2. Nach des Kampfes Schreckenstag, Kommt die Spuknacht des Triumphes; Hunderttausend Freudenlampen Lodern auf in Mexiko. Hunderttausend Freudenlampen, Waldharzfackeln, Pechkranzfeuer, Werfen grell ihr Tageslicht Auf Paläste, Götterhallen, Gildenhäuser und zumal Auf den Tempel Vitzliputzlis, Götzenburg von rotem Backstein, Seltsam mahnend an ägyptisch, Babylonisch und assyrisch Kolossalen Bauwerkmonstren, Die wir schauen auf den Bildern Unsers Briten Henri Martin. Ja, das sind dieselben breiten Rampentreppen, also breit, Daß dort auf und nieder wallen Viele tausend Mexikaner, Während auf den Stufen lagern Rottenweis die wilden Krieger, Welche lustig bankettieren, Hochberauscht von Sieg und Palmwein. Diese Rampentreppen leiten, Wie ein Zickzack, nach der Plattform, Einem balustradenart'gen Ungeheuern Tempeldach. Dort auf seinem Thronaltar Sitzt der große Vitzliputzli, Mexikos blutdürst'ger Kriegsgott. Ist ein böses Ungetüm, Doch sein Äußres ist so putzig, So verschnörkelt und so kindisch, Daß er trotz des innern Grausens Dennoch unsre Lachlust kitzelt – Und bei seinem Anblick denken Wir zu gleicher Zeit etwa An den blassen Tod von Basel Und an Brüssels Mankepiß. An des Gottes Seite stehen Rechts die Laien, links die Pfaffen; Im Ornat von bunten Federn Spreizt sich heut die Klerisei. Auf des Altars Marmorstufen Hockt ein hundertjährig Männlein, Ohne Haar an Kinn und Schädel; Trägt ein scharlach Kamisölchen. Dieses ist der Opferpriester, Und er wetzet seine Messer, Wetzt sie lächelnd, und er schielet Manchmal nach dem Gott hinauf. Vitzliputzli scheint den Blick Seines Dieners zu verstehen, Zwinkert mit den Augenwimpern Und bewegt sogar die Lippen. Auf des Altars Stufen kauern Auch die Tempelmusici, Paukenschläger, Kuhhornbläser – Ein Gerassel und Getute – Ein Gerassel und Getute, Und es stimmet ein des Chores Mexikanisches Tedeum – Ein Miaulen wie von Katzen – Ein Miaulen wie von Katzen, Doch von jener großen Sorte, Welche Tigerkatzen heißen Und statt Mäuse Menschen fressen! Wenn der Nachtwind diese Töne Hinwirft nach dem Seegestade, Wird den Spaniern, die dort lagern, Katzenjämmerlich zumute. Traurig unter Trauerweiden, Stehen diese dort noch immer, Und sie starren nach der Stadt, Die im dunkeln Seegewässer Widerspiegelt, schier verhöhnend, Alle Flammen ihrer Freude – Stehen dort wie im Parterre Eines großen Schauspielhauses, Und des Vitzliputzli-Tempels Helle Plattform ist die Bühne, Wo zur Siegesfeier jetzt Ein Mysterium tragiert wird. »Menschenopfer« heißt das Stück. Uralt ist der Stoff, die Fabel; In der christlichen Behandlung Ist das Schauspiel nicht so gräßlich. Denn dem Blute wurde Rotwein, Und dem Leichnam, welcher vorkam, Wurde eine harmlos dünne Mehlbreispeis' transsubstituieret – Diesmal aber, bei den Wilden, War der Spaß sehr roh und ernsthaft Aufgefaßt: man speiste Fleisch, Und das Blut war Menschenblut. Diesmal war es gar das Vollblut Von Altchristen, das sich nie, Nie vermischt hat mit dem Blute Der Moresken und der Juden. Freu dich, Vitzliputzli, freu dich, Heute gibt es Spanierblut, Und am warmen Dufte wirst du Gierig laben deine Nase. Heute werden dir geschlachtet Achtzig Spanier, stolze Braten Für die Tafel deiner Priester, Die sich an dem Fleisch erquicken. Denn der Priester ist ein Mensch, Und der Mensch, der arme Fresser, Kann nicht bloß vom Riechen leben Und vom Dufte, wie die Götter. Horch! die Todespauke dröhnt schon, Und es kreischt das böse Kuhhorn! Sie verkünden, daß heraufsteigt Jetzt der Zug der Sterbemänner. Achtzig Spanier, schmählich nackend, Ihre Hände auf dem Rücken Festgebunden, schleppt und schleift man Hoch hinauf die Tempeltreppe. Vor dem Vitzliputzli-Bilde Zwingt man sie, das Knie zu beugen Und zu tanzen Possentänze, Und man zwingt sie durch Torturen, Die so grausam und entsetzlich, Daß der Angstschrei der Gequälten Überheulet das gesamte Kannibalencharivari. – Armes Publikum am See! Cortez und die Kriegsgefährten, Sie vernahmen und erkannten Ihrer Freunde Angstrufstimmen – Auf der Bühne, grellbeleuchtet, Sahen sie auch ganz genau Die Gestalten und die Mienen – Sahn das Messer, sahn das Blut – Und sie nahmen ab die Helme Von den Häuptern, knieten nieder, Stimmten an den Psalm der Toten, Und sie sangen: »De profundis!« Unter jenen, welche starben, War auch Raimond de Mendoza, Sohn der schönen Abbatissin, Cortez' erste Jugendliebe. Als er auf der Brust des Jünglings Jenes Medaillon gewahrte, Das der Mutter Bildnis einschloß, Weinte Cortez helle Tränen – Doch er wischt' sie ab vom Auge Mit dem harten Büffelhandschuh, Seufzte tief und sang im Chore Mit den andern: »Miserere!«