8 Zum Lazarus 1 Laß die heil'gen Parabolen, Laß die frommen Hypothesen – Suche die verdammten Fragen Ohne Umschweif uns zu lösen. Warum schleppt sich blutend, elend, Unter Kreuzlast der Gerechte, Während glücklich als ein Sieger Trabt auf hohem Roß der Schlechte? Woran liegt die Schuld? Ist etwa Unser Herr nicht ganz allmächtig? Oder treibt er selbst den Unfug? Ach, das wäre niederträchtig. Also fragen wir beständig, Bis man uns mit einer Handvoll Erde endlich stopft die Mäuler – Aber ist das eine Antwort? 2 Es hatte mein Haupt die schwarze Frau Zärtlich ans Herz geschlossen; Ach! meine Haare wurden grau, Wo ihre Tränen geflossen. Sie küßte mich lahm, sie küßte mich krank, Sie küßte mir blind die Augen; Das Mark aus meinem Rückgrat trank Ihr Mund mit wildem Saugen. Mein Leib ist jetzt ein Leichnam, worin Der Geist ist eingekerkert – Manchmal wird ihm unwirsch zu Sinn, Er tobt und rast und berserkert. Ohnmächtige Flüche! Dein schlimmster Fluch Wird keine Fliege töten. Ertrage die Schickung, und versuch, Gelinde zu flennen, zu beten. 3 Wie langsam kriechet sie dahin, Die Zeit, die schauderhafte Schnecke! Ich aber, ganz bewegungslos Blieb ich hier auf demselben Flecke. In meine dunkle Zelle dringt Kein Sonnenstrahl, kein Hoffnungsschimmer, Ich weiß, nur mit der Kirchhofsgruft Vertausch ich dies fatale Zimmer. Vielleicht bin ich gestorben längst; Es sind vielleicht nur Spukgestalten Die Phantasien, die des Nachts Im Hirn den bunten Umzug halten. Es mögen wohl Gespenster sein, Altheidnisch göttlichen Gelichters; Sie wählen gern zum Tummelplatz Den Schädel eines toten Dichters. – Die schaurig süßen Orgia, Das nächtlich tolle Geistertreiben, Sucht des Poeten Leichenhand Manchmal am Morgen aufzuschreiben. 4 Einst sah ich viele Blumen blühen An meinem Weg; jedoch zu faul, Mich pflückend nieder zu bemühen, Ritt ich vorbei auf stolzem Gaul. Jetzt, wo ich todessiech und elend, Jetzt, wo geschaufelt schon die Gruft, Oft im Gedächtnis höhnend, quälend, Spukt der verschmähten Blumen Duft. Besonders eine feuergelbe Viole brennt mir stets im Hirn. Wie reut es mich, daß ich dieselbe Nicht einst genoß, die tolle Dirn'. Mein Trost ist: Lethes Wasser haben Noch jetzt verloren nicht die Macht, Das dumme Menschenherz zu laben Mit des Vergessens süßer Nacht. 5 Ich sah sie lachen, sah sie lächeln, Ich sah sie ganz zugrunde gehn; Ich hört ihr Weinen und ihr Röcheln, Und habe ruhig zugesehn. Leidtragend folgt ich ihren Särgen, Und bis zum Kirchhof ging ich mit; Hernach, ich will es nicht verbergen, Speist ich zu Mittag mit App'tit. Doch jetzt auf einmal mit Betrübnis Denk ich der längstverstorbnen Schar; Wie lodernd plötzliche Verliebnis Stürmt's auf im Herzen wunderbar! Besonders sind es Julchens Tränen, Die im Gedächtnis rinnen mir; Die Wehmut wird zu wildem Sehnen, Und Tag und Nacht ruf ich nach ihr! – – Oft kommt zu mir die tote Blume Im Fiebertraum; alsdann zumut' Ist mir, als böte sie postume Gewährung meiner Liebesglut. O zärtliches Phantom, umschließe Mich fest und fester, deinen Mund, Drück ihn auf meinen Mund – versüße Die Bitternis der letzten Stund'! 6 Du warst ein blondes Jungfräulein, so artig, So niedlich und so kühl – vergebens harrt ich Der Stunde, wo dein Herze sich erschlösse Und sich daraus Begeisterung ergösse – Begeisterung für jene hohen Dinge, Die zwar Verstand und Prosa achten g'ringe, Für die jedoch die Edlen, Schönen, Guten Auf dieser Erde schwärmen, leiden, bluten. Am Strand des Rheins, wo Rebenhügel ragen, Ergingen wir uns einst in Sommertagen. Die Sonne lachte; aus den liebevollen Kelchen der Blumen Wohlgerüche quollen. Die Purpurnelken und die Rosen sandten Uns rote Küsse, die wie Flammen brannten. Im kümmerlichsten Gänseblümchen schien Ein ideales Leben aufzublühn. Du aber gingest ruhig neben mir, Im weißen Atlaskleid, voll Zucht und Zier, Als wie ein Mädchenbild gemalt von Netscher; Ein Herzchen im Korsett wie 'n kleiner Gletscher. 