2. »Bei den Wassern Babels saßen Wir und weinten, unsre Harfen Lehnten an den Trauerweiden« – Kennst du noch das alte Lied? Kennst du noch die alte Weise, Die im Anfang so elegisch Greint und sumset, wie ein Kessel, Welcher auf dem Herde kocht? Lange schon, jahrtausendlange Kocht's in mir. Ein dunkles Wehe! Und die Zeit leckt meine Wunde, Wie der Hund die Schwären Hiobs. Dank dir, Hund, für deinen Speichel – Doch das kann nur kühlend lindern – Heilen kann mich nur der Tod, Aber, ach, ich bin unsterblich! Jahre kommen und vergehen – In dem Webstuhl läuft geschäftig Schnurrend hin und her die Spule – Was er webt, das weiß kein Weber. Jahre kommen und vergehen, Menschentränen träufeln, rinnen Auf die Erde, und die Erde Saugt sie ein mit stiller Gier – Tolle Sud! Der Deckel springt – Heil dem Manne, dessen Hand Deine junge Brut ergreifet Und zerschmettert an der Felswand. Gott sei Dank! die Sud verdampfet In dem Kessel, der allmählich Ganz verstummt. Es weicht mein Spleen, Mein westöstlich dunkler Spleen – Auch mein Flügelrößlein wiehert Wieder heiter, scheint den bösen Nachtalp von sich abzuschütteln, Und die klugen Augen fragen: »Reiten wir zurück nach Spanien Zu dem kleinen Talmudisten, Der ein großer Dichter worden, Zu Jehuda ben Halevy?« Ja, er ward ein großer Dichter, Absoluter Traumweltsherrscher Mit der Geisterkönigskrone, Ein Poet von Gottes Gnade, Der in heiligen Sirventen, Madrigalen und Terzinen, Kanzonetten und Ghaselen Ausgegossen alle Flammen Seiner gottgeküßten Seele! Wahrlich ebenbürtig war Dieser Troubadour den besten Lautenschlägern der Provence, Poitous und der Guienne, Roussillons und aller andern Süßen Pomeranzenlande Der galanten Christenheit. Der galanten Christenheit Süße Pomeranzenlande! Wie sie duften, glänzen, klingen In dem Zwielicht der Erinnrung! Schöne Nachtigallenwelt! Wo man statt des wahren Gottes Nur den falschen Gott der Liebe Und der Musen angebeten. Clerici mit Rosenkränzen Auf der Glatze sangen Psalmen In der heitern Sprache d'oc; Und die Laien, edle Ritter, Stolz auf hohen Rossen trabend, Spintisierten Vers und Reime Zur Verherrlichung der Dame, Der ihr Herze fröhlich diente. Ohne Dame keine Minne, Und es war dem Minnesänger Unentbehrlich eine Dame, Wie dem Butterbrot die Butter. Auch der Held, den wir besingen, Auch Jehuda ben Halevy Hatte seine Herzensdame; Doch sie war besondrer Art. Sie war keine Laura, deren Augen, sterbliche Gestirne, In dem Dome am Karfreitag Den berühmten Brand gestiftet – Sie war keine Chatelaine, Die im Blütenschmuck der Jugend Bei Turnieren präsidierte Und den Lorbeerkranz erteilte – Keine Kußrechtskasuistin War sie, keine Doktrinärrin, Die im Spruchkollegium Eines Minnehofs dozierte – Jene, die der Rabbi liebte, War ein traurig armes Liebchen, Der Zerstörung Jammerbildnis, Und sie hieß Jerusalem. Schon in frühen Kindestagen War sie seine ganze Liebe; Sein Gemüte machte beben Schon das Wort Jerusalem. Purpurflamme auf der Wange, Stand der Knabe, und er horchte, Wenn ein Pilger nach Toledo Kam aus fernem Morgenlande Und erzählte: wie verödet Und verunreint jetzt die Stätte, Wo am Boden noch die Lichtspur Von dem Fuße der Propheten – Wo die Luft noch balsamieret Von dem ew'gen Odem Gottes – »O des Jammeranblicks!« rief Einst ein Pilger, dessen Bart Silberweiß hinabfloß, während Sich das Barthaar an der Spitze Wieder schwärzte und es aussah, Als ob sich der Bart verjünge – Ein gar wunderlicher Pilger Mocht es sein, die Augen lugten Wie aus tausendjähr'gem Trübsinn, Und er seufzt': »Jerusalem! Sie, die volkreich heil'ge Stadt Ist zur Wüstenei geworden, Wo Waldteufel, Werwolf, Schakal Ihr verruchtes Wesen treiben – Schlangen, Nachtgevögel nisten Im verwitterten Gemäuer; Aus des Fensters luft'gem Bogen Schaut der Fuchs mit Wohlbehagen. Hier und da taucht auf zuweilen Ein zerlumpter Knecht der Wüste, Der sein höckriges Kamel In dem hohen Grase weidet. Auf der edlen Höhe Zions, Wo die goldne Feste ragte, Deren Herrlichkeiten zeugten Von der Pracht des großen Königs: Dort, von Unkraut überwuchert, Liegen nur noch graue Trümmer, Die uns ansehn schmerzhaft traurig, Daß man glauben muß, sie weinten. Und es heißt, sie weinten wirklich Einmal in dem Jahr, an jenem Neunten Tag des Monats Ab – Und mit tränend eignen Augen Schaute ich die dicken Tropfen Aus den großen Steinen sickern, Und ich hörte weheklagen Die gebrochnen Tempelsäulen.« – – Solche fromme Pilgersagen Weckten in der jungen Brust Des Jehuda ben Halevy Sehnsucht nach Jerusalem. Dichtersehnsucht! ahnend, träumend Und fatal war sie, wie jene, Die auf seinem Schloß zu Blaye Einst empfand der edle Vidam, Messer Geoffroy Rudello, Als die Ritter, die zurück Aus dem Morgenlande kehrten, Laut beim Becherklang beteuert: Ausbund aller Huld und Züchten, Perl' und Blume aller Frauen, Sei die schöne Melisande, Markgräfin von Tripolis. Jeder weiß, für diese Dame Schwärmte jetzt der Troubadour; Er besang sie, und es wurde Ihm zu eng im Schlosse Blaye. Und es trieb ihn fort. Zu Cette Schiffte er sich ein, erkrankte Aber auf dem Meer, und sterbend Kam er an zu Tripolis. Hier erblickt' er Melisanden Endlich auch mit Leibesaugen, Die jedoch des Todes Schatten In derselben Stunde deckten. Seinen letzten Liebessang Singend, starb er zu den Füßen Seiner Dame Melisande, Markgräfin von Tripolis. Wunderbare Ähnlichkeit In dem Schicksal beider Dichter! Nur daß jener erst im Alter Seine große Wallfahrt antrat. Auch Jehuda ben Halevy Starb zu Füßen seiner Liebsten, Und sein sterbend Haupt, es ruhte Auf den Knien Jerusalems.