung des zweiten Rechnungsexempels
Das Rätsel von den Eiern wird schon lange erraten sein. Man muß nämlich auf eine Zahl denken, die selber ungerade ist, und nach dem Abzug der gekauften Eier allemal eine ungerade Zahl zum Rest zurückläßt. Und das ist hier die Zahl
einunddreißig
. Denn die Hälfte davon ist fünfzehn und ein halbes, und noch ein halbes Ei dazu sind sechszehn. Soviel Eier kauft die erste Nachbarin, und folglich bleiben fünfzehn im Rest. Die Hälfte davon sind sieben und ein halbes und noch ein halbes dazu sind acht. Soviel kauft die zweite, und so bleiben noch sieben. Von diesen wieder die Hälfte und ein halbes dazu sind vier, und es bleiben drei, und die Hälfte von drei mit einem halben mehr ist zwei, und so bleiben alle Eier ganz, und die Händlerin behält eins im Rest.
[1805]
Drittes und viertes Rechnungsexempel
3
Zwei Schäfer begegnen sich mit Schafen auf der Straße. Hans sagte zu Fritz: »Gib mir eines von deinen Schafen! Alsdann hab ich noch einmal soviel als du;« Fritz sagt zu Hans: »Nein, gib du mir eins von deinen! Alsdann hab ich ebensoviel als du.«
Nun ist zu erraten, wieviel ein jeder hatte.
Diese Aufgabe ist klein und leicht. Folgende ist auch nicht schwer aber artig. Nur muß man richtig rechnen, und nicht irre werden, was leicht möglich ist.
4
Ein Mann hatte sieben Kinder zu einem Vermögen von 4900 fl. Da gingen ihn die jüngern Kinder öfters an, eine Verordnung darüber zu machen, damit sie in der Teilung nach seinem Absterben mehr bekommen sollten, als die ältern. Das kam dem guten Vater hart an, weil er eines von seinen Kindern liebte wie das andere, und weil er glaubte, Gott werde den jüngern, wenn sie fleißig und gut gesittet seien, nach seinem Tode helfen, wie er den ältern bei seinen Lebzeiten geholfen habe. Weil sie ihm aber keine Ruhe ließen, und die ältern Brüder es auch zufrieden waren, so machte er folgende Verordnung:
Der älteste Sohn soll von dem ganzen Vermögen 100 fl. zum voraus haben, und von dem übrigen den achten Teil.
Der zweite soll alsdann 200 fl. wegnehmen, und von dem übrigen wieder den achten Teil.
Der dritte soll 300 fl. von dem nachfolgenden vorausempfangen, und auch wieder den achten Teil vom Rest.
Und so soll jeder folgende 100 fl. mehr als der erste und dann von dem übrigen den Achtel erhalten, und der letzte bekommt, was übrig bleibt, wie überall.
Damit waren die Kinder zufrieden. Nach dem Tode des Vaters wurde sein letzter Wille vollzogen, und es ist nun auszurechnen, wieviel ein jeder bekommen habe.
[1805]
Nützliche Lehren
1
Die Menschen nehmen oft ein kleines Ungemach viel schwerer auf, und tragen es ungedultiger, als ein großes Unglück, und der ist noch nicht am schlimmsten daran, der viel zu klagen hat, und alle Tage etwas anders. Erfahrung und Übung im Unglück lehrt schweigen. Aber wenn ihr einen Menschen wißt, der nicht klagt, und doch nicht fröhlich sein kann, ihr fragt ihn, was ihm fehle, und er sagt's euch kurz und gut, oder gar nicht, dem sucht ein gutes Zutrauen abzugewinnen, wenn ihr es wert seid, und ratet und helft ihm, wenn ihr könnt.
2
Ist denn der Mensch deswegen so schlimm und so schlecht, weil die bösen Neigungen zuerst in seinem Herzen erwachen, und das Gute nur durch Erziehung und Unterricht bei ihm anschlägt? Euer bester Ackerboden trägt doch auch nur Gras und Unkraut aus eigener Kraft, und euer Leben lang keine Weizenernte; und ein dürres Sandfeld, das nicht einmal aus eigener Kraft Unkraut treibt, wird auch euern Fleiß und eure Hoffnung nie mit einer Fruchtgarbe erfreuen. Aber wenn ihr den guten Boden ansäet zu rechter Zeit, sein wartet und pfleget, wie sich's gebühret, so steigt im Morgentau und Abendregen eine fröhliche Saat empor, und die Raden und Kornrosen und mancherlei taubes Gras möchten gern, aber es kann nicht mehr emporkommen. Die gesunde Ähre schwankt in der Luft, und füllt sich mit kostbaren Körnern. So ist es mit dem Menschen und mit seinem Herzen auch. Was lernen wir daraus? Man muß nicht unzeitig klagen und hadern und die Hoffnung aufgehen, ehe sie erfüllt werden kann. Man muß den Fleiß, die Mühe und Geduld, die man an eine Handvoll Fruchthalmen gerne verwendet, an den eigenen Kindern sich nicht verdrüßen lassen. Man muß dem Unkraut zuvorkommen, und guten Samen, schöne Tugenden in das weiche zarte Herz hineinpflanzen, und Gott vertrauen, so wird's besser werden.
3
Man vergißt im menschlichen Leben nichts so leicht, als das Multiplizieren, wenn man es noch so gut in der Schule gelernt hat und kann. Und doch lernt man in der Schule für das Leben, und die Weisheit besteht nicht im Wissen, sondern in der rechten Anwendung und Ausübung davon.
Es kann jemand einen Tag in den andern nur einen Groschen unnötigerweise ausgehen. Mancher, der den Groschen übrig hat, tut es, und meint, es sei nicht viel. Aber in einem Jahre sind es 365 Groschen, und in dreißig Jahren 10950 Groschen. Facit 547 fl. 30 kr. weggeworfenes Geld, und das ist doch viel.
Ein anderer kann einen Tag in den andern zwei Stunden unnütz und im Müßiggang zubringen, und meint jedesmal, für heute lasse es sich verantworten. Das multipliziert sich in einem Jahr zu 730 Stunden, und in dreißig Jahren zu 21900 Stunden. Facit 912 verlorene Tage des kurzen Lebens. Das ist noch mehr als 547 fl. wer's bedenkt. – Die Erde hat 5400 deutsche Meilen, oder 10800 Stunden im Umkreis. Das ist ein weiter Weg. Aber wenn man in gerader Linie fortgehen könnte, und es wollte jemand jeden Tag nur eine Stunde davon zurücklegen, so könnte er im dreißigsten Jahr wieder daheim sein. Daraus ist zu lernen, wie weit ein Mensch in seinem Leben es nach und nach bringen kann, wenn er zu einem nützlichen Geschäft jeden Tag nur eine Stunde anwenden will, und wieviel weiter noch, wenn er alle Tage dazu benutzt, besser und vollkommener zu werden, und sein eigenes Wohl und das Wohl der Seinigen zu befördern. Aber wer nie anfängt, der hört nie auf, und wem wenig auf einmal nicht genug ist, der erfährt nie, wie man nach und nach zu vielem kommt.
4
Zum Erwerben eines Glücks gehört Fleiß und Geduld, und zu Erhaltung desselben gehört Mäßigung und Vorsicht. Langsam und Schritt für Schritt steigt man eine Treppe hinauf. Aber in einem Augenblick fällt man hinab, und bringt Wunden und Schmerzen genug mit auf die Erde.
[1805]
Guter Rat
Was ich jetzt sagen will, wird manchem, der es liest, geringfügig und vielleicht lächerlich scheinen; aber es ist nicht lächerlich; und mancher, der es liest, wird meinen, ich habe ihn leibhaftig gesehen, und es wäre wohl möglich. Doch weiß ich's nicht, und will niemand besonders meinen. Es gibt Gegenden hin und wieder, wo die Männer und Jünglinge im ganzen recht gesund und stark aussehen, wie es bei guter Arbeit und einfacher Nahrung möglich und zu erwarten ist. Sie haben eine gesunde Gesichtsfarbe, eine starke Brust, breite Schultern, guten Wuchs, kurz, der ganze Körperbau ist wohlproportioniert und tadellos, bis unter die Kniee. Da kommt's auf einmal so dünn und so schwach bis zu den Füßen hinab, und man meint, die armen Beine müssen zusammenbrechen unter der schweren Last, die sie zu tragen haben. Das wißt ihr wohl: Manchem, der sich vor dem Spiegel einbildet, ein hübscher Knabe zu sein, geht es wie dem Pfau, wenn er auf seine Füße schaut, und deswegen zieht ihr die starken ledernen Riemen, mit welchen ihr die Strümpfe unter dem Knie zu binden pflegt, immer fester an, und setzt ihn in eine Schnalle ein, wo er nie nachgeben kann, damit das Fleisch ein wenig anschwellen, sich herausheben, und etwas gleichsehen soll, und
eben daher kommt's
. Denn der ganze menschliche Körper und alle seine Glieder erhalten ihre Nahrung von dem Blut. Deswegen lauft das Blut unaufhörlich von dem Herzen weg, zuerst in großen Adern, die sich nachher immer mehr in unzählig viele kleine Äderlein verteilen und vervielfältigen, durch alle Teile des Körpers bis in die äußersten Glieder hinaus, und kehrt alsdann durch andere Äderlein, die wieder zusammengehen, folglich größer und an der Zahl weniger werden, zu dem Herzen zurück, und das geht unaufhörlich so fort, solange der Mensch lebt, und auf diesem Wege gilt das Blut dem Fleisch, den Knochen und allen Teilen des Körpers ihre Nahrung, ihre Kraft und Ausfüllung, und wird selber wieder auf eine andere Art durch tägliche Speise und Trank erhalten und ersetzt. Es geht da fast so zu, wie bei einer wohleingerichteten Wasserleitung. Da wird das Wasser aus dem größeren Strom in kleinere Kanäle fortgeleitet. Aus diesen verteilt es sich immer mehr in kleinere Bäche und Bächlein, dann in Rausen, und endlich findet es jeden Grashalm auf einer Wiese, Klee und Habermark, Liebfrauenmantelein, und was darauf wächst, und gibt ihm seine Erquickung. Aber wo wenig
Wasser
hinkommt, da bleiben auch die Pflanzen klein und schlecht, und was kann davor sein? So ist es mit dem menschlichen Körper ungefähr auch, und je weniger derselbe durch die Kleidung gedrückt oder eingeengt wird, desto freier und reichlicher kann sich auch das Blut durch seine Adern bewegen, desto besser werden auch alle Teile des Körpers mit dem Wachstum zu ihrer Kraft und Vollkommenheit gelangen und darin erhalten werden. Wenn ihr aber einen Arm oder ein Bein unterbindet und den Blutlauf aufhaltet, so wird auch diesem Glied seine Nahrung entzogen. Das geschieht nun, wenn man von früher Kindheit an, die Beine unter dem Knie mit einem ledernen Riemen durch eine Schnalle so fest bindet. Die feinen und größern Adern werden zusammengepreßt, es kann nicht so viel Blut ab- und aufsteigen als nötig ist, die Knochen kommen daher kaum zu ihrer gehörigen Stärke und es setzt sich nicht genug Fleisch und Fett um dieselben an. Da zieht man nun den Riemen immer fester an, und das hilft ein wenig zum Schein, macht aber eigentlich nur das Übel ärger, wie es immer geht, wenn man nur auf den Schein sieht, und zur Abhülfe eines Fehlers oder Gebrechens die rechten Mittel nicht zu wissen verlangt, und mit den nächsten besten sich begnügt. Mein guter Rat wäre also der: Ihr sollt's machen wie andere vernünftige Leute auch. Man binde die Strümpfe mit geschmeidigern Bändern über dem Knie, oder wenn man bei der alten Weise bleiben will; so ziehe man wenigstens die Riemen nicht fester an als nötig ist, um die Strümpfe oben zu erhalten. Man muß nie mehr Kraft anwenden, und mehr tun als nötig ist, um seinen vernünftigen Zweck zu erreichen. Besonders müssen die Eltern frühe darauf sehen, daß ihre Kinder die Strümpfe nicht zu fest binden. Alsdann wird das Blut seinen Weg schon finden, und den Gliedern die Nahrung und Stärke geben, die ihnen gebührt. Dies ist mein guter Rat; und wer keinen Glauben daran hat, der frage nur einen Arzt oder den Herrn Pfarrer; die müssen's auch wissen. Aber folgen muß man alsdann. Denn, wem nicht zu raten ist, dem ist auch nicht zu helfen.
[1805]
Das Mittagessen im Hof
Man klagt häufig darüber, wie schwer und unmöglich es sei, mit manchen Menschen auszukommen. Das mag denn freilich auch wahr sein. Indessen sind viele von solchen Menschen nicht schlimm, sondern nur wunderlich, und wenn man sie nur immer recht kennte, inwendig und auswendig, und recht mit ihnen umzugehen wüßte, nie zu eigensinnig und nie zu nachgebend, so wäre mancher wohl und leicht zur Besinnung zu bringen. Das ist doch einem Bedienten mit seinem Herrn gelungen. Dem konnte er manchmal gar nichts recht machen, und mußte vieles entgelten, woran er unschuldig war, wie es oft geht. So kam einmal der Herr sehr verdrüßlich nach Hause, und setzte sich zum Mittagessen. Da war die Suppe zu heiß oder zu kalt, oder keines von beiden; aber genug, der Herr war verdrüßlich. Er faßte daher die Schüssel mit dem, was darinnen war, und warf sie durch das offene Fenster in den Hof hinab. Was tat der Diener? Kurz besonnen warf er das Fleisch, welches er eben auf den Tisch stellen wollte, mir nichts, dir nichts, der Suppe nach, auch in den Hof hinab, dann das Brot, dann den Wein, und endlich das Tischtuch mit allem, was noch darauf war, auch in den Hof hinab. »Verwegener, was soll das sein?« fragte der Herr, und fuhr mit drohen dem Zorn von dem Sessel auf. Aber der Bediente erwiderte kalt und ruhig: »Verzeihen Sie mir, wenn ich Ihre Meinung nicht erraten habe. Ich glaubte nicht anders, als Sie wollten heute in dem Hof speisen. Die Luft ist so heiter, der Himmel so blau, und sehen Sie nur, wie lieblich der Apfelbaum blüht, und wie fröhlich die Bienen ihren Mittag halten.« – Diesmal die Suppe hinabgeworfen, und nimmer! Der Herr erkannte seinen Fehler, heiterte sich im Anblick des schönen Frühlingshimmels auf, lächelte heimlich über den schnellen Einfall seines Aufwärters, und dankte ihm im Herzen für die gute Lehre.
[1805]
Der kluge Richter
Daß nicht alles so uneben sei, was im Morgenlande geschieht, das haben wir schon einmal gehört. Auch folgende Begebenheit soll sich daselbst zugetragen haben: Ein reicher Mann hatte eine beträchtliche Geldsumme, welche in ein Tuch eingenähet war, aus Unvorsichtigkeit verloren. Er machte daher seinen Verlust bekannt, und bot, wie man zu tun pflegt, dem ehrlichen Finder eine Belohnung, und zwar von hundert Talern an. Da kam bald ein guter und ehrlicher Mann dahergegangen. »Dein Geld habe ich gefunden. Dies wird's wohl sein! So nimm dein Eigentum zurück!« So sprach er mit dem heitern Blick eines ehrlichen Mannes und eines guten Gewissens, und das war schön. Der andere machte auch ein fröhliches Gesicht, aber nur, weil er sein verloren geschätztes Geld wieder hatte. Denn wie es um seine Ehrlichkeit aussah, das wird sich bald zeigen. Er zählte das Geld, und dachte unterdessen geschwinde nach, wie er den treuen Finder um seine versprochene Belohnung bringen könnte. »Guter Freund«, sprach er hierauf, »es waren eigentlich 800 Tlr. in dem Tuch eingenähet. Ich finde aber nur noch 700 Tlr. Ihr werdet also wohl eine Naht aufgetrennt und Eure 100 Tlr. Belohnung schon herausgenommen haben. Da habt Ihr wohl daran getan. Ich danke Euch.« Das war nicht schön. Aber wir sind auch noch nicht am Ende. Ehrlich währt am längsten und Unrecht schlägt seinen eigenen Herrn. Der ehrliche Finder, dem es weniger um die 100 Tlr. als um seine unbescholtene Rechtschaffenheit zu tun war, versicherte, daß er das Päcklein so gefunden habe, wie er es bringe, und es so bringe, wie er's gefunden habe. Am Ende kamen sie vor den Richter. Beide bestunden auch hier noch auf ihrer Behauptung, der eine, daß 800 Tlr. seien eingenäht gewesen, der andere, daß er von dem Gefundenen nichts genommen und das Päcklein nicht versehrt habe. Da war guter Rat teuer. Aber der kluge Richter, der die Ehrlichkeit des einen und die schlechte Gesinnung des andern zum voraus zu kennen schien, griff die Sache so an: Er ließ sich von beiden über das, was sie aussagten, eine feste und feierliche Versicherung gehen, und tat hierauf folgenden Ausspruch: »Demnach, und wenn der eine von euch 800 Tlr. verloren, der andere aber nur ein Päcklein mit 700 Tlrn. gefunden hat, so kann auch das Geld des letztern nicht das nämliche sein, auf welches der erstere ein Recht hat. Du, ehrlicher Freund, nimmst also das Geld, welches du gefunden hast, wieder zurück, und behältst es in guter Verwahrung, bis der kommt, welcher nur 700 Tlr. verloren hat. Und dir da weiß ich keinen Rat, als du geduldest dich, bis derjenige sich meldet, der deine 800 Tlr. findet.« So sprach der Richter, und dabei blieb es.
[1805]
Der Mensch in Kälte und Hitze
Der Mensch kann nichts Nützlicheres und Besseres kennenlernen, als sich selbst und seine Natur; und mancher, der bei uns an einem heißen Sommertage fast verschmachten will, oder im kalten Jänner sich nicht getraut, vom warmen Ofen wegzugehen, wird kaum glauben können, was ich sagen werde, und doch ist es wahr.
Bekanntlich ist die Wärme des Sommers und die Kälte des Winters nicht in allen Gegenden der Erde gleich, auch kommen sie nicht an allen Orten zu gleicher Zeit, und sind nicht von gleicher Dauer. Es gibt Gegenden, wo der Winter den größten Teil des ganzen Jahrs Herr und Meister ist, und entsetzlich streng regiert, wo das Wasser in den Seen 10 Schuh tief gefriert, und die Erde selbst im Sommer nicht ganz, sondern nur einige Schuh tief auftaut, weil dort die Sonne etliche Monate lang gar nicht mehr scheint, und ihre Strahlen auch im Sommer nur schief über den Boden hingleiten. Und wiederum gibt es andere Gegenden, wo man gar nichts von Schnee und Eis und Winter weiß, wo aber auch das Gefühl der höchsten Sommerhitze fast unerträglich sein muß, zumal wo es tief im Land an Gebirgen und großen Flüssen fehlt, weil dort die Sonne den Einwohnern gerade über den Köpfen steht, und ihre glühenden Strahlen senkrecht auf die Erde hinabwirft. Es muß daher an beiderlei Orten auch noch manches anders sein, als bei uns, und doch leben und wohnen Menschen, wie wir sind, da und dort. Keine einzige Art von Tieren hat sich von selber so weit über die Erde ausgebreitet, als der Mensch. Die kalten und die heißen Gegenden haben ihre eigenen Tiere, die ihren Wohnort freiwillig nie verlassen. Nur sehr wenige, die der Mensch mitgenommen hat, sind imstande, die größte Hitze in der einen Weltgegend und die grimmigste Kälte in der andern auszuhalten. Auch diese leiden sehr dabei, und die andern verschmachten oder erfrieren, oder sie verhungern, weil sie ihre Nahrung nicht finden. Auch die Pflanzen und die stärksten Bäume kommen nicht auf der ganzen Erde fort, sondern sie bleiben in der Gegend, für welche sie geschaffen sind, und selbst die Tanne und die Eiche verwandeln sich in den kältesten Ländern in ein niedriges unscheinbares Gesträuch und Gestruppe auf dem ebenen Boden, wie wir's auf unsern hohen kahlen und kalten Bergen auch bisweilen wahrnehmen. Aber der Mensch hat sich überall ausgebreitet, wo nur ein lebendiges Wesen fortkommen kann, ist überall daheim, liebt in den heißesten und kältesten Gegenden sein Vaterland und die Heimat, in der er geboren ist, und wenn ihr einen Wilden, wie man sie nennt, in eine mildere und schönere Gegend bringt, so mag er dort nicht leben und nicht glücklich sein. So ist der Mensch. Seine Natur richtet sich allmählig und immer mehr nach der Gegend, in welcher er lebt, und er weiß wieder durch seine Vernunft seinen Aufenthalt einzurichten, und so bequem und angenehm zu machen, als es möglich ist. Das muß der Schöpfer gemeint haben, als er über das menschliche Geschlecht seinen Segen aussprach: »Seid fruchtbar und mehret euch, und erfüllet (oder bevölkert) die Erde, und machet sie euch untertan.«
Ich will jetzt einige Beispiele anführen, was für hohe Kälte und Hitze die Menschen aushalten können.
Zu Jeniseisk in Siberien trat einst im Jänner 1735 eine solche Kälte ein, daß die Sperlinge und andere Vögel tot aus der Luft herabfielen, und alles, was in der Luft gefrieren konnte, wurde zu Eis, und doch leben Menschen dort.
Zu Krasnaiarsk, ebenfalls in Siberien, wurde im Jahr 1772 den 7. Dezember die Kälte so heftig, daß eine Schale voll Quecksilber, welches man in die freie Luft setzte, in ein festes Metall zusammengefror. Man konnte es wie Blei biegen und hämmern, und doch hielten es Menschen aus.
Eine ähnliche Kälte erlitten einst die Engländer in Nordamerika an der Hudsonsbay. Da fror ihnen, selbst in den geheizten Stuben, der Branntewein in Eis zusammen. Sie konnten ihn nicht flüssig erhalten. In den langen dunkeln Wintertagen erleuchtete man die Stuben mit glühenden Kanonenkugeln, und die starke Ofenhitze daneben konnte doch nicht hindern, daß nicht die Wände und Bettstätten mit Eis und Duft überzogen wurden.
Was für eine Hitze hingegen wieder die nämliche Menschennatur aushalten kann, das sehen wir schon an unsern Feuerarbeitern, zum Beispiel in Glashütten, Eisenschmelzen, Hammerschmidten, wo die Leute sich durch schwere Arbeit noch mehr erhitzen müssen. In Breitlingen, das ist eine Erzgrube am Rammelsberg in Sachsen, mußte das feste Gestein unter der Erde durch Feuer mürbe gemacht werden. Da sind nun viele schweflichte Teile und Dünste, die in Entzündung geraten, und eine so erstaunliche und unerträgliche Hitze verursachen, daß die Bergleute selbst noch den Tag nach der Löschung des Feuers nackt arbeiten, und alle Stunde innehalten, und sich wieder abkühlen müssen.
Manche Personen, die in Krankheiten viel aufs Schwitzen halten, kriechen in einen heißdünstigen Backofen, wenn das Brot herausgenommen ist, lassen nur so viel Öffnung zu, als zum Atemholen nötig ist, und schwitzen so nach Herzenslust. Das mag nun freilich nicht viel nützen, und ein vernünftiger Arzt wird es nicht groß loben.
Wer das aber weiß, der wird nun folgende wahre Erfahrungen nicht mehr so unglaublich finden. Vier bekannte und berühmte Männer ließen einst ein kleines Zimmer so stark erhitzen, als nur möglich war. Da kam die Hitze der Luft fast der Hitze des kochenden Wassers gleich. Und doch hielten dieselben sie 10 Minuten lang aus, wiewohl nicht ohne Beschwerden. Einer von ihnen trieb den Versuch noch weiter. In einer Hitze, wo frische Eier in 10 Minuten in der Luft hart gebacken wurden, hielt er 8 Minuten aus.
Das war nun freilich eine gemachte künstliche Hitze. Aber auch in der Natur geht es manchen Orten nicht viel besser. So weht bisweilen in heißen Gegenden auf einmal ein so trockener und heißer Wind von den Sandwüsten her, daß die Blätter an den Bäumen, wo er durchzieht, augenblicklich versengt werden und abdorren. Menschen, die alsdann im Freien sind, müssen sich freilich ohne Verzug mit dem Gesicht auf die Erde niederlegen, damit sie nicht ersticken, und haben gleichwohl noch viel dabei auszustehen. Selbst in geschlossenen Zimmern kann man sich vor Mattigkeit fast nicht mehr bewegen. Aber gleichwohl übersteht man es, wenn man vorsichtig ist und Erfahrungen benutzt.
Wenn man so etwas liest oder hört, so lernt man doch zufrieden sein daheim, wenn sonst schon nicht alles ist, wie man gerne mögte.
[1805]
Der schlaue Husar
Ein Husar im letzten Kriege wußte wohl, daß der Bauer, dem er jetzt auf der Straße entgegenging, 100 fl. für geliefertes Heu eingenommen hatte, und heimtragen wollte. Deswegen bat er ihn um ein kleines Geschenk zu Tabak und Branntwein. Wer weiß, ob er mit ein paar Batzen nicht zufrieden gewesen wäre. Aber der Landmann versicherte und beteuerte bei Himmel und Hölle, daß er den eigenen letzten Kreuzer im nächsten Dorfe ausgegeben, und nichts mehr übrig habe. »Wenn's nur nicht so weit von meinem Quartier wäre«, sagte hierauf der Husar, »so wäre uns beiden zu helfen; aber wenn du hast nichts, ich hab nichts; so müssen wir den Gang zum heil. Alfonsus doch machen. Was er uns heute beschert, wollen wir brüderlich teilen.« Dieser Alfonsus stand in Stein ausgehauen in einer alten, wenig besuchten Kapelle am Feldweg. Der Landmann hatte anfangs keine große Lust zu dieser Wallfahrt. Aber der Husar nahm keine Vorstellung an, und versicherte unterwegs seinen Begleiter so nachdrücklich, der heil. Alfonsus habe ihn noch in keiner Not stecken lassen, daß dieser selbst anfing Hoffnung zu gewinnen. Vermutlich war in der abgelegenen Kapelle ein Kamerad und Helfershelfer des Husaren verborgen? Nichts weniger! Es war wirklich das steinerne Bild des Alfonsus, vor welchem sie jetzt niederknieten, während der Husar gar andächtig zu beten schien. »Jetzt«, sagte er seinem Begleiter ins Ohr, »jetzt hat mir der Heilige gewinkt.« Er stand auf, ging zu ihm hin, hielt die Ohren an die steinerne Lippen, und kam gar freudig wieder zu seinem Begleiter zurück. »Einen Gulden hat er mir geschenkt, in meiner Tasche müsse er schon stecken.« Er zog auch wirklich zum Erstaunen des andern einen Gulden heraus, den er aber schon vorher bei sich hatte, und teilte ihn versprochenermaßen brüderlich zur Hälfte. Das leuchtete dem Landmann ein, und es war ihm gar recht, daß der Husar die Probe noch einmal machte. Alles ging das zweitemal wie zuerst. Nun kam der Kriegsmann diesmal viel freudiger von dem Heiligen zurück. »Hundert Gulden hat uns jetzt der gute Alfonsus auf einmal geschenkt. In deiner Tasche müssen sie stecken.« Der Bauer wurde todesblaß, als er dies hörte, und wiederholte seine Versicherung, daß er gewiß keinen Kreuzer habe. Allein der Husar redete ihm zu, er sollte doch nur Vertrauen zu dem heil. Alfonsus haben, und nachsehen. Alfonsus habe ihn noch nie getäuscht. Wollte er wohl oder übel, so mußte er seine Taschen umkehren und leermachen. Die hundert Gulden kamen richtig zum Vorschein, und hatte er vorher dem schlauen Husaren die Hälfte von seinem Gulden abgenommen, so mußte er jetzt auch seine hundert Gulden mit ihm teilen, da half kein Bitten und kein Flehen.
Das war fein und listig, aber eben doch nicht recht, zumal in einer Kapelle.
[1807]
Sommerlied
Blaue Berge!
Von den Bergen strömt das Leben.
Reine Luft für Mensch und Vieh;
Wasserbrünnlein spat und früh
Müssen uns die Berge geben.
Frische Matten!
Grüner Klee und Dolden schießen;
An der Schmehle schlank und fein
Glänzt der Tau wie Edelstein,
Und die klaren Bächlein fließen.
Schlanke Bäume!
Muntrer Vögel Melodeien
Tönen im belaubten Reis,
Singen laut des Schöpfers Preis.
Kirsche, Birn und Pflaum gedeihen.
Grüne Saaten!
Aus dem zarten Blatt enthüllt sich
Halm und Ähre, schwanket schön,
Wenn die milden Lüfte wehn,
Und das Körnlein wächst und füllt sich.
An dem Himmel
Strahlt die Sonn im Brautgeschmeide,
Weiße Wölklein steigen auf,
Ziehn dahin im stillen Lauf.
Gottes Schäflein gehn zur Weide.
Herzensfrieden,
Woll ihn Gott uns allen geben!
O dann ist die Erde schön.
In den Gründen, auf den Höhn
Wacht und singt ein frohes Leben
Schwarze Wetter
Überziehn den Himmelsbogen,
Und der Vogel singt nicht mehr.
Winde brausen hin und her,
Und die wilden Wasser wogen.
Rote Blitze
Zucken hin und zucken wider,
Leuchten über Wald und Flur.
Bange harrt die Kreatur.
Donnerschläge stürzen nieder.
Gut Gewissen,
Wer es hat, und wer's bewachet,
In den Blitz vom Weltgericht
Schaut er, und erbebet nicht,
Wenn der Grund der Erde krachet.
[1807]
Der Maulwurf
Unter allen Tieren, die ihre Jungen säugen, ist der Maulwurf das einzige, das seiner Nahrung allein in dunkeln Gängen unter der Erde nachgeht.
Und an dem einen ist's zuviel, wird mancher sagen, der an seine Felder und Wiesen denkt, wie sie mit Maulwurfshügeln bedeckt sind, wie der Boden zerwühlt und durchlöchert wird, wie die Gewächse oben absterben, wenn das heimtückische Tier unten an den Wurzeln weidet.
Nun, so wollen wir denn Gericht halten über den Missetäter.
Wahr ist es, und nicht zu leugnen, daß er durch seine unterirdischen Gänge hin und wieder den Boden durchwühlt, und ihm etwas von seiner Festigkeit raubt.
Wahr ist es ferner, daß durch die herausgestoßenen Grundhaufen viel fruchtbares Land bedeckt, und die darunter liegenden Keime im Wachstum gehindert, ja erstickt werden können. Dafür ist jedoch in einer fleißigen Hand der Rechen gut.
Aber wer hat's gesehen, daß der Maulwurf die Wurzeln abfrißt? wer kann's behaupten?
Nun, man sagt so: Wo die Wurzeln abgenagt sind und die Pflanzen sterben, wird man auch Maulwürfe finden; und wo keine Maulwürfe sind, geschieht das auch nicht. Folglich tut's der Maulwurf. – Der das sagt, ist vermutlich der nämliche, der einmal so behauptet hat: Wenn im Frühlinge die Frösche zeitlich quaken, so schlägt auch das Laub beizeiten aus. Wenn aber die Frösche lange nicht quaken wollen, so will auch das Laub nicht kommen. Folglich quaken die Frösche das Laub heraus. – Seht doch, wie man sich irren kann!
Aber da kommt ein Advokat des Maulwurfs, ein erfahrner Landwirt und Naturbeobachter, der sagt so:
»Nicht der Maulwurf frißt die Wurzeln ab, sondern die Quadten oder die Engerlinge, die unter der Erde sind, aus welchen hernach die Maikäfer und anderes Ungeziefer kommen. Der Maulwurf aber frißt die Quadten, und reinigt den Boden von diesen Feinden.«
Jetzt wird es also begreiflich, daß der Maulwurf immer da ist, wo das Gras und die Pflanzen krank sind und absterben, weil die Quadten da sind, denen er nachgeht und die er verfolgt. Und dann muß er's getan haben, was diese anstellen, und bekommt für eine Wohltat, die er euch erweisen will, des Henkers Dank.
»Das hat wieder einer in der Stube erfunden, oder aus Büchern gelernt«, werdet ihr sagen, »der noch keinen Maulwurf gesehen hat.«
Halt, guter Freund! der das sagt, kennt den Maulwurf besser als ihr alle, und eure besten Schermäuser, wie ihr sogleich sehen werdet. Denn ihr könnt zweierlei Proben anstellen, ob er die Wahrheit sagt.
»Erstlich, wenn ihr dem Maulwurf in den Mund schaut.« Denn alle vierfüßigen oder Säugtiere, welche die Natur zum Nagen am Pflanzenwerk bestellt hat, haben in jeder Kinnlade, oben und unten, nur zwei einzige, und zwar scharfe Vorderzähne, und gar keine Eckzähne, sondern eine Lücke bis zu den Stockzähnen. Alle Raubtiere aber, welche andere Tiere fangen und fressen, haben sechs und mehr spitzige Vorderzähne, dann Eckzähne auf beiden Seiten, und hinter diesen zahlreiche Stockzähne. Wenn ihr nun das Gebiß eines Maulwurfs betrachtet, so werdet ihr finden: Er hat in der obern Kinnlade sechs und in der untern acht spitzige Vorderzähne und hinter denselben Eckzähne auf allen vier Seiten, und daraus folgt: Es ist kein Tier, das an Pflanzen nagt, sondern ein kleines Raubtier, das andere Tiere frißt.
»Zweitens, wenn ihr einem getöteten Maulwurf den Bauch aufschneidet, und in den Magen schaut.« Denn was er frißt, muß er im Magen haben, und was er im Magen hat, muß er gefressen haben. Nun werdet ihr, wenn ihr die Probe machen wollt, nie Wurzelfasern oder so etwas in dem Magen des Maulwurfs finden, aber immer die Häute von Engerlingen, Regenwürmern und anderm Ungeziefer, das unter der Erde lebt.
Wie sieht's jetzt aus?
Wenn ihr also den Maulwurf recht fleißig verfolgt, und mit Stumpf und Stiel vertilgen wollt, so tut ihr euch selbst den größten Schaden und den Engerlingen den größten Gefallen. Da können sie alsdann ohne Gefahr eure Wiesen und Felder verwüsten, wachsen und gedeihen, und im Frühjahr kommt alsdann der Maikäfer, frißt euch die Bäume kahl wie Besenreis, und bringt euch zur Vergeltung auch des Gukuks Dank und Lohn.
So sieht's aus.
[1807]
Der Zahnarzt
Zwei Tagdiebe, die schon lange in der Welt miteinander herumgezogen, weil sie zum Arbeiten zu träg, oder zu ungeschickt waren, kamen doch zuletzt in große Not, weil sie wenig Geld mehr übrig hatten, und nicht geschwind wußten, wo nehmen. Da gerieten sie auf folgenden Einfall: Sie bettelten vor einigen Haustüren Brot zusammen, das sie nicht zur Stillung des Hungers genießen, sondern zum Betrug mißbrauchen wollten. Sie kneteten nämlich und drehten aus demselben lauter kleine Kügelein oder Pillen, und bestreuten sie mit Wurmmehl aus altem zerfressenem Holz, damit sie völlig aussahen wie die gelben Arzneipillen. Hierauf kauften sie für ein paar Batzen einige Bogen rotgefärbtes Papier bei dem Buchbinder: (denn eine schöne Farbe muß gewöhnlich bei jedem Betrug mithelfen.) Das Papier zerschnitten sie alsdann und wickelten die Pillen darein, je sechs bis acht Stücke in ein Päcklein. Nun ging der eine voraus in einen Flecken, wo eben Jahrmarkt war, und in den roten Löwen, wo er viele Gäste anzutreffen hoffte. Er forderte ein Glas Wein, trank aber nicht, sondern saß ganz wehmütig in einem Winkel, hielt die Hand an den Backen, winselte halblaut für sich, und kehrte sich unruhig bald so her, bald so hin. Die ehrlichen Landleute und Bürger, die im Wirtshaus waren, bildeten sich wohl ein, daß der arme Mensch ganz entsetzlich Zahnweh haben müsse. Aber was war zu tun? man bedauerte ihn, man tröstete ihn, daß es schon wieder vergehen werde, trank sein Gläslein fort, und machte seine Marktaffären aus. Indessen kam der andere Tagdieb auch nach. Da stellten sich die beiden Schelme, als ob noch keiner den andern in seinem Leben gesehen hätte. Keiner sah den andern an, bis der zweite durch das Winseln des erstern, der im Winkel saß, aufmerksam zu werden schien. »Guter Freund«, sprach er, »Ihr scheint wohl Zahnschmerzen zu haben?« und ging mit großen und langsamen Schritten auf ihn zu. »Ich bin der Doktor Schnauzius Rapunzius von Trafalgar«, fuhr er fort. Denn solche fremde volltönige Namen müssen auch zum Betrug behülflich sein, wie die Farben. »Und wenn Ihr meine Zahnpillen gebrauchen wollt«, fuhr er fort, »so soll es mir eine schlechte Kunst sein, Euch mit einer, höchstens zweien, von Euren Leiden zu befreien.« – »Das wolle Gott«, erwiderte der andere Halunk. Hierauf zog der saubere Doktor Rapunzius eines von seinen roten Päcklein aus der Tasche, und verordnete dem Patienten ein Kügelein daraus auf den bösen Zahn zu legen und herzhaft darauf zu beißen. Jetzt streckten die Gäste an den andern Tischen die Köpfe herüber, und einer um den andern kam herbei, um die Wunderkur mit anzusehen. Nun könnt ihr euch vorstellen, was geschah. Auf diese erste Probe wollte zwar der Patient wenig rühmen, vielmehr tat er einen entsetzlichen Schrei. Das gefiel dem Doktor. Der Schmerz, sagte er, sei jetzt gebrochen, und gab ihm geschwind die zweite Pille zu gleichem Gebrauch. Da war nun plötzlich aller Schmerz verschwunden. Der Patient sprang vor Freuden auf, wischte den Angstschweiß von der Stirne weg, obgleich keiner daran war, und tat, als ob er seinem Retter zum Danke etwas Namhaftes in die Hand drückte. – Der Streich war schlau angelegt, und tat seine Wirkung. Denn jeder Anwesende wollte nun auch von diesen vortrefflichen Pillen haben. Der Doktor bot das Päcklein für 24 Kreuzer, und in wenig Minuten waren alle verkauft. Natürlich gingen jetzt die zwei Schelme wieder einer nach dem andern weiters, lachten, als sie wieder zusammenkamen, über die Einfalt dieser Leute, und ließen sich's wohl sein von ihrem Geld.
Das war teures Brot. So wenig für 24 kr. bekam man noch in keiner Hungersnot. Aber der Geldverlust war nicht einmal das Schlimmste. Denn die Weichbrotkügelein wurden natürlicherweise mit der Zeit steinhart. Wenn nun so ein armer Betrogener nach Jahr und Tag Zahnweh bekam, und in gutem Vertrauen mit dem kranken Zahn einmal und zweimal darauf biß, da denke man an den entsetzlichen Schmerz, den er, statt geheilt zu werden, sich selbst für 24 Kreuzer aus der eigenen Tasche machte. Daraus ist also zu lernen, wie leicht man kann betrogen werden, wenn man den Vorspiegelungen jedes herumlaufenden Landstreichers traut, den man zum erstenmal in seinem Leben sieht, und vorher nie und nachher nimmer; und mancher, der dieses liest, wird vielleicht denken: »So einfältig bin ich zu meinem eigenen Schaden auch schon gewesen.« – Merke: Wer so etwas kann, weiß an andern Orten Geld zu verdienen, lauft nicht auf den Dörfern und Jahrmärkten herum mit Löchern im Strumpf, oder mit einer weißen Schnalle im rechten Schuh, und am linken mit einer gelben.
[1807]
Nützliche Lehren
5
»
Ein Narr fragt viel, worauf kein Weiser antwortet
.« Das muß zweimal wahr sein. Fürs erste kann gar wohl der einfältigste Mensch eine Frage tun, worauf auch der Weiseste keinen Bescheid zu geben weiß. Denn Fragen ist leichter als Antworten, wie Fordern oft leichter ist, als Geben, Rufen leichter, als Kommen. Fürs andere könnte manchmal der Weise wohl eine Antwort gehen, aber er will nicht, weil die Frage einfältig ist, oder wortwitzig, oder weil sie zur Unzeit kommt. Gar oft erkennt man ohne Mühe den einfältigen Menschen am Fragen und den Verständigen am Schweigen.
»Keine Antwort ist auch eine Antwort.«
Von dem Doktor Luther verlangte einst jemand zu wissen, was wohl Gott vor Erschaffung der Welt die lange, lange Ewigkeit hindurch getan habe. Dem erwiderte der fromme und witzige Mann: »In einem Birkenwald sei der liebe Gott gesessen und habe zur Bestrafung für solche Leute, die unnütze Fragen tun, Ruten geschnitten.«
6
»
Rom ist nicht in einem Tage erbaut worden
.« Damit entschuldigen sich viele fahrlässige und träge Menschen, welche ihr Geschäft nicht treiben und vollenden mögen, und schon müde sind, ehe sie recht anfangen. Mit dem Rom ist es aber eigentlich so zugegangen. Es haben viele fleißige Hände viele Tage lang vom frühen Morgen bis zum späten Abend unverdrossen daran gearbeitet, und nicht abgelassen, bis es fertig war und der Hahn auf dem Kirchturm stand. So ist Rom entstanden. Was du zu tun hast, mach's auch so!
7
»
Frisch gewagt ist halb gewonnen
.« Daraus folgt: »Frisch gewagt ist auch halb verloren.« Das kann nicht fehlen. Deswegen sagt man auch:
»Wagen gewinnt, Wagen verliert.«
Was muß also den Ausschlag gehen? Prüfung, ob man die Kräfte habe zu dem, was man wagen will, Überlegung wie es anzufangen sei, Benutzung der günstigen Zeit und Umstände, und hintennach, wenn man sein mutiges A gesagt hat, ein besonnenes B, und ein bescheidenes C. Aber soviel muß wahr bleiben: Wenn etwas Gewagtes soll unternommen werden, und kann nicht anders sein, so ist ein frischer Mut zur Sache der Meister, und der muß dich durchreißen. Aber wenn du immer willst, und fangst nie an, oder du hast schon angefangen, und es reut dich wieder, und willst, wie man sagt, auf dem trockenen Lande ertrinken, guter Freund, dann ist »schlecht gewagt ganz verloren.«
8
»
Es ist nicht alles Gold, was glänzt
.« Mancher, der nicht an dieses Sprichwort denkt, wird betrogen. Aber eine andere Erfahrung wird noch öfter vergessen: »
Manches glänzt nicht und ist doch Gold
«, und wer das nicht glaubt, und nicht daran denkt, der ist noch schlimmer daran. In einem wohlbestellten Acker, in einem gut eingerichteten Gewerbe ist viel Gold verborgen, und eine fleißige Hand weiß es zu finden, und ein ruhiges Herz dazu und ein gutes Gewissen glänzt auch nicht, und ist noch mehr als Goldes wert. Oft ist gerade da am wenigsten Gold, wo der Glanz und die Prahlerei am größten ist. Wer viel Lärm macht, hat wenig Mut. Wer viel von seinen Talern redet, hat nicht viel. Einer prahlte, er habe ein ganzes Simri (Sester) Dukaten daheim. Als er sie zeigen sollte, wollte er lange nicht daran. Endlich brachte er ein kleines rundes Schächtelein zum Vorschein, das man mit der Hand decken konnte. Doch half er sich mit einer guten Ausrede. Das Dukatenmaß, sagte er, sei kleiner als das Fruchtmaß.
[1807]
Betrachtung über das Weltgebäude
Der Mond
Der geneigte Leser wird nun recht begierig sein, auch etwas Neues von dem Monde zu erfahren, der ihm des Nachts so oft aus der Stadt nach Hause leuchtet, oder aus dem Wirtshaus.
Erstlich
der Mond ist auch eine große Kugel, die im unermeßlichen Weltraum schwebt, nicht anderst als die Erde und die Sonne, aber in seiner körperlichen Masse ist er fünfzigmal kleiner als die Erde, und nicht viel über 50000 Meilen von ihr entfernt. Man sieht hieraus, daß der Hausfreund nicht darauf ausgeht, mit großen Zahlen um sich zu werfen, wenn's nicht sein muß, und den gutmütigen Leser im Numerieren zu üben, sondern daß er gerne bei der Wahrheit bleibt.
Zweitens
, daß der Mond wie die Sonne, je in 24 Stunden um die Erde herumzugehen scheint, will nicht viel sagen. Gesetzt er stehe unbeweglich still an seinem Ort, so dreht sich ja die Erde um ihre Achse, daraus erfolgen in Rücksicht auf den Mond die nämlichen Erscheinungen, wie bei der Sonne, und wenn von ihm ein langer gelber Faden ohne Ende auf die Erde herabreichte, und auch an dem Kruzifix im Felde angeknüpft würde, so müßte sich der gelbe Faden ebenfalls in 24 Stunden um die Erde herumlegen. Aber der Mond ist deswegen nicht um die Erde herumgegangen, sondern die Erde durch die Umdrehung um ihre Achse hat den Faden selber an sich aufgewunden.
Drittens
, der Mond muß auch sein Licht und sein Gedeihen von der Sonne empfangen. Eine Hälfte seiner Kugel ist erhellt, die gegen die Sonne gekehrt ist, die andere ist finster. Damit nun nicht immer die nämliche Hälfte hell, und die nämliche finster bleibe, so dreht sich der Mond wie die Erde ebenfalls um sich selber oder um seine Achse, und dem Hausfreund tut die Wahl weh, will er sagen in 27 Tagen und 8 Stunden, oder in 29 und einem halben Tag. Denn beides ist richtig, je nachdem man's ansieht. Wir wollen aber sagen in 29 und einem halben Tag, weil's die Kalendermacher so ansehen. Daraus folgt, daß in dieser langen Zeit der Tag und die Nacht nur
einmal
um den Mond herumwandeln. Der Tag dauert dort an
einem
Ort so lange als ungefähr 2 von unsern Wochen und ebenso lang die Nacht, und ein Nachtwächter muß sich schon sehr in acht nehmen, daß er in den Stunden nicht irre wird, wenn es einmal anfängt 223 zu schlagen oder 309. – Aber
Viertens
, der Mond bewegt sich in der nämlichen Zeit auch um die Erde. Dies sieht man abermal an den Sternen. Wie wenn man einen langsam gehenden Postwagen aus weiter Ferne beobachtet, meint man, er stehe still. Wenn man aber bemerkt, wie er doch nicht immer neben dem nämlichen Baum an der Straße sich befindet, sondern nach ein paar Minuten neben einem andern, so erkennt man, daß er nicht stillsteht, sondern auf die Station geht. Wenn er aber in einem großen Kreis um den geneigten Leser herumführe, so müßte er doch zuletzt wieder zu dem nämlichen Baum kommen, bei welchem er zuerst stand, und daran müßte man erkennen, daß er jetzt seinen Kreislauf vollendet hat, also auch der Mond. Er hält sich nicht jede Nacht bei dem nämlichen Sternlein auf, wenn's noch so schön ist, sondern er rückt weiter von einem zum andern. Am andern Abend um die nämliche Zeit ist er schon um ein beträchtliches vorgerückt; aber ohngefähr in oben benannter Zeit, etwas früher kommt er wieder zu dem nämlichen Stern, bei dem er zuerst stand, und hat seinen Kreislauf um die Erde vollendet.
Fünftens
, da sich der Mond also um die Erde bewegt, so ist daraus leicht abzunehmen, was es mit dem Mondwechsel für eine Bewandtnis hat. Der
Neumond
ist, wenn der Mond zwischen der Sonne und Erde steht aber etwas höher oder tiefer. Alsdann ist seine ganze erleuchtete Hälfte oder sein Tag gegen die Sonne gekehrt, und seine Nacht schaut herab gegen uns. Vom Neumond an, wenn der Mond auf seinem Umlauf zwischen der Sonne und Erde heraustritt, und sich gleichsam mit ihnen in den Triangel stellt, erblicken wir zuerst einen schmalen Streif von der erhellten Mondkugel, der immer größer wird bis zum ersten Viertel.
Das erste Viertel
ist, wenn der Mond so steht, daß gerade die Hälfte von der erleuchteten Halbkugel, oder der vierte Teil von dem Mond gegen uns im Licht ist, und die Hälfte von der verfinsterten Halbkugel im Schatten. Da kann man recht sehen, wie Gott das Licht von der Finsternis scheidet, und wie auf den Weltkörpern der Tag neben der Nacht wohnt, und wie die Nacht von dem Tag bis zum Vollmond allmählig besiegt wird.
Der Vollmond
ist, wenn der Mond auf seinem Kreislauf um die Erde, hinter der Erde steht, also daß die Erde zwischen ihm und der Sonne schwebt, aber etwas tiefer oder höher. Alsdann können wir seine ganze erleuchtete Hälfte sehen, wie sie von der Sonne erleuchtet wird, und aus unserer Nacht hinaufschauen in seinen Tag. Vom Vollmond an, wenn der Mond sich wieder auf der andern Seite herumbiegt um die Erde, kommt wieder etwas von seiner finstern Hälfte zum Vorschein, und immer mehr bis zum letzten Viertel.
Das letzte Viertel
ist, wenn wieder die eine Hälfte der Halbkugel, die gegen uns steht, erleuchtet, und die andere verfinstert ist, und jetzt kann man sehen, wie die Nacht den Tag besiegt, bis sie ihn im Neumond wieder verschlungen hat. Dies ist der Mondwechsel.
Sechstens
aber, und wenn der Mond und die Erde einmal in schnurgrader Linie vor der Sonne stehen, so geschehen noch ganz andere Sachen, die man nicht alle Tage sehen kann, nämlich die Finsternisse. Wenn der dunkle Neumond je zuweilen in seinem Lauf gerade zwischen die Erde und die Sonne hineinrückt, nicht höher und nicht tiefer, so können wir vor ihm am hellen Tag die Sonne nimmer sehen, oder doch nicht ganz, und das
ist
alsdann eine Sonnenfinsternis; die Sonnenfinsternis kann nur im Neumond stattfinden. Wenn aber im Vollmond die Erde gerade zwischen die Sonne und zwischen den Mond hineintritt, nicht höher und nicht tiefer, so kann die Sonne nicht ganz an den Vollmond scheinen, weil die Erde ihren Strahlen im Wege steht. Dies ist alsdann die Mondsfinsternis. Die Dunkelheit, die wir am Mond erblicken, ist nichts anders als der Schatten von unserer eignen Erde, und ein solches Exempel am Mond kann nur im Vollicht statuiert werden. Alle diese Finsternisse nun, die einzig von der Bewegung des Monds und der Erde herrühren, wissen wir Sternseher und Kalendermacher ein ganzes Jahr, und wer's verlangt, auf weiter hinaus vorherzusagen, und der Hausfreund gibt jetzt wenig gute Worte mehr, wenn einer kommt, der nicht glauben will, was bisher von den Himmelslichtern gesagt worden ist, und ferner soll gesagt werden. »Woher wißt ihr«, fragt der vorsichtige Leser, »daß die Sonne und der Mond so groß ist, oder so, so weit oder so nahe; und daß sich die Erde und der Mond auch ganz gewiß so bewegen, wie's euch vorkommt? Wer ist dort gewesen und hat's gemessen?« Antwort: Wenn wir das nicht gewiß wüßten und auf das Haar, so könnten wir nicht auf ein ganzes Jahr, und wer's verlangt, auf weiter hinaus eine Finsternis voraussagen, auf welchen Tag, ja auf welche Minute sie anfängt, und wie tief sie sich in den Mond oder in die Sonne hineinfrißt. Oder sagt's auch voraus, wenn ihr könnt, und warum sucht ihr es im Kalender, wenn ihr meint, wir fallieren.
