3. Nach der Schlacht bei Arabella Hat der große Alexander Land und Leute des Darius, Hof und Harem, Pferde, Weiber, Elefanten und Dariken, Kron' und Zepter, goldnen Plunder, Eingesteckt in seine weiten Mazedon'schen Pluderhosen. In dem Zelt des großen Königs, Der entflohn, um nicht höchstselbst Gleichfalls eingesteckt zu werden, Fand der junge Held ein Kästchen, Eine kleine güldne Truhe, Mit Miniaturbildwerken Und mit inkrustierten Steinen Und Kameen reich geschmückt – Dieses Kästchen, selbst ein Kleinod Unschätzbaren Wertes, diente Zur Bewahrung von Kleinodien, Des Monarchen Leibjuwelen. Letztre schenkte Alexander An die Tapfern seines Heeres, Darob lächelnd, daß sich Männer Kindisch freun an bunten Steinchen. Eine kostbar schönste Gemme Schickte er der lieben Mutter; War der Siegelring des Cyrus, Wurde jetzt zu einer Brosche. Seinem alten Weltarschpauker Aristoteles, dem sandt er Einen Onyx für sein großes Naturalienkabinett. In dem Kästchen waren Perlen, Eine wunderbare Schnur, Die der Königin Atossa Einst geschenkt der falsche Smerdis – Doch die Perlen waren echt – Und der heitre Sieger gab sie Einer schönen Tänzerin Aus Korinth, mit Namen Thais. Diese trug sie in den Haaren, Die bacchantisch aufgelöst, In der Brandnacht, als sie tanzte Zu Persepolis und frech In die Königsburg geschleudert Ihre Fackel, daß laut prasselnd Bald die Flammenlohe aufschlug, Wie ein Feuerwerk zum Feste. Nach dem Tod der schönen Thais, Die an einer babylon'schen Krankheit starb zu Babylon, Wurden ihre Perlen dort Auf dem Börsensaal vergantert. Sie erstand ein Pfaff' aus Memphis, Der sie nach Ägypten brachte, Wo sie später auf dem Putztisch Der Kleopatra erschienen, Die die schönste Perl' zerstampft Und mit Wein vermischt verschluckte, Um Antonius zu foppen. Mit dem letzten Omayaden Kam die Perlenschnur nach Spanien, Und sie schlängelte am Turban Des Kalifen zu Corduba. Abderam der Dritte trug sie Als Brustschleife beim Turnier, Wo er dreißig goldne Ringe Und das Herz Zuleimas stach. Nach dem Fall der Mohrenherrschaft Gingen zu den Christen über Auch die Perlen, und gerieten In den Kronschatz von Kastilien. Die kathol'schen Majestäten Span'scher Königinnen schmückten Sich damit bei Hoffestspielen, Stiergefechten, Prozessionen, So wie auch Autodafés, Wo sie, auf Balkonen sitzend, Sich erquickten am Geruche Von gebratnen alten Juden. Späterhin gab Mendizabel, Satansenkel, diese Perlen In Versatz, um der Finanzen Defizit damit zu decken. An dem Hof der Tuilerien Kam die Schnur zuletzt zum Vorschein, Und sie schimmerte am Halse Der Baronin Salomon. So erging's den schönen Perlen. Minder abenteuerlich Ging's dem Kästchen, dies behielt Alexander für sich selber. Er verschloß darin die Lieder Des ambrosischen Homeros, Seines Lieblings, und zu Häupten Seines Bettes in der Nacht Stand das Kästchen – Schlief der König, Stiegen draus hervor der Helden Lichte Bilder, und sie schlichen Gaukelnd sich in seine Träume. Andre Zeiten, andre Vögel – Ich, ich liebte weiland gleichfalls Die Gesänge von den Taten Des Peliden, des Odysseus. Damals war so sonnengoldig Und so purpurn mir zumute, Meine Stirn umkränzte Weinlaub, Und es tönten die Fanfaren – Still davon – gebrochen liegt Jetzt mein stolzer Siegeswagen, Und die Panther, die ihn zogen, Sind verreckt, so wie die Weiber, Die mit Pauk' und Zimbelklängen Mich umtanzten, und ich selbst Wälze mich am Boden elend, Krüppelelend – still davon – Still davon – es ist die Rede Von dem Kästchen des Darius, Und ich dacht in meinem Sinne: Käm ich in Besitz des Kästchens, Und mich zwänge nicht Finanznot, Gleich