Henry von Heiseler Die Kinder Godunófs Tragödie [Motto] ... Merk Dies allein: nicht eine einzige Stunde kommt zweimal im Leben, Nicht ein Wort, nicht eines Blickes Ungreifbares Nichts ist je Ungeschehn zu machen, was Du getan hast, mußt du tragen, So das Lächeln wie den Mord! Hofmannsthal. Personen Dramatis Personae. Zar Borís Godunóf. Maria, die Zarin. Fiódor, Ksénja, , beider Kinder. Herzog Christian von Dänemark. Fürst Schuiski, Fürst Galízin, Fürst Repnín, Baßmánof, Simeon Godunóf, und andere, , Edelleute. Iljá, des Zaren Diener. Irína, in Ksénjas Dienst. Ein Mönch. Ein Arzt. Der Irre. Ein rotbärtiger Mann. Ein schwarzbärtiger Mann. Ein weißbärtiger Mann. Diener, Boten, Volk. 1. Akt Erster Akt Ein Gemach im Kreml. Türen rechts vorn, links hinten und im Hintergrund. Links vorn ein Fenster. Rechts ein Tisch, zwei Sessel. Fürst Repnín, in heller Wut mit dem Säbel in der Hand einen Diener bedrohend. schreit. Herr, laß mich leben! Herr, ich wußte nicht, Daß ich's nicht sagen durfte! tot mich nicht Um aller Heiligen willen ... Jesus ... Herr ... Ich bin doch nur ein Hund ... ich weiß doch nichts ... Ich spreche nur aus lauter Dummheit nach, Was alle sprechen ... Alle – was – du wagst, Du sagst, daß alle ... dieses Unerhörte ... Bei Gott, Herr, alle ... Jesus, laß mich leben, Ich schwör es ab, wenn du befiehlst, ich will's Den andern sagen, Herr ... Sie sagen's alle ... Du lügst, es ist nicht möglich. Herr, bei Gott ... Fürst Galízin tritt auf, der Diener fällt ihm zu Füßen. Beschütze mich im Namen Gottes, Herr, Vor dem Bojaren! Du, Repnín? willkommen – Doch was geschah, was tat dir dieser Mensch, Der solchen Aufruhr durch den Kreml brüllt, Daß Dach und Mauern dröhnen? Ins Gesicht Speit er mir solche Worte: daß der Zar Ein Mörder, daß Borís durch Kindesmord Den Thron gewann, daß er den Zarensohn Beim Spielen töten ließ, Prinz Dmitri – was, Der Hund, das wagt er, das! und da mein Säbel Den Kopf ihm spalten will, schreit er mir zu, Er wüßte nichts – doch alle sagten's – alle – Und Lüge, hör, so ungeheuerlich, Macht seinen Mund nicht brennen, ihm die Zunge Nicht faulen, reißt die alten Steine nicht Aus dem Gewölbe los, niederzuprasseln Auf seinen Lügenschädel, auf den breiten Verleumderrücken und die ganze satte Abscheuliche verfluchte Niedertracht ... Besinne dich, unschuldig ist der Mensch. Unschuldig der ... Nun ja, weil jeder schuldig, So ist er's mit. Fort, Bursche, mach dich fort Und beiß die Zunge fest, sie brachte dir Den Tod beinah. Der Diener läuft davon wie besessen. Unschuldig, sagst du? Ja, Man munkelt allerlei, er hat ganz recht, Man hört das Lied auf allen Märkten pfeifen. Man weiß es nicht genau, doch munkelt man. Und du, du glaubst? Man glaubt das Böse leicht. Ich will davon nichts wissen. Zar Borís Herrscht gut und weise und man segnet ihn In jeder Hütte; das genügt mir, Freund. Mir nicht. Ich will nicht einen Herrscher mit Dem Zeichen auf der Stirn. Rein soll er sein, Und ist er's nicht – Er ist's ja doch vielleicht. Was tu ich mit vielleicht! auf einem Zaren Will ich nicht Flecken sehn! hat er den Mord Begangen oder nicht? erdacht? gebilligt? Gewünscht? – was es auch sei: er hat sich doch Damit befaßt – so oder so – und blieb Nicht rein davon – Repnín, du schwärmst. Mag sein – Sei's, wie es sei – so ist er doch der Tat Verdächtig und – und soll sich reinigen, Eh man ihm dienen darf. Nun wie ein Pferd Bist du mir durchgegangen ... still, Repnín Und hör mir zu. Ich will nicht! sondern gleich Geh ich zu ihm und frage. Was? du willst – Borís, den Zaren fragen! ja, das will ich! Ich bin Bojar und darf das tun, ich werde Nach seinen Händen greifen und ihn fragen, Ob er es duldet, daß ein Hund von Diener Ihm seinen Rock beschmutzt. Und wenn er's duldet, Dann weiß er auch, warum er's dulden muß, Dann liegt dies tote Kind auf seiner Seele Und wir ... Repnín, du rasest! Wir erwählen Den Reinsten unter uns, daß er den Makel Aus unsrer Chronik tilge. He, Bojar, Was denkst du auch von unsrer Chronik? hat Ein Mönch auf Seide sie geschrieben und Mit weißen Unschuldslettern und sie singt Von lauter Schäfertanz und Kinderspielen? Ein finstres Loch ist sie voll Blut und Schmach Und Mord und Unrat. Hast du nicht erlebt, Was Zar Joánn auf ihre Blätter schrieb? Wer hat dies Land in einen Pferch verwandelt Für Wölfe und für Säue? hab ich doch So etwas nie gehört: wir alten Männer Sind uns, Borís zu dienen, nicht zu schlecht, Und du kommst hergeflattert, siehst dich um Und krähst gleich wie ein Hahn, der sich im Garten Als Kaiser fühlt! was kamst du her? geh du Nach England wieder, geh wohin du magst, Uns aber rühr nicht an. Ja, weil ihr satt seid, Satt, faul und schändlich, darum wollt ihr Ruhe! Ihr, seid ihr Männer? pfui, ihr liebt den Schlamm, Könnt ich euch nur an eure Hälse euch Wie eine Katze springen und das faule Verstockte Blut aus euren Hälsen würgen – Weiß Gott, ich tät's! weiß Gott, ich tu es noch, Nehmt euch in acht. Wir finden wohl die Kette, Die solche Tiere fesselt. Such sie doch! Heraus mit deinem Säbel! Torheit! Feigheit! Den Säbel nimm! ich schlage dir die Klinge Flach auf den Rücken, wie man Sklaven schlägt, Nimmst du den Säbel nicht! Nun, junger Narr, Was du in England lerntest, will ich sehn, Komm an! Ich komme! Sie kämpfen. Der Zaréwitsch Fiódor kommt und tritt sofort zwischen die Kämpfenden. Gleich hinter ihm Ksénja. Kampf im Kreml! steht! Die nackten Waffen will ich nicht mehr sehn – Kein Wort! gehorcht! Nun geht, bis ich euch rufe. Ihr werdet vor dem Zaren Rede stehn. Zaréwitsch, muß das sein? Du bist, Galízin, Der Ältere – sag mir, wie kam der Streit? Ich griff ihn an, er wehrte sich. Warum? geht rasch ab. Der Zar soll's wissen. Er ist keck und jung. Doch besser ist's, daß uns dein Vater richte. Erlaube, daß ich gehe. Hör, Bojar, Man kommt zu meinem Vater allzuoft Mit Dingen, die ihn quälen, und ich bitte, Vermeide, was ihn kränken müßte. verneigt sich stumm. Wohl, Ich stelle diese Sache heute noch Dem Zaren vor und komme, wenn es Zeit ist, Zu dir mit Botschaft selbst. Ich danke dir. Du findest mich im Schloß. Lebt beide wohl. Galízin ab. Fiódor wendet sich um und sieht Ksénja lächelnd an. Es ist das alte Lied. Sie kann's nicht lassen. blickt auf und lacht. Ich tu ja nichts. Was lachst du da so dumm? Das weiß man doch: der Vater ist ein Kind Und Ksénja seine Amme. Sprich du nur! Er kann allein nicht herrschen, Ksénja kommt Und sagt zu seinem besten Rat: ich bitte, Tu dies, vermeide das. Dann geht der Karren Ein Weilchen wieder, dank dem großen Himmel Und Ksénja, seinen Gang und fährt er sich Im Sande fest – das Mädchen kommt und rettet, Wenn ratlos Zar und Volk. Das kannst du nicht Verstehen, siehst du, das verstehst du nicht. Du bist nicht klug genug. Längst weiß ich schon: Das Denken fällt dir schwer. Merk einmal auf: Ich dränge mich nicht vor, das ist nicht wahr, Der Vater ist – das mußt du doch verstehn – Er ist nun einmal so, daß man für ihn, Weil er so ist, nur immer etwas tun will. Ich denke immer, ob er müde ist, Ob er nicht etwas wünscht – und allerlei – Und so sind alle Frauen – du begreifst Das nicht, weil du ein Mann bist, werden willst Nach vielen Jahren später irgendwann, Wenn Gott ein Wunder tut! Ich muß mich setzen, Du hast noch viel zu sagen, wie mir scheint – Zar Borís kommt, bleibt stehen und hört zu, ohne daß die beiden ihn bemerken. Still, du, du machst mich lachen und ich muß Dir jetzt erklären – später lachen wir – Jetzt höre zu – Ach laß – Nein, höre nur – Du hast ja recht! Das sagst du jetzt – Im Ernst. Ksénja nimmt ein Blatt Papier vom Tisch, ballt es zusammen, bedroht ihn damit. Ich sage dir, wär ich sein Sohn – ich habe Das oft gewünscht und oft mir ausgedacht – Wär ich nur auch sein Sohn wie du und könnte Ihm helfen so wie du – springt auf: Ich seh dich schon In Stiefeln und mit Säbel. Bin ich erst Sein Sohn, dann gib nur acht – Sie wirft den Papierball nach ihm. Ich fange dich – Versuch's – So lauf doch nur – So fang mich doch, Wenn du so hurtig bist – Sie will davon und fällt lachend in die Arme des Zaren. Gleich darauf kommt die Zarin Maria mit dem Herzog Christian von Dänemark. Borís ist groß und fast hager. Scharf geschnittenes lebendiges Gesicht, gütige und müde Augen, ziemlich viel Grau im dunklen Haar und Bart. Du bist es – du – Kind, freust du dich denn so? Nun steht ihr da Wie Braut und Bräutigam. Borís, du greifst In Christians Rechte. Herzog, sagt Ihr nichts? Nur daß ich froh bin, Ksénja froh zu sehn. Er ist um Antwort nie verlegen, was Dein Dänenherzog, wenn es Ksénja gilt? Nur zu! doch was ich sagen wollte, Kind: Ich hatte Botschaft heut vom Perserkönig, Der mir Geschenke sandte, und ich denke, Du suchst dir etwas aus, da waren Seiden, Sehr zart und kostbar, und ich möchte dich In solcher Kleidung sehen. Dann gib acht: Ein Gürtel mit Türkisen ist dabei. Der sei für deine Mutter – und ein Säbel Für Fiódor – und für den, der übrig bleibt, Ein Sattel, rotes Leder, Silberbuckel, Ein Sattel für den Hochzeitszug. Nun geh. Der ganze Plunder liegt im Schlafgemach Und später zeigst du mir, was du gewählt. Und was für dich? Da ist noch manches übrig. Such aus, was dir gefällt, und schenk es mir. Das will ich tun, doch was geschieht nachher? Du bleibst mit