Siebentens
, und wenn der Mond in seinem vollen Licht am Himmel erscheint, sieht er bei allem dem kurios aus mit seinem trüben Gesicht, und mit seinen helleren und blassern Flecken. Denn bekanntlich ist die Helle nicht gleichmäßig über ihn verbreitet, sondern ungleichmäßig. Damit hat er die Gelehrten lange Zeit vexiert, und ihnen weisgemacht, die helleren Teile seien Land, von welchem die Lichtstrahlen wieder zurückprellen, und die dunkleren seien Wasser, welches die Lichtstrahlen verschluckt. Allein mit einem kapablen Perspektiv, wie es in vorigen Zeiten keine gab, hat ein rechtschaffener Sternseher, namens Schröter, ganz andere Dinge auf dem Mond entdeckt als Land und Wasser, nämlich auch Land, aber kein Wasser, sondern weite Ebenen, hohe Berge und tiefe Abgründe von wunderbarer Gestalt und Verbindung. Hat er nicht ihren Schatten sogar beobachtet, und wie er sich von Abend gegen Morgen bewegt, verkürzt und verlängert? Hat er nicht zuletzt sogar aus dem Schatten der Berge ihre Höhe ausgerechnet, gleichsam wie ein Exempel aus der Regeldetri? Die höchsten Berge auf dem Mond sind höher als die höchsten auf der Erde, nämlich 25000 Fuß. Der Hausfreund hat Respekt vor dem Sternseher, und vor der göttlichen Allmacht, die einem schwachen Menschenkind den Verstand und die Geschicklichkeit geben kann, auf 50000 Meilen weit Berge auszumessen, die unsereiner (der geneigte Leser ist gemeint) gar nicht sieht. Fragt man nun noch
Achtens
und letztens, was denn eigentlich der Mond am Himmel zu verrichten hat? – Antwort: Was die Erde. Soviel ist gewiß, er erhellt durch sein mildes Licht, welches der Widerschein von seinem Sonnenschein ist, unsere Nächte, und sieht zu, wie die Knaben die Mägdlein küssen. Er ist der eigentliche Hausfreund und erste Kalendermacher unserer Erde, und der oberste General-Nachtwächter, wenn die andern schlafen. Hinwiederum scheint die Erde mit ihrem Sonnenglanz, in wechselndem Licht, an die finstere Halbkugel des Monds, und erhellt ihre lange, lange Nacht. Was will der geneigte Leser sagen! Sieht man nicht in den ersten Tagen des Neulichts, wenn der Mond noch wie eine krumme Sichel am Himmel steht, sieht man nicht auch den übrigen dunkeln Teil seiner Scheibe, oder seine Nacht durch einen schwachen grünlichen Schimmer erhellt? Das ist eine Wirkung des Sonnenscheins, der von der erleuchteten Halbkugel unserer Erde auf den Mond fällt, oder ist der Erdschein im Mond.
Zudem ist es gar wohl möglich, daß auch jener Weltkörper allerlei vernünftige und unvernünftige Geschöpfe von kuriosen Gestalten und Eigenschaften beherbergt, die uns alles besser sagen könnten, und die sich in ihrer Nacht auch über den milden Erdschein freuen. Vielleicht glauben die einfältigen Leute dort auch lange her, die Erde gehe um den Mond herum, und sei bloß wegen ihnen da, und wir könnten's ihnen auch besser sagen.
[1814]
Die Fortsetzung folge [
hier
]
Auflösung des dritten und vierten Rechnungsexempels
Ich werde wohl zu spät kommen, und alle, welche sich um das erste Rechnungsexempel bekümmerten, werden's heraus haben, daß Hans 7 Schafe hatte. Fritz aber hatte 5. Wenn nun der letztere dem ersten eins von den seinen gab, so hatte Fritz noch 4, Hans aber hatte 8; folglich noch einmal soviel. Gibt aber der erste dem letzten eins, so behält Hans noch 6 und Fritz bekommt 6. Und also lautete die Aufgabe.
So ein Schaf hin oder her zu gehen, wenn man selber nur 5 oder 7 Stücke hat, ist nun freilich keine Kleinigkeit. Sonst aber und wo es angeht, ist es immer besser, gute Freunde halten's miteinander so, daß die Teile gleich werden, als daß einer viel hat und der andere wenig. Denn Mehrhaben macht leicht übermütig und gewalttätig, und Wenighaben macht mißgünstig; und wo einmal Obermut und Mißgunst sich einnisten, da hat es mit der guten Freundschaft bald ein Ende. Das muß der verständige Vater wohl überlegt haben, der im zweiten Exempel sein Vermögen unter seine 7 Kinder verteilte. Denn wer es ausgerechnet und keinen Fehler dabei begangen hat, der wird bald gefunden haben, daß jedes Kind 700 Gulden bekommen habe, keinen Kreuzer mehr und keinen minder.
Wenn alle Eltern so vernünftig wären, und ihren Kindern, die gleiche Liebe verdienen, gleiche Liebe bewiesen, wieviel Unfrieden und Unheil könnte dadurch verhütet werden, und wie manches Stündlein könnten die Herren Advokaten doch auch ein wenig spazieren gehen und frische Luft schöpfen.
[1806]
Zwei Erzählungen
Wie leicht sich manche Menschen oft über unbedeutende Kleinigkeiten ärgern und erzürnen, und wie leicht die nämlichen oft durch einen unerwarteten spaßhaften Einfall wieder zur Besinnung können gebracht werden, das haben wir an dem Herrn gesehen, der die Suppenschüssel aus dem Fenster warf, und an seinem witzigen Bedienten. Das nämliche lehren folgende zwei Beispiele.
Ein Gassenjunge sprach einen gut und vornehm gekleideten Mann, der an ihm vorbeiging, um einen Kreuzer an, und als dieser seiner Bitte kein Gehör gehen wollte, versprach er ihm, um einen Kreuzer zu zeigen, wie man zu Zorn und Schimpf und Händeln kommen könne. Mancher, der dies liest, wird denken, das zu lernen sei keinen Heller, noch weniger einen Kreuzer wert, weil Schimpf und Händel etwas Schlimmes und nichts Gutes sind. Aber es ist mehr wert, als man meint. Denn wenn man weiß, wie man zu dem Schlimmen kommen kann, so weiß man auch, vor was man sich zu hüten hat, wenn man davor bewahrt bleiben will. So mag dieser Mann auch gedacht haben, denn er gab dem Knaben den Kreuzer. Allein dieser forderte jetzt den zweiten, und als er den auch erlangt hatte, den dritten und vierten, und endlich den sechsten. Als er aber noch immer mit dem Kunststück nicht herausrücken wollte, ging doch die Geduld des Mannes aus. Er nannte den Knaben einen unverschämten Burschen und Betteljungen, drohte, ihn mit Schlägen fortzujagen, und gab ihm am Ende auch wirklich ein paar Streiche. »Ihr grober Mann, der Ihr seid«, schrie jetzt der Junge, »schon so alt und noch so unverständig! hab ich Euch nicht versprochen zu lehren, wie man zu Schimpf und Händeln kommt? Habt Ihr mir nicht sechs Kreuzer dafür gegeben? Das sind ja jetzt Händel, und so kommt man dazu. Was schlagt Ihr mich denn?« So unangenehm dem Ehrenmann dieser Vorfall war, so sah er doch ein, daß der listige Knabe recht und er selber unrecht hatte. Er besänftigte sich, nahm sich's zur Warnung, nimmer so aufzufahren, und glaubte, die gute Lehre, die er da erhalten habe, sei wohl sechs Kreuzer wert gewesen.
In einer andern Stadt ging ein Bürger schnell und ernsthaft die Straße hinab. Man sah ihm an, daß er etwas Wichtiges an einem Ort zu tun habe. Da ging der vornehme Stadtrichter an ihm vorbei, der ein neugieriger und dabei ein gewalttätiger Mann muß gewesen sein, und der Gerichtsdiener kam hinter ihm drein. »Wo geht Ihr hin so eilig?« sprach er zu dem Bürger. Dieser erwiderte ganz gelassen: »Gestrenger Herr, das weiß ich selber nicht.« – »Aber Ihr seht doch nicht aus, als ob Ihr nur für Langeweile herumgehen wolltet. Ihr müßt etwas Wichtiges an einem Orte vorhaben.« – »Das mag sein«, fuhr der Bürger fort, »aber wo ich hingehe, weiß ich wahrhaftig nicht.« Das verdroß den Stadtrichter sehr. Vielleicht kam er auch auf den Verdacht, daß der Mann an einem Ort etwas Böses ausüben wollte, das er nicht sagen dürfe. Kurz, er verlangte jetzt ernsthaft, von ihm zu hören, wo er hingehe, mit der Bedrohung, ihn sogleich von der Straße weg in das Gefängnis führen zu lassen. Das half alles nichts, und der Stadtrichter gab dem Gerichtsdiener zuletzt wirklich den Befehl, diesen widerspenstigen Menschen wegzuführen. Jetzt aber sprach der verständige Mann: »Da sehen Sie nun, hochgebietender Herr, daß ich die lautere Wahrheit gesagt habe. Wie konnte ich vor einer Minute noch wissen, daß ich in den Turn gehen werde, – und weiß ich denn jetzt gewiß, ob ich drein gehe?« – »Nein«, sprach jetzt der Richter, »das sollt Ihr nicht.« Die witzige Rede des Bürgers brachte ihn zur Besinnung. Er machte sich stille Vorwürfe über seine Empfindlichkeit, und ließ den Mann ruhig seinen Weg gehen.
Es ist doch merkwürdig, daß manchmal ein Mensch, hinter welchem man nicht viel sucht, einem andern noch eine gute Lehre gehen kann, der sich für erstaunend weise und verständig hält.
[1806]
Nützliche Lehren
9
Es sagt ein altes Sprichwort:
Selber essen macht fett
. Ich will noch ein paar dazusetzen:
Selber Achtung geben macht verständig. Und selber arbeiten macht reich
. Wer nicht mit eignen Augen sieht, sondern sich auf andere verläßt, und wer nicht selber Hand anlegt, wo es nötig ist, sondern andere tun läßt, was er selber tun soll, der bringt's nicht weit, und mit dem Fettwerden hat es bald ein Ende.
10
Ein anderes Sprichwort heißt so:
Wenn man den Teufel an die Wand malt, so kommt er
. Das sagt mancher, und versteht's nicht. Den bösen Geist kann man eigentlich nicht an die Wand malen, sonst wäre es kein Geist. Auch kann er nicht kommen. Denn er ist mit Ketten der Finsternis in die Hölle gebunden. Was will denn das Sprichwort sagen? Wenn man viel an das Böse denkt, und sich dasselbe in Gedanken vorstellt, oder lang davon spricht, so kommt zuletzt die Begierde zu dem Bösen in das Herz, und man tut's. Soll der böse Feind nicht kommen, so mal ihn nicht an die Wand! Willst du das Böse nicht tun, so denke nicht daran wo du gehst und stehst, und sprich nicht davon, als wenn es etwas Angenehmes und Lustiges wäre.
11
Einmal ist keinmal
. Dies ist das erlogenste und schlimmste unter allen Sprichwörtern, und wer es gemacht hat, der war ein schlechter Rechnungsmeister oder ein boshafter.
Einmal ist
wenigstens
einmal
, und daran läßt sich nichts abmarkten. Wer
einmal
gestohlen hat, der kann sein Leben lang nimmer mit Wahrheit und mit frohem Herzen sagen: Gottlob! ich habe mich nie an fremdem Gut vergriffen, und wenn der Dieb erhascht und gehenkt wird, alsdann ist einmal nicht keinmal. Aber das ist noch nicht alles, sondern man kann meistens mit Wahrheit sagen:
Einmal ist zehnmal und hundert- und tausendmal
. Denn wer das Böse einmal angefangen hat, der setzt es gemeiniglich auch fort. Wer A gesagt hat, der sagt auch gern B, und alsdann tritt zuletzt ein anderes Sprichwort ein,
daß der Krug so lange zum Brunnen gehe, bis er bricht
.
12
Nun kommen zwei Sprichwörter und die sind beide wahr, wenn sie schon einander widersprechen. Von zwei unbemittelten Brüdern hatte der eine keine Lust und keinen Mut etwas zu erwerben, weil ihm das Geld nicht zu den Fenstern hineinregnete. Er sagte immer:
Wo nichts ist, kommt nichts hin
. Und so war es auch. Er blieb sein Leben lang der arme Bruder
Wonichtsist
, weil es ihm nie der Mühe wert war, mit einem kleinen Ersparnis den Anfang zu machen, um nach und nach zu einem größern Vermögen zu kommen. So dachte der jüngere Bruder nicht. Der pflegte zu sagen:
Was nicht ist, das kann werden
. Er hielt das Wenige, was ihm von der Verlassenschaft der Eltern zuteil worden war, zu Rat, und vermehrte es nach und nach durch eigenes Ersparnis, indem er fleißig arbeitete und eingezogen lebte. Anfänglich ging es hart und langsam. Aber sein Sprichwort:
Was nicht ist, kann werden
, gab ihm immer Mut und Hoffnung. Mit der Zeit ging es besser. Er wurde durch unverdrossenen Fleiß und Gottes Segen noch ein reicher Mann, und ernährt jetzt die Kinder des armen Bruders
Wonichtsist
, der selber nichts zu beißen und zu nagen hat.
[1806]
Die Spinnen
1
Die Spinne ist ein verachtetes Tier, viele Menschen fürchten sich sogar davor, und doch ist sie auch ein merkwürdiges Geschöpf und hat in der Welt ihren Nutzen. Zum Beispiel die Spinne hat nicht zwei Augen, sondern
acht
. Mancher wird dabei denken, da sei es keine Kunst, daß sie die Fliegen und Mücken, die an ihren Fäden hängenbleiben, so geschwind erblickt und zu erhaschen weiß. Allein das macht's nicht aus. Denn eine Fliege hat nach den Untersuchungen der Naturkündigen
viele hundert
Augen, und nimmt doch das Netz nicht in acht und ihre Feindin, die groß genug darin sitzt. Was folgt daraus? Es gehören nicht nur Augen, sondern auch Verstand und Geschick dazu, wenn man glücklich durch die Welt kommen und in keine verborgenen Fallstricke geraten will. – Wie fein ist ein Faden, den eine Spinne in der größten Geschwindigkeit von einer Wand bis an die andere zu ziehen weiß! Und doch versichern abermal die Naturkündigen, daß ein solcher Faden, den man kaum mit bloßen Augen sieht, wohl sechstausendfach zusammengesetzt sein könne. Das bringen sie so heraus: Die Spinne hat an ihrem Körper nicht nur eine, sondern sechs Drüsen, aus welchen zu gleicher Zeit Fäden hervorgehn. Aber jede von diesen Drüsen hat wohl tausend feine Öffnungen, von welchen keine umsonst da sein wird. Wenn also jedesmal aus allen diesen Öffnungen ein solcher Faden herausgeht, so ist an der Zahl
sechstausend
nichts auszusetzen, und dann kann man wohl begreifen, daß ein solcher Faden, obgleich so fein, doch auch so fest sein könne, daß das Tier mit der größten Sicherheit daran auf-und absteigen, und sich in Sturm und Wetter darauf verlassen kann. Muß man nicht über die Kunst und Geschicklichkeit dieser Geschöpfe erstaunen, wenn man ihnen an ihrer stillen und unverdrossenen Arbeit zuschaut, und an den großen und weisen Schöpfer denken, der für alles sorgt, und solche Wunder in einem so kleinen und unscheinbaren Körper zu verbergen weiß?
2
Das mag alles gut sein, denkt wohl mancher, wenn sie nur nicht giftig wären, und lauft davon, oder zertritt sie, wo er eine findet. Aber wer sagt denn, daß unsere Spinnen giftig seien? Noch kein Mensch ist in unsern Gegenden von einer Spinne vergiftet worden. Gibt es nicht hie und da Leute, die sie aufs Brot streichen und verschlucken? Wohl bekomm's, wem es schmeckt! Auch sonst tun diese Tierlein, die nur für die Erhaltung ihres eigenen Lebens besorgt sind, keinem Menschen etwas zuleide. Im Gegenteil leisten sie in der Natur einen großen Nutzen, den man aber, wie es oft geschieht, nicht hoch anschlägt, weil jede einzelne wenig dazu beizutragen scheint. Es ist das geringste, daß sie hie und da einer Stubenfliege den Garaus machen. Für diese wäre noch anderer Rat. Aber sie verzehren auch jährlich und täglich eine große Anzahl anderer sehr kleinen Mücklein, die uns durch ihre Menge erstaunend beschwerlich und schädlich werden, und gegen welche man sich nicht erwehren könnte, wenn sie überhandnähmen. Sind nicht manchmal ganze Ackerfurchen mit Spinnengewebe überzogen und glänzen im Morgentau? Da geht manches Mücklein zugrunde, das die aufkeimende Saat vielleicht angegriffen und verletzt hätte. Ein Gefangener machte einst in seinem einsamen Kerker eine Spinne so zahm, daß sie seine Stimme kannte, und allemal kam, wenn er sie lockte und etwas für sie hatte. Sie verkürzte ihm an einem Ort, wo kein Freund zu ihm kommen konnte, manche traurige Stunde. Aber als der Kerkermeister es merkte, brachte er sie ums Leben. Was ist verabscheuungswürdig? Ein solches Tier, das doch noch einem Unglücklichen einiges Vergnügen machen kann, oder ein solcher Mensch, der dem Unglücklichen auch dieses Vergnügen mißgönnt und zerstört? Ein anderer Gefangener, der sonst nichts zu tun wußte, gab lange Zeit auf die Spinnen acht, und merkte, daß sie auch Wetterpropheten seien. Bald ließen sie sich sehen und arbeiteten, bald nicht. Einmal spannen sie träg, ein andermal hurtig, lange Fäden oder kurze, einmal näher zusammen, ein andermal weiter auseinander, so oder so, und endlich konnte er daran erkennen, was für Wetter kommt, Sturm, Regen oder Sonnenschein, anhaltend oder veränderlich. Also auch dazu sind sie gut, und wenn sich jemand verwundet hat, und findet geschwind ein Spinnengewebe, das er auf die blutende Wunde legen kann, so ist er doch auch froh darüber. Wenn es rein ist, so kann es Blut und Schmerzen stillen. Wenn es aber voller Staub ist, so schmerzt es noch mehr, weil der unreine Staub in die Wunde kommt.
3
Daß es mancherlei Tiere dieser Gattung gehe, sieht man schon an der Verschiedenheit ihres Gewebes in der freien Luft, an Fensterscheiben, in den Winkeln, auf den Feldern, da und dort. Manche spinnen gar nicht, sondern springen nach ihrer Beute. Im Frühjahr und noch vielmehr im trockenen warmen Nachsommer sieht man oft gar viele weiße Fäden in der Luft herumfliegen. Alle Bäume hängen manchmal voll, und die Hüte der Wanderer auf der Straße werden davon überzogen. Man konnte lange nicht erraten, wo diese Fäden und Flocken herkommen, und machte sich allerlei wunderliche Vorstellungen davon. Jetzt weiß man gewiß, daß es lauter Gespinst ist von unzählig viel kleinen schwarzen Spinnen, welche deswegen die Spinnen des fliegenden Sommers genennt werden. Da sieht man wieder, wieviel auch durch kleine Kräfte kann ausgerichtet werden, wenn nur viele das nämliche tun. –
Aber eine gefürchtete Spinne lebt in dem untersten heißen Italien. Sie ist unter dem Namen
Tarantel
bekannt. Diese soll wohl die Menschen beißen und durch den giftigen Biß krank und schwermütig machen. Ein Mittel dagegen soll ein gewisser Tanz sein, die Tarantata genannt. Wenn die Kranken die Musik dazu hören, so fangen sie an zu tanzen, bis sie vor Müdigkeit umfallen, und sind alsdann genesen. Es ließe sich wohl begreifen, daß durch die heftige Bewegung das Gift aus dem Körper herausgetrieben werde. Allein es ist doch, wie man für gewiß weiß, viel Einbildung und Übertreibung dabei, und wohl auch Betrug.
Ein anderes merkwürdiges Tier dieser Art lebt in einer Gegend von Amerika und heißt
Buschspinne
. Diese nimmt nicht mit Stubenfliegen und Mücklein vorlieb. Nein, einer gewissen Art von Vögeln geht sie nach, greift sie an und zwingt sie, tötet sie und saugt ihnen das Blut und die Eier aus. Worüber soll man sich am meisten verwundern, über die große Spinne oder über die kleinen Vögel?
[1806]
Die Planeten
Bis jetzt haben wir in unsern Betrachtungen über das Weltgebäude unsern Wohnplatz, die Erde, die Sonne, und den Mond näher kennengelernt. Jetzt erheben wir unser Auge zu den leuchtenden Sternen, an denen sich so oft das Auge des nächtlichen Wanderers ergötzt. Wer etwa in einer großen Hauptstadt oder in der Nähe derselben gelebt hat, der kann wissen, was eine Illumination ist, und wie herrlich es aussieht, wenn zu Ehren eines großen Herrn in der ganzen Stadt viele tausend kleine Lampen zu gleicher Zeit angezündet werden und brennen. Das Auge kann sich nicht satt schauen, und überall erblickt es etwas anderes und Schöneres. Aber alle diese irdische Herrlichkeit ist in gar keine Vergleichung zu setzen mit der großen himmlischen Illumination, die in jeder wolkenlosen Nacht zur Ehre des großen Weltbeherrschers aus unermeßlicher Höhe herabflimmert.
Fürs erste müssen wir wissen, daß es zweierlei Arten der Sterne gibt. Denn so sehr sie alle, groß und klein, in der größten Unordnung untereinander zu stehen scheinen, so behalten doch die meisten derselben jahraus jahrein ihr nämliche Stellung gegeneinander, gehen jahraus und jahrein in der nämlichen Ordnung mit- und nacheinander auf und unter, keiner kommt dem andern näher, keiner entfernt sich von dem andern. Jeder von uns, der auch nur
ein
Gestirn kennt, den Heerwagen oder den Jakobsstab, der wird's wissen. Wie diese Sterne in seiner Jugend standen, so stehen sie noch, und wo er sie im Sommer oder Winter, nachts um 8 Uhr oder in der Mitternacht zu finden wußte, dort findet er sie in der nämlichen Jahrszeit wieder. Und diese Sterne heißen
Fixsterne
.
Nur mit sehr wenigen andern, welche man Irrsterne oder Planeten nennt, hat es auch eine andere Bewandtnis. Diese behalten nicht ihre gleichförmige Stellung gegen die andern. Wenn der Planet,
Jupiter
genannt, heute nacht zwischen zwei gewissen Sternen steht, so steht er von heute übers Jahr nicht mehr zwischen den nämlichen, sondern an einem andern Ort. Es ist, als ob diese Sterne für Kurzweil bei den andern herumspazierten, ihnen gute Nacht oder guten Morgen brächten, und sich um die Zeit und Stunde nicht viel bekümmerten. Aber sie haben ihre Ordnung so gut wie die übrigen, nur eine andere. Die mehresten von ihnen kennt jeder Leser aus den Kalendern, besonders aus dem hundertjährigen. Diese Planeten haben nun folgende Eigenschaften miteinander gemein:
1. Sie sind unter allen Sternen unsrer Erde am nächsten, viel näher als irgendein Fixstern.
2. Sie bewegen sich in großen Kreisen und in ungleich langen Zeiten um die Sonne, welches die andern nicht tun. Und aus diesem Grunde verändert sich unaufhörlich ihre Stellung am Himmel.
3. Es sind von Natur dunkle Weltkörper. Sie empfangen ihr Licht wie unsre Erde von der Sonne. Was wir in der Nacht an ihnen glänzen sehen, ist Sonnenschein, der wie aus einem Spiegel zu uns zurückstrahlt, so daß wir auch in der finstersten Sternennacht doch nicht ganz von diesem fröhlichen Lichte verlassen sind. Jeder Planet ist eine ungeheure große Kugel, die sich immer und ohne Ruhe herumdreht. Nur diejenige Hälfte, die alsdann gegen der Sonne steht, hat Licht, die andere ist finster. Sie haben daher auch ihresteils Tag und Nacht.
4. Ein Planet steht nicht immer in gleicher Entfernung und Richtung gegen die Sonne. Sie haben daher, wie unsre Erde, verschiedene Jahreszeiten, in ihrer Art, Sommer und Winter.
Falsch ist es also, wenn man glaubt, die Sonne sei selber ein Planet. Denn sonst müßte sie sich selber in einem großen Kreis um die Sonne bewegen, sie müßte Tag haben, wenn sie von sich selber beschienen wird, und Nacht, wenn sie nicht von sich selber beschienen wird. Sie müßte Sommer und Winter haben, wenn sie näher oder weiter von sich selber absteht, und das ist lauter Widerspruch. Hingegen haben die Weltweisen entdeckt, daß in dem unermeßlichen Weltraum, und unter den unzähligen Weltkugeln desselben, unsere Erde selber ein Planet sei, weil sie alle Eigenschaften der andern Planeten hat, und wer auf einem andern Planeten stünde, und aus einer Weite von Millionen Meilen nach der Erde schaute, dem würde sie ebenso als ein kleiner glänzender Stern erscheinen, wie uns der Abendstern erscheint. Denn es ist die Entfernung von den Sternen zu uns gerade so weit, als von uns zu den Sternen.
Mißlich muß es daher auch um die Behauptung stehen, daß unsere Erde abwechselnd von den Planeten regiert werde, oder daß Witterung, Fruchtbarkeit und andere Dinge von ihnen herrühren, ob man gleich die Erfahrung haben kann, daß je nach sieben Jahren manches wieder so kommt, wie es sieben Jahre früher war. Denn
1. sonst müßte ein Planet den andern regieren, weil ja unsere Erde selber ein Planet ist, und solche Unordnung wird in dem Reich der Weltkörper nicht statuiert;
2. so müßte unsere Erde auch die andern Planeten hinwiederum regieren, und das kann nicht sein, sonst müßten wir auch etwas davon wissen.
3. So sind nicht
sieben
Hauptplaneten, sondern es sind, wie man mit guten Fernröhren entdeckt hat, bis jetzt
eilf
, und folglich kann nicht alle sieben Jahre wieder der nämliche regieren. Wie sieht's
jetzt
aus?
Also ist auch der Mond kein Planet, wie schon aus der vorigen Betrachtung über ihn ersichtlich ist, sondern er ist der Mond und bleibt der Mond. Von den wahren Planeten aber sind einige schon lange bekannt, nämlich
Der
Merkurius
, aber diesen wird keiner von euch leicht gesehen haben. Denn er umläuft die Sonne in einem so kleinen Kreis, und steht immer so nahe bei ihr, daß er morgens nur kurz vor ihr aufgeht, und bald in dem anbrechenden Tag erblaßt, oder abends bald nach ihr untergeht, und also nicht überall zu sehen ist. Er ist ungefähr zweiundeinhalbmal näher bei der Sonne als wir, welches doch 8 Millionen Meilen beträgt. Ein Jahr währt auf diesem Planet nur 88 Tage, denn in so viel Zeit lauft er einmal um die Sonne herum, und vollendet seine Jahrszeit. Dafür ist er auch einer von den kleinen Planeten, und 16mal kleiner als die Erde.
Die
Venus
ist der zweite Planet, und diesen kennen wir alle unter einem andern Namen, als
Abendstern
oder
Morgenstern
. Denn wenn sie auf ihrem Lauf um die Sonne, welcher 224 Tage beträgt, gegen uns betrachtet vorne an der Sonne steht, so geht er auch früh ein paar Stunden lang vor ihr auf, und das ist alsdann der schöne
Morgenstern
.
Aber wenn er zu einer andern Zeit in seinem Umlauf so steht, daß er erst nach der Sonne aufgehen kann, so können wir wegen der Tageskelle und dem Sonnenglast ihn nicht mehr sehen. Unsichtbar folgt er den ganzen Tag der Sonne, wie ein Kind seiner Mutter nach, und erst wenn die Sonne untergegangen ist, wenn auf der Erde die Lichter bald angezündet werden und die Betglocken in die Dämmerung läuten, wird er am Abendhimmel sichtbar. Dieser Stern ist der einzige unter allen, der nicht nur aus der Ferne uns seinen Schimmer zeigt, sondern sogar einige Helle auf der Erde verursacht, und daher auch einen Schatten wirft. Dies rührt von der Nähe desselben her, die bisweilen nur 6 Millionen Meilen beträgt, da die Sonne selbst 21 Millionen weit entfernt ist.
Auch ist das Licht des Abendsterns nicht immer gleich. Oft strahlt er im schönsten Glanze, oft wieder blasser, und scheint sogar kleiner zu sein. Aber die Sternkundiger haben schon lange durch ihre Ferngläser die Ursache davon entdeckt. Die Venus hat nämlich, von der Erde aus betrachtet, ihr zu- und abnehmendes Licht wie der Mond, und dies ist sehr begreiflich. Denn da sie eine große Kugel ist, und also nur die eine Hälfte derselben von der Sonne erleuchtet sein kann, während es auf der andern Nacht und stockfinster ist, so kann es oft geschehen, daß sich nur die Hälfte, ja weniger, von ihrer erleuchteten Seite gegen die Erde kehrt.
Aber was noch viel Merkwürdigeres haben die Sternkundiger durch die Hülfe der stärksten Ferngläser in dem Abendstern entdeckt. Er ist nämlich so wenig als unsere Erde eine ganz glatte Kugel, und hat ebenso wie sie seine Berge und Täler, und ob er gleich etwas kleiner als sie ist, so hat er doch Berge, welche den höchsten Berg unsers Weltkörpers um das Vier- bis Fünffache an Höhe übertreffen, welches die Astronomen aus dem Schatten derselben mit Genauigkeit zu berechnen wissen.
O das muß ein wundersames Vergnügen sein, mit einem solchen Fernrohre in der finstern Erdennacht 6 Millionen Meilen weit in eine fremde erleuchtete Welt hineinzuschauen, wenn man bedenkt, wieviel Vergnügen es schon macht, wenn wir von einem erstiegenen Berg nur in ein Tal hinüberschauen können, welches unsere Augen noch nie gesehen haben. Noch heimlicher und lieblicher aber müßte der Blick in einen solchen Stern hinein sein, wenn wir auch sehen könnten, was auf seinen Bergen wächst, was für Tiere darauf weiden, was für Menschen die Tiere hüten, und was sie sonst tun und treiben in ihrer lichten, luftigen Höhe.
Das hat die menschliche Neugierde. So viel man weiß, gern wüßte man noch mehr.
Merkurius
und
Venus
sind die zwei einzigen bekannten Planeten, welche zwischen der Sonne und der Erde stehen. Weiter über die Erde hinaus kreisen um die Sonne noch die drei längst bekannten,
Mars, Jupiter
und
Saturn
, nebst fünf neuentdeckten,
Pallas, Ceres, Juno, Vesta
und
Uranus
genannt, welche in der Folge sollen beschrieben werden.
[1808]
[Fortsetzung
hier
]
Das wohlbezahlte Gespenst
In einem gewissen Dorfe, das ich wohl nennen könnte, geht ein üblicher Fußweg über den Kirchhof, und von da durch den Acker eines Mannes, der an der Kirche wohnt, und es ist ein Recht. Wenn nun die Ackerwege bei nasser Witterung schlüpfrig und ungangbar sind, ging man immer tiefer in den Acker hinein, und zertrat dem Eigentümer die Saat, so daß bei anhaltend feuchter Witterung der Weg immer breiter und der Acker immer schmäler wurde, und das war kein Recht. Zum Teil wußte nun der beschädigte Mann sich wohl zu helfen. Er gab bei Tag, wenn er sonst nichts zu tun hatte, fleißig acht, und wenn ein unverständiger Mensch diesen Weg kam, der lieber seine Schuhe als seines Nachbars Gerstensaat schonte, so lief er schnell hinzu und pfändete ihn, oder tat's mit ein paar Ohrfeigen kurz ab. Bei Nacht aber, wo man noch am ersten einen guten Weg braucht und sucht, war's nur desto schlimmer, und die Dornenäste und Rispen, mit welchen er den Wandernden verständlich machen wollte, wo der Weg sei, waren allemal in wenig Nächten niedergerissen oder ausgetreten, und mancher tat's vielleicht mit Fleiß. Aber da kam dem Mann etwas anderes zustatten. Es wurde auf einmal unsicher auf dem Kirchhofe, über welchen der Weg ging. Bei trockenem Wetter und etwas hellen Nächten sah man oft ein langes weißes Gespenst über die Gräber wandeln. Wenn es regnete oder sehr finster war, hörte man im Beinhaus bald ein ängstliches Stöhnen und Winseln, bald ein Klappern, als wenn alle Totenköpfe und Totengebeine darin lebendig werden wollten. Wer das hörte, sprang behend wieder zur nächsten Kirchhoftüre hinaus, und in kurzer Zeit sah man, sobald der Abend dämmerte und die letzte Schwalbe aus der Luft verschwunden war, gewiß keinen Menschen mehr auf dem Kirchhofwege, bis ein verständiger und herzhafter Mann aus einem benachbarten Dorfe sich an diesem Ort verspätete und den nächsten Weg nach Haus doch über diesen verschrieenen Platz und über den Gerstenacker nahm. Denn ob ihm gleich seine Freunde die Gefahr vorstellten und lange abwehrten, so sagte er doch am Ende: »Wenn es ein Geist ist, geh ich mit Gott als ein ehrlicher Mann den nächsten Weg zu meiner Frau und zu meinen Kindern heim, habe nichts Böses getan, und ein Geist, wenn's auch der schlimmste unter allen wäre, tut mir nichts. Ist's aber Fleisch und Bein, so habe ich zwei Fäuste bei mir, die sind auch schon dabeigewesen.« Er ging. Als er aber auf den Kirchhof kam, und kaum am zweiten Grab vorbei war, hörte er hinter sich ein klägliches Ächzen und Stöhnen, und als er zurückschaute, siehe, da erhob sich hinter ihm, wie aus einem Grabe herauf, eine lange weiße Gestalt. Der Mond schimmerte blaß über die Gräber. Totenstille war ringsumher, nur ein paar Fledermäuse flatterten vorüber. Da war dem guten Manne doch nicht wohl zumute, wie er nachher selber gestand, und wäre gerne wieder zurückgegangen, wenn er nicht noch einmal an dem Gespenst hätte vorbeigehen müssen. Was war nun zu tun? Langsam und stille ging er seines Weges zwischen den Gräbern und manchem schwarzen Totenkreuz vorbei. Langsam und immer ächzend folgte zu seinem Entsetzen das Gespenst ihm nach, bis an das Ende des Kirchhofs, und das war in der Ordnung, und bis vor den Kirchhof hinaus, und das war dumm.
Aber so geht es. Kein Betrüger ist so schlau, er verratet sich. Denn sobald der verfolgte Ehrenmann das Gespenst auf dem Acker erblickte, dachte er bei sich selber: Ein rechtes Gespenst muß wie eine Schildwache auf seinem Posten bleiben, und ein Geist, der auf den Kirchhof gehört, geht nicht aufs Ackerfeld. Daher bekam er auf einmal Mut, drehte sich schnell um, faßte die weiße Gestalt mit fester Hand, und merkte bald, daß er unter einem Leintuch einen Burschen am Brusttuch habe, der noch nicht auf dem Kirchhof daheim sei. Er fing daher an, mit der andern Faust auf ihn loszutrommeln, bis er seinen Mut an ihm gekühlt hatte, und da er vor dem Leintuch selber nicht sah, wo er hinschlug, so mußte das arme Gespenst die Schläge annehmen wie sie fielen.
Damit war nun die Sache abgetan, und man hat weiter nichts mehr davon erfahren, als daß der Eigentümer des Gerstenackers ein paar Wochen lang mit blauen und gelben Zieraten im Gesicht herumging, und von dieser Stunde an kein Gespenst mehr auf dem Kirchhof zu sehen war. Denn solche Leute, wie unser handfester Ehrenmann, das sind allein die rechten Geisterbanner, und es wäre zu wünschen, daß jeder andere Betrüger und Gaukelhans ebenso sein Recht und seinen Meister finden möchte.
[1808]
Der vorsichtige Träumer
In dem Städtlein Witlisbach im Kanton Bern war einmal ein Fremder über Nacht, und als er ins Bett gehen wollte, und bis auf das Hemd ausgekleidet war, zog er noch ein Paar Pantoffeln aus dem Bündel, legte sie an, band sie mit den Strumpfbändern an den Füßen fest, und legte sich also in das Bette. Da sagte zu ihm ein anderer Wandersmann, der in der nämlichen Kammer übernachtet war: »Guter Freund, warum tut Ihr das?« Darauf erwiderte der erste: »Wegen der Vorsicht. Denn ich bin einmal im Traum in eine Glasscherbe getreten. So habe ich im Schlaf solche Schmerzen davon empfunden, daß ich um keinen Preis mehr barfuß schlafen möchte.«
[1808]
Nützliche Lehren
13
Verständige, ja gelehrte Landwirte machen oft neue Versuche zur Verbesserung ihres Ackerbaus oder der Viehzucht. Mancher sieht etwas Neues in andern Ländern und bringt's heim. Manchen lehrt der Zufall einen Vorteil, der ihm hernach großen Gewinn bringt. Meint er's gut mit seinen Mitbürgern, so teilt er ihnen seine Entdeckungen mit, und ermuntert sie, seinem Beispiel zu folgen. Die meisten sagen alsdann:
»Wir wollen bei der Weise unserer Väter bleiben, und wie sie's getrieben haben, so treiben wir's auch.«
Das ist sehr verständig gesprochen, geneigter Leser! Nur muß man's nicht bei den Worten bewenden lassen, sondern auch seinen guten Vorsatz erfüllen. Denn der Ackerbau und jede Vorsicht und Beobachtung dabei ist gewiß nicht auf einmal so erfunden worden, wie er jetzt ist, sondern eben unsere Väter und Voreltern haben lange und vielerlei versucht, und guten Rat nicht verachtet. Manches ist mißlungen, manches ist wohlgeraten und besser worden, und so können wir auch noch in Zukunft weiterkommen, und unsern Ackerbau und Wohlstand verbessern, wenn wir nur Wort halten, und dem Beispiel unserer lernbegierigen und fleißigen Vorfahren folgen.
[In abweichender Fassung 1808]
"
Mißverstand
Im neunziger Krieg, als der Rhein auf jener Seite von französischen Schildwachen, auf dieser Seite von schwäbischen Kreissoldaten besetzt war, rief ein Franzos zum Zeitvertreib zu der deutschen Schildwache herüber: »Filu! Filu!« Das heißt auf gut deutsch: Spitzbube. Allein der ehrliche Soldat dachte an nichts so Arges, sondern meinte, der Franzose frage: Wieviel Uhr? und gab gutmütig zur Antwort:
»Halber vieri
.«
[1808]
Die Eidechsen
1
Daß viele Menschen sich vor den Schlangen fürchten, davonspringen oder sie des Lebens berauben, das ist noch wohl begreiflich, weil man sie für gefährlich hält, und im zweifelhaften Fall lieber eine ungiftige totschlägt, als von einer giftigen sich beißen läßt. Aber warum sind viele Leute sogar den Eidechsen feind, diesen unschuldigen Tieren, die niemand beleidigen, niemand schaden, vielmehr dem Landmann nützlich werden, indem sie von allerlei kleinen Insekten oder sogenanntem Ungeziefer sich nähren? Höchstens können sie euch ein wenig erschrecken, wenn ihr so in euren stillen Gedanken dahinwandelt, und auf einmal etwas im Laub rauscht. Aber wer ein gutes Gewissen hat, muß sich gewöhnen, nicht vor allem zu erschrecken. Wer ein böses Gewissen hat, dem ist freilich in diesem Punkt übel raten.
»Der Wind im Wald, das Laub am Baum
saust ihm Entsetzen zu.«
Nun, alle Leute sind so furchtsam freilich auch nicht, und im Frühjahr, wenn man wieder ins Feld und ins Grüne geht, und überall in der manchfaltigsten Gestalt das frohe Leben hervorwimmelt, und laut wird, bleibt auch wohl ein verständiger Mann einen Augenblick vor einer Eidechse stehen, betrachtet ihr grünes Gewand, wenn es schöner als Smaragd an der Sonne schimmert, bewundert ihre unnachahmliche Geschwindigkeit, und sieht mit Vergnügen ihren unschuldigen Spielen zu. Dann geht er mit guten Gedanken seines Weges weiter, riecht an seinem Frühlingsstrauß, und kann sich nicht genug erschauen an den blühenden Bäumen und farbigen Matten umher.
Gott sorgt auch für diese Tiere. Sie haben nicht genug Wärme in sich, um den Winter über dem Boden auszuhalten, auch würde es ihnen an Nahrung und Gebüsch zum verborgenen Aufenthalt fehlen. Sie verkriechen sich daher, und bringen den Winter im Schlaf zu. Ohne Kalender wissen sie ihren Monat. Aber wie im Frühjahr das Volk der kleinen Mücken lebendig wird, und alle Keime in Gras und alle Knospen in Laub aufgehen, ruft die tiefer dringende Frühlingssonne auch dieses Geschöpf aus seinem Schlaf und Winterquartier, und wenn es erwacht, ist schon für alles gesorgt, was zu seines Lebens Nahrung und Notdurft gehört. – Bekanntlich haben nicht alle diese Tiere einerlei Farbe; aber eine Art derselben muß um ihrer Nahrung willen sich am meisten aus dem dunkeln Gebüsch heraus ins Grüne wagen. Darum ist auch ihre Farbe grün. In dieser Farbe wird sie im Gras weder von den Tieren, welchen sie nachstellt, so leicht entdeckt, noch von dem Storch, der ihr selber aufs Leben geht.
2
Es gibt auch zweierlei Eidechsen im Wasser, nur nennt man sie anders, und diese sind zum Schwimmen abgerichtet. Selbst auf dem Grund der klaren Brunnenquellen findet man sie oft, und darf sich deswegen vor dem Wasser nicht scheuen. Auch diese sind nicht giftig und teilen dem Wasser keine Unreinigkeit mit. Vielmehr loben es viele Brunnenmeister als ein gutes Zeichen. Solch ein Tierlein in seiner verschlossenen Brunnenstube hat ein geheimliches Leben und Wesen, sieht nie die Sonne auf- oder untergehen, erfährt nichts davon, daß der Prinz von Brasilien nach Amerika ausgewandert ist, und daß die englischen Waren auf dem festen Land verboten sind, weiß nicht, ob's noch mehr solche Brunnenstuben in der Welt gibt, oder ob die seinige die einzige ist, und ist doch in seinem nassen Element des Lebens froh, und hat keine Klage und keine Langeweile.
An der großen schwarz- und gelbgefleckten warzigen und schmutzig-feuchten Eidechse, die man den Salamander oder gelben Molch nennt, hat niemand Freude. Noch weniger aber freut es
ihn
, wenn er einen Menschen erblickt. Denn selten kommt er unangefochten davon. Er hält sich nur an dunkeln, feuchten und kühlen auch modrigen Orten auf, und das beste ist, daß man ihn dort sitzen lasse. Wer aber Lust hat, darf ihn herzhaft in die Hände nehmen. Er tut euch gewiß nichts Leides.
3
Wer sich aber mit Recht vor den Eidechsen fürchten oder eine Heldentat durch die Erlegung derselben vollziehen will, der muß nach Afrika oder Asien oder Amerika gehen.
Das fürchterliche Krokodill ist nichts anders als eine 20 bis 50 Fuß lange Eidechse. Davor muß jedermann Respekt haben. Oben braun oder schwarzgefleckt, unten weißlichgelb. Durch die schuppige Rückenhaut geht kein Flintenschuß; am Bauch ist sie weich. In jedem Kiefer des großen Rachens stehen 50 scharfe Zähne. Der Schwanz beträgt mehr als die Hälfte von der ganzen Länge. Damit wirft es im Wasser kleine Schiffe um, und tötet einen Menschen mit
einem
Schlag. Es lebt im Wasser, z.B. im Nilfluß in Ägypten, und geht ans Land, frißt Fische und andere Tiere, Buben und Mägdlein, auch erwachsene Ägypter. Schnell wie ein Pfeil geht es in gerader Linie auf seinen Raub, kann sich aber nur langsam umdrehen. Mit einem glücklichen Seitensprung ist man außer Gefahr. Das Weibchen legt 100 häutige Eier, so groß wie die Gänseeier, und verscharrt sie in den Sand. Die Sonnenwärme brütet sie aus. Die meisten werden aber, ehe es dazu kommt, von einer ägyptischen Ratze gefressen. Auch von Menschen werden sie aufgesucht und zerstört oder gegessen. Wohl bekomm's!
Daß es nicht nur auf der Erde und im Wasser, sondern auch in der Luft Eidechsen gebe, nämlich solche, die da fliegen, wird mancher nicht gerne glauben. Aber wenn ihm ein Fabelhans von Drachen spricht, die auf hohen Felsen und in alten zerstörten Bergschlössern hausen, und feuerspeiend durch die Luft schießen, Brunnen vergiften, den Reiter und das Roß mit Sporn und Hufeisen Schluck und Druck verschlingen, das findet man schon glaublicher, weil einem der kalte Schauer vom Kopf bis zum Nagel des Zehens über die Haut lauft, wenn man's hört.
Bei allem dem muß so viel wahr bleiben, daß es in Asien und andern Weltteilen Eidechsen von ein- bis anderthalb Fuß Länge gibt, die auf Bäumen leben, wie bei uns der Laubfrosch, und durch Hülfe von häutigen Auswüchsen auf beiden Seiten große Sprünge in der Luft machen, und von einem Baum auf den andern schießen können. Einige haben dabei nur zwei, andere vier Füße, sind unschädlich, und leben wie andere Eidechsen von Insekten. Andere Basilisken und Drachen gibt es in Asien nicht, außer unter den Menschen, wenn einer den andern gern mit dem Blick vergiften oder durchbohren möchte, und giftige Verleumdungen und Scheltworte über ihn ausgießt, wie man denn dergleichen auch schon in Europa und am Rhein will viele gesehen haben.
[1808]
Unglück der Stadt Leiden
Diese Stadt heißt schon seit undenklichen Zeiten
Leiden
, und hat noch nie gewußt, warum, bis am 12. Jän. des Jahrs 1807. Sie liegt am Rhein in dem Königreich Holland, und hatte vor diesem Tag eilftausend Häuser, welche von 40000 Menschen bewohnt waren, und war nach Amsterdam wohl die größte Stadt im ganzen Königreich. Man stand an diesem Morgen noch auf, wie alle Tage; der eine betete sein: »
Das walt Gott
«, der andere ließ es sein, und niemand dachte daran, wie es am Abend aussehen wird, obgleich ein Schiff mit siebenzig Fässern voll Pulver in der Stadt war. Man aß zu Mittag, und ließ sich's schmecken, wie alle Tage, obgleich das Schiff noch immer da war. Aber als nachmittags der Zeiger auf dem großen Turm auf halb fünf stand – fleißige Leute saßen daheim und arbeiteten, fromme Mütter wiegten ihre Kleinen, Kaufleute gingen ihren Geschäften nach, Kinder waren beisammen in der Abendschule, müßige Leute hatten Langeweile und saßen im Wirtshaus beim Kartenspiel und Weinkrug, ein Bekümmerter sorgte für den andern Morgen, was er essen, was er trinken, womit er sich kleiden werde, und ein Dieb steckte vielleicht gerade einen falschen Schlüssel in eine fremde Türe, – und plötzlich geschah ein Knall. Das Schiff mit sei nen 70 Fässern Pulver bekam Feuer, sprang in die Luft, und in einem Augenblick, (ihr könnt's nicht so geschwind lesen, als es geschah) in einem Augenblick waren ganze lange Gassen voll Häuser mit allem was darin wohnte und lebte, zerschmettert und in einen Steinhaufen zusammengestürzt oder entsetzlich beschädigt. Viele hundert Menschen wurden lebendig und tot unter diesen Trümmern begraben oder schwer verwundet. Drei Schulhäuser gingen mit allen Kindern, die darin waren, zugrunde, Menschen und Tiere, welche in der Nähe des Unglücks auf der Straße waren, wurden von der Gewalt des Pulvers in die Luft geschleudert und kamen in einem kläglichen Zustand wieder auf die Erde. Zum Unglück brach auch noch eine Feuersbrunst aus, die bald an allen Orten wütete, und konnte fast nimmer gelöscht werden, weil viele Vorratshäuser voll Öl und Tran mit ergriffen wurden. Achthundert der schönsten Häuser stürzten ein oder mußten niedergerissen werden. Da sah man auch, wie es am Abend leicht anders werden kann, als es am frühen Morgen war, nicht nur mit einem schwachen Menschen, sondern auch mit einer großen und volkreichen Stadt. Der König von Holland setzte sogleich ein namhaftes Geschenk auf jeden Menschen, der noch lebendig gerettet werden konnte. Auch die Toten, die aus dem Schutt hervorgegraben wurden, wurden auf das Rathaus gebracht, damit sie von den Ihrigen zu einem ehrlichen Begräbnis konnten abgeholt werden. Viele Hülfe wurde geleistet. Obgleich Krieg zwischen England und Holland war, so kamen doch von London ganze Schiffe voll Hülfsmittel und große Geldsummen für die Unglücklichen, und das ist schön – denn der Krieg soll nie ins Herz der Menschen kommen. Es ist schlimm genug, wenn er außen vor allen Toren und vor allen Seehäfen donnert.
[1808]
Fliegende Fische
Im Meere gibt es Fische, welche auch aus dem Wasser gehen und in der Luft fliegen können. Mann sollte meinen, es sei erdichtet, weil bei uns so etwas nicht geschieht. Aber wenn ein Mensch auf einer Insel wohnte, wo er keinen andern Vogel, als Meisen, Distelfinken, Nachtigallen und andere dergleichen lustige Musikanten des Waldes könnte kennenlernen, so würde er es ebenso unglaublich finden, wenn er hörte, daß es irgendwo ein Land gebe, wo Vögel auf dem Wasser schwimmen und darin untertauchen; und doch können wir dieses auf unserm Gewässer alle Tage sehen, und wir müssen daher auch nicht glauben, daß alle Wunder der Natur nur in andern Ländern und Weltteilen seien. Sie sind überall. Aber diejenigen, die uns umgehen, achten wir nicht, weil wir sie von Kindheit an und täglich sehen.
Was nun die Fische und Vögel betrifft, so schwimmt eine Ente freilich nicht ebenso wie ein Fisch, und ein Fisch fliegt nicht wie ein Storch, sondern damit hat es folgende Bewandtnis. Die Floßfedern an der Brust dieser Tiere sind sehr lang und mit einer weiten Haut überzogen. Durch deren Hülfe kann sich der Fisch eine Zeitlang in der Luft erhalten. Aber
erstlich
das tut nicht länger gut, als diese Haut naß ist. Sobald sie trocknet, fällt der Fisch ins Wasser zurück.
Zweitens
, er geht nicht aus dem Wasser ohne Not, fliegt nicht spazieren für Kurzweil oder um seine Kunst zu zeigen, sondern wenn ihn ein Raubfisch verfolgt, und kann ihm nicht mehr anderst entrinnen, und darin ist er klüger als mancher Mensch, der schon Hals und Bein gebrochen hat. Denn der Fisch sagt: Man muß seiner Natur und seinem Stand getreu bleiben, solang man kann, kein Wagstück treiben, wenn's nicht sein muß, nicht oben zum Fenster hinausspringen, wenn die Türe offensteht.
Solche fliegende Fische gehen den Schiffahrenden, die viele Wochen lang nichts als Himmel und Wasser um sich haben, auf ihrer langweiligen Reise manche Kurzweil, besonders wenn der Raubfisch, welcher sie verfolgt, ebenfalls fliegen kann und ihnen nacheilt. Da sieht man eine seltsame Fischjagd in der Luft. Oft erhascht der Raubfisch seine Beute, und zieht sie wieder in das Wasser hinab. Oft entgeht sie durch Geschwindigkeit oder Glück. Manchmal ist noch ein ganz anderer Spaß zu sehen. Denn gewisse Vögel fliegen über dem Wasser her und hin, und stellen den Fischen nach, können ihnen aber nichts anhaben, solang diese daheim im Wasser bleiben, wohin sie gehören. Wenn aber ein solcher Luftkrieg zwischen ihnen angeht, so wird bald der Fliehende, bald der Feind, bald beide von dem Vogel, der das Fliegen besser versteht, erhascht, und kommen ihr Leben lang nimmer ins Wasser. Und dazu lachen die Schiffer.
Merke: Solcher Spaß, bei dem man aber oft lieber weinen als lachen möchte, ist manchmal auch mitten auf dem trockenen Lande zu sehen, wenn zwei Brüder oder Verwandte oder Bundesgenossen Prozeß und Streit miteinander führen, und kommt ein dritter dazu, und beraubt beide des Vorteils, den jeder von ihnen allein haben wollte und keiner dem andern gönnte. Merke: Wann die Fische im Meer Händel haben, ist's lauter Freude für die losen Vögel in der Luft.
[1808]
Schlechter Gewinn
Ein junger Kerl tat vor einem Juden gewaltig groß, was er für einen sichern Hieb in der Hand führe, und wie er eine Stecknadel der Länge nach spalten könne mit
einem
Zug. »Ja gewiß, Mauschel Abraham«, sagte er, »es soll einen Siebzehner gelten, ich haue dir in freier Luft das Schwarze vom Nagel weg auf ein Haar und ohne Blut.« Die Wette galt, denn der Jude hielt so etwas nicht für möglich, und das Geld wurde ausgesetzt auf den Tisch. Der junge Kerl zog sein Messer und hieb, und verlor's, denn er hieb dem armen Juden in der Ungeschicklichkeit das Schwarze vom Nagel und das Weiße vom Nagel und das vordere Gelenk mit
einem
Zug rein von dem Finger weg. Da tat der Jude einen lauten Schrei, nahm das Geld, und sagte:
»Au weih, ich hab's gewonnen
!«
An diesen Juden soll jeder denken, wenn er versucht wird, mehr auf einen Gewinn zu wagen, als derselbe wert ist.
