Morgengesang 1772. Erwach, erwach am neuen Morgen Mit allem neuen frühen Morgenchor, Du meine Harf', und tön' ins frohe Weltgetümmel Mit voller Sait' hinein! Denn in das frohe Weltgetümmel Gehörst auch, schwachbesaitet, Du, ins Chor Der schönen Morgenstern' und früher Lerchenstimmen Und alles Sphärenklangs. Sie wandeln dort, die Sängerinnen, Die Morgenstern', und singen ihn heran, Der sie mit Vaterblicken segnet, todte Welten Vom Schlummer lächelt auf. Du auch ein Morgenstern, o Harfe, Empfang ihn, der ein Jüngling kommen wird Und güldne Strahlen Dir auf Deine Saiten klingen Und wecken Deine Welt. Der Erde Töchter wird er wecken, Die Blumen, mit der süßen Liebe Pfeil, Daß sie sich wundern ihres neuen schönen Schmuckes Und weinen Freudenthau. Des Himmels Chöre wird er wecken, Die singenden Gefieder, daß sie hoch Auf Lüften schweben und den Flug mit Tönen steuern Und füllen Wald und Thal. Und Alle sollst Du sie beleben, Der Stimmen Erstgeborne, Tochter Du Des Ewigen! Sieh, wie dort schon die Himmelsschwinge, Die Lerche, Dir entsteigt! Und jene Gipfel, wie sie rauschen Dem Kommenden! Entzückungsschauer fließt Durch alle Wesen, und in schwarzen, schweren Wellen Erhebt die Nacht sich fort. O herrsch umher, Du Harfe Gottes, So weit der schöne Rosenjüngling strahlt; Er herrscht am weiten Himmel, und die Dich beseelet, Ist Erdekönigin. Wohin er güldne Strahlen sendet, Wie weit sein Zelt der blaue Himmel zieht, Ist Dein Gebiet, o Seele; jene schöne Hütte Ist hoch für Dich gewölbt. All Deines Blickes hohes Ende, All Deines Ganges End' ist Himmel nur; Und Du, die in mir denkt, bist Sonne; was Du denkest, Ist mehr als Lichtesstrahl. Wer bist Du, neuerwachte Seele, Die in sich selbst als eine Sonne blickt Und gießt in einem zarten strahlenden Gedanken Der Farben ganzes Meer? Wer bist Du, die auf Welten blicket Und aus sich selber neue Welten schafft Und, wie die Sonne dort, die Wesen rings beglänzet Mit Licht und Seligkeit, Daß Thränen, wie der holden Blume, Der Dankbarkeit entfließen, daß sich Schmerz Und Kummer selbst in Freudenthränen wandeln Und werden Himmel uns? O Tagewerk voll Götterwonne! Schon wandelt dort der Jüngling seine Bahn. Schweig, Harfe, daß auch ich die meine wandl' und ende Mit schönem Abendroth!