Nächtliches Wiegenlied Lieb Knäblein schlaf'! Ich wache gern, O schlaf', mein armes Kind! Am Himmel steht der Abendstern, Der sieht recht lieb und lind. Es sehn ja alle Sterne Mein bleiches Kindlein gerne. Schlaf' ein, mein frommes Kind! Ja, schlaf' in Gottes Namen ein, Die Aeuglein schließe zu; Dann sehn die lichten Engelein Herab auf Deine Ruh. – Da draußen wehn die Bäume, Sie rauschen bunte Träume. – Ach, thu' die Aeuglein zu! – Lang ist's schon, daß mein armes Herz Der süße Schlummer flieht Und daß auf meinen stillen Schmerz Der Mond hernieder sieht. Mein Waislein, bleib doch liegen, Will Dich als Mutter wiegen; Horch' auf ein neues Lied! Aus theurem Grabe wuchs ein Reis, Das war so zart und fein; Ich pflanzt' es in mein Beet mit Fleiß Und sah es schön gedeih'n; Nun nagt an seinem Herzen Ein böser Wurm mit Schmerzen, Nun welkt es mir zur Pein. Wol träumt ich manchen schönen Traum Von meinem lieben Reis: Ich hofft', es werd' ein hoher Baum Zu Gottes Ehr' und Preis, Der, dacht' ich, wird in Stürmen Viel schwache Bäumlein schirmen Umher im weiten Kreis. – Mein Hoffen seh' ich nun vergehn: Es welkt mein Zweigelein, Und seh doch andre Reislein stehn, Die nicht so lieb und fein. – O, schlaf', mein armer Knabe! Die Mutter schläft im Grabe Und denkt im Himmel Dein. Berlin, Winter 1817.