Wie mancher Prozeßkrämer hat auch schon so sagen können! Ein General meldete einmal seinem Monarch den Sieg mit folgenden Worten: »Wenn ich noch einmal so siege, so komme ich
allein
heim.« Das heißt mit andern Worten auch: O weih, ich hab's gewonnen!
[1808]
Der wohlbezahlte Spaßvogel
Wie man in den Wald schreit, so schreit es wieder heraus. Ein Spaßvogel wollte in den neunziger Jahren einen Juden in Frankfurt zum besten haben. Er sprach also zu ihm: »Weißt du auch, Mauschel, daß in Zukunft die Juden in ganz Frankreich auf Eseln reiten müssen?« Dem hat der Jude also geantwortet: »Wenn das ist, artiger Herr, so wollen wir zwei auf dem deutschen Boden bleiben, wenn schon Ihr kein Jude seid.«
[1808]
Eine sonderbare Wirtszeche
Manchmal gelingt ein mutwilliger Einfall, manchmal kostet's den Rock, oft sogar die Haut dazu. Diesmal aber nur den Rock. Denn obgleich einmal drei lustige Studenten auf einer Reise keinen roten Heller mehr in der Tasche hatten, alles war verjubelt, so gingen sie doch noch einmal in ein Wirtshaus, und dachten, sie wollten sich schon wieder hinaushelfen, und doch nicht wie Schelmen davonschleichen, und es war ihnen gar recht, daß die junge und artige Wirtin ganz allein in der Stube war. Sie aßen und tranken gutes Mutes, und führten miteinander ein gar gelehrtes Gespräch, als wenn die Welt schon viele tausend Jahr alt wäre, und noch ebenso lang stehen würde, und daß in jedem Jahr, an jedem Tag und in jeder Stunde des Jahr alles wieder so komme und sei, wie es am nämlichen Tag und in der nämlichen Stunde vor sechstausend Jahren auch gewesen sei. »Ja«, sagte endlich einer zur Wirtin – die mit einer Strickerei seitwärts am Fenster saß und aufmerksam zuhörte, – »ja, Frau Wirtin, das müssen wir aus unsern gelehrten Büchern wissen.« Und einer war so keck, und behauptete, er könne sich wieder dunkel erinnern, daß sie vor sechstausend Jahren schon einmal dagewesen seien, und das hübsche freundliche Gesicht der Frau Wirtin sei ihm noch wohl bekannt. Das Gespräch wurde noch lange fortgesetzt, und je mehr die Wirtin alles zu glauben schien, desto besser ließen sich die jungen Schwenkfelder den Wein und Braten und manche Bretzel schmecken, bis eine Rechnung von 5fl. 16 kr. auf der Kreide stand. Als sie genug gegessen und getrunken hatten, rückten sie mit der List heraus, worauf es abgesehen war.
»Frau Wirtin«, sagte einer, »es steht diesmal um unsere Batzen nicht gut, denn es sind der Wirtshäuser zu viele an der Straße. Da wir aber an Euch eine verständige Frau gefunden haben, so hoffen wir als alte Freunde hier Kredit zu haben, und wenn's Euch recht ist, so wollen wir in 6000 Jahren, wenn wir wiederkommen, die alte Zeche samt der neuen bezahlen.« Die verständige Wirtin nahm das nicht übel auf, war's vollkommen zufrieden, und freute sich, daß die Herren so vorliebgenommen, stellte sich aber unvermerkt vor die Stubentüre, und bat, die Herren möchten nur so gut sein, und jetzt einstweilen die 5 fl. 16 kr. bezahlen, die sie vor 6000 Jahren schuldig geblieben seien, weil doch alles schon einmal so gewesen sei, wie es wiederkomme. Zum Unglück trat eben der Vorgesetzte des Ortes mit ein paar braven Männern in die Stube, um miteinander ein Glas Wein in Ehren zu trinken. Das war den gefangenen Vögeln gar nicht lieb. Denn jetzt wurde von Amts wegen das Urteil ge fällt und vollzogen: »Es sei aller Ehren wert, wenn man 6000 Jahre lang geborgt habe. Die Herren sollten also augenblicklich ihre alte Schuld bezahlen, oder ihre noch ziemlich neue Oberröcke in Versatz gehen.« Dies letzte mußte geschehen, und die Wirtin versprach, in 6000 Jahren, wenn sie wiederkommen, und besser als jetzt bei Batzen seien, ihnen alles, Stück für Stück, wieder zuzustellen.
Dies ist geschehen im Jahre 1805 am 17. April im Wirtshause zu Segringen.
[1808]
Seltsamer Spazierritt
Ein Mann reitet auf seinem Esel nach Haus, und läßt seinen Buben zu Fuß nebenher laufen. Kommt ein Wanderer, und sagt: »Das ist nicht recht, Vater, daß Ihr reitet, und laßt Euren Sohn laufen; Ihr habt stärkere Glieder.« Da stieg der Vater vom Esel herab, und ließ den Sohn reiten. Kommt wieder ein Wandersmann, und sagt: »Das ist nicht recht, Bursche, daß du reitest, und lässest deinen Vater zu Fuß gehen. Du hast jüngere Beine.« Da saßen beide auf, und ritten eine Strecke. Kommt ein dritter Wandersmann, und sagt: »Was ist das für ein Unverstand: Zwei Kerle auf
einem
schwachen Tiere; sollte man nicht einen Stock nehmen, und euch beide hinabjagen?« Da stiegen beide ab, und gingen selbdritt zu Fuß, rechts und links der Vater und Sohn, und in der Mitte der Esel. Kommt ein vierter Wandersmann, und sagt: »Ihr seid drei kuriose Gesellen. Ist's nicht genug, wenn zwei zu Fuß gehen? Geht's nicht leichter, wenn
einer
von euch reitet?« Da band der Vater dem Esel die vordern Beine zusammen, und der Sohn band ihm die hintern Beine zusammen, zogen einen starken Baumpfahl durch, der an der Straße stand, und trugen den Esel auf der Achsel heim.
So weit kann's kommen, wenn man es allen Leuten will recht machen.
[1808]
Drei Wünsche
Ein junges Ehepaar lebte recht vergnügt und glücklich, beisammen, und hatte den einzigen Fehler, der in jeder menschlichen Brust daheim ist: Wenn man's gut hat, hätt man's gerne besser. Aus diesem Fehler entstehen so viele törichte Wünsche, woran es unserm
Hans
und seiner
Lise
auch nicht fehlte. Bald wünschten sie des Schulzen Acker, bald des Löwenwirts Geld, bald des Meiers Haus und Hof und Vieh, bald einmal hunderttausend Millionen bayerische Taler kurzweg. Eines Abends aber, als sie friedlich am Ofen saßen und Nüsse aufklopften, und schon ein tiefes Loch in den Stein hineingeklopft hatten, kam durch die Kammertür ein weißes Weiblein herein, nicht mehr als einer Elle lang, aber wunderschön von Gestalt und Angesicht, und die ganze Stube war voll Rosenduft. Das Licht löschte aus, aber ein Schimmer wie Morgenrot, wenn die Sonne nicht mehr fern ist, strahlte von dem Weiblein aus, und überzog alle Wände. Über so etwas kann man nun doch ein wenig erschrecken, so schön es aussehen mag. Aber unser gutes Ehepaar erholte sich doch bald wieder, als das Fräulein mit wundersüßer silberreiner Stimme sprach: »Ich bin eure Freundin, die Bergfei,
Anna Fritze
, die im kristallenen Schloß mitten in den Bergen wohnt, mit unsichtbarer Hand Gold in den Rheinsand streut, und über siebenhundert dienstbare Geister gebietet. Drei Wünsche dürft ihr tun; drei Wünsche sollen erfüllt werden.« Hans drückte den Ellenbogen an den Arm seiner Frau, als ob er sagen wollte: Das lautet nicht übel. Die Frau aber war schon im Begriff, den Mund zu öffnen, und etwas von ein paar Dutzend goldgestickten Hauben, seidenen Halstüchern und dergleichen zur Sprache zu bringen, als die Bergfei sie mit aufgehobenem Zeigefinger warnte: »Acht Tage lang«, sagte sie, »habt Ihr Zeit. Bedenkt Euch wohl, und übereilt Euch nicht.« Das ist kein Fehler, dachte der Mann, und legte seiner Frau die Hand auf den Mund. Das Bergfräulein aber verschwand. Die Lampe brannte wie vorher, und statt des Rosendufts zog wieder wie eine Wolke am Himmel der Öldampf durch die Stube.
So glücklich nun unsere guten Leute in der Hoffnung schon zum voraus waren, und keinen Stern mehr am Himmel sahen, sondern lauter Baßgeigen; so waren sie jetzt doch recht übel dran, weil sie vor lauter Wunsch nicht wußten, was sie wünschen wollten, und nicht einmal das Herz hatten, recht daran zu denken oder davon zu sprechen, aus Furcht, es möchte für gewünscht passieren, ehe sie es genug überlegt hätten. Nun sagte die Frau: »Wir haben ja noch Zeit bis am Freitag.«
Des andern Abends, während die Kartoffeln zum Nachtessen in der Pfanne prasselten, standen beide, Mann und Frau, vergnügt an dem Feuer beisammen, sahen zu, wie die kleinen Feuerfünklein an der rußigen Pfanne hin und her züngelten, bald angingen, bald auslöschten, und waren, ohne ein Wort zu reden, vertieft in ihrem künftigen Glück. Als sie aber die gerösteten Kartoffeln aus der Pfanne auf das Plättlein anrichteten, und ihr der Geruch lieblich in die Nase stieg; – »Wenn wir jetzt nur ein gebratenes Würstlein dazu hätten«, sagte sie in aller Unschuld, und ohne an etwas anders zu denken, und – o weh, da war der erste Wunsch getan. – Schnell wie ein Blitz kommt und vergeht, kam es wieder wie Morgenrot und Rosenduft untereinander durch das Kamin herab, und auf den Kartoffeln lag die schönste Bratwurst. – Wie gewünscht so geschehen. – Wer sollte sich über einen solchen Wunsch und seine Erfüllung nicht ärgern? Welcher Mann über solche Unvorsichtigkeit seiner Frau nicht unwillig werden?
»Wenn dir doch nur die Wurst an der
Nase angewachsen wäre
«, sprach er in der ersten Überraschung, auch in aller Unschuld, und ohne an etwas anders zu denken – und wie gewünscht, so geschehen. Kaum war das letzte Wort gesprochen, so saß die Wurst auf der Nase des guten Weibes fest, wie angewachsen in Mutterleib, und hing zu beiden Seiten hinab wie ein Husarenschnauzbart.
Nun war die Not der armen Eheleute erst recht groß. Zwei Wünsche waren getan und vorüber, und noch waren sie um keinen Heller und um kein Weizenkorn, sondern nur um eine böse Bratwurst reicher. Noch war ein Wunsch zwar übrig. Aber was half nun aller Reichtum und alles Glück zu einer solchen Nasenzierat der Hausfrau? Wollten sie wohl oder übel, so mußten sie die Bergfei bitten, mit unsichtbarer Hand Barbiersdienste zu leisten, und Frau Lise wieder von der vermaledeiten Wurst zu befreien. Wie gebeten, so geschehen, und so war der dritte Wunsch auch vorüber, und die armen Eheleute sahen einander an, waren der nämliche Hans und die nämliche Lise nachher wie vorher, und die schöne Bergfei kam niemals wieder.
Merke
: Wenn dir einmal die Bergfei also kommen sollte, so sei nicht geizig, sondern wünsche
Numero eins
: Verstand, daß du wissen mögest, was du
Numero zwei
wünschen sollest, um glücklich zu werden. Und weil es leicht möglich, wäre, daß du alsdann etwas wähltest, was ein törichter Mensch nicht hoch anschlägt, so bitte noch
Numero drei
: um beständige Zufriedenheit und keine Reue.
Oder so:
Alle Gelegenheit, glücklich zu werden, hilft nichts, wer den Verstand nicht hat, sie zu benutzen.
[1808]
Eine merkwürdige Abbitte
Das ist merkwürdig, daß an einem schlechten Menschen der Name eines ehrlichen Mannes gar nicht haftet, und daß er durch solchen nur ärger geschimpft ist.
Zwei Männer saßen in einem benachbarten Dorf zu gleicher Zeit im Wirtshaus. Aber der eine von ihnen hatte bösen Leumund wegen allerlei, und sah ihn und den Iltis niemand gern auf seinem Hof. Aber beweisen vor dem Richter konnte man ihm nichts. Mit dem bekam der andere Zwist im Wirtshaus, und im Unwillen, und weil er ein Glas Wein zuviel im Kopf hatte, so sagte er zu ihm: »
Du schlechter Kerl
!« – Damit kann einer zufrieden sein, wenn er's ist, und braucht nicht mehr. Aber der war nicht zufrieden, wollte noch mehr haben, schimpfte auch, und verlangte Beweis. Da gab ein Wort das andere, und es hieß:
»Du Spitzbub! du Felddieb
!« – Damit war er noch nicht zufrieden, sondern ging vor den Richter. Da war nun freilich derjenige, welcher geschimpft hatte, übel dran. Leugnen wollt er nicht, beweisen konnt er nicht, weil er für das, was er wohl wußte, keine Zeugen hatte, sondern er mußte einen Gulden Strafe erlegen, weil er einen ehrlichen Mann Spitzbube geheißen habe, und ihm Abbitte tun, und dachte bei sich selber:
teurer Wein
! Als er aber die Strafe erlegt hatte, so sagte er:
»Also einen Gulden kostet es, Gestrenger Herr, wenn man einen ehrlichen Mann einen Spitzbuben nennt? Was kostet's denn, wenn man einmal in der Vergeßlichkeit oder sonst zu einem Spitzbuben sagt: Ehrlicher Mann
.« Der Richter lächelte, und sagte: »Das kostet nichts, und damit ist niemand geschimpft.« Hierauf wendete sich der Beklagte zu dem Kläger um, und sagte:
»Es tut mir leid, ehrlicher Mann! Nichts für ungut, ehrlicher Mann! Adies, ehrlicher Mann
!« Als der erboste Gegner das hörte, und wohl merkte, wie es gemeint war, wollte er noch einmal anfangen, und hielt sich jetzt für ärger beleidigt als vorher. Aber der Richter, der ihn doch auch als einen verdächtigen Menschen kennen mochte, sagte zu ihm: Er könnte jetzt zufrieden sein.
[1808]
Der große Sanhedrin zu Paris
Daß die Juden seit der Zerstörung Jerusalems, das heißt, seit mehr als 1700 Jahren, ohne Vaterland und ohne Bürgerrecht auf der ganzen Erde in der Zerstreuung leben, daß die meisten von ihnen, ohne selber etwas Nützliches zu arbeiten, sich von den arbeitenden Einwohnern eines Landes nähren, daß sie daher auch an vielen Orten als Fremdlinge verachtet, mißhandelt und verfolgt werden, ist Gott bekannt und leid. – Mancher sagt daher im Unverstand: »Man sollte sie alle aus dem Lande jagen.« Ein anderer sagt im Verstand: »Man sollte arbeitsame und nützliche Menschen aus ihnen machen, und sie alsdann behalten.«
Den Anfang dazu hat der große Kaiser Napoleon gemacht. Merkwürdig für die Gegenwart und für die Zukunft ist dasjenige, was er wegen der Judenschaft in Frankreich und dem Königreich Italien verordnet und veranstaltet hat.
Schon in der Revolution bekamen alle Juden, die in Frankreich wohnen, das französische Bürgerrecht, und man sagte frischweg: Bürger Aron, Bürger Levi, Bürger Rabbi, und gab sich brüderlich die Hand. Aber was will da herauskommen? Der christliche Bürger hat ein anderes Gesetz und Recht, so hat der jüdische Bürger auch ein anderes Gesetz und Recht, und will nicht haben Gemeinschaft mit den Gojim. Aber zweierlei Gesetz und Willen in
einer
Bürgerschaft tut gut, wie ein brausender Strudel in einem Strom. Da will Wasser auf, da will Wasser ab, und eine Mühle, die darin steht, wird nicht viel Mehl mahlen.
Das sah der große Kaiser Napoleon wohl ein, und im Jahr 1806, ehe er antrat die große Reise nach Jena, Berlin, und Warschau, und Eylau, ließ er schreiben an die ganze Judenschaft in Frankreich, daß sie ihm sollte schicken aus ihrer Mitte verständige und gelehrte Männer aus allen Departementern des Kaisertums. Da war nun jedermann in großem Wunder, was das werden sollte, und der eine sagte das, der andere jenes, z.B. der Kaiser wolle die Juden wieder bringen in ihre alte Heimat am großen Berg Libanon, an dem Bach Ägypti und am Meer.
Als aber die Abgeordneten und Rabbiner aus allen Departementern, worin Juden wohnen, beisammen waren, ließ bald der Kaiser ihnen gewisse Fragen vorlegen, die sie sollten bewegen in ihrem Herzen, und beantworten nach dem Gesetz, und war daraus zu sehen, es sei die Rede nicht vom Fortschicken, sondern vom Dableiben, und von einer festen Verbindung der Juden mit den andern Bürgern in Frankreich und in dem Königreich Italien. Denn alle diese Fragen gingen darauf hinaus, ob ein Jude das Land, worin er lebt, nach seinem Glauben könne ansehen und lieben als sein Vaterland, und die andern Bürger desselben als seine Mitbürger, und die bürgerlichen Gesetze desselben halten.
Das war nun fast spitzig, und wie es anfänglich schien, war nicht gut sagen:
Ja
, und war nicht gut sagen:
Nein
.
Allein die Abgeordneten sagen, daß der Geist der göttlichen Weisheit erleuchtet habe ihre Gemüter, und sie erteilten eine Antwort, die war wohlgefällig in den Augen des Kaisers.
Darum formierte die jüdische Versammlung aus sich, zum unerhörten Wunder unsrer Zeit, den großen
Sanhedrin
. Denn der große
Sanhedrin
ist nicht ein großer Jude zu Paris, wie der Riese Goliath, so aber ein Philister war, sondern
Sanhedrin
, das wird verdolmetscht
eine Versammlung
, und wurde vor alten, alten Zeiten also genannt der Hohe Rat zu Jerusalem, so bestand aus 71 Ratsherren, die wurden für die verständigsten und weisesten Männer gehalten im ganzen Volk, und wie diese das Gesetz erklärten, so war es recht, und mußte gelten in ganz Israel.
Einen solchen Rat setzten die Abgeordneten der Judenschaft wieder ein, und sagten: es sei seit 1500 Jahren kein großer Sanhedrin gewesen, als dieser unter dem Schutz des erhabenen Kaisers Napoleon.
Dies ist der Inhalt der Gesetze, die der große Sanhedrin aussprach zu Paris im Jahr 5567 nach Erschaffung der Welt im Monat
Adar
desselbigen Jahres am 22. Tag des Monats:
1. Die jüdische Ehe soll bestehen aus
einem
Manne und
einer
Frau. Kein Israelite darf zu gleicher Zeit mehr haben, als
eine
Frau.
2. Kein Rabbiner darf die Scheidung einer Ehe aussprechen, es sei dann, die weltliche Obrigkeit habe zuvor gesprochen, die Ehe sei nach dem bürgerlichen Gesetz aufgelöst.
3. Kein Rabbiner darf die Bestätigung einer Ehe aussprechen, es sei dann, daß die Verlobten von der weltlichen Obrigkeit einen Trauschein haben.
Aber ein Jude darf eine Christentochter heuraten, und ein Christ eine jüdische Tochter. Solches hat nichts zu sagen.
4. Denn der große Sanhedrin erkennt, die Christen und die Juden seien Brüder, weil sie
einen
Gott anbeten, der die Erde und den Himmel erschaffen hat, und befiehlt daher, der Israelite soll mit dem Franzosen und Italiener und mit den Untertanen jedes Landes, in welchem sie wohnen, so leben, als mit Brüdern und Mitbürgern, wenn sie denselben einigen Gott anerkennen und verehren.
5. Der Israelite soll die Gerechtigkeit und die Liebe des Nächsten, wie sie befohlen ist im Gesetz Moses, ausüben, ebenso gegen die Christen, weil sie seine Brüder sind, als gegen seine eigene Glaubensgenossen, in und außer Frankreich und dem Königreich Italien.
6. Der große Sanhedrin erkennt, das Land, worin ein Israelite geboren und erzogen ist, oder wo er sich niedergelassen hat, und den Schutz der Gesetze genießt, sei sein Vaterland, und befiehlt daher allen Israeliten in Frankreich und in dem Königreich Italien, solches Land als ihr Vaterland anzusehen, ihm zu dienen, es zu verteidigen etc.
Der jüdische Soldat ist in solchem Stand von den Zeremonien frei, die damit nicht vereinbar sind.
7. Der große Sanhedrin befiehlt allen Israeliten, der Jugend Liebe zur Arbeit einzuflößen, sie zu nützlichen Künsten und Handwerkern anzuhalten, und ermahnt sie, liegende Gründe anzukaufen, und allen Beschäftigungen zu entsagen, wodurch sie in den Augen ihrer Mitbürger könnten verhaßt oder verächtlich werden.
8. Kein Israelite darf von dem Geld, welches ein israelitischer Hausvater in der Not von ihm geliehen hat, Zins nehmen. Es ist ein Werk der Liebe; aber ein Kapital, das auf Gewinn in den Handel gesteckt wird, ist verzinsbar.
9. Das nämliche gilt auch gegen die Mitbürger anderer Religionen. Aller Wucher ist gänzlich verboten, in und außer Frankreich und dem Königreich Italien, nicht nur gegen Glaubensgenossen und Mitbürger, sondern auch gegen Fremde.
Diese neun Artikel sind publiziert worden den 2. März 1807, und unterschrieben von dem Vorsteher des großen Sanhedrin, Rabbi D. Sinzheim von Straßburg und andern hohen Ratsherren.
[1808]
Der schlaue Pilgrim
Vor einigen Jahren zog ein Müßiggänger durch das Land, der sich für einen frommen Pilgrim ausgab, gab vor, er komme von Paderborn, und laufe geraden Wegs zum Heil. Grab nach Jerusalem, fragte schon in Müllheim an der Post: »Wie weit ist es noch nach Jerusalem?« Und wenn man ihm sagte: »Siebenhundert Stunden; aber auf dem Fußweg über Mauchen ist es eine Viertelstunde näher«, so ging er, um auf dem langen Weg eine Viertelstunde zu ersparen, über Mauchen. Das wäre nun so übel nicht. Man muß einen kleinen Vorteil nicht verachten, sonst kommt man zu keinem großen. Man hat öfter Gelegenheit, einen Batzen zu ersparen oder zu gewinnen, als einen Gulden. Aber 15 Batzen sind auch ein Gulden, und wer auf einem Wege von 700 Stunden nur allemal an 5 Stunden weiß eine Viertelstunde abzukürzen, der hat an der ganzen Reise gewonnen – wer rechnet aus,
wieviel
. Allein unser verkleideter Pilgrim dachte nicht ebenso, sondern weil er nur dem Müßiggang und guten Essen nachzog, so war es ihm einerlei, wo er war. Ein Bettler kann nach dem alten Sprichwort nie verirren, muß in ein schlechtes Dorf kommen, wenn er nicht mehr darin bekommt, als er unterwegs an den Sohlen zerreißt, zumal wenn er barfuß geht. Unser Pilgrim aber dachte doch immer darauf, so bald als möglich wieder an die Landstraße zu kommen, wo reiche Häuser stehen, und gut gekocht wird. Denn der Halunke war nicht zufrieden, wie ein rechter Pilgrim sein soll, mit gemeiner Nahrung, die ihm von einer mitleidigen und frommen Hand gereicht wurde, sondern wollte nichts fressen als nahrhafte Kieselsteinsuppen. Wenn er nämlich irgendwo so ein braves Wirtshaus an der Straße stehen sah, wie zum Exempel das Posthaus in Krotzingen, oder den Baselstab in Schliengen, so ging er hinein und bat ganz demütig und hungrig um ein gutes Wassersüpplein von Kieselsteinen, um Gottes willen, Geld habe er keines. – Wenn nun die mitleidige Wirtin zu ihm sagte: »Frommer Pilgram, die Kieselsteine könnten Euch hart im Magen liegen!« so sagte er: »Eben deswegen! Die Kieselsteine halten länger an, als Brot, und der Weg nach Jerusalem ist weit. Wenn Ihr mir aber ein Gläslein Wein dazu bescheren wollt, um Gottes willen, so könnt ich's freilich besser verdauen.« Wenn aber die Wirtin sagte: »Aber, frommer Pilgram, eine solche Suppe kann Euch doch unmöglich Kraft geben!« So antwortete er: »Ei, wenn Ihr anstatt des Wassers wolltet Fleischbrühe dazu nehmen, so wär's freilich nahrhafter.« Brachte nun die Wirtin eine solche Suppe, und sagte: »Die Tünklein sind doch nicht so gar weich geworden«, so sagte er: »Ja, und die Brühe sieht gar dünn aus. Hätte Ihr nicht ein paar Gabeln voll Gemüs darein, oder ein Stücklein Fleisch, oder beides?« Wenn ihm nun die mitleidige Wirtin auch noch Gemüs und Fleisch in die Schüssel legte, so sagte er: »Vergelt's Euch Gott! Gebt mir jetzt Brot, so will ich die Suppe essen.« Hierauf streifte er die Ärmel seines Pilgergewandes zurück, setzte sich, und griff an das Werk mit Freuden, und wenn er Brot und Wein und Fleisch und Gemüs und die Fleischbrühe aufgezehrt hatte bis auf den letzten Brosamen, Faser und Tropfen, so wischte er den Mund am Tischtuch oder an dem Ärmel ab, oder auch gar nicht, und sagte: »Frau Wirtin, Eure Suppe hat mich rechtschaffen gesättigt, so daß ich die schönen Kieselsteine nicht einmal mehr zwingen kann. Es ist schade dafür! Aber hebt sie auf. Wenn ich wiederkomme, so will ich Euch eine heilige Muschel mitbringen ab dem Meeresstrand von Askalon, oder eine Rose von Jericho.«
[1808]
Untreue schlägt den eigenen Herrn
Als in dem Krieg zwischen Frankreich und Preußen ein Teil der französischen Armee nach Schlesien einrückte, waren auch Truppen vom rheinischen Bundesheer dabei, und ein bayerischer oder württembergischer Offizier wurde zu einem Edelmann einquartiert, und bekam eine Stube zur Wohnung, wo viele sehr schöne und kostbare Gemälde hingen. Der Offizier schien recht große Freude daran zu haben, und als er etliche Tage bei diesem Mann gewesen und freundlich behandelt worden war, verlangte er einmal von seinem Hauswirt, daß er ihm eins von diesen Gemälden zum Andenken schenken möchte. Der Hauswirt sagte, daß er das mit Vergnügen tun wollte, und stellte seinem Gaste frei, dasjenige selber zu wählen, welches ihm die größte Freude machen könnte.
Nun, wenn man die Wahl hat, sich selber ein Geschenk von jemand auszusuchen, so erfordern Verstand und Artigkeit, daß man nicht gerade das Vornehmste und Kostbarste wegnehme, und so ist es auch nicht gemeint. Daran schien dieser Mann auch zu denken, denn er wählte unter allen Gemälden fast das schlechteste. Aber das war unserm schlesischen Edelmann nichts desto lieber, und er hätte ihm gern das kostbarste dafür gelassen. »Mein Herr Obrist«, so sprach er mit sichtbarer Unruhe, »warum wollen Sie gerade das geringste wählen, das mir noch dazu wegen einer andern Ursache wert ist? Nehmen Sie doch lieber dieses hier oder jenes dort.« Der Offizier gab aber darauf kein Gehör, schien auch nicht zu merken, daß sein Hauswirt immer mehr und mehr in Angst geriet, sondern nahm geradezu das gewählte Gemälde herunter. Jetzt erschien an der Mauer, wo dasselbe gewesen war, ein großer feuchter Fleck. »Was soll das sein?« sprach der Offizier, wie erzürnt, zu seinem todblassen Wirt, tat einen Stoß, und auf einmal fielen ein paar frisch gemauerte und übertünchte Backsteine zusammen, hinter welchen alles Geld und Gold und Silber des Edelmanns eingemauert war. Der gute Mann hielt nun sein Eigentum für verloren, wenigstens erwartete er, daß der feindliche Kriegsmann eine namhafte Teilung ohne Inventarium und ohne Kommissarius vornehmen werde, ergab sich gedultig darein, und verlangte nur von ihm zu erfahren, woher er habe wissen können, daß hinter diesem Gemälde sein Geld in der Mauer verborgen war. Der Offizier erwiderte: »Ich werde den Entdecker sogleich holen lassen, dem ich ohnehin eine Belohnung schuldig bin«; und in kurzer Zeit brachte sein Bedienter – sollte man's glauben – den Maurermeister selber, den nämlichen, der die Vertiefung in der Mauer zugemauert und die Bezahlung dafür erhalten hatte.
Das ist nun einer von den größten Spitzbubenstreichen, die der Satan auf ein Sündenregister setzen kann. Denn ein Handwerksmann ist seinen Kunden die größte Treue, und in Geheimnissen, wenn es nichts Unrechtes ist, so viel Verschwiegenheit schuldig, als wenn er einen Eid darauf hätte.
Aber was tut man nicht um des Geldes willen! Oft gerade das nämliche, was man um der Schläge, oder um des Zuchthauses willen tut, oder für den Galgen, obgleich ein großer Unterschied dazwischen ist. So etwas erfuhr unser Meister Spitzbub. Denn der brave Offizier ließ ihn jetzt hinaus vor die Stube führen, und ihm von frischer Hand 100, sage
hundert
Prügel bar ausbezahlen, lauter gute Valuta, und war kein einziger falsch darunter. Dem Edelmann aber gab er unbetastet sein Eigentum zurück. – Das wollen wir beides gutheißen, und wünschen, daß jedem, der Einquartierung haben muß, ein so rechtschaffener Gast, und jedem Verräter eine solche Belohnung zuteil werden möge.
[1808]
"
Jakob Humbel
Jakob Humbel, eines armen Bauers Sohn von Boneschwyl im Schweizerkanton Aargau, kann jedem seinesgleichen zu einem lehrreichen und aufmunternden Beispiel dienen, wie ein junger Mensch, dem es Ernst ist, etwas Nützliches zu lernen und etwas Rechtes zu werden, trotz allen Hindernissen, am Ende seinen Zweck durch eigenen Fleiß und Gottes Hülfe erreichen kann.
Jakob Humbel wünschte von früher Jugend an ein Tierarzt zu werden, um in diesem Beruf seinen Mitbürgern viel Nutzen leisten zu können. Das war sein Dichten und Trachten Tag und Nacht.
Sein Vater gab ihn daher in seinem 16. Jahr einem sogenannten Viehdoktor von Mummental in die Lehre, der aber kein geschickter Mann war.
Bei diesem lernte er zwei Jahre, bekam alsdann einen braven Lehrbrief, und wußte alles was sein Meister wußte, nämlich Tränklein und Salben kochen, auch Pflaster kneten für den bösen Wind, sonst nichts – und das war nicht viel.
Ich weiß einen, der wäre damit zufrieden gewesen, hätte nun auf seinen Lehrbrief und seines Meisters Wort Salben gekocht, zu Pflaster gestrichen drauf und dran für den bösen Wind, das Geld dafür genommen und selber gemeint, er sei's Jakob Humbel nicht also. Er ging zu einem andern Viehdoktor in Oberoltern im Emmental noch einmal in die Lehre, hielt abermal ein Jahr bei ihm aus, bekam abermal einen braven Lehrbrief, und wußte abermal – nichts, weil auch dieser Meister die wichtige Kunst selber nicht verstand, keine Kenntnis hatte von der innern Beschaffenheit eines Tieres im gesunden und kranken Zustand, und von der Natur der Arzneimittel.
Ich weiß einen, der hätt's jetzt bleiben lassen, wär eben wieder heimgekommen wie er fortgegangen und hätt sich mit andern getröstet, aus denen auch nichts hat werden wollen.
Fast sah es mit unserm armen Jakob Humbel ebenso aus. Mit Windsalben war wenig Geld, noch weniger Kredit und Ehre zu verdienen. Was er verdiente, zog der Vater. Humbel wurde gemeiner Taglöhner, ging in armseliger Kleidung umher, ohne Geld, ohne Rat, und dennoch hatte er noch immer den Tierarzt – nicht im Kopf, denn das wäre schon recht gewesen, sondern im sehnsuchtsvollen Verlangen. Jetzt verdingte er sich als Hausbedienter bei Herrn Ringier im Klösterli zu Zofingen. Bei diesem Herrn war er drei Jahre, bekam einen guten Lohn, und wurde gütig behandelt, wie ein Kind.
Ich weiß einen, der hätte die Güte eines solchen Herrn mißbraucht, wäre meisterlos worden, den Lohn hätten bekommen der Wirt und der Spielmann.
Aber Jakob Humbel wußte mit seinem Verdienst etwas Besseres anzufangen. Oft wann er bei dem Essen aufwartete, hörte er die Herren am Tisch Französisch reden. Da kam er auf den Gedanken, diese Sprache auch zu lernen. Vermutlich hoffte er dadurch auf irgendeine Art leichter zu seinem Zweck zu kommen, noch ein geschickter und braver Tierarzt zu werden. Er ging mit seinem zusammengesparten Verdienst nach Nyon in die Schulanstalt des Herrn Snell, und lernte so viel, als in 9 Monaten zu lernen war. Jetzt war sein Vorrat verzehrt, und ehe er seine Studien fortsetzten konnte, mußte er darauf denken, wie er wieder Geld verdiente.
Gott wird mich nicht verlassen, dachte er. Er ging zu Herrn Landvogt Bucher in Wildenstein als Kammerdiener in Dienste, erwarb sich bei diesem und nachher bei einem andern Herrn wieder etwas Geld, und befand sich im Jahr 1798, als die Franzosen in die Schweiz kamen, in seinem Geburtsort zu Boneschwyl, und trieb mit seinem erworbenen Geld einen kleinen Kornhandel nach Zürich, der recht gut vonstatten ging, und seine Barschaft nach Wunsch vermehrte. Jetzt war er im Begriff, ins Ausland zu gehen, und von dem ehrlich erworbenen Geld endlich seine Kunst rechtschaffen zu studieren. Da wurde ein Korps von 18000 Mann helvetischer Hülfstruppen errichtet. Die Gemeinde Boneschwyl mußte 8 Mann stellen. Die jungen Bursche müssen spielen, den guten Jakob Humbel trifft das Los, Soldat zu werden.
Ich weiß einen, der hätte gedacht: die Welt ist groß, und der Weg ist offen; wäre mit seiner kleinen Barschaft ins Weite gangen, und hätte seine Mitbürger dafür sorgen lassen, wo sie statt seiner den 8. Mann nehmen wollten.
Aber Jakob Humbel liebt sein Vaterland, und ist ein ehrliches Blut. Er stellte einen Mann, den er zwei Jahre lang auf seine Kosten unterhalten mußte. Das Beste von seinem erworbenen Vermögen, wovon er noch etwas lernen wollte, ging zu seinem unsäglichen Schmerzen drauf, und er dachte: Jetzt habe ich hohe Zeit, sonst ist's Mathä am letzten. Mit diesem Gedanken nahm er den Rest seiner Habschaft in die Tasche, einen Stock in die Hand, und lief eines Gangs, ohne sich umzusehen, nach Karlsruhe, und als er auf der Mühlburger Straße zwischen den langen Reihen der Pappelbäume die Stadt erblickte, da dachte er, Gottlob! und Gott wird mir helfen.
Guter Jakob Humbel, Gott hilft jedem, der sich wie du von Gott will helfen lassen, und du hast es erfahren.
In Karlsruhe ist eine öffentliche Anstalt zum Unterricht in der Tierarzneikunst. Die Lehrstunden werden unentgeldlich erteilt. Die sehr geschickten Lehrer geben sich Mühe, ihre Lehrjünger gründlich zu unterrichten. Schon mancher brave Tierarzt hat in dieser nützlichen Schule sich zu seinem Beruf vorbereitet und gebildet.
Hier war nun Humbel in seinem rechten Element, an der reichen Quelle, wo er seinen lang gehaltenen Durst nach Wissenschaft befriedigen konnte, lernte ein krankes Tier mit andern Augen anschauen als in Mummental und Emmental, konnte andere Sachen lernen als Wind machen und bösen Wind vertreiben, und war nicht viel im Bierhaus zur Stadt Berlin, oder im Wirtshaus zur Stadt Straßburg, oder in Klein-Karlsruhe im Wilhelm Tell zu sehen, ob er gleich sein Landsmann war, auch nicht einmal recht am Sonntag auf dem Paradeplatz, oder zu Mühlburg im Rappen, sondern vom frühen Morgen bis in die späte Nacht beschäftigte er sich zwanzig Monate lang unermüdet und unverdrossen mit seiner Kunst, und wenn er wieder etwas Neues, Schönes und Nützliches gelernt hatte, so machte ihn das am Abend vergnügter, als der Zapfenstreich mit der schönsten türkischen Musik: zumal wenn ihm bei derselben sein Kostgänger einfiel bei den helvetischen Hülfstruppen.
Endlich kehrte er als ein ausgelernter Tierarzt, mit den schönsten Zeugnissen seiner Lehrer aus Karlsruhe, freudig in sein Vaterland zurück, wurde von dem Sanitätsrat in dem Kanton Aargau geprüft, legte zu jedermanns Erstaunen und Freude die weitläuftigsten und gründlichsten Kenntnisse an den Tag, erhielt mit wohlverdienten Lobsprüchen und Ehren das Patent auf seine Kunst – und sah sich nun nach allen ausgestandenen Schwierigkeiten und Mühseligkeiten am schönen Ziel seiner lebenslänglichen Wünsche, einer der geschicktesten und angesehensten Tierärzte, in dem ganzen Schweizerlande.
Jetzt weiß ich vier, die denken: Wenn solcher Mut und Ernst dazu gehört, etwas Braves zu lernen, so ist's kein Wunder, daß aus mir nichts hat werden wollen.
Guter Freund, nimm Gott zu Hülfe, und versuche es noch!
[1808]
Franz Ignaz Narocki
Man erfährt doch durch den Krieg allerlei, unter vielem Schlimmen auch manchmal etwas Gutes, und es heißt da wohl: Die Berge kommen nicht zusammen, aber die Leute. So wird wohl zum Beispiel ein Polak, namens Franz Ignaz Narocki, im Jahr 1707 auch nicht daran gedacht haben, daß nach 100 Jahren der französische Kaiser Napoleon noch zu ihm nach Polen kommen, und ihm ein sorgenfreies Alter verschaffen werde; und doch ist's geschehen in den ersten Wochen des Jahrs 1807. Er ist geboren im Jahr 1690, und lebt noch, und ich will glauben, daß er in seiner Jugend sich nicht oft betrunken und nicht ausschweifend gelebt habe, denn er hatte in seinem hundertundsiebenzehnten Lebensjahr noch kein Gebrechen, ob er gleich in seiner Jugend Kriegsdienste tat, als Gefangener von den Russen nach Asien geführt wurde, und nachher auch nicht lauter gute Tage hatte. Diesem Mann hat es seit 1690 manchmal auf den Hut geschneit, und er kann wohl von manchem Grabe sagen, wer darin liegt. In seinem 70. Jahr, wenn andere bald ans Sterben denken, hat er zum erstenmal geheiratet, und vier Kinder erzeugt. Im 86. Jahr nahm er die zweite Frau und zeugte mit ihr sechs Kinder. Aber von allen ist nur noch ein Sohn aus der ersten Ehe am Leben. Der König von Preußen ließ diesem polnischen Methusalem bisher alle Monate ein Gehalt von 24 polnischen Gulden bezahlen. Das ist doch auch schön. Ein polnischer Gulden aber beträgt nach deutschem Geld ungefähr 15 kr. Als nun Kaiser Napoleon in seinem siegreichen Feldzug in die Gegend seiner Heimat kam, wünschte ihn der alte Mann auch noch zu sehen. Es geschah, und er überreichte ihm ein sehr artiges Schreiben, welches er noch selber mit eigener Hand recht leserlich geschrieben hatte. Der Kaiser nahm es mit Wohlgefallen auf, und machte ihm ein schönes Geschenk von hundert Napoleonsd'or. Ein Napoleonsd'or ist eine Goldmünze von 9 fl. 18 kr. unsers Geldes.
[1808]
Der Wegweiser
Bekanntlich klagte einst ein alter Schulz von Wasselnheim seiner Frau, daß ihn sein
Französisch
fast unter den Boden bringe. Er sollte nämlich einem französischen Soldaten, der ausgerissen war, den Weg zeigen, verstand ihn nicht recht, antwortete ihm verkehrt, und bekam für die beste Meinung Schläge genug zum Dank, oder vielmehr zum Undank. Anderst sah ein Wegweiser an der wüttembergischen Grenze die Sache an. Er sollte nämlich im letzten Krieg einem Zug Franzosen den Weg über das Gebirg zeigen, wußte aber kein Wort von ihrer Sprache, als Oui, welches soviel heißt als Ja, und Bougre, welches ein Schimpfname ist. Diese zwei Worte hatte er oft gehört, und lernte sie nachsagen, ohne ihren Sinn zu verstehen. Anfänglich ging alles gut, solange die Franzosen nur unter sich sprachen, und ihn mit seiner Laterne und drei oder vier Tornistern, die sie ihm angehängt hatten, voraus oder nebenher gehen ließen. Da er aber der Spur nach allemal mitlachte, wenn sie etwas zu lachen hatten, so fragte ihn einer französisch, ob er auch verstünde was sie miteinander redeten. Er hätte herzhaft sagen dürfen: »Nein!« aber eben, weil er es nicht verstand, so kam es ihm nicht darauf an, was er antwortete. Er nahm daher all sein Französisch zusammen, und antwortete: »Oui Bougre«, (Ja Ketzer!) Mit einem ehlenlangen französischen Fluch riß der Soldat den Säbel aus der Scheide, und ließ ihm denselben um den Kopf herum und nahe an den Ohren vorbeisausen. »Wie?« sagte er, »du willst einen französischen Soldaten schimpfen?« »Oui Bougre!« war die Antwort. Die andern hatten die höchste Zeit, dem erbosten Kameraden in den Arm zu fallen, daß er dem Wegweiser, ohne welchen sie in der finstern Nacht nicht konnten weiterkommen, nicht auf der Stelle den Kopf spaltete; doch gaben sie ihm mit manchem Fluch und Flintenstoß rechts und links zu verstehen, wie es gemeint sei, und fragten ihn alsdann, ob er jetzt wolle manierlicher sein. »Oui Bougre«, war die Antwort. Nun wurde er jämmerlich zerschlagen, und alle seine Bitten um Verzeihung und alle seine Bitten um Schonung legte er ihnen mit lauter Oui Bougre, ans Herz. Endlich kamen sie auf die Vermutung, er sei verrückt; (denn daß er Französisch verstehe, hatte er bejaht.) Sie nahmen daher auf einem Hof, wo noch ein Licht brannte, einen andern Führer, jagten diesen fort, und er erwiderte den Abschied des einen, daß er sich zum Henker packen sollte, richtig mit Oui Bougre. Als er aber so bald wieder nach Haus kam, und sich seine Frau verwunderte, die ihn erst auf den andern Mittag wieder erwarten konnte, so erzählte er, wie die Soldaten unterwegs viel Spaß mit ihm gehabt hätten, so daß es ihm fast sei zu arg worden, und wie sie hernach auf dem Zirnhauser Hof einen andern genommen, und ihn wieder heimgeschickt hätten. Die Franzosen (setzte er treuherzig hinzu) sind nicht so schlimm als man meint, wenn man nur mit ihnen reden kann.
[1808]
Brotlose Kunst
In der Stadt Aachen ist eine Fabrike, in welcher nichts als Nähnadeln gemacht werden. Das ist keine brotlose Kunst. Denn es werden in jeder Woche zweihundert Pfund Nadeln verfertigt, von denen 5000 Stück auf ein Pfund gehen, Facit: Eine Million, und der Meister Schneider und die Näherin und jede Hausmutter weiß wohl, wieviel man für einen Kreuzer bekommt, und es ist nicht schwer, auszurechnen, wieviel Geld an den Aachner Nadeln in der Fabrike selbst und durch den Handel jährlich verdient und gewonnen wird. Das Werk geht durch Maschinen, und die meisten Arbeiter sind Kinder von 8–10 Jahren.
Ein Fremder besichtigte einst diese Arbeiten, und wunderte sich, daß es möglich sei, in die allerfeinsten Nadeln mit einem noch feineren Instrument ein Loch zu stechen, durch welches nur der allerfeinste, fast unsichtbare Faden kann gezogen werden.
Aber ein Mägdlein, welchem der Fremde eben zuschaute, zog sich hierauf ein langes Haar aus dem Kopfe, stach mit einer der feinsten Nadeln eine Öffnung dadurch, nahm das eine Ende des Haares, bog es um, und zog es durch die Öffnung zu einer artigen Schleife.
Das war so brotlos eben auch nicht. Denn das Mägdlein bot dieses künstlich geschlungene Haar dem Fremden zum Andenken und bekam dafür ein artiges Geschenk, und das wird mehr als einmal im Jahr geschehen sein. Solch ein kleiner Nebenverdienst ist einem fleißigen Kinde wohl zu gönnen.
Aber während ehrliche Eltern und Kinder allerorten etwas Nützliches arbeiten und ihr Brot mit Ehren verdienen, und mit gutem Gewissen essen, zog zu seiner Zeit ein Tagdieb durch die Welt, der sich in der Kunst geübt hatte, in einer ziemlich großen Entfernung durch ein Nadelöhr kleine Linsen zu werfen. Das war eine brotlose Kunst. Doch lief es auch nicht ganz leer ab. Denn als der Linsenschütz unter anderm nach Rom kam, ließ er sich auch vor dem Papst sehen, der sonst ein großer Freund von seltsamen Künsten war, hoffte ein hübsches Stück Geld von ihm zu bekommen, und machte schon ein paar wunderliche Augen, als der Schatzmeister des Heiligen Vaters mit einem Säcklein auf ihn zuging, und bückte sich entsetzlich tief, als ihm der Schatzmeister das ganze Säcklein anbot.
Allein was war darin? Ein halber Becher Linsen, die ihm der weise Papst, zur Belohnung und Aufmunterung seines Fleißes, übermachen ließ, damit er sich seiner Kunst noch ferner üben und immer größere Fortschritte darin machen könnte.
[1808]
Glück und Unglück
Auf eine so sonderbare Weise ist Glück im Unglück, und Unglück im Glück noch selten beisammen gewesen, wie in dem Schicksal zweier Matrosen in dem letzten Seekrieg zwischen den Russen und Türken. Denn in einer Seeschlacht, als es sehr hitzig zuging, die Kugeln sausten, die Bretter und Mastbäume krachten, die Feuerbrände flogen, da und dort brach auf einem Schiff die Flamme aus und konnte nicht gelöscht werden. Es muß schrecklich sein, wenn man keine andere Wahl hat, als dem Tod ins Wasser entgegenzuspringen, oder im Feuer zu verbrennen. Aber unsern zwei russischen Matrosen wurde diese Wahl erspart. Ihr Schiff fing Feuer in der Pulverkammer, und flog mit entsetzlichem Krachen in die Luft. Beide Matrosen wurden mit in die Höhe geschleudert, wirbelten unter sich und über sich in der Luft herum, fielen nahe hinter der feindlichen Flotte wieder ins Meer hinab, und waren noch lebendig und unbeschädigt, und
das war ein Glück
. Allein die Türken fuhren jetzt wie die Drachen auf sie heraus, zogen sie wie nasse Mäuse aus dem Wasser, und brachten sie in ein Schiff; und weil es Feinde waren, so war der Willkomm kurz. Man fragte sie nicht lange, ob sie vor ihrer Abreise von der russischen Flotte schon zu Mittag gegessen hätten oder nicht, sondern man legte sie in den untersten feuchten und dunkeln Teil des Schiffes an Ketten, und
das war kein Glück
. Unterdessen sausten die Kugeln fort, die Bretter und Mastbäume krachten, die Feuerbrände flogen, und paf! sprang auch das türkische Schiff, auf welchem die Gefangenen waren, in tausend Trümmern in die Luft. Die Matrosen flogen mit, kamen wieder neben der russischen Flotte ins Wasser herab, wurden eilig von ihren Freunden hereingezogen, und waren noch lebendig, und
das war ein großes Glück
. Allein für diese wiedererhaltene Freiheit und für das zum zweitenmal gerettete Leben, mußten diese guten Leute doch ein teures Opfer gehen, nämlich die Beine. Diese Glieder wurden ihnen beim Losschnellen von den Ketten, als das türkische Schiff auffuhr, teils gebrochen, teils jämmerlich zerrissen, und mußten ihnen, sobald die Schlacht vorbei war, unter dem Knie weg abgenommen werden, und
das war wieder ein großes Unglück
. Doch hielten beide die Operation aus, und lebten in diesem Zustande noch einige Jahre. Endlich starb doch einer nach dem andern, und das war nach allem, was vorhergegangen war, nicht das Schlimmste.
Diese Geschichte hat ein glaubwürdiger Mann bekanntgemacht, welcher beide Matrosen ohne Beine selber gesehen, und die Erzählung davon aus ihrem eigenen Munde gehört hat.
[1808]
Abendlied,
wenn man aus dem Wirtshaus geht
Jetzt schwingen wir den Hut.
Der Wein der war so gut.
Der Kaiser trinkt Burgunderwein,
Sein schönster Junker schenkt ihm ein,
Und schmeckt ihm doch nicht besser,
Nicht besser.
Der Wirt, der ist bezahlt,
Und keine Kreide malt
Den Namen an die Kammertür,
Und hinten dran die Schuldgebühr.
Der Gast darf wiederkommen,
Ja kommen.
Und wer sein Gläslein trinkt,
Ein lustig Liedlein singt
Im Frieden und mit Sittsamkeit,
Und geht nach Haus zu rechter Zeit,
Der Gast darf wiederkehren,
Mit Ehren.
Des Wirts sein Töchterlein
Ist züchtig, schlank und fein,
Die Mutter hält's in treuer Hut,
Und hat sie keins, das ist nicht gut,
Mußt eins in Straßburg kaufen,
Ja kaufen.
Jetzt Brüder, gute Nacht!
Der Mond am Himmel wacht;
Und wacht er nicht, so schläft er noch.
Wir finden Weg und Haustür doch,
Und schlafen aus im Frieden,
Ja Frieden.
[1807]
Der Kommandant und die Jäger in Hersfeld
Im letzten preußisch-russischen Krieg, als die französische Armee und ein großer Teil der bundsgenossischen Truppen in Polen und Preußen stand, befand sich ein Teil des badischen Jägerregiments in Hessen und in der Stadt Hersfeld auf ihren Posten. Denn dieses Land hatte der Kaiser im Anfang des Feldzugs eingenommen, und mit Mannschaft besetzt. Da gab es nun von seiten der Einwohner, denen das Alte besser gefiel, als das Neue, mancherlei Unordnungen, und es wurden besonders in dem Ort Hersfeld mehrere Widersetzlichkeiten ausgeübt, und unter andern ein französischer Offizier getötet. Das konnte der französische Kaiser nicht geschehen lassen, während er mit einem zahlreichen Feind im Angesicht kämpfte, daß auch hinter ihm Feindseligkeiten ausbrachen, und ein kleiner Funke sich zu einer großen Feuersbrunst entzündete. Die armen Einwohner von Hersfeld bekamen daher bald Ursache, ihre unüberlegte Kühnheit zu bereuen. Denn der französische Kaiser befahl, die Stadt Hersfeld zu plündern, und alsdann an vier Orten anzuzünden und in die Asche zu legen. Dieses Hersfeld ist ein Ort, der viele Fabriken, und daher auch viele reiche und wohlhabende Einwohner und schöne Gebäude hat; und ein Menschenherz kann wohl empfinden, wie es den armen Leuten, den Vätern und Müttern zumute war, als sie die Schreckenspost vernahmen; und der arme Mann, dem sein Hab und Gut auf einmal auf dem Arm konnte weggetragen werden, war jetzt so übel dran, als der reiche, dem man es auf vielen Wagen nicht wegführen konnte, und in der Asche sind die großen Häuser auf dem Platz und die kleinen in den Winkeln auch so gleich, als die reichen Leute und die armen Leute auf dem Kirchhof. Nun zum Schlimmsten kam es nicht. Auf Fürbitte der französischen Kommandanten in Kassel und Hersfeld wurde die Strafe so gemildert: Es sollten zwar nur vier Häuser verbrannt werden, und dies war glimpflich; aber bei der Plünderung sollte es bleiben, und das war noch hart genug. Die unglücklichen Einwohner waren auch, als sie diesen letzten Bescheid hörten, so erschrocken, so alles Mutes und aller Besinnung beraubt, daß sie der menschenfreundliche Kommandant selber ermahnen mußte, statt des vergeblichen Klagens und Bittens, die kurze Frist zu benutzen, und ihr Bestes noch geschwind auf die Seite zu schaffen. Die fürchterliche Stunde schlug, die Trommel wirbelte ins Klaggeschrei der Unglücklichen. Durch das Getümmel der Flüchtenden und Fliehenden und Verzweifelten eilten die Soldaten auf ihren Sammelplatz. Da trat der brave Kommandant von Hersfeld vor die Reihen seiner Jäger, stellte ihnen zuerst das traurige Schicksal der Einwohner lebhaft vor die Augen, und sagte hierauf: »Soldaten! die Erlaubnis, zu plündern, fängt jetzt an. Wer dazu Lust hat, der trete heraus aus dem Glied.« Kein Mann trat heraus. Nicht einer! Der Aufruf wurde wiederholt. Kein Fuß bewegte sich; und wollte der Kommandant geplündert haben, so hätte er müssen selber gehen. Aber es war niemand lieber als ihm, daß die Sache also ablief, das ist leicht zu bemerken. Als die Bürger das erfuhren, war es ihnen zumute, wie einem, der aus einem schweren Traum erwacht. Ihre Freude ist nicht zu beschreiben. Sie schickten sogleich eine Gesandtschaft an den Kommandanten, ließen ihm für diese Milde und Großmut danken, und boten ihm aus Dankbarkeit ein großes Geschenk an. Wer weiß, was mancher getan hätte! Aber der Kommandant schlug dasselbe ab, und sagte: er lasse sich keine gute Tat mit Geld bezahlen. Dies geschah zu Hersfeld im Jahr 1807, und das Städtlein steht noch.
