Coalition »Politisch Lied, ein böses, böses Lied!« So sagt das Sprichwort; und Du willst, o Freund, Daß dichtend unsre Nation sogar Politisire? Hör ein Märchen an, Was ein politisch Wort, ein bloßes Wort, Für mancherlei Besinnung dem Gemüth Nur eines deutschen Hauses gab. Es hieß Coalisirte Mächte.–Dir ist noch Bekannt: man wiegte vor nicht langer Zeit Die Kinder mit coa-coalisirt In sanftern Schlaf. Das junge Fräulein fragte Die gnädige Mama: »Was machen jetzt Die gnäd'gen Tanten, die coalisirten Puissancen wol?« Der Informator hörte Das Wort mit Aerger: »Wahrer Solöcism! Coalui, coalitum! Es heißt (Soll's ja so heißen) einzig coalirt, Und nicht coalisirt. Ein Emigré Erfand das Wort, als ob die ganze Welt Für ihn zusammenwachsen müßte.« »Nein,« Antwortete der Secretarius, »Der stolze Berg erfand's, als ob die Welt Entgegen seinem Rath nichts mehr bedeute Als eine Reichstags-Coalition. Sie sangen ja den zweiten Psalm!« »Woher Es stamme,« sprach der Informator, »fremd Ist es und tauget nicht. Sonst nannte man's Verbündet, und da denk' ich mir den Bund.« Es hieß auch alliirt; da denk' ich mir Die Allianz. Doch das Zusammenwachsen Der alliirten Mächte giebt kein Bild. Ich schlug das Buch der Richter auf, wie Bäume Sich um die Allianz und Monarchie Besprachen: »Soll ich meinen süßen Most Aufgeben?« sprach der Weinstock. »Und soll ich Aus meiner Wurzel treten, daß ich mich Coalisire?« sprach die Ceder. »Schlage Der Herr nur den Propheten Daniel Und Esra sammt der Offenbarung auf! Da findet er so manches schöne Bild Coalisirter Mächte: Adler, Leu Und Lamm und Greif; es giebt ein schönes Kupfer!« Die gnäd'ge Tante sprach's. »Verzeihung!« bat Ein stattlicher Notarius; »allhier Gilt nicht die Bibel. In politicis Entscheiden wir; wir sind politici. « »So lange darfst Du Deines Landes Baum Und Kruste von dem Meinigen zurück- Begehren, als sie mit dem Boden noch Nicht coalirten. « Also spricht Alfenus Und Ulpian. »Getroffen!« riefen Alle, »Und gar politice. « »Doch noch nicht g'nug Bestimmt!« sprach ein Geheimer Rath; »die Kruste, Der Baum coalescirt; doch hohe Mächte Coalisiren sich. Sind's freie Staaten, So heißt es Union; und schließen sie Ein Bündniß, heißt's Conföderation; Coalisiren Cabinette sich, So folgt darauf Incorporation, Der fremden Erdenkruste Einverleibung– Ein angenehmer Actus.« Endlich ward Dem Herrn des Hauses dieser Tummelplatz Zu eng. »Ich dächte, Jedermann von uns Coalescirt' und coalirte nur Zuerst mit sich und seiner Kruste.« »Das Ist's eben, gnäd'ger Herr,« sprach ein Statist- Iker, der ex professo sich darauf Geleget hatte. »Als vor Jahren ich Mit meinem jungen Herrn auf Reisen war, Da fiel mir auf der letzten Station In Frankreich an der Grenze schwer es auf, Wie Alles dort so bald coalescire. Vor wenig Jahren waren Hennegau Und Flandern flämisch, Lothringen war deutsch; Und jetzt ist bis zur letzten Station Alles französisch, um- und umgewandt, Bekleibet, neugeschaffen, coalirt.« Und dicht daneben hängt, an Wulst und Leib Und Sprach' und Sitten gleich, das Brabant an, Das Deutschland! »Wie coalescirt ein Reich?« Fragt' ich mich selbst, »und wie coalisirt Es sich Provinzen, die's incorporirt? Ein schweres Staatsproblem!