Gottes Rath und That über das Menschengeschlecht Erster Gesang O Muse, singe mir den hohen Rath Des Menschengottes mit der Menschenschaar, Wie er durch Nebel und durch Dämmerung, Durch Finsterniß und Irren sie geführt Und führen wird zum Lichte! Singe mir, Wie er die Strahlen dieses Lichts zerstreut Durch Völker, Zonen und Jahrtausende, Und alle kennt und alle sammeln wird Zu einer Sonne der Glückseligkeit! Allgütiger, begeistre, lehre mich! Du mußt mich lehren! Denn wer bin ich Staub, Daß ich auf Lichtesflügeln streb' empor Und Deinen Rathschluß höre? Wer bin ich, Daß ich hinein in jenes Dunkel seh', Wo die Vergangenheit die Zukunft vird Und im erstorbnen Keim der Gegenwart Der Baum der Nachwelt blühet? Wer bin ich, Zu schaun, wie bittrer Tod das Leben ist Und tiefe Tiefe sich zur Höhe schwingt Und sich in Höhn und Tiefen überall Dein Vaterantlitz offenbaret? Hell Wird meine Leyer; denn ein Gottestrahl Berührt sie, wecket ihre Saiten auf Zu seinem Nachhall, und mein Auge glänzt, Mein Herz schlägt fröhlicher; denn, Brüder, hört's, Euch Menschen sing' ich Eures Schicksals Gott. In dichten Finsternissen lag ich tief Verhüllt und irrte mich an Gottes Pfad Mit seinen Menschen. Sind sie oder nicht Geschöpfe seiner Hand, zum Licht ersehn, Zur Tugend, zur Glückseligkeit? Sie sind Dahingeschleudert in des Erdballs Nacht, In Wüsteneien, Abgründ', unter Eis Und kalte Felsen, in den dürren Sand, Und wo die heiße Sonn' ihr Hirn verbrennt Und ihnen Saft und Muth aus allen Röhren Hinwegkocht, sind verschlagen auf der See Bergspitzen, in der Wälder Labyrinth, Zu Leviathan's Zähnen, Tigerklau'n, Des Löwen Rachen; ach, und schrecklicher, Furchtbarer noch, in Menschentigers Klaue, In Menschenlöwen Rachen, untern Fuß Des Wütherichs, des Kriegers, in das Netz Des Menschenfängers, der nicht Leiber nur, Der Seelen tausendfältig-künstlich fängt Und sie zu seinem Leckermahle würgt Und Gott verhöhnet. Meiner Brüder Schaar, Sie gehn, wie Fisch' im Meer und wie Gewürm, Das keinen Herren hat, des Adlers Raub, Des Geiers Speise. Und blickt irgendwo Ein Retter, ein wohlthätig Licht empor, Ein Stern in dunkler Nacht, so wappnet sich Ringsum die dunkle, scheußlich kalte Nacht, Ihn wegzutilgen mit des Regens Guß, Mit Donnerwolken rings ihn zu verbaun, Daß auch sein holder Strahl dem Wandrer nur Ein Blitzstrahl werde. Sog nicht Tyrannei Aus jeder Rettung neue Kräfte? schlang Und schmiedete sie immer fester nicht Das kaum zerschlagne Band? und thronte nun Auf Menschenschädeln nicht allein, sie thront' Auf Menschenseelen – Trägheit ihre Burg, Verzweiflung ihre Feste! Waget's noch Ein Mensch, zu sehn, was Gott und Teufel sei? Und was er sah, es laut zu sagen? Dem Die Stimme zu verstopfen in den Schlund, Der Gott den Teufel nennt, den Teufel Gott, Und auf den Nacken seiner Brüder tritt Und Ruh und Unschuld höhnet? Waget's noch Ein Mensch, dem andern Wahrheit zu vertraun, Arznei dem Kranken, dem die Arzenei Ja bittres Gift nur würde? Heucheln sie Sich nicht mit süßen Aeffereien todt Und freuen sich des Todes? Findet sich Aus Irrthum irgendwo ein Fünkchen Wahrheit, Schnell muß das Fünkchen Wahrheit wiederum Zum Irrthum werden. So dreht wunderbar Der Völker, Zeiten, der Geschlechter Rad Sich auf und ab, erhebet oder stürzt, Zerquetschet aber immer. Sind wir weiter Gekommen in der Zeiten Wirbellauf? Sind wir zurück? Was ist geschehen, das Nicht jetzt geschäh'? und was geschiehet, das Nicht immerdar geschehen werde? »Sieh,« Sprach ich zu mir und nagete mein Herz, »Den Aufgeklärten hier, der Tugend höhnt Und Gott verachtet, Andere verführt Und sich ermordet; sieh den Wilden dort An Seelands Ufer, der den Schlamm des Meers In faulen Fischen frißt und kaum die Sonn' Erblickt und einen Gott kaum nennet! – ha! Den Gott, der ihn auch zur Unsterblichkeit, Zu seinem Bild erschaffen!