[1808]
Pieve
Jedermann kennt die Bilder- und Landkartenhändler, die im Land herum ihre Waren, Bildnisse von Heiligen, Bildnisse von Kaisern und Königen und Kriegsschauplätzen feil tragen. Aber für manchen kommen sie wie die Storken ins Land, das heißt, er weiß nicht, woher sie kommen. Von Pieve kommen sie, im Kanton Tessino, in welsch Tirol, und dieses Pieve dient zum Beweis, was aus einem armen Dorfe werden kann, wenn auf unverdrossene und sparsame Väter ebenso brave Söhne und Enkel folgen, und deswegen ist an einem solchen Bildermann mehr zu sehen, als an seinen Bildern allen.
Pieve
hat eine unfruchtbare Gemarkung. Der Boden nährt seine Einwohner nicht. Lange behalfen sich daher die armen Leute mühsam und kümmerlich mit einem Handel von Feuersteinen, der eben nicht viel eintrug. Als aber der Besitzer der berühmten Buch- und Kupferstichhandlung, Remondini in Bassano, sah, wie unverdrossen und fleißig diese Leute waren, so vertraute er ihnen anfangs schlechte, alsdann immer bessere Kupferstiche und Helgen an, um damit einen kleinen Handel zu treiben. Damit durchzogen sie nun Tirol, die Schweiz und das angrenzende Deutschland, und es ging schon besser. Sie hatten an den gemalten Kaisern und Königen, Propheten und Aposteln selber mehr Freude, als an den plumpen Feuersteinen. Sie trugen auch leichter daran, und hatten mehr Gewinn. Bald brachten sie es so weit, daß sie den Kupferstichhandel aus dem Fundament verstanden, und mit eigenem Gelde treiben konnten. Und, was fast unglaublich ist, sie bildeten in kurzer Zeit stehende Handelsgesellschaften in Augsburg, Straßburg, Amsterdam, in Hamburg, Lübeck, Koppenhagen, Stockholm, Warschau und Berlin. In allen diesen und noch mehrern Städten sind sie jahraus jahrein mit großen Vorräten von sehr kostbaren Kupferstichen und Landkarten zu finden. Ja eine Gesellschaft kam sogar bis nach Tobolsk in Asien, und eine andere, welche aber mißglückte, bis nach Philadelphia in Amerika, lauter Leute aus dem armen Dörflein Pieve. Neben diesen stehenden Bilderhandlungen aber durchwandern noch viele andere von ihnen alle Länder von Europa, besonders Deutschland, Polen, Preußen, Holland, Dänemark, Schweden, Rußland, England und Frankreich. Alle Mannsleute in Pieve kennen diesen Handel und beschäftigen sich damit. Vor der französischen Revolution, als ihre Geschäfte am glücklichsten vonstatten gingen, war zur Zeit des Sommers, außer Kindern und alten Greisen, keine männliche Person daheim, aber alle kamen mit wohlerworbenem Gewinn zurück. Die Weiber trieben unterdessen den Feldbau. Seit der Revolution und des Kriegs an allen Enden und Orten hat dieser lebhafte Handel sehr gelitten. Dennoch hat noch jede Familie von Pieve unaufhörlich einen Mann auf der Reise. Schon in der frühen Jugend begleitet der Sohn den Vater auf seinen Zügen, und wird dieser alt, so überläßt er dem Sohn das Geschäft, und bringt seine Jahre daheim in Ruhe und Wohlstand und mit Ehren zu.
Das sind die Bilderhändler von Pieve. Der Rheinische Hausfreund kennt fast alle, die am Rhein auf und ab auf den Straßen sind, und zieht vor jedem den Hut ab.
[1808]
Die Planeten
Fortsetzung
Der Rheinländische Hausfreund stellt sich seinem Leser gegenüber und fragt: Weißt du auch noch, geneigter Leser, wovon im vorigen Artikel über das Weltgebäude ist geredt worden?
Leser
: Ja! von den Planeten ist geredt worden.
Hausfreund
: Weißt du auch noch, was man Planeten nennt?
Leser
: Ja! Planeten nennt man eilf Sterne, so mit den andern nicht gleichen Schritt halten, denn sie laufen in großen Kreisen um die Sonne herum, und kommen der eine heut der andere morgen, aber jeder zu seiner Zeit.
Hausfreund
: Weißt du denn auch noch, welche Planeten sind in der Betrachtung des Weltgebäudes im vorigen Artikel betrachtet worden?
Leser
: Ja! der Merkurius ist betrachtet worden, und die Venus, das ist der Abendstern.
Der Hausfreund kann sich nicht genug darüber verwundern, daß der geneigte Leser so wohl begriffen, und es so lange im Kopf behalten hat: und fährt nun also fort:
Der nächste Planet nach der Venus, oder der dritte von der Sonne weg, ist unsere Erde selber mit ihrem Beiläufer, dem Mond. Sie hat 5400 deutsche Meilen im Umfang. Sie ist 21 Millionen Meilen weit von der Sonne entfernt, und bekommt doch von ihr ein so schönes Tageslicht und so kräftige Wärme. Sie lauft um die Sonne herum in 365 Tagen und 6 Stunden, und lege in dieser Zeit einen Raum von mehr als 131 Millionen Meilen zurück, ohne ein einzigesmal auszurufen. Was aber sonst noch von der Erde zu sagen ist, und wie ihre Einwohner täten, was dem Herrn übel gefiel, bisweilen aber doch auch etwas, das ihm wohl gefiel, siehe, das ist geschrieben in einem eigenen Abschnitt und in den Erzählungen des Rheinländischen Hausfreundes.
Nach der Erde kommt der wunderschöne Planetstern
Mars
, der nicht wie die andern ein gelbes oder weißes, sondern ein rötliches Licht hat, als wenn unaufhörlich ein großes Freudenfeuer dort brennte. Er erscheint uns, wie die andern Planeten, nicht immer gleich, weil seine Weite von uns weg nicht immer die nämliche ist. Er ist größer und schöner, wenn er näher bei der Erde ist; unscheinbar und klein, wenn er weit weg steht. Er ist übrigens von der Sonne fast 32 Millionen Meilen weit entfernt, braucht doch nur ein Jahr und 322 Tage zu seinem Umlauf um dieselbe, und durchlauft in solcher Zeit eine Bahn von 200 Millionen Meilen. Dagegen ist er 5mal kleiner als die Erde und fast 10mal leichter, und kann also schon flüchtiger fortkommen.
Für den nächsten Planeten nach dem Mars hat man von den ältesten Zeiten an bis vor wenig Jahren den Jupiter gehalten, und war mit keiner Lieb zwischen ihnen noch ein anderer zu entdecken. Die Sternseher aber behaupteten herzhaft, zwischen ihnen fehle einer, ob ihn gleich noch kein sterblicher Mensch gesehen habe. »Entweder«, sagten sie, »ist er so klein, daß wir ihn nicht sehen können, oder er hat seinen Jüngsten Tag und die Auferstehung seiner Toten schon erlebt, und ist nachher im Feuer aufgegangen, oder sonst verkommen.«
Dies brachten sie folgendermaßen heraus: Wenn man sich von der Sonne weg bis zu dem Planeten Saturn, so für den letzten gehalten wurde, in einer geraden Linie, gleichweit voneinander hundert Pünktlein vorstellt, so steht von der Sonne weg auf dem vierten Pünktlein der Planet Merkurius, und kann niemand etwas dafür, daß er dort steht und an keinem andern Ort. Wenn man aber weiter zählt
drei
, dort steht die Venus. Zählt man weiter zweimal drei ist
sechs
, dort steht unsere Erde; zählt man weiter zweimal sechs ist
zwölf
, dort steht der Mars und fehlt sich nicht. Zählt man weiter zweimal zwölf gibt
vierundzwanzig
, dort sah man nichts, und doch, wenn man wieder weiter fortfährt und sagt: zweimal vierundzwanzig ist
achtundvierzig
, so steht daselbst wieder der Planet Jupiter; und zweimal achtundvierzig ist
sechsundneunzig
, dort ist der Saturn. Sechsundneunzig aber addiert mit den vier ersten Punkten von der Sonne weg bis zum Merkurins tut hundert, so, daß also der Saturnus richtig auf dem hundertsten Pünktlein steht. Weil nun alle diese Planeten in einer so sichtbaren Proportion und Ordnung voneinander abstehn, und doch auf dem Pünktlein 24 nichts zu sehen war, deswegen sagten die Sternkundigen, dort müsse auch noch einer stehen, wenn er nicht schon wieder verschwunden sei. So etwas erzählt der Hausfreund nicht allen Leuten; aber seinen Lesern kann er nichts vorenthalten, damit sie sehen, was wir Sternseher und Kalendermacher für respektable Leute sind, so die Sterne des Himmels überschauen, wie ein Hirt seine Schäflein oder ein Schulherr seine Kinder, und merkt gleich, wenn eins fehlt. Wie gewiß wir aber unserer Sache sind, das hat sich vor einigen Jahren zu großer Freude gezeigt. Denn als der berühmte Mann, namens Herschel, vor mehreren Jahren eine neue Art von Fernröhren oder Perspektiven erfunden hatte, die noch viel weiter tragen als die alten, so hat man einen kleinen Planeten auf Nro. 24 richtig entdeckt, und sich etwas Rechtschaffenes darauf eingebildet. Allein das ist noch nicht alles. Denn da dieser Planet so klein erschien, so hatte man das Herz, zu behaupten, er sei nimmer ganz, sondern nur ein Stück von einem Ganzen. Auch diese Vermutung scheint durch die Erfahrung bestätigt zu sein, indem man nachher in kurzer Zeit nacheinander noch drei Sternlein ungefähr in der nämlichen Weite von der Sonne weg entdeckte, so, daß man jetzt statt einem, der zu fehlen schien, vier auf einmal hat. Es ist daher fast nicht mehr zu zweifeln, daß einmal ein großer Planetstern an jener Stelle gewesen, und schon vor undenklichen Zeiten in diese vier Stücke zersprungen sei, und muß ein rechtes Betrübnis gewesen sein, wenn ein Vater oder eine Mutter auf einem Stück geblieben ist, und die Kinder auf einem andern, und konnten hernach nichts mehr voneinander erfahren, und einander durch niemand grüßen lassen.
Da jeder Stern einen Namen haben muß, wenn man von ihm reden will, so nannte man diese vier: die Pallas, die Juno, die Ceres und die Vesta. Drei davon sind durch deutsche Männer entdeckt worden.
Nach diesem kommt nun 108 Millionen Meilen von der Sonne weg der neunte Planet,
Jupiter
genannt. Ob er gleich in unsern Augen nicht größer als ein Brabanter Taler aussieht, so ist er doch 1474mal größer als die Erde, und der größte unter allen Planeten. Er vollendet seine Laufbahn um die Sonne in 12 Jahren nur einmal, und um ihn selbst bewegen sich in ungleichen Entfernungen 4 Monde, so schön aussehen muß, wenn sie in einer Nacht alle zugleich am Himmel stehen. Auch laufen mehrere veränderliche graue Streifen über ihn weg, und man weiß nicht recht, was man davon halten soll.
Der zehnte Planet ist der
Saturn
. Dieser ist von der Sonne fast noch einmal so weit entfernt als der Jupiter, nämlich 199 Millionen Meilen. Sein Weg um die Sonne umfaßt mehr als 1280 Millionen Meilen, wozu er 29 1/2 Jahr vonnöten hat. Da er so entsetzlich weit von der Sonne entfernt ist, so muß auf ihm das Licht derselben 90mal schwächer als auf unsrer Erde sein, und muß einer schon gute Augen haben, wenn er dabei eine Nadel will einfädlen.
Dafür hat er aber sieben Monde, die ihm seine trüben Tage erfreulich machen, und seine langen Nächte erheitern. Überdies hat dieser Planet noch etwas, was kein anderer hat, einen Ring, so aber doppelt ist. Dieser Ring zieht sich in einer nicht gar großen Entfernung um den Saturn rings herum, ist sehr breit, nicht gar dick, und wird ebenfalls von der Sonne erleuchtet. Ohne Zweifel wirft er sein Licht ebenso wie die Monde auf den dunkeln Körper des Planeten zurück, und hilft zu seiner Erhellung. Sonst weiß man von ihm nicht viel zu sagen.
Lange hat man geglaubt, dieser Saturn sei nun der letzte Planet, an den die Sonne scheinet, und jetzt sei man fertig, bis der berühmte Herschel, von welchem oben Erwähnung geschah, ebenfalls ein geborner Deutscher, am 13. Mai 1781 zur großen Verwunderung und Freude der Gelehrten, noch einen neuen entdeckte, welcher nun an der Zahl der eilfte, und vielleicht noch nicht der letzte ist. Denn der schwache Mensch kommt der göttlichen Allmacht nie an das Ende, und man muß nie sagen: Wo ich nichts mehr sehe, dort ist nichts mehr. Dieser neue Planet heißt
Uranus
, wird aber ohne Zweifel der älteste sein. Er ist noch einmal so weit von der Sonne entfernt, als der Saturn, nämlich 400 000 000 Meilen. Er muß in einem Kreis von 2 514 000 000 Meilen um die Sonne herumgehen. Ein Jahr auf diesem Planeten währt so lang als bei uns 83 Jahre oder ein langes Menschenleben, und ein hundertjähriger Kalender tut daselbst 8300 Jahre lang gut. Wegen der großen Entfernung ist daselbst die Wirkung der Sonne 361mal schwächer als bei uns. Dagegen wird er von sechs, und vielleicht noch mehrern Monden erleuchtet, die um ihn herum aufgehn und untergehn, jeder zu seiner Stunde, und muß der Kalendermacher allda ein ganzer Mann sein, und ein recht Stück Arbeit haben, bis er fertig ist, wenn er für jeden Tag des langen Jahres jedes Mondes Aufgang und Untergang, und ihre Brüche ausrechnen und anzeigen soll.
Das sind nun die Planetsterne, welche man bis jetzt kennt und entdeckt hat, nach ihrer Reihe, Maßen und Zeiten. Weil man aber so eine Zahl von ein paar hundert Millionen Meilen leicht wegliest, und nicht daran denkt, wieviel sie ausweist, so merke: Wenn auf der Sonne ein Artillerist vom 2. Bataillon in diesem Augenblick eine Kanone anbrennte, die Kugel flöge in ihrer bekannten Geschwindigkeit, Tag und Nacht, Sonntag und Werketag in gerader Linie immer fort und fort, so käme sie doch in dem Merkur erst ungefähr nach 10 Jahren; in der Venus nach 18, auf der Erde, wie oben gesagt, nach 25, auf dem Mars nach 38, auf dem Jupiter, nach 130 Jahren an. Bis zu dem Saturnus aber hätte sie zu fliegen 238, und zu dem Uranus 479 Jahre. So weit sind diese 11 Sterne einer nach dem andern von der Sonne entfernt, die gleichsam ihre Mutter und Säugamme ist; und sie verbreitet doch rings um sich bis zu dem letzten, so viel Licht und Wärme und Segen als jedem nötig ist, und der unsichtbare Gott, der sie erschaffen hat, ist mit seiner Allmacht und Güte überall zugegen, und sättiget und erfreut alles, was da lebet, mit Wohlgefallen.
[1809]
[Fortsetzung
hier
]
Kannitverstan
Der Mensch hat wohl täglich Gelegenheit, in Emmendingen und Gundelfingen, so gut als in Amsterdam Betrachtungen über den Unbestand aller irdischen Dinge anzustellen, wenn er will, und zufrieden zu werden mit seinem Schicksal, wenn auch nicht viel gebratene Tauben für ihn in der Luft herumfliegen. Aber auf dem seltsamsten Umweg kam ein deutscher Handwerksbursche in Amsterdam durch den Irrtum zur Wahrheit und zu ihrer Erkenntnis. Denn als er in diese große und reiche Handelsstadt, voll prächtiger Häuser, wogender Schiffe und geschäftiger Menschen, gekommen war, fiel ihm sogleich ein großes und schönes Haus in die Augen, wie er auf seiner ganzen Wanderschaft von Duttlingen bis nach Amsterdam noch keines erlebt hatte. Lange betrachtete er mit Verwunderung dies kostbare Gebäude, die 6 Kamine auf dem Dach, die schönen Gesimse und die hohen Fenster, größer als an des Vaters Haus daheim die Tür. Endlich konnte er sich nicht entbrechen, einen Vorübergehenden anzureden. »Guter Freund«, redete er ihn an, »könnt Ihr mir nicht sagen, wie der Herr heißt, dem dieses wunderschöne Haus gehört mit den Fenstern voll Tulipanen, Sternenblumen und Levkojen?« – Der Mann aber, der vermutlich etwas Wichtigeres zu tun hatte, und zum Unglück gerade so viel von der deutschen Sprache verstand, als der Fragende von der holländischen, nämlich nichts, sagte kurz und schnauzig: »
Kannitverstan
«; und schnurrte vorüber. Dies war ein holländisches Wort, oder drei, wenn man's recht betrachtet, und heißt auf deutsch soviel, als:
Ich kann Euch nicht verstehn
. Aber der gute Fremdling glaubte, es sei der Name des Mannes, nach dem er gefragt hatte. Das muß ein grundreicher Mann sein, der Herr Kannitverstan, dachte er, und ging weiter. Gaß aus Gaß ein kam er endlich an den Meerbusen, der da heißt: Het Ey, oder auf deutsch: das Ypsilon. Da stand nun Schiff an Schiff, und Mastbaum an Mastbaum; und er wußte anfänglich nicht, wie er es mit seinen zwei einzigen Augen durchfechten werde, alle diese Merkwürdigkeiten genug zu sehen und zu betrachten, bis endlich ein großes Schiff seine Aufmerksamkeit an sich zog, das vor kurzem aus Ostindien angelangt war, und jetzt eben ausgeladen wurde. Schon standen ganze Reihen von Kisten und Ballen auf- und nebeneinander am Lande. Noch immer wurden mehrere herausgewälzt, und Fässer voll Zucker und Kaffee, voll Reis und Pfeffer, und salveni Mausdreck darunter. Als er aber lange zugesehn hatte, fragte er endlich einen, der eben eine Kiste auf der Achsel heraustrug, wie der glückliche Mann heiße, dem das Meer alle diese Waren an das Land bringe.
»Kannitverstan«
, war die Antwort. Da dachte er: Haha, schaut's da heraus? Kein Wunder, wem das Meer solche Reichtümer an das Land schwemmt, der hat gut solche Häuser in die Welt stellen, und solcherlei Tulipanen vor die Fenster in vergoldeten Scherben. Jetzt ging er wieder zurück, und stellte eine recht traurige Betrachtung bei sich selbst an, was er für ein armer Mensch sei unter so viel reichen Leuten in der Welt. Aber als er eben dachte: Wenn ich's doch nur auch einmal so gut bekäme, wie dieser Herr Kannitverstan es hat, kam er um eine Ecke, und erblickte einen großen Leichenzug. Vier schwarz vermummte Pferde zogen einen ebenfalls schwarz überzogenen Leichenwagen langsam und traurig, als ob sie wüßten, daß sie einen Toten in seine Ruhe führten. Ein langer Zug von Freunden und Bekannten des Verstorbenen folgte nach, Paar und Paar, verhüllt in schwarze Mäntel, und stumm. In der Ferne läutete ein einsames Glöcklein. Jetzt ergriff unsern Fremdling ein wehmütiges Gefühl, das an keinem guten Menschen vorübergeht, wenn er eine Leiche sieht, und blieb mit dem Hut in den Händen andächtig stehen, bis alles vorüber war. Doch machte er sich an den letzten vom Zug, der eben in der Stille ausrechnete, was er an seiner Baumwolle gewinnen könnte, wenn der Zentner um 10 Gulden aufschlüge, ergriff ihn sachte am Mantel, und bat ihn treuherzig um Exküse. »Das muß wohl auch ein guter Freund von Euch gewesen sein«, sagte er, »dem das Glöcklein läutet, daß Ihr so betrübt und nachdenklich mitgeht.«
»Kannitverstan
!« war die Antwort. Da fielen unserm guten Duttlinger ein paar große Tränen aus den Augen, und es ward ihm auf einmal schwer und wieder leicht ums Herz. »Armer Kannitverstan«, rief er aus, »was hast du nun von allem deinem Reichtum? Was ich einst von meiner Armut auch bekomme: ein Totenkleid und ein Leintuch, und von allen deinen schönen Blumen vielleicht einen Rosmarin auf die kalte Brust, oder eine Raute.« Mit diesen Gedanken begleitete er die Leiche, als wenn er dazu gehörte, bis ans Grab, sah den vermeinten Herrn Kannitverstan hinabsenken in seine Ruhestätte, und ward von der holländischen Leichenpredigt, von der er kein Wort verstand, mehr gerührt, als von mancher deutschen, auf die er nicht achtgab. Endlich ging er leichten Herzens mit den andern wieder fort, verzehrte in einer Herberge, wo man Deutsch verstand, mit gutem Appetit ein Stück Limburger Käse, und, wenn es ihm wieder einmal schwerfallen wollte, daß so viele Leute in der Welt so reich seien, und er so arm, so dachte er nur an den Herrn Kannitverstan in Amsterdam, an sein großes Haus, an sein reiches Schiff, und an sein enges Grab.
[1809]
Schlechter Lohn
Als im letzten preußischen Krieg der Franzos nach Berlin kam, in die Residenzstadt des Königs von Preußen, da wurde unter anderm viel königliches Eigentum weggenommen, und fortgeführt oder verkauft. Denn der Krieg bringt nichts, er holt. Was noch so gut verborgen war, wurde entdeckt und manches davon zur Beute gemacht, doch nicht alles. Ein großer Vorrat von königlichem Bauholz blieb lange unverraten und unversehrt. Doch kam zuletzt noch ein Spitzbube von des Königs eigenen Untertanen, dachte, da ist ein gutes Trinkgeld zu verdienen, und zeigte dem französischen Kommandanten mit schmunzlicher Miene und spitzbübischen Augen an, was für ein schönes Quantum von eichenen und tannenen Baustämmen noch da und da beisammenliege, woraus manch tausend Gulden zu lösen wäre. Aber der brave Kommandant gab schlechten Dank für die Verräterei, und sagte: »Laßt Ihr die schönen Baustämme nur liegen, wo sie sind. Man muß dem Feind nicht sein Notwendigstes nehmen. Denn wenn Euer König wieder ins Land kommt, so braucht er Holz zu neuen Galgen für so ehrliche Untertanen, wie Ihr einer seid.«
Das muß der Rheinländische Hausfreund loben, und wollte gern aus seinem eigenen Wald ein paar Stämmlein auch hergehen, wenn's fehlen sollte.
[1809]
"
Der kann Deutsch
Bekanntlich gibt es in der französischen Armee viele Deutschgeborne, die es aber im Feld und im Quartier nicht immer merken lassen. Das ist alsdann für einen Hauswirt, der seinen Einquartierten für einen Stockfranzosen hält, ein groß Kreuz, wenn er nicht französisch mit ihm reden kann. Aber ein Bürger in Salzwedel, der im letzten Krieg einen Sundgauer im Quartier hatte, entdeckte von ohngefähr ein Mittel, wie man bald darhinterkommt. Der Sundgauer parlierte lauter Foutre Diable, forderte mit dem Säbel in der Faust immer etwas anders, und der Salzwedler wußte nie, was? Hätt's ihm gern gegeben, wenn er gekonnt hätte. Da sprang er in der Not in seines Nachbarn Haus, der sein Gevatter war und ein wenig Französisch kann, und bat ihn um seinen Beistand. Der Gevatter sagte: »Er wird aus der Dauphine sein, ich will schon mit ihm zurechtkommen.« Aber weit gefehlt. War's vorher arg, so war's jetzt ärger. Der Sundgauer machte Forderungen, die der gute Mann nicht zu befriedigen wußte, so, daß er endlich im Unwillen sagte: »Das ist ja der vermaledeiteste Spitzbube, mit dem mich der Bolettenschreiber noch heimgesucht hat.« Aber kaum war das unvorsichtige Wort heraus, so bekam er von dem vermeinten Stockfranzosen eine ganz entsetzliche Ohrfeige. Da sagte der Nachbar: »Gevattermann! Nun laßt Euch nimmer angst sein,
der kann Deutsch
.«
[1809]
Der Fremdling in Memel
Oft sieht die Wahrheit wie eine Lüge aus. Das erfuhr ein Fremder, der vor einigen Jahren, mit einem Schiff aus Westindien, an den Küsten der Ostsee ankam. Damals war der russische Kaiser bei dem König von Preußen auf Besuch. Beide Potentaten standen in gewöhnlicher Kleidung, ohne Begleitung, Hand in Hand, als zwei rechte gute Freunde, beieinander am Ufer. So etwas sieht man nicht alle Tage. Der Fremde dachte auch nicht dran, sondern ging ganz treuherzig auf sie zu, meinte es seien zwei Kaufleute, oder andere Herren aus der Gegend, und fing ein Gespräch mit ihnen an, war begierig allerlei Neues zu hören, das seit seiner Abwesenheit sich zugetragen habe. Endlich, da die beiden Monarchen sich leutselig mit ihm unterhielten, fand er Veranlassung, den einen auf eine höfliche Art zu fragen, wer er sei. »Ich bin der König von Preußen«, sagte der eine. Das kam nun dem fremden Ankömmling schon ein wenig sonderbar vor. Doch dachte er, es ist möglich, und machte vor dem Könige ein ehrerbietiges Kompliment. Und das war vernünftig. Denn in zweifelhaften Dingen muß man immer das Sicherste und Beste wählen, und lieber eine Höflichkeit aus Irrtum begehen, als eine Grobheit. Als aber der König weiter sagte, und auf seinen Begleiter deutete: »Dies ist Se. Majestät der russische Kaiser«, da war's doch dem ehrlichen Mann, als wenn zwei lose Vögel ihn zum besten haben wollten, und sagte: »Wenn ihr Herren mit einem ehrlichen Mann euern Spaß haben wollt, so sucht einen andern als ich bin. Bin ich deswegen aus Westindien hierher gekommen, daß ich euer Narr sei?« – Der Kaiser wollte ihn zwar versichern, daß er allerdings derjenige sei. Allein der Fremde gab kein Gehör mehr. »Ein russischer Spaßvogel möget Ihr sein«, sagte er. Als er aber nachher im grünen Baum die Sache erzählte, und andern Bericht bekam, da kam er ganz demütig wieder, bat fußfällig um Vergebung, und die großmütigen Potentaten verziehen ihm, wie natürlich, und hatten hernach viel Spaß an dem Vorfall.
[1809]
Das seltsame Rezept
Es ist sonst kein großer Spaß dabei, wenn man ein Rezept in die Apotheke tragen muß; aber vor langen Jahren war es doch einmal ein Spaß. Da hielt ein Mann von einem entlegenen Hof eines Tages mit einem Wagen und zwei Stieren vor der Stadtapotheke still, lud sorgsam eine große tannene Stubentüre ab, und trug sie hinein. Der Apotheker machte große Augen, und sagte: »Was wollt Ihr da, guter Freund, mit Eurer Stubentüre? Der Schreiner wohnt um 2 Häuser links.« Dem sagte der Mann, der Doktor sei bei seiner kranken Frau gewesen, und habe ihr wollen ein Tränklein verordnen, so sei in dem ganzen Haus keine Feder, keine Dinte, und kein Papier gewesen, nur eine Kreide. Da habe der Herr Doktor das Rezept an die Stubentüre geschrieben; und nun soll der Herr Apotheker so gut sein, und das Tränklein kochen.
Item, wenn es nur gut getan hat. Wohl dem, der sich in der Not zu helfen weiß.
[1809]
Einfältiger Mensch in Mailand
Ein einfältiger Mensch in Mailand wollte sein Haus verkaufen. Damit er nun um so eher davon loswerden möchte, brach er einen großen Stein aus demselben heraus, trug ihn auf den großen Marktplatz, wo viel Verkehr und Handel getrieben wird, und setzte sich damit unter die Verkäufer. Wenn nun ein Mann kam, und fragte ihn: »Was habt Ihr denn feil?« so sagte er: »Mein zweistöckigtes Haus in der Kapuzinergasse. Wenn Ihr Lust dazu habt, – hier ist ein Muster.« Der nämliche sagte einmal bei einer Gelegenheit, als von der Kinderzucht die Rede war: »Es ist ein Glück für meine Kinder, daß ich keine habe. Ich könnte so zornig werden, daß ich sie alle totschlüge.«
[1809]
Der Barbierjunge von Segringen
Man muß Gott nicht versuchen, aber auch die Menschen nicht. Denn im vorigen Spätjahr kam in dem Wirtshause zu Segringen ein Fremder von der Armee an, der einen starken Bart hatte, und fast wunderlich aussah, also, daß ihm nicht recht zu trauen war. Der sagt zum Wirt, eh er etwas zu essen oder zu trinken fordert: »Habt Ihr keinen Barbier im Ort, der mich rasieren kann?« Der Wirt sagt ja, und holt den Barbier. Zu dem sagt der Fremde: »Ihr sollt mir den Bart abnehmen, aber ich habe eine kitzliche Haut. Wenn Ihr mich nicht ins Gesicht schneidet, so bezahl ich Euch 4 Kronentaler. Wenn Ihr mich aber schneidet, so stech ich Euch tot. Ihr wäret nicht der erste.« Wie der erschrockene Mann das hörte, (denn der fremde Herr machte ein Gesicht, als wenn es nicht vexiert wäre, und das spitzige, kalte Eisen lag auf dem Tisch,) so springt er fort und schickt den Gesellen.
Zu dem sagt der Herr das nämliche. Wie der Gesell das nämliche hört, springt er ebenfalls fort, und schickt den Lehrjungen. Der Lehrjunge läßt sich blenden von dem Geld, und denkt: »Ich wag's. Geratet es, und ich schneide ihn nicht, so kann ich mir für 4 Kronentaler einen neuen Rock auf die Kirchweihe kaufen, und einen Schnepper. Geratet's nicht, so weiß ich, was ich tue«, und rasiert den Herrn. Der Herr hält ruhig still, weiß nicht, in welcher entsetzlichen Todesgefahr er ist, und der verwegene Lehrjunge spaziert ihm auch ganz kaltblütig mit dem Messer im Gesicht und um die Nase herum, als wenn's nur um einen Sechser, oder im Fall eines Schnittes um ein Stücklein Zunder oder Fließpapier darauf zu tun wäre, und nicht um 4 Kronentaler und um ein Leben, und bringt ihm glücklich den Bart aus dem Gesicht ohne Schnitt und ohne Blut, und dachte doch, als er fertig war: Gottlob!
Als aber der Herr aufgestanden war, und sich im Spiegel beschaut und abgetrocknet hatte, und gibt dem Jungen die 4 Kronentaler, sagt er zu ihm: »Aber junger Mensch, wer hat dir den Mut gegeben, mich zu rasieren, so doch dein Herr und der Gesell sind fortgesprungen? Denn wenn du mich geschnitten hättest, so hätt ich dich erstochen.« Der Lehrjung aber bedankte sich lächelnd für das schöne Stück Geld, und sagte: »Gnädiger Herr, Ihr hättet mich nicht erstochen, sondern, wenn Ihr gezuckt hättet, und ich hätt Euch ins Gesicht geschnitten, so wär ich Euch zuvorgekommen, hätt Euch augenblicklich die Gurgel abgehauen, und wäre auf und davon gesprungen.« Als der fremde Herr das hörte, und an die Gefahr dachte, in der er gesessen war, ward er erst blaß vor Schrecken und Todesangst, schenkte dem Burschen noch 1 Kronentaler extra, und hat seitdem zu keinem Barbier mehr gesagt: »Ich steche dich tot, wenn du mich schneidest.«
[1809]
Merkwürdige Gespenstergeschichte
Verwichenen Herbst fuhr ein fremder Herr durch Schliengen, so ein schöner braver Ort ist. Den Berg hinauf aber ging er zu Fuß wegen den Rossen, und erzählte einem Krenzacher folgende Geschichte, die ihm selber begegnet ist.
Als der Herr ein halbes Jahr vorher nach Dännemark reiste, kommt er auf den späten Abend in einen Flecken, wo nicht weit davon auf einer Anhöhe ein sauberes Schlößlein stand, und will über Nacht bleiben. Der Wirt sagt, er habe keinen Platz mehr für ihn, es werde morgen einer gerichtet, und seien schon drei Scharfrichter bei ihm über Nacht. So erwidert der Herr: »Ich will denn dort in das Schlößlein gehen. Der Zwingherr, oder wem es angehört, wird mich schon hineinlassen und ein leeres Bett für mich haben.« Der Wirt sagt: »Manch schönes Bett, mit seidenen Umhängen, steht aufgeschlagen in den hohen Gemächern; und die Schlüssel hab ich in Verwahrung. Aber ich will es Euch nicht raten. Der gnädige Herr ist schon vor einem Vierteljahr mit seiner Frau und mit dem Junker auf eine weite Reise gezogen, und seit der Zeit wüten im Schlößlein die Gespenster. Der Schloßvogt und das Gesinde konnten nimmer bleiben; und wer seitdem in das Schlößlein gekommen ist, der geht zum zweitenmal nimmer hinein.« Darüber lächelt der fremde Herr; denn er war ein herzhafter Mann, der nichts auf die Gespenster hielt, und sagt: »Ich will's versuchen.« Trotz aller Widerrede, mußte ihm der Wirt den Schlüssel geben: und nachdem er sich mit dem Nötigen zu einem Gespensterbesuch versehen hatte, ging er mit dem Bedienten, so er bei sich hatte, in das Schloß. Im Schloß kleidete er sich nicht aus, wollte auch nicht schlafen, sondern abwarten was geschieht. Zu dem Ende stellte er zwei brennende Lichter auf den Tisch, legte ein Paar geladene Pistolen daneben, nahm zum Zeitvertreib den Rheinländischen Hausfreund, so in Goldpapier eingebunden an einem roten seidenen Bändelein unter der Spiegelrahme hing, und beschaute die schönen Bilder. Lange wollte sich nichts spüren lassen. Aber als die Mitternacht im Kirchturm sich rührte, und die Glocke 12 schlug, eine Gewitterwolke zog über das Schloß weg, und die großen Regentropfen schlugen an die Fenster, da klopfte es dreimal stark an die Türe, und eine fürchterliche Gestalt, mit schwarzen schielenden Augen, mit einer halbellenlangen Nase, fletschenden Zähnen, und einem Bocksbart, zottig am ganzen Leib, trat in das Gemach, und brummte mit fürchterlicher Stimme: »Ich bin der Großherr Mephistopholes. Willkomm in meinem Palast! und habt Ihr auch Abschied genommen von Frau und Kind!« Dem fremden Herrn fuhr ein kalter Schauer vom großen Zehen an über den Rücken hinauf, bis unter die Schlafkappe, und an den armen Bedienten darf man gar nicht denken. Als aber der Mephistopholes mit fürchterlichen Grimassen und hochgehobenen Knieen gegen ihn herkam, als wenn er über lauter Flammen schreiten müßte, dachte der arme Herr: In Gottes Namen, jetzt ist's einmal so, und stand herzhaft auf, hielt dem Ungetüm die Pistole entgegen, und sprach: »Halt, oder ich schieß!« Mit so etwas läßt sonst nicht jedes Gespenst sich schrecken, denn wenn man auch schießen will, so geht's nicht los, oder die Kugel fährt zurück und trifft nicht den Geist, sondern den Schütz. Aber Mephistopheles hob drohend den Zeigefinger in die Höhe, kehrte langsam um, und ging mit ebensolchen Schritten, als er gekommen war, wieder fort. Als aber der Fremde sah, daß dieser Satan Respekt vor dem Pulver hatte, dachte er: Jetzt ist keine Gefahr mehr, nahm in die andere Hand ein Licht, und ging dem Gespenst, das langsam einen Gang hinabschritt, ebenso langsam nach, und der Bediente sprang, so schnell er konnte, hinter ihm zum Tempel hinaus, und ins Ort, dachte, er wolle lieber bei den Scharfrichtern über Nacht sein, als bei den Geistern. – Aber auf dem Gang, auf einmal, verschwindet der Geist vor den Augen seines kühnen Verfolgers, und war nicht anderst, als wär er in den Boden gesunken. Als aber der Herr noch ein paar Schritte weitergehen wollte, um zu sehen, wo er hingekommen, hörte auf einmal unter seinen Füßen der Boden auf, und er fiel durch ein Loch hinab, aus welchem ihm Feuerglast entgegenkam, und er glaubte selber, jetzt geh es an einen andern Ort. Als er aber ungefähr zehen Fuß tief gefallen war, lag er zwar unbeschädigt auf einem Haufen Heu, in einem unterirdischen Gewölb. Aber sechs kuriose Gesellen standen um ein Feuer herum, und der Mephistopholes war auch da. Allerlei wunderbares Geräte lag umher, und zwei Tische lagen gehauft voll funkelnder Rößleinstaler, einer schöner als der andere. Da merkte der Fremde wie er daran war. Denn das war eine heimliche Gesellschaft von Falschmünzern, so alle Fleisch und Bein hatten. Diese benutzten die Abwesenheit des Zwingherrn, legten in seinem Schloß ihre verborgene Münzstöcke an, und waren vermutlich von seinen eigenen Leuten dabei, die im Haus Bericht und Gelegenheit wußten; und damit sie ihr heimlich Wesen ungestört und unbeschrieen treiben konnten, fingen sie den Gespensterlärmen an, und wer in das Haus kam, wurde so in Schrecken gesetzt, daß er zum zweitenmal nimmer kam. Aber jetzt fand der verwegene Reisende erst Ursache, seine Unvorsichtigkeit zu bereuen, und, daß er den Vorstellungen des Wirts im Dorf kein Gehör gegeben hatte. Denn er wurde durch ein enges Loch hinein in ein anderes finsteres Gehalt geschoben, und hörte wohl, wie sie Kriegsrecht über ihn hielten, und sagten: »Es wird das beste sein, wenn wir ihn umbringen.« Aber einer sagte noch: »Wir müssen ihn zuerst verhören, wer er ist, und wie er heißt, und wo er sich herschreibt.« Als sie aber hörten, daß er ein vornehmer Herr sei, und nach Kopenhagen zum König reise, sahen sie einander mit großen Augen an; und nachdem er wieder in dem finstern Gewölb war, sagten sie: »Jetzt steht die Sache schlimm. Denn wenn er vermißt wird, und es kommt durch den Wirt heraus, daß er ins Schloß gegangen ist, und ist nimmer herausgekommen, so kommen über Nacht die Husaren, heben uns aus, und der Hanf ist dies Jahr wohl geraten, daß ein Strick zum Henken nicht viel kostet.« Also kündigten sie dem Gefangenen Pardon an, wenn er ihnen einen Eid ablegte, daß er nichts verraten wolle, und drohten, daß sie in Kopenhagen wollten auf ihn Achtung gehen lassen; und er mußte ihnen auf den Eid hin sagen, wo er wohne. Er sagte: »Neben dem wilden Mann linker Hand in dem großen Haus mit grünen Läden.« Darnach schenkten sie ihm Burgunderwein ein zum Morgentrunk, und er schaute ihnen zu, wie sie Rößleintaler prägten bis an den Morgen. Als aber der Tag durch die Kellerlöcher hinabschien, und auf der Straße die Geißeln knallten, und der Kühhirt hürnte, nahm der Fremde Abschied von den nächtlichen Gesellen, bedankte sich für die gute Bewirtung, und ging mit frohem Mute wieder in das Wirtshaus, ohne daran zu denken, daß er seine Uhr und seine Tabakspfeife, und die Pistolen habe liegen lassen. Der Wirt sagte: »Gottlob, daß ich Euch wiedersehe, ich habe die ganze Nacht nicht schlafen können. Wie ist es Euch gegangen?« Aber der Reisende dachte: Ein Eid ist ein Eid, und um sein Leben zu retten, muß man den Namen Gottes nicht mißbrauchen, wenn man's nicht halten will. Deswegen sagte er nichts, und weil jetzt das Glöcklein läutete, und der arme Sünder hinausgeführt wurde, so lief alles fort. Auch in Kopenhagen hielt er nachher reinen Mund, und dachte selber fast nicht mehr daran. Aber nach einigen Wochen kam ab der Post ein Kistlein an ihn, und waren darin ein Paar neue, mit Silber eingelegte Pistolen von großem Wert, eine neue goldene Uhr mit kostbaren Demantsteinen besetzt, eine türkische Tabakspfeife, mit einer goldnen Kette daran, und eine seidene mit Gold gestickte Tabaksblase, und ein Brieflein drin. In dem Brieflein stand: »Dies schicken wir Euch für den Schrecken, so Ihr bei uns ausgestanden, und zum Dank für Euere Verschwiegenheit. Jetzt ist alles vorbei, und Ihr dürft es erzählen, wem Ihr wollt.« Deswegen hat's der Herr dem Krenzacher erzählt, und das war die nämliche Uhr, die er oben auf dem Berg herauszog, als es in Hertingen Mittag läutete, und schaute, ob die Hertinger Uhr recht geht, und sind ihm hernach im Storken zu Basel von einem französischen General 75 neue Dublonen darauf geboten worden. Aber er hat sie nicht drum geben.
[1809]
Gute Antwort
Wer ausgibt, muß auch wieder einnehmen. Reitet einmal ein Mann an einem Wirtshaus vorbei, der einen stattlichen Schmerbauch hatte, also, daß er auf beiden Seiten fast über den Sattel herunterhängte. Der Wirt steht auf die Staffel, und ruft ihm nach: »Nachbar, warum habt Ihr denn den Zwerchsack vor Euch auf das Roß gebunden und nicht hinten?« Dem rief der Reitende zurück: »Damit ich ihn unter den Augen habe. Denn hinten gibt es Spitzbuben.« Der Wirt sagte nichts mehr.
[1809]
Drei andere Wünsche
Diesmal ist aber die Frau Anna Fritze nicht dabei, auch riecht es nicht nach Rosenduft und Morgenrot, sondern nach Klingenberger und nach Kalbfleisch in einer sauren Brühe. Drei lustige Kameraden saßen beisammen zu Kehl im Lamm, und als sie das Saueressen verzehrt hatten, und noch eine Flasche voll Klingenberger miteinander tranken, sprachen sie von allerlei, und fingen zuletzt an zu wünschen. Endlich wurden sie der Rede eins, es sollte jeder noch einen kernhaften Wunsch tun, und wer den besten Wunsch hervorbringe, der soll frei ausgehen an der Zeche.
Da sprach der erste: »So wünsch ich dann, daß ich alle Festungsgräben von ganz Straßburg und Kehl voll feiner Nähnadeln hätte, und zu jeder Nadel einen Schneider, und jeder Schneider müßte mir ein Jahr lang lauter Maltersäcke nähen, und wenn ich dann jeden Maltersack voll doppelter Dublonen hätte, so wollte ich zufrieden sein.«
Der zweite sagte: »So wollt ich denn, daß das ganze Straßburger Münster bis unter die Krone des Turms hinauf voll Wechselbriefe vom feinsten Postpapier läge, so viel darin Platz haben, und wäre mir auf jedem Wechselbrief so viel Geld verschrieben, als in allen deinen Maltersäcken Platz hat, und ich hätt's.«
Der dritte sagte: »So wollt ich denn, daß ihr beide hättet was ihr wünscht, und daß euch alsdann beide in
einer
Nacht der Henker holte, und ich wär euer Erbe.«
Der dritte ging frei aus an der Zeche.
[1809]
Der Husar in Neiße
Als im Anfang der französischen Revolution die Preußen mit den Franzosen Krieg führten, und durch die Provinz Champagne zogen, dachten sie nicht daran, daß sich das Blättlein wenden könnte, und daß der Franzos noch im Jahr 1806 nach Preußen kommen, und den ungebetenen Besuch wettmachen werde. Denn nicht jeder führte sich auf, wie es einem braven Soldaten in Feindesland wohl ansteht. Unter andern drang damals ein brauner preußischer Husar, der ein böser Mensch war, in das Haus eines friedlichen Mannes ein, nahm ihm all sein bares Geld, so viel war, und viel Geldswert, zuletzt auch noch das schöne Bett mit nagelneuem Oberzug, und mißhandelte Mann und Frau. Ein Knabe von 8 Jahren bat ihn knieend, er möchte doch seinen Eltern nur das Bett wiedergehen. Der Husar stoßt ihn unbarmherzig von sich. Die Tochter lauft ihm nach, hält ihn am Dolman fest, und fleht um Barmherzigkeit. Er nimmt sie, und wirft sie in den Sodbrunnen, so im Hofe steht, und rettet seinen Raub. Nach Jahr und Tagen bekommt er seinen Abschied, setzt sich in der Stadt
Neiße
in Schlesien, denkt nimmer daran, was er einmal verübt hat, und meint, es sei schon lange Gras darüber gewachsen. Allein, was geschieht im Jahr 1806? Die Franzosen rücken in Neiße ein; ein junger Sergeant wird abends einquartiert bei einer braven Frau, die ihm wohl aufwartet. Der Sergeant ist auch brav, führt sich ordentlich auf, und scheint guter Dinge zu sein. Den andern Morgen kommt der Sergeant nicht zum Frühstück. Die Frau denkt: Er wird noch schlafen, und stellt ihm den Kaffee ins Ofenrohr. Als er noch immer nicht kommen wollte, ging sie endlich in das Stüblein hinauf, macht leise die Türe auf, und will sehen, ob ihm etwas fehlt.
Da saß der junge Mann wach und aufgerichtet im Bette, hatte die Hände ineinandergelegt, und seufzte, als wenn ihm ein groß Unglück begegnet wäre, oder als wenn er das Heimweh hätte, oder so etwas, und sah nicht, daß jemand in der Stube ist. Die Frau aber ging leise auf ihn zu, und fragte ihn: »Was ist Euch begegnet, Herr Sergeant, und warum seid Ihr so traurig?« Da sah sie der Mann mit einem Blick voll Tränen an, und sagte: die Oberzüge dieses Bettes, in dem er heute nacht geschlafen habe, haben vor 18 Jahren seinen Eltern in Champagne angehört, die in der Plünderung alles verloren haben und zu armen Leuten geworden sein, und jetzt denke er an alles, und sein Herz sei voll Tränen. Denn er war der Sohn des geplünderten Mannes in Champagne, und kannte die Überzüge noch, und die roten Namensbuchstaben, womit sie die Mutter gezeichnet hatte, waren ja auch noch daran. Da erschrak die gute Frau, und sagte, daß sie dieses Bettzeug von einem braunen Husaren gekauft habe, der noch hier in Neiße lebe, und sie könne nichts dafür. Da stand der Franzose auf, und ließ sich in das Haus des Husaren führen, und kannte ihn wieder.
»Denkt Ihr noch daran«, sagte er zu dem Husaren, »wie Ihr vor 18 Jahren einem unschuldigen Mann in Champagne Hab und Gut, und zuletzt auch noch das Bett aus dem Hause getragen habt, und habt keine Barmherzigkeit gehabt, als Euch ein achtjähriger Knabe um Schonung anflehte; und an meine Schwester?« Anfänglich wollte der alte Sünder sich entschuldigen, es gehe bekanntlich im Krieg nicht alles wie es soll, und was der eine liegenlasse, hole doch ein anderer; und lieber nehme man's selber. Als er aber merkte, daß der Sergeant der nämliche sei, dessen Eltern er geplündert und mißhandelt hatte; und als er ihn an seine Schwester erinnerte, versagte ihm vor Gewissensangst und Schrecken die Stimme, und er fiel vor dem Franzosen auf die zitternde Knie nieder, und konnte nichts mehr herausbringen, als: »
Pardon
!« dachte aber: Es wird nicht viel helfen.
Der geneigte Leser denkt vielleicht auch: »Jetzt wird der Franzos den Husaren zusammenhauen«, und freut sich schon darauf. Allein das könnte mit der Wahrheit nicht bestehen. Denn wenn das Herz bewegt ist, und vor Schmerz fast brechen will, mag der Mensch keine Rache nehmen. Da ist ihm die Rache zu klein und verächtlich, sondern er denkt: Wir sind in Gottes Hand, und will nicht Böses mit Bösem vergelten. So dachte der Franzose auch, und sagte: »Daß du mich mißhandelt hast, das verzeihe ich dir. Daß du meine Eltern mißhandelt und zu armen Leuten gemacht hast, das werden dir meine Eltern verzeihen. Daß du meine Schwester in den Brunnen geworfen hast, und ist nimmer davongekommen, das verzeihe dir Gott.« – Mit diesen Worten ging er fort, ohne dem Husaren das Geringste zuleide zu tun, und es ward ihm in seinem Herzen wieder wohl. Dem Husaren aber war es nachher zumut, als wenn er vor dem Jüngsten Gericht gestanden wäre, und hätte keinen guten Bescheid bekommen. Denn er hatte von der Zeit an keine ruhige Stunde mehr, und soll nach einem Vierteljahr gestorben sein.
Merke
: Man muß in der Fremde nichts tun, worüber man sich daheim nicht darf finden lassen.
Merke
: Es gibt Untaten, über welche kein Gras wächst.
[1809]
Was in einer großen Stadt draufgeht
Eine große Stadt hat einen großen Magen, und braucht im Winter einen großen Ofen. In Wien aber sind in einem Jahr vom 1. November 1806 bis dahin 1807 geschlachtet und verspeist worden: 66 795 Ochsen, 2 133 Kühe, 75 092 Kälber, 47 000 Schafe, 120 000 Lämmer, 71 800 Schweine.
Viel Fleisch kostet viel Brot
. Daher wurden verbraucht: 487 000 Zentner Weißmehl, 408 000 Zentner gemein Mehl.
Zu einem guten Bissen gehört ein guter Trunk
. Also ist getrunken worden 522 400 Maß Wein, 674 000 Maß Bier.
Etwas Gutes ißt und trinkt man gern in einer warmen Stube
. Sind verbrannt worden, 281 000 Klafter Holz, und 156 000 Meß Steinkohlen.
So viel kann draufgehen in einer Stadt. Und wird doch noch hie und da einer hungrig ins Bett gegangen, und an manchem Fenster Eiszäpflein gehangen sein.
Und an manchem vollen Tisch ist einer gesessen, und hat nicht essen mögen vor Betrübnis; und in manchen Becher voll köstlichen Ungarweins ist auch eine Träne gefallen.