« Hier sehen Sie Die große Länderkarte. Ostwärts dort Das ungeheure Kaiserthum Groß-Tschni, Tschong-Ku, Tschong-Hoa! Leider nennen wir's Mit falschem Namen China! Dieses Reich Mit seinen tausendundvierhundertzwei- Undvierzig Strömen, vielen Brücken und Zweitausend Bergen, hundertneunundvierzig Millionen und sechshundertzweiundsechigtausend Menschen, Dort von der Mauer bis nach Canton zu, Ja bis nach Lao-Tschua, Cotschin-Tschina, Cambotscha, Tunkin, ist, wie ein Gewächs, Mit seinem Boden trefflich coalirt. Ein jeder Mandarin hat seinen Platz Und seine Feder. Kommt ein fremder Lord, Mit Freudenfeuern führt man ihn hinein, Und bald hinaus, daß er nicht coalire. Dagegen Hindostan, das arme Land, Ist elend coalirt. Bramanen, Schattri, Banjanen, Schutter, und die Fremden gar, Seiken, Dschaten, Gebern und Afghanen, Mongolen, Juden, Perser, Araber, Und Europäer aller Art, Maratten, Rasbatten; darum geht's den guten Hindus Auch so erbärmlich. – Nun spazieren Sie Von den Fuchsinseln bis nach Kexholm hin; Wie hängt's zusammen! Samojeden und Tungusen, Tatern, Kamtschadalen; da Lebt Jeder, wie er will, wenn er nur Pelze Und seinen Rubel giebt. – Das arme Polen, Warum denn ward's zertheilt? Es war mit sich Nicht coalirt; drum schnitt man es entzwei; Nun wachsen seine Stücke neu und frisch Zusammen durch die Cur der Sympathie. »Das große Deutschland (warum liegt es doch So nah an Polen?), Holland, Engeland Mit Schottland, Irland, Caledonien, Italien und Griechenland, Türkei Und Walachei und Moldau –« »Ist's denn noch Nicht aus?« rief der Baron. – »Das Beste kommt Anjetzt. – Nun treten Sie in Frankreich ein! Da weht französische Luft; da essen sie Und trinken, jauchzen, reden, singen ganz Französisch. Schon das Kind in Mutterleib, Ich glaub', es denkt und spricht französisch. Selbst Latein und Griech'sch spricht man französisch aus, Und Alles mit Geschmack. Sie ziehn den Fremden So an sich, daß er mit coalescirt. Oft hab' ich dran gedacht, warum denn Griechen Und Römer auch nicht so zusammenwuchsen. Was half den Griechen ihr Achäerbund, Ihr Panionium, Amphiktyonenhof, Ihr Panätolium? Was halfen den Etruriern die Lucumonen? was Den Römern ihr jus civitatis? und Den Celtiberiern –« »Ist's noch nicht aus? Da seh' der Herr die sieben Pfeile auf Holländischen Ducaten mit der Aufschrift Concordia! « »Ach, leider sind sie nur Im Golde des Ducaten coalirt!« »Nun so coalisir' Er denn!« »Er wird,« Antwortete der Arzt, der bis dahin Geschwiegen hatte, »jetzt erzählen, wie Man die in Eins Gewachsenen curirt. Dem Einen Schnupftobak, der Andre niest; Purgirt den Einen – denn wie Haller sagt, Kommt's bei in Eins Gewachsnen nicht auf Köpfe Und Mägen an, sie sind ein Herz und Geist. « »Nicht also!« sprach ein Casuist; »nach Köpfen Wird ein Coalitum getauft; was ist Da viel zu herzen?« Der Baron War dieses Streites müde. »Seht, Ihr Herrn, Ihr selber seid in Euern Meinungen, Ein Wort betreffend, weder coalirt, Noch wollt Ihr Euch coalisiren; und Coalisirt die Welt? Nutzlose Müh! Sei Jeder erst mit seinem Stand und Land Und Haus und Hof und Weib und Kind und Amt Und Pflicht, ja mit sich selbst recht coalirt; Er wird Tschin-Tschin vergessen. Lerne doch, Was Euch der Haushahn in der Fibel sagt, Ein Jeder seine Lection, so steht Es wohl in Hause, Stadt und Land und Welt.« – Sieh, Freund, so spricht die deutsche Politik Vom Fernsten immer und vom Weitesten, Nur nicht von sich. Und lohnt es wol der Müh, Die Musen mit dem Wuste zu entweihn? Verbannt aus Deutschland ist die Politik; Verbannet sei nur nicht die Menschlichkeit!