uns? Wir beide spielen Schach Und später sitzen wir am Tisch und jeder Erzählt ein Märchen, was es immer sei, Von Jagd und Abenteuer irgendwas – Und du fängst an! Auch das. Es blieb doch heute Nichts mehr für uns zu tun? Ich muß dir noch Ein wenig Arbeit schaffen. Borís faßt ihn unter den Arm, sie gehen beiseite. Die Bojaren Galízin und Repnín ... Sie sprechen leise weiter. Unterdessen ist Christian zu Ksénja getreten. Ich sah dich heute Vier Worte lang – Der Vater scheint verstimmt? Nein doch, sie sprechen ruhig. – Und ich glaube, Wir müßten mehr beisammen sein. Du kennst Mich nicht genug. In einem Mond vielleicht Bin ich dein Mann, bin dir ein Fremder – Siehst du, Er sorgt sich irgendwie – Du hörst mich nicht? Was sagtest du? ... verzeih! wir wollen später Darüber sprechen – gleich nachher – du siehst – Borís zu Fiódor: Ich will sie hören, rufe sie. Dich sorgt Etwas? zerstreut. Nein, nein. sieht ihn an. Ich komme dann gewiß Zum Spiel? Du kommst zum Spiel. Die Mutter Wird bei mir bleiben. Geht nur zu. Ich schicke Dann einen Diener, wenn ich fertig bin. Fiódor, Ksénja und Christian gehen. sich setzend. Ich weiß nicht, was mir noch zu wünschen bleibt. Wenn ihr, ihr drei, so glücklich seid wie ich, Dann bin ich's tausendfach. Das kommt mir oft In die Gedanken jetzt, wahrscheinlich weil Ich älter werde – siehst du, man bedenkt Und grübelt mehr, wenn man sich älter fühlt. Ein großes Leben spinnt von allen Seiten Die Fäden her zu mir und immer liegt – Dies ist das beste, scheint mir – immer liegt Mein Ganzes in der Schale. Und das dreht Und rührt sich immerfort und gleicht sich aus. Dann abends diese sanfte Müdigkeit, Die noch einmal den bunt lebendigen Schwarm Mattfarbig traumhaft mir vorüberführt, Abschwellend in den Schlaf. Und dann das Kind. Auch Fiódor. Und an meiner Seite immer Dein stiller Schritt. So ist es gut. Borís, Wie dürfte der nicht glücklich sein – Vergiß nicht, Glück ist Geschenk. Ich hab es mir erkauft – Das weißt du doch. Ich darf daran nicht denken. So sprich auch nicht – Zuweilen muß ich's doch. Wenn alles ruhig ist um mich herum Und keine Arbeit drängt, flackert's im Dunkel Blaß wie ein mattes Flämmchen – und dann weiß ich, Es ist noch immer da. Dies ist der Preis. Man soll es nennen können, das, was ist, Stellt man die Sache ruhig vor sich hin, Zwingt man sie wohl hinunter. Laß es ruhn, Ich bitte dich, Borís. Die Tat ist alt, Begraben und vergangen. Heißt es Tat? Sprich's aus und nenn es Mord, so steht es da, Nackt wie es stehen soll. Doch alles türm ich, Was meine Herrschaft schuf, dagegen auf, So hab ich eine Mauer die mich deckt, Will's Gott, im Tod sogar. Und aus der Erde Wächst mir kein Feind empor, hier wohn ich sicher. Er steht auf und geht auf und nieder. Diener treten ein, Armleuchter mit brennenden Kerzen tragend, die sie niedersetzen. Herr, die Bojaren. Geh, sie mögen kommen. Die Diener entfernen sich. Ein Zank war's um den Vortritt so wie immer. Viel Zorn und Kampf und prunkendes Geklirr Um eine taube Nuß. Galízin und Repnín kommen. sich setzend. Nun sprecht, was bringt ihr? Das erste Wort ist sein. Sprich du, Repnín. da Repnín zögert. Ich soll euch helfen? hört mich denn, Bojaren. Hier war ein Kampf mit nackten Klingen – wer Begann den Streit? Ich tat's. Sag mir den Grund. sich überstürzend. Hier warf ein Schuft von Diener Kot auf dich, Und ich ertrug das nicht, ich wollte nicht Schmutz auf der Krone sehn! ganz ungeheure Beschimpfung deiner sprach ein Mensch hier aus – Ein Diener? Ja. Da kam Galízin. Kam – Und ward voll Zorn, da ich dich fragen wollte, Mit welchem Recht so schimpflicher Verdacht Hier Stimme werden darf in diesen Mauern – Beschimpfung und Verdacht? sprich, welcher Art? Geschwätz von Dienern scheint mir keine Stimme, Die laut wird unsrem Ohr. Du aber bist Bojar, dir trieb sie so den Zorn ins Blut, So hat sie ihren Wert, laß mich sie hören. Ich will's nicht glauben, darum steh ich hier! Gewißheit muß ich haben! der Bojar Vertrat mir meinen Weg zu dir, darum Nahm ich das Schwert zu Hilfe. Ich erwarte Nun die Erklärung. Herr – Er nennt dich, Herr – Heraus! wie nennt er mich? Dich einen Mörder Hat er genannt – er sagt, Prinz Dmitri – furchtbar erschreckend. Mich – Es klingt wie ein Schrei; er ist aufgefahren, starrt Repnín entsetzt an, macht dann eine gewaltige Anstrengung, sich zu fassen. Du sagst, so hat er mich genannt – Das tat er. BORÍS: Dann schlugst du ihn zu Boden? Fürst Galízin Hat mir gewehrt. Er sprach, es sei nicht wahr, Der Bursche schwatze wie ein Papagei Nur nach, was alle schwatzen, doch es sei Erlogen, sprach er. Alle – Wir verachten Die Träger solcher Lügen. Du, mag sein, Doch nicht Repnín. Und solcherlei Gerücht Ist überall wie Pest in meinem Land Und ich nur weiß es nicht? Ich kann ins Volk Hinein wie der Kalif des Märchens tauchen, Verkleidet, und in jeder Schenke singt Ein Trunkner mir das Lied vom Kindesmörder? Den Bäcker kann ich fragen auf dem Platz, Den Bettler auf der Brücke, den Besessnen Am Kirchentor, Geflüster überall Weit, weit ringsum im weiten Land, so sagt ihr – Und nichts hab ich gewußt und nicht ein Hauch Ist mir herangeweht, als saß ich stumpf Und lächelnd wie ein Tauber im Getöse! Wo blieben meine Freunde, Diener, Knechte, Gehilfen, Räte? du, Galízin, schwiegst! Stumm blieb mein Vetter Godunóf! Bassmánof! Als wär kein Herrscher über diesem Reich, Der wissen muß, wenn Krankes wühlt und schleicht In seinem Volk, wenn Lüge frißt am Volk, Empörendes wie üppig faules Kraut Aus allen Feldern schießt! Wenn alle schwiegen – Ich kam und sprach. Wie kamst du und wie sprachst du! Mit Fragen, Zweifeln, Forschen? sah ich's nicht? Schuldig der Zar? nicht schuldig? – und ich gebe Dir Antwort, hörst du – so: der Zweifel führte Dich zu mir her, so nimm den Zweifel mit In dein Gefängnis – Herr, du willst – maßlos gesteigert. Ich will Gesichert sein, daß deine Jugend nicht Den Zweifel weiter trage als mir dienlich Und rätlich scheint, – ich will den Schimpf – angstvoll. Borís! stammelnd. Ich will mit dem Verräter – Gott im Himmel! Borís knickt in den Armen Galízins zusammen, dieser und die Zarin führen ihn zum Sessel und lassen ihn vorsichtig nieder. Du mußt ein wenig ruhn. Der Arzt soll kommen. Borís schüttelt den Kopf. Borís, was willst du? Wart – ich sag dir gleich – Noch einen Augenblick – Soll ich dir Wein –? versucht zu lächeln, spricht dann sehr ruhig, wenn auch anfangs leise. Der Zorn ist solch ein schlimmes Tier. Sei ruhig, Es ging vorüber. Sieh, das hängt zusammen Mit unsrem Alter, auch mit Müdigkeit, Es ist natürlich, siehst du. Daß die Kinder Von dieser Schwäche nichts erfahren und – Und nichts der Hof, – hört ihr, das ist mein Wille Und ihr versprecht es mir. Ein Wort, Repnín! Repnín tritt heran, halb scheu, halb trotzig. Mein Zorn war Krankheit, Fürst. Geh, du bist frei. Wenn du mich schuldig glaubst, so tu's. Ich will Nichts wissen. Diese Stunde lösch ich aus Und willst du wieder meiner Krone dienen, Bist du willkommen wie zuvor. will sprechen, dann fällt er plötzlich vor den Zaren nieder, Borís zuckt abwehrend. Herr, Herr, Vergeben sollst du mir – gequält. Du hast mir nichts Getan – steh auf, ich wills – gib mir die Hand Und geh – so recht – und geh in Frieden – Jetzt – Wenn du mein Leben brauchst – mit einem mühsamen Versuch zu scherzen. Nicht heute, Fürst. Und morgen will ich dich – auch dich, Galízin, An meiner Tafel sehen. Komm, Repnín. Beide ab. Maria bleibt neben dem Zaren stehen. Sei nicht mehr traurig, alles geht vorüber Und ist bald nicht mehr da. Sehr häßlich war's, Wie ich da lügen mußte. Hast ja doch Kein Wort gesagt. Das eben ist's! kein Wort! Doch so mit königlich erhabenem Gebaren und mit Haltung, vornehm-schurkisch Abweisen den Verdacht – und ihm die Hand noch – Versteh doch nur! So hilf und sag es mir. steht auf. Gern, Hebe Frau – ein andermal. Ich war Sehr zuversichtlich heute noch – und jetzt Weiß ich, es hat sein Dasein immerfort Gesponnen wie ein Schatten in der Erde, Auf der ich ging – und lernen muß ich wieder, Es anzusehn wie sonst ... Er geht hinüber zum Fenster, stößt mit dem Fuß an das Papier, das Ksénja vorher nach Fiódor geworfen, hebt es absichtslos auf. ich wünschte nur, Daß Ksénja nichts erführe. Wenn es immer Noch lebt und wandert, das Gerücht, wie leicht Kann es bei ihr an einem schlimmen Abend Aufspringen, häßlich, und dies Leben trüben, Das ich mit Glanz der sanften Heiterkeit Nur immer decken möchte. Kommt es so, Das, weiß ich, wird mir schwer. Er legt am Fenster stehend, das Papier fort. Es wird an die Türe gepocht. Dann fragt eine lachende Stimme durch die Türspalte. Dürfen wir kommen? Die Kinder! still! nichts ahnen dürfen sie! – Ja, kommt nur, kommt! – wir warten, kommt! – Ksénja tritt lachend ein, phantastisch behängt mit bunten persischen Seidenschleiern, ein Schachspiel tragend und einen silbernen Gürtel, hinter ihr Fiódor mit einem kostbaren Krummsäbel, zuletzt Christian mit einem schweren roten Sattel. Ihr habt Uns lange warten lassen. Ja, mein Kind, Das hatten wir vergessen. Seine Stimme klingt gezwungen, Ksénja sieht ihn forschend an, stellt das Schachspiel auf den Tisch, geht auf ihn zu. Vater? – du – Du hast etwas? Ich sehe dort im Schein Der Fackeln unsre Kirche stehn – sieh hin – Die