[1809]
Ein Wort gibt das andere
Ein reicher Herr im Schwabenland schickte seinen Sohn nach Paris, daß er sollte Französisch lernen, und ein wenig gute Sitten. Nach einem Jahr oder drüber kommt der Knecht aus des Vaters Haus auch nach Paris. Als der junge Herr den Knecht erblickte, rief er voll Staunen und Freude aus: »Ei Hans, wo führt dich der Himmel her? Wie steht es zu Hause, und was gibt's Neues?« – »
Nicht viel Neues, Herr Wilhelm, als daß vor 10 Tagen Euer schöner Rabe krepiert ist, den Euch vor einem Jahr der Weidgesell geschenkt hat.«
»O das arme Tier«, erwiderte Herr Wilhelm. »Was hat ihm denn gefehlt?«
»Drum hat er zuviel Luder gefressen, als unsere schönen Pferde fielen, eins nach dem andern. Ich hab's gleich gesagt.«
»Wie! Meines Vaters vier schöne Mohrenschimmel sind gefallen?« fragte der Herr Wilhelm. »Wie ging das zu?«
»Drum sind sie zu sehr angestrengt worden mit Wasserführen, als uns Haus und Hof verbrannte, und hat doch nichts geholfen.«
»Um Gottes willen!« rief der Herr Wilhelm voll Schrecken aus. »Ist unser schönes Haus verbrannt? Wann das?«
»Drum hat man nicht aufs Feuer achtgegeben an Ihres Herrn Vaters seliger Leiche, und ist bei Nacht begraben worden mit Fackeln. So ein Fünklein ist bald verzettelt.«
»Unglückselige Bottschaft!« rief voll Schmerz der Herr Wilhelm aus. »Mein Vater tot? Und wie geht's meiner Schwester?«
»Drum eben hat sich Ihr Herr Vater seliger zu Tod gegrämt, als Ihre Jungfer Schwester ein Kindlein gebar, und hatte keinen Vater dazu. Es ist ein Büblein.
Sonst gibt's just nicht viel Neues«
, setzte er hinzu.
[1809]
Moses Mendelson
Moses Mendelson war jüdischer Religion, und Handlungsbedienter bei einem Kaufmann, der das Pulver nicht soll erfunden haben. Dabei war er aber ein sehr frommer und weiser Mann, und wurde daher von den angesehensten und gelehrtesten Männern hochgeachtet und geliebt. Und das ist recht. Denn man muß um des Bartes willen den Kopf nicht verachten, an dem er wächst. Dieser Moses Mendelson gab unter anderm von der Zufriedenheit mit seinem Schicksal folgenden Beweis. Denn als eines Tages ein Freund zu ihm kam, und er eben an einer schweren Rechnung schwitzte, sagte dieser: »Es ist doch schade, guter Moses, und ist unverantwortlich, daß ein so verständiger Kopf, wie Ihr seid, einem Manne ums Brot dienen muß, der Euch das Wasser nicht bieten kann. Seid Ihr nicht am kleinen Finger gescheider, als der am ganzen Körper, so groß er ist?« Einem andern hätt das im Kopf gewurmt, er hätte Feder und Dintenfaß mit ein paar Flüchen hinter den Ofen geworfen, und seinem Herrn aufgekündet auf der Stelle. Aber der verständige Mendelson ließ das Dintenfaß stehen, steckte die Feder hinter das Ohr, sah seinen Freund ruhig an, und sprach zu ihm also: »Das ist recht gut, wie es ist, und von der Vorsehung weise ausgedacht. Denn so kann mein Herr von meinen Diensten viel Nutzen ziehn, und ich habe zu leben. Wäre ich der Herr, und er mein Schreiber, ihn könnte ich nicht brauchen.«
[1809]
Ein teurer Kopf und ein wohlfeiler
Als der letzte König von Polen noch regierte, entstand gegen ihn eine Empörung, was nichts Seltenes war. Einer von den Rebellen, und zwar ein polnischer Fürst, vergaß sich so sehr, daß er einen Preis von 20 000 Gulden auf den Kopf des Königs setzte. Ja, er war frech genug, es dem König selber zu schreiben, entweder, um ihn zu betrüben oder zu erschrecken. Der König aber schrieb ihm ganz kaltblütig zur Antwort: »Euern Brief habe ich empfangen und gelesen. Es hat mir einiges Vergnügen gemacht, daß mein Kopf bei Euch noch etwas gilt. Denn ich kann Euch versichern, für den Eurigen gäb ich keinen roten Heller.«
[1809]
Teure Eier
Als zu seiner Zeit ein fremder Fürst nach Frankreich reiste, wurde es ihm unterwegs öde im Magen, und ließ sich in einem gemeinen Wirtshaus, wo sonst dergleichen Gäste nicht einkehren, drei gesottene Eier geben. Als er damit fertig war, fordert der Wirt dafür 300 Livres. Der Fürst fragte: ob denn hier die Eier so rar seien. Der Wirt lächelte, und sagte: »Nein, die Eier nicht, aber die großen Herrn, die so etwas dafür bezahlen können.« Der Fürst lächelte auch, und gab das Geld, und das war gut. Als aber der damalige König von Frankreich von der Sache hörte, (es wurde ihm als ein Spaß erzählt,) nahm er's sehr übel, daß ein Wirt in seinem Reich sich unterstand, solche unverschämte Überforderungen zu machen, und sagte dem Fürsten: »Wenn Sie auf Ihrer Rückreise wieder an dem Wirtshaus vorbeifahren, werden Sie sehen, daß Gerechtigkeit in meinem Lande herrscht.« Als der Fürst auf seiner Rückreise wieder an dem Wirtshaus vorbeifuhr, sah er keinen Schild mehr dran, aber die Türen und Fenster waren zugemauert, und das war auch gut.
[1809]
Die drei Diebe
Der geneigte Leser wird ermahnt, nicht alles für wahr zu halten, was in dieser Erzählung vorkommt. Doch ist sie in einem schönen Buch beschrieben, und zu Vers gebracht.
Der Zundelheiner und der Zundelfrieder trieben von Jugend auf das Handwerk ihres Vaters, der bereits am Auerbacher Galgen mit des Seilers Tochter kopuliert war, nämlich mit dem Strick; und ein Schulkamerad, der rote Dieter, hielt's auch mit, und war der jüngste. Doch mordeten sie nicht, und griffen keine Menschen an, sondern visitierten nur so bei Nacht in den Hühnerställen, und wenn's Gelegenheit gab, in den Küchen, Kellern und Speichern, allenfalls auch in den Geldtrögen, und auf den Märkten kauften sie immer am wohlfeilsten ein. Wenn's aber nichts zu stehlen gab, so übten sie sich untereinander mit allerlei Aufgaben und Wagstücken, um im Handwerk weiterzukommen. Einmal im Wald sieht der Heiner auf einem hohen Baum einen Vogel auf dem Nest sitzen, denkt, er hat Eier, und fragt die andern: »Wer ist imstand, und holt dem Vogel dort oben die Eier aus dem Nest, ohne daß es der Vogel merkt?« Der Frieder, wie eine Katze, klettert hinauf, naht sich leise dem Nest, bohrt langsam ein Löchlein unten drein, läßt ein Eilein nach dem andern in die Hand fallen, flickt das Nest wieder zu mit Moos, und bringt die Eier. – »Aber wer dem Vogel die Eier wieder unterlegen kann«, sagte jetzt der Frieder, »ohne daß es der Vogel merkt?« Da kletterte der Heiner den Baum hinan, aber der Frieder kletterte ihm nach, und während der Heiner dem Vogel langsam die Eier unterschob, ohne daß es der Vogel merkte, zog der Frieder dem Heiner langsam die Hosen ab, ohne daß es der Heiner merkte. Da gab es ein groß Gelächter, und die beiden andern sagten: »Der Frieder ist der Meister.« Der rote Dieter aber sagte: »Ich, sehe schon, mit euch kann ich's nicht zugleich tun, und wenn's einmal zu bösen Häusern geht, und der Unrechte kommt über uns, so ist's mir nimmer Angst für euch, aber für mich.« Also ging er fort, wurde wieder ehrlich, und lebte mit seiner Frau arbeitsam und häuslich. Im Spätjahr, als die zwei andern noch nicht lang auf dem Roßmarkt ein Rößlein gestohlen hatten, besuchten sie einmal den Dieter, und fragten ihn, wie es ihm gehe, denn sie hatten gehört, daß er ein Schwein geschlachtet, und wollten ein wenig achtgeben, wo es liegt. Es hing in der Kammer an der Wand. Als sie fort waren, sagte der Dieter: »Frau, ich will das Säulein in die Küche tragen, und die Mulde drauf decken, sonst ist es morgen nimmer unser.« In der Nacht kommen die Diebe, brechen, so leise sie können, die Mauer durch, aber die Beute war nicht mehr da. Der Dieter merkt etwas, steht auf, geht um das Haus, und sieht nach. Unterdessen schleicht der Heiner um das andere Eck herum ins Haus bis zum Bett, wo die Frau lag, nimmt ihres Mannes Stimme an, und sagt: »Frau, die Sau ist nimmer in der Kammer.« Die Frau sagt: »Schwätz nicht so einfältig! Hast du sie nicht selber in die Küche unter die Mulde getragen?« »Ja so«, sagte der Heiner, »drum bin ich halb im Schlaf«, und ging, holte das Schwein, und trug es unbeschrien fort, wußte in der finstern Nacht nicht, wo der Bruder ist, dachte, er wird schon kommen an den bestellten Platz im Wald. Und als der Dieter wieder ins Haus kam, und nach dem Säulein greifen will, »Frau«, rief er, »jetzt haben's die Galgenstricke doch geholt.« Allein, so geschwind gab er nicht gewonnen, sondern setzte den Dieben nach, und als er den Heiner einholte, (es war schon weit vom Hause weg,) und als er merkte, daß er allein sei, nahm er schnell die Stimme des Frieders an, und sagte: »Bruder, laß jetzt mich das Säulein tragen, du wirst müd sein.« Der Heiner meint, es sei der Bruder, und gibt ihm das Schwein, sagt, er wolle vorausgehen in den Wald und ein Feuer machen. Der Dieter aber kehrte hinter ihm um, sagte für sich selber: »Hab ich dich wieder, du liebes Säulein?« und trug es heim. Unterdessen irrte der Frieder in der Nacht herum, bis er im Wald das Feuer sah, und kam, und fragte den Bruder: »Hast du die Sau, Heiner?« Der Heiner sagte: »Hast du sie denn nicht, Frieder?« Da schauten sie einander mit großen Augen an, und hätten kein so prasselndes Feuer von buchenen Spänen gebraucht zum Nachtkochen. Aber desto schöner prasselte jetzt das Feuer daheim in Dieters Küche. Denn das Schwein wurde sogleich nach der Heimkunft verhauen, und Kesselfleisch über das Feuer getan. Denn der Dieter sagte: »Frau, ich bin hungerig, und was wir nicht beizeiten essen, holen die Schelme doch.« Als er sich aber in einen Winkel legte, und ein wenig schlummerte, und die Frau kehrte mit der eisernen Gabel das Fleisch herum, und schaute einmal nach der Seite, weil der Mann im Schlaf so seufzte, kam eine zugespitzte Stange langsam durch das Kamin herab, spießt das beste Stück im Kessel an, und zog's herauf; und als der Mann im Schlaf immer ängstlicher winselte, und die Frau immer emsiger nach ihm sah, kam die Stange zum zweitenmal; und als die Frau den Dieter weckte: »Mann, jetzt wollen wir anrichten«, da war der Kessel leer, und wär ebenfalls kein großes Feuer nötig gewesen zum Nachtkochen. Als sie aber beide schon im Begriff waren, hungerig ins Bett zu gehen, und dachten: Will der Henker das Säulein holen, so können wir's ja doch nicht heben, da kamen die Diebe vom Dach herab, durch das Loch der Mauer in die Kammer, und aus der Kammer in die Stube, und brachten wieder, was sie gemaust hatten. Jetzt ging ein fröhliches Leben an. Man aß und trank, man scherzte und lachte, als ob man gemerkt hätte, es sei das letztemal, und war guter Dinge, bis der Mond im letzten Viertel über das Häuslein wegging, und zum zweitenmal im Dorf die Hahnen krähten, und von weitem der Hund des Metzgers bellte. Denn die Strickreiter waren auf der Spur, und als die Frau des roten Dieters sagte: »Jetzt ist's einmal Zeit ins Bett«, kamen die Strickreiter von wegen des gestohlenen Rößleins, und holten den Zundelheiner und den Zundelfrieder in den Turm und in das Zuchthaus.
[1809]
Suwarow
Der Mensch muß eine Herrschaft über sich selber ausüben können, sonst ist er kein braver und achtungswürdiger Mensch, und was er einmal für allemal als recht erkennt, das muß er auch tun, aber nicht einmal für allemal, sondern immer. Der russische General Suwarow, den die Türken und Polaken, die Italiener und die Schweizer wohl kennen, der hielt ein scharfes und strenges Kommando. Aber was das vornehmste war, er stellte sich unter sein eigenes Kommando, als wenn er ein anderer, und nicht der Suwarow selber wäre, und sehr oft mußten ihm seine Adjutanten dies und jenes in seinem eigenen Namen befehlen, was er alsdann pünktlich befolgte. Einmal war er wütend aufgebracht über einen Soldaten, der im Dienst etwas versehen hatte, und fing schon an, ihn zu prügeln. Da faßte ein Adjutant das Herz, dachte, er wolle dem General und dem Soldaten einen guten Dienst erweisen, eilte herbei, und sagte:
»Der General Suwarow hat befohlen, man solle sich nie vom Zorn übernehmen lassen
.« Sogleich ließ Suwarow nach, und sagte: »Wenn's der General befohlen hat, so muß man gehorchen.«
[1809]
Klein und groß
In Asien, in dem Gebirge Taurus und an andern Orten lebt eine Art von wilden Schafen,
Argali
genannt, die sind sehr groß, stark und scheu, und haben sehr große Hörner. Wenn ein solches Tier im Kampf oder durch ein anderes Unglück ein Horn verliert, was jezuweilen geschieht, so kommt es den dortigen Füchslein zugut. Diese haben alsdann nicht nötig, einen Bau in die Erde zu graben, meinen, das Horn sei wegen ihnen da, schlupfen hinein, und wohnen darin. Worüber muß man sich mehr verwundern, über die großen Hörner oder über die kleinen Füchse?
Die kleinsten Vögel, die man kennt, heißen Kolibri. Sie sind in Südamerika daheim, haben wunderschöne Farben von Gold- und Silberglanz, legen Eilein, so nicht größer sind, als eine Erbse; und werden nicht mit Schroten geschossen, sondern mit kleinen Sandkörnlein, weil sonst nichts Ganzes an ihnen bliebe. Neben ihnen wohnt eine Spinne, die ist so groß, daß sie diese armen Tierlein wie Mucken fängt und aussaugt. Doch das weiß der geneigte Leser schon, denn er ist ein belesener Mann.
Andern Respekt flößt der Herr Lämmergeier seiner Nachbarschaft ein, der in den Tiroler- und Schweizergebirgen daheim ist. Denn mit seinen ausgespannten Flügeln bedeckt er eine Länge von 8 bis 9 Fuß, und ist stark genug, Gemsen, Ziegen und Kinder anzupacken, zu überwältigen und davonzutragen.
Der größte unter allen Vögeln, die fliegen können, ist der Kondur, ein Landsmann des Kolibri. Dieser mißt mit ausgespannten Flügeln 16 Fuß, seine Flügelfedern sind vorne fingersdick, also, daß man schön Fraktur damit schreiben könnte; und das Rauschen seiner Flügel gleicht einem fernen Donner.
Aber der allergrößte Vogel ist der Strauß in den Wüsteneien von Asien und Afrika, der aber wegen seiner Schwere und wegen der Kürze seiner Fittige gar nicht fliegen kann, sondern immer muß auf der Erde bleiben. Doch trägt er seinen Kopf 9 bis 10 Fuß hoch in der Luft, kann weit herum schauen, und könnte, wie ein guter Freund neben einem Reiter auf seinem Roß herlaufen und mit ihm reden, wenn ihm nicht Vernunft und Sprache versagt wären.
In Asien lebt eine Art von Hirschen, Zwerghirschlein genannt, deren Füßlein sind fingerslang, und so dünn, wie der Stiel einer kölnischen Tabakspfeife. Das Spitzmäuslein, ebenfalls in Asien, wiegt ein halbes Quintlein, und ist das kleinste unter allen bekannten Tieren, die auf 4 Beinen gehen und ihre Jungen säugen. Der Elefant aber ist 12 bis 14 Fuß hoch, 15 bis 17 Fuß lang, wiegt seine 7 000 Pfund; und ein fleißiger Schüler soll mir ausrechnen: Wieviel Spitzmäuslein müßte man haben, die zusammen so schwer sind, als ein einziger Elefant?
Das kleinste Tierlein auf der Erde hat auch mit dem stärksten Vergrößerungsglas wohl noch kein Mensch gesehen. Aber das größte ist der Walfisch, der bis zu einer Länge von 120 Fuß wachsen kann, und seine 1 000 Zentner und drüber wiegt.
In den fabelhaften Zeiten hat man geglaubt, daß es eine ganze Nation von Menschen gehe, die von dem Boden weg nur 2 Fuß hoch seien. Der Lügenprophet Mahomet aber behauptete einmal, er habe den Erzengel Gabriel gesehen, und es sei von seinem rechten Auge über den Nasenwinkel bis zum linken, ein Zwischenraum von 70 000 Tagreisen.
[1809]
Hohes Alter
In Schottland gibt es Leute, welche sehr alt werden. Ein Reisender begegnete einmal einem betagten Sechziger, welcher schluchzte. Auf die Frage, was ihm fehle, sagte dieser: der Vater habe ihm eine Ohrfeige gegeben. Das kam dem Fremden fast unglaublich vor, daß ein Mann von solchen Jahren noch einen Vater am Leben haben, und noch unter seiner Zucht stehen soll. Als er ihn aber nach der Ursache der Ohrfeige fragte, so sagte der Sechziger: drum habe er den Großvater schier fallen lassen, als er ihm habe sollen ins Bett helfen. Als das der Fremde hörte, ließ er sich von dem Mann ins Haus führen, ob es auch so sei, wie er sagte. Ja, es war so. Der Bube war 62 Jahr alt, der Vater 96, und der Großvater 130. Und der Fremde sagte nachher, als er es wieder erzählte, es werde einem ganz kurios zumute, wenn man so 288 Jahre unter drei Hüten beieinander sehe.
[1809]
Kaiser Napoleon und die Obstfrau in Brienne
Der große Kaiser Napoleon brachte seine Jugend, als Zögling, in der Kriegsschule zu Brienne zu, und wie? Das lehrten in der Folge seine Kriege, die er führte, und seine Taten. Da er gerne Obst aß, wie die Jugend pflegt, so bekam eine Obsthändlerin daselbst manchen schönen Batzen von ihm zu lösen. Hatte er je einmal kein Geld, so borgte sie. Bekam er Geld, so bezahlte er. Aber als er die Schule verließ, um nun als kenntnisreicher Soldat auszuüben, was er dort gelernt hatte, war er ihr doch einige Taler schuldig. Und, als sie das letztemal ihm einen Teller voll saftiger Pfirsiche oder süßer Trauben brachte, »Fräulein«, sagte er, »jetzt muß ich fort, und kann Euch nicht bezahlen. Aber Ihr sollt nicht vergessen sein.« Aber die Obstfrau sagte: »O reisen Sie wegen dessen ruhig ab, edler, junger Herr. Gott erhalte Sie gesund, und mache aus Ihnen einen glücklichen Mann.«
Allein auf einer solchen Laufbahn, wie diejenige war, welche der junge Krieger jetzt betrat, kann doch auch der beste Kopf so etwas vergessen, bis zuletzt das erkenntliche Gemüt ihn wieder daran erinnert. Napoleon wird in kurzer Zeit General, und erobert Italien. Napoleon geht nach Ägypten, wo einst die Kinder Israel das Zieglerhandwerk trieben, und liefert ein Treffen bei Nazareth, wo vor 1800 Jahren die hochgelobte Jungfrau wohnte. Napoleon kehrt mitten durch ein Meer voll feindlicher Schiffe nach Frankreich und Paris zurück, und wird erster Konsul. Napoleon stellt in seinem unglücklich gewordenen Vaterlande die Ruhe und Ordnung wieder her, und wird französischer Kaiser, und noch hatte die gute Obstfrau in Brienne nichts, als sein Wort: »Ihr sollt nicht vergessen sein!« Aber ein Wort noch immer so gut, als bares Geld, und besser. Denn als der Kaiser in Brienne einmal erwartet wurde, er war aber in der Stille schon dort, und mag wohl sehr gerührt gewesen sein, wenn er da an die vorige Zeit gedachte, und an die jetzige, und wie ihn Gott in so kurzer Zeit, und durch so viele Gefahren unversehrt bis auf den neuen Kaiserthron geführt hatte, da blieb er auf der Gasse plötzlich stille stehen, legte den Finger an die Stirne, wie einer, der sich auf etwas besinnt, nannte bald darauf den Namen der Obstfrau, erkundigte sich nach ihrer Wohnung, so ziemlich baufällig war, und trat mit einem einzigen treuen Begleiter zu ihr hinein. Eine enge Türe führte ihn in ein kleines, aber reinliches Zimmer, wo die Frau mit zwei Kindern am Kamin kniete, und ein sparsames Abendessen bereitete.
»Kann ich hier etwas zur Erfrischung haben?« so fragte der Kaiser. – »Ei ja!« erwiderte die Frau, »die Melonen sind reif«, und holte eine. Während die zwei fremden Herren die Melone verzehrten, und die Frau noch ein paar Reiser an das Feuer legte, »kennt Ihr denn den Kaiser auch, der heute hier sein soll?« fragte der eine. »Er ist noch nicht da«, antwortete die Frau, »er kommt erst. Warum soll ich ihn nicht kennen? Manchen Teller und manches Körbchen voll Obst hat er mir abgekauft, als er noch hier in der Schule war.« – »Hat er denn auch alles ordentlich bezahlt?« – »Ja freilich, er hat alles ordentlich bezahlt.« Da sagte zu ihr der fremde Herr: »Frau, Ihr geht nicht mit der Wahrheit um, oder Ihr müßt ein schlechtes Gedächtnis haben. Fürs erste, so kennt Ihr den Kaiser nicht. Denn ich bin's. Fürs andere hab ich Euch nicht so ordentlich bezahlt, als Ihr sagt, sondern ich bin Euch zwei Taler schuldig oder etwas«; und in diesem Augenblick zählte der Begleiter auf den Tisch eintausendundzweihundert Franken, Kapital und Zins. Die Frau, als sie den Kaiser erkannte, und die Goldstücke auf dem Tisch klingeln hörte, fiel ihm zu Füßen, und war vor Freude und Schrecken und Dankbarkeit ganz außer sich, und die Kinder schauen auch einander an, und wissen nicht, was sie sagen sollen. Der Kaiser aber befahl nachher, das Haus niederzureißen, und der Frau ein anderes an den nämlichen Platz zu bauen. »In diesem Hause«, sagte er, »will ich wohnen, sooft ich nach Brienne komme, und es soll meinen Namen führen.« Der Frau aber versprach er, er wolle für ihre Kinder sorgen.
Wirklich hat er auch die Tochter derselben bereits ehrenvoll versorgt, und der Sohn wird auf kaiserliche Kosten in der nämlichen Schule erzogen, aus welcher der große Held selber ausgegangen ist.
[1809]
Das Bombardement von Kopenhagen
In der ganzen gefahrvollen Zeit von 1789 an, als ein Land nach dem andern entweder in die Revolution oder in einen blutigen Krieg gezogen wurde, hatte sich das Königreich Dänemark teils durch seine Lage, teils durch die Weisheit seiner Regierung den Frieden erhalten. Sie lebte niemand zulieb und niemand zuleid, dachte nur darauf, den Wohlstand der Untertanen zu vermehren, und wurde deswegen von allen Mächten in Ehren gehalten. Als aber im Jahr 1807 der Engländer sah, daß Rußland und Preußen von ihm abgegangen sei, und mit dem Feind Frieden gemacht habe, und, daß die Franzosen in allen Häfen und festen Plätzen an der Ostsee Meister sind, und die Sache schlimm gehen kann, wenn sie auch noch sollten nach Dänemark kommen, sagte er kein Wort, sondern ließ eine Flotte auslaufen, und niemand wußte wohin. Als aber die Flotte im Sund und an der dänischen Küste und vor der königlichen Haupt- und Residenzstadt Kopenhagen stand, und alles sicher und ruhig war, so machten die Engländer Bericht nach Kopenhagen hinein: »Weil wir so gute Freunde zusammen sind, so geht uns gutwillig bis zum Frieden eure Flotte, damit sie nicht in des Feindes Hände kommt, und die Festung. Denn es wäre uns entsetzlich leid, wenn wir euch müßten die Stadt über dem Kopf zusammenschießen.« Als wenn ein Bürgersmann oder Bauer mit einem andern einen Prozeß hat, und kommt in der Nacht mit seinen Knechten einem Nachbarn vor das Bette, und sagt: »Nachbar, weil ich mit meinem Gevattermann einen Prozeß habe, so müßt Ihr mir bis Ausgangs der Sache Eure Rosse in meine Verwahrung geben, daß mein Gegenpart nicht kann darauf zu den Advokaten reiten, sonst zünd ich Euch das Haus an, und müßt mir erlauben, daß ich an der Straße mit meinen Knechten in Euer Kornfeld stehe, auf daß, wenn der Gevattermann auf seinem eigenen Roß zum Hofgericht reiten will, so verrenn ich ihm den Weg.« Der Nachbar sagt: »Laßt mir mein Haus unangezündet! Was gehn mich eure Händel an?« Und so sagten die Dänen auch. Als aber der Engländer fragte: »Wollt ihr gutwillig oder nicht?« und die Dänen sagten: »Nein, wir wollen nicht gutwillig!« so stieg er mit seinen Landungstruppen ans Ufer, rückte immer näher gegen die Hauptstadt, richtete Batterien auf, führte Kanonen drein, und sagte am 2. September nach dem Frieden von Tilsit: jetzt sei die letzte Frist. Allein alle Einwohner von Kopenhagen und die ganze dänische Nation sagten: das Betragen des übermütigen Feindes sei unerhört, und es wäre eine Schande, die der Belt nicht abwaschen könnte, sich durch Drohungen schrecken zu lassen, und in seine ungerechten Forderungen einzuwilligen. Nein! Da fing das fürchterliche Gericht an, das über diese arme Stadt im Schicksal beschlossen war. Denn von abends um 7 Uhr an hörte das Schießen auf Kopenhagen, mit 72 Mörsern und schweren Kanonen, die ganze Nacht hindurch 12 Stunden lang nimmer auf; und ein Satan, namens Congreve, war dabei, der hatte ein neues Zerstörungsmittel erfunden, nämlich die sogenannten Brandraketen. Das war ungefähr eine Art von Röhren, die mit brennbaren Materien angefüllt wurden, und vorne mit einem kurzen spitzigen Pfeil versehen waren. Im Schuß entzündete sich die Materie, und, wenn nun der Pfeil an etwas hinfuhr, wo er Habung hatte, so blieb er stecken, manchmal, wo niemand zukommen konnte, und die Feuermaterie zündete an, was brennen konnte. Auch diese Brandraketen flogen die ganze Nacht in das arme Kopenhagen hinein. Kopenhagen hatte damals 4000 Häuser, 85965 Einwohner, 22 Kirchen, 4 königliche Schlösser, 22 Krankenspitäler, 30 Armenhäuser, einen reichen Handel und viele Fabriken. Da kann man denken, wie mancher schöne Dachstuhl in dieser angstvollen Nacht zerschmettert wurde, wie manches bange Mutterherz sich nicht zu helfen wußte, wie manche Wunde blutete, und wie die Stimme des Gebets und der Verzweiflung, das Sturmgeläute und der Kanonendonner durcheinanderging. Am 3. September, als der Tag kam, hörte das Schießen auf; und der Engländer fragte, ob sie noch nicht wollten gewonnen geben. Der Kommandant von Kopenhagen sagte: »Nein.« Da fing das Schießen nachmittags um 4 Uhr von neuem an, und dauerte bis den 4. September mittags fort, ohne Unterlaß und ohne Barmherzigkeit. Und als der Kommandant noch nicht wollte ja sagen, fing abends das Feuer wieder an, und dauerte die ganze Nacht bis den 5. des Mittags. Da lagen mehr als 300 schöne Häuser in der Asche; ganze Kirchtürme waren eingestürzt, und noch überall wütete die Flamme. Mehr als 800 Bürger waren schon getötet und mehrere schwer verwundet. Ganz Kopenhagen sah hier einer Brandstätte, oder einem Steinhaufen, da einem Lazarett, und dort einem Schlachtfeld gleich. Als endlich der Kommandant von Kopenhagen nirgends mehr Rettung noch Hülfe, und überall nur Untergang und Verderben sah, hat er am 7. September kapituliert, und der Kronprinz hat's nicht einmal gelobt.
Das erste war, die Engländer nahmen die ganze Seeflotte von Kopenhagen in Besitz und führten sie weg; 18 Linienschiffe, 15 Fregatten und mehrere kleinere bis auf eine Fregatte, welche der König von England ehmals dem König von Dänemark zum Geschenk gemacht hatte, als sie noch Freunde waren. Diese ließen sie zurück. Der König von Dänemark schickte sie ihnen aber auch nach, und will nichts Geschenktes mehr zum Andenken haben. Im Land selbst und auf den Schiffen hausten die Engländer als böse Feinde, denn der Soldat weiß nicht, was er tut, sondern denkt: Wenn sie es nicht verdient hätten, so führte man keinen Krieg mit ihnen. Zum Glück dauerte ihr Aufenthalt nicht lange; denn sie schifften sich am 19. Oktober wieder ein, und fuhren am 21. mit der dänischen Flotte und dem Raub davon; und der Congreve ist unterwegs ertrunken, und hat Frau und Kinder nimmer gesehen. Von dem an hielten die Dänen gemeinschaftlich mit den Franzosen, und Kaiser Napoleon will nicht eher mit den Engländern Friede machen, als bis sie die Schiffe wieder zurückgegeben, und Kopenhagen bezahlt haben. Dies ist das Schicksal von Dänemark, und die Freunde der Engländer sagen: es sei nicht so schlimm gemeint gewesen. Andre aber sagen: es hätte nicht können schlimmer sein, und die Dänen meinen's auch.
[1809]
Fürchterlicher Kampf
eines Menschen mit einem Wolf
In Frankreich ist ein Departement, heißt Goldhügel. In diesem Departement befindet sich eine kleine Landschaft, genannt Saulieu, (mußt lesen Soliö). Diese Landschaft bekam im März des Jahrs 1807 einen schlimmen Besuch von einem reißenden Tier, wie man noch keines daselbst gesehen hatte, hierzuland auch nicht. Es hatte Ähnlichkeit mit einem Wolf, wird auch einer gewesen sein. Doch hatte es eine kürzere Schnauze als ein gemeiner Wolf, war lang und mager und mit langen dunkelgrünen Haaren besetzt. Diese grausame und blutgierige Bestie wütete mehrere Tage lang zum Schrecken der Einwohner in dem Lande herum, griff Menschen und Tiere an, wagte sich sogar am 30. März am hellen Tag auf der Landstraße an die Reisenden, zerriß einen Konskribierten, zerfleischte zwei Mägdlein und einen Knaben und blieb selbige Nacht nahe bei dem Hause eines Landmannes, namens Machin, im Gebüsche über Nacht. Der gute Machin, der an eine solche Schildwache vor seinem Hause nicht dachte, ging des Morgens früh um 3 Uhr, als es noch ganz finster war, aus dem Hause. Da hörte er etwas rauschen im Gebüsch, glaubte es sei die Katze, die sich vor einigen Tagen verlaufen hatte, und rief seiner Frau, die Katze sei da. Aber in dem nämlichen Augenblick springt das Untier wütend auf ihn los. Er wirft es zurück. Es kommt wieder, stellt sich auf die Hinterfüße, drückt ihn zwei Schritte weit an die Wand zurück, und packt ihn mit einem Rachen voll scharfer starker Zähne wütend an der linken Brust. Vergehens sucht er sich loszumachen. Das Tier setzt immer tiefer seine Zähne ein, und verursacht ihm die entsetzlichsten Schmerzen. Da umfaßt es der herzhafte und starke Machin mit beiden Armen, drückt es fest an sich, ringt mit ihm bis er es im Hause hat, wirft sich mit ihm auf einen Tisch, so daß das Tier unten lag, und rief seiner Frau, daß sie ein Licht anzünde. Aber Frau und Kinder wagten es nicht, sich zu nähern, und das Tier biß sich immer tiefer und tiefer in die Brust des unglücklichen Mannes ein, bis endlich die älteste Tochter von 22 Jahren sich ermannte, und mit einem Licht und einem Messer herbeieilte. Der Vater drückt so stark er kann, mit seinem Körper auf das Tier, zeigt ihr mit der linken Hand, wo sie hineinstechen müsse, daß das Ungeheuer sicher getötet werde. Noch biß sich die Bestie immer tiefer und tiefer ein, während die Tochter den kühnen und glücklichen Stich tat, und ein paarmal das Messer in der Wunde umkehrte. Aber jetzt schoß das heiße schwarze Blut wie ein Strom aus der tödlichen Wunde hervor, das Best fing an die Augen zu verdrehen, und es war ihm nicht, als wenn es noch viele Buben und Mägdlein verreißen wollte. Aber erst nachdem es sich völlig verblutet hatte, war man imstande, die Brust des braven Machin von ihm loszumachen, so fest hatte es sich mit seinen mörderischen Zähnen eingehauen. Drauf wurde das Untier vollends totgeschlagen und verlocht. Machin aber hatte doch lange an seiner Brust zu leiden und zu heilen, und sagt, er wolle sein Leben lang dran denken.
[1809]
Unglück in Kopenhagen
Das sollte man nicht glauben, daß eine Granade, die in den unglücklichen Septembertagen 1807 nach Kopenhagen geworfen wurde, noch im Juli 1808 losgehen werde. Zwei Knaben fanden sie unter der Erde. Einer von ihnen wollte sie mit einem Nagel von dem anhängenden Grunde reinigen. Plötzlich geriet sie in Brand, zersprang, tötete den einen auf der Stelle, nahm dem andern die Beine weg, und zerquetschte der Mutter, die mit einem Säugling an der Brust sorglos zusah, den Arm. Dies lehrt vorsichtig sein mit alten Granaden und Bombenkugeln.
[1809]
Merkwürdige Schicksale
eines jungen Engländers
Eines Tages reiste ein junger Engländer auf dem Postwagen zum erstenmal in die große Stadt London, wo er von den Menschen, die daselbst wohnen, keinen einzigen kannte, als seinen Schwager, den er besuchen wollte, und seine Schwester, so des Schwagers Frau war. Auch auf dem Postwagen war neben ihm niemand, als der Kondukteur, das ist, der Aufseher über den Postwagen, der auf alles achthaben, und an Ort und Stelle über die Briefe und Pakete Red und Antwort gehen muß; und die zwei Reisekameraden dachten damals nicht daran, wo sie einander das nächstemal wiedersehen würden. Der Postwagen kam erst in der tiefen Nacht in London an. In dem Posthause konnte der Fremde nicht über Nacht bleiben, weil der Postmeister daselbst ein vornehmer Herr ist, und nicht wirtet, und des Schwagers Haus wußte der arme Jüngling, in der ungeheuer großen Stadt, bei stockfinsterer Nacht, so wenig zu finden, als in einem Wagen voll Heu, eine Stecknadel. Da sagte zu ihm der Kondukteur: »Junger Herr, kommt Ihr mit mir! Ich bin zwar auch nicht hier daheim, aber ich habe, wenn ich nach London komme, bei einer Verwandten ein Stüblein, wo zwei Better stehen. Meine Base wird Euch schon beherbergen, und morgen könnt Ihr Euch alsdann nach Eures Schwagers Haus erkundigen, wo Ihr's besser finden werdet.« Das ließ sich der junge Mensch nicht zweimal sagen. Sie tranken bei der Frau Base noch einen Krug englisches Bier, aßen eine Knackwurst dazu, und legten sich dann schlafen. In der Nacht kam den Fremden eine Notdurft an, und mußt hinausgehn. Da war er schlimmer dran, als noch nie. Denn er wußte in seiner dermaligen Nachtherberge, so klein sie war, so wenig Bericht, als ein paar Stunden vorher in der großen Stadt. Zum Glück aber wurde der Kondukteur auch wach, und sagte ihm wie er gehen müsse, links und rechts, und wieder links. »Die Türe«, fuhr er fort, »ist zwar verschlossen, wenn Ihr an Ort und Stelle kommt, und wir haben den Schlüssel verloren. Aber nehmt in meinem Rockelorsack mein großes Messer mit, und schiebt es zwischen dem Türlein und dem Pfosten hinein, so springt inwendig die Falle auf! Geht nur dem Gehör nach! Ihr hört ja die Themse rauschen, und zieht etwas an, die Nacht ist kalt.« Der Fremde erwischte in der Geschwindigkeit und in der Finsternis das Kamisol des Kondukteurs, statt des seinen, zog es an, und kam glücklich an den Platz. Denn er schlug es nicht hoch an, daß er unterwegs einmal den Rang zu kurz genommen hatte, so, daß er mit der Nase an ein Eck anstieß, und wegen dem hitzigen Bier, so er getrunken hatte, entsetzlich blutete. Allein, ob dem starken Blutverlust und der Verkältung bekam er eine Schwäche und schlief ein. Der nachtfertige Kondukteur wartete und wartete, wußte nicht, wo sein Schlafkamerad so lange bleibt, bis er auf der Gasse einen Lärm vernahm, da fiel ihm im halben Schlaf der Gedanke ein: Was gilt's, der arme Mensch ist an die Haustüre kommen, ist auf die Gasse hinausgegangen, und
gepreßt
worden. Denn wenn die Engländer viel Volk auf ihre Schiffe brauchen, so gehen unversehens bestellte starke Männer nachts in den gemeinen Wirtsstuben, in verdächtigen Häusern und auf der Gasse herum, und wer ihnen alsdann in die Hände kommt und tauglich ist, den fragen sie nicht lange, »Landsmann, wer bist du?« oder »Landsmann, wer seid Ihr?« sondern machen kurzen Prozeß, schleppen ihn, – gern oder ungern, – fort auf die Schiffe, und Gott befohlen! Solch eine nächtliche Menschenjagd nennt man
Pressen;
und deswegen sagte der Kondukteur: »Was gilt's, er ist gepreßt worden!« – In dieser Angst sprang er eilig auf, warf seinen Rockelor um sich, und eilte auf die Gasse, um womöglich den armen Schelm zu retten. Als er aber eine Gasse und zwei Gassen weit dem Lärmen nachgegangen war, fiel er selber den Pressern in die Hände, wurde auf ein Schiff geschleppt, – ungern – und den andern Morgen weiters. Weg war er. Nachher kam der junge Mensch im Hause wieder zu sich, eilte, wie er war, in sein Bette zurück, ohne den Schlafkameraden zu vermissen, und schlief bis in den Tag. Unterdessen wurde der Kondukteur, um 8 Uhr auf der Post erwartet, und als er immer und immer nicht kommen wollte, wurde ein Postbedienter abgeschickt, ihn zu suchen. Der fand keinen Kondukteur, aber einen Mann mit blutigem Gewand im Bett liegen, auf dem Gang ein großes offenes Messer, Blut bis auf den Abtritt, und unten rauschte die Themse. Da fiel ein böser Verdacht auf den blutigen Fremdling, er habe den Kondukteur ermordet und in das Wasser geworfen. Er wurde in ein Verhör geführt, und als man ihn visitierte und in den Taschen des Kamisols, das er noch immer anhatte, einen ledernen Geldbeutel fand, mit dem wohlbekannten silbernen Petschaftring des Kondukteurs am Riemen befestigt, da war es um den armen Jüngling geschehn. Er berief sich auf seinen Schwager, – man kannte ihn nicht – auf seine Schwester, man wußte von ihr nichts. Er erzählte den ganzen Hergang der Sache, wie er selber sie wußte. Aber die Blutrichter sagten: »Das sind blaue Nebel, und
Ihr werdet gehenkt.«
Und wie gesagt, so geschehn, noch am nämlichen Nachmittag nach engländischem Recht und Brauch. Mit dem engländischen Brauch aber ist es so: Weil in London der Spitzbuben viele sind, so macht man mit denen, die gehenkt werden, kurzen Prozeß, und bekümmern sich nicht viele Leute darum, weil man's oft sehen kann. Die Missetäter, so viel man auf einmal hat, werden auf einen breiten Wagen gesetzt, und bis unter den Galgen geführt. Dort hängt man den Strick in den bösen Nagel ein, fährt alsdann mit dem Wagen unter ihnen weg, läßt die schönen Gesellen zappeln, und schaut nicht um. Allein in England ist das Hängen nicht so schimpflich wie bei uns, sondern nur tödlich. Deswegen kommen nachher die nächsten Verwandten des Missetäters, und ziehn so lange unten an den Beinen, bis der Herr Vetter oben erstickt. Aber unserm Fremdling tat niemand diesen traurigen Dienst der Liebe und Freundschaft an, bis abends ein junges Ehepaar, Arm in Arm, auf einem Spaziergang von ungefähr über den Richtplatz wandelte, und im Vorbeigehen nach dem Galgen schaute. Da fiel die Frau, mit einem lauten Schrei des Entsetzens, in die Arme ihres Mannes: »Barmherziger Himmel, da hängt unser Bruder!« Aber noch größer wurde der Schrecken, als der Gehenkte bei der bekannten Stimme seiner Schwester die Augenlider aufschlug, und die Augen fürchterlich drehte. Denn er lebte noch, und das Ehepaar, das vorüberging, war die Schwester und der Schwager. Der Schwager aber, der ein entschlossener Mann war, verlor die Besinnung nicht, sondern dachte in der Stille auf Rettung. Der Platz war entlegen, die Leute hatten sich verlaufen, und um Geld und gute Worte gewann er ein paar beherzte und vertraute Pursche, die nahmen den Gehenkten, mir nichts dir nichts, ab, als wenn sie das Recht dazu hätten, und brachten ihn glücklich und unbeschrieen in des Schwagers Haus. Dort ward er in wenig Stunden wieder zu sich gebracht, bekam ein kleines Fieber, und wurde unter der lieben Pflege seiner getrösteten Schwester bald wieder völlig gesund. Eines Abends aber sagte der Schwager zu ihm: »Schwager! Ihr könnt nun in dem Land nicht bleiben. Wenn Ihr entdeckt werdet, so könnt Ihr noch einmal gehenkt werden, und ich dazu. Und, wenn auch nicht, so habt Ihr ein Halsband an Eurem Hals getragen, das für Euch und Eure Verwandten ein schlechter Staat war. Ihr müßt nach Amerika. Dort will ich für Euch sorgen.« Das sah der gute Jüngling ein, ging bei der ersten Gelegenheit in ein vertrautes Schiff, und kam nach 80 Tagen glücklich in dem Seehafen von Philadelphia an. Als er aber hier an einem landfremden Orte mit schwerem Herzen wieder an das Ufer stieg; und als er eben bei sich selber dachte: »Wenn mir doch Gott auch nur einen einzigen Menschen entgegenführte, der mich kennt«; siehe da kam in armseliger Schiffskleidung der Kondukteur. Aber so groß sonst die Freude des unverhofften Wiedersehens an einem solchen fremden Orte ist, so war doch hier der erste Willkomm schlecht genug. Denn der Kondukteur, als er seinen Mann erkannte, ging er mit geballter Faust auf ihn los: »
Wo führt Euch der Böse her, verdammter Nachtläufer? wißt Ihr, daß ich wegen Euch bin gepreßt worden
?« Der Engländer aber sagte: »
Goddam, Ihr vermaledeiter Überall und Nirgends, wißt Ihr, daß man wegen Euch mich gehenkt hat?
« hernach aber gingen sie miteinander ins Wirtshaus zu den 3 Kronen in Philadelphia, und erzählten sich ihr Schicksal. Und der junge Engländer, der in einem Handlungshaus gute Geschäfte machte, ruhte nachher nicht, bis er seinen guten Freund loskaufte und wieder nach London zurückschicken konnte.
[1809]
Der unschuldig Gehenkte
Folgende unglückliche Begebenheit hat sich auf dem Spessart zugetragen. Mehrere Knaben hüteten miteinander an einer Berghalde unten an dem Wald das Vieh ihrer Eltern oder Meister. In der Langweile trieben sie allerlei, und ahmten untereinander, wie dieses Alter zu tun pflegt, die Handlungen und Geschäfte der erwachsenen Menschen spielend nach. Eines Tages sagte der eine von ihnen: »Ich will der Dieb sein.« – »So will ich das Oberamt sein«, sagte der zweite. »Seid ihr die Hatschiere«, sagte er zum dritten und vierten, »und du bist der Henker«, sprach er zum fünften. Gut! Der Dieb stiehlt einem seiner Kameraden heimlich ein Messer und setzt sich auf flüchtigen Fuß; der Bestohlene klagt bei Oberamt; die Hatschiere streifen im Revier, attrappieren den Dieb in einem hohlen Baum und liefern ihn ein. Der Richter verurteilt ihn zum Tode. Unterdessen hört man im Wald einen Schuß fallen; Hundegebell erhebt sich. Man achtet's nicht. Der Henker wirft dem Malefikanten kurz und gut einen Strick um den Hals und henkt ihn im Unverstand und Leichtsinn an einen Aststumpen an einem Baumstamm, also daß er mit den Füßen nicht gar kann die Erde berühren, denkt, ein paar Augenblicke kann er's schon aushalten. Plötzlich rauscht es im dürren Laub im Wald; es knackt und kracht im dichten Gehörst; ein schwarzer wilder Eber bricht zottig und blitzend aus dem Wald hervor und läuft über den Richtplatz. Die Hirtenbuben, denen es ohnehin halb zumut war, als ob es doch nicht ganz recht wäre, mit einer so ernsthaften und bedenklichen Sache Mutwillen zu treiben, erschrecken, meinen, es sei der böse Feind, vor dem uns Gott behüte, laufen vor Angst davon, einer von ihnen ins Dorf, und erzählt, was geschehen sei. Aber als man kam, um den Gehenkten abzulösen, war er erstickt und tot. Dies ist eine Warnung. Das Oberamt und die Hatschiere kamen nachher auf drei Wochen ins Zuchthaus, und der Henker auf sechs. Daß aber der Eber soll der schwarze Feind gewesen sein, hat sich nicht bestätigt. Denn er wurde von den nacheilenden Jägern erlegt und zum Forstamt geliefert; der Schwarze aber befindet sich noch am Leben.
[1809]
Der Rekrut
Zum schwäbischen Kreiskontingent kam im Jahr 1795 ein Rekrut, so ein schöner wohlgewachsener Mann war. Der Offizier fragte ihn, wie alt er sei. Der Rekrut antwortete: »Einundzwanzig Jahr. Ich bin ein ganzes Jahr lang krank gewesen, sonst wär ich zweiundzwanzig.«
[1809]
Böser Markt
In der großen Stadt London und rings um sie her gibt es außerordentlich viel gute Narren, die an anderer Leute Geld oder Sackuhren oder kostbaren Fingerringen eine kindische Freude haben? und nicht ruhen, bis sie dieselben haben. Dies bringen sie zuweg manchmal durch List und Betrug, noch öfter durch kühnen Angriff, manchmal am hellen lichten Tag und an der offenen Landstraße. Einem geratet es, dem andern nicht. Der Kerkermeister zu London und der Scharfrichter wissen davon zu erzählen. Eine seltsame Geschichte begegnete aber eines Tags einem vornehmen und reichen Mann. Der König und viele andere große Herren und Frauen waren an einem schönen Sommertage in einem großen königlichen Garten versammelt, dessen lange gewundene Gänge sich in der Ferne in einem Wald verloren. Viele andere Personen waren auch zugegen, denen es nicht auf einen Gang und auf ein paar Stunden ankam, ihren geliebten König und seine Familie froh und glücklich zu sehen. Man aß und trank, man spielte und tanzte; man ging spazieren in den schönen Gängen und zwischen dem duftenden Rosengebüsch paarweise und allein wie es sich traf. Da stellte sich ein Mensch, wohl gekleidet, als wenn er auch dazugehörte, mit einer Pistole unter dem Rock, in einer abgelegenen Gegend an einen Baum, wo der Garten an den Wald grenzt, dachte es wird schon jemand kommen. Wie gesagt, so geschehen, kommt ein Herr mit funkelndem Fingerring, mit klingenden Uhrenketten, mit diamantnen Schnallen, mit breitem Ordensband und goldnem Stern, will spazierengehn im kühlen Schatten, und denkt an nichts. Indem er an nichts denkt, kommt der Geselle hinter dem Baum hervor, macht dem guten Herrn ein bescheidenes Kompliment, zieht die Pistole zwischen dem Rock und Kamisol heraus, richtet ihre Mündung auf des Herrn Brust, und bittet ihn höflich, keinen Lärm zu machen, es brauche niemand zu wissen, was sie miteinander zu reden haben. Man muß übel dran sein, wenn man vor einer Pistole steht, weil man nicht weiß, was drin steckt. Der Herr dachte vernünftig: der Leib ist kostbarer als das Geld: lieber den Ring verloren, als den Finger; und versprach zu schweigen. »Gnädiger Herr«, fuhr jetzt der Geselle fort: »Wären Euch Eure zwei goldenen Uhren nicht feil für gute Bezahlung? Unser Schulmeister richtet die Uhr alle Tage anders, man weiß nie wie man dran ist, und an der Sonnenuhr sind die Zahlen verwischt.« Will der reiche Herr wohl oder übel, so muß er dem Halunken die Uhren verkaufen für ein paar Stüber oder etwas, so man kaum ein Schöpplein dafür kann trinken. Und so handelt ihm der Spitzbube Ring und Schnallen und Ordensstern und das goldene Herz, so er vorne auf der Brust im Hemd hatte, Stück für Stück ab um schlechtes Geld, und immer mit der Pistole in der linken Hand. Als endlich der Herr dachte: »Jetzt bin ich absolviert, gottlob!« fing der Spitzbube von neuem an: »Gnädiger Herr, weil wir so gut miteinander zurechtkommen, wolltet Ihr mir nicht auch von meinen Waren etwas abhandeln?« der Herr denkt an das Sprichwort, daß man müsse zu einem bösen Markt ein gutes Gesicht machen, und sagt: »Laßt sehen!« Da zog der Bursche allerlei Kleinigkeiten aus der Tasche hervor, so er vom Zweibatzenkrämer gekauft, oder auch schon auf einer ungewischten Bank gefunden hatte, und der gute Herr mußte ihm alles abkaufen, Stück für Stück um teures Geld. Als endlich der Spitzbube nicht mehr als die Pistole übrighatte, und sah, daß der Herr noch ein paar schöne Dublonen in dem grünen seidenen Geldbeutel hatte, sprach er noch: »Gnädiger Herr, wolltet Ihr mir für den Rest, den Ihr da in den Händen habt, nicht die Pistole abkaufen? Sie ist vom besten Büchsenschmid in London, und zwei Dublonen unter Brüdern
wert.«
Der Herr dachte in der Überraschung: »Du dummer Dieb!« und kauft die Pistole. Als er aber die Pistole gekauft hatte, kehrte er den Stiel um, und sprach: »Nun halt, sauberer Geselle, und geh augenblicklich voraus, wohin ich dich heißen werde, oder ich schieße dich auf der Stelle
tot.«
Der Spitzbube aber nahm einen Sprung in den Wald, und sagte: »Schießt herzhaft los, gnädiger Herr, sie ist nicht geladen.« Der Herr drückte ab, und es ging wirklich nicht los. Er ließ den Ladstock in den Lauf fallen, und es war kein Körnlein Pulver darin. Der Dieb aber war unterdessen schon tief im Wald; und der vornehme Engländer ging schamrot zurück, daß er sich also habe in Schrecken setzen lassen, und dachte an vieles.
[1809]
Die Kometen
Der geneigte Leser ist nun bereits ein ganz anderer Mann, als vor kurzer Zeit, und wenn jetzt einmal im
wilden Mann
oder in den
drei Königen
von den
Planeten
die Rede ist, und der
Mars
wird genannt, oder die
Juno
, oder der
Jupiter
, oder der
Saturn
, oder der
Uranus
, so kann er auch ein Wort mitsprechen bei seinem Schöpplein, und ist nicht schuldig zu gestehn, daß er's aus dem Hausfreund hat. Der
Hausfreund
verlangt's nicht.
Jetzt kommen wir zu den
Kometsternen
.
Von den Kometsternen wäre nun viel zu sagen, weil man nicht viel von ihnen weiß. Allein der Hausfreund hat nie damit umgehen können den Leuten etwas anzubinden, zum Exempel einen Bären, und will sich deswegen kurz fassen, und alles in einer Predigt abtun, ob es gleich nicht nur eilf Kometsterne gibt, wie man nur von eilf Planeten weiß, sondern schon viel mehr als 400 seit undenklichen Zeiten entdeckt und beobachtet worden sind.