dasselbe zu versilbern, So verschlösse ich darin Die Gedichte unsres Rabbi – Des Jehuda ben Halevy Festgesänge, Klagelieder, Die Ghaselen, Reisebilder Seiner Wallfahrt – alles ließ' ich Von dem besten Zophar schreiben Auf der reinsten Pergamenthaut, Und ich legte diese Handschrift In das kleine goldne Kästchen. Dieses stellt' ich auf den Tisch Neben meinem Bett, und kämen Dann die Freunde und erstaunten Ob der Pracht der kleinen Truhe, Ob den seltnen Basreliefen, Die so winzig, doch vollendet Sind zugleich, und ob den großen Inkrustierten Edelsteinen – Lächelnd würd ich ihnen sagen: Das ist nur die rohe Schale, Die den bessern Schatz verschließet – Hier in diesem Kästchen liegen Diamanten, deren Lichter Abglanz, Widerschein des Himmels, Herzblutglühende Rubinen, Fleckenlose Turkoasen, Auch Smaragde der Verheißung, Perlen, reiner noch als jene, Die der Königin Atossa Einst geschenkt der falschen Smerdis, Und die späterhin geschmücket Alle Notabilitäten Dieser mondumkreisten Erde, Thais und Kleopatra, Isispriester, Mohrenfürsten, Auch Hispaniens Königinnen. Und zuletzt die hochverehrte Frau Baronin Salomon – Diese weltberühmten Perlen, Sie sind nur der bleiche Schleim Eines armen Austertiers, Das im Meergrund blöde kränkelt: Doch die Perlen hier im Kästchen Sind entquollen einer schönen Menschenseele, die noch tiefer, Abgrundtiefer als das Weltmeer – Denn es sind die Tränenperlen Des Jehuda ben Halevy, Die er ob dem Untergang Von Jerusalem geweinet – Perlentränen, die, verbunden Durch des Reimes goldnen Faden, Aus der Dichtkunst güldnen Schmiede Als ein Lied hervorgegangen. Dieses Perlentränenlied Ist die vielberühmte Klage, Die gesungen wird in allen Weltzerstreuten Zelten Jakobs An dem neunten Tag des Monats, Der geheißen Ab, dem Jahrstag Von Jerusalems Zerstörung Durch den Titus Vespasianus. Ja, das ist das Zionslied, Das Jehuda ben Halevy Sterbend auf den heil'gen Trümmern Von Jerusalem gesungen – Barfuß und im Büßerkittel Saß er dorten auf dem Bruchstück Einer umgestürzten Säule; – Bis zur Brust herunter fiel Wie ein greiser Wald sein Haupthaar, Abenteuerlich beschattend Das bekümmert bleiche Antlitz Mit den geisterhaften Augen – Also saß er und er sang, Wie ein Seher aus der Vorzeit Anzuschaun – dem Grab entstiegen Schien Jeremias, der Alte – Das Gevögel der Ruinen Zähmte schier der wilde Schmerzlaut Des Gesanges, und die Geier Nahten horchend, fast mitleidig – Doch ein frecher Sarazene Kam desselben Wegs geritten, Hoch zu Roß, im Bug sich wiegend Und die blanke Lanze schwingend – In die Brust des armen Sängers Stieß er diesen Todesspeer, Und er jagte rasch von dannen, Wie ein Schattenbild beflügelt. Ruhig floß das Blut des Rabbi, Ruhig seinen Sang zu Ende Sang er, und sein sterbeletzter Seufzer war Jerusalem! – – Eine alte Sage meldet, Jener Sarazene sei Gar kein böser Mensch gewesen, Sondern ein verkappter Engel, Der vom Himmel ward gesendet, Gottes Liebling zu entrücken Dieser Erde und zu fördern Ohne Qual ins Reich der Sel'gen. Droben, heißt es, harrte seiner Ein Empfang, der schmeichelhaft Ganz besonders für den Dichter, Eine himmlische Surprise. Festlich kam das Chor der Engel Ihm entgegen mit Musik, Und als Hymne grüßten ihn Seine eignen Verse, jenes Synagogenhochzeitkarmen, Jene Sabbathymenäen, Mit den jauchzend wohlbekannten Melodien – welche Töne! Englein bliesen auf Hoboen, Englein spielten Violine, Andre strichen auch die Bratsche Oder schlugen Pauk' und Zimbel. Und das sang und klang so lieblich, Und so lieblich in den weiten Himmelsräumen widerhallt es: »Lecho Daudi Likras Kalle.«