Flamme spiegelt sich im braunen Gold, Das ist sehr schön, nicht wahr? Du willst es mir Nicht sagen? Kind, es gibt so mancherlei ... Sei ruhig, es ist nichts. Verdrießliches, Das kommt und geht – Es quält dich, wenn ich frage? Borís nickt unwillkürlich. Ich will es nicht mehr tun. Sie geht zum Tisch und legt lautlos ihren Putz ab. Es darf nicht sein, Daß wir den Abend, weil ich müde bin, Verdämmern stumpf und matt. Ksénja, das Brett, Fang an, mein Kind, du nimmst die weißen. Komm. Sie setzen sich und beginnen die Figuren aufzustellen. Stimmen und Schritte vor der Tür. horcht auf. Seht nach, was da für Lärm. Fang an, mein Kind. Fiódor geht zur Tür. Diese wird aufgemacht, bevor er sie erreicht hat, Simeon Godunóf kommt schnell mit einem Mann in bestaubter Kleidung. Verzeih mir, Herr ... Was gibt es noch so spät? Unziemlich ist es, daß ich ungemeldet Vor dich – Zur Sache. Ernste Botschaft, Herr. Hier kommt ein Mann mit rätselhafter Meldung: Die Polen sind in deines Landes Grenzen Verheerend eingefallen – Wahnsinn, Mensch! Ich halte Frieden mit der Welt – und Polen Ist längst versöhnt. Eh es zu spät wird, Herr – Entscheidung drängt, den Boten mußt du hören. Kein Märchen will ich glauben. Großer Zar, Die Polen sind im Land, so wahr ich selbst Schon ihre Reiter sah in unsren Dörfern. Wachsender Lärm draußen. Ruft meine Feldherrn – rasch. Ich sah Bassmánof Vom Pferd im Hof sich schwingen. Ruft ihn mir. an der Tür. Hier kommt er, Vater. Baßmánof tritt auf, gefolgt von zwei Gepanzerten. Hast du dies gehört? Wir müssen rüsten, Freund, der Pole liegt Zu Felde wider uns. Du weißt nicht alles. Ein junger Abenteurer führt die Scharen Heran auf Moskau ... Wer? Der Fremde nennt sich Des alten Zaren Sohn – Zwei Bojaren, rasch auftretend. atemlos. Wie!! – nennt er sich? Tot sind die Zarensöhne! tot! 1. BOJAR. Prinz Dmitri, So sagt man, führt das Heer. Schändliche Lüge! Tot ist der Prinz! ich sage: tot! er starb Als Kind, er ward begraben, Erde deckt ihn, Die Toten wandeln nicht, sie kämpfen nicht, Sie führen keine Heere – Reiter brachten Die Nachricht aus dem Feld: Prinz Dimitri lebe, Das Kind in Úglitsch, das begrabene, Sei nicht der Prinz gewesen – ohne Zweifel Ein schmählicher Betrug, doch fällt das Volk Wo er sich zeigt, dem Abenteurer zu Und nennt ihn Dmitri, seine Heeresmacht Schwillt an mit jedem Schritt – Fürst Schuiski komme! Der sah den Prinzen tot! im Sarg! er komme! Zerplatzen soll die Lüge! Ein Bote stürmt herein, hinter ihm zeigen sich Bojaren, Fackelträger, Diener und anderes Gefolge. Weißt du's, Herr? Bringst du noch mehr? sprich schnell – Die Zarin Marfa, Die Königswitwe, ward dem Kloster heimlich Entführt, sie habe, sagt man, den Betrüger Als ihren Sohn begrüßt und solches Zeugnis Reißt Tausende den fremden Fahnen zu, Man spricht von Zeichen, ganz untrüglichen, Ein Schmuck, den sie dem Sohn geschenkt – Gestohlen! Ein Mal auf Dmitris Kinn, das sie erkannte, Ein Zeichen auf der Stirn – Zu mir, Bojaren! Die Karten her! in ihre Gräber will ich Die Toten stampfen, die Erstandenen, Mein Rat soll sich versammeln, jagt hinaus Herolde durch die Stadt, man soll das Zeichen Auf allen Märkten blasen – Er beugt sich über eine Karte. Kurz darauf Trompetenstöße nah und entfernt. Hier der Fluß Ist überschritten, sagt man – Ihn zurück Ins Wasser stürzen wir – nimm diesen Ring, Bassmánof, du bist Feldherr – Fürst Repnín drängt sich durch die Menge. Fürst Repnín, Was willst du? Sterben, Zar Borís, für dich, Laß mich ins Feld! Nicht sterben – siegen! geh! Bassmanóf, Gottes Kraft in deinem Schwert Sei über unsern Feinden! draußen, schreit: Zar Borís! Ruft mir die Fürsten, ruft sie – Ein Bote, atemlos, durch die Mitte. Zar Borís! Borís steht aufrecht im Gewühl der Menschen, Waffen und Fackeln. 2. Akt Zweiter Akt Dasselbe Gemach. Es ist Morgen. Ksénja und Irína warten ungeduldig. Irína, Rínuschka, hörst du noch nichts? Er kann ja noch nicht kommen. Daß er uns Nur nicht entgeht! sie sagen immer nichts, Die Ärzte, reden klug und gehen fort, Eh man sie fragen kann. Paß auf, du mußt Dich vor die Türe stellen. Unbesorgt, Wir halten ihn schon fest. Irína, hörst du, Wenn er nicht Antwort gibt, so weiß ich nicht, Was ich ihm antun könnte. Still, man kommt. Dort steh und rühr dich nicht. Der Arzt von rechts, bleibt stehen. Ich muß Euch sprechen. Der Arzt verneigt sich. Jetzt muß ich etwas wissen, seht, ich muß. Ihr wart bei meinem Vater; wissen muß ich, Ob meine Sorge kindisch ist um ihn: Ich sehe daß er müde ist, ich sah Zuweilen seine Hände zittern und Ihn friert im warmen Rock ... ich will nicht hören, Daß über Tod und Leben Gott entscheidet, Und andre Ausflucht – sagt mir frei heraus, Was wahr und wirklich ist und dann kein Wort mehr! Sagt mir das Ärgste ruhig und ich will Nicht weinen, will den Vater nicht mit Furcht Und Bitten quälen, helfen will ich Euch, Nur sagt mir alles – wollt Ihr das? seid gut Und sprecht. Ich will's, Zaréwna. Sagt es rasch. Der Zar ist nicht mehr jung, doch voller Kraft, Man dürfte ruhig sein, wär Eines nicht – Nennt mir das Eine – Nur sein Herz ist nicht So stark und jung wie sonst. Ich fürchte nichts Als Leidenschaften, starke Regungen Des Blutes, großen Zorn und wild Erschrecken Und alles Jähe, Heftige ... bewahrt Ihn nur davor, daß seines Blutes Kraft Sich überschlägt – versteht Ihr das? – ins Kranke, Ins Ungezügelte, wenn ihr so wollt. Die großen Stürme trägt dies Herz nicht mehr, So viel ich sehen kann. Er könnte – sterben? Sprecht es nur aus. Er könnte dahin kommen, Wo all mein Wissen machtlos wie Gestammel Von Kindern ist und Gott nur helfen kann. Was aber kann ich tun? Ich sag es Euch. Ich brauche Heiterkeit für ihn, auch Ruhe, Gelaßnen Gang der Zeit – versteht mich wohl, Nicht müßig soll er gehn, die Herrscherpflicht Ist schönstes Glück und stärkste Arzenei Für solche Männer, wie ich ihn erfasse, Sonst aber soll das Frohe, Unbeschwerte Euch Ziel und Merkwort sein. Er grüßt und geht ab. Ksénja steht noch einen Augenblick still, dann horcht sie auf und zieht Irína mit sich fort durch die Tür links. Zar Borís von rechts mit Simeon Godunóf und dem Fürsten Wassíli Schuiski. Dieser ist mager und stattlich, ein zäher, graubärtiger Bojar mit klugem Gesicht und scharfen unruhigen Augen. Den Mann zu treffen An seinen Wurzeln liegt mir ob. Er baut Sein Glück auf einen Traum, ich muß der Welt Verkünden, daß der Traum ein Gaukelspiel, Das Glück ein Schatten ist. Sie wird es glauben, Wenn ich Beweise bringe. Setz dich, Fürst, Bezeugen sollst du – Was ich weiß. Du weißt Genug, so muß ich denken. Sieben Jahre Sind hingegangen, seit der junge Prinz Beim Spiel aufs Messer fiel. Dies ward verbreitet. Verbreitet, ja! so ward es uns erzählt. Du sahst das Kind im Sarg und sahst die Wunde. Ich sag den Sarg, die Wunde, und ich sah Ein Kind im Sarg. Das Kind, des Zaren Sohn, Der spielend auf das Messer fiel und starb. Ich fragte dich, du hast es mir erzählt, Als du nach Moskau kamst. Es fand sich einer, Der mir am Sarg des toten Kindes sagte, Dies sei des Zaren Sohn. Ich will nicht wissen, Was der sagt noch ein anderer – dich Fürst Wassíli Schuiski, meinen Diener, frag ich Nach diesem Kind. In meinem Herzen blieb Aus jener Zeit verwirrende Erzählung: In Aufruhr die geringe Stadt, von Türmen Weithallend Glocken, Menschen und Geschrei Und auf den Fliesen vor der Mauer blutig Das Kind – und klagend Frauen – und das Messer – Und mein Befehl entsandte dich, Bojar, Zur Klärung des Geschehens. Dein Bericht Gab solchen Sinn: dem Zarensohn Dmitri Beim Spiel der Aufsicht seiner Wärterin Entlaufen, gab ein böses Glück die Waffe, Die unheilvolle, in die Kinderhand, Der Prinz glitt aus und stieß im Fall das Messer Sich in die Brust und starb an seiner Wunde. Entsinnst du dich? Ich kannte das Gesicht Des Kindes nicht. Du sahst es nie vorher? Nur wie man Kinder sieht, die Milchgesichter, Die keinen Stempel tragen. Und du sagst, Ein fremdes Kind? wo blieb des Kindes Mutter? Die Zarin Marfa, wirst du dich entsinnen, Lag zwischen Tod und Leben krank. So ist Ein Zweifel möglich? Möglich allerdings. Laß ihn und hör auf mich. Nimm dieses Blatt. Was soll es mir? Die Namen deiner Feinde – Gott kennt sie. Fort. Ins Feuer mit dem Wisch. – die vom Tataren flüstern, der die Krone Durch einen Mord gewann – Gib her! Er reißt das Blatt aus Simeons Händen und liest mit wachsendem Zorn. der da Ward groß durch mich ... dem gab ich Geld ... und der, Brautwerber war ich ihm – wer noch? wer noch? Steht wer, den zu beschenken ich vergaß, Auf diesem Blatt? ... nicht einer ... und sie treten Aus ihrem schmutzigen Winkel nicht hervor, Sie rufen nicht das Volk, den Kindesmörder Zu richten mit der Waffe ... Das geschieht, Wenn du nicht schneller bist. Ich will sie treffen In ihren Häusern, in den Kirchen – nimm Die Wache – greife sie – Gib den Befehl. Borís setzt seinen Namen auf die Liste und reicht sie ihm hin mit einer heftigen Bewegung. Da wieder – doch sie wollen's! Was auch liegt An einem Dutzend Schurken! Die Zarin Maria tritt ein und kommt leise nach vorn. Weißt du's nicht? Auch du nicht, Godunóf? wie leicht ward euch Der harte Weg vom Kinderbett zum Grab, Wie kühn, wie mühelos, wenn euch das Wesen, Der wahre Saft und Herzenskern der Welt Wie eine hergewehte