Ein solcher Kometstern ist nun allemal eine sehr merkwürdige Erscheinung, wenn er so auf einmal unangemeldet und unbeschieden am Himmel sichtbar wird, und da steht, und sagt kein Wort, zumal ein solcher, wie im Jahr 1680, der 4mal so groß schien als der Abendstern, oder 146 Jahr vor Christi Geburt, der größer soll ausgesehen haben, als die Sonne, oder im Jahr 1769, dessen Schweif durch den 4. Teil des Himmels reichte, oder wenn gar zwei zugleich erscheinen, was auch schon geschehen ist. Es ist alsdann allemal, als wenn der liebe Gott einen Sternseher, ich will sagen, den Rheinischen Hausfreund, also anredete: »Meinst du, daß du jetzt fertig seist, und die Sterne des Himmels alle kennest? Sieh, da ist auch noch einer, den du noch nie gesehen hast, und wirst jetzt erst nicht wissen, was du daraus machen sollst.« Andere Leute aber schauen das Wundergestirn auch mit Begierde und Staunen an, und die Mutter zeigt es dem Kind, und sagt: »Sieh, wie wunderbar die göttliche Allmacht ist!«
Solche Kometsterne nun, sind einander nicht alle gleich, auch der nämliche, solang man ihn beobachten kann, verändert oft sein Aussehen, sie sind bald heller bald trüber, bald größer bald kleiner, rund und eckig, näher oder weiter von uns entfernt. Der Komet im Jahr 1770, war daheim 13mal größer als der Mond, ob man ihn gleich wegen der weiten Entfernung hierzuland nicht dafür angesehen hat. Einer im J. 1680, war 160mal näher bei der Sonne, als die Erde bei ihr ist. Einer im J. 1770, war 7mal weiter von der Erde weg als der Mond. Einige sind so weit entfernt, oder so klein, daß nur wir Sternseher und Kalendermacher mit unsern Perspektiven sie entdecken können, andere kann man ohne Zweifel gar nicht sehen, weil sie zu weit entfernt sind, oder bei Tag am Himmel stehen.
Die Kometsterne haben viel Ähnliches mit den Planeten und drehen sich ebenso wie sie um die Sonne herum. Aber sie sind auch wieder sehr von den Planeten verschieden. Sie werden nur selten sichtbar – sie haben keine so feste und kernhafte Masse als die Erde oder andere Planeten – sie sind mit einem schönen leuchtenden Schweif geziert. – Sie bedeuten ein großes Unglück.
Sage erstens, sie erscheinen viel seltener, als die Planeten, die alle Tage am Himmel auf- und untergehen, denn sie sind nicht immer so nahe bei der Sonne oder bei uns, wie die Planeten. Nein, sondern sie sind rechte Nachtläufer und scheuen sich nicht in die Fremde zu gehen, wie manches Mutterkind sich scheut. Wenn so ein Stern einmal um die Sonne herum ist, und hat sich an ihr erwärmt, und einen kräftigen Sommer gehabt, so zieht er in einer langen langen Linie hinweg und in seinen Winter hinaus, weiß niemand wohin. Wenn er alsdann 30 oder 100 oder viele hundert Jahre lang immer weiter und weiter hinweg gezogen ist, und es fällt ihm ein, so kehrt er wieder um, damit er sich wieder einmal an der lieben Sonne recht erwärmen kann, und braucht wieder ebensoviel Zeit zu seiner Herreise, und selten einer, der ihn zum erstenmal gesehen hat, wartet's aus bis er wiederkommt, sondern legt sich schlafen, und bekümmert sich nachher nichts mehr darum. Es ist aufgeschrieben, daß ein Komet im Jahr 1456, einer im Jahr 1531, einer im Jahr 1607, einer im Jahr 1682 gestanden sei. Weil nun immer von einer Zeit zur andern ein Zwischenraum von ungefähr 76 Jahren etwas mehr oder weniger verflossen war, so behauptete ein gelehrter Mann, namens
Halley
, es sei allemal der nämliche gewesen, und er müßte längstens bis Anno 1759 wiederkommen, was auch richtig geschehen ist, und so muß er ungefähr im Jahr 1830 ebenfalls wieder erscheinen. Der Hausfreund will's seinem Nachfolger überlassen, den geneigten Leser bis dorthin wieder daran zu erinnern. Ebenso behauptete einst ein anderer Gelehrter, der Kometstern von 1532 und 1661 sei der nämliche und müsse deshalb im Jahr 1790 wiederkommen, ist aber doch ausgeblieben.
Sage zweitens, der Kometstern hat keine so feste Masse, wie die Erde, oder ein anderer Planet. Einige sehen aus, wie ein bloßer Dunst, also, daß man durch sie hindurch die andern Sternlein will sehen können, die hinter ihnen stehen. Andere sind zwar schon etwas dichter, haben aber doch das Ansehen, als wenn nicht alles daran recht aneinanderhinge, sondern viel leere Zwischenräume da wären. Einige Gelehrte wollen jedoch behaupten, daß ein solcher Komet auf seiner langen Reise, wenn ihm unterwegs kein Unglück begegnet, immer dichter werden, und zuletzt die völlige Natur und Eigenschaft eines Planeten annehmen könne. Unsere Erde könne wohl auch einmal eine bloße Dunstkugel von viel 1 000 Meilen im Umfang gewesen sein, hernach sei sie immer wässeriger worden, dann habe sich das feste Land angesetzt, das Land und das Wasser habe sich geschieden, und sei zuletzt das draus worden, was jetzt ist. Aus Respekt vor der himmlischen Allmacht mischt sich der Hausfreund nicht in diesen Streit.
Sage drittens, die Kometsterne sind mit einem schönen leuchtenden Schweif geziert, aber nicht alle. Einige zum Beispiel haben rings um sich bloß einen Strahlenschein, als wenn sie mit leuchtenden Haaren eingefaßt wären, wie in den großen Bibeln die Köpfe der heiligen Evangelisten und Apostel aussehen, und Johannes des Täufers. Hat aber ein solcher Stern einen Schweif, so hat er allemal das Ansehen eines Dunstes, der von Strahlen erhellt ist. Man kann hinter ihm immer die Sterne sehen, an denen er vorbeizieht, er ist immer etwas gebogener, wird bald größer bald kleiner, heller und bleicher. Er ist nie auf der Seite des Kometen, die gegen der Sonne steht, sondern allemal auf der entgegengesetzten. Sonst weiß man noch nicht für gewiß, was es mit ihm für eine Bewandtnis hat. Dem Hausfreund will manchmal vorkommen, es sei nur der Schein von Sonnenstrahlen die durch den dunstigen oder wässerigen Kometen hindurchfallen. Der geneigte Leser beliebe aber vorsichtig zu sein mit diesem Geheimnis, denn es wissen's noch nicht viel Leute.
Sage viertens, der Komet bedeutet ein Unglück. Man darf sicher darauf rechnen, entweder es entsteht innerhalb Jahresfrist ein Krieg, oder ein Erdbeben, oder es gehen ganze Städte und Königreiche unter, oder es stirbt ein mächtiger Monarch, oder geschieht sonst etwas, woran niemand eine Freude haben kann. Dies ist aber nicht so zu verstehen, als wenn der Komet das Unglück herbeizöge, oder deswegen erschiene, um wie ein Postreuter es anzuzeigen. Nein, der Komet weiß nichts von uns. Er kommt wenn seine Stunde da ist. Man kann ihn auf den andern Planeten ebenso gut sehen als auf der Erde. Wir aber da unten, mit unsern Leiden und Freuden, mit unsern Herzen voll Furcht und Hoffnung, mit unsern Lustgärten und Kirchhöfen, sind in Gottes Hand. Allein es geschieht auf dem weiten Erdenrund, irgendwo, diesseits oder jenseits des Meeres, alle Jahre so gewiß ein großes Unglück, daß diejenigen, welche aus einem Kometen Schlimmes prophezeihen, gewonnen Spiel haben, er mag kommen, wann er will. Gerade als wenn ein schlauer Gesell in einem großen Dorf oder Marktflecken in der Neujahrsnacht auf der Straße stünde und nach den Sternen schaute und sagte: »Ich sehe kuriose Sachen da oben, dieses Jahr stirbt jemand im Dorf.« Der geneigte Leser darf nur an die letzten 20 Jahre zurückdenken, an die Revolutionen und Freiheitsbäume hin und wieder, an den plötzlichen Tod des Kaisers Leopolds, an das Ende des König Ludwigs des Sechszehnten, an die Ermordung des türkischen Kaisers, an die blutigen Kriege in Deutschland, in den Niederlanden, in der Schweiz, in Italien, in Polen, in Spanien, an die Schlachten bei Austerlitz und Eylau, bei Eßlingen und Wagram, an das gelbe Fieber, an die Petechen und Viehseuchen, an die Feuersbrünste in Kopenhagen, Stockholm und Konstantinopel, an die Zucker- und Kaffeeteurung, leider, wenn von 1789 bis 1810 alle Jahre ein anderer Komet, ja sechs auf einmal am Himmel erschienen wären, es wäre keiner von ihnen mit Schimpf bestanden.
Soviel von den Kometen. Die Sterne, welche nächstens sollen beschrieben werden, bedeuten insgesamt Frieden und Liebe und Gottes allmächtigen Schutz.
[1810]
[Fortsetzung
hier
]
Der silberne Löffel
In Wien dachte ein Offizier: Ich will doch auch einmal im roten Ochsen zu Mittag essen, und geht in den roten Ochsen. Da waren bekannte und unbekannte Menschen, Vornehme und Mittelmäßige, ehrliche Leute und Spitzbuben, wie überall. Man aß und trank, der eine viel, der andere wenig. Man sprach und disputierte von dem und jenem, zum Exempel von dem Steinregen bei Stannern in Mähren, von dem Machin in Frankreich, der mit dem großen Wolf gekämpft hat. Das sind dem geneigten Leser bekannte Sachen, denn er erfährt durch den Hausfreund alles ein Jahr früher, als andere Leute. – Als nun das Essen fast vorbei war, einer und der andere trank noch eine halbe Maß Ungarwein zum Zuspitzen, ein anderer drehte Kügelein aus weichem Brot, als wenn er ein Apotheker wär, und wollte Pillen machen, ein dritter spielte mit dem Messer oder mit der Gabel, oder mit dem silbernen Löffel. Da sah der Offizier von ungefähr zu, wie einer, in einem grünen Rocke, mit dem silbernen Löffel spielte, und wie ihm der Löffel auf einmal in den Rockärmel hineinschlüpfte und nicht wieder herauskam.
Ein anderer hätte gedacht:
Was geht's mich an
? und wäre still dazu gewesen, oder hätte großen Lärmen angefangen. Der Offizier dachte: Ich weiß nicht, wer der grüne Löffelschütz ist, und was es für einen Verdruß gehen kann, und war mausstill, bis der Wirt kam und das Geld einzog. Als der Wirt kam und das Geld einzog, nahm der Offizier auch einen silbernen Löffel und steckte ihn zwischen zwei Knopflöcher im Rocke, zu einem hinein, zum andern hinaus, wie es manchmal die Soldaten im Kriege machen, wenn sie den Löffel mitbringen, aber keine Suppe. – Währenddem der Offizier seine Zeche bezahlte, und der Wirt schaute ihm auf den Rock, dachte er: »Das ist ein kurioser Verdienstorden, den der Herr da anhängen hat. Der muß sich im Kampf mit einer Krebssuppe hervorgetan haben, daß er zum Ehrenzeichen einen silbernen Löffel bekommen hat, oder ist's gar einer von meinen eigenen?« Als aber der Offizier dem Wirt die Zeche bezahlt hatte, sagte er mit ernsthafter Miene: »Und der Löffel geht ja drein. Nicht wahr? Die Zeche ist teuer genug dazu.« Der Wirt sagte: »So etwas ist mir noch nicht vorgekommen. Wenn Ihr keinen Löffel daheim habt, so will ich Euch einen Patentlöffel schenken, aber meinen silbernen laßt mir da.« Da stand der Offizier auf, klopfte dem Wirt auf die Achsel und lächelte. »Wir haben nur Spaß gemacht«, sagte er, »ich und der Herr dort in dem grünen Rocke. Gebt Ihr Euren Löffel wieder aus dem Ärmel heraus, grüner Herr, so will ich meinen auch wieder hergeben.« Als der Löffelschütz merkte, daß er verraten sei, und daß ein ehrliches Auge auf seine unehrliche Hand gesehen hatte, dachte er:
Lieber Spaß als Ernst
, und gab seinen Löffel ebenfalls her. Also kam der Wirt wieder zu seinem Eigentum und der Löffeldieb lachte auch – aber nicht lange. Denn als die andern Gäste das sahen, jagten sie den verratenen Dieb mit Schimpf und Schande zum Tempel hinaus, und der Wirt schickte ihm den Hausknecht mit einer Handvoll ungebrannter Asche nach. Den wackern Offizier aber bewirtete er noch mit einer Bouteille voll Ungarwein auf das Wohlsein aller ehrlichen Leute.
Merke: Man muß keine silbernen Löffel stehlen.
Merke: Das Recht findet seinen Knecht.
[1810]
Einträglicher Rätselhandel
Von Basel fuhren eilf Personen in einem Schiffe den Rhein hinab. Ein Jude, der nach Schalampi wollte, bekam die Erlaubnis, sich in einen Winkel zu setzen, und auch mitzufahren, wenn er sich gut aufführen, und dem Schiffer achtzehn Kreuzer Trinkgeld gehen wolle. Nun klingelte es zwar, wenn der Jude an die Tasche schlug, allein es war doch nur noch ein Zwölfkreuzerstück darin; denn das andere war ein messingener Knopf. Dessen ungeachtet nahm er die Erlaubnis dankbar an. Denn er dachte: »Auf dem Wasser wird sich auch noch etwas erwerben lassen. Es ist ja schon mancher auf dem Rhein reich worden.« Im Anfang und von dem Wirtshaus
zum Kopf
weg war man sehr gesprächig und lustig, und der Jude in seinem Winkel, und mit seinem Zwerchsack an der Achsel, den er ja nicht ablegte, mußte viel leiden, wie man's manchmal diesen Leuten macht und versündigt sich daran. Als sie aber schon weit an Hüningen und an der Schusterinsel vorbei waren, und an Märkt und an dem Isteiner Klotz und St. Veit vorbei, wurde einer nach dem andern stille und gähnten und schauten den langen Rhein hinunter, bis wieder einer anfing: »Mausche«, fing er an, »weißt du nichts, daß uns die Zeit vergeht. Deine Väter müssen doch auch auf allerlei gedacht haben in der langen Wüste.« – Jetzt, dachte der Jude, ist es Zeit das Schäflein zu scheren, und schlug vor, man sollte sich in der Reihe herum allerlei kuriose Fragen vorlegen, und er wolle mit Erlaubnis auch mithalten. Wer sie nicht beantworten kann, soll dem Aufgeber ein Zwölfkreuzerstück bezahlen, wer sie gut beantwortet, soll einen Zwölfer bekommen. Das war der ganzen Gesellschaft recht, und weil sie sich an der Dummheit oder an dem Witz des Juden zu belustigen hofften, fragte jeder in den Tag hinein, was ihm einfiel. So fragte z.B.
der erste
: »Wie viel weichgesottene Eier konnte der Riese Goliath nüchtern essen?« – Alle sagten, das sei nicht zu erraten und bezahlten ihre Zwölfer. Aber der Jud sagte:
»Eins
, denn wer
ein
Ei gegessen hat, ißt das zweite nimmer nüchtern.« Der Zwölfer war gewonnen.
Der
andere
dachte: Wart Jude, ich will dich aus dem
Neuen
Testament fragen, so soll mir dein Zwölfer nicht entgehen. »Warum hat der Apostel Paulus den zweiten Brief an die Korinther geschrieben?« Der Jud sagte: »Er wird nicht bei ihnen gewesen sein, sonst hätt er's ihnen mündlich sagen können.« Wieder ein Zwölfer.
Als der
dritte
sah, daß der Jude in der Bibel so gut beschlagen sei, fing er's auf eine andere Art an: »Wer zieht sein Geschäft in die Länge, und wird doch zu rechter Zeit fertig?« Der Jud sagte: »Der
Seiler
, wenn er fleißig ist.«
Der
vierte
. »Wer bekommt noch Geld dazu, und läßt sich dafür bezahlen, wenn er den Leuten etwas weiß macht?« Der Jud sagte: »Der
Bleicher
.«
Unterdessen näherte man sich einem Dorf, und einer sagte: »Das ist Bamlach.« Da fragte der
fünfte
: »In welchem Monat essen die Bamlacher am wenigsten?« Der Jud sagte: »Im
Hornung
, denn der hat nur 28 Tage.«
Der
sechste
sagt: »Es sind zwei leibliche Brüder, und doch ist nur einer davon mein
Vetter
.« Der Jud sagte: »Der Vetter ist Eures Vaters Bruder. Euer
Vater
ist nicht Euer Vetter.«
Ein Fisch schnellte in die Höhe, so fragt der siebente: »Welche Fische haben die Augen am nächsten beisammen?« Der Jud sagte: »Die kleinsten.«
Der
achte
fragt: »Wie kann einer zur Sommerszeit im Schatten von Bern nach Basel reiten, wenn auch die Sonne noch so heiß scheint?« Der Jud sagt: »Wo kein Schatten ist, muß er absteigen und zu Fuße gehn.«
Fragt der
neunte
: »Wenn einer im Winter von Basel nach Bern reitet, und hat die Handschuhe vergessen, wie muß er's angreifen, daß es ihn nicht an die Hand friert?« Der Jud sagt: »Er muß aus der Hand eine Faust machen.«
Fragt der
zehnte
: »Warum schlüpfet der Küfer in die Fässer?« Der Jud sagt: »Wenn die Fässer Türen hätten, könnte er aufrecht hineingehen.«
Nun war noch der
eilfte
übrig. Dieser fragte: »Wie können fünf Personen fünf Eier teilen, also daß jeder eins bekomme, und doch eins in der Schüssel bleibe?« Der Jude sagte: »Der letzte muß die Schüssel samt dem Ei nehmen, dann kann er es darin liegen lassen, solang er will.«
Jetzt war die Reihe an ihm selber, und nun dachte er erst einen guten Fang zu machen. Mit viel Komplimenten und spitzbübischer Freundlichkeit fragte er: »Wie kann man zwei Forellen in drei Pfannen backen, also daß in jeder Pfanne
eine
Forelle liege.« Das brachte abermal keiner heraus und einer nach dem andern gab dem Hebräer seinen Zwölfer.
Der Hausfreund hätte das Herz allen seinen Lesern, von Mailand bis nach Kopenhagen die nämliche Frage aufzugehen, und wollte ein hübsches Stück Geld daran verdienen, mehr als am Kalender, der ihm nicht viel einträgt. Denn als die eilfe verlangten, er sollte ihnen für ihr Geld das Rätsel auch auflösen, wand er sich lange bedenklich hin und her, zuckte die Achsel, drehte die Augen. »Ich bin ein armer Jud«, sagte er endlich. Die andern sagten: »Was sollen diese Präambeln? Heraus mit dem Rätsel!« – »Nichts für ungut!« – war die Antwort, – »daß ich gar ein armer Jüd bin.« – Endlich nach vielem Zureden, daß er die Auflösung nur heraus sagen sollte, sie wollten ihm nichts daran übelnehmen; griff er in die Tasche, nahm einen von seinen gewonnenen Zwölfern heraus, legte ihn auf das Tischlein, so im Schiffe war, und sagte: »Daß ich's auch nicht weiß. Hier ist mein Zwölfer!«
Als das die andern hörten, machten sie zwar große Augen, und meinten, so sei's nicht gewettet. Weil sie aber doch das Lachen selber nicht verbeißen konnten, und waren reiche und gute Leute, und der hebräische Reisegefährte hatte ihnen von Kleinen Kems bis nach Schalampi die Zeit verkürzt, so ließen sie es gelten, und der Jud hat aus dem Schiff getragen – das soll mir ein fleißiger Schüler im Kopf ausrechnen: Wieviel Gulden und Kreuzer hat der Jud aus dem Schiff getragen? Einen Zwölfer und einen messingenen Knopf hatte er schon. Eilf Zwölfer hat er mit Erraten gewonnen, eilf mit seinem eigenen Rätsel, einen hat er zurückbezahlt, und dem Schiffer 18 Kreuzer Trinkgeld entrichtet.
[1810]
Des Seilers Antwort
In Donauwerth wurde zu seiner Zeit ein Roßdieb gehenkt, und der Hausfreund hat schon manchmal gedacht: Wer an den Galgen, oder heutzutag ins Zuchthaus will, wozu braucht der ein Roß zu stehlen? Kommt man nicht zu Fuß früh genug? Der Donauwerther hat auch geglaubt, der Galgen laufe ihm davon, wenn er nicht reite, und ist das Roß einem ungeschickten Dieb in die Hände gefallen, so fiel der Dieb einem ungeschickten Henkersknecht in die Hände. Denn als ihm dieser das hänfene Halsband hatte angelegt, und stieß ihn von der Leiter vom Seigel herunter, so zuckte er noch lange mit den Augen hin und her, als wenn er sich noch ein Rößlein aussuchen wollte in der Menge. Denn unter den Zuschauern waren viele zu Pferd und auf Leiterwägen und dachten: Man sieht's besser. Als aber das Volk anfing, laut zu murren, und der ungeschickte Henker wußte sich nicht zu helfen, so warf er sich endlich in der Angst an den Gehenkten hin, umfaßte ihn mit beiden Armen, als wenn er wollte von ihm Abschied nehmen, und zog mit aller Kraft, damit die Schlinge fest zusammengehen, und ihm den Atem töten sollte. Da brach der Strick entzwei, und fielen beide miteinander, auf die Erde hinab, als wenn sie nie wären droben gewesen. Der Missetäter lebte noch und sein Advokat hat ihn nachher gerettet. Denn er sagte: »Der Malefikant hat nur
ein
Roß gestohlen, nicht
zwei
; so hat er auch nur
einen
Strick verdient«, und hat hintendran viel lateinische Buchstaben und Zahlen gesetzt, wie sie's machen. Der Henker aber, als er nachmittags den Seiler sah, fuhr ihn ungebärdig an: »Ist das auch ein Strick gewesen?« sagte er; »man hätte Euch selber dran henken sollen.« Der Seiler aber wußte zu antworten: »Es hat mir niemand gesagt«, sagte der Seiler, »daß er zwei Schelmen tragen soll. Für einen war er stark genug, du oder der Roßdieb.«
[1810]
Der geheilte Patient
Reiche Leute haben trotz ihrer gelben Vögel doch manchmal auch allerlei Lasten und Krankheiten auszustehen, von denen gottlob der arme Mann nichts weiß, denn es gibt Krankheiten, die nicht in der Luft stecken, sondern in den vollen Schüsseln und Gläsern, und in den weichen Sesseln und seidenen Bettern, wie jener reiche Amsterdamer ein Wort davon reden kann. Den ganzen Vormittag saß er im Lehnsessel und rauchte Tabak, wenn er nicht zu träge war, oder hatte Maulaffen feil zum Fenster hinaus, aß aber zu Mittag doch wie ein Drescher, und die Nachbarn sagten manchmal: »Windet's draußen, oder schnauft der Nachbar so?« – Den ganzen Nachmittag aß und trank er ebenfalls bald etwas Kaltes bald etwas Warmes, ohne Hunger und ohne Appetit, aus lauter Langerweile bis an den Abend, also, daß man bei ihm nie recht sagen konnte, wo das Mittagessen aufhörte und wo das Nachtessen anfing. Nach dem Nachtessen legte er sich ins Bett, und war so müd, als wenn er den ganzen Tag Steine abgeladen, oder Holz gespalten hätte. Davon bekam er zuletzt einen dicken Leib, der so unbeholfen war, wie ein Maltersack. Essen und Schlaf wollte ihm nimmer schmecken, und er war lange Zeit, wie es manchmal geht, nicht recht gesund und nicht recht krank; wenn man aber ihn selber hörte, so hatte er 365 Krankheiten, nämlich alle Tage eine andere. Alle Ärzte, die in Amsterdam sind, mußten ihm raten. Er verschluckte ganze Feuereimer voll Mixturen, und ganze Schaufeln voll Pulver, und Pillen wie Enteneier so groß, und man nannte ihn zuletzt scherzweise nur die zweibeinige Apotheke. Aber alle Arzneien halfen ihm nichts, denn er folgte nicht, was ihm die Ärzte befahlen, sondern sagte: »Fouder, wofür bin ich ein reicher Mann, wenn ich soll leben, wie ein Hund, und der Doktor will mich nicht gesund machen für mein Geld?« Endlich hörte er von einem Arzt, der 100 Stund weit weg wohnte, der sei so geschickt, daß die Kranken gesund werden, wenn er sie nur recht anschaue, und der Tod geh ihm aus dem Weg, wo er sich sehen lasse. Zu dem Arzt faßte der Mann ein Zutrauen, und schrieb ihm seinen Umstand. Der Arzt merkte bald was ihm fehle, nämlich nicht Arznei, sondern Mäßigkeit und Bewegung und sagte: »Wart dich will ich bald kuriert haben.« Deswegen schrieb er ihm ein Brieflein folgenden Inhalts: »Guter Freund, Ihr habt einen schlimmen Umstand, doch wird Euch zu helfen sein, wenn Ihr folgen wollt. Ihr habt ein bös Tier im Bauch, einen Lindwurm mit sieben Mäulern. Mit dem Lindwurm muß ich selber reden, und Ihr müßt zu mir kommen. Aber fürs erste so dürft Ihr nicht fahren oder auf dem Rößlein reiten, sondern auf des Schuhmachers Rappen, sonst schüttelt Ihr den Lindwurm und er beißt Euch die Eingeweide ab, sieben Därme auf einmal ganz entzwei. Fürs andere dürft Ihr nicht mehr essen, als zweimal des Tages einen Teller voll Gemüs, mittags ein Bratwürstlein dazu, und nachts ein Ei, und am Morgen ein Fleischsüpplein mit Schnittlauch drauf. Was Ihr mehr esset, davon wird nur der Lindwurm größer, also daß er Euch die Leber erdrückt, und der Schneider hat Euch nimmer viel anzumessen, aber der Schreiner. Dies ist mein Rat, und wenn Ihr mir nicht folgt, so hört Ihr im andern Frühjahr den Gukuk nimmer schreien. Tut was Ihr wollt!« Als der Patient so mit ihm reden hörte, ließ er sich sogleich den andern Morgen die Stiefel salben und machte sich auf den Weg, wie ihm der Doktor befohlen hatte. Den ersten Tag ging es so langsam, daß wohl eine Schnecke hätte können sein Vorreiter sein, und wer ihn grüßte, dem dankte er nicht, und wo ein Würmlein auf der Erde kroch, das zertrat er. Aber schon am zweiten und am dritten Morgen kam es ihm vor, als wenn die Vögel schon lange nimmer so lieblich gesungen hätten wie heut, und der Tau schien ihm so frisch und die Kornrosen im Feld so rot, und alle Leute, die ihm begegneten, sahen so freundlich aus, und er auch, und alle Morgen, wenn er aus der Herberge ausging, war's schöner, und er ging leichter und munterer dahin, und als er am 18. Tage in der Stadt des Arztes ankam, und den andern Morgen aufstand, war es ihm so wohl, daß er sagte: »Ich hätte zu keiner ungeschicktern Zeit können gesund werden als jetzt, wo ich zum Doktor soll. Wenn's mir doch nur ein wenig in den Ohren brauste, oder das Herzwasser lief mir.« Als er zum Doktor kam, nahm ihn der Doktor bei der Hand, und sagte ihm: »Jetzt erzählt mir denn noch einmal von Grund aus, was Euch fehlt.« Da sagte er: »Herr Doktor, mir fehlt gottlob nichts, und wenn Ihr so gesund seid wie ich, so soll's mich freuen.« Der Doktor sagte: »Das hat Euch ein guter Geist geraten, daß Ihr meinem Rat gefolgt habt. Der Lindwurm ist jetzt abgestanden. Aber Ihr habt noch Eier im Leib, deswegen müßt Ihr wieder zu Fuß heimgehen, und daheim fleißig Holz sägen, daß niemand sieht, und nicht mehr essen, als Euch der Hunger ermahnt, damit die Eier nicht ausschlupfen, so könnt Ihr ein alter Mann werden«, und lächelte dazu. Aber der reiche Fremdling sagte: »Herr Doktor, Ihr seid ein feiner Kauz, und ich versteh Euch wohl«, und hat nachher dem Rat gefolgt, und 87 Jahre, 4 Monate 10 Tage gelebt, wie ein Fisch im Wasser so gesund, und hat alle Neujahr dem Arzt 20 Dublonen zum Gruß geschickt.
[1810]
Wie der Zundelfrieder und sein Bruder dem roten Dieter abermal einen Streich spielen
Als der Zundelheiner und der Zundelfrieder wieder aus dem Turm kamen, sprach der Heiner zum Frieder: »Bruder wir wollen doch den roten Dieter besuchen, sonst meint er, wir sitzen ewig in dem kalten Hundsstall beim Herr Vater auf der Herberge.« – »Wir wollen ihm einen Streich spielen«, sagte der Frieder zum Heiner, »ob er's merkt, daß wir es sind.« Also empfing der Dieter ein Brieflein ohne Unterschrift: »Roter Dieter, seid heute nacht auf Eurer Hut, denn es haben zwei Diebsgesellen eine Wette getan: einer will Eurer Frau das Leintuch unter dem Leibe wegholen, und Ihr sollt es nicht hindern können.« Der Dieter sagte: »Das sind zwei rechte Spitzbuben aneinander. Der eine wettet, er wolle das Leintuch holen, und der andere macht einen Bericht, damit sein Kamerad die Wette nicht gewinnt. Wenn ich nicht gewiß wüßte, daß der Heiner und der Frieder im Zuchthaus sitzen, so wollt ich glauben, sie seien's.« In der Nacht schlichen die Schelme durch das Hanffeld heran. Der Heiner stellte eine Leiter ans Fenster, also daß der rote Dieter es wohl hören konnte, und steigt hinauf, schiebt aber einen ausgestopften Strohmann vor sich her, der aussah, wie ein Mensch. Als inwendig der rote Dieter die Leiter anstellen hörte, stand er leise auf, und stellte sich mit einem dicken Bengel neben das Fenster, »denn das sind die besten Pistolen«, sagte er zu seiner Frau, »sie sind immer geladen«; und als er den Kopf des Strohmanns heraufwackeln sah, und meinte der sei es, riß er schnell das Fenster auf, und versetzte ihm einen Schlag auf den Kopf aus aller Kraft, also daß der Heiner den Strohmann fallen ließ und einen lauten Schrei tat. Der Frieder aber stand unterdessen mausstill hinter einem Pfosten vor der Haustüre. Als aber der rote Dieter den Schrei hörte, und es war alles auf einmal still, sagte er: »Frau, es ist mir, die Sache sei nicht gut, ich will doch hinuntergehen und schauen, wie es aussieht.« Indem er zur Haustüre hinausgeht, schleicht der Frieder, der hinter dem Pfosten war, hinein, kommt bis vor das Bett, nimmt, wieder, wie in der vorigen Erzählung, als sie das Säulein stahlen, des roten Dieters Stimme an, und es ist wieder ebenso wahr. »Frau«, sagte er mit ängstlicher Stimme, »der Kerl ist maustot, und denk nur, es ist des Schultheißen Sohn. Jetzt gib mir geschwind das Leintuch, so will ich ihn darin forttragen in den Wald, und will ihn dort einscharren, sonst geht's zu bösen Häusern.« Die Frau erschrickt, richtet sich auf, und gibt ihm das Leintuch. Kaum war er fort, so kommt der rechte Dieter wieder und sagt ganz getröstet: »Frau, es ist nur ein dummer Bubenstreich gewesen, und der Dieb ist von Stroh.« Als aber die Frau ihn fragte: »Wo hast du denn das Leintuch«, und lag auf dem bloßen Spreuersack, da gingen dem Dieter erst die Augen auf, und sagte: »O ihr vermaledeiten Spitzbuben! Jetzt ist's doch der Frieder gewesen und der Heiner, und kein anderer.«
Aber auf dem Heimweg sagte der Frieder zum Heiner: »Aber jetzt Bruder, wollen wir's bleiben lassen. Denn im Zuchthaus ist doch auch alles schlecht, was man bekommt, ausgenommen die Prügel, und zum Fensterlein hinaus auf der Landstraße hat man etwas vor den Augen, das auch nicht aussieht, als wenn man gern dran hängen möchte.« Also wurde auch der Frieder wieder ehrlich. Aber der Heiner sagte: »Ich geb's noch nicht auf.«
[1810]
Der kluge Sultan
Zu dem Großsultan der Türken, als er eben an einem Freitag in die Kirche gehen wollte, trat ein armer Mann von seinen Untertanen mit schmutzigem Bart, zerfetztem Rock und durchlöcherten Pantoffeln, schlug ehrerbietig und kreuzweise die Arme übereinander und sagte: »Glaubst du auch, großmächtiger Sultan, was der heilige Prophet sagt?« Der Sultan, so ein gütiger Herr war, sagte: »Ja ich glaube, was der Prophet sagt.« Der arme Mann fuhr fort: »Der Prophet sagt im Alkoran: Alle Muselmänner (das heißt, alle Mahomedaner) sind Brüder. Herr Bruder, so sei so gut, und teile mit mir das Erbe.« Dazu lächelte der Kaiser und dachte: Das ist eine neue Art ein Almosen zu betteln, und gibt ihm einen Löwentaler. Der Türke beschaut das Geldstück lang auf der einen Seite und auf der andern Seite. Am Ende schüttelt er den Kopf, und sagt: »Herr Bruder, wie komme ich zu einem schäbigen Löwentaler, so du doch mehr Silber und Gold hast, als 100 Maulesel tragen können, und meinen Kindern daheim werden vor Hunger die Nägel blau, und mir wird nächstens der Mund ganz zusammenwachsen. Heißt das geteilt mit einem Bruder?« Der gütige Sultan aber hob warnend den Finger in die Höhe, und sagte: »Herr Bruder, sei zufrieden, und sage ja niemand, wieviel ich dir gegeben habe, denn unsere Familie ist groß, und wenn unsere andern Brüder alle auch kommen, und verlangen ihr Erbteil von mir, so wird's nicht reichen, und du mußt noch herausgeben.« Das begriff der Herr Bruder, ging zum Bäckermeister Abu Tlengi, und kaufte ein Laiblein Brot für seine Kinder, der Kaiser aber begab sich in die Kirche, und verrichtete sein Gebet.
[1810]
Wie man aus Barmherzigkeit rasiert wird
In eine Barbierstube kommt ein armer Mann mit einem starken schwarzen Bart, und statt eines Stücklein Brotes bittet er, der Meister soll so gut sein, und ihm den Bart abnehmen um Gottes willen, daß er doch auch wieder aussehe wie ein Christ. Der Meister nimmt das schlechteste Messer, wo er hat, denn er dachte: Was soll ich ein gutes daran stumpf hacken für nichts und wieder nichts? Während er an dem armen Tropfen hackt und schabt, und er darf nichts sagen, weil's ihm der Schinder umsonst tut, heult der Hund auf dem Hof. Der Meister sagt: »Was fehlt dem Mopper, daß er so winselt und heult?« Der Christoph sagt: »Ich weiß nicht.« Der Hans Frieder sagt: »Ich weiß auch nicht.« Der arme Mann unter dem Messer aber sagt: »Er wird vermutlich auch um Gottes willen barbiert, wie ich.«
[1810]
Der Zirkelschmidt
In einer schwäbischen Reichsstadt galt zu seiner Zeit ein Gesetz, daß, wer sich an einem verheurateten Mann vergreift, und gibt ihm eine Ohrfeige, der muß 5 Gulden Buße bezahlen, und kommt 24 Stunden lang in den Turm. Deswegen dachte am Andreastag ein verarmter Zirkelschmidt im Vorstädtlein: Ich kann doch auf meinen Namenstag ein gutes Mittagessen im goldenen Lamm bekommen, wenn ich schon keinen roten Heller hier und daheim habe, und seit 2 Jahren nimmer weiß, ob die bayrischen Taler rund oder eckig sind. Daraufhin läßt er sich vom Lammwirt ein gutes Essen auftragen, und trinkt viel Wein dazu, also, daß die Zeche zwei Gulden fünfzehn Kreuzer ausmachte, was damals auch für einen wohlhabenden Zirkelschmidt schon viel war. Jetzt, dachte er, will ich den Lammwirt zornig machen und in Jäst bringen. »Das war ein schlechtes Essen, Herr Lammwirt«, sagte er, »für ein so schönes Geld. Es wundert mich, daß Ihr nicht schon lang ein reicher Mann seid, wovon ich doch noch nichts habe rühmen hören.« Der Wirt, so ein Ehrenmann war, antwortete auch nicht glimpflich, wie es ihm der Zorn eingab, und es hatte ihm schon ein paarmal im Arme gejuckt. Als aber der Zirkelschmidt zuletzt sagte: »Es soll mir eine Warnung sein, denn ich habe mein Leben lang gehört, daß man in den schlechtesten Kneipen, wie Euer Haus eine ist, am teuersten gehalten wird.« Da gab ihm der Wirt eine entsetzliche Ohrfeige, die zwei Dukaten unter Brüdern wert war, und sagte, er soll jetzt sogleich seine Zeche bezahlen, »oder ich lasse Euch durch die Knechte bis in die Vorstadt hinausprügeln.« Der Zirkelschmidt aber lächelte, und sagte: »Es ist nur mein Spaß gewesen, Herr Lammwirt, und Euer Mittagessen war recht gut. Gebt mir nun für die Ohrfeige, die ich von Euch bar erhalten habe, zwei Gulden fünfundvierzig Kreuzer auf mein Mittagessen heraus, so will ich Euch nicht verklagen. Es ist besser, wir leben im Frieden miteinander als in Feindschaft. Hat nicht Eure selige Frau meiner Schwester Tochter ein Kind aus der Taufe gehoben?!« – Zu diesen Worten machte der Lammwirt ein paar kuriose Augen, denn er war sonst ein gar unbescholtener und dabei wohlhabender Mann, und wollte lieber viel Geld verlieren, als wegen eines Frevels von der Obrigkeit sich strafen lassen, und nur eine Stunde des Turmhüters Hausmann sein. Deswegen dachte er: Zwei Gulden und fünfzehn Kreuzer hat mir der Halunke schon mit Essen und Trinken abverdient; besser, ich gebe ihm noch zwei Gulden fünfundvierzig Kreuzer drauf, als daß ich das Ganze noch einmal bezahlen muß, und werde beschimpft dazu. Also gab er ihm die 2 fl. 45 kr., sagte aber: »Jetzt komm mir nimmer ins Haus!«
Drauf, sagte man, habe es der Zirkelschmid in andern Wirtshäusern versucht, und die Ohrfeigen seien noch ein- oder zweimal al pari gestanden, wie die Kaufleute sagen, wenn ein Wechselbrief so viel gilt, als das bare Geld, wofür er verschrieben ist. Drauf seien sie schnell auf 50 Prozent herunter gesunken, und am Ende, wie die Assignaten in der Revolution, so unwert worden, daß man jetzt wieder durch das ganze Schwabenland hinaus bis an die bayrische Grenze so viele unentgeltlich ausgehen und wieder einnehmen kann, als man ertragen mag.
[1810]
Heimliche Enthauptung
Hat der Scharfrichter von Landau früh den 17. Juni seiner Zeit die sechste Bitte des Vaterunsers mit Andacht gebetet, so weiß ich's nicht. Hat er sie nicht gebetet, so kam ein Brieflein von Nanzig am geschicktesten Tag. In dem Brieflein stand geschrieben: »Nachrichter von Landau! Ihr sollt unverzüglich nach Nanzig kommen, und Euer großes Richtschwert mitbringen. Was Ihr zu tun habt, wird man Euch sagen und wohl bezahlen.« – Eine Kutsche zur Reise stand auch schon vor der Haustüre. Der Scharfrichter dachte: »Das ist meines Amts«, und setzte sich in die Kutsche. Als er noch eine Stunde herwärts Nanzig war, es war schon Abend, und die Sonne ging in blutroten Wolken unter, und der Kutscher hielt stille, und sagte: »Wir bekommen morgen wieder schön Wetter« da standen auf einmal drei starke, bewaffnete Männer an der Straße, die setzten sich auch zu dem Scharfrichter, und versprachen ihm, daß ihm kein Leids widerfahren sollte, »aber die Augen müßt Ihr Euch zubinden lassen«; und als sie ihm die Augen zugebunden hatten, sagten sie: »Schwager, fahr zu.« Der Schwager fuhr fort, und es war dem Scharfrichter, als wenn er noch gute zwölf Stunden weiter wäre geführt worden, und konnte nicht wissen, wo er war. Er hörte die Nachteulen der Mitternacht; er hörte die Hähne rufen; er hörte die Morgenglocken läuten. Auf einmal hielt die Kutsche wieder still. Man führte ihn in ein Haus, und gab ihm eins zu trinken, und einen guten Wurstwecken dazu. Als er sich mit Speise und Trank gestärkt hatte, führte man ihn weiter im nämlichen Haus, Tür ein und aus, Treppe auf und ab, und als man ihm die Binde abnahm, befand er sich in einem großen Saal. Der Saal war zwar ringsum mit schwarzen Tüchern behängt, und auf den Tischen brannten Wachskerzen. In der Mitte saß auf einem Stuhl eine Person mit entblößtem Hals und mit einer Larve vor dem Gesicht, und muß etwas in dem Mund gehabt haben, denn sie konnte nicht reden, sondern nur schluchzen. Aber an den Wänden standen mehrere Herren in schwarzen Kleidern und mit schwarzem Flor vor den Angesichtern, also, daß der Scharfrichter keinen von ihnen gekannt hätte, wenn er ihm in der andern Stunde wieder begegnet wäre, und einer von ihnen überreichte ihm sein Schwert, mit dem Befehl, dieser Person, die auf dem Stühlen saß, den Kopf abzuhauen. Da ward's dem armen Scharfrichter, als wenn er auf einmal im eiskalten Wasser stünde bis übers Herz, und sagte: das soll man ihm nicht übelnehmen. Sein Schwert, das dem Dienste der Gerechtigkeit gewidmet sei, könne er mit einer Mordtat nicht entheiligen. Allein einer von den Herren hob ihm aus der Ferne eine Pistole entgegen, und sagte: »Entweder, oder! Wenn Ihr nicht tut, was man Euch heißt, so seht Ihr den Kirchturm von Landau nimmermehr.« Da dachte der Scharfrichter an Frau und Kinder daheim, »und wenn's nicht anders sein kann«, sagte er, »und ich vergieße unschuldiges Blut, so komme es auf Euer Haupt«, und schlug mit einem Hieb der armen Person den Kopf vom Leibe weg. Nach der Tat, so gab ihm einer von den Herrn einen Geldbeutel, worin zweihundert Dublonen waren. Man band ihm die Augen wieder zu, und führte ihn in die nämliche Kutsche zurück. Die nämlichen Personen begleiteten ihn wieder, die ihn gebracht hatten. Und als endlich die Kutsche stille hielt, und er bekam die Erlaubnis, auszusteigen, und die Binde von den Augen abzulösen, stand er wieder, wo die drei Männer zu ihm eingesessen waren, eine Stunde herwärts Nanzig auf der Straße nach Landau, und es war Nacht. Die Kutsche aber fuhr eiligst wieder zurück.
Das ist dem Scharfrichter von Landau begegnet, und es wäre dem Hausfreund leid, wenn er sagen könnte, wer die arme Seele war, die auf einem so blutigen Weg in die Ewigkeit hat gehen müssen. Nein, es hat niemand erfahren, wer sie war, und was sie gesündiget hat, und niemand weiß das Grab.
[1810]
Der Star von Segringen
Selbst einem Staren kann es nützlich sein, wenn er etwas gelernt hat, wieviel mehr einem Menschen. – In einem respektabeln Dorf, ich will sagen, in Segringen, es ist aber nicht dort geschehen, sondern hier im Land, und derjenige, dem es begegnet ist, liest es vielleicht in diesem Augenblick, nicht der Star, aber der Mensch. In Segringen der Barbier hatte einen Star, und der wohlbekannte Lehrjung gab ihm Unterricht im Sprechen. Der Star lernte nicht nur alle Wörter, die ihm sein Sprachmeister aufgab, sondern er ahmte zuletzt auch selber nach, was er von seinem Herrn hörte, zum Exempel:
Ich bin der Barbier von Segringen
. Sein Herr hatte sonst noch allerlei Redensarten an sich, die er bei jeder Gelegenheit wiederholte, zum Exempel:
So, so, la, la
; oder: par compagnie, (das heißt soviel, als:
in Gesellschaft mit andern
); oder:
wie Gott will
; oder:
du Dolpatsch
. So titulierte er nämlich insgemein den Lehrjungen, wenn er das halbe Pflaster auf den Tisch strich, anstatt aufs Tuch, oder wenn er das Schermesser am Rücken abzog, anstatt an der Schneide, oder wenn er ein Arzneiglas zerbrach. Alle diese Redensarten lernte nach und nach der Star auch. Da nun täglich viel Leute im Haus waren, weil der Barbier auch Branntwein ausschenkte, so gab's manchmal viel zu lachen, wenn die Gäste miteinander ein Gespräch führten, und der Star warf auch eins von seinen Wörtern drein, das sich dazu schickte, als wenn er den Verstand davon hätte, und manchmal, wenn ihm der Lehrjung rief:
»Hansel, was machst du
?« antwortete er: »
Du Dolpatsch
!« und alle Leute in der Nachbarschaft wußten von dem Hansel zu erzählen. Eines Tages aber, als ihm die beschnittenen Flügel wieder gewachsen waren, und das Fenster war offen, und das Wetter schön, da dachte der Star: Ich hab jetzt schon so viel gelernt, daß ich in der Welt kann fortkommen, und husch zum Fenster hinaus. Weg war er. Sein erster Flug ging ins Feld wo er sich unter eine Gesellschaft anderer Vögel mischte, und als sie aufflogen, flog er mit ihnen, denn er dachte: Sie wissen die Gelegenheit hierzuland besser als ich. Aber sie flogen unglücklicherweise alle miteinander in ein Garn. Der Star sagte:
»Wie Gott will
.« Als der Vogelsteller kommt, und sieht, was er für einen großen Fang getan hat, nimmt er einen Vogel nach dem andern behutsam heraus, dreht ihm den Hals um, und wirft ihn auf den Boden. Als er aber die mörderischen Finger wieder nach einem Gefangenen ausstreckte, und denkt an nichts, schrie der Gefangene: »Ich
bin der Barbier von Segringen«
, als wenn er wüßte, was ihn retten muß. Der Vogelsteller erschrak anfänglich, als wenn es hier nicht mit rechten Dingen zuginge, nachher aber, als er sich erholt hatte, konnte er kaum vor Lachen zu Atem kommen; und als er sagte: »Ei Hansel, hier hätt ich dich nicht gesucht, wie kommst du in meine Schlinge?« da antwortete der Hansel: »Par compagnie.« Also brachte der Vogelsteller den Star seinem Herrn wieder, und bekam ein gutes Fanggeld. Der Barbier aber erwarb sich damit einen guten Zuspruch, denn jeder wollte den merkwürdigen Hansel sehen, und wer jetzt noch weit und breit in der Gegend will zur Ader lassen, geht zum Barbier von Segringen.
Merke
: So etwas passiert einem Staren selten. Aber schon mancher junge Mensch, der auch lieber herumflankieren, als daheim bleiben wollte, ist ebenfalls par compagnie in die Schlinge geraten, und nimmer herauskommen.
[1810]
Wie man in den Wald schreit,
also schreit es daraus
Ein Mann, der etwas gleichsah, aber nicht viel Komplimente machte, kommt in ein Wirtshaus. Alle Gäste, die da waren, zogen höflich den Hut oder die Kappe vor ihm ab, bis auf einen, der ihn nicht kommen sah, weil er gerade die Stiche zählte, die er im Mariaschen von seinem Nachbar gewonnen hatte. Und als er eben das Herz-As durch die Finger schob, und sagte: »Zweiundfünfzig und eilf sind dreiundsechzig«, und bemerkte immer den Fremden noch nicht, der etwas gleichsah, fragte ihn der Fremde: »Herr, für was sehet Ihr mich an?« Der Gast sagte: »Für einen honetten Mann; was weiß ich von Euch?« Der Fremde sagte: »Das dank Euch ein anderer.« Da stand der Gast vom Spieltisch auf: und fragte: »Für was sieht denn der Herr mich an?« Der Fremde sagte: »Für einen Flegel.« Darauf sagte der Gast: »Das danke dem Herrn auch ein anderer.
Ich merke, daß wir einander beide für den Unrechten angesehen haben.«
Als aber die andern Gäste merkten, daß doch auch in einem feinen Rock ein grober Mensch stecken könne, setzten sie alle die Hüte wieder auf, und der Fremde konnte nichts machen, als ein andermal manierlicher sein.
[1810]
Die falsche Schätzung
Reiche und vornehme Leute haben manchmal das Glück, wenigstens von ihren Bedienten die Wahrheit zu hören, die ihnen nicht leicht ein anderer sagt.
Einer, der sich viel auf seine Person und auf seinen Wert, und nicht wenig auf seinen Kleiderstaat einbildete, als er sich eben zu einer Hochzeit angezogen hatte, und sich mit seinen fetten roten Backen im Spiegel beschaute, dreht er sich vom Spiegel um, und fragt seinen Kammerdiener, der ihn von der Seite her wohlgefällig beschaute: »Nun Thadde«, fragte er ihn, »wieviel mag ich wohl wert sein, wie ich da stehe?« Der Thadde machte ein Gesicht, als wenn er ein halbes Königreich zu schätzen hätte, und drehte lang die rechte Hand mit ausgestreckten Fingern so her, und so hin. »Doch auch fünfhundertundfünfzig Gulden«, sagte er endlich, »weil doch heutzutag alles teurer ist, als sonst.« Da sagte der Herr:
»Du dummer Kerl, glaubst du nicht, daß mein Gewand, das ich anhabe: allein seine fünfhundert Gulden wert ist?« Da trat der Kammerdiener ein paar Schritte gegen die Stubentüre zurück, und sagte: »Verzeiht mir meinen Irrtum, ich hab's etwas höher angeschlagen, sonst hätt ich nicht soviel herausgebracht.«
[1810]
Das letzte Wort
Zwei Eheleute in einem Dorf an der Donau, herwärts Ulm, lebten miteinander, die waren nicht füreinander gemacht, und ihre Ehe ward nicht im Himmel geschlossen. Sie war verschwenderisch, und hatte eine Zunge wie ein Schwert; er war karg, was nicht etwa in den eigenen Mund und Magen ging. Nannte er sie eine
Vergeuderin
, so schimpfte sie ihn einen
Knicker
, und es kam nur auf ihn an, wie oft er seinen Ehrentitel des Tags hören wollte. Denn wenn er hundertmal in einer Stunde
Vergeuderin
sagte, sagte sie hundertundeinmal: »
Du Knicker«
, und das letzte Wort gehörte allemal ihr. Einmal fingen sie es wieder miteinander an, als sie ins Bett gingen, und sollen's getrieben haben bis früh um fünf Uhr, und als ihnen zuletzt vor Müdigkeit die Augen zufielen, und ihr das Wort auf der Zunge einschlafen wollte, kneipte sie sich mit den Nägeln in den Arm, und sagte noch einmal: »
Du Knicker!«
Darüber verlor er alle Liebe zur Arbeit und zur Häuslichkeit, und lief fort, sobald er konnte, und wohin? Ins Wirtshaus. Und was im Wirtshaus? Zuerst trinken, darnach spielen, endlich saufen, anfänglich um bares Geld, zuletzt auf die Kreide. Denn wenn die Frau nichts zu Rat hält, und der Mann nichts erwirbt, in einer solchen Tasche darf schon ein Loch sein, es fällt nichts heraus. Als er aber im roten Rößlein den letzten Rausch gekauft hatte, und konnt ihn nicht bezahlen, und der Wirt schrieb seinen Namen und seine Schuld, sieben Gulden einundfünfzig Kreuzer, an die Stubentür, und als er nach Haus kam, und die Frau erblickte: »Nichts als Schimpf und Schande hat man von dir, du Vergeuderin«, sagte er zu ihr. »Und nichts als Unehre und Verdruß hat man von dir, du Säufer, du der und jener, du Knicker«, sagte sie. Da stieg es schwarz und grimmig in seinem Herzen auf, und die zwei bösen Geister, die in ihm wohnten, nämlich der Zorn und der Rausch, sagten zu ihm: »Wirf die Bestie in die Donau.« Das ließ er sich nicht zweimal sagen. »Wart, ich will dir zeigen, du Vergeuderin, (›du Knicker‹, sagte sie ihm drauf) ich will dir schon zeigen, wo du hingehörst«, und trug sie in die Donau. Und als sie schon mit dem Mund im Wasser war, aber die Ohren waren noch oben, rief der Unmensch noch einmal: »Du Vergeuderin.« Da hob die Frau noch einmal die Arme aus dem Wasser empor, und drückte den Nagel des rechten Daumes auf den Nagel des linken, wie man zu tun pflegt, wenn man einem gewissen Tierlein den Tod antut, und das war ihr Letztes. – Dem geneigten Leser, der auf Recht und Gerechtigkeit hält, wird man nicht sagen dürfen, daß der unbarmherzige Mörder auch nimmer lebt, sondern er ging heim, und henkte sich noch in der nämlichen Nacht an den Pfosten.
