Zweiter Gesang Gestärkt vom Himmelstrost des Genius, Ging ich auf Erden ruhig, still einher; Mein Vaterland war in den Sternen. Einst Befiel mich mitten im Gedankenmeer Von Gottes Schicksal mit der Menschenwelt Ein himmlischer, ambrosisch-süßer Schlaf. Ich war im Paradiese. Vor mir stand Der Vater und die Mutter alles Heers Der Menschensöhne, hohe Traumgestalten! Der Vater, Gottes Sohn und Abbild; er Das Urbild aller Manneswürdigkeit; Sie Tochter Gottes, Paradieses Braut Und Jungfrau, Weib des ersten frohen Manns, Das Urbild aller Weibesschöne! Fast Anbetend sah ich sie und fühlte mich So klein, so tief hinabgesunken, fühlte So tief hinabgesunken mein Geschlecht Von jener Würd' und Schöne, von der Kraft Und Weisheit der beherrschenden Gestalt, Die Gottes Ebenbild hienieden war, Und ihrer Güt' und Unschuld. Wie der Bach Von seiner reinen Silberquelle fleußt Und trübt sich hie und da mit Schlamm und Koth Und schwillt von Gifte, färbet sich mit Blut Und Eiter, ist mit Leichnamen bedeckt Und stirbt zuletzt im Sande: so erschien Dein Fortfluß mir, Du armes Menschenvolk, Von schwächeren zu schwächeren Geschlechtern. »Wo ist Dein gottentsprungner Himmelsquell? Und kannst Du, armer, trüber, blut'ger Bach, Zurück zur Quelle fließen? Kannst Du je Die erste, reine Himmelsquelle werden? Und bleiben?« Bittre Thränen flossen mir Da, wo ich stand, in meinen trüben Bach Des Menschenlebens. Jene Traumgestalten Des Gottes und der Göttin meines Stamms Verschwanden, und das Paradies verschwand. Ich sah, im letzten Blick, des Lebens Baum Verdorren, sah des Baums der Weisheit Frucht, Wie Sodom's Apfel, sich mit Galle schwärzen Und auf ihm Drachen zischen, Donner brüllen Und schwarze Wolken ruhn. Ich bebete Und sah den Vater Adam wieder, weinen Um seinen liebsten, ach, erschlagnen Sohn, Von Bruders Hand erschlagen, sahe weinen Die unglücksel'ge Mutter um den Sohn, Der ihres Herzens erstgeborner Trost Und Freude war und nun in Wüsten irrt, Von Gottes Rache tief verwundet. Ich Sah statt des Paradieses rings die Welt Bedeckt mit Dorn und Unkraut und gedüngt Mit saurem Menschenschweiß und Menschenblut. Ich sah Tyrannen, Riesen, Himmelsstürmer, Verführer Derer, die, wie Gottes Töchter, In Unschuld glänzten; sah der Menschen Weg Vor Gott verderbt und hörte seine Reu', Des Schöpfers Reue, daß er Menschen schuf; Und sah die schweren Wasser des Gerichts Einbrechen, sah, was lebet, mit dem Tode In schwarzen Fluthen ringen, hörete Ihr letztes Angstgewimmer, sah das Schiff Der Angst und der Errettung: ach, es rettet Nur Wenige! und wozu rettet's sie? Sie bauen neue Thürme, finden neue, Noch ärgre Laster und verwandeln Gott In Götzen. – – – – – – – – – – – – – – –