Flocke nur An eurem Ärmel dünkt und nur ein Hauch Im großen Sturm der Luft! Die Träume sind Nur eben Träume, Herr. Ich hab damit, Weiß Gott, nicht viel zu schaffen. Glaubst du das? Hier – siebzehn Köpfe – siebzehn Leben – was? Das nennst du Träume? Köpfe, Herzen, Glieder, Wie meine sind, wie deine – Träume, wie? ... Du, weiß ich, klatschtest sie gleich Fliegen tot Und gingst getrost zu Tische – Das mag sein. Borís sieht ihn stumm an, wendet sich dann rasch zu Simeon. Besorge dies. Nichts weiter will ich hören Als die drei Worte nur: s'ist abgetan. Zur Zarin, während Schuiski und Simeon abgehen. Was bringst du mir? Mein alter Schreiber hat Ihn aufgespürt, den du zu sehen wünschtest, Als Mönch im Kloster fand er ihn. Der Mann, Der meinem Tun die Henkershände lieh – Er ist im Schloß? Er wartet vor der Tür. Laß ihn zu mir. Und – halte Ksénja fern. Sie soll – sie darf ihn – du verstehst – Sei ruhig. Sie geht ab durch die Tür links hinten. Borís sieht auf die Tür, als erwarte er ein Gespenst. Ein Mönch tritt ein, bleibt demütig stehen. Sehr hager, mittelgroß, ein häßliches, blasses, verwüstetes Gesicht, dünner, grauschwarzer Bart. stockend. Hat keiner – sprich – hat keiner dich gesehn? Ich scheue mich vor keinem. Mag die Welt Mich sehen. Ich bedarf der Winkel nicht. Verstecke sucht nur, wer sie nötig hat, Ich gehe frei. Du – du gehst frei? Ich legte, Was hinter mir an Qual und Sünden liegt, In Gottes Hände. Und du nennst dich rein? Erlöst? entsühnt? demütig. Nein, nein, ich bin voll Schmutz, Noch muß ich beten, fasten, mich entsühnen, Jetzt aber weiß ich schon, bei Gott ist Gnade, Gott wird mich reinigen. Wie leicht! wie leicht! Die Lösung liegt für jeden auf der Straße Und ich nur tappe wie ein Blinder hin Und finde nichts im Dunkel. Schwer und leicht Sind Worte nur vor Gott. Kannst du's ertragen Von jenem Tag zu sprechen, der – Ich kann es Mit Heiterkeit. Was bist du für ein Mensch? Ein faules Wasser, das den stürzenden Felsblock empfängt und keine Kreise zieht, Reglos die Last verschluckend! oder starr, Ein frostiges Ungeheuer, fühllos wandernd, Sie mästend von den Leichen, die es tritt! Ein Sünder, der das helle Tor der Gnade Schon offen sieht – sonst nichts. Sonst nichts. Er tritt näher an den Zaren heran. Mein Auge Sieht aus dem dunklen Raum zwei Wege kommen Und sich verlieren in den dunklen Raum, Auf halben Weg jedoch sich überschneidend Und dann, geknickt, fortlaufend in den Raum: Dein Leben und mein Leben, Zar Borís. Die Kreuzung ist der Tag, von dem du sprichst, Da bogen sich die Wege, liefen hin, Hinauf der meine zum erhellten Tor Und du – wohin?, zu welchen Helligkeiten? Zur Finsternis? – die Antwort steht bei dir. Ein Werkzeug warst du, das mein Wille dang, Und willst dich mir vergleichen. Das war einst Und ging vorüber. Heute sind wir Brüder, Was meine Demut mich zu sagen zwingt, Nicht stolze Einbildung. Denn, Zar Borís, Ich tauschte nicht mir dir. Du Tor, du Tor, Der wie das Haustier nur die Krippe kennt Und nicht der Fluren kraftgenährte Wellen, Die Ferne, noch die Luft! was denkst du, Mönch, In deiner armen Seele? du begingst So wie ein Tier die Tat, ein Segel warst du, Von meinem Sturm geschwellt, ein Schächerarm, Bewehrt mit meinem Willen. Und du kehrtest Den Rücken allem Tun und hast gebetet Und hast gewartet und die Kirchenschwelle Mit deiner Stirn gescheuert allenfalls! Dicht vor dem Mönch stehend. Ich habe mich verschenkt! ganz fortgegeben An jeden, der mich brauchte, ich hab nichts Für mich getan und alles fortgegeben Und ... scharf. Alles? auch die Tat? heftig. Der Mord blieb mein Und er verlor sein Schweres. Mächtig war Nur noch das andre – Und du fühlst dich rein? Entsühnt? erlöst? nach einem Schweigen. Nein, Mönch. sanft. Mir ist manchmal, Als läge alles nur in uns. Gefühl Ist mächtiger als alle Tat und muß Zuletzt entscheiden. Laß das. Du erschlugst An jenem Tag ein Kind, Hast du das Kind Gekannt? Den Prinzen Dmitri? wie du fragst! So war es der Zaréwitsch, dem dein Messer Die Todes wunde schlug? Wer sonst? Man sagt, Ein fremdes Kind, vertauscht, erlag dem Dolch, Den du geführt – wer also war's? Kein andrer Als der Zaréwitsch. Gib mir Bürgschaft, Mönch, Daß du nicht lügst. Wer ohne Zwecke lebt, Bedarf des Lügens nicht. So ist kein Zweifel? So wahr ich meiner Tat Vergebung hoffe: Kein fremdes Kind – Prinz Dmitri. Dann, beim Himmel, Soll den Betrüger seine Falschheit würgen, Bis er das bange Leben von sich speit So wie ein Gift aus seinem Leib – Du sprichst Von jenem fremden Mann im Polenland? Wer sagt dir, daß er lügt? Du – sagtest mir – Du hast geschworen – mit versteckter Bosheit. Warfen Tote nie Den schütteren Haufen Erde von sich ab? Nie, Mönch. Und wenn des Prinzen Leib zerfiel, Kann er im Leben jenes Fremden nicht Erstehen, königlich, und neu geweckt Zu Kampf und Strafe? Laß mich, laß mich, Mönch! Gefühl ist stark, ich sprach dir schon davon. Wenn jener Fremde in des Herzens Tiefe Die Seele des erschlagnen Kindes fühlt, Wer straft ihn Lügen? Wer? – Nun weiß ich endlich, Daß du dich rächen willst. Mit grauem Spuk Die Nächte mir zu füllen mühst du dich, Den Schlaf mir stehlen möchtest du, mich schrecken Mit Ammenscherzen. Allzulistig, Mönch, Ist allzudumm. Ich lache solcher Fallen, Du Jäger in der Kutte, denn mein Schlaf Ist sanft und friedlich und vor Angstgebilden Schützt mich die Müdigkeit. Ich darf so müde Sein wie der Bauer, der das Feld bestellt, Vom Aufgang bis zum Abend hart sich mühend Mit Beil und Karst und Sichel: dann befällt Ihn rasch der Schlaf im Schatten eines Baums Am Wegesrand und wie ein Daunenlager Ist ihm die Ackerfurche – Solcher Schlaf Befiel mich einst: ich trat in meine Kammer, Noch fiebernd von der Tat – Vom Kindesmord. – im Auge noch das Blut, ein blutiger Dunst An meinem Ärmel noch, da fiel ich hin Und schlief – und schlief zwei Tage lang, zwei Nächte, Traumlos und sanft, bis mich ein Fremder weckte. Berauscht vom Blut so wie ein Wolf ... du sollst Nicht länger bleiben, suche deine Zelle Und wälze dich in Wohlsein. Geh denn. Geh. So war auch dies vergeblich, Zar Borís. Dein Hoffen krampfte sich an mich – und ich Versagte. Und du wirst nach vielen Händen In deiner Angst noch greifen und sie alle Versagen dir die Rettung. Du versinkst. Ein Auferstandner streitet wider dich Und trägt den Sieg im Herzen. Großer König, Du mit der Furcht im Herzen, geh hinaus Und siege, wenn da kannst. Er geht. Borís hat unbeweglich vor sich hingesehen, finster in sich versunken. Kain schlug den Abel. Der Mord ist älter als der Tod. Weg da! Was heißt der Tod! wie sieht er aus! ich kenne Viel nächtigere Schatten. Die Tür wird aufgerissen und Fiódor stürmt herein mit dem Fürsten Galízin und noch zwei Bojaren. Zar Borís! Es darf nicht sein, du widerrufst es, Vater, Nicht wahr, es wird nicht sein – Was darf nicht sein? Was muß ich widerrufen? wem zu Leid Und wem zu Liebe soll ich mich denn wandeln? Ein jeder kennt die Richtung und nur ich Soll überall den Weg erfragen, zaudern Und so die Zeit verspielen, die entläuft? Ich frage nur mich selbst fortan und lasse Die Antwort mir aus eignem Brunnen steigen Und was geschieht, soll euch nur Schauspiel sein, Das ihr nicht ändern könnt. Die häßliche Verleumdung, Vater, schaffst du spielend auch Mit andern Waffen fort. Warum den Henker Zu neuen Ehren bringen? Herr, sie werden Durch dich bestätigt glauben das Gerücht – Schon flüstern etliche – 1. BOJAR. Wir raten gut – Laßt mich, Bojaren, laß mich, Fiódor, geht, Geht alle, laßt mich, geht, ich will nichts hören – Es bleibt, wie ich befahl – Ich diente dir In Treue, Herr, so gut ich es vermochte, Laß mich nicht denken, daß mein Dienst verschwendet – Was wagst du? – daß mein Dienst Verbrechen war. Ich gehe sonst – Geht alle – 1. BOJAR. Herr, wir könnten Dir dieses Mal gehorchen und – 2. BOJAR. Und dann, Borís, nie mehr – wirft ihnen die Worte wie Steine ins Gesicht. Ihr seid entlassen! fort! So kommt. Zu Pferd! Wohin? 