[1810]
Gutes Wort, böse Tat
In einem edelmännischen Dorf trifft ein Bauer den Herrn Schulmeister im Felde an. »Ist's noch Euer Ernst, Schulmeister, was Ihr gestern den Kindern zergliedert habt: So dich jemand schlägt auf deinen rechten Backen, dem biete den andern auch dar?« Der Herr Schulmeister sagt: »Ich kann nichts davon und nichts dazu tun. Es steht im Evangelium.« Also gab ihm der Bauer eine Ohrfeige, und die andere auch, denn er hatte schon lang einen Verdruß auf ihn. Indem reitet in einiger Entfernung der Edelmann vorbei und sein Jäger: »Schau doch nach, Joseph, was die zwei dort miteinander haben.« Als der Joseph kommt, gibt der Schulmeister, der ein starker Mann war, dem Bauer auch zwei Ohrfeigen, und sagte: »Es steht auch geschrieben: ›Mit welcherlei Maß ihr messet, wird euch wieder gemessen werden. Ein voll gerüttelt und überflüssig Maß wird man in euren Schoß geben‹«; und zu dem letzten Sprüchlein gab er ihm noch ein halbes Dutzend drein. Da kam der Joseph zu seinem Herrn zurück, und sagte: »Es hat nichts zu bedeuten, gnädiger Herr;
sie legen einander nur die Heilige Schrift aus.«
Merke: Man muß die Heilige Schrift nicht auslegen, wenn man's nicht versteht, am allerwenigsten so. Denn der Edelmann ließ den Bauren noch selbige Nacht in den Turm werfen auf 6 Tage, und dem Herrn Schulmeister, der mehr Verstand und Respekt vor der Bibel hätte haben sollen, gab er, als die Winterschule ein Ende hatte, den Abschied.
[1810]
Der geduldige Mann
Ein Mann, der eines Nachmittags müde nach Hause kam, hätte gern ein Stück Butterbrot mit Schnittlauch darauf gegessen, oder etwas von einem geräucherten Bug. Aber die Frau, die im Haus ziemlich der Meister war, und in der Küche ganz, hatte den Schlüssel zum Küchenkästlein in der Tasche, und war bei einer Freundin auf Besuch. Er schickte daher die Magd und den Knecht eins um das andere, die Frau soll heimkommen, oder den Schlüssel schicken. Sie sagte allemal: »Ich komm gleich, er soll nur ein wenig warten.« Als ihm aber die Geduld immer näher zusammenging, und der Hunger immer weiter auseinander, trägt er und der Knecht das verschlossene Küchenkästlein in das Haus der Freundin, wo seine Frau zum Besuch war, und sagt zu seiner Frau: »Frau, sei so gut, und schließ mir das Kästlein auf, daß ich etwas zum Abendessen nehmen kann, sonst halt ich's nimmer aus.« Also lachte die Frau, und schnitt ihm ein Stücklein Brot herab und etwas vom Bug.
Der schlaue Mann
Einem andern, als er das Wirtshaussitzen bis nach Mitternacht anfing, schloß einmal die Frau nachts um 10 Uhr die Türe zu, und ging ins Bett, und wollt er wohl oder übel, so mußte er unter dem Bienenstand im Garten über Nacht sein. Den andern Tag, was tut er? Als er ins Wirtshaus ging, hob er die Haustüre aus den Kloben, und nahm sie mit, und früh um 1 Uhr, als er heimkam, hängt er sie wieder ein, und schloß sie zu, und seine Frau hat ihn nimmer ausgeschlossen und ist ins Bett gegangen, sondern hat ihn nachher mit Liebe und Sanftmut gebessert.
[1810]
Der Heiner und der Brassenheimer Müller
Eines Tages saß der Heiner ganz betrübt in einem Wirtshaus, und dachte daran, wie ihn zuerst der rote Dieter und darnach sein eigener Bruder verlassen haben, und wie er jetzt allein ist. »Nein«, dachte er, »es ist bald keinem Menschen mehr zu trauen, und wenn man meint, es sei einer noch so ehrlich, so ist er ein Spitzbub.« Unterdessen kommen mehrere Gäste in das Wirtshaus, und trinken Neuen, und »wißt Ihr auch«, sagte einer, »daß der Zundelheiner im Land ist, und wird morgen im ganzen Amt ein Treibjagen auf ihn angestellt, und der Amtmann und die Schreiber stehen auf dem Anstand?« Als das der Heiner hörte, wurde es ihm grün und gelb vor den Augen, denn er dachte, es kenne ihn einer, und jetzt sei er verraten. Ein anderer aber sagte: »Es ist wieder einmal ein blinder Lärm. Sitzt nicht der Heiner und sein Bruder zu Wollenstein im Zuchthaus?« Drüber kommt auf einem wohlgenährten Schimmel der Brassenheimer Müller mit roten Pausbacken und kleinen freundlichen Augen dahergeritten. Und als er in die Stube kam, und tut den Kameraden, die bei dem Neuen sitzen, Bescheid, und hört, daß sie von dem Zundelheiner sprechen, sagt er: »Ich hab schon so viel von dem Zundelheiner erzählen gehört. Ich möcht ihn doch auch einmal sehen.« Da sagte ein anderer: »Nehmt Euch in acht, daß Ihr ihn nicht zu früh zu sehen bekommt. Es geht die Rede, er sei wieder im Land.« Aber der Müller mit seinen Pausbacken sagte: »Pah! ich komm noch bei guter Tagszeit durch den Fridstädter Wald, dann bin ich auf der Landstraße, und wenn's fehlen will, geb ich dem Schimmel die Sporen.« Als das der Heiner hörte, fragt er die Wirtin: »Was bin ich schuldig«, und geht fort in den Fridstädter Wald. Unterwegs begegnet ihm auf der Bettelfuhr ein lahmer Mensch. »Gebt mir für ein Käsperlein Eure Krücke«, sagte er zu dem lahmen Soldaten. »Ich habe das linke Bein übertreten, daß ich laut schreien möchte, wenn ich drauf treten muß. Im nächsten Dorf, wo Ihr abgeladen werdet, macht Euch der Wagner eine neue.« Also gab ihm der Bettler die Krücke. Bald darauf gehen zwei betrunkene Soldaten an ihm vorbei, und singen das Reuterlied. Wie er in den Fridstädter Wald kommt, hängt er die Krücke an einen hohen Ast, setzt sich ungefähr sechs Schritte davon weg an die Straße, und zieht das linke Bein zusammen, als wenn er lahm wäre. Drüber kommt auf stattlichem Schimmel der Müller dahertrottiert, und macht ein Gesicht, als wenn er sagen wollte: »Bin ich nicht der reiche Müller, und bin ich nicht der schöne Müller, und bin ich nicht der witzige Müller?« Als aber der witzige Müller zu dem Heiner kam, sagt der Heiner mit kläglicher Stimme: »Wolltet Ihr nicht ein Werk der Barmherzigkeit tun an einem armen lahmen Mann. Zwei betrunkene Soldaten, sie werden Euch wohl begegnet sein, haben mir all mein Almosengeld abgenommen, und haben mir aus Bosheit, daß es so wenig war, die Krücke auf jenen Baum geschleudert, und ist in den Ästen hängenblieben, daß ich nun nimmer weiter kann. Wolltet Ihr nicht so gut sein, und sie mit Eurer Peitsche herabzwicken?« Der Müller sagte: »Ja sie sind mir begegnet an der Waldspitze. Sie haben gesungen:
So herzig, wie mein Lisel, ist halt nichts auf der Welt.«
Weil aber der Müller auf einem schmalen Steg über einen Graben zu dem Baum mußte, so stieg er von dem Roß ab, um die Krücke herabzuzwicken. Als er aber an dem Baum war, und schaut hinauf, schwingt sich der Heiner schnell wie ein Adler auf den stattlichen Schimmel, gibt ihm mit dem Absatz die Sporen, und reitet davon. »Laßt Euch das Gehen nicht verdrießen«, rief er dem Müller zurück, »und wenn Ihr heimkommt, so richtet Eurer Frau einen Gruß aus von dem Zundelheiner!« Als er aber eine Viertelstunde nach Betzeit nach Brassenheim und an die Mühle kam, und alle Räder klapperten, daß ihn niemand hörte, stieg er vor der Mühle ab, band dem Müller den Schimmel wieder an der Haustüre an, und setzte seinen Weg zu Fuß fort.
[1810]
Der falsche Edelstein
In einem schönen Garten vor Straßburg vor dem Metzgertor, wo jedermann für sein Geld hineingehen und lustig und honett sein darf, da saß ein wohlgekleideter Mann, der auch sein Schöpplein trank, und hatte einen Ring am Finger mit einem kostbaren Edelstein, und spiegelte den Ring. So kommt ein Jude, und sagt: »Herr, Ihr habt einen schönen Edelstein in Eurem Fingerring, dem wäre ich auch nicht feind. Glitzert er nicht wie das Urim und Thummim in dem Brustschildlein des Priesters Aaron?« Der wohlgekleidete Fremde sagte ganz kurz und trocken: »Der Stein ist falsch; wenn er gut wäre, steckte er wohl an einem andern Finger, als an dem meinigen.« Der Jud bat den Fremden, ihm den Ring in die Hand zu geben. Er wendet ihn hin, er wendet ihn her, dreht den Kopf rechts, dreht den Kopf links. »Soll dieser Stein nicht echt sein?« dachte er, und bot dem Fremden für den Ring zwei neue Dublonen. Der Fremde sagte ganz unwillig: »Was soll ich Euch betrügen? Ihr habt es schon gehört, der Stein ist falsch.« Der Jude bittet um Erlaubnis, ihn einem Kenner zu zeigen, und einer der dabeisaß, sagte: »Ich stehe gut für den Israeliten, der Stein mag wert sein, was er will.« Der Fremde sagte: »Ich brauche keinen Bürgen, der Stein ist nicht echt.«
In dem nämlichen Garten saß damals an einem andern Tisch auch der Hausfreund mit seinen Gevatterleuten, und waren auch lustig und honett für ihr Geld, und einer davon ist ein Goldschmidt, der's versteht. Einem Soldaten, der in der Schlacht bei Austerlitz die Nase verloren hatte, hat er eine silberne angesetzt und mit Fleischfarbe angestrichen, und die Nase war gut. Nur einblasen einen lebendigen Odem in die Nase, das konnte er nicht. Zu dem Gevattermann kommt der Jude. »Herr«, sagte er, »soll dieses kein echter Edelstein sein? Kann der König Salomon einen schönern in der Krone getragen haben?« Der Gevattermann, der auch ein halber Sternseher ist, sagte: »Er glänzt, wie am Himmel der Aldebaran. Ich verschaffe Euch 90 Dublonen für den Ring. Was Ihr ihn wohlfeiler bekommt, ist Euer Schmus.« Der Jud kehrt zu dem Fremden zurück. »Echt oder unecht, ich gebe Euch sechs Dublonen«, und zählte sie auf den Tisch, funkelnagelneu. Der Fremde steckte den Ring wieder an den Finger, und sagte jetzt: »Er ist mir gar nicht feil. Ist der falsche Edelstein so gut nachgemacht, daß Ihr ihn für einen rechten haltet, so ist er mir auch so gut«, und steckte die Hand in die Tasche, daß der lüsterne Israelit den Stein gar nicht mehr sehen sollte. – »Acht Dublonen.« »Nein.« – »Zehn Dublonen.« »Nein.« – »Zwölf – vierzehn – fünfzehn Dublonen.« »Nun denn«, sagte endlich der Fremde, »wenn Ihr mir keine Ruhe lassen, und mit Gewalt wollt betrogen sein. Aber ich sage es Euch vor allen diesen Herren da, der Stein ist falsch, und ich gehe Euch kein gut Wort mehr dafür. Denn ich will keinen Verdruß haben. Der Ring ist Euer.« Jetzt brachte der Jud voll Freude dem Gevattermann den Ring. »Morgen komm ich zu Euch und hole das Geld.« Aber der Gevattermann, den noch niemand angeführt hat, machte ein paar große Augen. »Guter Freund, das ist nicht mehr der nämliche Ring, den Ihr mir vor zwei Minuten gezeigt habt. Dieser Stein ist zwanzig Kreuzer wert zwischen Brüdern. So macht man sie bei Sankt Blasien in der Glashütte.« Denn der Fremde hatte wirklich einen falschen Ring in der Tasche, der völlig wie der gute aussah, den er zuerst am Finger spiegelte, und während der Jude mit ihm handelte, und er die Hand in der Tasche hatte, streifte er mit dem Daumen den echten Ring vom Finger ab, und steckte den Finger in den falschen, und den bekam der Jud. Da fuhr der Betrogene, als wenn er auf einer brennenden Rakette geritten wäre, zu dem Fremden zurück: »Au weih, au weih! ich bin ein betrogener Mann, ein unglücklicher Mann, der Stein ist falsch.« Aber der Fremde sagte ganz kaltblütig und gelassen: »Ich hab ihn Euch für falsch verkauft. Diese Herren hier sind Zeugen. Der Ring ist Euer. Hab ich Euch ihn angeschwätzt, oder habt Ihr ihn mir abgeschwätzt?« Alle Anwesenden mußten gestehen: »Ja er hat ihm den Stein für falsch verkauft, und gesagt: der Ring ist Euer.« Also mußte der Jud den Ring behalten, und die Sache wurde nachher unterdrückt.
[1810]
Das schlaue Mädchen
In einer großen Stadt hatten viele reiche und vornehme Herren einen lustigen Tag. Einer von ihnen dachte: »Könnt ihr heute dem Wirt und den Musikanten wenigstens 1500 Gulden zu verdienen gehen, so könnt ihr auch etwas für die liebe Armut steuren.« Also kam, als die Herren am fröhlichsten waren, ein hübsches und nett gekleidetes Mädchen mit einem Teller, und bat mit süßen Blicken und liebem Wort um eine Steuer für die Armen. Jeder gab, der eine weniger, der andere mehr, je nachdem der Geldbeutel beschaffen war und das Herz. Denn kleiner Beutel und enges Herz gibt wenig. Weiter Beutel und großes Herz gibt viel. So ein Herz hatte derjenige, zu welchem das Mägdlein jetzt kommt. Denn als er ihm in die hellen schmeichelnden Augen schaute, ging ihm das Herz fast in Liebe auf. Deswegen legte er zwei Louisd'or auf den Teller und sagte dem Mägdlein ins Ohr: »
Für deine zwei schönen blauen Augen
.« Das war nämlich so gemeint:
»Weil du schöne Fürbitterin für die Armen, zwei so schöne Augen hast, so geb ich den Armen zwei so schöne Louisd'or, sonst tät's eine auch.« Das schlaue Mädchen aber stellte sich, als wenn es die Sache ganz anders verstünde. Denn weil er sagte: »Für deine zwei schöne Augen« – nahm es ganz züchtig die zwei Louisd'or vom Teller weg, steckte sie in die eigene Tasche, und sagte mit schmeichelnden Gebärden: »Schönen herzlichen Dank! Aber seid so gut und gebt mir jetzt auch noch etwas für die Armen.« Da legte der Herr noch einmal zwei Louisd'or auf den Teller, kneipte das Mägdlein freundlich in die Backen, und sagte: »Du kleiner Schalk!« Von den andern aber wurde er ganz entsetzlich ausgelacht, und sie tranken auf des Mägdleins Gesundheit, und die Musikanten machten Tusch.
[1810]
Ein gutes Rezept
In Wien der Kaiser Joseph war ein weiser und wohltätiger Monarch, wie jedermann weiß, aber nicht alle Leute wissen, wie er einmal der Doktor gewesen ist, und eine arme Frau kuriert hat. Eine arme kranke Frau sagte zu ihrem Büblein: »Kind hol mir einen Doktor, sonst kann ich's nimmer aushalten vor Schmerzen.« Das Büblein lief zum ersten Doktor und zum zweiten, aber keiner wollte kommen, denn in Wien kostet ein Gang zu einem Patienten einen Gulden, und der arme Knabe hatte nichts als Tränen, die wohl im Himmel für gute Münze gelten, aber nicht bei allen Leuten auf der Erde. Als er aber zum dritten Doktor auf dem Weg war, oder heim, fuhr langsam der Kaiser in einer offenen Kutsche an ihm vorbei. Der Knabe hielt ihn wohl für einen reichen Herrn, ob er gleich nicht wußte, daß es der Kaiser ist, und dachte: Ich will's versuchen. »Gnädiger Herr«, sagte er, »wolltet Ihr mir nicht einen Gulden schenken, seid so barmherzig!« Der Kaiser dachte: »Der faßt's kurz, und denkt, wenn ich den Gulden auf einmal bekomme, so brauch ich nicht sechzigmal um den Kreuzer zu betteln.« »Tut's ein Käsperlein oder zwei Zwanziger nicht auch?« fragt ihn der Kaiser. Das Büblein sagte: »Nein«, und offenbarte ihm, wozu er das Geld benötigt sei. Also gab ihm der Kaiser den Gulden, und ließ sich genau von ihm beschreiben wie seine Mutter heißt, und wo sie wohnt, und während das Büblein zum dritten Doktor springt, und die kranke Frau betet daheim, der liebe Gott wolle sie doch nicht verlassen, fährt der Kaiser zu ihrer Wohnung und verhüllt sich ein wenig in seinen Mantel, also daß man ihn nicht recht erkennen konnte, wer ihn nicht darum ansah. Als er aber zu der kranken Frau in ihr Stüblein kam, und sah recht leer und betrübt darin aus, meint sie, es ist der Doktor, und erzählt ihm ihren Umstand, und wie sie noch so arm dabei sei, und sich nicht pflegen könne. Der Kaiser sagte: »Ich will Euch dann jetzt ein Rezept verschreiben« und sie sagte ihm, wo des Bübleins Schreibzeug ist. Also schrieb er das Rezept, und belehrte die Frau, in welche Apotheke sie es schicken müsse, wenn das Kind heimkommt, und legte es auf den Tisch. Als er aber kaum eine Minute fort war, kam der rechte Doktor auch. Die Frau verwunderte sich nicht wenig, als sie hörte, er sei auch der Doktor, und entschuldigte sich, es sei schon so einer da gewesen und hab ihr etwas verordnet, und sie habe nur auf ihr Büblein gewartet. Als aber der Doktor das Rezept in die Hand nahm und sehen wollte, wer bei ihr gewesen sei und was für einen Trank oder Pillelein er ihr verordnet hat, erstaunte er auch nicht wenig, und sagte zu ihr: »Frau«, sagte er, »Ihr seid einem guten Arzt in die Hände gefallen, denn er hat Euch fünfundzwanzig Dublonen verordnet, beim Zahlamt zu erheben, und unten dran steht:
Joseph
, wenn Ihr ihn kennt. Ein solches Magenpflaster und Herzsalbe und Augentrost hätt ich Euch nicht verschreiben können.« Da tat die Frau einen Blick gegen den Himmel und konnte nichts sagen vor Dankbarkeit und Rührung, und das Geld wurde hernach richtig und ohne Anstand von dem Zahlamt ausbezahlt, und der Doktor verordnete ihr eine Mixtur und durch die gute Arznei und durch die gute Pflege, die sie sich jetzt verschaffen konnte, stand sie in wenig Tagen wieder auf gesunden Beinen. Also hat der Doktor die kranke Frau kuriert, und der Kaiser die arme, und sie lebt noch und hat sich nachgehends wieder verheiratet.
[1810]
Vereitelte Rachsucht
Der Amtmann in Nordheim ließ im Krieg in den neunziger Jahren fünf Jauner henken, und waren's in der ersten Viertelstunde so gut gewohnt, daß keiner mehr herabverlangte, und je nachdem der Wind ging, exerzierten sie miteinander zum Zeitvertreib, rechts um, links um, ohne Flügelmann. Aber einem seine Beiläuferin, die einen Buben von ihm hatte, sagte: »Wart Amtmann, ich will dir's eintränken.« Ein paar Tage darauf reitet die österreichische Patrouille gegen das Städtlein am Galgen vorbei, da sagt einer zu dem andern: »Es lauft dir eine Spinne am Hut, so groß wie ein Taubenei.« So zieht der andere vor den Gehenkten den Hut ab, und die Gehenkten, weil eben der Wind aus Westen ging, drehten sich und machten Front. Indem schleicht von weitem ein Büblein von der Straße ab hinter eine Hecke, wie einer, der keine guten Briefe hat. Aber das Büblein hatte gar keine, weder gute noch schlechte. Denn als einer von den Dragonern auch um die Hecke ritt, fiel der Junge vor ihm auf die Knie, und sagte mit Zittern und mit Beben: »Pardon! Ich hab sie alle ins Wasser geworfen.« Der Dragoner sagte: »Was hast du ins Wasser geworfen?« – »Die Briefe.« – »Was für Briefe?« »Die Briefe vom Amtmann an die Franzosen. Wenn Östreicher ins Land kommen«, sagte der Bursche, »muß ich dem Amtmann Boten laufen ins französische Lager. Diesmal hatte ich drei Briefe, einen an den Dürrmeier.« Also holten die Dragoner, mir nichts, dir nichts, den Amtmann ab, wie er ging und stand, und mußte in den Pantoffeln zwischen den Pferden im Kot mitlaufen, und spritzte die Rosse nicht sehr, aber die Rosse ihn, und der Bube mußte auch mit. Der Amtmann war so unschuldig, als der römische Kaiser selbst, hätte sich für die östreichischen Waffen lebendig die Haut abziehen lassen, hatte sechs Kinder, eins schöner als das andere, und eine schwangere Frau. Aber das war die Rache, die ihm die Jaunerin zugedacht hatte, als sie sagte: »Wart, Amtmann, ich will dir's gedenken.« Im Lager, als er zu dem General geführt wurde, und die Hohenzollerer Kürassiere und Kaiser-Dragoner und Erdödi-Husaren sahen ihn vorbeiführen, sagte einer von der Patrouille seinem Kameraden vom Pferd herab: »Es ist ein Spion.« Der Kamerad sagte: »Strick ist sein Lohn.« Und der Offizier, an den sie ihn ablieferten, war auch der Meinung, und bestellte spottweise schon bei ihm einen Gruß an den Schwarzen und seine Großmutter. Dem Hausfreund ist's aber bei dieser Geschichte nicht halb so angst, als dem geneigten Leser, denn ohne seinen Willen kann der Amtmann nicht sterben, sondern als er vor das Verhör geführt wurde, schaute ihn der Hauptmann Auditor mit Verwunderung und Bedauren an, und sagte: »Seid Ihr nicht der nämliche, der mich vor einem Jahr drei Tage lang im Keller hinter der Sauerkrautstande vor den Franzosen verborgen hat, und habt Schläge genug von ihnen bekommen, und als sie Euch oben den Speck verzehrten, aß ich unten das Sauerkraut dazu, samt den Gumbistäpfeln.« Der Amtmann sagte: »Gott erkennt's, und ich bin so unschuldig als die Mutter Gottes in der Kirche, so doch von Lindenholz ist, und ihr Leben lang noch keinen Buchstaben geschrieben hat.« Indem kamen auch mehrere gute Freunde und angesehene Bürger von Nordheim ins Hauptquartier und bezeugten seine Rechtschaffenheit und Treue und was er schon für Drangsalierung von den Franzosen habe ausstehen müssen, und wie auf seine Anordnung der letzte Sieg der Östreicher mit Katzenköpfen gefeiert wurde, daß der Kirchturm wackelte, und er selber habe keinen Rausch gehabt, aber einen Stich. Der Hauptmann Auditor, der noch immer daran dachte, wie er drei Tage lang in des Amtmanns Keller in der verborgenen Garnison lag, hinter dem Schanzkorb, hinter der Sauerkrautstande, war geneigter, Ja zu glauben als Nein. Also ließ er den Amtmann hinausführen und den Buben herein, und tat ein paar verfängliche Fragen an ihn, sagte ihm aber nicht, daß sie verfänglich sind. Deswegen war der Bursche, so sehr er die Spitzbubenmilch an der Mutter Brüsten eingesogen hatte, mit seinem Ja und Nein so unvorsichtig, daß er in wenig Minuten nimmer links, nimmer rechts auszuweichen wußte und alles gestand. Also bekam er links und rechts fünfzehen Hiebe vom Profos, und begleitete freiwillig die Mutter ins Zuchthaus nach Heiligenberg. Der Amtmann aber aß mit dem Hauptmann Auditor bei dem Generalfeldmarschall zu Nacht, und den andern Tag bei seiner Frau und Kindern zu Mittag, und der Hausfreund tut auch einen Freudentrunk, daß er wieder ein Exempel der Gerechtigkeit statuiert hat.
[1810]
Schreckliche Unglücksfälle in der Schweiz
Hat jede Gegend ihr Liebes, so hat sie auch ihr Leides, und wer manchmal erfährt, was an andern Orten geschieht, findet wohl Ursache, zufrieden zu sein mit seiner Heimat. Hat z.B. die Schweiz viel herdenreiche Alpen, Käse und Butter und Freiheit, so hat sie auch Lavinen. Der 12. Dezember des Jahrs 1809 brachte für die hohen Bergtäler dieses Landes eine fürchterliche Nacht, und lehrt uns, wie ein Mensch wohl täglich Ursache hat, an das Sprüchlein zu denken: »Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen.« Auf allen hohen Bergen lag ein tiefer frisch gefallener Schnee. Der zwölfte Dezember brachte Tauwind und Sturm. Da dachte jedermann an großes Unglück, und betete. Wer sich und seine Wohnung für sicher hielt, schwebte in Betrübnis und Angst für die Armen, die es treffen wird, und wer sich nicht für sicher hielt, sagte zu seinen Kindern: »Morgen geht uns die Sonne nimmer auf«, und bereitete sich zu einem seligen Ende. Da rissen sich auf einmal und an allen Orten von den Firsten der höchsten Berge die Lavinen oder Schneefälle los, stürzten mit entsetzlichem Tosen und Krachen über die langen Halden herab, wurden immer größer und größer, schossen immer schneller, toseten und krachten immer fürchterlicher, und jagten die Luft vor sich und so durcheinander, daß im Sturm, noch ehe die Lavine ankam, ganze Wälder zusammenkrachten, und Ställe, Scheuren und Waldungen wie Spreu davonflogen, und wo die Lavinen sich in den Tälern niederstürzten, da wurden stundenlange Strecken, mit allen Wohngebäuden, die darauf standen, und mit allem Lebendigen, was darin atmete, erdrückt und zerschmettert, wer nicht wie durch ein göttliches Wunder gerettet wurde.
Einer von zwei Brüdern in Uri, die miteinander hauseten, war auf dem Dach, das hinten an den Berg anstoßt, und dachte: »Ich will den Zwischenraum zwischen dem Berg und dem Dächlein mit Schnee ausfüllen und alles eben machen, auf daß, wenn die Lavine kommt, so fährt sie über das Häuslein weg, daß wir vielleicht« – und als er sagen wollte: »daß wir vielleicht mit dem Leben davonkommen« – da führte ihn der plötzliche Windbraus, der vor der Lavine hergeht, vom Dach hinweg und hob ihn schwebend in der Luft, wie einen Vogel über einem entsetzlichen Abgrund. Und als er eben in Gefahr war in die unermeßliche Tiefe hinabzustürzen, und wäre seines Gebeins nimmer gefunden worden, da streifte die Lavine an ihm vorbei und warf ihn seitwärts an eine Halde. Er sagt, es habe ihm nicht wohlgetan, aber in der Betäubung umklammerte er noch einen Baum, an dem er sich festhielt, bis alles vorüber war, und kam glück lich davon und ging wieder heim zu seinem Bruder, der auch noch lebte, obgleich der Stall neben dem Häuslein wie mit einem Besen weggewischt war. Da konnte man wohl auch sagen: »Der Herr hat seinen Engeln befohlen über dir, daß sie dich auf den Händen tragen. Denn er macht Sturmwinde zu seinen Boten, und die Lavinen, daß sie seine Befehle ausrichten.«
Anders erging es im
Sturnen
, ebenfalls im Kanton Uri. Nach dem Abendsegen sagte der Vater zu der Frau und den drei Kindern: »Wir wollen doch auch noch ein Gebet verrichten für die armen Leute, die in dieser Nacht in Gefahr sind.« Und während sie beteten, donnerte schon aus allen Tälern der ferne Widerhall der Lavinen, und während sie noch beteten, stürzte plötzlich der Stall und das Haus zusammen. Der Vater wurde vom Sturmwind hinweggeführt, hinaus in die fürchterliche Nacht, und unten am Berg abgesetzt und von dem nachwehenden Schnee begraben. Noch lebte er, als er aber den andern Morgen mit unmenschlicher Anstrengung sich hervorgegraben, und die Stätte seiner Wohnung wieder erreicht hatte, und sehen wollte was aus den Seinigen geworden sei, barmherziger Himmel! da war nur Schnee und Schnee, und kein Zeichen einer Wohnung, keine Spur des Lebens mehr wahrzunehmen. Doch vernahm er nach langem ängstlichem Rufen, wie aus einem tiefen Grab, die Stimme seines Weibes unter dem Schnee herauf. Und als er sie glücklich und unbeschädiget hervorgegraben hatte, da hörten sie plötzlich noch eine bekannte und liebe Stimme:
»Mutter, ich wäre auch noch am Leben«
, rief ein Kind,
»aber ich kann nicht heraus
.« Nun arbeitete Vater und Mutter noch einmal und brachten auch das Kind hervor, und ein Arm war ihm abgebrochen. Da ward ihr Herz mit Freude und Schmerzen erfüllt, und von ihren Augen flossen Tränen des Dankes und der Wehmut. Denn die zwei andern Kinder wurden auch noch herausgegraben, aber tot.
In
Pilzeig
, ebenfalls im Kanton Uri, wurde eine Mutter mit zwei Kindern fortgerissen, und unten in der Tiefe vom Schnee verschüttet. Ein Mann, ihr Nachbar, den die Lavine ebenfalls dahin geworfen hatte, hörte ihr Wimmern und grub sie hervor. Vergeblich war das Lächeln der Hoffnung in ihrem Antlitz. Als die Mutter halbnackt umherschaute, kannte sie die Gegend nicht mehr, in der sie war. Ihr Retter selbst war unmächtig niedergesunken. Neue Hügel und Berge von Schnee, und ein entsetzlicher Wirbel von Schneeflocken füllten die Luft. Da sagte die Mutter: »Kinder, hier ist keine Rettung möglich; wir wollen beten, und uns dem Willen Gottes überlassen.« Und als sie beteten, sank die siebenjährige Tochter sterbend in die Arme der Mutter, und als die Mutter mit gebrochenem Herzen ihr zusprach, und ihr Kind der Barmherzigkeit Gottes empfahl, da verließen sie ihre Kräfte auch. Sie war eine 14tägige Kindbetterin, und sie sank mit dem teuren Leichnam ihres Kindes in dem Schoß, ebenfalls leblos darnieder. Die andere eilfjährige Tochter hielt weinend und händeringend bei der Mutter und Schwester aus, bis sie tot waren, drückte ihnen alsdann, eh sie auf eigene Rettung bedache war, mit stummem Schmerz die Augen zu, und arbeitete sich mit unsäglicher Mühe und Gefahr erst zu einem Baum, dann zu einem Felsen herauf und kam gegen Mitternacht endlich an ein Haus, wo sie zum Fenster hinein aufgenommen, und mit den Bewohnern des Hauses erhalten wurde.
Kurz, in allen Bergkantonen der Schweiz, in Bern, Glarus, Uri, Schwitz, Graubündten, sind in
einer
Nacht, und fast in der nämlichen Stunde, durch die Lavinen ganze Familien erdrückt, ganze Viehherden mit ihren Stallungen zerschmettere, Matten und Gartenland bis auf den nackten Felsen hinab aufgeschürft und weggeführt, und ganze Wälder zerstöre worden, also daß sie ins Tal gestürzt sind, oder die Bäume lagen übereinander zerschmettere und zerknickt, wie die Halmen auf einem Acker nach dem Hagelschlag. Sind ja in dem einzigen kleinen Kanton Uri fast mit
einem
Schlag 11 Personen unter dem Schnee begraben worden, und sind nimmer auferstanden, gegen 30 Häuser, und mehr als 150 Heuställe zerstöre und 359 Häuptlein Vieh umgekommen, und man wußte nicht, auf wievielmal hunderttausend Gulden soll man den Schaden berechnen, ohne die verlornen Menschen. Denn das Leben eines Vaters oder einer Mutter oder frommen Gemahls oder Kindes ist nicht mit Geld zu schätzen.
[1810]
Wie eine greuliche Geschichte
durch einen gemeinen Metzgerhund
ist an das Tageslicht gebracht worden
Zwei Metzger gehen miteinander aufs Gäu, kommen in ein Dorf, teilen sich, einer links an der Schwanen vorbei, einer rechts, sagen: »In der Schwanen kommen wir wieder zusammen.« Sind nimmer zusammenkommen. Denn einer von ihnen geht mit einem Bauer in den Stall, die Frau, so zwar eine Wasche in der Küche hatte, geht auch mit, so lauft das Kind für sich selber auch nach. Stoßt der Teufel die Frau an den Ellenbogen: »Sieh was dem Metzger eine Gurt voll Geld unter dem Brusttuch hervorschaut!« Die Frau winkt dem Mann, der Mann winkt der Frau, schlagen im Stall den armen Metzger tot und bedecken den Leichnam in der Geschwindigkeit mit Stroh. Stoßt der Teufel die Frau noch einmal an Ellenbogen: »Sieh, wer zuschaut!« Wie sie umblickt, sieht sie das Kind. So gehn sie miteinander im Schrecken und Wahnsinn ins Haus zurück und schließen die Türe zu, als wenn sie im Feld wären. Da sagt die Frau, die kein Rabenherz, nein ein höllisches Drachenherz im Busen hatte: »Kind«, sagte sie, »wie siehst du wieder aus? Komm in die Küche, ich will dich waschen.« In der Küche steckt sie dem Kind den Kopf in die heiße Lauge, und brüht es zu Tod. Jetzt meint sie sei alles geschweigt, und denkt nicht an den Hund des ermordeten Metzgers. Der Hund des ermordeten Metzgers, der noch eine Zeitlang mit dem Kameraden gelaufen war, witterte, während das Kind gebrüht und geschwind in den Backofen gesteckt wurde, die Spur seines Herrn wieder auf, schnauft an der Stalltüre, scharrt an der Haustüre und merkt, hier sei etwas Ungerades vorgefallen. Plötzlich springt er ins Dorf zurück und sucht den Kameraden. Kurz der Hund winselt und heult, zerrt den andern Metzger am Rock, und der Metzger merkt auch etwas. Also begleitet er den Hund an das Haus, und zweifelt nicht, daß hier etwas Erschreckliches vorgefallen sei. Also winkt er zwei Männern, die von ferne vorbeigingen. Als aber die Mordleute inwendig das Winseln des Hundes und das Rufen des Metzgers hörten, kam's vor ihre Augen wie lauter Hochgericht, und in ihre Herzen wie lauter Hölle. Der Mann wollte zum hintern Fenster hinaus entspringen, die Frau hielt ihn am Rock und sagte: »Bleib da!« Der Mann sagte: »Komm mit!« Die Frau antwortete: »Ich kann nicht, ich habe Blei an den Füßen. Siehst du nicht die erschreckliche Gestalt vor dem Fenster, mit blitzenden Augen und glühendem Otem?« Unterdessen wurde die Türe eingebrochen. Man fand bald die Leichname der Ermordeten. Die Missetäter wurden handfest gemacht und dem Richter übergeben. Sechs Wochen darauf wurden sie gerädert, und ihre verruchten Leichname auf das Rad geflochten, und die Raben sagen jetzt: »Das Fleisch schmeckt gut.«
[1810]
Fortgesetzte Betrachtung des Weltgebäudes
Die Fixsterne
Der Hausfreund sieht jetzt im Geiste zu, wie der verständige und wohlgezogene Leser geschwind noch einmal den Artikel von den Planeten durchgeht, damit er besser verstehen kann, was nunmehro von den Fixsternen will gesagt werden, und wie er jetzt auswendig die Planeten an den Fingern abzählt, und den Uranus am großen Zehen greifen muß, unten im Pedal, weil er zu eilf Planeten nur zehen Finger hat.
Für die Fixsterne zu zählen gib's nicht Finger genug auf der ganzen Erde, von Franz Ignaz Narocki an, der jetzt 120 Jahre alt ist, bis zum Büblein, das in die Schule geht. Denn wenn nur unsereiner (der Hausfreund will sich für diesmal auch dazuzählen) in einer schönen Sommer- oder Winternacht im Freien steht, oder durch das Fenster hinausschaut welch eine unzählbare Menge himmlischer Lichter groß und klein strahlen uns freundlich und fröhlich entgegen, ganz anders als wenn man ein paar Stunden nach Sonnenuntergang von einer Anhöhe herab gegen eine große Stadt kommt, oder hineinreitet, und aus allen Häusern und aus allen Fenstern schimmern einem die Lichter entgegen, was doch auch schön ist. Das Auge kann sich nicht genug ersehen an solchem himmlischen Schauspiel, und weiß nicht welchen Stern es zuerst und am längsten betrachten soll, und es ist, als wenn jeder sagte: »Schau
mich
an!« Unterdessen bewegen sie sich alle am Himmel fort, einige gehen schon am frühen Abend unter, und die ganze Nacht hindurch, und wenn früh schon die Morgenluft über die Erde weht, und von Dorf zu Dorf das Hahnengeschrei durch die Nacht zieht, gehn immer noch neue auf, und es nimmt kein Ende. Deswegen können wir auch nie alle sichtbaren Sterne des Himmels auf einmal sehen, nicht einmal die Hälfte, denn es ist ausgemacht, daß sie den Tag hindurch ebenso wie bei Nacht, ihren stillen Lauf am Himmel fortsetzen, nur daß wir sie nicht wegen der Tageshelle sehen können. Denn wer bei Nacht unter freiem Himmel ist, ich will sagen ein Nachtwächter, ein Feldschütz, ein Fuhrmann, und er gibt nur ein wenig acht, der wird finden, abends, wenn es dunkel wird, sind ganz andere Sterne am Himmel, als früh, ehe es aufhörte dunkel zu sein. Wo sind diese hingekommen? wo kommen jene her? Antwort: Sie sind den Tag hindurch untergegangen und auf. Also können wir in der schönsten reinsten Sternennacht kaum die Hälfte sehen, und sind doch so viel, und wenn wir sie geschwind ein wenig zählen wollten, bis wir fertig wären, wären nimmer die nämlichen da, sondern andere; deswegen heißt es mit Recht: So jemand die Sterne des Himmels zählen kann, so wird er auch deine Nachkommen zählen, nämlich die Juden.
Damit nun wir Sternseher (der Hausfreund gehört jetzt nimmer zu unsereinem) damit wir die Anzahl der Sterne besser in Ordnung halten können, so haben wir gewissen merkwürdigen Sternen einen eigenen Namen gegeben, oder wir haben denen, welche zusammen eine Figur vorstellen, den Namen einer Figur gegeben, z.B. das Kreuz, die Krone, oder wir haben um 20 bis 100 Sterne herum in Gedanken eine Linie gezogen, die bald aussieht wie ein Wolf oder ein Krebs, oder so, und nennen sie Sternbilder, z.E. die 12 himmlischen Zeichen, die Jungfrau, die Zwillinge, der Skorpion, und alle Sterne groß und klein, die in einem Sternbild stehen, gehören zum Sternbild, und wenn einmal einer von ihnen fehlte, oder zu spät käme, so wollten wir's bald merken, könnten's aber nicht wehren. Der Leser selber kennt ja einige dieser Sternbilder, den Jakobsstab, den Heerwagen, die Gluckhenne, oder das Siebengestirn, und sollte es auch bald merken, wenn einer von ihren Sternen nicht einhalten wollte.
Allein das ist alles noch nichts, sondern es gibt noch viel mehr Sterne, die wir nicht sehen, als die wir sehen. Wo zwischen zwei oder dreien dem bloßen Auge alles öde und leer zu sein scheint; schaut ihr durch ein rechtschaffenes Perspektiv, so funkeln euch noch mehr als 20 neue himmlische Lichtlein entgegen.
Kennen wir nicht alle die Milchstraße, die wie ein breiter flatternder Gürtel den Himmel umwindet? Sie gleicht einem ewigen Nebelstreif, den eine schwache Helle durchschimmert. Aber durch die Gläser der Sternseher betrachtet, löset sich dieser ganze herrliche Lichtnebel in unzählige kleine 0000Sterne auf, wie wenn man zum Fenster hinaus an den Berg schaut, und nur grüne Farbe sieht, aber schon durch ein gemeines Perspektiv erblickt man Baum an Baum, und Laub an Laub, und das Zählen läßt man auch bleiben.
Ja es ist glaublich, daß, wenn ein Sternseher auf den letzten obersten Stern sich hinaufschwingen könnte, der von hier aus noch zu sehen ist, so würde er noch nicht am Ende sein, sondern ein neuer Wunderhimmel voll Sternen und Milchstraßen würde sich vor seinen Augen auftun, bis ins Unendliche hinaus.
Was aber die Bewegung der Sterne betrifft, wenn man auch sagen will, sie gehen auf und unter, so gehen sie doch nicht alle auf und unter, sondern wenn man sich gegen Norden stellt, wo der Winter und die Russen herkommen, und halbwegs am Himmel hinaufschaut, nicht gar weit vom großen Heerwagen, dort steht ein Stern, der sich nicht sonderlich bewegt, und der
Angelstern
oder Polarstern heißt, der Herr Pfarrer kennt ihn. Auf diesen schauen die andern Sterne bis zum Tierkreis oder den 12 Zeichen hinaus, als auf ihren Flügelmann oder ihr Zentrum, und drehen sich um ihn herum. Die nähern drehen sich in kleinern Kreisen um ihn herum, also, daß sie auch nie untergehen. Deswegen kann man z.B. den Heerwagen, Sommer und Winter die ganze Nacht sehen, bald über bald unter dem Angelstern. Aber die entfernteren in ihren großen Kreisen müssen schon unten um die Erde herumgehen, und auf der andern Seite wieder hinauf. Also kann man z.B. das Siebengestirn nicht immer sehen. Wenn es unten ist, kann man es nicht sehen. Stellt man sich aber gegen Süden, wo der Sommer, die Mohren und die Storken herkommen, dem Angelstern gegenüber, ebenso tief unter uns, als dieser über uns, steht wieder so ein Angelstern, der sich gar nicht bewegt. Auf den schauen die Sterne, die jenseits des Tierkreises stehen, und bewegen sich auch um ihn herum, immer in kleinern Kreisen, je näher sie ihm kommen, ganz so, wie hierzuland.
Allein das alles ist im Grunde doch nur Schein. In der Tat selbst aber ist es, wie hier folgt. Die Erde hängt ringsum zwischen lauter himmlischen Sternen ohne Zahl und ohne Ende, und wie? Es wäre dem Hausfreund lieb, wenn sich der geneigte Leser noch erinnern wollte an alles, was über die Achse der Erde, über ihr Umdrehen derselben und über ihre Pole früher gesagt worden ist. Denn der eine Pol der Erde, unserer, dem wir am nächsten sind, schaut gegen den obern Polarstern am Himmel nicht ganz, aber ungefähr, der andere Pol der Erde schaut gegen den andern Polarstern am Himmel, den wir hiezuland und auf unsern Bergen nie sehen, gegen den untern, und die Achse, oder Spindel, welche gleichsam durch die Erde hindurchgeht, es geht keine durch, aber wenn sie durchginge, und unten und oben bis in die Sterne hinausreichte, so würde sie sich in die zwei Polarsterne am Himmel hineinbohren, und sich in ihnen samt der Erde gleichsam als in ihrem Gewinde umdrehen, und so dreht sich die Erde wirklich herum, daß immer die Pole gegen die Polarsterne schauen. Daraus folgt, wie wir meinen, die Sonne geht in 24 Stunden um die Erde herum, so meinen wir, alle Sterne gehn auch in größern und kleinern Zirkeln um die Erde herum. Aber nein. Die Erde vollendet in 24 Stunden ihren Wirbel um sich selbst, und kommt so an den Sternen vorbei, nicht die Sterne an ihr. Doch darauf kommt so viel nicht an. Aber der geneigte Leser glaubt's nicht. Ich weiß es schon.
[1810]
[Fortsetzung
hier
]
Seltsame Ehescheidung
Ein junger Schweizer aus Ballstall kam in spanische Dienste, hielt sich gut, und erwarb sich einiges Vermögen. Als es ihm aber zu wohl war, dachte er: Will ich, oder will ich nicht? Endlich wollte er, nahm eine hübsche wohlhabende Spanierin zur Frau, und machte damit seinen guten Tagen ein Ende. Denn in den spanischen Haushaltungen ist die Frau der Herr, ein guter Freund der Mann, und der Mann ist die Magd.
Als nun das arme Blut der Sklaverei und Drangsalierung bald müde war, fing er an, als wenn er nichts damit meinte, und rühmte ihr das fröhliche Leben in der Schweiz, und die goldenen Berge darin, er meinte die Schneeberge im Sonnenglast jenseits der Klus, und wie man lustig nach Einsiedeln wallfahrten könne, und schön beten in Sasseln am Grabe des heiligen Bruders Niklas von der Flue, und was für ein großes Vermögen er daheim besitze, aber es werde ihm nicht verabfolgt aus dem Land. Da wässerte endlich der Spanierin der Mund nach dem schönen Land und Gut, und es war ihr recht, ihr Vermögen zu Geld zu machen, und mit ihm zu ziehen in seine goldene Heimat. Also zogen sie miteinander über das große pyrenäische Gebirg bis an den Grenzstein, der das Reich Hispania von Frankreich scheidet; sie mit dem Geld auf einem Esel, er nebenher zu Fuß. Als sie aber vorüber an dem Grenzstein waren, sagte er: »Frau, wenn's dir recht ist, bis hieher haben wir's spanisch miteinander getrieben, von jetzt an treiben wir's deutsch. Bist du von Madrid bis an den Markstein geritten, und ich bin dir zu Fuß nachgetrabt den langen Berg hinauf, so reit ich jetzt von hier weg bis gen Ballstall, Kanton Solothurn, und das Fußgehen ist an dir.« Als sie darüber sich ungebärdig stellte, und schimpfte und drohte, und nicht von dem Tierlein herunterwollte: »Frau, das verstehst du noch nicht«, sagte er, »und ich nehme dir's nicht übel«, sondern hieb an dem Weg einen tüchtigen Stecken ab, und las ihr damit ein langes Kapitel aus dem Ballstaller Ehe-und Männerrecht vor, und als sie alles wohl verstanden hatte, fragte er sie: »Willst du jetzt mit, welsche Hexe, und gut tun oder willst du wieder hin, wo du hergekommen bist?« Da sagte sie schluchzend: »Wo ich hergekommen bin«, und das war ihm auch das liebste. Also teilte mit ihr der ehrliche Schweizer das Vermögen, und trennten sich voneinander an diesem
Grenzstein weiblicher Rechte
, wie einmal ein bekanntes Büchlein in der Welt geheißen hat, und jedes zog wieder in seine Heimat. »Deinen Landsmann«, sagte er, »auf dem du hergeritten bist, kannst du auch wieder mitnehmen.«
Merke: Im Reich Hispania machen's die Weiber zu arg, aber in Ballstall doch auch manchmal die Männer. Ein Mann soll seine Frau nie schlagen, sonst verunehrt er sich selber. Denn ihr seid
ein
Leib.
[1811]
Der listige Steiermarker
In Steiermark, ein wenig abhanden von der Straße, dachte ein reicher Bauer im letzten Krieg: Wie fang ich's an, daß ich meine Kronentaler und meine Dukätlein rette in dieser bösen Zeit? Die Kaiserin Maria Theresia ist mir noch so lieb, tröst sie Gott, und der Kaiser Joseph, tröst ihn Gott, und der Kaiser Franz, Gott schenk ihm Leben und Gesundheit. Und wenn man meint, man habe die lieben Herrschaften noch so gut verborgen und geflüchtet, so riecht sie der Feind, sobald er die Nase ins Dorf streckt, und führt sie in die Gefangenschaft ins Lothringen oder in die Champagne; daß einem armen Untertanen das Herz dabei bluten möchte vor Patriotismus. »Jetzt weiß ich«, sagt er, »wie ich's anfange«, und trug das Geld bei dunkler blinder Nacht in den Krautgarten. »Das Siebengestirn verratet mich nicht«, sagte er. Im Krautgarten legte er das Geld geradezu zwischen die Gelveieleinstöcke und die spanischen Wicken. Nebendran grub er ein Loch in das Weglein zwischen den Beeten, und warf allen Grund daraus auf das Geld, und zertrat ringsherum die schönen Blumenstöcke und das Mangoldkraut, wie einer, der Sauerkraut einstampft. Am Montag drauf streiften schon die Chasseurs im ganzen Revier, und am Donnerstag kam eine Partie ins Dorf frisch auf die Mühle zu, und aus der Mühle mit weißen Ellenbogen zu unserm Bauern: und »Geld her, Buur«, rief ihm ein Sundgauer mit blankem Säbel entgegen, »oder bet dein letztes Vaterunser.« Der Bauer sagte: sie möchten nehmen, was sie in Gottes Namen noch finden. Er habe nichts mehr, es sei gestern und vorgestern schon alles in die Rapuse gegangen. »Vor euch kann man etwas verbergen«, sagt er, »ihr seid die Rechten.« Als sie nichts fanden, außer ein paar Kupferkreuzer und einen vergoldeten Sechser mit dem Bildnis der Kaiserin Maria Theresia und ein Ringlein dran zum Anhängen, »Buur«, sagte der Sundgauer, »du hast dein Geld verlochet, auf der Stelle zeig, wo du dein Geld verlocht hast, oder du gehst ohne dein letztes Vaterunser aus der Welt.« »Auf der Stelle kann ich's Euch nicht zeigen«, sagte der Bauer, »so sauer mich der Gang ankommt, sondern Ihr müßt mit mir in den Krautgarten gehn. Dort will ich Euch zeigen, wo ich es verborgen hatte, und wie es mir ergangen ist. Der Herr Feind ist schon gestern und vorgestern da gewesen, und haben's gefunden und alles geholt.« Die Chasseure nahmen den Augenschein im Garten ein, fanden alles, wie es der Mann angegeben hatte, und keiner dachte daran, daß das Geld unter dem Grundhaufen liegt, sondern jeder schaute in das leere Loch, und dachte: Wär ich nur früher gekommen. »Und hätten sie nur die schönen Gelveieleinstöcke und den Goldlack nicht so verderbt«, sagte der Bauer, und so hinterging er diese und alle, die noch nachkamen, und hat auf diese Art das ganze erzherzogliche Haus, den Kaiser Franz, den Kaiser Joseph, die Kaiserin Maria Theresia, und den allerhöchstseligen Herrn Leopold den Ersten, gerettet, und glücklich im Land behalten.
[1811]
Etwas aus der Türkei
In der Türkei ist Justiz. Ein Kaufmannsdiener, auf der Reise von der Nacht und Müdigkeit überfallen, bindet sein Pferd, so mit kostbaren Waren beladen war, nimmer weit von einem Wachthaus an einen Baum, legt sich selber unter das Obdach des Baums, und schläft ein. Früh, als ihn die Morgenluft und der Wachtelschlag weckte, hatte er gut geschlafen, aber das Rößlein war fort.
Da eilte der Beraubte zu dem Statthalter der Provinz, nämlich zu dem Prinzen Karosman Oglu, der in der Nähe sich aufhielt, und klagte vor seinem Richterstuhl seine Not. Der Prinz gab ihm wenig Gehör. »So nahe bei dem Wachthaus, warum bist du nicht die fünfzig Schritte weiter geritten, so wärest du sicher gewesen. Es ist deines Leichtsinns Schuld.« Da sagte der Kaufmannsdiener: »Gerechter Prinz, hab ich mich fürchten sollen, unter freiem Himmel zu schlafen in einem Lande, wo du regierst?« Das tat dem Prinzen Karosman wohl, und wurmte ihm zugleich. »Trink heute nacht ein Gläslein türkischen Schnaps,« sagte er zu dem Kaufmannsdiener, »und schlafe noch einmal unter dem Baum.« So gesagt, so getan. Des andern Morgens, als ihn die Morgenluft und der Wachtelschlag weckte, hatte er auch gut geschlafen, denn das Rößlein stand mit allen Kostbarkeiten wieder angebunden neben ihm, und an dem Baum hing ein toter Mensch, der Dieb, und sah das Morgenrot nimmermehr.
