Drittes Buch Hebräische Melodien O laß nicht ohne Lebensgenuß Dein Leben verfließen! Und bist du sicher vor dem Schuß, So laß sie nur schießen. Fliegt dir das Glück vorbei einmal, So faß es am Zipfel. Auch rat ich dir, baue dein Hüttchen im Tal Und nicht auf dem Gipfel. Prinzessin Sabbat In Arabiens Märchenbuche Sehen wir verwünschte Prinzen, Die zuzeiten ihre schöne Urgestalt zurückgewinnen: Das behaarte Ungeheuer Ist ein Königsohn geworden; Schmuckreich glänzend angekleidet, Auch verliebt die Flöte blasend. Doch die Zauberfrist zerrinnt, Und wir schauen plötzlich wieder Seine königliche Hoheit In ein Ungetüm verzottelt. Einen Prinzen solchen Schicksals Singt mein Lied. Er ist geheißen Israel. Ihn hat verwandelt Hexenspruch in einen Hund. Hund mit hündischen Gedanken, Kötert er die ganze Woche Durch des Lebens Kot und Kehricht, Gassenbuben zum Gespötte. Aber jeden Freitagabend, In der Dämmrungstunde, plötzlich Weicht der Zauber, und der Hund Wird aufs neu' ein menschlich Wesen. Mensch mit menschlichen Gefühlen, Mit erhobnem Haupt und Herzen, Festlich, reinlich schier gekleidet, Tritt er in des Vaters Halle. »Sei gegrüßt, geliebte Halle Meines königlichen Vaters! Zelte Jakobs, eure heil'gen Eingangspfosten küßt mein Mund!« Durch das Haus geheimnisvoll Zieht ein Wispern und ein Weben, Und der unsichtbare Hausherr Atmet schaurig in der Stille. Stille! Nur der Seneschall (Vulgo Synagogendiener) Springt geschäftig auf und nieder, Um die Lampen anzuzünden. Trostverheißend goldne Lichter, Wie sie glänzen, wie sie glimmern! Stolz aufflackern auch die Kerzen Auf der Brüstung des Almemors. Vor dem Schreine, der die Thora Aufbewahret und verhängt ist Mit der kostbar seidnen Decke, Die von Edelsteinen funkelt – Dort an seinem Betpultständer Steht schon der Gemeindesänger; Schmuckes Männchen, das sein schwarzes Mäntelchen kokett geachselt. Um die weiße Hand zu zeigen, Haspelt er am Halse, seltsam An die Schläf' den Zeigefinger, An die Kehl' den Daumen drückend. Trällert vor sich hin ganz leise, Bis er endlich lautaufjubelnd Seine Stimm' erhebt und singt: »Lecho Daudi Likras Kalle! Lecho Daudi Likras Kalle – Komm, Geliebter, deiner harret Schon die Braut, die dir entschleiert Ihr verschämtes Angesicht!« Dieses hübsche Hochzeitkarmen Ist gedichtet von dem großen, Hochberühmten Minnesinger Don Jehuda ben Halevy. In dem Liede wird gefeiert Die Vermählung Israels Mit der Frau Prinzessin Sabbat, Die man nennt die stille Fürstin. Perl' und Blume aller Schönheit Ist die Fürstin. Schöner war Nicht die Königin von Saba, Salomonis Busenfreundin, Die, ein Blaustrumpf Äthiopiens, Durch Esprit brillieren wollte, Und mit ihren klugen Rätseln Auf die Länge fatigant ward. Die Prinzessin Sabbat, welche Ja die personifizierte Ruhe ist, verabscheut alle Geisteskämpfe und Debatten. Gleich fatal ist ihr die trampelnd Deklamierende Passion, Jenes Pathos, das mit flatternd Aufgelöstem Haar einherstürmt. Sittsam birgt die stille Fürstin In der Haube ihre Zöpfe; Blickt so sanft wie die Gazelle, Blüht so schlank wie eine Addas. Sie erlaubt dem Liebsten alles, Ausgenommen Tabakrauchen – »Liebster! Rauchen ist verboten, Weil es heute Sabbat ist. Dafür aber heute mittag Soll dir dampfen, zum Ersatz, Ein Gericht, das wahrhaft göttlich – Heute sollst du Schalet essen!« Schalet, schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium! Also klänge Schillers Hochlied, Hätt er Schalet je gekostet. Schalet ist die Himmelspeise, Die der liebe Herrgott selber Einst den Moses kochen lehrte Auf dem Berge Sinai, Wo der Allerhöchste gleichfalls All die guten Glaubenslehren Und die heil'gen Zehn Gebote Wetterleuchtend offenbarte. Schalet ist des wahren Gottes Koscheres Ambrosia, Wonnebrot des Paradieses, Und mit solcher Kost verglichen Ist nur eitel Teufelsdreck Das Ambrosia der falschen Heidengötter Griechenlands, Die verkappte Teufel waren. Speist der Prinz von solcher Speise, Glänzt sein Auge wie verkläret, Und er knöpfet auf die Weste, Und er spricht mit sel'gem Lächeln: »Hör ich nicht den Jordan rauschen? Sind das nicht die Brüselbrunnen In dem Palmental von Beth-El, Wo gelagert die Kamele? Hör ich nicht die Herdenglöckchen? Sind das nicht die fetten Hämmel, Die vom Gileathgebirge Abendlich der Hirt herabtreibt?« Doch der schöne Tage verflittert; Wie mit langen Schattenbeinen Kommt geschritten der Verwünschung Böse Stund' – Es seufzt der Prinz. Ist ihm doch, als griffen eiskalt Hexenfinger in sein Herze. Schon durchrieseln ihn die Schauer Hündischer Metamorphose. Die Prinzessin reicht dem Prinzen Ihre güldne Nardenbüchse. Langsam riecht er – Will sich laben Noch einmal an Wohlgerüchen. Es kredenzet die Prinzessin Auch den Abschiedstrunk dem Prinzen – Hastig trinkt er, und im Becher Bleiben wen'ge Tropfen nur. Er besprengt damit den Tisch, Nimmt alsdann ein kleines Wachslicht, Und er tunkt es in die Nässe, Daß es knistert und erlischt.