2. BOJAR wendet sich in der Tür um. In Dmitris Lager! Die Tür fällt hinter den drei Bojaren zu. Borís ist im Sessel zusammengesunken. Laßt mich. Wer steht noch hinter mir? bist du's? Was willst du noch? Die Stadt schreit deinen Namen, Als wär's ein Fluch – wir aber glauben dir – Was heißt das: wir? Die Mutter, Ksénja, Christian Und ich, wir glauben dir – verzweifelt spottend. Ja, glaubt mir nur! Was willst du sagen, Vater? – du bist krank – Ich bin der Kranke, ja – die Welt ist heil – Und alle sind gesund – ich bin der Kranke – Der Tote hat, weiß Gott, mich krank gemacht – Als ich ihn schlug, da war mir wohl – und heute – entsetzt. Was redest du? Sei du ein Mann, ein Mann, Ich brauche Männer, die es tragen können, Wenn man vom Töten spricht. dicht bei ihm. Du hast es nicht Getan! sag, daß du's nicht getan! ich will Jetzt von dir hören, daß du's nicht getan – Du sollst mich lassen – ja, ich habe das Getan, um das die Welt mir flucht – Du hast – Der alte Zar war tot – und seine Söhne Ein Schwächling und ein Kind – da griff ich zu – Und ist die Krone blutig, wie man spricht, Du trägst sie ohne Schuld – du wirst sie tragen Und dann ist alles gut. So findet Untat Doch endlich eine Gruft, darin sie ruht, Wenn ich gestorben bin, denn du bist rein – Dein Erbe, Vater! Du bist ohne Schuld. Du warst ein Kind, als ich es tat. Ich tat es, Ich, ich allein. Wenn ich gestorben bin Sind alle Toten tot. Man wartet nur, Daß wieder Ordnung kehre in die Welt, Dann rauscht das Leben friedlich. Deine Krone Ist mir zu weit um meine Stirn. Ich nehme Sie jetzt nicht mehr. Du nimmst die Krone nicht? Fürst Schuiski nehme sie, dem steht sie an, Er ist der Älteste. Das kannst du mir – Das kannst du mir nicht tun – Glaub mir, ich muß – Du gehst doch jetzt nicht fort – wenn du jetzt gehst, Zerfällt mir alles – platzt mir wie ein Pilz – Das richtet mich – es ist ein Urteil – hör, Das mußt du doch verstehn, du kannst nicht fort – Ich muß – Denn was ich tränkte – nährte – hör – Mit meinem Leben – Werk von Jahren – Blut – Für dich – die Nächte – du – du bleibst – Ich kann nicht – Mit was für Augen siehst du jetzt mich an? Bist du mein Sohn? du bist – es sind die Augen Des Anderen, des Toten – hör mich, Sohn, Mag sein, ich bin verdammt – so hilf du mir – Mag sein, ich sinke – hilf mir! meine Diener Verlassen mich, die Schar der Feinde schwillt, Die Mutter ist ganz ich – sie hilft mir nicht – Und Ksénja – Ksénja darf nichts wissen – nichts – Ich habe keinen, der es weiß, als dich – Und der ein Mann ist und mir helfen kann, Wenn meine Kraft zerbricht, mir auf der Straße So wie ein Pferd, ein abgetriebnes, fällt Und dann vielleicht nicht aufsteht – doch du bist Mein Sohn, ich darf in deine Hände geben, Was ich nicht länger meistern kann, ich werde Dann wieder hoffen dürfen und mit Lust Den Kampf erwarten und mit Seligkeit Nachher den Tod – o, den mit solcher Lust Wie der Verhungernde die Frucht erblickt, Die süße Frucht am Baum, und sie vom Zweig In seine Hände zieht und an den Mund, Vom Duft allein schon selig – steht schon vor der Tür, streckt die Hände aus. Nicht – nicht mehr – Du gehst nicht fort – du bleibst bei mir – kann es nicht aushaken, reißt die Tür auf und flieht mit dem Schrei. Ich kann nicht – fährt auf, taumelt. Fiódor! Dann mit durchdringender Stimme. Fiódor! 3. Akt Dritter Akt Dasselbe Gemach. Armleuchter mit brennenden Kerzen. Es ist Nacht. Fürst Schuiski steht vor der Tür im Vordergrund rechts. Die Zarin sitzt im Armsessel links vom Tisch. Neben ihr Ksénja, blaß und sehr erregt. Es ist so besser, hohe Frau. Er hat Es selbst gesagt? Er selbst. Ich soll dir melden, Er wolle keinen sehn, die Zarin nicht Und den Zaréwitsch nicht, vor allem aber Nicht die Zaréwna. Mich will er nicht sehn – Was heißt das, Mutter? Ruhig doch, mein Kind – Was hab ich ihm getan? Du mißverstehst, Ich will dir gleich erklären ... sag mir, Fürst, Erfuhr der Zar, daß Herzog Christian uns Verlassen will – und von der Krankheit Übel, Das ihn vor Abend rätselhaft befiel? Hier ist kein Rätsel, hohe Frau. Der junge Herzog von Dänemark hat sein Gelübde, Das ihn mit deinem edlen Kind verband, In Staub getreten, Ring und Pergament Zurück gegeben in des Zaren Hände – Dann ging er hin und trank das Gift – Ein Gift! Doch lebt er noch? Die Ärzte sind bei ihm. Sie hoffen wenig, edle Frau. Warum? Warum ein Gift? was heißt das, Mutter? Kind, Mein liebes Mädchen – hab Geduld – ich sage Dir alles gleich ... geh nun zum Zaren, Fürst, Wir werden ihm gehorchen. Du befiehlst. Schuiski rechts ab. Jetzt, Mutter, sprich. Warum will mich der Vater – Mich nicht mehr sehen? Jetzt nur, heute nur, Will er allein sein – Nein! das ist es nicht! Doch, Ksénja, höre nur: Not ist und Krieg In unsrem Land – darum flieht uns der Herzog – Dir ist dein Glück zerstört – so meint der Vater, Er selbst, er trüge Schuld daran – du mußt Das so verstehen, Kind, so ist es richtig – Ich muß den Vater sehn. Wenn ich ihn sehe Dann weiß ich alles gleich. Hier ist noch mehr Als du mir sagen willst. Die Frauen liefen Weinend zu mir und sagten: Christian hätte Mich heut verlassen – und es kamen andre, Die schrieen: Gift! und: Herzog Christian stirbt! Da war mir schon, als wankten über mir Die Balken und Gewölbe – Ksénja, Kind! Das war noch nicht genug – es kommt noch dies, Daß mich der Vater – mich nicht sehen will – Mutter, was ist so fürchterlich an mir, Welch eine Pest des Herzens, daß den Herzog Das Sterben schöner dünkt als unsrer Hände Vereinigung – und daß der Vater mich Nicht sehen will – was tat ich ihnen beiden – Ich weiß doch nicht, was Arges ich getan, Und muß es wissen – sag es mir nur rasch – Mutter, der Himmel wankt – der Himmel, Mutter, Bricht über mir zusammen – Jesus Christus, Sprich nicht so, Ksénja, Mädchen, sprich nicht so, Gott ist mit uns – er hilft. Geh du mit mir, Ich bringe dich zu Bett, mein Kind, und sitze Die Nacht bei dir – so hör doch nur – es ist Ein Mißverständnis – Laß mich gleich zu ihm, Nur einen Augenblick – dann wird es gut – Ich will nicht so vor seiner Türe stehn Und mich vertreiben lassen – Heute nicht – Nein heute – heute – Mutter, laß mich doch Nur gleich zum Vater – gleich – Ich darf nicht, Kind! Die Frauen verstummen, da Fürst Schuiski wieder aus dem Nebenzimmer tritt, gefolgt von Iljá, dem alten Diener des Zaren. Fürst, sahst du ihn? Sehr müde ist der Zar, Er möchte ruhn, er hieß den Diener schon Das Bett zur Nacht bereiten. Müde ist er – So will ich denn bis morgen warten und Ein wenig schlafen – geh auch du zu Bett, Ich kann allein – Nein, Kind! Komm, Mutter, komm! Sie gehen ab. Der Zar ist krank. Hab sorglich acht auf ihn. Weiß Gott, ich schließ kein Auge diese Nacht. Es scheint mir nicht geheuer. Rede nur. Weißt du etwas? schlägt ein Kreuz. Der Böse treibt sein Spiel. Glaubst du an Ammenmärchen, alter Mensch? Du irrst dich, Herr. Dies sind mir Märchen nicht, Wohl aber weiß ich, daß die untre Welt Unholde sendet und Verwirrung schafft. Du bist so alt wie ich und sahst es wohl So oft wie ich. In Ruhe lebt ein Mensch Und freut sich seines Friedens schlecht und recht Und merkt nicht, daß ein häßliches Gebild Ihm schon im Rücken steht. Dann kommt die Stunde, Solch eine unbewachte, weißt du, Herr – Man hat das Kreuz vergessen oder etwa Das Nachtgebet – da schlüpft der Wicht hinein Und krallt sich in der Seele fest und schickt Verruchte Tat und wilde Worte aus – Jetzt rast der Mensch, treibt Unzucht oder Mord Und lügt und lästert Gott. So wähnst du jetzt Solch einen Unhold in des Zaren Seele? Es ist nicht anders, Herr. Er ist verfinstert, Ich kenn ihn doch wie keiner. Vor drei Tagen Noch war er warm und freundlich wie das Licht Und friedlich war die Zeit. Nun kam der Wicht Und alles ist verwandelt. Weißt du nicht, Wie er die Kinder liebte? freilich weißt du's, Wer sah das nicht in jedem Augenblick! Und nun sitzt der Zaréwitsch unter Wache Und die Zaréwna macht ihm solche Furcht, Als wäre sie die schwarze Hölle selbst Und nicht der Engel und das stille Kind, Das jeder liebt im Haus. Du siehst es ein, Dies konnte nicht im Zaren selbst entstehn, Der Unhold nistete sich ein und hat Rund wie ein Igel Stacheln überall Und sendet Pein nach allen Seiten aus. Ich will nicht streiten, Alter. Was verschlägt's Ob wir die Kraft so oder so benennen, Die uns zerstören will. So setze Milch In kleinen Bechern vor die Fenster rings, Den Alb zu tränken und vor allem hab Das Kreuz bereit. Gut Nacht. Ich gehe jetzt. Schuiski durch die Mitte ab. Iljá schlägt ein Kreuz und murmelt ein Gebet. Die Tür rechts wird vorsichtig geöffnet. Borís schiebt seinen Kopf durch die Spalte und blickt sich um. Ist jemand hier? erschrickt heftig. Gott schütz uns vor dem Bösen ... Du bist es, Herr? kein Mensch ... nur ich allein. Und weißt du sehr gewiß, daß keiner kommt? Ich will's den Wachen sagen – eintretend. Laß das nur. Die nützen mir vor jener Türe nicht Und dort steht keine Wache. Herr, was tat Dir das geliebte Kind? Was sprichst du da? Was mischest du dich ein? Du bist ja selbst Fast wie mein Sohn. Wer sollt es anders tun? Das Kind – das Kind – nichts tat es mir – das Kind! Ich habe andre Sorgen. Herr, ich weiß, Wenn ich jetzt riefe: die Zaréwna kommt! So rafftest du den Mantel und entsprängest Wie eine Ricke vor der Wölfin flieht. Du weißt nicht alles, Alter, was ich weiß, Und kannst mich nicht verstehn. Sprich ein Gebet Und hänge dir ein Kreuzlein über's Herz, Ja, tu das, Herr. Ihr schlichten Seelen ihr, Die ihr den Brand mit Kreuzlein zwingen wollt, Wart nur, bis dich das Fegefeuer fing, Und dann sieh zu, wie deine Kreuze schmelzen. Du wirst schon sehn, wie dir das Herz alsbald Ganz weiß und heilig wird und dem Zaréwitsch Sich wieder auftut, der gefangen sitzt. Was kümmern dich die Kinder! dem Zaréwitsch Droht nicht Gefahr – Haft ist nur Sicherheit. Er sitzt in seiner Kammer ohne Schlaf Und weigert Speis und Trank. Wer sagte dir's? Die Wachen sagen's. Wer Empörung sinnt, Den mag wohl Ruhe fliehn. Was ist die Stunde? Schon Mitternacht vorüber. Mitternacht – Lang-lange Nacht – endlose, tiefe Nacht Und Stunden, Stunden, Stunden. Und das Dunkel So grauenvoll belebt. Wie wollt ich selig In letzter Leere sein! hier aber lebt's, Und ist nichts da – dann jetzt ist etwas da – Wer weiß auch, wo es hergeschlichen kommt Und lautlos jählings aus der Schwärze taucht Und eine Fratze zeigt? wer wußte je, Daß Finsternis mit toten Augen blickt Und eine Zunge streckt aus bösem Maul? Wer hat schon Hände trostlos winken sehn So schattenhaft und blaß und ohne Arme? Wer hat inmitten aus dem Kerzenlicht