Bäume gäb es noch an manchen Orten, große und kleine.
[1811]
Das bequeme Schilderhaus
Ein Schilderhaus hatte wie gewöhnlich auf beiden Seiten runde Öffnungen zum Durchschauen, die etwas groß waren. Dem Rekruten, der drin stand, war daher der Luftzug etwas zu lebhaft. Also ersuchte er nach der Ablösung den Unteroffizier, ob's nicht besser wäre, wenn man diese Öffnungen mit ein paar Brettlein vernagelte. Der Unteroffizier strich den Bart, und sagte: »Nein, das geht nicht an, wegen dem Winter. Im Winter kommen Ärmel hinein, im Sommer ist's ein Kamisol.« Also streckte der Rekrut, als er wieder auf den Posten kam, die Hände hindurch, und sagte: jetzt sei er erst gern Militär, weil er sehe, daß man doch auch für die Bequemlichkeit des Mannes sorge.
[1811]
Wie der Zundelfrieder eines Tages aus dem Zuchthaus entwich, und glücklich über die Grenzen kam
Eines Tages, als der Frieder den Weg aus dem Zuchthaus allein gefunden hatte, und dachte: »Ich will so früh den Zuchtmeister nicht wecken«, und als schon auf allen Straßen Steckbriefe voranflogen, gelangte er abends noch unbeschrieen an ein Städtlein an der Grenze. Als ihn hier die Schildwache anhalten wollte, wer er sei, und wie er hieße, und was er im Schilde führe; »könnt Ihr Polnisch?« fragte herzhaft der Frieder die Schildwache. Die Schildwache sagt: »Ausländisch kann ich ein wenig, ja! Aber Polnisches bin ich noch nicht darunter gewahr worden.« »Wenn das ist«, sagte der Frieder, »so werden wir uns schlecht gegeneinander explizieren können.« Ob kein Offizier oder Wachtmeister am Tor sei? Die Schildwache holt den Torwächter, es sei ein Polak an dem Schlagbaum, gegen den sie sich schlecht explizieren könne. Der Torwächter kam zwar, entschuldigte sich aber zum voraus, viel Polnisch verstehe er auch nicht. »Es geht hiezuland nicht stark ab«, sagte er, »und es wird im ganzen Städtel schwerlich jemand sein, der kapabel wäre, es zu dolmetschen.« »Wenn ich das wüßte«, sagte der Frieder, und schaute auf die Uhr, die er unterwegs noch an einem Nagel gefunden hatte, »so wollte ich ja lieber noch ein paar Stunden zustrecken bis in die nächste Stadt. Um neun Uhr kömmt der Mond.« Der Torhüter sagte: »Es wäre unter diesen Umständen fast am besten, wenn Ihr gerade durchpassiertet, ohne Euch aufzuhalten, das Städtel ist ja nicht groß«, und war froh, daß er seiner los ward. Also kam der Frieder glücklich durch das Tor hinein. Im Städtlein hielt er sich nicht länger auf, als nötig war, einer Gans, die sich auf der Gasse verspätet hatte, ein paar gute Lehren zu gehen. »In euch Gänse«, sagte er, »ist keine Zucht zu bringen. Ihr gehört, wenn's Abend ist, ins Haus oder unter gute Aufsicht.« Und so packte er sie mit sicherm Griff am Hals, und mir nichts dir nichts unter den Mantel, den er ebenfalls unterwegs von einem Unbekannten geliehen hatte. Als er aber an das andere Tor gelangte, und auch hier dem Landfrieden nicht traute, drei Schritte von dem Schilderhaus, als sich inwendig der Söldner rührte, schrie der Frieder mit herzhafter Stimme:
»Wer da
!« der Söldner antwortete in aller Gutmütigkeit:
»Gut Freund
!« Also kam der Frieder glücklich wieder zum Städtlein hinaus, und über die Grenzen.
[1811]
Die leichteste Todesstrafe
Man hat gemeint, die Güllotine sei's. Aber nein! Ein Mann, der sonst seinem Vaterland viele Dienste geleistet hatte, und bei dem Fürsten wohl angeschrieben war, wurde wegen eines Verbrechens, das er in der Leidenschaft begangen hatte, zum Tode verurteilt. Da half nicht Bitten, nicht Beten. Weil er aber sonst bei dem Fürsten wohl angeschrieben war, ließ ihm derselbe die Wahl, wie er am liebsten sterben wolle, denn welche Todesart er wählen würde, die sollte ihm werden. Also kam zu ihm in den Turm der Oberamtsschreiber: »Der Herzog will Euch eine Gnade erweisen. Wenn Ihr wollt gerädert sein, will er Euch rädern lassen; wenn Ihr wollt gehenkt sein, will er Euch henken lassen; es hängen zwar schon zwei am Galgen, aber bekanntlich ist er dreischläferig. Wenn Ihr aber wollt lieber Rattenpulver essen, der Apotheker hat. Denn welche Todesart Ihr wählen werdet, sagt der Herzog, die soll Euch werden. Aber sterben müßt Ihr, das werdet Ihr wissen.« Da sagte der Malefikant: »Wenn ich denn doch sterben muß, das Rädern ist ein biegsamer Tod, und das Henken, wenn besonders der Wind geht, ein beweglicher. Aber Ihr versteht's doch nicht recht. Meines Orts, ich habe immer geglaubt, der Tod aus Altersschwäche sei der sanfteste, und den will ich denn auch wählen, weil mir der Herzog die Wahl läßt, und keinen andern«, und dabei blieb er, und ließ sich's nicht ausreden. Da mußte man ihn wieder laufen und fortleben lassen, bis er an Altersschwäche selber starb. Denn der Herzog sagte: »Ich habe mein Wort gegeben, so will ich's auch nicht brechen.«
Dies Stücklein ist von der Schwiegermutter, die niemand gerne umkommen läßt, wenn sie ihn retten kann.
[1811]
Nützliche Lehren
1
Ende gut, alles gut
. Ist nicht so zu verstehen: Wenn du ein Jahr lang in einem Hause zu bleiben hast, so führe dich 364 Tage lang bengelhaft auf, und am 31. Dezember werde manierlich. Sondern es gibt Leute, die manierlich sein können bis ans Ende, und wenn's nimmer lang währt, so werden sie ungezogen, trotzig, sagen: »Ich bin froh, daß es nimmer lang währt«, und die andern denken's auch. Für diese ist das Sprichwort.
Item, es gibt Dinge, ob sie gut oder bös sind, kann erst das Ende lehren. Z.B. du bist krank, möchtest gern essen, was dir der Arzt verbietet, gern auf die Gasse gießen, was du trinken mußt, aber du wirst gesund – oder du bist in der Lehre, und meinst manchmal, der Lehrherr sei wunderlich, aber du wirst durch seine Wunderlichkeit ein geschickter Weißgerber oder Orgelmacher; – oder du bist im Zuchthaus, der Zuchtmeister könnte dir wohl die Suppe fetter machen, aber du wirst durch Wasser und Brot nicht nur gesättigt, sondern auch gebessert. Dann lehrt das gute Ende: daß alles gut war.
2
Gott grüßt manchen, der ihm nicht dankt
. Z.B. wenn dich früh die Sonne zu einem neuen kräftigen Leben weckt, so bietet er dir:
Guten Morgen
. Wenn sich abends dein Auge zum erquicklichen Schlummer schließet:
gute Nacht
. Wenn du mit gesundem Appetit dich zur Mahlzeit setzest, sagt er:
wohl bekomm's
. Wenn du eine Gefahr noch zu rechter Zeit entdeckst, so sagt er:
Nimm dich in acht, junges Kind, oder altes Kind, und kehre lieber wieder um
. Wenn du am schönen Maitag im Blütenduft und Lerchengesang spazierengehst, und es ist dir wohl, sagt er:
Sei willkommen in meinem Schloßgarten
. Oder du denkst an nichts, und es wird dir auf einmal wunderlich im Herzen, und naß in den Augen, und denkst, ich will doch anders werden, als ich bin, so sagt er:
Merkst du, wer bei dir
ist? Oder du gehst an einem offnen Grab vorbei, und es schauert dich, so denkt er just nicht daran, daß du lutherisch oder reformiert bist, und sagt:
Gelobt sei Jesus Christ
! Also grüßt Gott manchen, der ihm nicht antwortet und nicht dankt.
3
Man muß mit den Wölfen heulen
. Das heißt: Wenn man zu unvernünftigen Leuten kommt, muß man auch unvernünftig tun, wie sie. Merke:
Nein
! Sondern
erstlich
, du sollst dich nicht unter die Wölfe mischen, sondern ihnen aus dem Weg gehen.
Zweitens
, wenn du ihnen nicht entweichen kannst, so sollst du sagen: »Ich bin ein Mensch, und kein Wolf. Ich kann nicht so schön heulen, wie ihr.«
Drittens
: Wenn du meinst, es sei nimmer anders von ihnen loszukommen, so will der Hausfreund erlauben, ein- oder zweimal mit zu bellen, aber du sollst nicht mit ihnen beißen, und andrer Leute Schafe fressen. Sonst komme zuletzt der Jäger, und du wirst mit ihnen geschossen.
[1811]
Die Fixsterne
Fortsetzung
Was bisher über die Fixsterne gesagt worden ist, kann zum Teil mit dem leiblichen Auge gesehen und erkannt werden. Allein das Auge des Verstandes sieht mehr als das Auge des Leibes.
Erstlich
, die Fixsterne sind so weit von uns entfernt, daß gar kein Mittel mehr möglich ist, ihre ungeheure Entfernung auszurechnen. Merke: der nächste Fixstern bei uns ist ohne Zweifel der
Sirius
oder
Hundsstern
, den der Herr Pfarrer auch kennt. Man schließt es aus seiner Größe und aus seinem wunderschönen Glanz, mit dem er vor allen andern Sternen herausstrahlt. Dessen ungeachtet muß er doch zum allerwenigsten 27664mal weiter von uns entfernt sein, als die Sonne, denn wenn er näher wäre, so könnte man's wissen, und eine Kanonenkugel im Sirius abgeschossen, müßte mit gleicher Geschwindigkeit mehr als 600000 Jahre lang fliegen, ehe sie die Erde erreichte. Ja man könnte noch viel mehr sagen. Aber dies soll genug sein, sonst glaubt's der geneigte Leser nicht. Ebenso weit, als der Sirius von der Erde entfernt ist, ebenso weit ungefähr ist er von der Sonne entfernt. Denn auf ein paar Millionen Meilen kömmt's hier gar nicht an.
Zweitens
, der Sirius, der aus einer so unermeßlichen Weite doch noch so groß aussieht, und so ein strahlendes Licht zu uns herabwirft, muß in seiner Heimat wenigstens ebenso groß, nein, er muß noch viel größer als die Sonne, und folglich selber eine glorreiche strahlende Sonne sein. Das kann nicht fehlen. Haben wir aber Ursache, für gewiß zu glauben, der Sirius sei daheim eine Sonne, so haben wir Ursache zu glauben, jeder andere Fixstern sei auch eine Sonne. Denn wenn sie uns auch noch soviel kleiner erscheinen, so sind sie nur noch soviel weiter von uns entfernt. Aber alle strahlen in ihrem eigentümlichen ewigen Lichte, oder wo hätten sie's sonst her?
Drittens
, die Entfernung unserer Sonne von dem Sirius dient uns nun zu einem mutmaßlichen Maßstab, wie weit eine himmlische Sonne oder ein Stern von dem andern entfernt sei. Denn wenn zwischen unserer Sonne und der Siriussonne ein Zwischenraum ist, den eine Kanonenkugel in 600000 Jahren nicht durchfliegen könnte, so kann man wohl glauben, daß die andern Sonnen auch ebenso weit jede von der nächsten entfernt sei, bis zur obersten Milchstraße hinauf, wo sie so klein scheinen und so nahe beieinander, daß uns ein paar hundert von ihnen zusammen kaum aussehen wie ein Nebelfleck, den man mit einem badischen Sechskreuzerstück bedecken könnte. Es gehört nicht viel Verstand dazu, daß er einem stillstehe.
Wenn man nun
viertens
das alles bedenkt, so will es nicht scheinen, daß alle diese zahllosen Sterne, zumal diejenigen, die man mit bloßem Auge nicht sehen kann, nur wegen uns erschaffen worden wären, und damit der Kalendermacher für des Lesers Geld etwas darüber schreiben könnte. Wie wenn man in der fremden Stadt auf einer Pilgerreise über Nacht ist, und sieht zum erstenmal durch das Fensterlein der Schlafkammer heraus, rechts und links und über 20 Häuser hinaus, sieht man noch viel solche Lichter abermal brennen, wie in dem Schlafstüblein auch eins schimmert. Geneigter Pilger, diese Lichter sind nicht wegen deiner angezündet, daß es in dem Schlafstüblein lustig aussehe, sondern jedes dieser Lichter erleuchtet eine Stube, und es sitzen Leute dabei und lesen die Zeitung, oder den Abendsegen, oder sie spinnen und stricken, oder spielen Trumpfaus, und das Büblein macht ein Rechnungsexempel aus der Regeldetri.
Gleicherweise wollen verständige Leute glauben, wo in einer solchen Entfernung von uns, in einer solchen Entfernung voneinander so unzählige prachtvolle Sonnen strahlen, da müssen auch Planeten und Erdkörper zu einer jeden derselben gehören, welche von ihr Licht und Wärme und Freude empfangen, wie unsere Planeten von unserer Sonne, und es müssen darauf lebendige und vernünftige Geschöpfe wohnen, wie auf unserer Erde, die sich des himmlischen Lichtes erfreuen und ihren Schöpfer anbeten, und wenn sie etwa bei Nacht in den glanzvollen Himmel herausschauen, wer weiß, so erblicken sie auch unsere Sonne wie ein kleines Sternlein, aber unsere Erde sehen sie nicht, und wissen nichts davon, daß in Östreich Krieg war, und daß die Türken die Schlacht bei Silistria gewonnen haben. Sie sehen nicht die Schönheit unserer Erde, wenn der Frühling voll Blüten und Sommervögel an allen Bäumen und Hecken hängt und wir sehen die Schönheit ihres himmlischen Frühlings nicht. Aber der ewige und allmächtige Geist, der alle diese Lichter angezündet hat, und alle die Heere von Weltkörpern in den Händen trägt, sieht das Kindlein lächeln auf der Mutter Schoß, und die Braut weinen um des Bräutigams Tod, und umfaßt die Erde und den Himmel und aller Himmel Himmel mit Liebe und Erbarmung. Seines Orts dem Hausfreund, wenn er den Sternenhimmel betrachtet, es wird ihm zumut, als wenn er in die göttliche Vorsehung hineinschaute, und jeder Stern verwandelt sich in ein Sprüchlein. Der erste sagt:
Deine Jahre währen für und für, du hast vorhin die Erde gegründet und die Himmel sind deiner Hände Werk
. Der zweite sagt:
Bin ich nicht ein Gott der nahe ist, spricht der Herr, und nicht ein Gott der ferne sei? Meinest du, daß sich jemand so heimlich verbergen könne, daß ich ihn nicht sehe
? Der dritte sagt:
Herr, du erforschest mich und kennest mich, und siehest alle meine Wege
. Der vierte sagt:
Was ist der Mensch, daß du sein gedenkest, und Adams Kind, daß du dich sein annimmst
? Der fünfte sagt:
Und ob auch eine Mutter ihres Kindes vergäße, so will ich doch deiner nicht vergessen: spricht der Herr
.
Deswegen hat der Hausfreund im Kapitel von den Kometen geschrieben, unten am Ende: Die Sterne, die zum Beschluß sollen erklärt werden, bedeuten insgesamt Friede und Liebe und Gottes allmächtigen Schutz. Er weiß noch wohl, was er geschrieben hat.
[1811]
Die Bekehrung
Zwei Brüder im Westfälinger Land lebten miteinander in Frieden und Liebe, bis einmal der jüngere lutherisch blieb, und der ältere katholisch wurde. Als der jüngere lutherisch blieb und der ältere katholisch wurde, taten sie sich alles Herzeleid an. Zuletzt schichte der Vater den katholischen als Ladendiener in die Fremde. Erst nach einigen Jahren schrieb er zum erstenmal an seinen Bruder. »Bruder«, schrieb er, »es geht mir doch im Kopf herum, daß wir nicht
einen
Glauben haben, und nicht in den nämlichen Himmel kommen sollen, vielleicht in gar keinen. Kannst du mich wieder lutherisch machen, wohl und gut, kann ich dich katholisch machen, desto besser.« Also beschied er ihn in den roten Adler nach Neuwied, wo er wegen einem Geschäft durchreiste. »Dort wollen wir's ausmachen.« In den ersten Tagen kamen sie nicht weit miteinander. Schalt der Lutherische: »Der Papst ist der Antichrist«, schalt der Katholische: »Luther ist der Widerchrist.« Berief sich der Katholische auf den heiligen Augustin, sagte der Lutherische: »Ich hab nichts gegen ihn, er mag ein gelehrter Herr gewesen sein, aber beim ersten Pfingstfest zu Jerusalem war er nicht dabei.« Aber am Samstag aß schon der Lutherische mit seinem Bruder Fastenspeise. »Bruder«, sagte er, »der Stockfisch schmeckt nicht giftig zu den durchgeschlagenen Erbsen«; und abends ging schon der Katholische mit seinem Bruder in die lutherische Vesper. »Bruder«, sagte er, »euer Schulmeister singt keinen schlechten Tremulant.« Den andern Tag wollten sie miteinander zuerst in die Frühmesse, darnach in die lutherische Predigt, und was sie alsdann bis von heut über acht Tage der liebe Gott vermahnt, das wollten sie tun. Als sie aber aus der Vesper und aus dem grünen Baum nach Hause kamen, ermahnte sie Gott, aber sie verstanden es nicht. Denn der Ladendiener fand einen zornigen Brief von seinem Herrn: »Augenblicklich setzt Eure Reise fort. Hab ich Euch auf eine Tridenter Kirchenversammlung nach Neuwied geschickt, oder sollt Ihr nicht vielmehr die Musterkarte reiten?« Und der andere fand einen Brief von seinem Vater: »Lieber Sohn komm heim sobald du kannst, du mußt spielen.« Also gingen sie noch den nämlichen Abend unverrichteter Sachen auseinander, und dachten jeder für sich nach was er von dem andern gehört hatte. Nach sechs Wochen schreibt der jüngere dem Ladendiener einen Brief: »Bruder deine Gründe haben mich unterdessen vollkommen überzeugt. Ich bin jetzt auch katholisch. Den Eltern ist es insofern recht. Aber dem Vater darf ich nimmer unter die Augen kommen.« Da ergriff der Bruder voll Schmerz und Unwillen die Feder: »Du Kind des Zorns und der Ungnade, willst du denn mit Gewalt in die Verdammnis rennen, daß du die seligmachende Religion verleugnest? Gestrigs Tags bin ich wieder lutherisch worden.« Also hat der katholische Bruder den lutherischen bekehrt, und der lutherische hat den katholischen bekehrt, und war nachher wieder wie vorher, höchstens ein wenig schlimmer.
Merke: Du sollst nicht über die Religion grübeln und düfteln, damit du nicht deines Glaubens Kraft verlierst. Auch sollst du nicht mit Andersdenkenden darüber disputieren, am wenigsten mit solchen, die es ebensowenig verstehen als du, noch weniger mit Gelehrten, denn die besiegen dich durch ihre Gelehrsamkeit und Kunst, nicht durch deine Oberzeugung. Sondern du sollst deines Glaubens leben, und was gerade ist, nicht krumm machen. Es sei dann, daß dich dein Gewissen selber treibt zu schanschieren.
[1811]
Der fremde Herr
Einem Schneider in der Stadt waren seit ein paar Jahren die Nadeln ein wenig verrostet, und die Schere zusammengewachsen, also nährt er sich, so gut er kann. »Gevatter«, sagt zu ihm der Peruckenmacher, »Ihr tragt nicht gerne schwer; wollt Ihr nicht dem Herrn Dechant von Brassenheim eine neue Perücke bringen in einer Schachtel? Sie ist leicht, und er zahlt Euch den Gang.« – »Gevatter«, sagt der Schneider, »es ist ohnedem Jahrmarkt in Brassenheim. Leiht mir die Kleider, die Euch der irrende Ritter im Versatz gelassen hat, der Euch angeschmiert hat, so stell ich auf dem Jahrmarkt etwas vor.«
Der Adjunkt hat die Tugend, wenn er auf drei Stunden im Revier einen Markt weiß, so ist ihm der Gang auch nicht zu weit, und ist er von dem Hausfreund wohl bezahlt, so gibt er dem Jahrmarkt viel zu lösen für neue weltliche Lieder und feine Damaszener Maultrommeln. Also saß jetzt der Adjunkt auch zu Brassenheim im wilden Mann und musterte die Lieder: Erstes Lied:
Ein Lämmlein trank vom frischen
etc. Zweites Lied:
Schönstes Hirschlein über die Maßen
etc. Drittes Lied:
Kein schöner Leben auf Erden
etc. und probierte die Trommeln. Kommt auf einmal der Schneider herein mit rotem Rock, hirschledernen Beinkleidern, Halbstiefeln und Zotteln daran, und zwei Sporen. Der Wirt zog höflich die Kappe ab, die Gäste auch, und »hat Euch, Herr Ritter, der Hausknecht das Pferd schon in den Stall geführt?« fragt ihn der Wirt. »Mein Normänder, der Scheck?« sagte der Schneider. »Ich hab ihn au Cerf eingestellt im Hirschen. Ich will hier nur ein Schöpplein trinken. Ich bin der berühmte Adelstan und reise auf Menschenkenntnis und Weinkunde; Platz da!« sagte er zum Adjunkt. »Holla«, denkt der Adjunkt, »der meint auch, grob sei vornehm. Was gilt's, er ist nicht weit her?« Als aber der Schneider die Gerte breit über den Tisch legte, und räusperte sich wie ein Kamel, und betrachtete die Leute mit einem Brennglas und den Adjunkt auch, steht der Adjunkt langsam auf und sagt dem Wirt etwas halblaut in das Ohr. Ein Ehninger, der es hörte, sagt: »Herr Landsmann, Ihr seid auf der rechten Spur. Ich hab ihn gesehn die Stiefel am Bach abwaschen, und eine Gerte schneiden. Er ist zu Fuß gekommen.« Ein Scherenschleifer sagte: »Ich kenn ihn wohl, er ist einmal ein Schneider gewesen. Jetzt hat er sich zur Ruh gesetzt und tut Botengänge um den Lohn.« Also geht der Wirt ein wenig hinaus und kommt wieder herein. »So kann denn doch kein hiesiger Markt ohne ein Unglück vorübergehen«, sagt er im Hereinkommen. »Da suchen die Hatschierer in allen Wirtshäusern einen Herrn in einem roten Rocke, der heute durch die Dörfer galoppiert ist, und ein Kind zu Tod geritten hat.« Da schauten alle Gäste den Ritter Adelstan an, der sagte in der Angst: »Mein Rock ist eher gelb als rot.« Aber der Ehninger sagte: »Nein, aber Euer Gesicht ist eher blaß als gelb, und hat auf einmal viel Schweißtropfen darauf geregnet. Gesteht's, Ihr seid nicht geritten.« »Doch er ist geritten«, sagte der Wirt; »ich hab ihm eben das Roß draußen angebunden. Es ist losgerissen im Hirsch, und sucht ihn. Hat nicht Euer Normänder die Mähnen unten am Hals, und gespaltene Hufe, und wenn er wiehert, sollte man schier nicht meinen, daß es ein Roß ist? Zahlt Euer Schöpplein und reitet ordentlich heim.« Als er aber vor das Haus kam, und den Normänder sah, den ihm der Wirt an die Türe gebunden hat, wollte er nicht aufsitzen, sondern ging zu Fuß zum Flecken heraus, und wurde von den Gästen entsetzlich verhöhnt.
Merke: Man muß nie mehr scheinen wollen, als man ist, und als man sich zu bleiben getrauen kann, wegen der Zukunft.
[1811]
Teures Späßlein
Man muß mit Wirten keinen Spaß und Mutwillen treiben, sonst kommt man unversehens an den Unrechten. Einer in Basel will ein Glas Bier trinken, das Bier war sauer, zog ihm den Mund zusammen, daß ihm die Ohren bis auf die Backen hervorkamen. Um es auf eine witzige Art an den Tag zu legen und den Wirt vor den Gästen lächerlich zu machen, sagte er nicht, »das Bier ist sauer«, sondern »Frau Wirtin«, sagte er, »könnt ich nicht ein wenig Salat und Öl zu meinem Bier haben?« Die Wirtin sagte: »In Basel kann man für Geld alles haben«, strickte aber noch ein wenig fort, als wenn sie's wenig achtete, denn sie war eben am Zwickel. Nach einigen Minuten, als unterdessen die Gäste miteinander diskurierten, und einer sagte: »Habt Ihr gestern das Kamel auch gesehen und den Affen?« ein anderer sagte: »Es ist kein Kamel, es ist ein Trampeltier«; sagte die Wirtin »mit Erlaubnis« und deckte eine schneeweiße Serviette vom feinsten Gebilde auf den Tisch. Jeder glaubte, der andere habe ein Bratwürstlein bestellt, oder etwas, und »es ist doch ein Kamel«, sagte ein dritter, »denn es ist weiß, die Trampeltiere sind braun.« Unterdessen kam die Wirtin wieder mit einem Teller voll zarter Kukümmerlein aus dem markgräfischen Garten, aus dem Treibhaus, fein geschnitten, wie Postpapier, und mit dem kostbarsten genuesischen Baumöl angemacht, und sagte zu dem Gast mit spöttischem Lächeln: »Ist's gefällig?« Also lachten die andern nicht mehr den Wirt aus, sondern den Gast, und wer wohl oder übel seinen Spaß mit zehen Batzen, fünf Rappen Basler Währung bezahlen mußte, war er.
[1811]
Der Generalfeldmarschall Suwarow
Das Stücklein von Suwarow, wie er sein eigenes Kommando respektierte, hat dem geneigten Leser nicht übel gefallen. Von ihm selber wäre viel Anmutiges zu erzählen.
Wenn ein vornehmer Herr nicht hochmütig ist, sondern redet auch mit geringen Leuten, und stellt sich manchmal als wenn er nur ihresgleichen wäre, so sagt man zu seinem Lob: Er ist ein gemeiner Herr. Suwarow konnte manchen schimmernden Ordensstern an die Brust hängen, manchen Diamantring an die Finger stechen, und aus mancher goldenen Dose Tabak schnupfen. War er nicht Sieger in Polen und in der Türkei, russischer Generalfeldmarschall und Fürst, und an der Spitze von dreimalhunderttausend Mann, soviel als seinesgleichen ein anderer? Aber bei dem allen war er ein sehr gemeiner Herr. Wenn es nicht sein mußte, so kleidete er sich nie wie ein General, sondern wie es ihm bequem war. Manchmal, wenn er kommandierte, so hatte er nur
einen
Stiefel an. An dem andern Bein hing ihm der Strumpf herunter und die Beinkleider waren auf der Seite aufgeknüpft. Denn er hatte einen Schaden am Knie.
Oft war er nicht einmal so gut gekleidet. Morgens, wenn's noch so frisch war, ging er aus dem Bett oder von der Streue weg, vor dem Zelt im Lager spazieren, nackt und bloß wie Adam im Paradies, und ließ ein paar Eimer voll kaltes Wasser über sich herabgießen zur Erfrischung.
Er hatte keinen Kammerdiener und keinen Heiduck, nur einen Knecht, keine Kutsche und kein Roß. In dem Treffen setzte er sich aufs nächste beste.
Sein Essen war gemeine Soldatenkost. Niemand freute sich groß, wenn man von ihm zur Mittagsmahlzeit eingeladen wurde. Manchmal ging er zu den gemeinen Soldaten ins Zelt, und war wie ihresgleichen.
Wenn ihn auf dem Marsch, oder im Lager, oder wo es war, etwas ankam, wo ein anderer an einen Baum steht, oder hinter eine Hecke geht, da machte er kurzen Prozeß. Seinetwegen durfte ihm jedermann zuschauen, wer's noch nie gesehen hat.
Bei den vornehmsten Gelegenheiten, wenn er in der kostbarsten Marschallsuniform voll Ehrenkreuzen und Ordenssternen dastand, und wo man ihn ansah, von Gold und Silber funkelte und klingelte, trieb er's doch wie ein säuberlicher Bauer, der wegwirft, was ein Herr in die Rocktasche steckt. Er schneuzte die Nase mit den Fingern, strich die Finger am Ärmel ab, und nahm alsdann wieder eine Prise aus der goldenen Dose.
Also lebte der General und Fürst Italinsky Suwarow.
[1811]
Die zwei Postillione
Zwei Handelsleute reisten oft auf der Extrapost von Fürth nach Hechingen, oder von Hechingen nach Fürth, wie jeden sein Geschäft ermahnte, und gab der eine dem Postillion ein schlechtes Trinkgeld, so gab ihm der andere kein gutes. Denn jeder sagte: »Für was soll ich dem Postknecht einen Zwölfer schenken? ich trag ja nicht schwer daran.« Die Postillione aber der von Dünkelsbühl und der von Ellwangen sagten: »Wenn wir nur einmal den Herren einen Dienst erweisen könnten, daß sie spendaschlicher würden!« Eines Tages kommt der Fürther in Dünkelsbühl an, und will weiters. Der Postillion sagte zu seinem Kameraden: »Fahr du den Passagier.« Der Kamerad sagte: »Es ist an dir.« Unterdessen saß der Reisende ganz geduldig in seinem offenen Eliaswagen, bis der Postillion aufsaß. Als er sah, daß der Postillion im Sattel recht saß und die Peitsche erhob, sagte er: »Fahr zu Schwager! Werf Er mich nicht um!« Am nämlichen Nachmittag fuhr auch der Hechinger von Ellwangen ab, und der Postillion dachte bei sich selbst: »Wenn jetzt nur mein Kamerad von Dinkelsbühl mit dem Fürther auch auf dem Weg wäre!« Indem er fährt, bergauf, bergab, nicht weit vom Segringer Zollhaus, wo dem Hausfreund und seinem Herrn Bruder auch einmal die Haare geschnitten worden sind, begegnen sie einander; keiner will dem andern ausweichen. Jeder sagt: »Ich führe einen honetten Herrn, keinen Pfennigschaber, wie du, dem seine Sechsbatzenstücke aussehen wie Hildburghäuser Groschen.« Endlich legte sich der Fürther auch in den Streit: »Gotts Wunder!« sagte er; »sollen wir noch einmal vierzig Jahr in der Wüste bleiben?« und schimpfte zuletzt den Ellwanger, daß ihm dieser mit der Peitsche einen Hieb ins Gesicht gab. Der Dünkelsbühler sagt: »Du sollst meinen Passagier nicht hauen, er ist mir anvertraut, und zahlt honett, oder ich hau den deinigen auch.« – »Untersteh dich und hau mir meinen Herrn!« sagte der Ellwanger. Also hieb der Dinkelsbühler des Ellwangers Passagier und der Ellwanger hieb des Dinkelsbühlers Passagier, und riefen einander in unaufhörlichem Zorn zu: »Willst du meinen Herrn in Frieden lassen oder soll ich dir den deinigen ganz zu einem Lungenmus zusammenhauen?« und je schmerzlicher der eine Ach und der andere Weih schrie, desto kräftiger hieben die Postillione auf sie ein, bis sie des unbarmherzigen Spaßes selber müde wurden. Als sie aber auseinander waren und jeder wieder seines Weges fuhr, sagten die Postillione zu ihren Reisenden so und so: »Nicht wahr ich habe mich Euer rechtschaffen angenommen? Mein Kamerad wird's niemand rühmen, wie ich ihm seinen Herren zerhauen habe. Aber diesmal kommt's Euch auch auf ein besseres Trinkgeld nicht an. Wenn's der Fürst wüßte«, sagte der Dinkelsbühler, »es wäre ihm um einen Maxd'or nicht leid. Er sieht darauf, daß man die Reisenden gut hält.«
Merke: Es ist kein Geld schlechter erhaust, als was man armen Leuten am Lohn und Trinkgeld vorenthält, und wofür man gehauen oder sonst verunehrt wird. Für ein paar Groschen kann man viel Freundlichkeit und guten Willen kaufen.
[1811]
Der betrogene Krämer
Ein Rubel ist in Rußland eine Silbermünze, und beträgt 27 Batzen hin oder her, ein Imperial aber ist ein Goldstück und tut zehen Rubel, deswegen kann man wohl für einen Imperial einen Rubel bekommen, zum Beispiel, wenn man in den Karten neun Rubel verliert, aber nicht für einen Rubel einen Imperial. Allein ein schlauer Soldat in Moskau sagte doch: »Was gilt's? morgen auf dem Jahrmarkt will ich mit einem Rubel einen doppelten Imperial angeln.« Als den andern Tag in langen Reihen von Kaufläden der Jahrmarkt aufging, vor allen Ständen standen schon die Leute, lobten und tadelten, boten ab und boten zu, und die Menge ging auf und ging ab, und die Knaben grüßten die Mägdlein, kommt auf einmal der Soldat mit einem Rubel in den Händen. »Wem gehört dieser Kaisertaler, dieser Rubel? gehört er Euch?« fragt er jeden Krämer an jedem Stand. Einer, der ohnehin nicht viel Geld löste, und lange zusah, dachte endlich: Wenn dich dein Geld an die Finger brennt, die meinigen sind nicht so blöde. »Hieher Musketier, der Rubel ist mein.« Der Soldat sagte: »Wenn Ihr mir nicht gerufen hättet, ich hätt Euch schwerlich gefunden unter der Menge«, und gibt ihm den Rubel. Der Kaufmann betrachtet ihn hin und her, und klingelt daran, ob er gut sei; ja er war gut, und steckt ihn in die Tasche. »Seid so gut und gebt mir denn jetzt auch meinen Imperial«, sagte der Musketier. Der Kaufmann erwiderte: »Ich habe keinen Imperial von Euch, so bin ich Euch auch keinen schuldig. Da habt Ihr Euren einfältigen Rubel wieder, wenn Ihr nur Spaß wollt machen.« Aber der Musketier sagte: »Meinen zweifältigen Imperial gebt mir heraus, mein Spaß ist Ernst und die Marktwache, die Polizei wird zu finden sein.« Ein Wort gab das andere, das glimpfliche gab das trotzige, und das trotzige gab das schnöde, und es hängte sich an den Stand mit Leuten an, wie ein Bart an einem Bienenkorb. Auf einmal bohrt etwas wie ein Maulwurf durch die Menge. »Was geht hier vor?« fragt der Polizeisergeant, als er sich mit seinen Leuten durch die Menge durchgebohrt hatte. »Was geht vor? frag ich?« Der Krämer wußte wenig zu sagen, aber desto mundfertiger war der Musketier. Vor keiner Viertelstunde, erzählte er, hab er diesem Mann für einen Rubel abgekauft, das und das. Als er ihn bezahlen wollte, in allen Taschen habe er kein Geld gefunden, nur einen doppelten Imperial, den ihm sein Pate geschenkt habe, als er gezogen wurde. So habe er ihm den Imperial als Unterpfand zurückgelassen, bis er den Rubel bringe. Wie er mit dem Rubel wieder kommen sei, hab er den rechten Kaufladen nimmer gefunden, und an allen Ständen gefragt: »Wem bin ich einen Rubel schuldig?« so habe dieser da gesagt, er sei derjenige, und sei's auch, und habe ihm auch den Rubel abgenommen, aber von dem Imperial wolle er nichts wissen. »Wollt Ihr ihn jetzt gutwillig herausgeben oder nicht?« Als aber der Polizeisergeant die Umstehenden fragte, und die Umstehenden sagten: ja der Musketier habe an allen Kaufläden gefragt, wem der Rubel gehöre, und dieser habe bekannt, er gehöre ihm, und habe ihn auch angenommen, und daran geklingelt, ob er probat sei. Als der Polizeihauptmann das hörte, so gab er den Bescheid: »Habt Ihr Euern Rubel bekommen, so gebt dem Soldaten auch seinen Imperial zurück, oder man petschiert Euch Euren Stand mit Lattnägeln zusammen, und Ihr werdet zwischen Euren eigenen Brettern eingeschachtelt und eingeschindelt, und könnt Ihr alsdann lang Hunger leiden, so könnt Ihr auch lang leben.« Das sagte der Anführer der Polizeiwache, und wer dem Musketier für einen Rubel einen Imperial herausgehen mußte, war der Kaufmann.
Merke
: Fremdes Gut frißt das eigene, wie neuer Schnee den alten.
[1811]
Rettung einer Offiziersfrau
Es muß manchmal recht wild und blutig in der Welt hergehen, daß die edle Denkungsart eines Menschen bekannt werde, den man nicht drum ansieht.
In Tirol, wo es während des letzten Krieges recht wild und blutig herging, da hatten sie eben einen bayerischen Stabsoffizier ermordet und mit noch blutigen Säbeln und Mistgabeln drangen sie in das Gemach, wo seine Gattin mit ihrem Kind in dem Schoß weinte und ihr Leid Gott klagte, und wollten sie auch ermorden. »Ja«, fuhr sie einer von ihnen wütend an, und war der allerärgste, »für Euer Leben gibt es kein Lösegeld, und Euer Bürschlein da hat auch bayerisch Blut in den Adern. In einer Stunde müßt Ihr sterben, zuerst Euer kleiner Sadrach, hernach Ihr. Laßt ihr eine Stunde Zeit«, sagte er zu den andern, »daß sie noch beten kann; sie ist eine katholische Christin.«
Nach einer Viertelstunde aber, als sie allein war und betete, kam er wieder und sagte: »Gnädige Frau, Ihr kennt mich noch, so bitte ich Euch, Ihr wollt ob mir nicht erschrecken und nicht in Bösem aufnehmen, was ich in guter Meinung gesagt habe. Gebt mir Euer Kind unter den Mantel, so will ich es retten und zu meiner Mutter bringen, und zieht unterdessen dieses Plunder an«, das er unter dem Mantel hervorzog, »so will ich's versuchen, ob ich Euch mit Gottes und unserer Frauen Hülfe auch kann retten.« Als er das Kind in Sicherheit gebracht hatte, und wiederkam, stand sie schon da angekleidet wie ein Tiroler. Da drückte er ihr den schlappen Hut recht ins Gesicht, richtete ihr den Hosenträger besser zurecht, und gab ihr seine Mistgabel in die Hand, als wenn sie auch ein Rebeller wäre, und zu den Leibgardisten und Hellebardieren des Sandwirt Hofers gehörte. »Kommt denn jetzt«, sagte er, »in Gottes Namen, und tretet herzhaft auf, wenn Ihr hinauskommt, und macht Euch ein wenig breit.« Als sie aber miteinander die Treppe hinabgingen, kamen die andern wieder, und, »hast du ihr den Treff schon gegeben, Seppel?« fragte ihn einer. Da sagte er: »Nein, sie hat die Türe zugeschlossen und gebetet. Jetzt kann sie fertig sein. Ich hab sie durchs Schlüsselloch gesehen, und sie stand eben auf, als ich durchsah.« Also ging er mit ihr die Treppe hinab, und die andern stürmten an ihr vorbei, die Treppe hinauf, und während sie vor der verschlossenen Türe lärmten und pochten, und in das leere Gemach hineinriefen: »Seid Ihr bald fertig? die Türe soll bald eingetreten sein«, brachte er sie auch zu seiner Mutter, und gab ihr ihr Kindlein wieder, und das Kindlein lächelte, aber sie weinte und drückte es brünstig an ihr Gesicht und an ihren Busen. Also hatte sie der edle Tiroler glücklich und mit Gottes Hülfe aus den Händen ihrer Mörder errettet, und hat sie hernach die Nacht hindurch auf heimlichen Wegen fortgeführt, und bis an ein bayerisch Pikett gebracht, als eben die Sonne aufging.
[1811]
Baumzucht
Der Adjunkt tritt mit schwarzen Lippen, ohne daß er's weiß, mit blauen Zähnen und herabhängenden Schnüren an den Beinkleidern, zu dem Hausfreund. »Die Kirschen«, sagt er, »schmecken mir doch nie besser, als wenn ich selber frei und keck wie ein Vöglein auf den luftigen Baum kann sitzen, und essen frisch weg von den Zweigen die schönsten, – auf einem Ast ich, auf einem andern ein Spatz.«
»Wir nähren uns doch alle«, sagt er, »an dem nämlichen großen Hausvaterstisch und aus der nämlichen milden Hand die Biene, die Grundel im Bach, der Vogel im Busch, das Rößlein und der Herr Vogt, der darauf reitet.«
»Hausfreund«, sagt der Adjunkt, »singt mir einmal in Eurer Weise das Liedlein vom Kirschbaum. Ich will dazu pfeifen auf dem Blatt.«
Der lieb Gott het zum Frühlig gseit:
»Gang, deck im Würmli au si Tisch!«
Druf het der Chries-Baum Blätter treit
viel tausig Blätter grün und frisch.
Und's Würmli usem Ey verwachts,
's het gschlofen in si'm Winterhuus,
es streckt si, und spert's Müüli uf,
und ribt die blöden Augen us.
Und druf se hets mit stillem Zahn
am Blättli g'nagt enander no
und gseit: »Wie ist das Gemües so gut!
Me chunnt schier nimme weg dervo.«
Und wieder het der lieb Gott gseit:
»Deck jez im Imli au si Tisch.«
Druf het der Chriesbaum Blüethe treit,
viel tausig Blüethe wiiß und frisch.
Und's Immli siehts und fliegt druf los,
früeih in der Sunne Morge-Schin.
Es denkt: »Das wird mi Caffe sy,
si hen doch chosper Porzelin.
Wie sufer sin die Chächeli gschwenkt!«
Es streckt si trochche Züngli dri.
Es trinkt und seit: »Wie schmeckts so süeß,
do mueß der Zucker wohlfel sy.«
Der lieb Gott het zum Summer gseit:
»Gang, deck im Spätzli au si Tisch!«
Druf het der Chriesbaum Früchte treit.
Viel tausig Chriesi roth und frisch.
Und's Spätzli seit: »Isch das der B'richt?
do sizt me zu, und frogt nit lang.
Das git mer Chraft in Mark und Bei',
und stärkt mer d'Stimm zum neue Gsang.«
»Hausfreund«, sagt der Adjunkt, »hat Euch auch manchmal der Feldschütz verjagt ab den Kirschbäumen in Eurer Jugend? Und habt Ihr, wenn's noch so dunkel war, den Weg doch gefunden auf die Zwetschgenbäume im Pfarrgarten zu Schopfen, und Apfel und Nüsse eingetragen auf den Winter, wie meiner Frau Schwiegermutter ihr Eichhörnlein, das sie Euch geschenkt hat? Man denkt doch am längsten dran, was einem in der Jugend begegnet ist.«
»Das geht natürlich zu«, sagt der Hausfreund, »man hat am längsten Zeit daran zu denken.«
Der lieb Gott het zum Spötlig gseit:
»Ruum ab! sie hen jez alli g'ha.«
Druf het e chüele Bergluft gweiht,
und's het scho chleini Rife g'ha,
Und d'Blättli werde gel und roth
und fallen eis im andere no
und was vom Boden obsi chunnt,
mueß au zum Bode nidsi go.
Der lieb Gott het zum Winter gseit:
»Deck weidli zu, was übrig ist.«
Druf het der Winter Flocke gstreut –
»Hausfreund«, sagt der Adjunkt, »Ihr seid ein wenig heiser. Wenn ich die Wahl hätte ein eigenes Kühlein oder ein eigener Kirschbaum, oder Nußbaum, lieber ein Baum.«
Der Hausfreund sagt: »Adjunkt Ihr seid ein schlauer Gesell. Ihr denkt, wenn ich einen eigenen Baum hätte, so hätt ich auch einen eigenen Garten, oder Acker, wo der Baum darauf steht. Eine eigene Haustür wäre auch nicht zu verachten, aber mit einem eigenen Kühlein auf seinen vier Beinen könntet Ihr übel dran sein.«
»Das ist's eben«, sagt der Adjunkt, »so ein Baum frißt keinen Klee und keinen Haber. Nein er trinkt still wie ein Mutterkind den nährenden Saft der Erde, und saugt reines warmes Leben aus dem Sonnenschein, und frisches aus der Luft, und schüttelt die Haare im Sturm. Auch könnte mir das Kühlein zeitlich sterben. Aber so ein Baum wartet auf Kinder und Kindeskinder mit seinen Blüten, mit seinen Vogelnestern und mit seinem Segen. Die Bäume wären die glücklichsten Geschöpfe, meint der Adjunkt, wenn sie wüßten, wie frei und lustig sie wohnen, wie schön sie sind im Frühling und in ihrem Christkindleinsstaat im Sommer, und alles stehenbleibt und sie betrachtet und Gott dankt, oder wenn der Wanderer ausruht in ihrem Schatten, und ein Pfeiflein Tabak genießt, oder ein Stücklein Käs, und wie sie gleich dem Kaiser Wohltaten austeilen können, und jung und alt froh machen umsonst, und im Winter allein nicht heimgehen. Nein sie bleiben draußen und weisen den Wandersmann zurecht, wenn Fahrwege und Fußpfade verschneit sind. Rechts – jetzt links – jetzt noch ein wenig links über das Berglein.«
»Hausfreund«, sagt der Adjunkt, »wenn Ihr einmal Vogt werdet, Stabhalter seid Ihr schon, oder gar Kreisrat, das Alter hättet Ihr, so müßt Ihr Euere Untergebenen fleißig zur Baumzucht und zur Gottseligkeit anhalten, und ihnen selber mit einem guten Beispiel voranleuchten. Ihr könnt Euerer Gemeinde keinen größeren Segen hinterlassen. Denn ein Baum, wenn er gesetzt oder gezweigt wird, kostet nichts oder wenig, wenn er aber groß ist, so ist er ein Kapital für die Kinder, und trägt dankbare Zinsen. Die Gottseligkeit aber hat die Verheißung dieses und des zukünftigen Lebens.«
»Wenn ich mir einmal so viel bei Euch erworben habe«, sagt der Adjunkt zum Hausfreund, »daß ich mir ein eigenes Gütlein kaufen, und meiner Frau Schwiegermutter ihre Tochter heiraten kann, und der liebe Gott beschert mir Nachwuchs, so setze ich jedem meiner Kinder ein eigenes Bäumlein, und das Bäumlein muß heißen wie das Kind, Ludwig, Johannes, Henriette, und ist sein erstes eigenes Kapital und Vermögen, und ich sehe zu, wie sie miteinander wachsen und gedeihen, und immer schöner werden, und wie nach wenig Jahren das Büblein selber auf sein Kapital klettert und die Zinsen einzieht. Wenn mir aber der liebe Gott eines von meinen Kindern nimmt, so bitte ich den Herrn Pfarrer oder den Dekan, und begrabe es unter sein Bäumlein, und wenn alsdann der Frühling wiederkehrt, und alle Bäume stehen wie Auferstandene von den Toten in ihrer Verklärung da, voll Blüten und Sommervögel und Hoffnung, so lege ich mich an das Grab, und rufe leise hinab: ›Stilles Kind, dein Bäumlein blüht. Schlafe du indessen ruhig fort! Dein Maitag bleibt dir auch nicht aus.‹«
Er ist kein unwäger Mensch der Adjunkt.
[1811]
Unverhofftes Wiedersehen
In Falun in Schweden küßte vor guten fünfzig Jahren und mehr ein junger Bergmann seine junge hübsche Braut und sagte zu ihr: »Auf Sankt Luciä wird unsere Liebe von des Priesters Hand gesegnet. Dann sind wir Mann und Weib, und bauen uns ein eigenes Nestlein.« – »Und Friede und Liebe soll darin wohnen«, sagte die schöne Braut mit holdem Lächeln, »denn du bist mein einziges und alles, und ohne dich möchte ich lieber im Grab sein, als an einem andern Ort.« Als sie aber vor St. Luciä der Pfarrer zum zweitenmal in der Kirche ausgerufen hatte:
»So nun jemand Hindernis wüßte anzuzeigen, warum diese Personen nicht möchten ehelich zusammenkommen
« – da meldete sich der
Tod
. Denn als der Jüngling den andern Morgen in seiner schwarzen Bergmannskleidung an ihrem Haus vorbeiging, der Bergmann hat sein Totenkleid immer an, da klopfte er zwar noch einmal an ihrem Fenster, und sagte ihr guten Morgen, aber keinen guten Abend mehr. Er kam nimmer aus dem Bergwerk zurück, und sie saumte vergeblich selbigen Morgen ein schwarzes Halstuch mit rotem Rand für ihn zum Hochzeittag, sondern als er nimmer kam, legte sie es weg, und weinte um ihn und vergaß ihn nie. Unterdessen wurde die Stadt Lissabon in Portugal durch ein Erdbeben zerstört, und der Siebenjährige Krieg ging vorüber, und Kaiser Franz der Erste starb, und der Jesuitenorden wurde aufgehoben und Polen geteilt, und die Kaiserin Maria Theresia starb, und der Struensee wurde hingerichtet, Amerika wurde frei, und die vereinigte französische und spanische Macht konnte Gibraltar nicht erobern. Die Türken schlossen den General Stein in der Veteraner Höhle in Ungarn ein, und der Kaiser Joseph starb auch. Der König Gustav von Schweden eroberte russisch Finnland, und die Französische Revolution und der lange Krieg fing an, und der Kaiser Leopold der Zweite ging auch ins Grab. Napoleon eroberte Preußen, und die Engländer bombardierten Kopenhagen, und die Ackerleute säeten und schnitten. Der Müller mahlte, und die Schmiede hämmerten, und die Bergleute gruben nach den Metalladern in ihrer unterirdischen Werkstatt. Als aber die Bergleute in Falun im Jahr 1809 etwas vor oder nach Johannis zwischen zwei Schachten eine Öffnung durchgraben wollten, gute dreihundert Ehlen tief unter dem Boden gruben sie aus dem Schutt und Vitriolwasser den Leichnam eines Jünglings heraus, der ganz mit Eisenvitriol durchdrungen, sonst aber unverwest und unverändert war; also daß man seine Gesichtszüge und sein Alter noch völlig erkennen konnte, als wenn er erst vor einer Stunde gestorben, oder ein wenig eingeschlafen wäre, an der Arbeit. Als man ihn aber zu Tag ausgefördert hatte, Vater und Mutter, Gefreundte und Bekannte waren schon lange tot, kein Mensch wollte den schlafenden Jüngling kennen oder etwas von seinem Unglück wissen, bis die ehemalige Verlobte des Bergmanns kam, der eines Tages auf die Schicht gegangen war und nimmer zurückkehrte. Grau und zusammengeschrumpft kam sie an einer Krücke an den Platz und erkannte ihren Bräutigam; und mehr mit freudigem Entzücken als mit Schmerz sank sie auf die geliebte Leiche nieder, und erst als sie sich von einer langen heftigen Bewegung des Gemüts erholt hatte, »es ist mein Verlobter«, sagte sie endlich, »um den ich fünfzig Jahre lang getrauert hatte, und den mich Gott noch einmal sehen läßt vor meinem Ende. Acht Tage vor der Hochzeit ist er unter die Erde gegangen und nimmer heraufgekommen.« Da wurden die Gemüter aller Umstehenden von Wehmut und Tränen ergriffen, als sie sahen die ehemalige Braut jetzt in der Gestalt des hingewelkten kraftlosen Alters und den Bräutigam noch in seiner jugendlichen Schöne, und wie in ihrer Brust nach 50 Jahren die Flamme der jugendlichen Liebe noch einmal erwachte; aber er öffnete den Mund nimmer zum Lächeln oder die Augen zum Wiedererkennen; und wie sie ihn endlich von den Bergleuten in ihr Stüblein tragen ließ, als die einzige, die ihm angehöre, und ein Recht an ihn habe, bis sein Grab gerüstet sei auf dem Kirchhof. Den andern Tag, als das Grab gerüstet war auf dem Kirchhof und ihn die Bergleute holten, schloß sie ein Kästlein auf, legte sie ihm das schwarzseidene Halstuch mit roten Streifen um, und begleitete ihn alsdann in ihrem Sonntagsgewand, als wenn es ihr Hochzeittag und nicht der Tag seiner Beerdigung wäre. Denn als man ihn auf dem Kirchhof ins Grab legte, sagte sie: »Schlafe nun wohl, noch einen Tag oder zehen im kühlen Hochzeitbett, und laß dir die Zeit nicht lange werden. Ich habe nur noch wenig zu tun, und komme bald, und bald wird's wieder Tag. – Was die Erde einmal wiedergegeben hat, wird sie zum zweitenmal auch nicht behalten«, sagte sie, als sie fortging, und noch einmal umschaute.
[1811]