« – Da versank Mein Geist in öden Schlummer. Vor mir stand Ein schöner Engel; Licht war sein Gesicht, Und Sonnenstrahlen seine Flügel; Glanz, Wie holde Regenbogenschöne, floß Sein Kleid hinunter. Er berührte mich Mit einem Sternenstabe, wie er dort Am Firmament in hellen Nächten brennt. Der Stab erweckte mich, verwandelte Mir mein Gebein; der Staub fiel ab von mir. Die Hülle sank; mein Herz ward ruhig; auf Gen Himmel zog mich seine Gegenwart Ihm nach, ihm nach. »Ich bin der Genius Des menschlichen Geschlechts!« sprach er zu mir. »Sieh um Dich! wo ist Deine Erde?« Ich Sah rings umher und sah nur Sternenglanz Und schwebete im hohen Sternenchor Und hörte ihren Klang. Ich hörete Der sieben Stern' um unsre Sonne Klang Und sah auch meine Erd' – ein kleiner Ball Mit ihrem Mond, ein leiser Uebergang Zum Mittelpunkt, der Sonne hohen Einklang. Mein Herz ward Sphärenharmonie. Ich wagte Den Genius nicht anzuschaun. Er sprach: »Sieh, Murrender, worüber murrtest Du Im Winkel Deiner Höhle drunten? Nennst Du das Vernunft, wenn Du den kleinen Theil, Ein Nichts, fürs Ganze nimmst? das Jetzt Der Erdengegenwart, der schnellesten Vergänglichkeit, fürs Unvergängliche, Fürs Ewige? Sieh um Dich! Deine Welt, Ist sie nicht Ton nur in der Melodie Der Sonnensterne? welch ein kleiner Ton! Und Du auf dieser Saite welch ein Nichts, Ein kleiner Nachhall des verhallenden Verstummens! Sieh umher! die sieben Sterne Sind Ruhestätten für den Wandrer nur, Der in sein Vaterland, die Sonn', hinaufeilt! In alle sieben Sterne sind die Klänge Der Fähigkeiten zur Vollkommenheit Nach Maaß und Zahl des weisen Schöpfers, des Urkünstlers, schön vertheilet. Deine Welt Ist nur ein Mittelklang, doch näher schon Dem hohen Einklang als den gröberen Und streitenden Vortönen. Die Vernunft Des Menschenvolks mit ihrer Freiheit ist Das erste Auferwachen zur Natur Der Seligen in wahrer Wirksamkeit Und Geistesschöne. Rüste Dich hinauf Und sieh nicht hinter Dich, was nach Dir bleibt! Was nach Dir bleibt, eilt auch in Gottes Reich, Langsamer und auf niedern Sprossen nur Hinaufwärts. Laß dafür, der sie gemacht, Den Vater, sorgen! Du entschüttele Den schweren Staub und werde Himmelslicht Und werde Ruh! Die niedern Genien Der Erd' und ihrer Reiche sollen Dir, Was diesem hohen Himmelsglanze viel Zu niedrig wär', erklären. Steig hinab, Und immer schwebe Dir der Hochgesang Der sieben Stern', ihr unauflöslich Band, Das Eilen, das Verschlingen ihres Laufs Zum Mittelpunkt von ihrer Kraft und Art Und Zweck im Ohr: so wirst Du selig sein Und ruhig. Gottes Gang ist in der Nacht Im Heer der Sterne und ein Sternengang Voll ew'ger Harmonieen.« Da verschwand Vor mir mein Genius; ich sank hinab Und sah mich wiederum in meiner Hülle; Ich schaut' den schönen Sternenhimmel an, Wie anders jetzt! wie ruhig! Sprach zu mir: »Kannst Du das Band Orion's, kannst das Band Der sieben Stern' auflösen?« Sprach zum Monde: »Wer bist Du, Tröster meiner Einsamkeit, Mit Deinem matten, sanften Strahle? Mein Gefährt' hienieden in der Wanderschaft, Der Erde Wallfahrt, und im Tode mir Vielleicht ein Ruheort, der erste Schritt Des langsam zur Vollkommenheit hinauf Steigenden Geistes! Paradies vielleicht Mit süßen Träumen von der Unterwelt Verlebten Zeiten; Paradies vielleicht Mit süßern Träumen von der Oberwelt Schon nahen Seligkeiten. Sanfter Mond, Und Du unzählbar hohes Himmelsheer, Seid Auferweckung, Licht, Erquickung mir, Wenn ich auf diesem trägen Erdenstaub Und seiner Unruh, seinen Schatten wieder Versinke!