Stimmen vernommen – Klang aus Flammenkern? Wer wußte, daß es solche Dinge gibt? Gibt? wirklich gibt? Du solltest beten, Herr. Bist du noch da und horchst und spähst nach mir – Geh – geh zu Bett. Ich wache vor der Tür, Daß nicht die Feindin, die Zaréwna, komme, So daß du fliehen kannst zu rechter Zeit. Die Feindin – alter Narr! sinnlos Geschwätz! Das will ein treuer Diener sein und lauert Und rät herum und rät das Falsche stets, Als bliese ihm ein kleiner Teufel flink Nur dumme Fabeln in das alte Ohr! Du meinst es gut – laß nur und geh zu Bett. Nur wenn du dort mein Schlafgemach betrittst, So darfst du nicht erschrecken ... Heiliger Gott! Was ist dort im Gemach? Was könnt es sein? Da war etwas, ich sah es nicht genau, Mensch oder Ding, was weiß ich! irgendwas! Auf einmal war es furchtbar leise da Und trug ein weißes Hemd und in der Hand War eine Kerze. Denke nicht etwa, Daß es ein Kind war – nein – wie käme denn Ein Kind ins Schlaf gemach? doch ziemlich klein – Recht klein erschien mir freilich die Gestalt – Nur denke nicht – ein Kind – Iljá ergreift einen Armleuchter, schlägt ein Kreuz und öffnet entschlossen die Tür zum Schlafgemach. Er leuchtet hinein. Kein Kind ist da Und weder Hemd noch Kerze – siehst du, Herr? Ich sehe nichts und das Gemach ist leer, Du hast wohl recht. Das war im Fieber, Herr. Nur – hast du nicht gehört, daß solche Dinge Durch Wände gehen wie durch leere Luft? Es irrt vielleicht sonst wo im Haus umher – Dort in dem Gang – Die Wachen stehen dort. Dort in der Kammer – Wo die Zarin schläft? Auch ihre Frauen wachen sicherlich. So geh du nur zu Bett. Schweig still, ich weiß, Was du mir sagen willst: es ist ein Fieber – Und kommen soll der Arzt – gut sind Gebete Und Arzeneien – still, geh du zu Bett, Ich will allein sein – nicht ein Wort! zu Bett! Iljá schlägt ein Kreuz über den Zaren und in der Richtung nach allen Türen hin, dann verläßt er nach kurzem Zögern das Gemach. Der junge Herzog gibt mir Ksénjas Ring Zurück und nimmt ein Gift und möchte sterben, Ja, sterben eher als mit meinem Kind Zur Kirche schreiten! solche Pest bin ich! Was aber kann mir helfen, daß ich weiß: Wer jung ist, hat sehr oft ein hartes Herz, Errichtet sich nach Formeln seine Welt Und scheidet rechts und links – die Tochter Kains Wird in den Schlund geworfen, wär sie auch Dem Engel gleich des Herrn. Was ich erfuhr, Ist einem andren leerer Schellenklang Und unerschüttert hält das Urteil sich An seinen Spruch: du bist von Kains Geschlecht, Du bist die Pest, Fluch dir und deinem Hause. So klirrt die Kette, klirrt ohn Unterlaß Und ganz umsonst läßt einer um den andren Ans Kreuz sich schlagen – wenn uns Gott erlöst, So müht die Menge immer sich und zerrt In Lust und Haß zum Abgrund uns zurück, Der unsichtbare Jäger läßt nie ab Von seiner Jagd – wir meinen wohl, er schläft, Dann aber richtet er in Heimlichkeit Die unbarmherzigen Fallen oder wetzt Den Fänger irgendwo an einem Stein. Ist dies nicht eine Glocke, die ich höre? Mein Blut vielleicht? ein Schritt? ein Traum gewiß! O nie zu wissen, nie, was uns umschleicht, Den Feind nie zu erkennen, seinen Leib Niemals zu fassen! und erschiene jetzt Sein stummes Schreckbild aus dem Raum der Nacht, So lahmte mir das Grauen Hand und Haupt Und wieder ungehindert triebe er In blutigem Spiel die Seele vor sich her Als Satans Katze ... fort! ich will dies nicht, Was drängt sich da heran? Barmherzigkeit! Es geht durch Wände, kriecht durch's Schlüsselloch, Schwingt sich im Rauchfang nieder – manchmal kommt's In eines Kindes Bild – was sind denn Kinder, Daß sie uns schrecken sollten? wär es auch, Daß etwa Blut auf einem kleinen Hemd Seltsame Rede führte. Tat ich's denn? Ein Mann im Mönchsgewand mit giftigem Mund, Der war's, ich nicht – ich sprach nur den Befehl – Und nicht einmal Befehl – er aber geht Den Weg des Heils – mich, wie den Baum im Sturm, Mich reißt es hin und her verzweiflungsvoll, Denn hinter jeder Türe – da und dort Schon mag es warten und mit einem Mal Die Klinke drücken und – ich will's nicht glauben, Daß jene Tür in Wahrheit sich bewegt – Nein – geh – nein – geh – ich will dich nicht bei mir – Ich tobe hier im Fieber und ich will Allein sein – ganz allein und – Durch die Tür im Hintergrund ist Ksénja im Nachtgewand eingetreten, eine Kerze in der Hand. Borís flüchtet vor ihr durch das Gemach. Ich bin's, Vater – Ich will dich nicht – was kommst du mit dem Licht, Daß ich die Flecken sehe auf dem Hemd – Fort – ich befehl's – hier sollen Kinder nicht Umgehen in der Nacht und an die Seelen Mit ihres Blutes Mahnung klopfen – Vater, Ich halt es ja nicht länger aus – ich muß Dich sprechen und die grauenvolle Last Mir von dem Herzen wälzen – hör doch, Vater – Ich bin dein Vater nicht – Du nicht mein Vater – Das wäre neu, daß man durch Blut und Mord Sich Kinder zeugte – darum hab ich nicht Das Messer damals in die Welt gesandt, Daß du jetzt kommen und mich Vater nennen – Du kennst mich nicht! du redest irr! ich bin – Sieh mich doch an – ich bin doch Ksénja – Fort! Du lügst! ich kenne dich! du trägst die Kerze, Du trägst das Hemd – ich soll das Blut nicht kennen, Das ich vergoß – geh fort – ich bitte dich, Ich will auf Knieen bitten, daß du gehst Und mich verläßt und niemals wiederkehrst Und Ruhe hast im Grab – Ich, Vater? ich? Willst du, daß ich mich töte? brachtest du Mir aus dem Grab das alte Messer mit? So laß mich dir doch helfen – du bist krank – Ich will dir – Ich zerschlage mir die Stirn Jetzt gleich am Pfosten hier der Tür – so – so – Wenn du nicht von mir gehst – Gott – heiliger Gott – Ich gehe ja – was hab ich dir getan – Nein, nein, ich gehe – Mutter, hilf ihm doch – Sie eilt ab, ihre Stimme verklingt im Nebenraum. Ein unbestimmter Lärm erhebt sich draußen und wächst allmählich an. Borís starrt entsetzt auf den Fleck, auf welchem die Erscheinung gestanden. Nun ist es fort – da stand es mit dem Licht Und glitt auf einmal in die Wand hinein ... Was aber ließ es da zurück? Geräusch Von Stimmen aus den Wänden, aus der Luft Gleich Wellen oder Wind ... was lärmt im Hause? Er richtet sich auf, geht zögernd auf die Mitteltür zu und öffnet sie mit einem Ruck. Heda, die Wachen! Hier! Hört ihr den Lärm? Ja, Herr. So ist es doch kein Traum. Seht nach, Was dieser Lärm bedeutet. Deinen Diener Seh ich im Gang. Er läuft in Eile her. Laßt ihn herein. Iljá tritt eilig auf. Du riefst mich, Herr? vergib, Ich hörte keine Glocke. Niemand rief, Wer hat das Haus erweckt? die Stadt ist wach, Hat dich das Meer der wilden Stimmen nicht Aus deinem Bett getrieben? rede doch. Das Volk schlägt an die Tore, sagen sie. Das Volk! wer ist das Volk? ein Pöbelhaufen Ist doch kein Volk? was hier für neue Not? Ich freilich weiß es nicht. So geh und rufe Mir einen, der es weiß. Sie lärmen dort Und schreien wie besessen. Simeon Godunóf kommt durch die Mitte mit Dienern. In den Kreml Brach eine Rotte ein und lärmt am Tor. Wie hoch an Zahl? Voll ist der ganze Hof Und sind die Straßen bis zum Roten Tor, Der Rote Platz ist eine See von Köpfen Und alles schreit nach dir. Weiß man die Ursach? Die letzten Tage bis zum Überdruß Hast du das Lied gehört. Versteh ich recht? Sie fordern Rechenschaft? Des falschen Prinzen Sendboten stiften Aufruhr überall, Es kann nicht anders sein. Schon hat der Krieg Wirrsal geweckt, nun schleichen die Gerüchte Und teilen unterm Volke Tollwurz aus. Fürst Schuiski erscheint, gefolgt von Edelleuten und Dienern. So geh ich selbst hinaus. Gib mir Befehl, Ich rücke mit den Hakenbüchsen vor Und meine Schützen säubern dir den Platz. Sahst du nicht Blut genug, mein Vetter? Herr, Wenn Hunde beißen, hilft die Peitsche nur. Wer sagt dir, daß hier Hunde sind? doch sei's, Wer fragt danach! soll man zu jeder Zeit Nach andren spähen und von außen her Den Weg sich zeigen lassen? hier bin ich Und niemand sonst – sie fordern Rechenschaft Mit Unrecht oder Recht, was kümmert's mich? Sie rufen nach den Hakenbüchsen nicht, Sie rufen mich – nun wohl, so komm ich denn. Recht hat dein Vetter und dem Pöbel bleibe Des Herrschers Antlitz fern. Hast du nicht Zungen, Die für dich sprechen, Hände die dein Wort Vollbringen, sei' in Gnade, sei's im Zorn? Was brauchst du jedem letzten Lungerer Rede zu stehn, der doch mit Knütteln nur Und widrigem Geschrei zu fragen weiß? Und wenn dich neues Blut erschreckt – so laß Herolde zu den Leuten gehn. Sie mögen Dir Sprecher senden – höre doch Vernunft, Ich rate gut, ich rate recht – Mag sein – Nein, sehr gewiß. Nur eins könnt ihr nicht wissen, Das Wort, das hier in meiner Seele lebt Und zu mir spricht: du mußt. Mir war mein Amt Sehr schwer und mühevoll und müde ward ich Mehr als ich's sagen kann. Doch ein Gebot Hab ich erfaßt: tu, was die Stunde fordert, Entzieh dich nicht, ein jeder Augenblick Ist Schicksal, nimm es hin und weich nicht aus. So will ich hinter Herolden und Schützen Mich nicht verstecken und mit eignem Mund Zu jenen reden und das Schicksal greifen Mit dieser eignen Hand. Gott selbst wirft uns Die Augenblicke zu. Ich fühl es wohl, Auch dieser ist ein Gottesaugenblick Und trägt in sich das Leichte oder Schwere Und mir bleibt keine Wahl: erkennen heißt Erwählen – und ich nehme sein Geschenk Und gehe hin und tue, was ich muß. Allein und ungeleitet will ich gehn Und