7 Vom Schöppenstuhle der Vernunft Bist du vollständig freigesprochen; Das Urteil sagt: »Die Kleine hat Durch Tun und Reden nichts verbrochen.« Ja, stumm und tatlos standest du, Als mich verzehrten tolle Flammen – Du schürtest nicht, du sprachst kein Wort, Und doch muß dich mein Herz verdammen. In meinen Träumen jede Nacht Klagt eine Stimme, die bezichtet Des bösen Willens dich und sagt, Du habest mich zugrund' gerichtet. Sie bringt Beweis und Zeugnis bei, Sie schleppt ein Bündel von Urkunden; Jedoch am Morgen, mit dem Traum, Ist auch die Klägerin verschwunden. Sie hat in meines Herzens Grund Mit ihren Akten sich geflüchtet – Nur eins bleibt im Gedächtnis mir, Das ist: ich bin zugrund' gerichtet. 8 Ein Wetterstrahl, beleuchtend plötzlich Des Abgrunds Nacht, war mir dein Brief; Er zeigte blendend hell, wie tief Mein Unglück ist, wie tief entsetzlich. Selbst dich ergreift ein Mitgefühl! Dich, die in meines Lebens Wildnis So schweigsam standest, wie ein Bildnis, Das marmorschön und marmorkühl. O Gott, wie muß ich elend sein! Denn sie sogar beginnt zu sprechen, Aus ihrem Auge Tränen brechen, Der Stein sogar erbarmt sich mein! Erschüttert hat mich, was ich sah! Auch du erbarm dich mein und spende Die Ruhe mir, o Gott, und ende Die schreckliche Tragödia. 9 Die Gestalt der wahren Sphinx Weicht nicht ab von der des Weibes; Faselei ist jener Zusatz Des betatzten Löwenleibes. Todesdunkel ist das Rätsel Dieser wahren Sphinx. Es hatte Kein so schweres zu erraten Frau Jokastens Sohn und Gatte. Doch zum Glücke kennt sein eignes Rätsel nicht das Frauenzimmer; Spräch es aus das Lösungswort, Fiele diese Welt in Trümmer. 10 Es sitzen am Kreuzweg drei Frauen, Sie grinsen und spinnen, Sie seufzen und sinnen; Sie sind gar häßlich anzuschauen. Die erste trägt den Rocken, Sie dreht die Fäden, Befeuchtet jeden; Deshalb ist die Hängelippe so trocken. Die zweite läßt tanzen die Spindel; Das wirbelt im Kreise, In drolliger Weise; Die Augen der Alten sind rot wie Zindel. Es hält die dritte Parze In Händen die Schere, Sie summt Miserere; Die Nase ist spitz, drauf sitzt eine Warze. O spute dich und zerschneide Den Faden, den bösen, Und laß mich genesen Von diesem schrecklichen Lebensleide! 11 Mich locken nicht die Himmelsauen Im Paradies, im sel'gen Land; Dort find ich keine schönre Frauen, Als ich bereits auf Erden fand. Kein Engel mit den feinsten Schwingen Könnt mir ersetzen dort mein Weib; Auf Wolken sitzend Psalmen singen, Wär auch nicht just mein Zeitvertreib. O Herr! ich glaub, es wär das beste, Du ließest mich in dieser Welt; Heil nur zuvor mein Leibgebreste, Und sorge auch für etwas Geld. Ich weiß, es ist voll Sünd' und Laster Die Welt; jedoch ich bin einmal Gewöhnt, auf diesem Erdpechpflaster Zu schlendern durch das Jammertal. Genieren wird das Weltgetreibe Mich nie, denn selten geh ich aus; In Schlafrock und Pantoffeln bleibe Ich gern bei meiner Frau zu Haus. Laß mich bei ihr! Hör ich sie schwätzen, Trinkt meine Seele die Musik Der holden Stimme mit Ergötzen. So treu und ehrlich ist ihr Blick! Gesundheit nur und Geldzulage Verlang ich, Herr! O laß mich froh Hinleben noch viel schöne Tage Bei meiner Frau im statu quo!