« Ew'ger, ew'ger Nachhall ward In mir der Sternenklang. Wenn oft mein Geist In Newton's Wunderschöpfung ging umher Und sann und maß und zählte, sprach zu mir Der Himmelsgenius: »Hat Gott den Ball Der Erden so gewogen, wog er nicht Das Schicksal auch der Erdbewohner? Band Er jede Kugel mit noch feineren Als Strahlenbanden an die große Sonn', Und hätte nicht die Scenen aller auch Daran gebunden?« Dann ward Newton's Bau Mir ein Gebäude der Unsterblichkeit, Mit Erden, Welten, Sonnen aufgeführt In aller Himmel Wüsten. Und mein Geist Stieg fröhlich dann von Welt zu Welten fort Und sang den Schöpfer stets in neuem Ton Des Lobes, bis er Welten übersprang Und, in dem Meer der Allvollkommenheit Gebadet, selbst der Erden Führer ward! – Wohin verschlägst Du, mein Gesang, im Strom Der Hoffnungen und alles Sphärenklangs Und aller Himmelsfluthen? Komm hinab Von jenem Milch- und Strahlenufer, komm Hinab zu Deiner Erde! Konnte Gott Sie anders bilden, als ihr Stand und Ort, Ihr Leim und ihres Lobgesanges Ton Im hohen Sphärenliede forderte? Und nach der Erde wardst Du, armer Mensch, Von Staube Staub, zu dieser dicken Luft, Zu dieser Sonnenferne, diesem Drehn Und Wanken Deiner Erd' auch Du ersehn, Gemacht so bildsam, daß Dein feiner Staub In Nord und Süd und Ost und Westen, dort In Eisgebirgen, hier im Gluthstrom lebt, Im Meer hier, dort in dürrer Wüstenei, Und überall der Erden Herrscher wird In seines Ortes Seele. Welch ein Thier, Welch anderes Geschöpf bekam wie Du Die Bildsamkeit, zur Bildsamkeit Verstand, Vom Baum des Schnees und der Sonnengluth Die vielgefärbte, mannichfalte Frucht Glückseligkeit zu brechen und das Gut Der Fremde, als ob's nirgend wirklich sei, Sanft zu vergessen? Preise, mein Gesang, Den Geber auch für das, was er versagt, Für jeden süßen Wahn der Erdenlust, Der täuschenden Alleinglückseligkeit! Denn muß nicht jedes Herz und jeder Blick In Säften seiner Hülle froh sein? Muß Nicht Schwachheit unsre liebe Dämmrung sein, Die hier den Lappen, dort den Indier, Den Tartar dort, den Feuerländer dort Allein-glückselig macht, daß Niemand tauscht, Den Andern Jeder, Keiner sich beklagt, Und stirbt auf seiner armen Scholle reich Und weis' und glücklich? Preis' ihn, mein Gesang, Daß er des Menschen kurzes Lebensziel Nach seinem Staube, seiner Erde Drehn, Nach ihrer Leid- und Freuden möglichstem Genuß bestimmete! So kurz der Weg Dem Wanderer zu seiner Vaterstadt Je werden konnte, kürzt' er ihn. Er gab Der größesten, zahllosen Menschenschaar, Den Kindern, schnellen, flücht'gen Durchgang nur Durchs Erdenleben. Manches siehet kaum Mit einem Blick die Sonne, manches lernt Im süßen Vater, Mutter-Namen nur Den Namen Gottes lallen und entweicht: Es war ein Mensch und wird ein höhrer Mensch, Ein Seliger, ein Engel. Dieser Baum, Der frühreif schon so schöne Blüthen trug, Er wirft die Blüthen ab und welkt hinweg; Sie sollten, durften, konnten alle nicht In dieser schweren Luft zu Früchten werden. Des Mannes Feuer brennt ihm auf sein Herz, In seinen Adern quillt der Flammenstrom, Der früher ihn gen Himmel tragen soll: Er hatte Viel in Wenigem gelebt Und Viel genossen, Viel ertragen. Soll Er noch die Hefen seines Bechers kau'n, Die jenes Erdethier so gerne trinkt Und noch nach mehrern dürstet? Alle Welt Ist des Gesanges meines Gottes voll, Des Zweckes seiner Schöpfung. Der Barbar Und Weise, Griech' und Neuseeländer stimmt, Obwol verschiednen Tons, verschiedner Höh, In einen Lobgesang: »Wir waren Mensch! Gemacht, die Schöpfung zu begrüßen, Gott Zu nennen, Weisheit, Erdenseligkeit In Tropfen oder Strömen, doch als Mensch Zu kosten und mit ganzem, halbem Durst Zur Quelle selbst zu wandern.« Schöpfe Muth, Unglücklicher der Erde! Durchgang ist Dein Leben durch die Welt; Dein Himmelsbild Ist Gottgestalt: die bleibet Dir. Du bist Mehr als der Adler, als der Elephant, Auch Du, der Wild' und Heide, Gottes Mensch, Bist Vaters Ebenbild, das zu ihm eilt.