wiederkehren. Keiner folge mir. Er geht langsam durch die Mitte ab. 4. Akt Vierter Akt Morgendämmerung. Hof im Kreml. Links der Palast. Vor der Eingangstür ein viereckiger überdachter Altan, von dem aus etwa sechs bis acht Stufen in den Hof hinunter führen. Eine tobende Volksmenge drängt sich im Raum. Geschrei, Lärm, Verwirrung. Einige tragen Waffen oder Knüttel. Der Irre steht in der Nähe der Treppe. Unter der Menge sieht man einen rotbärtigen, einen schwarzbärtigen und einen weißbärtigen Mann. Wir wollen hier nicht länger warten! öffnet! Schickt uns den Zaren! schickt den Schacher uns, Daß wir ihn kreuzigen zum zweiten Mal! Es waren zwei – sie hingen rechts und links – Ruft uns den Barrabas! ruft uns den Judas! Was treibst du, Irrer? Diesen dürren Zweig Fand ich am Weg und schling ihn so und so, Nun gleicht er völlig einem Dornenkranz. Vernahmt ihr, was der heilige Irre sprach? Ich nicht! was gibt es da? drängt doch nicht so! Was sprach der Irre? ich hab nichts gehört! Er sagt, wir sollen auf des Mörders Haupt Die Dornenkrone setzen. Und ich drehe Die Geißel mir aus meiner Gürtelschnur Und treibe aus dem Tempel die Verfluchten, Die unsrem Herrn mit Kreuz und Marter nahn. Ich hör ihn nicht im Lärm – Hört nicht auf ihn, Er redet irr – das andre haltet fest, Das von der Dornenkrone – Öffnet! öffnet! Er soll den Kerker auf tun! den Zaréwitsch Hält er im Turm gefangen! legt die Pforte In Trümmer! reißt die Steine aus dem Pflaster! Bringt Äxte! Äxte! mit einer Axt in der Hand. Was bekümmert euch Der Bursch im Kerker? zieht der wahre Erbe Nicht mit den Polen schon heran? Dimitri, Das Kind der alten Herrscher? dorthin wendet Die Herzen und den Blick. 's ist einerlei, Wir müssen Fiódor retten! wen der Zar Im Kerker hält, ist unser Freund gewiß, Und wärs auch seine Brut. Des Mörders Brut Kann unser Freund nicht sein! denkt an Dimitri! Die Krone wiedergeben soll er ihm, Sagt das dem Mörder! Leute, hört ein Wort, Ich kann es da mit meinem alten Kopf Nicht recht erfassen ... wenn Dimitri lebt – Das sagt er doch – so ward er nicht ermordet, Und wenn der Erbe nicht ermordet ward, Dann gibt es keinen Mörder ... 's ist auch wahr. Was lügst und faselst du? Wo steckt er denn, Der Mörder, den du meinst? Dimitri lebt – Begreift ihr's nicht? wo ist der Mörder? wo? Er gab den Mordbefehl – nicht seine Schuld, Daß er mißlang – was will der alte Schwätzer – Laßt ihn, ihr Männer, gebt nicht acht auf ihn Und macht ein Ende – Du dort mit der Axt Sollst uns die Bresche schlagen! nur heran! Bist du mit deiner Zunge hart und scharf Und schlapp mit deiner Waffe? Platz da vorn! Er geht die Stufen empor, stellt sich vor die Tür und holt weit aus mit der Axt. Ehe er zuschlagen kann, tritt Borís aus der Tür. Der Schwarzbart fährt entsetzt zurück und springt die Stufen herab. Fort! rettet euch! da ist er selbst! Zurück! Wir sind umstellt! gleich kommen seine Wachen! Zurück! zurück! ich will nicht vorne stehn! Sie werden schießen! fort! Ich bin allein. Er lügt! sie gehen um das Haus herum! Das ist nicht wahr! ich sehe nichts! zurück! Bleibt Leute, bleibt! 's ist niemand hinter ihm. Geht, Leute, oder bleibt. Ich rief euch nicht, Ihr habt gerufen: sagt mir, was ihr wünscht. Die Bewegung stockt. Einige schleichen sich fort, andere drängen sich vor. Der Irre streckt plötzlich den von ihm geflochtenen Zweig dem Zaren hin. Da nimm, Borís, ich hab's für dich gemacht. nimmt zögernd den Zweig. Was soll mir dies? Nahm er den Dornenkranz? Ich kann's nicht sehn! er tat es – ja – er tat's. Wer bist du? O! du kennst mich nicht, Borís? Nikolka bin ich – Gottes Mensch. Und du Bist doch Herodes, der die Kinder tötet In Bethlehem? lacht. In Úglitsch dieses Mal. Hab Dank für dein Gewinde, Gottes Mensch, Doch für die Schmähung möge Gott dir danken, Ich kann es nicht. Du aber, das mich rief, Was willst du, Volk, von mir? Die Menge schweigt. wer spricht für euch? Nach einem kurzen Schweigen entschließt sich. Du hältst den Sohn gefangen. Gib ihn frei! Der Sohn ist ungefährdet. Meine Haft Schützt ihn nur vor ihm selbst. Er liegt im Kerker? Wer euch das sagte – log. Eine Stille. Dann rafft sich plötzlich der Schwarzbart auf. Steh nicht so da, Als wärst du unser Richter, der die Strafe In Händen hält! merk dir's, wir klagen an. Wir stehen hier und wollen Rechenschaft. Bringt eure Klage. Fragst du noch? der Krieg, Der Krieg ist über uns! im Felde draußen Stehn unsre Söhne! Friede sei im Land! Nicht ich begann den Krieg. Ein Abenteurer, Ein frecher Räuber tat den Überfall. Den wahren Erben schiltst du so und meinst Mit Lügen uns zu täuschen. Wohl begannst Du, du den Krieg. Der Mord begann den Krieg Und all die Jahre durch, zwei Bächen gleich, Fraß Krieg und Mord sich heimlich durch den Fels, Jetzt brachen sie hervor und brüllen laut Mit einem Donner wie des Wasserfalles Anklage in die Welt! wir führen Klage Um Mord, um Krieg, um Ränke und Betrug Und um des Volkes Schande, das den Mörder In jahrelangem Dienst als Herrn ertrug, Wir klagen um die Seelen, die dein Gift Zerrüttet jahrelang. ängstlich. So schweig doch, Mensch Siehst du nicht, wie er blaß und traurig ward? Doch ist es wahr. Seht den gekrönten Mörder! Hat er es nicht gewußt, wie das Gerücht Als leiser Schatten durch die Häuser glitt Und Böses schuf? zum Bösen findet sich Das Böse gern und deine Niedrigkeit Grüßt alles Niedre mit dem Schwesterkuß. Sah dich das Volk in deiner goldnen Pracht Zur Kirche schreiten – dachte jeder Schuft Nicht alsogleich das eine: wie gesegnet Mit Macht und Schätzen ist doch dieser Mann Und brauchte nur ein Kind zu töten, nur Ein kleines Kind, ganz klein und unscheinbar, Und dann die Tat mit Lügen überspinnen In Friedlichkeit und Stille jahrelang – So leicht wird Macht erworben und so willig Strömt Überfluß dem zu, der ihn mit kaltem Und kühnem Sinn zu locken weiß! warum Sollt idh's nicht auch versuchen? lügen? stehlen? Ein wenig morden? von den zehn Geboten Drei übertreten – das belohnt sich reich, Ich fang einmal mit dreien an – dann vier – Dann sieben – und wenn keins mehr übrig blieb, Was schadet es? kein hoher Wert zerbrach, Die Tafeln nur, die Moses aus dem Feuer Und Rauch des Berges brachte, sind dahin Und in die Grube fegen wir die Splitter. Nun sieht er wie ein Totes aus. Er kniet. Er hört dich schon nicht mehr. Borís! Borís! Hör nicht auf ihn, das ist ein böser Mensch, Nikolka sagt es dir und der lügt nie. Was tut er da? er kniet! so will er beichten? Nein, nein, er hat gebetet. Er steht auf. Was hält er sich am Pfeiler mit dem Arm? Er sieht an uns vorbei! wen blickt er an? Herr, ich erkenne dein gerechtes Licht, Hier stehe ich und will die Wucht des Strahls Empfangen in der Brust. Schon faß ich's ganz, Daß du mich nicht zerstörst, du baust mich auf, In voller Bläue wölbt sich über mir Der Himmel des Gerichtes und kein Blitz Schlägt mich so stark, wie deine Sonne trifft. So ist es wahr? er beichtet? er bekennt Den Kindesmord? Ein Mörder ist der Zar. Er schlug das Königskind. Das Antlitz Gottes Hat sich von ihm gewandt. Den Mörder seht! Den Mörder! seht den Mörder! das Gericht! Noch weiß ich nicht, ob jene Tat geschah, Doch weil ich sie in meinem Wunsch empfing, So ist sie denn geschehen und du hast Den Spruch gesprochen, Herr, und ihn vollbracht. Zerbrochen hast du meiner Hände Werk, Den Sohn als Richter über mich gesetzt, Entfremdet meiner Diener Herz und sie Dem Fremden zugeführt, das Grab gesprengt, Zum Leben das Gestorbene erweckt, Und wo die zärtlich reinste Flamme brannte, Da legtest du die Furcht um Ksénjas Liebe Mir in das Herz und zitternd weht die Glut Mit traurigem Geflacker. Noch zuletzt Kommt einer, der sich deinen Menschen heißt, Nennt mich Herodes und legt dennoch mir Den Dornenkranz des Heilands in die Hand, Indes der Haß aus tausend Augen mich Zerstören will und tausend Hände schon Erbeben in der Lust der Steinigung. Die Augen und die Hände meines Volkes, Dem jahrelanger Dienst Verderben heißt. Er meint mit Gott zu reden! Lästerung! Gott redet nicht mit Mördern! Gott verwirft ihn! Hört ihr den Unhold lästern? steinigt ihn! Viele reißen Steine aus dem Pflaster. Geschrei und Verwirrung. Viele heben die Hand zum Wurf. Hie bin ich, Herr! hier bin ich! Er greift sich nach dem Herzen und sinkt am Pfeiler nieder, bleibt liegen. Eine Stille. Starb der Zar? Wer warf den Stein? Ich nicht! ich nicht! ich nicht! Gott selbst warf ihn zu Boden. Fort von hier! Wenn sie den Toten sehen, heißt es gleich, Daß wir's getan. Doch keiner warf den Stein. Von Schreck ergriffen beginnt die Menge hinauszueilen. Es entsteht ein Gedränge. Verwirrte Rufe, Flüche, Geschrei. Hinweg! hinweg! was drängt ihr so? nur zu, Wir werden selbst gedrängt! gleich kommen sie Und finden den Herodes! starb er denn? Gott hat gerichtet! fort von diesem Platz! Die Menge hat den Hof verlassen, der Lärm verklingt. Der Irre ist zurückgeblieben, geht leise auf den Zaren zu und beugt sich über ihn. Steh auf, Borís, sie könnten wiederkommen, Ich führe dich ins Haus. Was staunst du so? Kein Stein hat dich getroffen, keine Hand Hat dich berührt. richtet sich auf. Wo sind die Augen hin? Hier waren tausend Augen ... lacht und bläst über seine Hand. Kam ein Wind – Hat so gemacht – und hui! sind sie dahin! Jetzt kränkt dich keiner mehr. Du Gottes Mensch, Schwörst du mir das? du bist ja der von Gott Besessene und mußt es wissen ... Komm, Nikolka weiß es freilich. Laß mich nur Auftun die Tür – nun stütze dich – nur fort – Im Hause drinnen endet alle Not – Borís, vom Irren unterstützt, betritt mühsamen Schrittes den Palast. 