Liebe und Gegenliebe Als einst die Mutter der Anmuth Den Knaben Amor gebar, Bekränzt' er, ein einziges Söhnchen, Mit Rosen sein lockiges Haar. Er schuf nur Qualen den Herzen; Die zarte, süßere Pflicht, Mit Liebe Liebe zu lohnen, Die kannte der Flüchtige nicht. Und manche beleidigte Göttin Und mancher beleidigte Gott, Sie zürnten Alle dem Knaben Und schufen ihm Flügel zum Spott. Bis einst Urania selber Ein schöneres Mittel ersann: Sie ward zur Welle des Meeres Und blickte den Lieblichen an. Er sieht im Meere sein Bildniß Und wird von Liebe beseelt Und fühlt nun selber die Schmerzen, Mit denen er Andre gequält. Umfangen will er das Wahnbild, Ihm in der Welle so nah, Und sieh, sein schönerer Bruder Steht vor dem Liebenden da. »Wer bist Du?« spricht er verwirret. »Du selbst, Dein Bruder bin ich. Laß uns versuchen im Kampfe! Vielleicht besiegest Du mich.« Und seitdem ringen die Beiden Der Liebe mächtigen Streit; Wo Einer Herzen verwundet, Ist nie der Andere weit. Wo Liebe, schaffende Liebe Hinschaut mit zauberndem Blick, Kommt ihr vom Bilde des Anschauns Die Gegenliebe zurück.