5. Akt Fünfter Akt Ein gewölbter Wandelgang im Kreml. Links über einigen Stufen eine Bogenöffnung in der Wand, dahinter der Gang, der fortlaufend gedacht ist. Rechts eine Tür. An der rückwärtigen Wand unter einem halbrunden Fenster ein Sessel, daneben ein Schemel. Borís und der Irre von rechts. Borís löst sich aus dem Arm des Irren, blickt sich um, scheint wie erleichtert aufzuatmen. Dies ist ein guter Platz. Hier will ich ruhn. Ein jeder Platz ist gut. Nikolka weiß es Ganz, ganz genau. Nur böse Menschen machen Aus guten Plätzen schlechte. Sprichst du wahr, So helfe mir der Herr, daß meine Pest Auch hier nicht in die alten Steine dringe Mit ihrem Dunste, der die Sonne scheucht. Hilf mir in jenen Sessel. Komm, Borís. Er rückt ihm den Sessel zurecht und hilft ihm sich niederzulassen. Soll ich dir sagen, was ich glauben muß? Neugierig ist Nikolka. Sag es rasch. Das Licht im Fenster brachte mich darauf, Es war, als klänge eine Rede mir Daraus entgegen, und die Stimme sprach: Hier sollst du ruhn, um nie mehr aufzustehn. Ich sterb an diesem Platz, du Gottes Mensch. Nikolka glaubt es gern. Er wußt es längst. Liest du die Schrift so klar? Ich lese nicht, Ich bin nicht schriftgelehrt. Doch ist ein Strahl So übermaßen hell, fühlt auch der Blinde Ihn auf den Lidern brennen und erkennt Das Zeichen Gottes. Gern geh ich den Weg. Nikolka weiß es. Oft ist er gestorben Und immer war es im Erwachen gut. Nicht wie nach einem Traum – viel schöner doch. Nie hat Nikolka gern geträumt: es kommt Ein schöner Engel, der auf Armen ihm Die Braut entgegenträgt mit solchen Zöpfen, Ein andermal bringt er ein Schinkenstück, Dann wieder flötet er auf einem Rohr Die herrlichste Musik – doch das Erwachen Ist immer traurig und Nikola weint, Weil alles fort ist, Braut mit ihren Zöpfen, Der gute Bissen und das süße Lied. Beim Sterben ist es anders. Jedesmal Denkt man bei sich: o stürbe ich doch gleich Von neuem und noch viele tausendmal, Denn immer schönre Lichter spielen rings Auf allen Wiesen und die Helligkeit Hat keine Grenzen. unruhig. Kurz ist meine Zeit, Mein Haus muß ich bestellen, eh ich dort In deinem hellen Land erwachen darf. Warum ist der Palast so stumm und leer? Ist keiner hier im Haus, der nach mir sucht? Nicht so viel Atem hab ich in der Brust, Daß ich mit meiner Stimme wecken könnte, Was allzufest entschlief. Hilf, Gottes Mensch, Ruf in den Gang hinein, ruf an den Türen, Vielleicht daß einer wach ist und dich hört. He ho! he ho! he hollaho! he ho! Pause. He ho! he ho! he hollaho! he ho! Pause. Sie hören nicht, stumm ist das Haus. He ho! Ich habe keine Zeit. Lauf, Irrer, lauf, Denk, daß du Flügel an den Sohlen hast, Und lauf – dort in den Gang – dann kommt die Treppe – Hinauf, hinauf und trag an alle Türen Den Schrei: der Zar ist krank und ruft nach euch! Ruf nach der Zarin! rufe Fiódor! Ksénja! Die Diener! die Bojaren! eile dich! Lauf und erbarme dich! Der Irre nickt eifrig, dann springt er die Stufen empor und verschwindet im Gang. He ho! he ho! Der Zar ist krank und ruft nach euch! he ho! Eine Stille. Borís lauscht angestrengt. Jetzt muß ich Ruhe in der Seele fest Mit allen Sinnen halten, sonst zerreißt Die Ungeduld das Herz. Ich darf nicht sterben, Bevor ich nicht die Meinen wiedersah, Ich darf die Furcht nicht zu mir lassen, sonst Tut sie ihr Werk zu früh. Still, still, mein Herz, Laß über dir so große Ruhe sein, Daß keine Furcht den stillen Kreis durchbricht, Den du mit letztem Willen schaffst. Nur still! Es wäre gut vielleicht – wenn ich sogar Ein wenig schlafen wollte – ich bin müd – Die Augen schließ ich, höre dann im Schlaf Geräusch von Schritten – immer näher – näher – Bis ich die Augen öffne wiederum Und mit gestilltem Schlag des Herzens weiß, Daß ich nicht mehr allein ... Ksénja erscheint in der Tür, erblickt den Zaren, eilt mit einem halberstickten Ausruf auf ihn zu, bleibt auf halbem Wege stehn. mit einem Lächeln. Nun bist du da. Kommst du nicht näher? Vater ... darf ich denn? Wenn dir nicht graut vor mir ... Was sprichst du nur? Sie kniet neben ihm. Kind, wenn du wüßtest, wie ich deinen Anblick Gefürchtet ... Spricht nicht so! Wie sonderbar, Die Furcht ist fort. Du sollst die Hände da Nicht küssen, Kind, du kennst die Hände nicht. Doch meine Furcht ist fort. Ich wünschte nur, Dir alles zu erzählen und du sähest Dann endlich alles klar. Ich weiß es jetzt – Sie wandten schaudernd alle sich von mir Und wie sich Stück um Stück mir blutend so Vom Herzen löste – o – da kam die Furcht, In dir das gleiche Grauen zu erblicken, Die riß mich fort von dir und zehrte wild An meiner letzten Kraft. Jetzt bin ich ruhig Und will dir alles sagen. Sag mir nichts. Ich weiß es ja. Fast bin ich dran gestorben, Eh ich's verstand. Und jetzt ist alles gut. Denn seit ich alles weiß, begriff ich alles Und will nichts andres als dir nahe sein. Du weißt es? Ja. Aus welch gerechtem Grund Die treusten Diener mich verließen? Ja. Du weißt es, wer das Heer der Feinde führt? Ich weiß. Du weißt, warum die Krone mir Fiódor zu Füßen warf? Weiß alles, alles – Es ist ja dieses Eine – immer nur Und überall das Eine. Und der Herzog? Der Bräutigam, der dich verlassen konnte Um meinetwillen? Laß dies ruhn. Er starb. Und wenn du alles weißt – wie dann – wie dann –? Ich weiß doch nicht, wie ich's dir sagen kann. Meinst du, ich könnte selbst mit mir allein Besprechen, was du tust? ich liebe dich Gewiß so sehr wie keinen in der Welt, Ich weiß nur, wie du bist – sonst weiß ich nichts – Wie gut ist diese Stunde, da ich dir Dies einmal sagen darf – bei keinem sonst Hab ich es so gefühlt – auch diese Qual Der letzten Tage nenn ich gut – ich hätte Sonst nie den Mut gefunden noch das Wort. Jetzt aber hab ich ihn – ich fühle doch Wie deine Liebe nach der meinen sucht Und wie wir heute ganz beisammen sind – Und wie du bist, das hab ich stets gewußt, Solang ich denke – du von mir nicht auch? Nichts andres gilt daneben – solch ein Wissen Ist alles, was wir brauchen, du und ich – Wie schön zu sagen, »du und ich – und Fiódor – Und auch die Mutter« – Fiódor – und die Mutter – Wo sind sie nur? fand sie der Bote nicht? Hör noch dies eine, Ksénja – wenn ich starb Sollst du – Was sagst du – sterben – Ja – ganz recht – Ich sagte – sterben. Kannst du denn nicht sehn, Ksénja, mein Kind, daß ich im Sterben bin – Das ist ja doch nicht möglich – laß mich gleich Den Arzt zu Hilfe rufen – Laß den Arzt – Er kommt zu spät – und wenn du von mir gehst, Bin ich allein – wart, Ksénja, ich vergaß, Daß dich das Sterben schrecklich dünkt – ich meinte, Du wärst so froh wie ich – Froh, Vater, froh? Was sonst! mir hat ein Heiliger erzählt Vom seligsten Erwachen. Was ein Mensch Erleiden muß – die Worte sagen's nicht, Nicht fassen's unsre Sinne. Stein um Stein Bricht unsre Welt zusammen über uns Und schlägt die Seele wund, bis nirgends mehr Ein Schimmer noch des kleinsten Trostes blinkt. Dann aber, Kind ... wie nenn ich's dir? wie sag ich's? Dann tut sich eine stille Quelle auf Und sanfte Heilung strömt und kennt kein Maß, Dann kommt ein Mensch und spricht als wüßte er's: Jetzt kränkt dich keiner mehr – und so getröstet Wird unsre Seele leicht. Dann klopft das Herz In wildem Wunsch nach liebster Gegenwart Und sieh, schon steht das Liebste in der Tür Und beugt sich über uns und spricht zu uns: Ich kenne dich, ich weiß nur wie du bist, Ich liebe dich wie keinen in der Welt. Und vor dem Glück hält keine Schwere stand ... Nun ist so viel geschehen, was mich froh Und glücklich macht – dies ist das wunderbarste, Daß so verschwendend diese Welle fiel – Und selbst davon nicht wissend trugst du mir Das Wort der glücklichsten Verheißung zu – Ich? ich? wie wär das möglich – blickt sie eine Weile an, dann lächelt er. Ja, mein Kind, Das frage Gott, wie solches möglich wird. Geheimnisvoll umfliegt ein dunkler Geist Die Stätten überall und streut die Taten Aus vollen Händen vor die Menschen hin Und in der Stunde des Gerichtes tritt Der Mensch vor jenen Engel, der die Scharen Zur Rechten und zur Linken sondern darf, Und sagt: sieh, Herr, ich bringe meine Tat – Der Engel aber spricht: die Tat ist nichts. Sieh mir ins Aug, so weiß ich, wer du bist, Die Tat war Hefe, doch zur Stunde gilt Das Brot allein. – Hierin liegt alles Hoffen. Noch mehr – Gewißheit. Horch. Borís! Borís! Sie kommen gleich! sie kommen alle gleich! Schon sind sie auf der Treppe – Der Irre kommt gelaufen, winkend und lachend. Kommt die Zarin? Auch Fiódor? Und noch mehr. Klug ist Nikolka. Der Priester kommt, der heilige Patriarch, Und bringt den Leib des Herrn. Merkst du nicht schon Den Duft des Weihrauchs? hörst du nicht die Stimmen? Gut hast du dies gemacht, du Gottes Mensch, Nun aber helft mir, daß ich aufrecht stehe, Da meine Stunde kam, und nicht gebeugt In meiner Schwäche kaure, wenn die Freude Mit starken Flügeln an die Pforte schlägt. Er steht aufrecht, auf Ksénja gestützt und zur Türe hinblickend. Weiter vorn, ihm zur Linken, kniet der Irre.